COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Forschung und Gesellschaft am 17.September 2009 Redaktion: Peter Kirsten Kopf oder Bauch der Bürger Zur Psychologie politischer Entscheidungen Von Sabine Korsukéwitz Atmo/Musik Biergarten/Wahlkampfveranstaltung Sprecherin Es ist die Zeit, in der Wünschen wieder hilft. Steuersenkungen, eine saubere Umwelt, Arbeit für alle, neue Autos, Freibier ... Man nimmt es zur Kenntnis, wie das Versprechen auf ewige Jugend durch Creme XY. Aber trifft man seine Wahlentscheidung auch danach? Nein! Wir nicht! Wir urteilen nach Erfahrungen und Faktenwissen. Wirklich? Warum dann setzen die Parteien - je näher die Wahl rückt - auf Gefühle, statt auf Argumente? Für die Werbebranche ist Wahlwerbung Avantgarde. Was hier gemacht wird, zeigt die Richtung auf für die Wirtschaftswerbung der Zukunft. Und der Trend heißt: Gefühl. Wer die Klaviatur der Emotionen zu spielen weiß, der hat die besten Chancen, dass seine Argumente auf fruchtbaren Boden fallen. O1 Frevert ....sec Seit Aristoteles weiß man, wie wir Politik machen, indem wir über Politik reden. Politik ist Kommunikation. Diese Kommunikation ist sehr stark abhängig davon, welche Gefühle zwischen den politischen Akteuren aktiviert werden und welche ganz bewusst oder unbewusst eingesetzt werden, um Zustimmung zu erreichen, um Dissens so zu formulieren, dass er für den anderen erkennbar ist, aber nicht das Tor zur Kommunikation zuschlägt sondern öffnet. Die Rolle von Emotionen für die Vermittlung und Herstellung von Herrschaft ist etwas was wir nicht neu erfinden müssen und nicht neu beobachten müssen, was schon antiken Denkern unmittelbar einsichtig gewesen ist. Sprecherin Professor Dr.Ute Frevert ist Historikerin und leitet das Max Planck Institut für Bildungsforschung in Berlin. Zusammen mit ihren Kollegen untersucht sie die Geschichtsmächtigkeit von Emotionen: Welche Gefühle haben die Herrscher verschiedener Epochen und politischen Systeme bei Ihren Untertanen zu welchem Zweck angesprochen? Wie haben sie sich dargestellt, um die sogar für einen König zum besseren Regieren notwendige Zustimmung zu bekommen? Und wie haben sich die Gefühle zwischen "oben" und "unten" im Lauf der Zeiten verändert? O2 Frevert .... sec Also: totalitäre Regime, denken Sie an den Nationalsozialismus, denken Sie auch an den italienischen Faschismus, an die Franco- Diktatur oder bestimmte sozialistische oder vor allem stalinistische Regime, die gehen mit Gefühlen so um, dass sie permanent auf die Notwendigkeit verweisen, dass es diesen gefühlsmäßigen Einklang zwischen Volk und Führer dieses Staates gibt. Es wird immer wieder darauf verwiesen: Wir reden eigentlich mit einer Zunge, wir reden aus einer gemeinsamen Wahrnehmung heraus, die ganz stark gefühlsbasiert ist. Und dann sind es Gefühle wie Liebe, wie Treue, wie auch Gehorsam, die in diese gefühlte Einigkeit zwischen Führer und Volk hinein gehen. Demokratien gehen anders mit Gefühlen um. Sie sind nicht so stark auf diese Einheitsfiktion fokussiert sondern sie gehen eher diskursiver und reflektiver mit Gefühlen um und von daher sind es auch zum Teil andere Gefühle, die so stark gemacht werden. In der Demokratie finden wir weniger stark dieses Moment von "Treue" und "Liebe", dafür ein Gefühl wie "Vertrauen". Sprecherin Liebe, Ehre, Treue - das hat in einer bestimmten Zeit gut funktioniert, solange nämlich die Bürger einem Anführer auf Lebenszeit verpflichtet waren. Ebenfalls Emotionen, nämlich Scham, Abscheu und Entsetzen haben nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus zu einem kritischen Abstand von diesen allzu verführerischen und familiären Nahbegriffen geführt. O3 Frevert ... sec Die DDR war als Nachfolgestaat, sie hat sich ja nicht als Nachfolgestaat des Dritten Reiches begriffen, aber immerhin - das war die Vergangenheit die ihre Bürger zumindest mitgebracht haben. Von daher hatte die DDR ebenso wie die Bundesrepublik das ganz manifeste Interesse, dort ganz klare emotionspolitische Zäsuren zu setzen und zu sagen, das, was damals war, ist jetzt nicht mehr. Zugleich hat sie selber eine starke Emotionspolitik immer gemacht, aus meiner Sicht viel stärker als die Bundesrepublik. Sie hat sehr starke Symbole besetzt, sie hat in ihrem antifaschistischen Selbstbild sehr stark auf das Vermächtnis Wert gelegt, was die Toten den Lebenden weitergeben. Von diesem "Die Toten mahnen uns" in Friedrichsfelde auf dem Friedhof bis hin zur 1958 errichteten Gedenkstätte Buchenwald, in der es auch permanent darum geht, dass wir als jetzt Lebende nicht hinter dem zurück bleiben dürfen, was uns die vom Faschismus ermordeten Kommunisten hinterlassen haben. Und das ist ein sehr starker emotionaler Griff auf die Bevölkerung. Den gab es in der Bundesrepublik nicht. Wer sich dem entzog, stand in Verdacht, sich diesen Werten auch vollkommen zu entziehen und nicht mitzumachen. Sprecherin Emotion in Text, Bild und Ton serviert macht Politik, heute wie damals, auch wenn die Methoden subtiler geworden sind, und auch wenn man gelernt hatte, ein Misstrauen gegen sie zu hegen. Wir sehen uns gern als homo rationalis. Der homo emotionalis gilt in unserem Kulturkreis als tierhaft und ein bisschen primitiv. Wer zugibt, Wahlzettel "intuitiv" anzukreuzen, outet sich als leichtgläubiger Trottel. Und doch werden immer wieder Zahlen gehandelt, nach denen 90 Prozent Prozent einer Wahlentscheidung aufgrund von Emotion und nur der klägliche Rest auf Ratio begründet sei. Aber so kann man das gar nicht sehen, sagt Professor Dr. Fritz Strack, Sozialpsychologe an der Universität Würzburg. Sein Spezialgebiet sind Entscheidungsprozesse. O4 Strack 1:26 sec Ich glaube es ist auch ein Fehler zu sagen, es gibt entweder Bauchentscheidungen oder Kopfentscheidungen. Es ist so, dass der Bauch oder die Intuition immer eine Rolle spielt, bei allen Urteilen Stimmungen, Gefühle mit eingehen. Die Gefühle helfen uns bei der Urteilsbildung, die Gefühle vereinfachen die Urteilsbildung. Wenn wir vor einem Regal stehen und uns entscheiden müssen zwischen 5 Sorten Zahnpasta beispielsweise, dann lesen wir nicht Testberichte, sondern sagen: Hier hab ich ein gutes Gefühl dabei. Die Entscheidung ist revidierbar und insofern macht es auch Sinn zu sagen, ich lass mich von meinem Gefühl beeinflussen. Und die Gefühle gehen in die Urteilsbildung ein, wie auch andere Informationen. Von daher spricht man auch von "Stimmung" als Information. Wenn ich nämlich weiß dass dieses Gefühl aus einer Quelle kommt, die überhaupt nichts mit meiner Entscheidung zu tun hat, dann kann ich dieses Urteil auch korrigieren. Ich sag: Ich darf mich hier in dieser Situation nicht auf das Gefühl verlassen. Das ist ein Prozess in dem Schlussfolgerungen, rationales Verhalten und emotionale Einflüsse zusammen spielen. Sprecherin Die Sozialpsychologie hat vor allem in den letzten zehn Jahren eine Aufwertung erfahren, besonders seit der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann den Einfluss der Emotion auf das vermeintlich rationalste aller Fächer, die Wirtschaft, erklärt hat. Doch wie kann man den Einfluss von Gefühlen auf das Urteil messen oder wenigstens nachweisen? O5 Strack 1:54 Wir sind experimentelle Wissenschaftler, wir führen Experimente durch, das heißt: wir versetzen Personen in Situationen, die Gefühle auslösen - positive, negative, wir lassen sie nachdenken über ein eigenes Lebensereignis in der Vergangenheit, positiv, negativ, wir verändern den Gesichtsausdruck und untersuchen, wie sich das so ausgelöste Gefühl auf bestimmte Urteile auswirkt. Zum Beispiel auf die Beurteilung von Karikaturen, wie witzig die Leute das finden. Wir machen zur Zeit auch Untersuchungen - es gibt ja auch Gefühle, die nicht so affektiv sind, wie jetzt die Emotionen Freude, Trauer - die mehr ein kognitives Gefühl sind, zum Beispiel das Gefühl der Leichtigkeit bei der Durchführung einer Aufgabe. Wir haben das Gefühl, es fällt uns leicht oder wir haben das Gefühl: das ist ziemlich schwierig, ja? Und es zeigt sich immer mehr, dass diese Gefühle der Flüssigkeit bei der Durchführung einer Arbeit, einer Denkaufgabe beispielsweise, eine unglaublich wichtige Grundlage ist für alle möglichen Urteile. Das ist ein Forschungsstrang den wir verfolgen. Aber dann machen wir noch Folgendes: Wir schaffen experimentelle Situationen in denen die Ursache des Gefühls einer Quelle zugeschrieben wird, die jetzt mit der Aufgabe gar nichts zu tun hat. Wir spielen eine Musik, wir wissen dass diese Musik dazu führt, dass man sich irgendwie freudiger fühlt oder dass es einem schwerer fällt und dann gucken wir, wie die Zuschreibung des Gefühls auf eine andere Quelle dazu führt, dass das Gefühl dann nicht mehr in die Urteilsbildung mit einbezogen wird. Sprecherin Darauf baut Werbung und natürlich besonders politische Werbung. Atmo Wahlkampf Sprecherin Eine Respektsperson lächelt, krempelt sich die Ärmel hoch, sticht ein Bierfass an. Luftballons schweben in den blauen Himmel. Die Musik ist angenehm.... O6 Strack 1:10 Man weiß oft nicht wo die Gefühle herkommen und das ist eine Quelle der Beeinflussung. Da ist eine ganz große Gefahr, die in der Werbung ausgenutzt wird, das Produkte bestimmte Gefühle auslösen, auch durch Musik oder durch die Präsentation im Kaufhaus, oder durch attraktive Personen, die dann dem Produkt selbst zugeschrieben werden, ja? Also man glaubt das Produkt macht ein gutes Gefühl, in Wirklichkeit ist es aber das Ambiente, die Farbe, das Design. Wenn jetzt zum Beispiel bestimmte innerliche Positionen über Personen transportiert werden, die mir sympathisch sind, die auch präsentiert werden mit der Familie und Dingen, die gute Gefühle auslösen und dadurch wird mir ein Gegenstand, den die Person vertritt, eine politische Position, die die Person vertritt, sympathischer, angenehmer, dann weiß ich nicht mehr, ob das nun eigentlich durch Eigenschaften des Politikers transportiert wird oder durch eine Bewertung dieses Sachverhalts und so kann es passieren, dass einem Sachverhalte sympathischer werden, ganz einfach deshalb, weil sie durch Personen vertreten werden, die mir aus irgendwelchen völlig irrelevanten Gründen sympathisch sind. Sprecherin Mit allen Tricks wird im Wahlkampf gearbeitet und sie zielen allesamt auf die Erzeugung von Gefühlen... ist es nicht also grundsätzlich schlecht, solchen Gefühlen zutrauen? O 7 Strack 1:07 Man muss auch immer wieder die Aufgaben betrachten, und auch die Motivation. Es gibt zwei Ziele die bei einer Entscheidung wichtig sind: das eine ist die Genauigkeit, das andere ist die Schnelligkeit oder auch der Aufwand, den man bereit ist zu investieren. Und der, der sagt: Gefühle sollten keine Rolle spielen, der guckt nur auf die Genauigkeit. Aber wir sind oft in Situationen wo wir es uns gar nicht leisten können, das Problem in seiner ganzen Komplexität zu durchdenken und da brauchen wir Vereinfachungsstrategien, ja? Und manchmal sind wir auch einfach nicht motiviert. Wenn ich auf das Beispiel mit der Zahnpasta zurückkomme, wir sind nicht motiviert, Testberichte zu lesen, um so eine Entscheidung dann wirklich rational durchführen zu können. Das ist uns nicht wichtig genug. Wir machen auch eine Kosten- Nutzen-Abwägung, in Bezug auf den Aufwand den wir betreiben wollen, um eine Entscheidung zu treffen, und wir verwenden immer Vereinfachungsstrategien. Das Gefühl ist eine Vereinfachungsstrategie. Sprecherin Nun ist ja die Frage, wem man für die nächsten vier Jahre das Schicksal eines Landes in die Hände legt, eine wichtigere Entscheidung, als Zahnpasta zu kaufen. Kann man da vom Wähler nicht verlangen, die Testberichte zu lesen, beziehungsweise die Wahlprogramme aufmerksam zu studieren? O 8 Strack 0:19 Es steht mir nicht zu das zu bewerten. Wir haben nur eine begrenzte Zeitkapazität und wir müssen unsere Ressourcen so einsetzen, dass es möglich ist auch die anderen Dinge zu machen, die wir auch noch gerne machen möchten, da kann man nicht unendlich viel Zeit auf eine Entscheidung verwenden. Sprecherin Und darauf eben setzen Wahlkampfstrategien. Auf die bequeme Abkürzung über Symbole und Bilder, wie die Hai-Gesichter, Geldstücke auf Beinen und Haarfön-Köpfe , mit denen die SPD in der Europawahl scheinbar humoristisch Wahlgegner zu degradieren versuchte. Mehr Rot ist wieder zu sehen, seit die Linke auch darauf gesetzt hat. In den Jahren davor war das Rot bei den Sozialdemokraten spärlicher geworden. Andernorts leuchtet es optimistisch gelb und Natur-grün. Sich farblich abzusetzen ist wichtig im Schilderwald. Da geht es bei der Plakatherstellung um Nuancen: Rot ist nicht gleich Rot. Ein Stich mehr ins bräunliche, ein Hauch mehr Blau und die Wirkung wäre nicht dieselbe. Und die sogenannten "Argumente"? SPD, die Linken und die Grünen (Wums!) setzten zuletzt eher auf negative Symbole und Themen: Rentnerarmut, Harz- IV-Elend, schlechte Atemluft. In einem Europa- Wahlspot der Grünen ließ man sogar ein Häuschen in sich zusammen fallen und Atomfässer über grüne Wiesen rollen. Ruhe und Zufriedenheit wollte dagegen die CDU vermitteln - "wir können das". In der Europawahl setzte die Partei auf ein wohliges "Wir"-Gefühl. Der Soziologe Christian von Scheve: O 9 Scheve 1:16 Das ist ein gutes Beispiel weil es eines der wenige Beispiele ist, das von der empirischen Forschung relativ gut belegt ist: nämlich das positive Gefühle im weitesten Sinne nämlich Enthusiasmus, Fröhlichkeit, Loyalität geweckt werden: Das bewirkt eher, dass wir Informationen nach einfachen Daumenregeln verarbeiten, ja, wir bleiben dabei was uns bekannt ist, was uns vertraut ist, es läuft dann alles eher nach Schema F ab. Andererseits wird gesagt, dass negative Gefühle wie Angst oder Furcht eher dazu führen dass wir uns Sachen genauer anschauen. Dass wir von einem Schema F abweichen und dazu neigen, uns zum Beispiel den Inhalt eines Wahlwerbespots oder den Inhalt einer Rede ... uns da viel stärker drauf fokussieren. Man schluckt das nicht einfach so, sondern wenn diese Emotionen im Spiel sind, dann neigt man dazu - so sagt die Forschung - sich mit dem eigentlichen Informationsgehalt zu befassen, den zu hinterfragen. Atmo 3 drohender Musikakzent Sprecherin Aufmerksamkeit durch furchtbesetzte Themen oder Symbole wecken - Fear-appeal nennt die Psychologie diese Methode. Der US- amerikanische Psychologe Paul Slovic hat kürzlich analysiert, was da am Besten wirkt: Es sind die Symbole und Gefahren, die unser Kleinhirn noch aus der Zeit unserer behaarten Vorfahren kennt, worauf es reagiert: Säbelzahntiger und Männer mit Knüppel. Unter die Kategorie "Männer mit Knüppeln" fallen dann gern mal kriminelle Ausländer. O 10 Strack 0:37 Aber Sie sehen ja auch, das hat im zweiten Wahlkampf nicht mehr funktioniert, ja, also der Koch hat's ja wieder versucht in Hessen, jetzt in der Landtagswahl, und es ist ihm nicht gelungen diese Angst auszulösen. Also Gefühle auszulösen mit einem bestimmten Thema setzt voraus, dass eine gewisse Bereitschaft da ist, tatsächlich so zu fühlen, dass es einen bestimmten Hintergrund gibt, der dazu führt, dass die Gefühle ausgelöst werden. Es hat sich bei uns was verändert. Das ist eine ganz wichtige und auch irgendwie tröstliche Beobachtung. Dass die Manipulierbarkeit der Gefühle doch auch ihre Grenzen hat. Sprecherin Haben wir uns über unsere Urängste hinaus entwickelt? Potentiell ja, aber der "alte Affe" kann schnell wieder zum Vorschein kommen, wenn bestimmte Sicherheitsbedürfnisse nicht mehr erfüllt werden. In bedrohlichen Situationen übernimmt der Instinkt. Noch eines müssen Wahlkampfmanager bedenken, wenn sie einer Kampagne mit negativen Gefühlen zustimmen: Das mag zwar die Aufmerksamkeit steigern, aber negativ bleibt negativ - und wir sind nun mal lieber froh und optimistisch gestimmt. Schwer haben es die Grünen mit ihrem fear-appeal "Klimakatastrophe" noch aus einem anderen Grund: Angst und daraus folgend die Risikoeinschätzung des Menschen richtet sich zunächst nicht an die "Instanz" Emotion, sondern eine Etage tiefer: an den Instinkt. "Klimawandel", so Daniel Gilbert, Harvard-Psychologe, ist im Arsenal der Urängste nicht vorhanden: Zitator: "Deshalb regen sich Leute furchtbar über Fahnenverbrennungen auf oder was für eine Art von Sex Leute im Privaten praktizieren, obwohl uns das gar nicht beeinträchtigt. Dagegen, wenn wir eine wirkliche Bedrohung unseres Wohlbefindens haben, wie die Erderwärmung, klingeln die Alarmglocken überhaupt nicht." Sprecherin Das ist einfach zu weit weg und beeindruckt uns nicht besonders. Deshalb zum Beispiel nimmt auch die Altersvorsorge eher einen nachgeordneten Platz ein. Naturgemäß sind wir viel stärker beeindruckbar durch Ereignisse, die zeitlich nahe sind als durch zum Beispiel zurückliegende Erfahrungen. Da geht es im Gehirn zu wie in einer unaufgeräumten Schublade: Was wir zuletzt reingeschmissen haben, kommt auch als Erstes zum Vorschein, wenn wir sie wieder aufziehen. Wie zum Beispiel ein gummi- bestiefelter Kanzler bei der Elbeflut. Dennoch sagen ja die meisten Menschen: Ich entscheide mich aufgrund dessen, was ich über die Partei und ihr Programm weiß und nicht, weil mir Herr oder Frau XY sympathisch ist. O 11 Scheve 1:07 Genau da greift die Forschung der letzten 20 Jahre ein und sagt: das ist so etwas wie eine post-hoc-Rationalisierung. Ich kann mir natürlich hinterher immer sagen, ich habe aus diesen und jenen Gründen die Entscheidung getroffen, alle möglichen Informationen, die mir zur Verfügung stehen, habe ich versucht zu berücksichtigen, und dann habe ich aufgrund dieser Informationen versucht, eine Entscheidung zu treffen. Nur der Punkt ist der, dass in diesem Stadium der Entscheidungsfindung Emotionen eine zentrale Rolle spielen und häufig auf eine Art und Weise, die unserer bewussten Reflektion nicht zugänglich ist. Das hat die psychologische Forschung gezeigt, dass Emotionen beispielsweise den Abruf von Gedächtnisinhalten beeinflussen. Was erinnern wir wann, wie stark, warum, etcetera, etcetera, sie beeinflussen die Gewichtungen, die wir unterschiedlichen uns zur Verfügung stehenden Informationen beimessen. Sprecherin Die Emotion als Forschungsgegenstand erlebt derzeit eine Renaissance. Überall schließen sich interdisziplinäre Gruppen zusammen, um ihr Wissen darüber abzugleichen. Professor Dr. Christian von Scheve arbeitet im FU-"Excellenz-cluster" "language of emotions", in dem Soziologen, Psychologen, Neurologen und Linguisten zusammen arbeiten. Einer der Forschungsbereiche ist die Erzeugung von Emotion durch Sprache und Zeichen in sozio-kulturellen Zusammenhängen. Denn selbst, wenn der Sinn von Worten verstanden wird, so haben sie nicht in jedem Umfeld die gleiche Wirkung. Genauso ist es mit Bildern, Symbolen und Gefühlsäußerungen. Ein weiteres Problem für Wahlstrategen: soziale codes. O 12 Scheve 1:10 Ich kann mich an eine Schilderung erinnern, da war Clinton auf einer Beerdigung. Und er wurde fotografiert, wie er ganz kurz gelacht hat. Irgendjemand kurz angelächelt, der neben ihm stand. Und just von dieser Situation gab es ein Foto. Und es war ein großer Skandal, weil die einfache Regel natürlich lautet: Auf Beerdigungen lachen wir nicht sondern da haben wir gefälligst Trauer zu zeigen. Nach ähnlichen Mustern läuft das in ganz unterschiedlichen Bereichen ab,... also wenn wir uns etwa Schröders Tour nach der Flutkatastrophe anschauen, es ist ja vielfach gesagt worden, dass diese Flut für seine Wiederwahl ganz hilfreich war, das hängt sicher damit zusammen, dass er sich in dieser Situation sehr gut zu verhalten wusste und die Klaviatur dessen was sozial erwartet wird, wie man auf diejenigen zugeht, die von dieser Katastrophe betroffen sind, wie man Mitgefühl zeigt, all das hat er sehr gut beherrscht, was dann dazu geführt hat, dass es ihm viele Stimmen eingebracht hat. Sprecherin Von Kandidaten wird erwartet, dass sie die sozialen codes ihrer vermuteten Zielgruppe beherrschen. O 13 Scheve 1:14 Also wenn wir uns Steinmeier vornehmen, der Steinmeier ist ja jemand, der gilt als Intellektueller. Er galt lange Zeit als der Strippenzieher hinter Schröder, und ist nun nicht gerade derjenige, dem man unterstellen würde, dass er im Arbeitermilieu mit den Leuten ein Bier trinken geht. Natürlich: das sieht man am ganzen Habitus eines Steinmeiers, der passt natürlich nicht in ein Arbeitermilieu, das ist ganz klar. Gerhard Schröder war viel mehr in der Lage das authentischer rüberzubringen, es glaubhafter zu machen. Diese Bindungskraft der Emotion spielt da eine essentielle Rolle. Es ist extrem schwierig das als einen Steuerungsmechanismus einzusetzen. Viele Leute sagen dann, dem Steinmeier sagen die: Pass mal auf, du musst jetzt irgendwie näher bei den Leuten sein, musst besser auf die zugehen, musst die emotional mitnehmen, und so weiter und so fort, nur in dem Maße wo er nicht mehr er selbst ist, sondern wo es sozusagen der strategische Einsatz von Emotionen ist, kommt es auf eine ganz andere Art und Weise an. Die Schwierigkeit ist vorherzusagen, welche Emotionen das tatsächlich bei den Wählern auslöst. Das ist auch in der empirischen Forschung unsicher. Sprecherin Die Wähler haben eine feine Antenne für Unaufrichtigkeit. Insofern mag es sogar gut sein, wenn einer bleibt, wie er eben ist. Während der Kampagne zur Bundestagswahl 2005 wurde Angela Merkel als "zu kühl" und "nüchtern" kritisiert. Aus der Partei wurde verlautbart: Zitator "Wir haben die Herzen der Menschen nicht erreicht." Sprecherin Und noch 2007 stand in der Frau Merkel durchaus zugewandten Süddeutschen: Zitator Ihr Alltags-Gestus ist ziemlich emotionslos, ihr offizieller Gesichtsausdruck ist eher frostig und undurchschaubar. Das wird gern als Ausdruck ihrer Politik genommen. O 14 Scheve 1:15 Es gibt immer wieder Studien die versuchen, geschlechtsspezifische Unterschiede zu zeigen, die halte ich bislang jedenfalls für wenig aussagekräftig. Was hingegen relativ sicher ist, dass es diese unterschiedlichen Normen gibt, das ist gewissermaßen Umstand einer gewissen Sozialisationspraktik. Und da mag es natürlich sein, wenn wir jetzt Angela Merkel angucken, dass natürlich von Frauen in der Politik häufig ein anderes emotionales Verhalten erwartet wird als von Männern, ne, das sind sozusagen ganz herkömmliche Rollenerwartungsmuster, wenn Sie so wollen. Sprecherin Auch außerhalb des Wahlkampfes werden Emotionen strategisch genutzt. Noch einmal Dr. Ute Frevert: O 15 Frevert .. sec Eine Kollegin hat einen wunderschönen Vortrag darüber gehalten, Frau Budde aus Oldenburg, die der Karriere eines Bildes nachgegangen ist, und zwar eines Fotos von Gerhard Schröder, der vor einem Spielwarengeschäft in Hannover steht und eine Puppe gerade wohl gekauft hat für die gerade adoptierte Tochter. Und diese Puppe ist seltsamerweise gar nicht eingepackt. Normalerweise kommt man aus einem Spielwarengeschäft und das was man gekauft hat, steckt in einer Tüte. Nein: Diese Tüte gibt's nicht, er steht da so ganz locker, diese Puppe unter dem Arm und wird dabei geknipst - zufällig natürlich. Dieses Foto wird lanciert und zeigt ihn als liebenden Familienvater in einer Konstellation, die - ja - wo er es offensichtlich auch politisch gebraucht hat, in dieser Rolle dargestellt zu werden. Sprecherin Eine emotionale Wunderwaffe ist das sogenannte Charisma. Welche Partei betet nicht täglich um einen Obama? O 16 Scheve ...sec Er ist aus der Sicht der Forschung ein hochinteressanter Fall, die Kollegen in den USA beschäftigen sich natürlich damit. Charisma ist auch etwas, das hier am cluster zum Beispiel erforscht wird: Wie wirkt Charisma, welche Eigenschaften muss jemand haben, um charismatisch zu sein etcetera, etcetera. Eine Erklärung für charismatische Persönlichkeiten liegt auch häufig darin begründet, dass die Leute etwas haben, was man selber gerne hätte, aber schwer erreichbar ist. Nehmen wir zum Beispiel moralische Integrität. Immer ein hehres Ziel, was man gern erreichen möchte und dann gibt es Leute, die sind moralisch höchst integer. Und wir wissen aber selber, dass das eher Wunschdenken ist, dass wir sowas erreichen und das führt dazu, dass wir solche Personen bewundern und ich glaube, damit hängt das zusammen, dass so eine charismatische Beziehung entsteht. Sprecherin Auch Dr. Ute Frevert ist fasziniert von dem jungen amerikanischen Präsidenten: O 17 Frevert ... sec ...dass der in seiner Wahlkampagne etwas zugelassen hat, das ja trotz aller Bürgernähe des amerikanischen politischen Personals doch etwas Revolutionäres gewesen ist: Er hat eine Nähe zugelassen zwischen sich und seinen Wählern, die kein Beispiel hatte bislang und er pflegt diese Nähe ja auch weiter, indem er diese "personal messages" schickt an die Leute, die da in seiner Kartei sind und das sind ja Millionen von Leuten, die da auf einmal eine E-Mail bekommen von Obama und sich persönlich angesprochen finden. Diese persönliche Nähe, die natürlich einlädt dazu auch Emotionen reziproker Art - du vertraust mir, ich vertraue dir - du achtest mich, ich achte dich - einzulassen, ist etwas Neues, das würde unseren Politikern hier glaube ich, sehr sehr schwer fallen, und es hat auch Gefahren der Enttäuschung, dann wenn diese Erwartungen, die ja auch geweckt werden - Obama ist mein Präsident, er wird nie was Falsches tun - natürlich wird er irgendwann was Falsches tun. Sprecherin Idealistische Botschaften statt sachliche Argumente - das hat derzeit Konjunktur. Und die Intuition ist vielleicht besser als ihr Ruf: O 18 Scheve ... sec Also wenn man es aus emotionstheoretischer Perspektive betrachtet sind Emotionen eigentlich dazu da, Reiz und Reaktion zu entkoppeln , das heißt: Sie haben nicht mehr wie bei Nichtsäugetieren, die ein reines Reiz-Reaktionsverhalten zeigen, sondern der große Clou bei den instinktgeleiteten Emotionen ist, dass sie Reiz und Reaktion entkoppeln. Der Affekt, die Emotion wird zwischen geschaltet. Es ist nicht mehr so: wir sehen uns einem bestimmten Reiz gegenüber und handeln dann ganz unmittelbar und ganz unveränderlich auf immer die gleiche Art und Weise auf einen bestimmten Reiz, sondern Emotionen geben uns die Möglichkeit beides voneinander zu entkoppeln. Sprecherin Das Wahlvolk besteht aus so vielen Individuen und Einzelinteressen, die Faktoren was auf wen wie wirken könnte, sind so komplex, dass Wahlwerbung eine hohe Kunst geworden ist, selbst wenn die Plakatwerbung am Ende oft eher gegenteilig wirkt. O 19 Scheve 0:16 Es ist nicht so dass wir auf einen Knopf drücken und einen bestimmten Reiz den Leuten präsentieren und dann zuverlässig die und die Emotion auslösen können sondern es hängt sehr sehr viel mit der Rezipientenseite zusammen. Deswegen - es ist ein riskantes Spiel Emotionen einzusetzen. O 20 Strack 0:07 Wir sind ein komplexes Informationsverarbeitungssystem, das auf unterschiedlichen Ebenen die Information verarbeitet. O 21 Frevert ... sec Diese Vorstellung von Manipulation in der massenpsychologischen Forschung des späten 19.Jahrhunderts - es geht eigentlich immer von einem Menschen als animale aus, das am Bande geführt werden kann. Und mittlerweile haben wir ja doch ein Menschenbild das sehr viel differenzierter ist und was zeigt, dass Menschen auch zum Teil gegenteilige Reaktionen machen, wenn man ihnen eine zu hohe Dosis von Gefühlen abverlangt und dann reagieren sie bockig Sprecherin Politik ist eben doch mehr als ein Produkt unter vielen. Wahlwerbung ist die raffinierteste Werbung überhaupt. In kaum eine andere Werbekampagne fließt soviel Geld, Überlegung, Forschung, kreative Leistung. Je näher der Wahltag rückt, desto genauer schauen die Manager auf Reaktionen, desto schneller, flexibler und pointierter wird geworben. Dennoch bleibt das Ergebnis unsicher. ... O 22 Scheve (4 sec) ... wie man dann am Wahlabend feststellen kann. (lacht) 1