DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hhörspiel Fußballsklaven. Die Reservearmee der westlichen Clubs  Von Michael Reitz DLF/SR Sprecher: Philipp Schepmann Sprecherin: Frauke Poolman Sprecher Overvoice Mbvoumin/Madsen: Walter Gontermann Ton und Technik: Anne Bartel und Hendrik Manook Regie: Ulrike Bajohr Produktion 31. Mai bis 2. Juni/ 16:20-23:50 . M2 URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? DeutschlandRadio Sendung: 4. Juni 2010 DLF (A2 10s/ unter 01 bis 19 s/protection les mineurs/danach dtsch ab 2. Satz, trocken 01 O-Ton Mbvoumin: Cette reunion nous estimons (?) les mineurs. 41s Overvoice : Diese Versammlung soll die Fußball-Funktionäre und die Behörden über den Transfer minderjähriger afrikanischer Spieler nach Europa informieren. Wir fordern die Verantwortlichen auf, und das tun wir schon seit neun Jahren, endlich etwas zu unternehmen gegen das, was Herr Blatter, Präsident der FIFA, noch vor einigen Tagen als ?Versklavung? bezeichnet hat. Also, wir sind heute nicht hier, um über Fußball zu diskutieren, sondern über den Schutz von Minderjährigen. Sprecher: (über O-Ton 01 ab 19 s) Paris, Sommer 2009. Der Weltfußballverband FIFA hat zu einem runden Tisch geladen. Auf dem Programm steht nur ein Tagungsordnungspunkt: der illegale Handel mit minderjährigen Fußballspielern aus Afrika. Diskussionsgrundlage ist ein Papier der Nichtregierungsorganisation ?Culture Foot Solidaire?, kurz CFS Ihr Präsident, der ehemalige kamerunische Fußballprofi Jean Claude Mbvoumin, prangert die Machenschaften skrupelloser Spielervermittler aus Europa an: Kinder werden in Lagern gehalten, lernen dort das Fußballspielen, werden schließlich en gros gewinnbringend an europäische Clubs verkauft. Die Jugendlichen unterwerfen sich scheinbar freiwillig dieser Praxis, denn mit Fußball Geld zu verdienen ist für viele ein Ausweg aus dem afrikanischen Massenelend. (auf Musik) Sprecherin Nur jede zehnte Afrikaner, der mit der Aussicht auf eine glänzende Karriere an Arsenal London, den FC Chelsea oder an Paris St. Germain verkauft wird, erhält tatsächlich einen Vertrag. Der Rest ist menschliche Ausschussware, die irgendwo strandet. Titelansage: Fußballsklaven ? Die Reservearmee der westlichen Klubs Ein Feature von Michael Reitz 02 O-Ton Zimmermann (Archiv), WM 1954 Sprecher: Die wohl berühmteste deutsche Sportreportage stammt aus dem Jahr 1954. Herbert Zimmermann kommentiert das Fußball-WM-Endspiel Ungarn gegen Deutschland. Eine heile Welt, damals. Der bezahlte Fußball, wie wir ihn heute kennen, war noch nicht erfunden. Der Legende nach spendierten seine Kameraden dem Schützen des deutschen Siegtors, Helmut Rahn, ein paar Flaschen Bier. Geradezu idyllisch angesichts heutiger Gagen: Lionel Messi vom FC Barcelona verdient pro Jahr circa dreißig Millionen Euro, ebenso David Beckham in Los Angeles und Christiano Ronaldo bei Real Madrid. Doch das sind Ausnahmen. (folg. auf Musik: Ali Farka Toure und Toumani Diabate. Arch.nr. 601521, Track 6, Sprecherin: Daniel Vijo kommt aus Ghana. Er ist zwölf, als ihm ein Agent den Floh ins Ohr setzt, der französische Spitzenclub Paris Saint Germain sei an ihm interessiert. Seine Mutter gibt dem Vermittler sämtliche Ersparnisse als Honorar. Daniel gelangt tatsächlich nach Frankreich, erhält aber nie einen Profivertrag. Er wird noch nicht einmal zu einem Probetraining eingeladen. Das ist sechs Jahre her. Seitdem treibt er sich illegal und völlig mittellos in einem Pariser Vorort herum. (Musik weg) Sprecher: Profifußballer leben davon, ihr Können möglichst teuer zu verkaufen. Wechseln Spitzenspieler den Verein, stoßen die Ablösesummen mittlerweile an die Hundert Millionen Euro Grenze. Doch für den Transfermarkt, für Verträge mit den Spielern, den Zeitpunkt, wann und wie ein Talent ge- oder verkauft werden darf, gibt es ganz klare Regeln. In Deutschland wachen gleich mehrere Verbände über deren Einhaltung: der Weltfußballverband FIFA; die UEFA, die europäische Dachorganisation der Vereine, und schließlich der deutsche Fußballbund. Ulf Baranowsky, Geschäftsführer der Spielergewerkschaft ?Vereinigung der Vertragsfußballer?, beschreibt, wie es zugehen sollte, eigentlich. 03 O-Ton Baranowsky: Wenn jemand Lizenzspieler werden will, also in der Ersten und Zweiten Bundesliga, in der Profiliga spielen möchte, dann ist es so, dass er grundsätzlich einen Arbeitsvertrag mit seinem Club abschließt und einen Lizenzvertrag mit dem Ligaverband. Es ist so, dass ausländische Spieler unbegrenzt verpflichtet werden können im Bereich der Bundesliga und der Zweiten Bundesliga. Die bekommen dann auch aufgrund der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen eine entsprechende Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung für den Zeitraum, den der Arbeitsvertrag läuft. Sprecher: Doch in den letzten zehn Jahren ist der Fußballermarkt an einigen Stellen außer Kontrolle geraten. Durch die enorme Konkurrenz der Vereine untereinander und vor allem durch die zunehmende Bedeutung internationaler Spielervermittler ? auch Scouts oder Agenten genannt ? läuft der Handel mit der Ware Profifußballer nicht immer lupenrein. Sprecherin: Die ?ASPIRE?, Academy for Sports Excellence, eine Elite-Fußballschule und Vermittlungsagentur mit Sitz in Katar am Persischen Golf, fahndet in ganz Afrika nach Talenten. Mit Hilfe von annähernd sechstausend Mitarbeitern wurden während des Jahres 2007 in insgesamt 26.000 Fußballspielen circa eine halbe Million Kinder und Jugendliche auf ihre Tauglichkeit als Profifußballer getestet. Vier von ihnen erhielten schließlich ein Stipendium in Katar. (Musik weg) Sprecher: Eine Quote, die FIFA-Präsident Joseph Blatter in einem im Internet veröffentlichten Interview als zu niedrig bezeichnete. Dabei wissen die Profiklubs in Europa, dass es sich beim Scouting, dem Auffinden von Talenten, in Afrika auch um organisierte Kriminalität handeln kann. Nicht umsonst legen sie in der Regel großen Wert darauf, dass die Spielereinkäufe über von der FIFA lizenzierte Agenten laufen. Doch die Clubs verfügen über keinerlei Instrumente, die Herkunft der ?Ware Fußballer? zu kontrollieren. Der norwegische Publizist Lars Bake Madsen hat die Wege der Spielerhändler und Vermittler zurückverfolgt. 04 O-Ton Madsen: There are different?in my opinion. Overvoice: Die meisten Scouts, die sich in Afrika rumtreiben auf der Jagd nach jungen Spielern, oft sogar Kindern, stehen nicht in den Diensten irgendwelcher Fußballvereine. Sie arbeiten illegal, betrügen und belügen die Eltern der Jungs, die sie im Visier haben. Sie sind in der Tat nichts anderes als gewöhnliche Kriminelle. Dann gibt es eine ganze Reihe von Agenten, die über Kontakte mit europäischen Vereine verfügen und die sich dieser Kleinkriminellen bedienen, die sind sozusagen ihre Zulieferer. Über diesen Umweg arbeiten schließlich auch die großen europäischen lizenzierten Spielervermittlungsagenturen mit den kleinen Scouts in Afrika zusammen. Und die wissen sehr wohl, dass eine Menge dieser Scouts schräge Vögel sind.. Sprecher: Eine wirksame Kontrolle dieser Geschäfte findet nicht statt. Lars Bake Madsen zieht eine Parallele zu Zwangsprostitution und Drogenhandel. 05 O-Ton Madsen: Yes, I think ...we have met ?to Europe. Overvoice: Wir haben mit einer Menge Fußballern gesprochen, die in Europa nicht Fuß fassen konnten, und dabei natürlich die Lebensgeschichten junger Afrikaner mitbekommen. Gerade mal zehn, elf oder zwölf Jahre alt, sind sie in Nordafrika von bezahlten Schiebern in Boote verfrachtet worden, um illegal nach Südeuropa zu kommen. Fast jedem der Jungs war gesagt worden, dass sie ohne Probleme mit Fußball Geld verdienen könnten, während den Mädchen eine Zukunft als Model vorgegaukelt wurde. Unsere Nachforschungen haben ergeben, dass eine große Anzahl sogenannter Spielervermittler gleichzeitig mit jungen Mädchen handelt. Sprecher: Zwar hat die FIFA ein Interesse daran, den schwarzen Schafen unter den Spielervermittlern das Handwerk zu legen. Doch selbst diese mächtige Organisation stößt schnell an ihre Grenzen. 06 O-Ton Madsen: The FIFA...forget about it. Wenn man sich mit den FIFA-Funktionären unterhält, hat man mitunter den Eindruck, mit jungen politisch Radikalen zu sprechen, die alles verändern wollen. Aber sobald es darum geht, sich mit einflussreichen Klubs anzulegen, mit wichtigen Persönlichkeiten des internationalen Fußballs oder gar mit den großen Agenturen dann weigern sie sich nachzuhaken. Dabei sind sie sich bewusst, dass der unseriöse Handel mit Fußballern dem Fußball in ähnlicher Weise schaden kann, wie die Dopingaffären den Profi-Radsport ruiniert haben. Ich habe den Eindruck, dass sie das ganze Problem einfach aussitzen wollen. Sie vertrauen darauf, dass die Öffentlichkeit das Thema einfach vergisst. Sprecher: Parallel zur FIFA, die die Seriosität des Profifußballs sichern soll, hat sich in den letzten Jahren ein System entwickelt, das zunehmend schwerer zu kontrollieren und ebenso mächtig wie die FIFA sei. Für eine der einflussreichsten Vermittlungsagenturen, die London ansässige Media Sports Investment, interessierte sich 2007 die Justiz. Es gab Hinweise darauf, dass die Gelder dieser Agentur wesentlich vom Eigner des FC Chelsea, dem russischen Milliardär Roman Abramowitsch, stammten. A2: Kommentare aus dem skandinavischen Radio zu Mikels Toren. Sprecher: Ein ebenso spektakulärer wie grotesker Fall von dubioser Spielervermittlung ereignete sich im Jahr 2004. Es ging um den nigerianischen Fußballer John Obi Mikel, der heute bei Chelsea spielt. (auf Musik) Sprecherin: John Obi Mikel wurde vom Agenten Rune Hauge an den norwegischen Klub Lyn Oslo vermittelt. Mikel bekam hier einen Jugendvertrag. Der FC Chelsea übernahm für ihn die Ausbildungskosten und das Jahresgehalt von circa 280.000 Euro ? und erhielt dafür im Gegenzug ein Vorkaufsrecht für den Spieler bei Eintritt von dessen Volljährigkeit. Eine Woche nach seinem achtzehnten Geburtstag unterschrieb John Obi Mikel beim FC Chelsea. Sprecher Der Norweger Lars Bake Madsen nennt das System ?parken?. Ein zahlungskräftiger Verein bezahlt einem kleinen Club eine beachtliche Parkgebühr zur Bewachung eines jungen Fußballers. 08 O-Ton Madsen: The illegal thing was?. had the stamp on him. Overvoice: Was daran illegal war? Die FIFA-Regeln besagen ganz klar, dass ein Spieler von einem Kontinent zum anderen nicht gehandelt werden darf, bevor er achtzehn ist. John Obi Mikel war fünfzehn Jahre alt, als er von Chelsea entdeckt wurde. Chelsea hat dann versucht, ihn in Norwegen regelrecht zu verstecken und sie hielten den Daumen auf ihn, um es mal vorsichtig auszudrücken. Sprecher: Neben dem FC Chelsea hatte sich auch Manchester United für John Obi Mikel interessiert. Was nach seiner Vertragsunterzeichnung bei Chelsea geschah, bezeichnete die norwegische Presse als eine ?Prügelei unter Zuhältern?. Denn Manchester beschwerte sich bei der Weltfußballorganisation und behauptete, mit dem jungen Nigerianer habe ein Vorvertrag existiert. Was genau hinter den Kulissen ablief, weiß man bis heute nicht. Um zu vermeiden, dass der Fall John Obi Mikel vor dem internationalen Sportgerichtshof landete, entschloss sich Chelsea etwas mehr als dreiundzwanzig Millionen Euro Ablöse zu zahlen. Knapp sechs Millionen davon gingen nach Oslo, der Rest an Manchester United. A4/A7: Englische Sportreportage 09 O-Ton Baranowsky: Das FIFA-Recht besagt, dass grundsätzlich Minderjährigen-Transfers nicht gestattet sind. Es gibt Ausnahmeregelungen für innereuropäische Transfers. Da kann schon ab 16 Jahren transferiert werden, wenn entsprechende Jugendschutzbestimmungen eingehalten werden (..) Minderjährigentransfers sind sonst nur zulässig, wenn die Eltern eines Spielers nach Deutschland kommen und dann ihr Kind mitnehmen und dieser Wechsel nichts zu tun hat mit der fußballerischen Karriere des Kindes, sondern ausschließlich Gründe hat, die im ureigenen Interesse der Eltern liegen. Also wenn der Vater zum Beispiel Diplomat ist und hier seinen Dienst antritt. Sprecher: Spielervermittler ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Zwar vergeben die Verbände Lizenzen, doch niemand, der mit dem Handel von Spielern Geld verdienen will, ist daran gebunden oder wird gar kontrolliert ? obwohl es im FIFA-Reglement ausdrücklich heißt: Sprecherin: Die Tätigkeit eines Spielervermittlers darf nur von natürlichen Personen ausgeführt werden, denen vom zuständigen Verband eine Lizenz zur Ausübung ...... erteilt wurde. Der Bewerber muss eine natürliche Person mit tadellosem Leumund sein. Wenn der Bewerber .... nie wegen einer Finanz- oder Gewaltstraftat ..... verurteilt wurde, ist zu vermuten, dass er einen tadellosen Leumund hat. Sprecher: Vor allem in Westafrika sorgen windige Akteure mit hoher krimineller Energie für fußballerischen Nachschub ? vorzugsweise für Clubs ehemaliger Kolonialmächte, dort ist die Einbürgerung am leichtesten. Allein in Accra, der Hauptstadt Ghanas, betreiben Agenten über fünfhundert Fußballschulen. 11 O-Ton Baranowsky: Wir führen als VDV regelmäßig auch Trainingscamps für vereinslose Spieler durch. Da kommt es dann immer mal wieder vor, dass Spielervermittler mit afrikanischen Spielern hier vorstellig werden und darum bitten, dass diese Spieler hier an dem Camp teilnehmen können, um sich auch deutschen Scouts präsentieren zu können, in völliger Unkenntnis, dass diese Spieler, die dann über ein Touristenvisum ins Land gekommen sind, überhaupt keine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung bekommen würden, sofern sie nicht mindestens im Bereich der Bundesliga oder Zweiten Bundesliga einen Vertrag bekommen. Und auch oft in der Unkenntnis der allgemeinen Transferbestimmungen. Und damit tut sich niemand einen Gefallen und insbesondere dann, wenn die afrikanischen Spieler noch zahlen müssen dafür, nach Deutschland reisen zu können, dann hört der Spaß wirklich, wirklich auf. Und da müssen die Schutzbestimmungen dann auch noch verschärft werden. (folg. auf Musik) Sprecherin: Im Jahr 2007 wird der kongolesische Spieler Gael Kakuta ( Gaal Kakuta)von Chelsea gekauft. Kakuta spielt zu diesem Zeitpunkt mit einem Amateurvertrag bei dem französischen Verein FC Lens, er ist fünfzehn Jahre alt. Die Franzosen können nachweisen, dass Gael Kakuta den Verein gewechselt hat, weil ihm Chelsea einen Profivertrag versprochen und ihn zum Vertragsbruch überredet hat. Der Londoner Verein wird daraufhin von der FIFA mit einem Transferverbot belegt. Für ein Jahr. (Musik weg) Sprecher: Neun Jahre dauerte es, bis die großen Verbände Jean-Claude Mbvoumin und seine Organisation Culture Foot Solidaire überhaupt zur Kenntnis nahmen. In dieser Zeit hatte diese Nichtregierungsorganisation Dutzende Fälle dokumentiert, wie Kinder und Jugendliche unter unglaublichen Umständen nach Europa verfrachtet wurden. Untergebracht in Viehställen oder auf Hotelschiffen hofften die Jungs wochen- und monatelang auf ein lukratives Angebot ? von dem schließlich der Agent profitierte. Menschenrechtler drängen seit Jahren darauf, illegale Spielertransfers zu unterbinden. Joseph Blatter, Präsident der FIFA sprach in diesem Zusammenhang von einer ?Wiederkehr der Sklaverei?, Michel Platini, Chef der UEFA gar von Zuhälterei. (folg. auf Musik) Sprecherin: Fußballsaison 2006/2007. Der Kameruner Louis Ngwat-Mahop spielt für die Regionalligamannschaft des FC Bayern München. Voraussetzung dafür ist die Staatsbürgerschaft eines EU-Landes, und Mahop besitzt einen französischen Pass. Als er vom FC Bayern einen Profivertrag erhält und auch im Ausland spielen soll, wird dieser Pass genauer überprüft. Der stellt sich als gefälscht heraus ? offenbar von dem Vermittler, der Mahop aus Kamerun nach Europa verfrachtet hat. Der FC Bayern löst den Vertrag und erstattet Selbstanzeige beim Deutschen Fußball Bund wegen Verstoßes gegen die in Deutschland geltenden Bestimmungen. Die FIFA gibt den inzwischen 20jährigen Spieler schließlich frei ? inzwischen kickt er bei Red Bulls Salzburg. (Musik weg) Sprecher: Mit falschen Papieren ? Pässen, Geburtsurkunden ? wird oft genug erfolgreich die Regelung umgangen, dass Minderjährige keine Verträge abschließen dürfen. Der senegalesische Profifußballer Babakar N?Diaye kam 1994 legal nach Deutschland. Der heute siebenunddreißigjährige berät afrikanische Einwanderer, die in Europa auf dem Rasen Karriere machen wollen. Im Vereinsheim seines jetzigen Arbeitgebers, dem niedersächsischen Oberligisten TSV Havelse, beschreibt er, wie einfach es ist, junge Afrikaner zu täuschen. 13 O-Ton N?Diaye: Die Jungs in Afrika, das ist so, dass die alle nach Europa wollen, Geld verdienen und ihren Familien auch helfen. Wenn es geht um einen Spieler, den nach Europa zu bringen, da gibt es schon Probleme. Weil jeder denkt nur an das Geld und nicht an den Jungen, was man ihm anbieten kann, was für eine vernünftige Zukunft er hier in Europa erreichen kann. Wenn ich den Jungs in Afrika helfen könnte, würde ich denen auch helfen und denen genau sagen, was hier abgeht. Sprecher: Nach inoffiziellen Statistiken können über achtzig Prozent der Absolventen afrikanischer Fußballschulen weder lesen noch schreiben. Selbst wenn ihnen ein Vertrag eines Agenten vorgelegt würde, wüssten sie gar nicht, worauf sie sich einlassen. Ebenso wenig wären sie in der Lage, die Lizenz ihres Vermittler zu überprüfen. 14 O-Ton N?Diaye: Der Typ kann kommen (...) und sagen, ich bin der Spielervermittler. Ein Weißer aus Europa, gut angezogener Mann, die würden dem sofort glauben, weil er aus Europa kommt (...) Ach, die Leute von FIFA, die sitzen ja oben, die sitzen in Zürich, die sind normalerweise nicht auf den Plätzen oder da, wo diese Sachen passieren. Da kümmern die sich nicht. Ich halte nicht viel von der Organisation FIFA. Atmo Sprecher: Kaum eine internationale Sportorganisation besitzt soviel Macht wie die FIFA. Während der Weltmeisterschaft in Deutschland 2006 ließ sie beispielsweise eine Bannmeile um die austragenden Stadien ziehen: im Umkreis von zwei Kilometern durfte nicht für Produkte geworben werden, deren Hersteller keine Sponsoren der FIFA waren. Dass sich die internationale Dachorganisation des bezahlten Fußballs nur sehr verhalten gegen die Fußballsklaverei engagiert, liegt nach Ansicht von Kritikern daran, dass die FIFA finanziell nicht darunter leidet. Einer dieser Kritiker ist Ian Mengel aus Berlin. Er gründete mit einigen anderen ?Straßenfußballern? die Organisation ?Playya?? eine unabhängige Plattform, die darauf aufmerksam machen will, dass Fußball auch ein knallhartes Geschäft auf Kosten der dritten Welt ist. ?Playya? initiiert zum Beispiel Fußballturniere, die gleichzeitig globalisierungskritische Veranstaltungen sind. 15 O-Ton Mengel: Die Arbeit besteht erst einmal darin, eine Art Erfassung zu leisten. Belege zu finden, dass es ein systematisches Vorgehen gibt von Akteuren im Sport, die Spielerhandel bewusst betreiben. Anhaltspunkte sind in erster Linie erst einmal tatsächlich journalistische Quellen, weil die meisten Belege einfach von Journalisten, sozusagen Spürhunden, erbracht werden ? also von außen. Es gibt wenig Ansatzpunkte im System selber... Es gibt eigentlich schon ziemlich früh Belege, auch bis in die 60er Jahre zurück, dass es eine Geschäftspraktik ist, Spielermaterial zu kaufen. Bis vor 20 Jahren war das auch kein Handel, der besonders relevant war, weil es einfach zu viele Auflagen gab in Europa. Es war nicht üblich, dass Afrikaner überhaupt nach Europa kommen und in Vereinen spielen. Das ist ja ein relativ neues Phänomen. Vielleicht kann man das mit dem Erfolg Kameruns verbinden. Ab 1990 bei der WM in Italien, dass das populär wurde, auch Afrikanische Spieler in der Mannschaft zu haben und über die Eleganz, die Leichtfüßigkeit und die Spielfreude der Afrikaner sich zu freuen. (folg. auf Hall) Sprecherin: Der Schweizer Soziologe Raffaele Poli untersuchte die Karrieren von sechshundert afrikanischen Fußballern, die im Jahre 2002 in europäischen Profiligen spielten. Bereits vier Jahre später arbeiteten lediglich noch dreizehn Prozent von ihnen als Fußballer, knapp ein Drittel von ihnen war sogar schlicht unauffindbar in den Listen der nationalen Fußballverbände. Sprecher: Nach Auffassung Ian Mengels und seiner Mitstreiter ist Fußball auch Teil der modernen deregulierten Wirtschaft: auf der einen Seite die Starken, auf der anderen deren Opfer. 15a O-Ton Mengel: Die Investitionen tendieren gegen null eigentlich. Wenn ein 15-Jähriger seine Familie verlässt, mit einem Agenten mitgeht, ist die Summe, die man da auf den Tisch legen muss als Agent, meist erschreckend niedrig. Ich weiß nicht, ob man da einen Durchschnitt ziehen kann, aber das wird nicht mehrere tausend Euro überschreiten, wahrscheinlich. Und dann natürlich sind auch letztlich keine großen Kosten hier zu erwarten. Die meisten von den Jungs gehen natürlich auch nicht zur Schule oder haben keine besondere Betreuung. Es sei denn, sie sind so vielversprechende Talente, dass sie sich relativ schnell profilieren und durchsetzen können in Vereinen ? größeren oder kleineren ?, dass sich mehr Investition lohnt. Aber selbst dann sind die Investitionen überschaubar, der Gewinn aber enorm, wenn man so einen Spieler, den man hat, verkaufen kann, für ein paar Millionen. Diese Gewinnspanne ist eine der großen Verlockungen in diesem Bereich. Sprecher: Die wichtigen europäischen Vereine haben großes Interesse an jungen Spielern, mit denen sie handeln können. Deren Herkunft zu klären überlassen sie den Vermittlern. Laut F.A.Z. beträgt die Provisionssumme, die in Deutschland allein an die Agenten gezahlt wird, pro Jahr schätzungsweise fünfzig Millionen Euro. A6/A7: Sportberichterstattung aus der englischen Premier-League und der spanischen Primera Division. Sprecher: Die Wege und Kanäle, auf denen Afrikaner illegal nach Europa kommen, um als menschliche Handelsware für hohe Gewinne zu sorgen, sind ähnlich verschlungen wie die des Drogenhandels oder der Zwangsprostitution. Die nichtafrikanischen Agenten nehmen dabei - bewusst oder unbewusst - in kauf, dass ihre lokalen Mittelsmänner in Afrika so gut wie nichts über das Ausländer- und Arbeitsrecht in Europa wissen, erzählt Ulf Baranowsky. 17 O-Ton Baranowsky: Das liegt auch daran, dass sich sehr viele Leute Spielervermittler nennen und dass selbst die lizenzierten Spielervermittler in der Regel über keine fachspezifisch gute Ausbildung verfügen. Denn um diese Lizenz als Spielervermittler zu bekommen reicht es, einen relativ einfachen Multiple-Choice-Test innerhalb einer Stunde zu bearbeiten. Es ist sicherlich legitim zu versuchen, als afrikanischer Spieler in Deutschland auch einen Vertrag zu bekommen. Aber man ist gut beraten, wenn man seine eigene Leistung da auch realistisch einschätzen kann und einen seriösen Weg geht. Und seriös ist es, wenn man gut beraten ist, von einem Scout entdeckt wird, von einem Club eine entsprechendes Vertragsangebot bekommt und im Vorfeld dann alle ausländerrechtlichen Bestimmungen auch geprüft werden, der Spieler dann zum Spielen nach Europa kommt. Durch Europa zu tingeln und vorher illegal eingereist zu sein ist der falsche Weg. Und der führt in Deutschland auch regelmäßig nicht zum Erfolg. Sprecher In anderen europäischen Ländern schon. Ian Mengel von ?Playya? bestätigt die Erfahrung des Fußballgewerkschafters Ulf Baranowsky, dass die jungen Fußballtalente mit einem Touristenvisum regelrecht auf Europa-Tournee geschickt werden. 18 O-Ton Mengel: Das gibt es in ähnlicher Weise im Viehmarkt oder so, wo dann die Käufer auf der Tribüne sitzen und die Kühe durch die Manege geführt werden ? so ungefähr im übertragenen Sinne. Dass Spieler also durch Europa reisen und an verschiedenen Orten vorspielen, in der Hoffnung, dass sie einen Vertrag oder zumindest erst einmal eine feste Stelle bekommen, einen festen Anlaufpunkt (...) Taucht ja auch nicht großartig in den Medien auf, wenn irgendjemand wo mittrainiert (...) Einige haben sicher Glück und haben so viel Talent, dass sie schnell unterkommen. Es gibt genügend Fälle, wo man Spieler einfach verschwinden lässt in gewisser Weise ? sie einfach aussetzt, ohne finanzielle Mittel, ohne Papiere auch teilweise. Sprecher: Organisationen wie Culture Foot Solidaire oder Playya berichten von Afrikanern die lediglich für Kost und Logis eine Saison lang bei osteuropäischen Vereinen spielten. Ein sicheres Geschäft für die Vereinsbosse, denn sollten die Fußballer einen neuen Verein finden, wäre der Verkaufsgewinn enorm. Bei Nichtverkauf werden die jungen Männer einfach entlassen. 19 O-Ton Mengel: Und dann ist es relativ risikolos, ein Flugticket zu bezahlen, ein paar Aufenthalte zu planen und das dann über das Jahr verteilt zu machen, weil in weiten Teilen Afrikas ja etwas fehlt, was wir hier als natürlichen Bestandteil unserer Fußballwelt kennen, nämlich eine gute Vereinsbasis, wo Jugendliche, Kinder, von klein auf trainiert werden und organisiert Fußball spielen. (folg. auf Musik) Sprecherin: Bernard Bass stammt aus Guinea-Bissau. Als er 17 ist, verschafft ihm ein libanesischer Agent einen Platz in einer der zahlreichen Fußballschulen Ghanas und verspricht ihm einen Profivertrag im ostfranzösischen Metz ?gegen Reisekosten und ein Vermittlerhonorar. Doch Bernards Schiffspassage endet in Teneriffa, wo er von den spanischen Behörden als illegaler Einwanderer verhaftet wird. Er flieht und schlägt sich nach Frankreich durch. Heute lebt er mit vier afrikanischen Jugendlichen im Keller eines Abbruchhauses im Pariser Vorort Clichy-sous-Bois. (Musik weg) Sprecher: Gegen die global operierende Fußballindustrie haben sich die Politiker lange Zeit blind gestellt. Nur schleppend beginnen sie, sich für die illegalen Gebaren im Profifußball zu interessieren. Winfried Hermann, sportpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion ?Bündnis 90/Die Grünen? nennt die Gründe für dieses Zögern. 20 O-Ton Hermann: Also, ich glaub, dass insgesamt sich die Politik noch wenig sich befasst hat, weil es sozusagen im Bereich der freien Assoziationen stattfindet, die es ja weltweit gibt, unabhängige Sportorganisationen, die sozusagen ihre Strukturen selber organisieren. Ich glaube, dass die Politik sich einmischen muss, wenn Menschenrechte in Gefahr sind und zwar egal, von welcher Organisation und in welchem Bereich. Und der Sport ist da, glaub ich, lange Zeit zu sehr im sicheren Feld gewesen nach dem Motto alle mögend den Sport und dass die gut spielen, ist sehr nett, wenn da auch ein paar aus Afrika mitspielen ? das ist zu einfach. Sprecher: Zwar hat der Weltfußballverband FIFA im Jahr 2009 eine Kommission gebildet, die illegalen Spielervermittlern das Handwerk legen soll. Doch den Kritikern geht diese Maßnahme nicht weit genug: die FIFA sei ein viel zu schwerfälliger Apparat, um wirksam gegen kriminelle Scouts und Agenten vorgehen zu können. Sprecherin Der ghanaische Scout Kallis Karlton-Senaye rühmt sich gegenüber der BBC, niemals einen schriftlichen Vertrag mit einem von ihm vermittelten Spieler abzuschließen. Das sei so üblich und auf ihn sei Verlass, dass wüssten die Spieler. Im übrigen gäbe es keinen illegalen Spielertransfer aus Ghana, schon wegen der strengen Visavorschriften. Er habe jedenfalls noch nie Ärger bekommen. 21 O-Ton Hermann: Solange wir noch keine internationalen Formen der Kontrolle haben, müssen wir von den nationalen Fußballverbänden, verlangen, dass sie sich an solchen Machenschaften nicht beteiligen. Denn eins ist doch klar: Menschenhandel im Fußball, solche Sklavenlager können ja nur entstehen, wenn es Abnehmer gibt. (folg. auf Musik) Sprecherin: Effa Steve kommt siebzehnjährig als Mittelfeldspieler aus Äquatorialguinea nach Frankreich. Visa und Flug hat ein bulgarischer Agenten bezahlt. Steve erhält tatsächlich einen Vertrag in Dijon, sein Honorar geht an den Scout. Als Effa Steve bei einem Spiel verletzt wird und für längere Zeit auszufallen droht, teilt ihm der Verein mit, dass man nicht mehr an ihm interessiert sei. Die Nichtregierungsorganisation Culture Foot Solidaire kennt allein in Paris achthundert solcher Fälle. Dabei geht es um junge Afrikaner im Alter von zehn bis achtzehn Jahren. (Musik weg) 21a O-Ton Hermann: Wenn man wirklich diesen Leute helfen will, dann finde ich, ist der Weg ein anderer, ein besserer, zu sagen, wir verdienen im internationalen Fußball soviel Geld, wir verdienen bei Fußball-Weltmeisterschaften soviel Geld und haben das auch denen zu verdanken, die überall in der Welt zum Beispiel Fußballarbeit machen und die nicht alle davon profitieren. Wir geben die Mittel nicht almosenmäßig, möglicherweise über einen Erfolgsspieler, an dem wir ordentlich selber verdient haben, sondern das wäre dann sinnvoll in den Aufbau von Nachwuchs im Breitensport zu stecken, der nicht allein das Ziel hat, europäische Fußballfelder zu beglücken oder Vereinsbosse reich zu machen, sondern mit dem Hauptzweck, jungen Leuten ne Chance auf eine sportliche Entwicklung zu geben, ne Chance auf persönliche Entwicklung zu geben. Sprecher: Der Grüne Winfried Hermann plädiert für eine grundsätzliche entwicklungspolitische Umorientierung der internationalen und nationalen Fußballverbände. Deren Pflicht sei aber auch, meint die CSU-Europaabgeordnete Anja Weisgerber, sich um die gescheiterten Talente zu kümmern. 28 O-Ton Weisgerber: Wenn jetzt die jungen Spieler nach Europa kommen, und man sieht, dass sie vielleicht doch nicht so Fuß fassen wie es am Anfang gedacht war, dass die wirklich auch eine Möglichkeit haben, mit einer Perspektive wieder zurückzugehen in ihr Ausgangsland... wenn die teilweise mit 15, 16 hierher kommen, dass die neben dem Fußball vielleicht eine Ausbildung wahrnehmen und dass sie vielleicht auch etwas mitnehmen, was lernen, wenn sie wieder zurückgehen sollten, für ihr Land, um dort vor Ort zu helfen. 21b O-Ton Hermann: Man braucht darüber hinaus ein Sanktionsinstrument (..) wenn du also einen Jugendlichen einkaufst rechtswidrig entgegen dem Reglement, dann muss auch eine Sanktion folgen, die muss möglichst hart sein. Und ich glaube, dass es bei den Profi-Fußballclubs gut wäre, wenn das ne harte ökonomische Sanktion wäre und man könnte sinnvolle Aufbauarbeit in Entwicklungsländern dadurch finanzieren, dass solche Strafzahlungen dann nicht der FIFA, die ohnehin genug hat, zugute kommen sollen, sondern in einen Sportentwicklungstopf kommen. Atmo Sprecher: Die Fußballweltmeisterschaft findet 2010 zum ersten Mal in einem afrikanischen Land statt, in der Republik Südafrika. Taugt der Fußball, taugt ein solch riesiges Turnier wie die Weltmeisterschaft, als entwicklungspolitisches Instrument? Günter Max Teuber, seit Jahren Regionaldirektor des Deutschen Entwicklungsdienstes in Südafrika, sieht Grund zu verhaltenem Optimismus. 22 O-Ton Teuber: Das, was man unterstellt hat, die Südafrikaner bekommen die Stadien nicht rechtzeitig hin, die Flughäfen nicht rechtzeitig hin, das hat sich alles nicht bewahrheitet, das ist alles vorfristig fertig geworden, das wirft einen gewissen Glanz auf das Land und ich glaube, man kann sich auch mit den Afrikanern darüber freuen, dass der Afrikapessimismus, nach dem Motto, auf dem Kontinent geht alles drunter und drüber, da läuft alles schlecht, dass man dem etwas entgegenhalten kann (...) Dass ein Land so eine Bürde übernimmt und das ehrenvoll über die Bühne bringt. Das zweite, was man sicherlich sagen kann, was hat das für eine entwicklungspolitische Bedeutung für Südafrika, leistet es einen Beitrag dazu, dass muss man eindeutig positiv betrachten Was jetzt passiert, dieser enorme Kraftakt, der von vielen ja kritisch betrachtet wird, ist ausgesprochen heilsam für das Land. Sprecher: Südafrika ist wahrscheinlich das einzige schwarzafrikanische Land, das keine illegalen Transferpraktiken kennt. Grund dafür ist unter anderem eine Sportpolitik, die versucht, schulische und sportliche Ausbildung zu koordinieren. Ähnlich wie in Deutschland oder anderen europäischen Ländern entstehen in Südafrika vereinzelt Sportgymnasien, die Kindern und Jugendlichen eine umfassende Bildung vermitteln sollen. Die Fußball-WM brachte nicht nur der Infrastruktur des Landes einen beachtlichen Aufschwung. Die Vergabe eines großen internationalen Turniers an eine afrikanische Nation hat auch bewirkt, dass die Probleme des Kontinents stärker in den Blickpunkt rücken. Atmo Sprecher: Im Jahr 2009 gab es im europäischen Parlament eine Anhörung zu den fragwürdigen Praktiken des Menschenhandels im Fußball. Resultat war eine Fülle von Vorschlägen der Parlamentarier an die EU-Kommission, wie dagegen vorzugehen sei. Anja Weisgerber, ehemalige bayerische Tennismeisterin, war maßgeblich an der Erarbeitung rechtlicher Gegenmaßnahmen beteiligt. 24 O-Ton Weisgerber Eine Möglichkeit besteht darin, die Vorschriften für Spielervermittler zu verschärfen. Dazu hat das Europäische Parlament schon viele Beschlüsse gefasst. Zum einen haben wir einen Initiativbericht verfasst, ?Die Zukunft des Profifußballs in Europa?. Und da haben wir ganz gezielt auch gesagt, wir müssen zum einen die UEFA und die FIFA unterstützen in ihren Bemühungen, dort Regulierungen zu treffen. Und wenn das nicht funktioniert, muss der Gesetzgeber auch tätig werden und muss endlich, wie es z.B. bei den Versicherungsvermittlern auch Standards, Zertifizierungsvorschriften gibt, auch Vorschriften für die Spielervermittler treffen. Und neben diesem Bericht zum Profifußball haben wir die Kommission aufgefordert, jetzt erst im März, eine solche Regelung zu treffen, die genau in diese Richtung geht. (folg. auf Musik) Sprecherin: Mehr als fünftausend Jungen unter sechzehn Jahren, mehrheitlich Afrikaner, spielen derzeit in italienischen Amateurklubs und hoffen auf Profiverträge. Die Vermittler bringen die Kinder mit einem begrenzt gültigen Touristenvisum ins Land. Die Kinder dürfen bleiben, wenn sie nachweisen können, dass sie bei einer Familie aus ihrem Heimatland untergebracht sind, die den regelmäßigen Schulbesuch garantiert. Einen solche Nachweis beschaffen die Agenten. (Musik weg) Sprecher: Nach Meinung Anja Weisgerbers müssen Sportverbände und auch Vereine vom Gesetzgeber gezwungen werden, mit gut ausgebildeten und lizenzierten Spielervermittlern zusammenzuarbeiten, falls eine freiwillige Verpflichtung durch FIFA oder UEFA nicht greifen sollte. Eine weitere Forderung der Sportpolitiker im europäischen Parlament: 24a O-Ton Weisgerber: Dass es Minimum-Standards gibt, was den Inhalt dieser Verträge angeht. Oftmals werden ja die Spieler verpflichtet, bekommen Anfangsgehälter angeboten, die für sie natürlich sehr, sehr gut sind. Sie verpflichten sich dann aber über einen sehr langen Zeitraum, teilweise sogar fürs Leben, zu Konditionen, die einfach dann auch nicht in Ordnung sind. Sprecher: All diese Vorhaben stehen und fallen mit der Kooperationsbereitschaft der großen Fußballverbände FIFA und UEFA ? Vereinigungen, die sich politischer Einflussnahme gern entziehen. 25 O-Ton Weisgerber: In manchen Bereichen besteht die Möglichkeit, Druck auszuüben. (...) Wenn (...) Grundrechte verletzt sind (...) dann hat natürlich die Europäische Union ein Durchgriffsrecht. Dann kann sie auch gegen solche Agenten vorgehen, und dann muss sich auch die FIFA danach halten. Deswegen ist ja der Ruf nach dem Gesetzgeber an der Stelle laut, weil wir natürlich als demokratische Organisation hier durchaus die Möglichkeit haben ? bei Versicherungsvermittlern hat es ja auch funktioniert ?, gesetzliche Regelungen und Standards zu setzen. Und dann muss sich auch die FIFA beugen. Sprecherin: Dirk de Vos, Funktionär der belgischen Fußballergewerkschaft, veröffentlicht 2008 einem Arbeitsvertrag zwischen afrikanischen Fußballern und deren belgischen Vereinen, der offenbar als Muster gilt. Genaugenommen sind es zwei Verträge, die die Spieler zu unterschreiben haben. In dem, der dem Fußballverband vorgelegt werden muss , werden dem Spieler ein faires Gehalt und Prämien garantiert. Im anderen Kontrakt steht das tatsächliche Gehalt des zukünftigen Profis: ein Viertel der offiziell genannten Summe ? die anderen drei Viertel erhält der Spielervermittler. (Atmo) Sprecher: Ein Faktor spielt bei den illegalen Spielertransfers eine große Rolle: die hohe Verschuldung europäischer Spitzenklubs. Real Madrid oder der FC Barcelona stehen mit insgesamt einer dreiviertel Milliarde Euro in der Kreide und würden nach deutschem Recht gar keine Lizenz als Profifußballvereine bekommen können. Für den Profifußballer und Spielerberater Babacar N?Diaye ist es unverständlich, dass die Fußballverbände angesichts solcher Zahlen nicht hellhörig werden. 26 O-Ton N?Diaye: Jeder Verein hat Schulden, aber trotzdem kaufen die immer weiter Spieler. Und da frage ich mich auch, wie das geht. Wenn einer so wie Liverpool (...) die haben fast 720 Millionen Schulden, und kaufen noch weiter Spieler. Dann frage ich mich, die Leute von FIFA, wo haben die ihre Augen? Da würde ich sagen: Stopp. Sprecher: Dass solche Vereine ihr Heil im billigen Einkauf und teurem Verkauf von ?Spielermaterial? suchen, liegt auf der Hand. Ebenso wie die Wirkungslosigkeit von Geldstrafen bei schweren Verstößen gegen das internationale Transferrecht ? einen ohnehin hoch verschuldeten Verein kümmern die wenig. Wie könnten also wirksame Sanktionen aussehen? 27 O-Ton Weisgerber: Was den Vereinen und Fußballvereinen immer am meisten wehtut ist, wenn die dann vielleicht sogar aus europäischen Wettbewerben ausgeschlossen werden, wenn sie auch sportlich wirklich Sanktionen auch aushalten müssen. Es ist finanziell oft ein Punkt, der vielleicht verschmerzbar ist oder verschmerzt wird. Aber wenn sie wirklich auch in der Außendarstellung, auch bei ihren Fans, dann bloßgestellt sind, indem sie dann eben auch aus so einem Wettbewerb mal ausgeschlossen werden oder vielleicht mal nicht weiterrücken und weiterkommen, dann ist es sicherlich ein Sanktionsmechanismus, der dann stärker durchgreift. Das kann nicht der Gesetzgeber regeln. Da muss natürlich auch die UEFA und die FIFA hart durchgreifen. Sprecherin: Darüber hinaus wäre ein Perspektivenwechsel von Nöten, der die Praxis des illegalen Spielerhandels weniger als wirtschaftliches, mehr gesellschaftliches und kulturelles Phänomen sieht ? das jedenfalls schlägt Ian Mengel von der Organisation Playya vor. 29 O-Ton Mengel: Wir sprechen über Beziehungen zwischen Staaten, zwischen Regionen, zwischen Organisationen, zwischen Individuen, die sich über Jahrhunderte so in der Form ausgestaltet haben, dass es ein enormes Ungleichgewicht gibt in der Ausübung von Macht, bzw. im Zugang zu Rechten. Ein Ungleichgewicht in der Hinsicht, dass die einen was zu sagen haben und die anderen nichts zu sagen haben. Und dann gibt es natürlich Zwischenformen oder auch wechselnde Perspektiven. Aber es ist einfach immer noch für mich persönlich eine Fortführung von Kolonialismus, wie wir ihn schon seit mehreren Jahrhunderten in verschiedenen Ausprägungen erleben. Ich denke Der Sport ist ja zweckfrei und völkerverbindend und gut (...) Das sehen wir als großes Problem unserer Arbeit ? große Herausforderung, dass diese historischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Ungleichheiten und Bezüge einfach nicht als solche wahrgenommen werden. Sprecherin: Die Menschenrechtsaktivisten haben immerhin öffentliche Aufmerksamkeit für den Spielerhandel mit Minderjährigen erreicht. Viel ist noch zu tun, um die wunderschöne Sportart Fußball so sauber zu halten, wie sie sich selbst gerne präsentiert. So hat die FIFA signalisiert, dass sie die Aufklärungskampagnen von Culture Foot Solidaire in Zukunft stärker unterstützen und fördern will. Die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika wäre eine gute Gelegenheit, diese Absicht deutlich zu propagieren. Atmo Toor 30 O-Ton N?Diaye: Das macht immer Spaß, den Fußball zu erleben. Man versucht immer diese Leidenschaft und diese Liebe bei dem Fußball in Afrika hierher zu bringen. Und jeder von uns versucht das. Ich würde mich wirklich freuen, wenn Leute die Jungs aus Afrika helfen können, dass Fußball sich dort weiter verbessert in Zukunft. (auf Musik) Absage: Fußballsklaven ? Die Reservearmee der westlichen Klubs Sie hörten ein Feature von Michael Reitz Es sprachen Frauke Poolman, Philipp Schepmann, und Walter Gontermann Ton und Technik Hendrik Manook und Anne Bartel. Regie und Redaktion Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks mit dem Saarländischen Rundfunk 2010 1 1