COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 17. März 2008, 19.30 Uhr Populisten sind immer die anderen Über eine Droge der Politik von Thomas Klug TV-Ausschnitt: Stelter: Nokia-Protestsong Autor: Der Saal tobt. Es ist Karneval. Auf der Bühne singt Soft-Kabarettist Bernd Stelter einen Protestsong. Das Publikum klatscht, die ersten springen von ihren Stühlen auf. Ob ein wirklich Betroffener dabei ist? Die Fernsehkamera zoomt auf einen der Narren: weißes Hemd, roter Schal, die wenigen Haare auf dem Kopf sind grau. Er hat die Arme hoch gestreckt. Jeder soll sehen, wie eifrig er klatscht. Protestieren, boykottieren. Keine Nokia - Handys kaufen. Der Narr mit dem roten Schal weiß genau, dass jede seiner Gesten von den Fernsehkameras eingefangen wird.. Der Narr mit dem roten Schal weiß, dass es gut kommt, jetzt mal sich gegen die von Nokia zu äußern - hier, wo die Stimmung so gut ist. Der Narr mit dem roten Schal heißt Jürgen Rüttgers und ist Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Es ist populär, zum Boykott von Nokia aufzurufen. Es ist populär, seit der finnische Handy-Hersteller, der nordrhein-westfälischen Steuermillionen eingesteckt hatte, sein Werk in Bochum schließt und nach Rumänien weiter wandert. Es ist populär zum Nokia-Boykott aufzurufen. Und - es ist populistisch. Sp. vom Dienst: Populisten sind immer die Anderen TV-Ausschnitt: Stelter Nokia-Protestsong Sp. vom Dienst: Über eine Droge in der Politik TV-Ausschnitt: Stelter Nokia-Protestsong Sp. vom Dienst: Ein Feature von Thomas Klug Collage: Zusammenschnitt verschiedener Reden: Schröder, Kohl, Merkel, Koch, Lafontaine, Westerwelle (sehr kurze Schnipsel - die unverständlich bleiben sollen) Regie: Collage ca 20 sec freistehend, dann im Hintergrund Autor: Es fliegt etwas durch die Republik. Es fängt mal leise an, versteckt in einem Nebensatz, getarnt hinter einem Lächeln. Oder es kommt laut polternd daher, aufbrausend, rechthaberisch, im Tonfall ewiger Wahrheiten. Es ist Populismus. Aber egal, ob laut, ob leise, ob pointiert oder dröge, ob wiedergekäut oder als origineller Gedanke: Es wird gequasselt. Und nicht alles wird so gemeint, wie gesagt. Aber es könnte Wählerstimmen bringen. Sagen kann man vieles. Und dummerweise sagen Viele vieles. Also geht es darum, aufzufallen, gehört zu werden, präsent zu sein - und um die Gunst der Wähler zu buhlen. Es redet allenthalben. Keine Sicherheit, nirgends. Nicht am Morgen, wenn das Radio die redende Klasse interviewt, nicht am Abend, wenn die Fernsehnachrichten Politikerstatements in kurzen Häppchen servieren und nicht einmal zu später Stunde, wenn sich die professionellen Redenschwinger im Halbrund unter Fernseh- Scheinwerfern versammeln und zum Besten geben, was sie schon immer mal sagen wollten - und was sie auch immer wieder sagen. Beim vielen reden allerdings kann es schon mal passieren, das der eine oder andere Amok redet. CD: Künecke: Ich bin ein Talk-Show-Star 0'30 - 0'46 Take Dass er seinen Lebensgefährten Roger Kusch zum Justizsenator gemacht hat, dass es dort im Bereich der Wohnung zu gewissen Dingen kommt, die auf Liebesakte schließen lassen. Ich weiß von Herrn von Beust, dass er homosexuell ist ich weiß auch von Herrn Kusch selbst, dass er homosexuell ist, weil sie es mir erzählt haben. CD: Künecke: Ich bin ein Talk-Show-Star 0'46 - 1'02 Take Der Staat ist verpflichtet seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen, er ist verpflichtet zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen. Das kann nicht in einer sozialen Demokratie zum Alltag werden. CD Künecke 1'04 - 1'11 CD (im Hintergrund: Einstürzende Neubauten: Seele brennt) Take Ja, von den Delikten mit Gewalt ist die Hälfte aller Täter unter 21, die Hälfte aller jugendlichen Straftäter hat einen Migrationshintergrund, das muss uns noch mehr zu denken geben. Deshalb gibt es auch bei den ausländischen Mitbürgern den Punkt, wo wir sagen, die müssen nicht alle hier bleiben. CD Seele brennt Autor: Der Populist ist laut. Das muss er sein, er will ja gehört werden. Der Populist braucht ein Feindbild. Denn mit Feindbildern lässt sich so schön die Welt erklären. Der Populist denkt einfach, denn mit einem "einerseits - andererseits" kann man schlecht auf den Marktplätzen der Politikvermittlung hausieren gehen. Politikvermittlung nennt man heute, was der Volksmund einfach "große Reden schwingen" nennt. Einfache Thesen und einfache Lösungen bringen den schnellen Applaus. So denkt der Populist wahrscheinlich. Genaues weiß man nicht, denn kein Populist gibt zu, ein solcher zu sein. Wir lernen: Effekt: Sprecher 1 (leicht ironisch): Populisten sind immer die anderen. CD Seele brennt Take Das, was Rüttgers gemacht hat ist reiner Populismus. CD Seele brennt Take Die sind populistisch ohne Ende, aber im Ergebnis kommt für die, die sie vertreten wollen, nichts herum. CD Seele brennt Autor: Die politische Konkurrenz ist immer populistisch, so scheint es. Nicht nur zu Wahlkampfzeiten. Prof. Everhard Holtmann von der Martin-Luther-Universität Halle an der Saale: Take Es ist wohl so, dass innerhalb der politischen Repräsentanten selbst der Vorwurf des Populismus wechselseitig instrumentalisiert wird und zwar aus der nicht ganz abwegigen Überlegung heraus: Populismus gilt gemeinhin als eine Sammelbezeichnung für eine der Sache nicht angemessene Argumentation für einen Verlust an Rationalität, für den Verzicht auf differenzierte Problemsichten und für das Kokettieren mit einer Volksseele, die nicht unbedingt immer auch bestimmte verfassungsrechtliche Grundsätze sich zu eigen macht. Das ist, wenn man so will, gewissermaßen schon eine zweite Ebene des Populismus, indem man den Populismus selbst im Meinungsstreit instrumentalisiert. Autor: Was also ist es, was sich die politische Elite gegenseitig an den Kopf wirft? Professor Frank Decker, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn. Take Populismus ist Politik gegen das Establishment, gegen die herrschenden Eliten, was immer man darunter versteht, und für das einfache Volk. Autor: Wenn sich also die Elite gegenseitig Populismus vorwirft, ist das wie mit den Hasen. Sagt einer zum anderen: Hast du aber lange Ohren. Es ist also irgendwie absurd. Oder doch nicht? Take Weil die "Praline" damals, ich meine sie ist mittlerweile eingestellt, ich weiß es gar nicht genau, aber weil die "Praline" damals versucht hat, einen Imagewechsel durchzuführen, das war, was ich auch nicht wusste, ganz früher mal eine Familienzeitung, bis es eine leichtere "Sexpostille" wurde meistens geschrieben, daraus geworden ist. Und die haben versucht, diesen Imagewechsel durch einen vom redaktionellen Teil separat getrennten Beratungsteil abzugrenzen und da war neben der Arbeitslosenberatung auch eine Steuerberatung drin, eine Lebensberatung und verschiedene Service-Tipps oder wie pflege ich meinen Garten oder ähnliches. Autor: Dirk Niebel hat keine Berührungsängste. Seine Wähler vermutet er überall. 2004, da war Dirk Niebel noch arbeitsmarktpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion schrieb er eine Kolumne in eben jener "Praline". Sprecherin: Jana (22): "Nichts macht so geil wie wertvoller Schmuck!" Autor: Das Boulevardblättchen setzt weniger auf spannende Themen, sondern auf Fotos, die sich mehr mit der menschlichen, besonders der weiblichen Anatomie beschäftigen. Sprecherin: "Beim Sex steh ich auf Machtspielchen!" Jana ist in einfachen Verhältnissen groß geworden und will nie wieder frieren und hungern. Vermögen und Wärme wiegt sie mit Treue und Leidenschaft auf. Autor: Niebels Kolumne stand unter dem Motto: Sprecher: Mit Niebel und der Praline gegen Arbeitslosigkeit. Autor: Ob die 22jährige Jana vielleicht wieder friert oder ihrem Traum von wertvollem Schmuck näher gekommen ist, war leider nicht zu erfahren. Take Ich habe mir einfach gesagt, es ist eine rechtliche Änderung eingetreten, die einen Großteil der Menschen mit betreffen kann und ahnte, das der potenzielle Leserkreis der "Praline" vielleicht ein Personenkreis darstellt, der vielleicht nicht so intensiv Tagesthemen und heute-journal sich anguckt und deswegen vielleicht auf anderem Wege die Informationen braucht, die für seine Lebenswirklichkeit wichtig sind. Autor: Dirk Niebel, inzwischen FDP-Generalsekretär, empfängt in seinem Abgeordnetenbüro und rückt die Bedeutung seiner Partei zurecht. Es ist keine kleine Partei, sondern eine mittelgroße. Und der Populismus, der habe in der Parteienlandschaft zugenommen. Take Populismus - davor ist niemand gefeit, außer natürlich die Freien Demokraten. Aber jetzt ernsthaft: Es ist immer notwendig, wenn man eine Idee hat, die auch so zu intonieren, das sie wahrgenommen wird. Und wenn unsereins, der Politik macht oder Ihrereins, der Politik begleitet, ein Thema nicht mehr hören kann, weil es ihm zu den Ohren raus kommt, dann hat es die Masse der Bürgerinnen und Bürger noch nie gehört oder vielleicht gerade das erste Mal. Auf der anderen Seite hat nach meinem Dafürhalten zugenommen die Politikgestaltung nach Umfragen. Das ist das, was wir, wie ich finde zu Recht der Union vorgeworfen haben beim Thema Mindestlöhne, es ist schlichtweg so, dass Mindestlöhne maximaler Unsinn sind, denn wenn sie zu niedrig sind, wirken sie nicht und wenn sie zu hoch sind, dann wird der Arbeitsplatz legal nicht mehr angeboten. Weil aber die Union Angst hat, dass man in der veröffentlichten Diskussion verloren geht, springt man auf einen Zug auf, von dem man zutiefst innerlich davon überzeugt ist, dass er eigentlich nicht richtig ist. Deswegen ist Populismus bei jeder Partei ein Gefährdungspotential und muss auch benannt werden, wenn es offenkundig wird. Autor: Dirk Niebel scheint umzingelt von Populisten. Mal sieht er sie in der Unionsfraktion, mal in der SPD. Take Ludwig Stiegler, ein bemerkenswerter Mensch mit rotem Pullover, der für Populismus völlig unangreifbar ist. Er ist diesem Thema so derartig fern, ferner kann man ihm kaum nicht sein. Das ist Ironie, ausdrücklich als solche gekennzeichnet. Autor: Und in der Linkspartei sieht Dirk Niebel sowieso Populismus. Take Ich halte die Partei der Linken für weit überwiegend populistisch. Ich mache das daran fest, dass sie versucht die Gesellschaft zu spalten, um ein neues Gesellschaftssystem zu implementieren, dass sie, herausgelöst aus dem Gesamtbild der Bundesrepublik Deutschland einzelne Themen herauslöst, die dann alleine gestellt und so hoch gezogen werden, dann man das gesamte Drumherum vergisst. Autor: Wir lernen: Effekt: Sprecher 1: Populismus ist einfach überall. Effekt - dramatisch Autor Ein Gespenst geht um in Europa. Das Gespenst des Populismus. Populismus allenthalben. Außer vor der eigenen Haustür. Woran aber erkennt man ihn, wie sieht er aus - dieser Populismus? Der Politikwissenschaftler Frank Decker: Take Populistisch kann eine Bezeichnung sein für ganze Parteien, man spricht ja neuerdings auch von einem Typus populistischer Parteien, das sind in erster Linie rechtspopulistischer Parteien, aber es können auch linkspopulistische Parteien sein. Regie: jeweils Kreuzblenden von Sprecher zu Sprecher Sprecherin: Zweite Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Festlegung eines Musters für einen Organspendeausweis (Zweite Organspendeausweisänderungs- Verwaltungsvorschrift) Sprecherin: Verordnung zur Festsetzung der Erhöhungszahl für die Gewerbesteuerumlage nach § 6 Abs. 5 des Gemeindefinanzreformgesetzes im Jahr 2008 Sprecherin: Gesetz zu den Änderungen vom 24. Februar 1995 und 30. Juli 1997 des Übereinkommens vom 1. September 1970 über internationale Beförderungen leicht verderblicher Lebensmittel und über die besonderen Beförderungsmittel, die für diese Beförderungen zu verwenden sind. (ATPÄndG2) Sprecherin: Sechzehnte Verordnung zur Änderung der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung (16. RSA-ÄndV) Sprecherin: Zweite Verordnung zur Bestimmung eines Gebietes als grenzüberschreitendes Gewerbegebiet im Sinne des Artikels 2 Abs. 1 Nr. 6 des Abkommens vom 16. Juni 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete Regie: Sprecherin langsam ausblenden, im Hintergrund weiter Autor: Es ist schwer für Politik zu begeistern, die sich mit Verwaltungsvorschriften aufhält. Eine Gesundheitsreform, die kaum noch die Experten verstehen, lässt sich schlecht in griffige Formulierungen packen. Gesetzesvorlagen, Änderungsanträge und eine Sprache, die alles andere als gemeinverständlich ist. Wenn dann noch zwei Parteien gar nicht so verschiedene Auffassungen haben, gibt es für die Wähler kaum eine Chance, sich zwischen Alternativen zu entscheiden. Take Wenn sie sich grundsätzlich in der Richtung der Politik einig sind, können sie dann auf die unterschiedlichen Details von Problemlösungen verweisen. Diese Details sind aber so kompliziert, dass sie sich der Bevölkerung kaum vermitteln lassen. Und dann liegt es natürlich nahe, auf andere Dinge auszuweichen - auf Inszenierungen, auf Symbolpolitik, auf Personalisierungen. Also, all diese Formen sind im Grunde eine Reaktion auf die immer komplexer werdende politische Wirklichkeit. Autor: Wir lernen: Effekt: Sprecher 1: Populistisch wird es immer dann, wenn keiner mehr weiß, worum es eigentlich geht. Autor: Es gibt eine Versuchung. Die Versuchung zum Populismus. Collage: Zusammenschnitt verschiedener Reden: Schröder, Kohl, Merkel, Koch, Lafontaine, Westerwelle (sehr kurze Schnipsel - die unverständlich bleiben sollen) Regie: Collage ca 20 sec freistehend, dann im Hintergrund Autor: Als Post-Chef Zumwinkel medienwirksam verhaftet wurde, war der Aufschrei im Lande groß. Steuern werden hinterzogen und die Gelder ins Ausland gebracht. Die großkoalitionären Parteien reagierten, als hätten sie dergleichen noch nie gehört. Für Kanzlerin Merkel sei das alles jenseits dessen, was sie sich habe vorstellen können. Gab es da nicht schon einen Parteispendenskandal? Kurt Beck forderte, die Höchststrafe für Steuerhinterziehung heraufzusetzen. Wurde schon einmal jemand wegen Steuerhinterziehung zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt? Die Frage, was eine noch höhere Haftstrafe nützen soll, wenn noch nicht einmal die bisherige Höchststrafe angewandt wurde, stört da nur. Take Hier spielt auch das Argumentieren keine Rolle mehr, wenn man weiß, dass mit solchen Strafen die abschreckende Wirkung überhaupt nicht erreicht werden kann. Das gilt ja nicht nur für die Frage Steuerhinterziehung, sondern wir hatten ja ähnliche Forderungen auch im hessischen Landtagswahlkampf mit Blick auf die Jugendkriminalität. Da geht es gar nicht mehr darum, vernünftige Lösungsvorschläge zu machen, sondern es geht einfach nur darum, ein bestimmtes Thema zu setzen und durchaus eben auch Ressentiments zu erzeugen, um darüber in der Wahlkampfauseinandersetzung zu punkten. Effekt: Roland-Koch-Lied Autor: Roland Koch hat sich im Wahlkampf verrannt: Höhere Strafen, Abschiebung, Senkung des Strafmündigkeitsalters. Er baute das Feindbild des Jugendlichen ausländischer Herkunft auf. Der Abstand zu Parteien rechts von CDU und CSU ist in solchen Momenten schwer auszumachen. Take Ich denke, dass man durchaus einen solchen Abstand erkennen muss, wenngleich die etablierten Parteien natürlich und das gilt mit Blick auf den Rechtspopulismus vor allem für die Unionsparteien, die Gefahr laufen, bestimmte Grenzen zu überschreiten. Ich glaube, dass das bei Roland Koch geschehen ist und in der Diskussion in der CDU können Sie ja sehen, dass das eine Strategie ist, die ja durchaus nicht von allen geteilt ist eine Strategie, mit der die Union im übrigen dann auch Gefahr laufen könnte, Wähler in der Mitte zu verlieren und das ist ja in der Tat das, was in Hessen eingetreten ist. Effekt: Roland-Koch-Lied Autor: In Hessen hat der Vulgär-Wahlkampf der Christlich Demokratischen Union nichts genutzt. Die hessischen Wähler waren nicht so dumm, wie Roland Koch glaubte. Seine dumpfe Taktik wurde durchschaut. Take Man kann sicherlich nicht alles durchschauen und solche populistischen Strategien funktionieren manchmal ja auch ganz gut. Aber das funktioniert nur bis zu einer gewissen Grenze und in Hessen war es offensichtlich, dass es hier keine ehrlich gemeinte Ansprache war, sondern es ging eben dann darum in Wiederholung des Erfolgskonzepts der Kampagne von 1999, es ging darum, ein vermeintlich lukratives Thema zu besetzen. Dahinter stand aber keine ehrlich gemeinte Absicht, dann hätte man dieses Thema ja auch von Seiten der Landespolitik schon sehr viel früher aufgreifen müssen. Und diese Unehrlichkeit, die ist vom Wähler durchschaut worden und dann auch abgestraft worden. Autor: Wahlkampf und Populismus scheinen zusammenzugehören. Take Nur befindet man sich eigentlich ja in der Bundesrepublik in einem permanenten Dauerwahlkampf durch unser politisches System und dadurch wird der Populismus auch befördert. Effekt: Autor: Wir lernen: Sprecher 1: Populismus ist kein Erfolgsgarant. Aber manchmal klappt's. Autor: Es muss die Höhle des Löwen sein. Populismus, so donnert es von allen Seiten, wenn der Name Gregor Gysi fällt. Populismus, so ruft es von überall, wenn die Linkspartei auf den Plan tritt. Die Höhle des Löwen ist die Anwaltskanzlei von Gregor Gysi und Partnern in Berlin, ein paar Schritte vom Kudamm entfernt. Im Wartezimmer liegen Frauenzeitschriften, Gala und Brigitte, eine blaue Kiste mit Kinderspielzeug. Eine Steckdose hängt bedenklich weit aus der Wand. Ein paar Zimmer weiter, auf der Hofseite, ist das Büro von Gregor Gysi, dem Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei im Bundestag. Der kennt den Vorwurf, populistisch zu sein. Ist er es, ist es die Linkspartei? Take Sehen Sie, es gibt doch zwei Probleme, dass plötzlich in den alten Bundesländern, darüber machen die sich ja alle keine Gedanken, das Bedürfnis nach einer politischen Kraft links von der SPD entsteht. Das gab es doch in Jahrzehnten nicht. Da konnten doch meinetwegen sogar Populisten alles Mögliche erzählen, sie hatten doch trotzdem keine Chance. Was hat sich denn eigentlich verändert? Keiner macht sich Gedanken darüber, keiner sagt Ihnen was, auch die Politikwissenschaftler nicht. Autor: Dann Oskar Lafontaine, der Ko-Vorsitzende. Ist der populistisch? Gregor Gysi hat sich warm geredet. Take Wenn ich jetzt sage, der ist es noch weniger, dann würde ich ja sagen, dass ich doch einer bin. Ich will nur sagen, dass ist so gar nicht sein Stil, das ist eine ganz andere Art. Er rechnet die Dinge sogar noch genauer durch, als andere das machen. Das ist ein Vorwurf, der wird ja überwiegend auch gegen ihn erhoben, aber der ist falsch. Man kann sich mit ihm auseinander setzen, das weiß ich, das machen die anderen auch, die reagieren richtig wütend auf ihn. Aber die reagieren nur deswegen wütend auf ihn, weil er Wahrheiten benennt, Wahrheiten, die sie vertuschen. Take Kein anderer Politiker in der Bundesrepublik exerziert das im Moment so meisterhaft wie Oskar Lafontaine. Schauen Sie sich seine Reden an, da werden eben genau diese typischen Versatzstücke immer wieder verwendet: das einfache Volk, das darben muss, dem die Sozialleistungen gekürzt werden, das mit immer niedrigeren Löhnen abgespeist wird, während die da oben sich zunehmend bereichern. Und "die da oben" bezieht sich dann eben nicht nur auf die Gesellschaft, sondern das bezieht sich auf die Politik, das bezieht sich auf die etablierten Parteien, die diese so genannte neoliberale Politik - und das ist ja das Hauptfeindbild der Linkspartei - betreiben. Autor: Die Wahrheit. Auf die berufen sich Populisten. Und sie machen deutlich, dass all die anderen die Wahrheit nicht sagen. Allerdings: Wer auf andere Gedanken reflexartig Populismus unterstellt, der erspart es sich, auf die eigentlichen Aussagen einzugehen. Das vermutet Gregor Gysi bei den Anderen: Take Ja, sie wollen sich mit den inhaltlichen Fragen nicht auseinandersetzen. Sie wollen sich nicht damit auseinandersetzen ob es stimmt, dass man Terrorismus wirklich nur mittels Bundeswehr in anderen Ländern bekämpfen kann oder ob es einen besseren Weg dafür gibt, statt Kriege. Sie wollen sich nicht damit auseinandersetzen, ob wir unsere Besserverdienenden, unsere Vermögenden, unsere Konzerne gerechter in Anspruch nehmen könnten, um mehr soziale Gerechtigkeit in Anspruch nehmen zu können oder ob wir Menschen, die nur unteres oder durchschnittliches Einkommen haben, zu entlasten. All das wollen sie nicht. Und weil sie das nicht wollen, beschimpfen sie uns einfach des Populismus und ärgern sich genau über die Wahlergebnisse, über die ich mich freue. Autor: Und das Wörtchen Fremdarbeiter, das Oskar Lafontaine gebrauchte. Take Das war am Anfang, er hat es dann nie wieder gesagt. Nun ist es über zwei Jahre her, nun ist es ja auch mal gut. Effekt: Autor: Wir lernen: Sprecher 1: Populismus kann schon mal passieren. Aus Versehen natürlich. Take Es gibt ein zentrales Merkmal, dass den populistischen Diskurs, die populistische Wähleransprache charakterisiert, das ist eben die Parteinahme für das einfache Volk. Wenn immer sich Politiker, Parteienvertreter stilisieren als Interessenvertreter des so genannten kleinen Mannes, wenn sie sich wenden gegen so genannte Vertreter der Eliten, dann spricht daraus eine populistische Wähleransprache. Und damit verbinden sich auch verschiedene Techniken der Agitation, also schon der Appell an den gesunden Menschenverstand, Schwarzweiß-Denken, also die Gegenüberstellung des guten, integeren Volkes auf der einen Seite und der bösen Politiker, Elite, Konzerne, Medienvertreter, die sich angeblich verschwören gegen die Interessen des Volkes, ganz gezielte Provokationen, Tabubrüche, das alles sind Formen der populistischen Ansprache. Und insoweit gibt es natürlich fließende Grenzen, aber es gibt eben auch die Möglichkeit, populistische Ansprache zu erkennen. Autor: Populismus hat etwas mit Hamburg zu tun. Hier stehen die Verlagshäuser der einflussreichen deutschen Medien. Giovanni di Lorenzo lässt Tee servieren, telefoniert noch einmal kurz und lässt sich auf einen Sessel in seinem Chefredakteurszimmer fallen. An der Wand hängen die verkleinerten Titelseiten der Wochenzeitung "Die Zeit". Giovanni die Lorenzo legt seinen linken Fuß auf dem rechten Knie ab, hält sich den Schuh fest und räsoniert über Populismus und Medien: Take Ja, wir machen dieses Spiel immer wieder bereitwillig mit. Allerdings muss ich zu unserem Schutz sagen: in unterschiedlicher Ausprägung. Es gab eine Zeitung, die die Kampagne von Herrn Koch in einer Form mitgemacht hat, die kaum noch zu toppen war. Das kann man beklagen, aber man muss auf der anderen Seite auch sagen, im Lichte des Ergebnisses: Es war offenbar nicht sehr wirkungsvoll. Autor: Populismus und Medien. Ein weites Feld und gewiss nicht nur auf die Zeitung mit den vier großen Buchstaben beschränkt. Aber eben jene Zeitung ist symptomatisch: Take Populismus ist, wenn die Zeitung, von der Sie vorhin geredet haben, Niedriglöhne anprangert und dann, als es um Mindestlöhne bei den Postbediensteten ging, das wieder vergessen hat und als volkswirtschaftliche Gefahr sieht. Das finde ich wahrhaftig nicht konsequent und das durchschauen die Leute. TV-Ausschnitt: Stelter: Nokia-Protestsong Autor: Wenn Jürgen Rüttgers laut einen Nokia-Boykott beklatscht, ist das Populismus - durch die Fernsehübertragung millionenfach verbreitet. Zustimmung hat es auch vor den Bildschirmen gegeben. Ist deswegen Jürgen Rüttgers einer, der dem Volk auf Maul schaut und gar nicht populistisch ist? Take Ich glaube, man muss da sehr sauber differenzieren. Zum einen glaube ich, dass solche Ereignisse wie in Bochum, also eine Werkschließung trotz guter Zahlen etwas ist, was im Moment sinnbildlich steht für das Unverständnis sagen wir mal zwischen Wirtschaft und dem Rest der Bevölkerung. Das ist einfach nicht zu vermitteln. Genauso wenig wie wenn Vorstandsvorsitzende gute Bilanzzahlen erklären und dann sagen, wir müssen aber wirklich weiter Stellen abbauen. Und ein dritter Punkt sind Vergütungen, die unabhängig von den Leistungen laufen. Auf der anderen Seite ist in der Tat eine Bewegung, die noch schwach ist, die man aber verstärken kann, die durch Online sehr viel Rückenwind erhält, nämlich Verbrauchermacht zu schaffen. Aber das tun ja diese Politiker nicht. Sie rufen ja nicht dazu auf: Lasst uns zusammen so viel Verbrauchermacht aufbauen, dass sich keine Firma mehr trauen wird, ein Werk zu schließen, weil sie ganz genau wissen, das ist nicht durchzuhalten und weil, wenn sie ehrlich wären, auch sagen würden, das wird leider noch viele mal vorkommen. Regie: Collage aus Sätzen von Sprecher 1 Autor: Ist Populismus also nur schlecht? Ist er etwas furchtbares, etwas was eine Demokratie so gar nicht braucht? Take Demokratie und Populismus - das eine ist griechisch, das andere ist lateinisch, bezieht sich auf denselben Gegenstand, nämlich auf das Volk, d.h., wo immer auch Demokratie ist, gibt es immer auch Populismus. Insoweit ist Populismus, ist die populistische Ansprache nicht per se etwas Negatives, man müsste vielleicht unterscheiden zwischen legitimen Formen und illegitimen Formen des Populismus. Aber es gibt keine Demokratie ohne Populismus. Take Populismus an sich würde ich nicht gleich mit der Keule das Wörtchen niederkartätschen, sondern würde mal gucken. Zu hören, zu gucken, wie ticken die Leute, das finde ich sehr gut, das ist ja etwas, was verloren geht, wenn man sich im Berliner Betrieb zulange aufhält, das gilt auch für unsere Kollegen, uns Journalisten. Autor: Populismus als Seismograph. Immer dann, wenn sich die Elite zu sehr vom Alltag entfernt hat, gibt er Warnsignale. Schwierig wird es, wenn echte Populisten versuchen, Kapital aus den Defiziten zu schlagen, wenn Minderheiten zum Sündenbock erklärt werden. Wenn zur Lösung von Problemen versprochen wird, man nur diese Gruppe ordentlich zur Kasse bitte oder jene Gruppe einfach aus dem Land schmeißen. Und wenn man sich einen Wahlsieg erhofft, indem man nur richtig gegen die einen oder die anderen wettert. Dann wird der Populismus zur gefährlichen Hetze. CD: Künnecke Autor: Auf eines wird man sich verlassen können: Es wird weiter geredet. Es liegt an der Kommunikationsgesellschaft. Und irgendwie liegt es auch am Menschen. CD: Künnecke Sp. v. Dienst: Populisten sind immer die Anderen Über eine Droge in der Politik Ein Feature von Thomas Klug Es sprachen: Nadja Schulz-Berlinghoff, Olaf Oelstrom und der Autor Technik: Martin Eichberg Regie: Beate Ziegs Redaktion: Constanze Lehmann Produktion Deutschlandradio Kultur 2008 1