COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Literatur, 22.12.2009, 19.30 Uhr Literarische Zeitansagen Eine akustische Kalenderschau von Sigried Wesener (Geräusch/ Atmo : Boxen/ Musik: Edin Karamazow Track 1 mit Text mischen) Zitator: (Boxen) Das ist nun so. Je freier und je nackter, je mehr enthüllt das Herz sich. Offen liegt beim Boxen und beim Lieben der Charakter des Partners, der sich hüllenlos besiegt. (Kurt Tucholsky) Zitatorin: Mach ihn fertig, Schatz, und warte nicht länger als nötig und vergiss nicht, mir zu telegrafieren, wenn alles vorbei ist. Gib ihm mit deiner berühmten Linken auf die Nase, Schatz, ohne Rücksicht auf sein Aussehen, er sieht sowieso nicht aus. (Ring Largner) Zitator: Ein Mann soll immer das tun, wozu er Lust hat. Nach meiner Ansicht. Wissen Sie, Vorsicht ist die Mutter des K.o. (Bertolt Brecht) Zitatorin: Und der Boxer, der geschlagen ist, er ist eine lange Stunde ? manchmal für immer ? der einsamste Verlierer auf der Welt. (Jörg Fauser) Zitator: Boxen ist ein Urschrei, Boxen ist ein Kompromiss, den eine mörderische Gesellschaft eingeht mit ihren Opfern?. (Wolf Wondratschek) (Geräusch: Boxen) Autorin: Schlag auf Schlag, Athletik und Grazie, Schnelligkeit und Konzentration. Mythos Boxen. Mann gegen Mann. Frau gegen Frau. Der Faustkampf fasziniert seit jeher die Dichter als Ausnahmesituation, als Ausdruck von Kraft und Kalkül und als Synonym für das Schreiben, für den Kampf mit dem weißen Papier und die Einsamkeit des Autors. Eine Boxerin am Punchingball eröffnet den Bilderreigen von Plakaten, Karikaturen, Gemälden und Fotos ? Seite für Seite, Monat für Monat: Schreiben und Boxen. Rainer Moritz, Fußballfan und Schlagerexperte, Buchautor und Kolumnist, kreativer Kopf des Hamburger Literaturhauses hat für Artemis & Winkler in die Zitatenkiste gegriffen und von Bert Brecht, der sich bisweilen einen Sandsack ins Arbeitszimmer hing bis Wolf Wondratschek, der ab und an die Boxhandschuhe überzog, Texte in den Ring geworfen. Das ist die sportliche Offerte, die Artemis &Winkler im kommenden Jahr dem traditionellen Literaturkalender und den ?Lesenden Frauen? an die Seite stellt. Das Reservoir der ins Buch versunkenen Schönen ist groß, Degas, Hopper, Matisse liefern im Kalender ?Lesende Frauen? den farbigen Blickfang für literarische Texte ausschließlich von Autorinnen wie Kathrine Mansfield, Carson McCullers, Karen Duve und Doris Lessing: Take. Doris Lessing (S.4) Ich habe schon sehr früh lesen gelernt und meine Mutter war ziemlich gut darin, uns Lektüre zu beschaffen. Als ich mit acht Jahren auf die Klosterschule kam, hatte ich zum Entsetzen der Nonnen bereits Dickens gelesen, was sie unpassend für ein kleines Mädchen fanden. Aber mir hat das nicht geschadet, im Gegenteil. Lesen war meine Erziehung. Zitatorin Denk daran, dass das Buch, das dich langweilt, wenn du zwanzig oder dreißig bist, eine Offenbarung sein kann, wenn du vierzig oder fünfzig bist ? und umgekehrt. Lies kein Buch, wenn nicht die Zeit dafür gekommen ist. Autorin Anna, Hauptfigur im ?Goldenen Notizbuch? von Doris Lessing las zehn und mehr Bücher pro Woche, weil sie als Rezensentin ihr Geld verdiente und entdeckte, dass unter fünfhundert Romanen höchstens einer ist, Zitatorin ?der die Qualität hat, durch die ein Roman erst zum Roman wird ? die Qualität der Philosophie.? Musik (Alexander Borodin: Streichquartett ? unterlegen ab : aufblättern) Autorin Wer sich darüber hinaus für die angesagten Literaturjubiläen und ?termine interessiert, sollte den klassischen Artemis&Winkler-Kalender aufblättern: bereits im Januar wird die Theater- und Literaturwelt Anton Tschechows 150. Geburtstag feiern. Ohne ?Onkel Wanja?, den ?Kirschgarten? oder ?Drei Schwestern? wären die Bühnen der Welt ärmer, immer wieder reizt Theatermacher diese Szenerie von kleinmütigen Intellektuellen, heruntergekommenen Kleinbürgern und Adligen, von ungeliebten und verblühten Wesen, die sich in der russischen Provinz gegenseitig an den Abgrund treiben. Zitatorin Oh, wo ist sie? Wohin ist sie entschwunden, meine Vergangenheit, als ich jung war, froh und klug, als ich noch träumte und Schönes dachte, als Gegenwart und Zukunft noch von Hoffnung erfüllt waren? Wovon werden wir, kaum dass wir angefangen haben zu leben, so langweilig, grau, uninteressant, träge, gleichgültig, nutzlos, unglücklich?. Musik: Biermann/Was wird bloß aus unsren Träumen/ CD Autorin Sie würde der Droste gern Wasser reichen, ist Erlkönigs-Tochter, weiß Zaubersprüche, huldigt der Pantherfrau und den simplen Dingen des Lebens. Der Dramatiker Peter Hacks sprach vom Sarah-Sound, jenem romantisch-schönen und gleichzeitig nüchternen Ton der Sarah Kirsch. Sie ist eine wichtige lyrische Stimme im - wie sie es nannte: ?zusammengeschmissenen? Land. Take: Gedicht: Sarah Kirsch: Großer Stern //30?? A: Großer Stern E: in den Himmel gesprengt. Autorin: Vom Hochhaus auf der Berliner Fischerinsel sah Sie in den unerreichbaren Westen, wenn die Kugel des Fernsehturms nicht blendete. Die 1935 im Südharz geborene Dichterin setzte dem Wir-Ton der DDR-Literatur ein lyrisches Ich entgegen. Wie ihre Dichterkollegen Kunert und Kunze verließ sie nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns die DDR. Im April feiert sie den 75. Geburtstag. Auch die Sagan wäre - im Juni - 75 geworden. Kalendergeschichten. Poeten treffen auf Prosaiker, Sinnsprüche auf Satiren. Auffällig auf allen Wegweisern durchs Jahr: der Ernst triumphiert über den Humor. Da scheinen sich die Kalendermacher einig zu sein. Die Auguren schauen skeptisch aufs erhoffte Wunder Wirtschaft und immerhin beschließt das neue Jahr das erste Jahrzehnt im 21. Jahrhundert. Da lohnt es, eine Denkminute einzulegen, zurückzuscrollen oder sich in Wunschwelten zu beamen. Artemis & Winkler blättert 400 Jahre zurück, erinnert an den Spanier Balthasar Gracian. ?Handorakel und Kunst der Weltklugheit? heißt seine berühmte Spruchsammlung, die Arthur Schopenhauer übersetzt hat. Zitator: A&W Keiner kann Herr über sich sein, wenn er sich nicht zuvor begriffen hat. Spiegel gibt es für das Antlitz, aber keine für die Seele?. Autorin Im kommenden Jahr wird an Johann Peter Hebel keiner vorbei schauen: Am 10.Mai jährt sich der 250. Geburtstag des Vaters der Kalendergeschichten. Und auch der sächsische Theologiestudent ist present, der als Soldat in den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg geschickt und mehrfach eingekerkert wurde, bevor er seine berühmt gewordenen Reisen nach Syrakus und Russland unternahm: Johann Gottfried Seume. Der Aufbau-Literaturkalender erinnert im Juni an seinen 200. Todestag. Zitator Wir haben seit Karl dem Großen in unserem Vaterlande ein so sonderbares Gewerbe von Halbgerechtigkeit, Halbfreiheit, Halbvernunft und überhaupt von Halbexistenz gehabt, dass sich die Fremden bei näherer Einsicht schon oft gewundert haben, wie wir noch so lange politisch lebten. Die Krisen waren häufig und sind jetzt gefährlicher als jemals. Autorin Ferdinand Freiligrath, der Freiheitsdichter, ? 2010 jährt sich sein 200. Geburtstag - wollte sich auch nicht ganz freiwillig nach Amerika aufmachen, als die 48er Revolution ausbrach. Er feuerte mit Versen die Barrikadenkämpfer an und landete wegen ?Aufreizung zu hochverrätherischen Unternehmungen? vor Gericht. Die Revolution 1848 war gescheitert. Diesen Drang nach politischem Wandel Mitte des 19. Jahrhunderts und die bittere Niederlage erlebte 100 Jahre später, nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkrieges, auch jene Aufbaugeneration, die in dem kleineren deutschen Staat sozial gerechte Verhältnisse schaffen wollte und wiederum schmählich scheiterte. Die ?Ankunft im Alltag? ließ schon früh Utopie geladene Träume platzen. Der Aufbaukalender wirbt auf dem Cover mit Brigitte Reimann. Selbstbewusst schaut die Autorin des Romans ?Franziska Linkerhand? in die Kamera. Take: Reimann Die Idee ist mir dadurch gekommen, dass ich in dieser neuen Stadt wohne, deren wachsen ich da verfolgt habe und dann geht es mir in diesem Buch um diese alte Geschichte von den grossen Erwartungen, von dem Ehrgeiz der jungen Leute, von dem, was aus ihren Entwürfen wird, aus den großen Plänen ihrer Jugend. Zitatorin: ?Für ein paar Sekunden ein anderer Mensch sein? Autorin: mit diesem Zitat zum Foto von Brigitte Reimann wirbt der Kalender, der verlässlich die runden Jubiläen mit Text und Bild in Szene setzt. Zum 50. Mal jähren sich die Todestage von Albert Camus, Vicky Baum, Boris Pasternak. Auch ihnen sind wöchentliche Erinnerungsblätter zum Lesen und Anschauen gewidmet. Gleich zweifach fordert Mark Twain 2010 Aufmerksamkeit, dem 100. Todestag im April folgt im November der 175. Geburtstag. Zitator Zitat: HÖRSPIEL ca. 30??) Autorin: Das Jubiläumsjahr krönt der Hanser-Verlag mit Andreas Nohls Neuübersetzung von ?Tom Sawyers Abenteuer? und ?Huckleberry Finn?. Im Deutschlandradio als mehrteiliges Hörspiel neu inszeniert, wird es ab 10. März zu hören sein. Eine verkürzte, leicht variierte Ausgabe des Kalenderklassikers liefert der Aufbau- Verlag mit seinem Schreibtisch-Wochenplaner. Viel Platz für eigene Notizen, die mit den literarischen Zitaten bisweilen im Clinch liegen werden. Das Tempo unserer Zeit, Terminflut und Eventwahn konkurrieren mit Reflexionen über den Lebenssinn. Musik: Edin Karamazow Track 1 Autorin: 1885 - das Todesjahr von Viktor Hugo, der die Not der ?Elenden? von Paris realitätsgesättigt schilderte, erweist sich als Geburtsjahr bedeutender Autoren: Zum Beispiel von Egon Erwin Kisch, dem gebürtigen Prager. Der Aufbau-Literaturkalender zitiert zum 125. aus einem Selbstgespräch: Pepi Schnelläufer interviewt Egon Erwin Kisch. Auf die Frage nach den drei glücklichsten Momenten in seinem Leben antwortet der ?rasende Reporter?: Zitator: Erstens, als mir die Mädels im Hippodrom mit einer Mehrheit von 120 Stimmen den Schönheitspreis von 1910 zuerkannten. Zweitens, als ich bei der nordböhmischen Fußballmeisterschaft für den Teschner Klub das entscheidende Tor gegen Lobositz geschossen habe. Und drittens, als ich in Konstantinopel aus der Aja-Sophia-Moschee glücklich herausgelangt war, noch bevor mich die Muslime, die mich als Ungläubigen erkannten, zu lynchen vermochten.? Musik: Out of Afrika/ Track 1 ? Anfang 20?? Autorin: 1885 vermerkt auch das Geburtsjahr von Karen Blixen, die durch Sydney Pollaks Verfilmung ?Jenseits von Afrika? großen Nachruhm erhielt. Zitatorin Hundert Meilen nördlich lief der Äquator durchs Hochland, aber die Farm lag in einer Höhe von über zweitausend Metern. Da spürt man tagsüber die Höhe, die Nähe der Sonne, aber die Morgenfrühe und die Abende sind klar und friedvoll, und die Nächte sind kalt. Aus Selbsterhaltungstrieb musste ich meine Kräfte auf etwas konzentrieren. Musik: Out of Afrika/ Track 1 Autorin Auch der ?Berühmte Frauen?- Taschenkalender aus dem Hause Suhrkamp geht am 125. Geburtstag Karen Blixens nicht vorbei. Porträts außergewöhnlicher Frauen von Vicky Baum bis Madame Tussaud, die schweizerisch-englische Wachsbildnerin und Unternehmerin wäre im Dezember 250 Jahre alt geworden, leiten die Monate ein, ergänzt durch Daten, die von Tag zu Tag an Künstlerinnen erinnern, die im Atelier, auf der Bühne oder am Schreibtisch über ihre Zeit hinaus wirkten. Diese Form hat auch der deutsche Taschenbuchverlag aufgenommen und sich mit thematischem Schwerpunkt in die Phalanx literarischer Kalender gestellt. In azurblaues Leinen gebunden, verkündet die Bauchbinde ?Die Liebe zum Meer?. Auch hier werden Geburts- und Todesdaten mit Schwarzweißfotos und literarischen Zitaten ergänzt, dazu liefert er Freiraum für Notizen. Die Auswahl überrascht mit Namen wie Käthe Kollwitz, die eine Fahrt an den Badestrand von Rauschen, der Badeidylle nahe Königsberg, beschreibt, den italienischen Dichter Giuseppe Ungaretti würdigt oder an den zeitweilig in Russland lebenden polnischen Autor Mariusz Wilk erinnert ?in Zeiten der Westemigration eine Ausnahme unserer Tage. Schließlich strande ich bei Kurt Schwitters und seinen Erfahrungen auf See: Zitator Eine Seereise ist kein Vergnügen. Eine Seereise kann ein Vergnügen sein, wenn man vergnügt ist. Vergnügungsreisen werden meist gereist von Missvergnügten. Sie genügen sich nicht, das Land genügt ihnen nicht, da suchen sie ihr Vergnügen auf der See, indem sie reisen?.. Autoren: Autorenporträts, Buchtipps, Daten aus der Buchwelt liefert tagtäglich der Harenberg-Literaturkalender. Der Abreißkalender wirbt mit der New Yorkerin Lily Brett, mit dem Cover von Nick Hornbys Buch- und Filmerfolg ?About a boy? und mit Orhan Pamuk. Amüsiert blickt er - vor rotem Hintergrund - in die Kamera. Der Nobelpreisträger von 2006 erhielt bereits im Jahr zuvor den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Zum Buchmessenstart am 6. Oktober erinnert sein Foto an die Auszeichnung, die übrigens vor 60 Jahren erstmals vergeben worden ist. Pamuks Romane und Essays zeigen die Verwurzelung in seiner Heimatstadt Istanbul und öffnen die ?orientalische Pforte? für moderne Erzählformen. Take: Pamuk Istanbul ist in meinem Kopf, über Istanbul habe ich am besten geschrieben, wenn ich nicht in Istanbul war. Ich habe Vertrauen in mein Gedächtnis und alles, was ich gesehen habe, trage ich für immer dabei. Autorin: Schreiben & Lesen ? ein unerschöpfliches Reservoir. Der Arche-Literaturkalender behauptet seine Sonderrolle, Jubiläen und Daten thematisch aufzubereiten. Auf dem Cover: Susan Sonntag, von Freundin Annie Leibovitz abgelichtet, die gerade hoch verschuldet für Schlagzeilen sorgte. Die Ellenbogen aufgestützt auf dem Schreibtisch: Tischlampe, Laptop, Notizblock, Stift, Brille liegen bereit. Das Foto hält den Moment fest, da das Schreiben beginnen kann, der Blick sich von außen nach innen kehrt. Zitatorin Es gibt nichts Qualvolleres, als eine nicht erzählte Geschichte in sich herumzutragen. Autorin: meint Zora Neale Hursten, afroamerikanische Autorin, die über die Südstaaten schrieb. Ein Januarkalenderblatt erinnert zum 50. Todestag an eine der wichtigsten Stimmen der ?Harlem Renaissance?. Heinrich Mann mit gleichem Todesjahr gesteht seinem Bruder, dass er im Bett aufgestützt jeden Abend in den ?Geschichten Jaakobs? lese. Dichter und Arzt Gottfried Benn beschreibt für die ?Welt am Sonntag? seinen Schreibtisch: Zitator: Auf diesem Schreibtisch (73 cm zu 135 cm) liegen grosse Bündel von Briefen (die ich noch nicht beantwortete), von Manuscripten (die ich noch nicht las), von Zeitschriften, Büchern, Probesendungen von Medikamenten, Stempelkissen (für die Rezepte), drei Kugelschreiber, zwei Aschenbecher, ein Telefonapparat. Es ist eigentlich kein Raum zum Schreiben da, trotzdem ermögliche ich es durch Fortschieben der Massen mit Hilfe der Ellenbogen? Take : Benn: Ein Wort / Cd 2/ Track 7 //32??Ein Wort, ein Satz ?..um Welt und ich. Autorin Der Arche- Literaturkalender liefert zu den literarischen Zitaten viele Details und Episoden, zum Beispiel ist zu erfahren, dass Hermann Hesse 1908 in Gaienhofen am Bodensee erste Erfahrungen mit der Schreibmaschine macht. Zitator Sie heißt ?Smith Premier Nr. 4? und kostet allerdings neu 500 Mark (ich bekam sie für 420). Autorin Mark Twain, der auch bei ?Arche? im Blickfeld des Kalenders steht, lieferte 1874 als erster Autor ein auf einer Remington geschriebenes Manuskript beim Verlag ab. Die fehlende Schreibmaschine beklagt hingegen Walter Benjamin und berichtet Siegfried Kracauer, nicht ohne Erleichterung, vom Verlust des ?Haustyrannen?, seines in Paris gekauften Füllfederhalters. Komponist Paul Bowles schließlich, wie Jean Annouillh und Jean Genet als Hundertjähriger geehrt, will Schriftsteller werden und macht sich 1947 von New York nach Tanger auf, denn Zitator: Um einen Roman schreiben zu können, muß man allein sein. Autorin Allein, ganz auf den Autor und Maler Hermann Hesse konzentriert, zeigt sich wiederum der Suhrkamp-Kalender. Im kommenden Jahr startet nach 60 Frankfurter Jahren das Berlin Kapitel von Suhrkamp. Neuanfang und Kontinuitäten, dazu zählt in der Pappelallee in Berlin Prenzlauer Berg, der künftigen Verlagsadresse, auch Hermann Hesse. Sein Name steht wie der von Bertolt Brecht am Beginn der Geschichte des Verlages. Der Kalender versammelt Aquarelle, Farben einer Landschaft, die zart aufleuchten und hineinstrahlen in die 12 Monate des nächsten Jahres. Eingefügt sind Zitate vom Dichter Hesse, mit denen man gut durch die Monate und Jahreszeiten kommt, den Duft der Narzissen in der Nase spürt, nochmals im Garten die ?Erdbeeren glühn? sieht oder in Versen nachdenklich dem November 1914 nachsinnen kann: Zitator Wald lässt die Blätter sinken, Talnebel hängen schwer, Es hat der Strom kein Blinken, der Wald kein Rauschen mehr Da kommt der Sturm gepfiffen Und schüttelt lichtes Haar Und fegt mit festen Griffen Das Land vom Nebel klar. Musik (R. Strauss: Rosenkavalier: CD 1 Track 19) Autorin Vor 99 Jahren erklang die Arie der Marschallin in der Dresdner Semperoper, begann die Erfolgsgeschichte des ?Rosenkavaliers? von Richard Strauss. Wie das Opernhaus an den Brühlschen Terrassen gehört seit 2005 auch die Frauenkirche zur Silhouette der Elbestadt und ziert das Cover ?Literarisches Dresden? der Edition Ebersbach. Zitator: Dresden, das war ein unablässiges frauliches Schenken. Autorin: Erinnerte sich Erich Kästner, der hier geboren und 1930 Bibliothekar der Sächsischen Landesbibliothek wurde. Der später in München lebende Schriftsteller eröffnet und beschließt den Reigen und tritt auch zwischendurch auf, um der ?Sandsteinschönen? zu huldigen. Susanne Dagen, Dresdner Buchhändlerin und Grafiker Karsten Heim machen das prunkvolle, im Zweiten Weltkrieg erloschene und in den letzten Jahren wieder erstrahlende Elbflorenz zu einer sinnlichen Erlebniswelt. Dresden war und ist eine Stadt der Poeten. Die Auswahl versammelt die Zugezogenen wie Victor Klemperer, der mit seinem Tagebuch den täglichen Antisemitismus in Hitler-Deutschland geschildert hat, wie Lyriker Kurt Drawert, der in den 70ern auch in der Sächsischen Landesbibliothek ?überwintern? konnte oder Marcel Beyer, der seit 1996 in Dresden zu Hause ist. Take: Beyer ich habe mir gewissermaßen mein Dresden erobert, was eine lange Zeit des Horchens, Zuhörens, einfach der Geduld vorweg bedeutet hat. Ich bin nach Dresden gezogen und wusste, ich werde erstmal einige Jahre nur zuhören oder warten, dass Freunde und Bekannte ihre Geschichten erzählen und irgendwann wird es dann in einen Roman münden. Und wenn man an das 20. Jahrhundert denkt, bietet sich gewissermaßen so eine Figur wie der Kaltenburg an, um vorzuzeigen, wie sich jemand im Rückblick sein Leben dann doch gradliniger gestaltet in der Erinnerung als das Leben tatsächlich gewesen ist. Anfang der 60er Jahre, nach 12 Jahren ist die Bedrängnis von außen so stark, dass er über Nacht in den Westen verschwindet. Autorin: Kaltenburg geht, Marcel Beyer bleibt. Elbflorenz lockte zu allen Zeiten Besucher an, auch Honoré de Balzac im Jahre 1854. Zitator Es ähnelt einer Hauptstadt und alles ist hier entzückend Autorin: Postkartenpoesie Zitator Hier trinkt man Luft statt Bier, badet in der Luft statt im Wasser Autorin: Franz Kafka kurte 1903 auf dem weißen Hirsch und brachte aus dem Sanatorium das Gugelhupf-Rezept mit. Theodor Fontane fehlten dagegen die musischen Anregungen als er sechs Jahrzehnte früher in Dresden war. Zitator: ?so begreif ichs kaum, dass ich binnen acht Tagen noch zu keinem Lied begeistert worden bin? Autorin: Goethe und Schiller waren hier und Hans Christian Andersen. Als gebürtige Dresdener fehlen auch heutige Dichter und Prosaiker von Rang nicht: Volker Braun, Ingo Schulze, Uwe Tellkamp und Thomas Rosenlöcher, letzterer war ein vehementer Streiter für den Erhalt der natürlichen Elbtallandschaft. Take: Rosenlöcher Wenn dieses 89 irgendeinen Sinn haben sollte für mich, dann war das, dass man sich wehren sollte und dass ich das so ein bissel aus meiner DDR-Geschichte gelernt hab. Und dadurch gerate ich in solche Sachen rein wie mit der Waldschlösschenbrücke und die sie nun doch bauen idiotischerweise. Aber es ist in der Tat für mich so, als Schriftsteller muss ich immer auf dem Stühlchen sitzen und meine Sätze suchen, um diesen Zwiespalt trotzdem auszuhalten, sich einzumischen. Das muss sein. Sonst würde ich mich selbst verraten, solange ich das kann, muss ich das machen. Autorin Immer neue, überraschende Blicke auf die architektonischen Anziehungspunkte, auf Stadtlandschaft mit Fluss gibt der Kalender preis, mal von historischen Postkarten und Gemälden von Hofmaler Canaletto bis Ludwig Richter, Carl Gustav Carus bis Helge Leiberg, dann mit Fotos vom Jahrhundertwasser, dem verwitterten Klingelbrett mit der Nummer 11, das in der II. Etage ein Schild mit dem Namen Tellkamp zeigt. Mein Blick verharrt in der Metallkonstruktion des Blauen Wunders, das bei Sonnenuntergang ganz fremd wirkt. Durs Grünbein hat den Dresdner Glanz und den Untergang in seinem Poem ?Porzellan? bedichtet, da hatte er Dresden längst den Rücken gekehrt: Take: Grünbein Die Luftwurzeln werden immer stärker. Ich bin kein Heimatdichter. Ich bin ja auch kein, vielleicht leider muß ich sagen, kein Landschaftsdichter, denken wir an Hölderlin und Stuttgarter Umgebung. Das alles fehlt. Ich bin sozusagen ein Großstadt- oder Stadtkind. Und so hat es mich eben von Anfang an von Stadt zu Stadt getrieben, also von Dresen nach Berlin. ?. Autorin Die Kalendermacher zeigen, wie Bild und Wort mal streng getrennt korrespondieren, dann wieder miteinander verschmelzen. Schließlich bleibe ich noch an einem fast durchgehend bedruckten Wochenblatt hängen. Das Damen Conversations Lexikon aus dem Jahre 1835 wirbt für die 65 000 Einwohner zählende Stadt: Zitator Die hiesige Heiterkeit trägt schon mehr den südlichen Charakter. Die Liebenswürdigkeit der Dresdnerinnen ist sprichwörtlich; sie sind gebildet und nicht überbildet, geistreich, gesprächig, intelligent, poetisch; elegant in der Tracht und nicht modisch überladen, vergnügt, aber nicht vergnügungssüchtig?. Autorin: Dies ist der einzige Ort im Kalender, der zwar nicht Frauen, aber über Frauen sprechen lässt. Dresden, die Schöne an der Elbe, ist offenkundig Domäne der Dichter ? Musik: Edin Karamazow Track 1 Zitatorin: dlus Elaine Equi Schrank/Schrein Wenn ich ein Bild habe für den Geist, dann ist es ein Gemischtwarenladen: Kisten und Konservenbüchsen, zum Verrücken und dahinter Abstauben. Die Idee und ihr Gegenpart, Lack und Terpentin, Seite an Seite ? Honig und Essig auf dem Regal darunter. Autorin: Die Verse der amerikanischen Poetin Elaine Equi stapeln sich auf Regalbrettern, werden im Spiegelbild verdoppelt. Der lyrische Postkartenkalender des Daedalus-Verlages behauptet sich Jahr für Jahr mit eigener Handschrift im Kalenderuniversum. Farbliche und typographische Gestaltung spielen mit den zitierten Versen. Der optische Reiz zielt ganz auf den Text. Profaner Autorenalltag reibt sich an hehren Gedanken, zum Beispiel von Günter Eich. Zitator von wörtern erwarte von wörtern nichts sie tun es nicht für dich sie kommen gierig überschwemmen dich und dein papier nicht was sie dir antun doch was du dem geringsten von ihnen angetan kann etwas sein Autorin: Treffsicher zielt der Postkartenkalender des Aufbauverlages auf Wirkung beim Betrachter. Querbeet liefert er Sentenzen, die sich festhaken und Monat für Monat als Gruss in die Welt gehen ? zum Beispiel von Irmgard Keun, Eugen Roth, O?Henry, Carlo Collodi und Brigitte Reimann: Zitatorin: (Aufbau (Irmgad Keun) Vater unser, mach mir mit einem Wunder eine feine Bildung ? das übrige kann ich ja selbst machen mit Schminke. Zitator: (Eugen Roth) Man sagt, das ein Vogel habe, Jedweder, der durchs Leben trabe. Zitatorin: O?Henry Wenn du nicht allzusehr beschäftigt bist, Liebling, dann komm zum Mittagessen Zitator: : (Carlo Collodi) ?Arbeiten meine ich, ist eine rechte Plage?. ?Beinahe alle, die so reden, mein Junge, enden im Gefängnis oder im Spital?. Zitatorin: (Brigitte Reimann) Nächste Jahr lasse ich die Teufel tanzen, das werdet ihr sehen. QUELLENANGABEN Autor Titel des Buches Verlag Ersch. Jahr Übersetzer Lyrik/ Zeilenanz./ Zeit in Min. Lessing, Doris Das goldene Notizbuch S. Fischer 1978 Iris Wagner P 6 Kisch, Egon Erwin Pepi Schnelläufer interviewt Egon Erwin Kisch aus: Ges. Werke Aufbau 1968 P 6 Blixen, Karen Jenseits von Afrika Rowohlt 2003 Rudolf von Scholtz P 4 Schwitters, Kurt Seereise aus: Das lit. Werk/Prosa Bd. 3 DuMont 1973 P 4 Benn, Gottfried Ein Wort aus: Das Hörwerk 1928-56 Klett-Cotta 2004 L 32?? Hesse, Hermann Wald lässt die Blätter sinken aus. Sämtl. Werke Suhrkamp 2001-2007 L 8 Grünbein, Durs Porzellan Suhrkamp 2005 L 4 Equi, Elaine Schrank/Schrein aus: Sehen heißt ändern Hanser 2006 J. Brocan L 14 Eich, Günter Von Wörtern aus: Ges. Werke/ Gedichte Suhrkamp 1973 L 15 Kirsch, Sarah Großer Stern aus: Erdreich DVA 1983 L 12 Reimann, Brigitte Jede Sorte von Glück Aufbau 2008 P 2 Tucholsky, Kurt Meeting aus: Ders.,Ges. Werke Rowohlt 1960 P 2 Brecht, Bertolt Der Kinnhaken Suhrkamp 1995 P 2 Fauser, Jörg Blues für Blondinen Alexander Verlag 2007 P 2 Wondratschek, Wolf Im Dickicht der Fäuste dtv (Originalausg.) 2005 P 2 16