DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 09.10.2012 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 - 20.00 Uhr Fünf Tage im Oktober oder Die Kunst zu überleben Die zwei Leben der Landshut-Stewardess Gabi von Lutzau Von Rosvita Krausz URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - O-Ton Gabi von Lutzau: Das Thema war Köpfe der Hanauer Landstraße, und ich fand es zu langweilig einen Kopf zu machen, dann habe ich alles andere gemacht außer den Kopf und so entstanden die Wächter. Ich wollte einen Wächter machen, der als körperliche Präsenz wirkt, der Kopf personifiziert das Ganze. Und ich wollte es nicht persönlich machen. Ich wollte den männlichen Wächter machen, den weiblichen Wächter. Damit fing das alles an. Körperliche Präsenzen, eine Art Schutzengel, mehr wie bei Wim Wenders, welche die nicht so verkitscht und nett sind. Und wenn überhaupt in Richung Engel, dann eher wie im Alten Testament die Serafim und Cherubim, die als Heerscharen Gottes auf die Erde kamen und die zu schrecklich waren, um sie anzuschauen. Sprecherin: Gabi von Lutzau ist eine international bekannte Bildhauerin. Ihre großen und doch filigranen Figuren, die immer etwas mit Luft, Leichtigkeit und Vogelflug zu tun haben, also immer auf Achse sind und alles im Auge behalten, stellt sie von Frankfurt über New York, Shanghai bis Israel aus. Ihr Rohstoff sind Baumstämme, die sie mit Kettensäge und Flammenwerfer in Kunst verwandelt. In ihrem Asbestanzug, wenn sie ihr schweres Gerät im Anschlag hält, ist Gabi von Lutzau eine martialische Erscheinung. Aber sie hat es auch mit einem starken Gegner zu tun. Tritt sie doch an gegen die Schockwellen der Vergangenheit. Sie war Stewardess an Bord der Lufthansamaschine Landshut, die im Oktober 1977 von einem palästinensischen Kommando entführt und fünf Tage später von der GSG 9 befreit worden war. O-Ton Gabi von Lutzau: In meinem Leben bin ich glaube ich beides: Wächter und Beschützte. Ich mache mir Wächter, die auch für andere Leute arbeiten, wenn man sich von mir einen Wächter nach Hause holt, dann arbeitet der für seinen neuen Freund und ich bin auch gleichzeitig durch sie beschützt, weil ich habe sie in diese Welt gebracht. Ich bringe positive Dinge in diese Welt. Ich setze dem Bösen das Gute entgegen. Musik Sprecher: Fünf Tage im Oktober oder Die Kunst zu überleben Die zwei Leben der Landshut-Stewardess Gabi von Lutzau Ein Feature von Rosvita Krausz Sprecher: Kapitel 1: Rückblende Sprecherin: Oktober 1977, deutscher Herbst. Schon fünf Wochen ist Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer Geisel der Roten Armee Fraktion. Elf RAF-Gefangene in Stuttgart-Stammheim sollen freigepresst werden. Aber die deutsche Regierung unter Helmut Schmidt bleibt stur. Notfalls soll Schleyer geopfert werden. Die Lage verschärft sich, als das palästinensische Terrorkommando die Urlaubermaschine Landshut auf dem Weg von Palma de Mallorca nach Frankfurt am Main entführt. O-Ton Jürgen Vietor: Wir hatten zwei Särge an Bord und die sehen ja nicht wie Särge aus, das sind Holzkisten. Aber man erkennt das Format und wir hatten auch Unterlagen. Und dann saßen wir in Palma vor dem Abflug, wir haben unsere Flugvorbereitung gemacht, das Gepäck kam und da standen zwei Holzkisten. Da sag ich: "Guck mal Jürgen, zwei Särge. Bei der Marine sagt man, Sarg an Bord bringt Unglück und wir haben gleich zwei davon! Ha, ha, ha." Sprecher: Jürgen Vietor, Pilot. O-Ton Jürgen Vietor: Wir waren grad über Toulon, bis dahin war alles normal, es gab hinten bei den Passagieren Essen... Auf einmal wurde es furchtbar laut, da dachte ich erst, es wäre ein Getränkecontainer umgefallen, da wurde die Cockpittür aufgerissen und da kam auf einmal dieser Mahmud da rein und hat geschrien: "Out, out, out." Pistole an Jürgen Schumanns Kopf und mich hat er in die Rippen getreten und out, out, out, geschrien, das hab ich dann eben gemacht. Hände hoch und nach hinten gelaufen. O-Ton Cecile Meijer-Werner Der Anführer, der war ungeheuer nervös. Sprecher: Cecile Meijer-Werner, Unternehmerin und Geisel an Bord. O-Ton Cecile Meijer-Werner Der war so nervös, das war nicht zu beschreiben. Der sagte zwar immer, wenn Sie alles tun, was ich von Ihnen verlange, passiert Ihnen nichts. Und er hat uns auch erzählt, warum er uns da gefangen hält, um eben diesen Austausch zu erzwingen. Und wenn das geschieht, passiert uns nichts. Atmo: Funkverkehr Mogadishu Tower / Cockpit O-Ton Gabi von Lutzau An Bord verloren wir unsere Namen. Wir bekamen Nummern zugeteilt und uns wurde gesagt, dass wir uns morgens zur Erschießung zu melden hätten und außerdem wurden wir dauernd als jewish bitch beschimpft. Wir wurden praktisch zu Juden gemacht. Bekamen die berühmte Nummer. Nur dass sie uns die nicht eintätowiert haben. Und das hat mich doch sehr nachdenklich gemacht und auch sehr sensibel für das Thema Judentum. Das ist auch eines der Gründe, warum mich dieses Thema besonders trifft. Die brauchten ein Feindbild. Ganz klar und für sie waren Juden ein Feindbild. Das ist einfach ganz normaler Antisemitismus, wie er in Arabien gang und gäbe ist. Atmo: Funkverkehr Mogadishu Tower / Cockpit O-Ton Gabi von Lutzau Wir schmorten bei 50 Grad und überlaufenden Toiletten und waren unseren schrecklichsten Phantasien einfach ausgeliefert. Wir waren ja gefangen in dieser kleinen Welt dieses Flugzeuges, dieses stinkenden heißen Höllenpfuhls und es kam keinerlei Information von außen zu uns nach innen. O-Ton Cecile Meijer-Werner Zum Schluss war es so, dass man sich sagte: Nun ist es aus. Es war wirklich soweit. So saßen sie da. Und keiner sagte einen Ton. Und dann sprach die eine Stewardess und sagte, ich muss Ihnen sagen, jetzt habe ich auch keine Hoffnung mehr. Vielleicht beten Sie, vielleicht geschieht ein Wunder. Wer weiß. Atmo: Funkverkehr Mogadishu Tower / Cockpit O-Ton Gabi Lutzau: Ich hab versucht, das Vaterunser zusammen zu kriegen, als es ums Sterben ging, und ich habs nicht mehr zusammengekriegt, aber das war dann auch egal. Ich hab dann im Kopf mit meiner Oma gesprochen, die zu Hause war und sich große Sorgen gemacht hatte, das war dann auch okay. O-Ton Cecile Meijer-Werner Dann hieß es, jetzt haben Sie noch eine Viertelstunde und das haben Sie Ihrem Bundeskanzler Schmidt zu verdanken und nun haben Sie noch zehn Minuten und da habe ich so die Augen geschlossen und gedacht, das kann doch nicht angehen, das gibt es doch nicht, so ein Mensch kann doch nicht damit durchkommen, so einfach 91 Menschen in die Luft zu sprengen. Das ist doch unmöglich. O-Ton Jürgen Vietor: Ich gebe zu, dass ich am 3.,4. Tag mich gewundert hab: Mensch, wir leben ja immer noch. Denn es konnte ja so viel schief gehen. Nachts eine Landung in Barein, wo uns gesagt worden ist, es ist verboten, wir dürfen da nicht landen. Wir haben es trotzdem gemacht. In Dubai waren die Runways voll mit Feuerlösch-Autos gestellt, wir durften nicht landen. Ja in Aden keine Landeerlaubnis, sind wir neben der Bahn runter gegangen. Mogadischu, da war ich ja Kapitän, Jürgen Schumann war erschossen, ...und so haben wir uns, ich mich immer nur weitergehangelt, von Ereignis zu Ereignis. O-Ton Gabi Lutzau: Jürgen Vietor ist jeden einzelnen Flugabschnitt unserer Entführung geflogen. Persönlich, selbst. Er hat gleichzeitig unendliche Demütigungen und Folterungen ertragen müssen. Was dieser Mann mitmachen musste, es ist ganz erstaunlich, dass er es geschafft hat, jeden einzelnen Flugabschnitt sicher zu fliegen und zu landen. Und er ist kein windschnittiger Held, nicht so der Strahlemann, wie man ihn sich vorstellt. Dieser Mann hat uns gerettet. Atmo: Funkverkehr Mogadishu Tower / Cockpit O-Ton Michaela Huber: Es gibt kaum etwas Besseres, was man unter den schrecklichsten Bedingungen tun kann, als eine Aufgabe zu haben. Dass man handeln muss, soll, darf. Sprecher: Michaela Huber, Traumatherapeutin: O-Ton Michaela Huber: Dann ist das mit das Beste, was einem passieren kann unter traumatischen Einwirkungen, weil man dann in den Alltagsfunktionen aktiv bleiben kann und man nicht in den Zustand fällt, ohnmächtig, hilflos, ausgeliefert, verzweifelt, man kann nichts mehr machen, gebe auf, sitze in der Falle. Diese Gefühle sind aber alle trotzdem da, sie sind nur verdeckt von dem, was vorne an Aktivitätsmöglichkeiten da ist. O-Ton Gabi Lutzau Ich konnte an Bord ich bleiben, da ich mich nicht von irgendwelchen Vorschriften oder Anweisungen der Terroristen habe wirklich unterjochen lassen. Ich habe subversiv gehandelt. Ich habe die Menschen trotzdem in den Arm genommen, ich habe versucht kleine Botschaften rauszuschmuggeln, ich habe den Menschen Hoffnungen gegeben. Ich habe geweint, als man mir gesagt hat, ich sollte nicht weinen. Das war mir so was von egal. Selbst die Drohung, dass ich dann erschossen würde, war mir egal. Manchmal war es mir einfach wurscht. O-Ton Wolf Dombrowsky: Durch ihre Funktion hatte sie einen ganz großen Vorteil, nämlich sie konnte sich bewegen. Sie wusste was in der Kabine los war, sie hat auch mit bekommen, wie die Kommunikation unter den Entführern war. Sprecher: Prof. Wolf Dombrowsky, Katastrophenforscher. O-Ton Wolf Dombrowsky: Sie hat in den Gesichtern gelesen, ...sie sprach nicht arabisch, aber sie kriegte Schwingungen, Töne, Blicke, das alles bekam sie mit. Deswegen war sie in gewisser Weise auf Ballhöhe. Ich glaube für Leute, die an ihren Sitz gefesselt waren, sich nicht bewegen durften, nicht aufs Klo durften, die unter all diesen Bedingungen litten, die wissen ja gar nicht wohin mit ihrer Energie, insofern konnte Gabriele auch Dinge abführen in positiven Wortsinn. Und sie konnte Optionen erdenken und bis zu einem gewissen Grade erhandeln. Von daher glaube ich, dass sie Optionen hatte, die ihrem Naturell sehr gerecht geworden sind. Musik Sprecher: Kapitel 2: Umgang mit den Terroristen O-Ton Gabi Lutzau: Ich habe mitgekriegt, dass Unterwerfung bei diesen Menschen nicht funktioniert hat. Und dann war ich wütend und je wütender ich wurde und je stärker ich mich zeigte, umso mehr haben sie mich anerkannt. Die konnten Stärke respektieren, Schwäche nicht. O-Ton Wolf Dombrowsky: Sie ist ja oft unter Vorwänden: "Das geht so nicht, und das kann man so nicht machen, ich muss jetzt zu dem Passagier, dem geht's nicht gut", oder sie hat dann einfach die Initiative ergriffen, hat Gründe genannt und hat sie so überzeugend vorgetragen, dass sie in gewisser Weise durchs Raster gerutscht ist. Es ist auch nicht wirklich erkannt worden, dass sie Widerstand leistet, sondern es ist erkannt worden, naja, so ganz nach unserer Pfeife tanzt sie nicht, aber sie tuts ja für die Passagiere, sie macht Dinge, die aus ihrer Sicht unbedingt nötig sind, das ist für die Gesamtstabilität dieser Kabine auch gar nicht schlecht. O-Ton Gabi Lutzau: Menschen verändern sich ja nicht wirklich. Ich war schon immer so, wie ich bin. Mit 23 Jahren damals an Bord der "Landshut" hab ich mich auch über bestehende Normen und über klare Anweisungen hinweg gesetzt, wenn die Menschlichkeit im Vordergrund stand. Ich fand es immer wichtiger, das zu tun, was ich für richtig hielt, als das, was in den Vorschriften stand. Und wenn in den Vorschriften steht, ergeben Sie sich dem Entführer 100%, dann nehme ich das vielleicht zur Kenntnis, aber ich nehme trotzdem die Menschen in den Arm. Und streichele sie und gebe ihnen Mut und mache, was ich machen kann. O-Ton Wolf Dombrowsky: Mein persönlicher Eindruck ist, dass Gabriele Dillmann das Herz auf dem rechten Fleck hat. Und dass sie - weiß der Liebe Gott woher - einen inneren Kompass hat über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit in dieser Welt. Und dieser Kompass hat in dieser Situation für sie ausgeschlagen und ihm ist sie gefolgt. Ich glaube nicht wirklich, dass jeder ihrer Schritte überlegt war, sondern sie hatte auch eine Portion von Hass in sich. Er ist aber nie übermächtig geworden. Sie hat diese Leute gehasst, die da so gemein und widerwärtig sind und sie hat mit klugen Mitteln, auch mit Mitteln der Frau... - all das beherrschte sie virtuos und es ist in dieser Situation grandios gelungen. O-Ton Gabi von Lutzau: Stellen Sie sich mal vor. Sie sind in einer Maschine drin und Sie wüssten genau, wenn 13 Leute freigelassen werden, sind Sie alle frei und es liegt lediglich im Ermessen von ein paar Männekes, die am großen, grünen Tisch sitzen, die frei zu lassen. Sprecher: Gabi von Lutzau vor 35 Jahren, da hieß sie noch Dillmann: O-Ton Gabi von Lutzau: Natürlich denken Sie da: mein Gott, willst leben. Die kleinen Kinder an Bord. Die Frauen. Die alten Leute. Die Männer, was verpasst man alles im Leben, wenn man jetzt stirbt. Bist 23 Jahre alt. Es war auch eine Art Abwehr in uns drin. Man musste irgendwie eine gewisse Sympathie für die Ziele von denen haben, und wenn es darin lag, wenn die ausgetauscht werden, kommen wir frei. Das musste man aufbauen, sonst hätte man das ja nicht ertragen. Atmo: Funkverkehr Mogadishu Tower / Cockpit O-Ton Gabi von Lutzau: Die haben mir auch irgendwie leidgetan, so junge Menschen - total verblendet - und ich habe gedacht, in der "Dicken" muss irgendwo ein guter Kern sein. Total fanatisch. Und da habe ich ihr den Taschenspiegel gegeben und habe gesagt, sie solle ein bisschen mehr lächeln. Das Leben wäre nicht so ernst, da war so ein Smily drauf zu sehen, wenn man es gegen das Licht gehalten hat, wurde er durchsichtig, ‚keep smiling' stand darauf, ansonsten war es ein Spiegel und den habe ich ihr gegeben, und da fing sie an zu heulen und ist weg gelaufen ins Cockpit und kam mit roten Augen wieder raus. Dass ich überhaupt eine Beziehung zu ihr aufgebaut habe, das war reine Taktik, um die Tötungsschwelle zu heben: Wenn die uns mögen, tun sie uns nichts. Und ich habe versucht, mit allen Mitteln an jeden von denen ein bisschen heranzukommen, um sie aufzuweichen in ihrer starren fanatischen Haltung. Atmo: Verhandlung Mahmud mit dem Tower in Mogadischu O-Ton Korrespondent Null Uhr...hier ist der Deutschlandfunk...Die von Terroristen in einer Lufthansa Boing entführten Geiseln sind alle glücklich befreit worden. Dies bestätigte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums soeben in Bonn. Ein Spezialkommando des Bundesgrenzschutzes hatte um null Uhr die Aktion auf dem Flughafen von Mogadischu gestartet. Musik Sprecher: Kapitel 3: Rückkehr ins Leben. O-Ton Gabi Lutzau: Das Allerbeste war eigentlich, dass ich bei der Zeitschrift STERN die Geschichte von A-Z direkt danach erzählt habe. Dann war es raus. Da war der erste Stein von der Seele runtergerollt. Das war nicht schlecht. Man denkt immer, furchtbar, die Arme ist so ausgenutzt worden, aber es hat mir auch ganz gut getan. Das nächste was half war einfach Zeit. Zeit heilt die Wunden. Und wenn dann so ein bisschen Narbengewebe drüber ist, dann kann man an die Verarbeitung gehen und die Verarbeitung für mich, die ideal war, das war Psychodrama. Ich war bei Heinrich Breloers Film als technische Beraterin und dort haben sich Filmszenen mit realen Szenen überlagert und die Szenen in meinem Kopf haben die Kanten geschliffen gekriegt. Die verändern sich nicht komplett, aber diese spitzen Kanten, diese rasiermesserscharfen Kanten an so einem Erinnerungswürfel, die werden durch eine Spielszene, die es überlagert, abgeschliffen. O-Ton Heinrich Breloer: Sie war für mich sofort eine sehr starke Figur, als ich ihr gegenüberstand. Hochattraktiv. Sehr sympathisch. Sprecher: Heinrich Breloer, Autor und Regisseur von "Todesspiel", Dokudrama von 1997 über die Landshutentführung. O-Ton Heinrich Breloer: Auch das Lebendige in ihr, das steckt einen einfach sofort an. Die kriegt man so schnell nicht klein, das war mir klar, sofort, und in den ersten Erzählungen war mir schon deutlich, sie war keine kleine Stewardess nach Schablone. O-Ton Susanne Schäfer: Es ist sozusagen eine "Opferrolle", aber natürlich, eine Rolle die aus dem Opfer heraus wächst. Sprecher: Susanne Schäfer, Schauspielerin. Im Dokudrama "Todesspiel" in der Rolle der Stewardess Gabi. O-Ton Susanne Schäfer: Ich hab mich - ich interessiere mich auch sehr für Psychologie - gefragt, woher kommt das. Ich glaub, das hat man. Ich glaube, das kann man nicht lernen. Wir fragen uns alle immer wieder, wie wären wir gewesen, was hätten wir gemacht, wie hätte ich, Susanne Schäfer, reagiert in diesem Flugzeug. O-Ton Heinrich Breloer: Sie hat dieselbe Kraft gehabt, wie bei der Entführung selber, was in ihr geschehen ist dabei, das sagte sie nur manchmal: Das ist für mich ganz wichtig. Wenn ich sie fragte, kannst Du das gut aushalten hier, wir machen Dir das ja alles nochmal vor? Nein, nein, das ist gut! Aber hat mich ganz in Ruhe gelassen wie den Flugkapitän, den sie auch nicht mit ihrer Angst oder die Passagiere mit ihrer Angst, die sie ja auch hatte, überwältigt oder überwölbt hat, sondern sie hat dort gestanden und nicht gezittert! O-Ton Susanne Schäfer: Wenn ich nachdenke, was die Gabi damals für Ängste gehabt haben könnte, die wieder hochkommen, hab ich das Gefühl, sie hat das verborgen und ich würde sagen, das war eine verborgene Hölle, so würde ich das sehen. Ich hab das so empfunden, dass sie das nicht wieder hochholen will, und dass sie es abgeschlossen hat, aber nicht im Sinne von verarbeitet. Weil das war ganz klar, das kann man nicht verarbeiten. Sie war sehr abgegrenzt. Sie hat oft gesagt, ja das kann man sich nicht vorstellen. Das war auch eine Grenze, dass sie gesagt hat, das ist unvorstellbar. Was auch noch hinzukommt, dass wir nächtelang geredet haben im Hotel, mit dem Heinrich Breloer, mit der Gabi, mit denen, die die Terroristen gespielt haben, weil wir es uns nicht vorstellen konnten. O-Ton Heinrich Breloer: Nach außen kann Gabi eine sehr klare Figur bieten, selbstsicher. Aber sie ist natürlich verletzbar. Sie ist verletzt worden und die ganze Kunst, die ganze Arbeit, sind alles neue Häute, die ihr gewachsen sind, die sie um sich legt. Es sind ja Schutzfiguren, Wächterfiguren hat sie mir damals gesagt. Ich mache mir jetzt Wächter, die mich beschützen, so standen sie da in der Wohnung und das konnte man gut sehen! Dass sie sich die Wächter selber macht, so wie jemand durch die Bearbeitung der Vergangenheit, dass man sie nicht verdrängt, sondern hoch holt, noch einmal die Geschichte anschaut, zurück geht in die Geschichte und das, was in der Psychoanalyse als goldener Weg manchmal möglich ist, dass man mit einem Helfer den Mut hat, sich aufzuknöpfen und an die Stelle zu gehen, wo alles falsch geknöpft ist und sich noch mal ändern kann. Das hat sie selbst gemacht mit ihrer Arbeit und eben mit diesem Film, wo sie in die Geschichte reingegangen ist, was ja ein ganz seltener Fall ist, dass ihnen jemand das Trauma aufbaut mit all den Figuren drum rum und du bist noch einmal drin. Man muss vorsichtig sein. Erinnerung kann auch tödlich sein, man muss wissen, wohin man jemanden führen darf. Was würde Gabi machen, wie weit würde sie zurückgehen. O-Ton Gabi von Lutzau: Der Heinrich Breloer machte eine Szene, bei der der Schauspieler, der den Mahmud spielte, eine Passagierin bedrohte. Ich versteckte mich direkt hinter einer Dreierreihe und guckte zu, so 2 Meter davon entfernt. Und dann brüllte der Schauspieler: "Down on your knees or I kill you!" Und da hab ich mich erst mal hinter diesem Sitz versteckt. Und dann sagte der Heinrich: "Cut! So geht das nicht. Also Birol, du musst die Waffe ein bisschen höher halten, sonst kommt die nicht ins Bild." Okay. Achtung, nochmal Aufnahme. "Down on your knees or I kill you!" "Nein, Cut!", sagt er. Da hab ich dann schon ein bisschen weiter hoch geguckt und mich gefragt, wie machen die das jetzt? Und dann sagt er: "Pass auf, die Waffe ist nicht wirklich im Bild...aber sonst ist es okay." Gut 3. Take, cut, "Down on your knees or I kill you!" ...Da hab ich dann schon ganz mutig über diese Rückenlehne hinweg geguckt und gedacht, der könnte die Waffe tatsächlich ein bisschen höher halten. Und dann hab ich überhaupt keine Angst mehr gehabt. Das ist eine Art Desensibilisierung. Also wenn man sich seinen Ängsten stellt, hören die irgendwann auf Ängste zu sein. O-Ton Heinrich Breloer: Wenn sie in die Tonspur gehen, hören Sie, wie er rumbrüllt und stellen Sie sich Gabi vor wie sie nochmal im selben Englisch, denn es waren ja ihre Erinnerungen, die wir spielten. Sie hatte mir gesagt: "I shot you down" und Ohrfeigen verteilte er an junge Mädchen, die vor ihm knieten, das ist ein solches Zeichen... ..you are a yewisch girl und dann klatsch, Ohrfeigen. oder, das alles erlebte sie noch einmal in diesem ganzen Flug mit. Soweit wie möglich sogar chronologisch. Bis hin zu den letzten Reden, wenn sie Helmut Schmidt ansprach, und die Anklagen formulierte. Das war ja auch von ihr und das hat glaube ich viel Kraft gekostet. Aber dieser Weg war möglicherweise auch etwas Befreiendes für sie. O-Ton Gabi Lutzau: In diesem Film aktiv als Berater mitgewirkt zu haben, war für mich wirklich eine Art Therapie. Ich habe mich dem Feind wieder mal gestellt, und habe den Feind nieder gerungen und das ist eine Lebens- und Überlebensstrategie von mir. Immer. Es war für mich eine sehr positive Erfahrung in meinem Leben. O-Ton Susanne Schäfer: Gabi hat unheimlich viel erzählt in den Nächten im Hotel nach dem Dreh. Da kamen wir dann auf Situationen, wo alle Schauspieler, Regisseur, wir saßen alle gebannt nachts und haben zugehört. Der Breloer mit seinem Wissen und Gabi mit ihrem Erleben. Sie war sehr zurückhaltend, auch, und für sich. O-Ton Gabi Lutzau: Als der Film Todesspiel der Presse vorgeführt wurde, hatte ich mir einen Platz ziemlich am Ausgang reserviert, damit ich, wenn's mir zu viel wird, wieder rausgehen kann, musste ich aber nicht, konnte ich gut durchstehen, bin dann vor aufs Podium gebeten worden von Heinrich Breloer, saß dann neben ihm und die Journalisten, man hörte, die schnäuzten sich, schnieften, es ist ihnen wirklich ans Herz gegangen und irgend einer fragte, wie ich es geschafft habe, diesen Film so anzuschauen, ohne Nervenzusammenbruch, ohne in Tränen auszubrechen. Dann habe ich gesagt: das waren jetzt 5%. Der restliche Film ist in meinem Kopf. Und das ist wahr. Sprecher: Kapitel 4: Familiengeheimnis O-Ton Jörn von Lutzau: Bei uns in der Familie wird nicht über das Thema Mogadischu gesprochen. Ich würde es als blinden Fleck bezeichnen und nicht als wunden Punkt. Sprecher: Jörn von Lutzau, Sohn und Filmemacher. O-Ton Jörn von Lutzau: Als dann der Heinrich Breloer-Film rauskam, war das das erste Mal auch bildlich für mich greifbar. Und konnte ich dann auch sehen was passiert ist. Vorher waren es Erzählungen. Mein Vater fing immer an zu weinen, wenn es darum ging, weil er sehr nah am Wasser gebaut ist, und so einen richtigen Zeitpunkt weiß ich gar nicht. O-Ton Gabi von Lutzau: Mein Mann ist ein sehr sensibler Mann und ich wollte ihm eigentlich nicht wehtun, indem ich ihm schreckliche Dinge erzähle. Es ist doch schlimm genug, wenn s auf meiner Seele lastet. Muss ich das auch noch auf seine legen? Und bei meinen Kindern, die wollte ich sowieso davor schützen, aber ich möchte sie nicht belasten, meine seelischen Nöte auf meine Kinder abladen. Es reicht gerade, wenn ich damit zu tun hab. O-Ton Jörn von Lutzau: Bei meinem Vater sieht man, dass es ihn immer noch mitnimmt. Bei meiner Mutter sieht man es nicht. Da merkt man es nur. Man spürt es. Es ist so als würde die Luft zittern. Sie würde das auch nie zugeben, wenn man sie fragt, aber es ist ein Hebelpunkt. Das ist ein Haarriss, wenn man da oft genug drauf schlägt, dann fängt es wieder an zu bluten, oder zerbricht. O-Ton Gabi von Lutzau: Irgendwann bekam ich mit, da kam meine Tochter nach Hause, umarmt mich und küsst mich, ich denke, was ist denn jetzt los, und ich bekomme dann irgendwann mal mit, die hatten sich heimlich den Film ausgeliehen und sie hat ihn mit Freundinnen zusammen geschaut. O-Ton Jörn von Lutzau: Ich hatte einen Kloß im Hals auf jeden Fall. Ich hab sehr schlucken müssen und hab auch nicht wirklich gewusst, wie ich damit umgehen soll, soll ich sie drauf ansprechen, soll ich es lieber lassen. Ich glaube, meine Mutter beschäftigt das immer noch, das kann man glaube ich nie ablegen, aber sie hat Ihren Schutzschild hochgezogen, sie hat ihre Mauer gebaut, ihre emotionale. Das musste sie auch. Ich weiß bis heute nicht, wie ich damit umgehen soll, ehrlich gesagt. O-Ton Gabi von Lutzau: Das ist auch was, was ganz viel Holocaustüberlebende gemacht haben, die haben nicht darüber mit ihren Kindern geredet. Warum sollten sie ihre Kinder damit belasten. Manchmal ist es besser, so ein Familiengeheimnis zu behalten, als es gleichmäßig auf alle zu verteilen. Es reicht doch, wenn einer Schmerz, ein blutendes Herz hat. Müssen die anderen das auch noch haben? Sprecher: Kapitel 5: Vor Gericht. O-Ton Gabi Lutzau: Die überlebende Terroristin ist ja entkommen, ist davon gekommen, war verletzt, und ist illegal in Norwegen eingewandert. Und niemand wusste, wo sie war, und ein deutscher Staatsanwalt hat ihre Spur aufgenommen, hat sie gefunden in Norwegen und hat ihre Auslieferung verlangt und damit hatte sie gar nicht mehr gerechnet. Und dann stand sie auf einmal in Deutschland vor Gericht. Und wir als Opfer mussten natürlich aussagen gegen sie. Da kommt alles wieder hoch. Das ist wirklich ein schwerer Gang. O-Ton Heinrich Breloer: Die hat damals glaube ich viel Macht ausgestrahlt. Viel Gewalt, es war nicht nur der Mahmud, Andrawes auch. Und Gabi hat ja viel mit ihr zu tun gehabt und war von ihr bedroht, ich glaube wenn über Tage jemand vor dir steht mit einer Handgranate in der Hand oder hinter ihr der Mahmud mit der Pistole, der auch zeigt, dass er plötzlich einen Kapitän, der kniet, nieder schießt, und den hinten in den Kleiderschrank steckt und mit dem rumfliegt, mit der Leiche, und auch alten Leuten ins Gesicht schlägt oder jungen Mädchen ins Gesicht schlägt und sie demütigt und andauernd wieder Horrorankündigungen macht, oder Vietor zusammenbrüllt im Cockpit und, und, und - dass man das nie wieder vergisst, das ist ein Einbruch in die Seele, der sich wiederholen könnte, wenn man ihr in die Augen guckt. O-Ton Gabi Lutzau: Frau Andrawes hat sich durch besondere Dinge ausgezeichnet, z. B. dass sie mich und ein dreijähriges Kind als erste erschießen wollte aus "Freundlichkeit", damit wir nicht verbrennen müssen. Das sind Dinge, die verzeihe ich nicht. O-Ton Heinrich Breloer: Man muss sehr viel Kraft haben, um dagegen anzugehen und trotzdem in diesem Moment sie zu besiegen im Gerichtssaal. Jetzt hatte sie keine Handgranaten, sondern sie hatte nur einen Sack voll Tränen mitgebracht und da war Gabi stark, das zu machen. Viele zittern und können nicht aussagen. Aber sie war da. Sie wollte dort sein und das war stark. O-Ton Gabi Lutzau: Dieser Anwalt von Frau Andrawes war vorher auf dem Gerichtsflur als wir uns trafen ausgesprochen nett und entschuldigte sich bei mir für alles, was er demnächst machen würde. Und ich habe gedacht- so ein netter Mann, was wird er denn machen. Dann sagte er allen Ernstes, Frau von Lutzau, "Sie haben doch damals an Bord meiner Mandantin vorgespielt, ihre Freundin zu sein, haben Sie damit nicht aus ihrem Herzen eine Mördergrube gemacht?" Da gabs Tumult im Saal und ich habe gefragt, ob ich darauf überhaupt antworten muss und dann sagt der Vorsitzende, doch Sie müssen darauf antworten, dann hab ich gesagt, wenn Sie mir hier vorwerfen, dass ich nett zu einer Terroristin war, um Menschenleben zu retten, dann nehme ich diesen Vorwurf gerne und verwahre ihn in der Mördergrube meines Herzens. O-Ton Wolf Dombrowsky: Das Wiedertreffen eines Täters ist ja aus der Viktymologie ein sehr gut untersuchter und bekannter Vorgang, und es kommt sehr darauf an, wie sich der ehemalige Täter gibt. Ob er "glaubhaft" signalisiert, dass er sein Handeln als falsch, moralisch verwerflich, unrechtmäßig einsieht, dass er sich entschuldigen will, dass er wenn es geht, Wiedergutmachung leisten möchte, dann können sich die Opfer durchaus auch in eine Rolle begeben, wo sie dem in die Augen gucken können. O-Ton Gabi Lutzau: Sie saß mir gegenüber und versuchte immer mit mir Blickkontakt aufzunehmen, ich habe sie nicht ein einziges Mal angeschaut. Diese Frau existiert für mich nicht mehr. Ich blende sie komplett aus. Diese Frau ist für mich tot. O-Ton Heinrich Breloer: Was ich an Gabi beobachtet hab war, dass sie sich zusammen genommen hat, sie nicht ansehen wollte, vor allem weil die log ja auch vor Gericht, außer Gabi war ja keiner dabei, Vietor war noch da, aber sie hat den Moment, als sie aussagen konnte, dazu benutzt vor dem Richter die Wahrheit zu sagen und zu sagen, wie diese Frau gewesen war, das war glaube ich wieder gut, dass sie ihr das ins Gesicht sagen konnte, auf diese Weise ist sie auch noch mal im Flugzeug gewesen und jetzt war keine Handgranate, sondern da saß ein ganz "unschuldiges" Mädchen, die gar nicht wusste, wie sie da rein gekommen war und Gabi sagte ihr, wie sie gewesen war. Das war für sie wichtig. Und das wollte sie sagen, auch vor den Journalisten, ich habe ja mit vielen Journalisten in einem Zuschauerraum gesessen, es ist wie in einem Theaterstück sitzt man da auf Bänken und guckt runter in die Arena und Gericht und Film haben ja viel mit einander zu tun. Da ist ein ganzes Leben für einen Moment im Mittelpunkt einer Untersuchung und alles wird nochmal gefragt, wie es war. Da spielt sich das ja auch vor Gericht noch einmal ab, das sind ja große Lebensszenen. Und da ist sie auch noch mal in diese Arena gegangen, und das hat ihr gut getan. Musik Sprecher: Kapitel 6: Kunst mit Feuer und Kettensäge O-Ton Gabi von Lutzau: Ich bin ein barocker Mensch. Ich kann dreidimensional denken. Das können nicht so viele Menschen. Ich kann das aber. Meine Gedanken werden dreidimensional. Ich denke in der dritten Dimension zu Ende und ich denke mit der Kettensäge und mit Feuer. Ich höre in mich rein und mache dann genau das, was ich empfinde, und das denke ich dann mit der Säge, ins Holz hinein, und heraus kommt dann z. B. eine Gruppe von Vögeln. O-Ton Heinrich Breloer: Ich weiß noch, als ich kam in diesen schönen Ort, wo sie da wohnt, in der Nähe von Amorbach, da war sie im Garten an einem Baum mit einer Kettensäge tätig und das hat mich total überrascht, dass diese Frau, die ja nicht groß ist, mit so einem Riesending hantierte und aus Baumstämmen anfing Plastiken heraus zu schälen, von denen auch einige schon in der Wohnung standen: Vögel, Flügel und sie sagte: Wächterfiguren. Und da dachte ich mir sofort, sie ist dabei, sich mit dieser Geschichte auseinander zu setzen. O-Ton Gabi von Lutzau: Ich fing an mit den Wächtern, aus den Wächtern entwickelte sich die Ikarus-Gruppe, als wäre man zu hoch geflogen und als wäre ein Flügel abgefallen, oder ein Flügelmantel z. B., den man sich anzieht und davonfliegt, solche Sachen. Dann entwickelte ich das weiter, dass es wie bei den Cherubim und Seraphim eigentlich Präsenzen waren, die man nur spüren kann, nicht wirklich sehen kann, die nur aus einem Flattern in der Luft und in der Seele und im Herzen eigentlich bestehen. Ich habe eine Werkgruppe in meiner Kunst, die heißt Lebenszeichen, das sind z.B. Seelenvögel, die ich jetzt ja auch für Ötöja mache. Die mache ich immer aus ganzen Büschen. Also eine komplette Thuja mit Wurzel bearbeite ich und die Wurzel wird immer der Körper. Dann steht der Rest der Skulptur auf ganz dünnen schwankenden Beinen, so wie das Leben selbst sehr verletzlich ist und auch umfallen kann, wenn man diese Skulptur nicht wirklich im Boden verankert und man stumpt dagegen, fällt sie auch um. Das ist so eine verletzliche Kunst, die ich mache. O-Ton Heinrich Breloer: Es erinnert einen, all das was man sieht, an das innere Geschehen einer solchen Entführung, an die Traumatisierung. Etwas Lebendiges, ein Baum wird bearbeitet von ihr mit Gewalt, aber es entsteht ein schöner Flügel am Ende, der wird dann mit einem Brenner schwarz gemacht an einigen Stellen, so dass man sieht, er ist gebrannt, der war im Feuer, aber dennoch ist es ein Zeichen des Lebens. Ein Flügel, einige Figuren erheben die Flügel, könnten davon fliegen, Vögel die aus diesem Überfall von einer Kettensäge und dem Feuer entstanden sind, können Botschaften bringen des Lebens. O-Ton Gabi Lutzau: Es gibt immer so Kernsätze in einem Leben und einer meiner Kernsätze ist: Das Leben ist kein langer ruhiger Fluss. Das ist einfach so. Mein Leben ist wild, spannend, mit Untiefen, mit Steinen, aber keinesfalls langweilig. O-Ton Heinrich Breloer: Sie konnte all die Anlagen, die sie ja in sich hatte, entwickeln. Dieser Schubs aus dem normalen Leben raus, dass sie hinein gestolpert ist in ein ganz anderes Leben, hat sie dazu gebracht, all diese Fähigkeiten zu entwickeln. Und nicht nur intelligent mit dem nächsten Kapitän auf einem Flug zu sprechen über Politik, sondern an die Politiker zu geraten, an die Figuren der Zeitgeschichte und von denen jetzt aus erster Hand zu lernen und im Gespräch zu sein und in dieser anderen Welt auch zu leben und dann sich zu entschließen, eine Künstlerin zu werden. Aber nicht jemand der Batik macht oder strickt und auch malt, sondern der etwas sehr Originelles gelingt, was, was mit ihrem Leben unbedingt zu tun hat, was andere auch erkennen. Es ist was Existentielles. Es ist nicht nur Verzierung des Lebens. Und manchmal ist es so im Leben, wenn man sich Künstlerbiografien anschaut, dass ein großer Schmerz, ein großes Trauma in der Jugend die Menschen auf den Weg gebracht hat, weil sie nicht wieder zurück gefunden haben in ein normales Leben, und um diesen Schmerz legen sich dann Schutzschichten. Und die können am Ende aussehen wie eine Perle. O-Ton Gabi von Lutzau: Ich war zu einem Symposion eingeladen in Weiden bei Weimar und, weil ich so alleine war fragte ich: "Was haben sie denn hier so an Attraktionen, was kann man denn hier mal so machen abends?" ... Dann sagte er: "Die einzige Attraktion, die wir hier haben ist das KZ Buchenwald. Wenn der Berg nicht da wäre, Sie könnten direkt hingucken." Und dann habe ich tief durchgeatmet und geschluckt und von diesem Augenblick saß dieses Drecks-KZ auf meinen Schultern. Man kann es an meinen Skulpturen sehen, die ich in dieser Zeit gemacht habe, wie mich das belastet hat und als ich dann fertig war mit dem Symposium bin ich mit meinem Mann zusammen nach Buchenwald und wir haben diese Tour gemacht durch Buchenwald und das hat mich wirklich schwer erschüttert, auch dieses dass eigentlich nur paar Baracken, wo ein paar Kommunisten umgebracht worden sind, stehen gelassen worden sind, der Rest, wo andere z. B. Juden umgebracht worden sind, - völlig irrelevant, ist alles weggemacht worden. Man sieht nur noch die Vierecke. Ich bin dann rausgefahren und war eigentlich traurig und wütend. Und hab gedacht, es ist gelaufen, man kann nichts mehr ändern. Und dann fuhren wir durch Buchenwälder, Buchenwälder, Buchenwälder, es heißt Buchenwald, weil es mitten in einem Buchenwaldgebiet ist, und auf einmal kamen wir an eine kleine Lichtung und in dieser Lichtung hatte der Blitz in einen Baum eingeschlagen und der war in der Mitte gespalten und bog sich rechts und links auseinander und die Krone endete wieder auf dem Boden und das war wie ein riesiger Terydaktylos, der gelandet ist, ein Flugsaurier, die haben diese riesen Spannweiten. In dem Augenblick wusste ich, ich werde einen Flügel machen, ich möchte einen Baum haben, der alles gesehen hat. Und genau das hab ich bekommen. Es hat drei Jahre gedauert bis das Projekt fertig war. Denn für mich stirbt kein Baum, ich wollte einen Baum, der sowieso gefällt werden muss, weil einfach seine Zeit gekommen ist, weil er sowieso weg musste, und einen Baum, der alles gesehen hat. Als nächstes hab ich versucht, einen guten Platz dafür zu finden. Und ich wollte eigentlich erst damit anfangen, wenn rein theoretisch ein Holocaustmuseum bereit ist, es aufzunehmen. Ich bin wirklich an das Heiligtum gegangen, das Nationalheiligtum der Juden ist Yad Vashem. O-Ton Heinrich Breloer: Also dass sie eine Figur, die sie in diesem Zusammenhang gemacht hat, nach Israel gibt, und dass sie dort angenommen wird, das ist wahr und richtig. Denn die Geschichte ist ja die, dass die Palästinenser Flugzeuge entführen, um gegen Israel zu kämpfen, und im Flugzeug wurden ja die jüdischen Menschen aussortiert, sollten als erste sterben, es war ja auch ein solcher Angriff, und die RAF hat nicht umsonst ihre palästinafreundlichen und leicht antisemitischen Haltung, die es ja da gab, nicht umsonst eine Flugzeugentführung bekommen von der PLO sozusagen Unterorganisation. Was sollen wir für euch machen, um euch da rauszuholen und dass Gabi das im Flugzeug überlebt hat und überstanden hat und auch diesen Mahmud überstanden hat, der ja ein Antisemit erster Ordnung war, und das auch gesagt hat, bei all dem, was wir wissen, dass Israel auch alles tun muss, um zu einem Ausgleich zu kommen, dass diese Siedlungspolitik zu viel ist, das sagen wir ja auch alles auch als Freunde, unsere Politiker sagen das ja, war das doch hier etwas, wo sie sich ein Recht erworben hat, eine solche Figur dort aufzustellen. Und das war nicht aufdringlich. Das gehört dahin. Das hab ich ihr gegönnt. Musik O-Ton Gabi von Lutzau: "Das passiert nicht jeden Tag", hat Frau Schender bei ihrer Rede gesagt in Yad Vashem bei ihrer Übergabe "schließlich und endlich, dass eine deutsche Künstlerin in die Kunstsammlung von Yad Vashem aufgenommen wird." Die Sprache des Todes in Yad Vashem ist deutsch. Das muss man sich klar machen. Es ist ein Ort der finstersten deutschen Geschichte. Es ist wie eine Glocke über 12 Jahre und über die schlimmsten Dinge, die dort passiert sind. Und dort einen Flügelschlag der Versöhnung hingebracht zu haben, habe ich für mich persönlich das Gefühl, dass ich etwas Gutes getan habe. Absage: Fünf Tage im Oktober oder Die Kunst zu überleben Die zwei Leben der Landshut-Stewardess Gabi von Lutzau Ein Feature von Rosvita Krausz Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2012. Es sprachen: Anja Lais und Gregor Höppner Ton und Technik: Hendrik Manook und Jutta Stein Regie: Axel Scheibchen Redaktion: Hermann Theißen ------------------------------------------------------------------------------------------------ Im O-Ton wirkten mit: Gabi von Lutzau Ex-Stewardess und Bildhauerin, Geisel Jürgen Vietor Pilot und Geisel Wolf Dombrowsky Katastrophenforscher Heinrich Breloer Regisseur und Autor des Films "Todesspiel" Susanne Schäfer Schauspielerin, spielte die Stewardess Gabi Cäcilie Meijer-Werner Unternehmerin und Geisel Jörn von Lutzau Filmemacher und Sohn von Gabi von Lutzau Michaela Huber Traumatherapeutin 22