COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 2. Juli 2007, 19.30 Uhr Stark und mächtig oder nur ''gleich?? - Frauen in der Politik Von Rosemarie Bölts Spr. vom Dienst Stark und mächtig oder nur ''gleich'? - Frauen in der Politik Von Rosemarie Bölts Take 1 (Sabine Asgodom) Gleich nicht. Mächtig nicht. Stark nicht. Jedenfalls noch nicht in der Auswirkung. Also ich würde eher sagen: vorsichtig, selbstzweifelnd und ungeschickt. Was eine böse Verallgemeinerung ist, weil: wir haben sehr toughe Politikerinnen. MUSIK (Cicero: ?Frau?n regier?n die Welt?) Take 2 (Lötzsch/Heinen) Vor allem in taktischen Fragen kann man von Frau Merkel lernen. Und ich glaube, von ihr kann man vor allen Dingen lernen, auf den richtigen Augenblick zu warten. Angela Merkel hat den Frauen unglaublich gut getan. Das heißt, sie motiviert nicht nur Frauen in der Partei wie in der Gesellschaft insgesamt, für ihre Ziele zu kämpfen, weil Angela Merkel sehr deutlich gemacht hat, dass Beharrlichkeit, Ausdauer, Intelligenz zum Ziel führen, auch in Branchen, wenn man die Politik mal als Branche bezeichnet, die stark männerorientiert sind. MUSIK (Cicero: ?Frau?n regier?n die Welt?) Take 3 (Renate Schmidt) Eine Bundeskanzlerin macht noch keinen feministischen CDU-Sommer, also da hat die CDU noch einen erheblichen Nachholbedarf, übrigens die FDP auch, aber das ist nicht das einzig Wichtige. Sondern das Wichtige ist, wo werden die Entscheidungen getroffen, wer sitzt im Koalitionsausschuss? Sprecherin Renate Schmidt, 63 Jahre, seit 1972 in der SPD. War nacheinander: Landesvorsitzende in Bayern. Kandidatin für das Ministerpräsidentenamt in Bayern. Präsidiumsmitglied, stellvertretende Bundesvorsitzende ihrer Partei, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Zu ihrem eigenen Entsetzen sollte sie 1993 Kanzlerkandidatin werden, was sie ablehnte. Schließlich Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Seit dieser Legislaturperiode ist sie wieder einfache Abgeordnete des Deutschen Bundestages: Take 4 (Renate Schmidt) Ich bin, ohne dass ich es jemals geplant hätte, hauptberuflich in die Politik zu gehen, Politikerin geworden. Ich bin noch zwei Jahre vor dem Wahltermin 1980 mit meinem Mann durch die Stadt gefahren, habe ihm gesagt, so etwas wie Abgeordnete könnte ich niemals werden. Hat er gesagt, warum nicht. Habe ich gesagt, ja, stell dir mal vor, du musst wochenlang an deinem Bild vorbeifahren. Das ist ja grauenhaft. Ich find?s auch heute noch grauenhaft, wenn man aus nem Kaufhaus rauskommt, und da ist ein Dreiecksständer da, man glotzt sich selber an, also es ist nicht besonders schön. Ich glaube, solche Überlegungen haben Frauen häufiger als Männer. Und ich bin dann, weil der Karren im Dreck stak? das ist übrigens ein Phänomen, warum Politikerinnen in Funktionen kommen ? ich hab typisch weiblich reagiert. Ich habe gesagt: das kann ich nicht, das schaff ich nicht, das ist für mich eine Nummer zu groß. Also, für mich war dann schon ausschlaggebend, dauernd erzähl ich, sollen Frauen in Funktionen, und wenn ich?s dann sein soll, sag ich, huch, nein, ich bitte nicht. Und habe es dann aber gemacht und habe dann durch immensen Fleiß meinen Wahlkreis auch ebenso unverhofft direkt gewonnen, und hab sehr schnell gelernt, dass man, wenn man Erfolg haben will, sich der Sprache, der Probleme der Männer im Prinzip in hohem Ausmaß anpassen muss. Und das hat sich geändert. Sprecherin Zur Erinnerung: Bei der ersten Bundestagswahl 1949 betrug der Frauenanteil unter den Abgeordneten knapp sieben Prozent. In der DDR-Volkskammer 27,5. Erst mit dem Einzug der Grünen 1987 stieg die Kurve im Westen gemächlich nach oben auf 15,4 Prozent bis zum wiedervereinigten Spitzenwert 2002: 32,2 Prozent, also noch nicht einmal ein Drittel. In der aktuellen Legislaturperiode ist der Anteil der gewählten Frauen schon wieder auf 31,6 Prozent gesunken. Übrigens sind von den knapp 62 Millionen Wahlberechtigten mehr als die Hälfte Frauen, so viele, wie es ihrem Bevölkerungsanteil - 52,4 Prozent - entspricht. Take 5 (Anna Lührmann) Ich finde immer wieder, dass es ein spannendes Thema ist und geh auch sehr gern zu Veranstaltungen, wie Frauen besser in Führungspositionen kommen können, weil ich selber immer noch keine Antwort darauf habe, was man tun muss, damit das endlich passiert. Sprecherin Anna Lührmann, 24 Jahre, engagierte sich bereits mit neun bei Greenpeace. Mit 13 wurde sie Mitglied bei der Grünen Jugend und mit 15 bei Bündnis 90/Die Grünen. Als sie in den Bundestag einzog, war sie 19, die jüngste Abgeordnete überhaupt. Fühlt sie sich machtlos? Take 6 (Anna Lührmann) Eigentlich nicht. Wir sind ja bei uns auch mehr Frauen als Männer in der grünen Fraktion. Im Bundestag allerdings hatt? ich schon manchmal das Gefühl, dass ich als junge Frau skeptisch beäugt werde von älteren Herren, so. Das hat mich aber nie großartig gestört, weil die meistens weniger mächtig waren als ich und, ja, dann muss man sich davon nicht beeindrucken lassen. Ja, zum Beispiel durch abfällige Kommentare, wo ich das Gefühl habe, wäre ich ein älterer Mann mit ?nem dicken Bauch gewesen, wäre das nicht so gekommen. Sprecherin Frauen an der Spitze. Konrad Adenauer wurde mit weiblicher List überredet, 1961 die erste Ministerin ? für Familie und Gesundheit ? in sein Kabinett zu berufen. Parteikolleginnen hatten ihm mit Entzug seiner Schokoladenzufuhr gedroht. Heide Simonis, SPD, durfte sich 1993 im Trümmerhaufen ihrer Partei zur Ministerpräsidentenkandidatin aufstellen lassen und dieses Amt als bisher einzige Ministerpräsidentin bundesweit zwölf Jahre mit großem Erfolg führen, bis sie 2005 von einem Parteikollegen hinterrücks gestürzt wurde. Rita Süßmuth, CDU, immerhin schon die zweite Bundestagspräsidentin in dieser Republik, wurde von Helmut Kohl erfolgreich weggemobbt. Aktuell ist zwar der mächtigste Posten im Staat mit Angela Merkel besetzt, die gleichzeitig Parteivorsitzende ist, es gibt auch noch fünf Ministerinnen in der 16-köpfigen Großen Koalition ? aber in den Ausschüssen, Fraktionen und Parteigliederungen nehmen Frauen in allen Parteien höchstens Stellvertreter-Positionen ein. Zum Beispiel Doktor Gesine Lötzsch, 45, bis vor zwei Wochen noch Linkspartei, jetzt ?Die Linke?, die zusammen mit Petra Pau, 43, im vorigen Bundestag tapfer die diskriminierende Situation am ?2-Frauen-Katzentisch? der Linkspartei ertragen hat. Eigentlich hätte ihre Partei sie in dieser Legislaturperiode für einen der sechs Vize- Bundestagspräsidenten vorschlagen müssen: Take 7 (Gesine Lötzsch) An die Frauensolidarität wird ja gern und häufig auch von Frauen appelliert. Real sind Frauen aber häufig ungeübter, diese Solidarität auch effektiv umzusetzen und ihre Netzwerke so zu stärken, wie es sein müsste. Also, als es darum ging, wer wird von unserer Fraktion aufgestellt, da sind denn Frauen auch vorgeprescht und haben sich auf die Seite der Männer geschlagen. Und da gab es in der Tat dann für mich eine Niederlage. Der Kandidat, der vorgeschlagen wurde, ist in vier Wahlgängen ja bekanntermaßen gescheitert. Aber ich habe mit dieser Kandidatur, glaube ich, bewirkt, dass in den Führungspositionen in der Fraktion, also im Fraktionsvorstand, was die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden betrifft, doch mehr Frauen letztendlich Berücksichtigung fanden, als das ursprünglich mal vorgesehen war. Sprecherin Den Posten im Bundestagsvizepräsidium hat nach dem Abstimmungsdesaster Lothar Biskys Petra Pau bekommen, so souverän, wie sie übrigens schon ihr Direktmandat in Berlin gegen so bekannte Männer wie Bundestagspräsident Wolfgang Thierse von der SPD und den Menschenrechtsbeauftragten Günter Nooke von der CDU verteidigt hat. Und so bescheiden. In der Fraktion der Linkspartei ist Petra Pau - richtig - stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Es geht nicht um Putsch, sondern um Taktik, erklärt sie auf den Fluren des Bundestages. Und die muss frau normalerweise hart erleiden: Take 8 (Petra Pau) In den inzwischen 16 Jahren, in denen ich Politik, auch Parteipolitik mache, gab es leider insbesondere in meiner Partei immer wieder Situationen, wo plötzlich ein innerer Zirkel von Männern, einschließlich des derzeitigen und damaligen Parteivorsitzenden Lothar Bisky, sozusagen nicht offen mit mir umgegangen ist und mir lange die Illusion gelassen haben, dass ich in ihrem Einvernehmen handle und hinter meinem Rücken schon andere Weichen gestellt haben. Das hat mich doch stark enttäuscht. Sprecherin Oder Andrea Nahles, 37. Wird schon einige Jahre als weibliche Nachwuchs- Hoffnung der SPD hingehalten. War Juso-Vorsitzende, ist Mitglied im Partei- Präsidium und zum zweiten Mal Bundestagsabgeordnete. Wagte es Ende 2005, sich in einer Kampfabstimmung um die Nominierung zur SPD-Generalsekretärin mit 23 zu 14 Stimmen gegen den Favoriten von Franz Müntefering durchzusetzen, woraufhin der beleidigt als Parteichef zurücktrat und Fraktionschef Peter Struck tönte: Strafe muss sein. Andrea Nahles zog ihre Kandidatur zurück und verzichtete obendrein auf den stellvertretenden Parteivorsitz: Take 9 (Andrea Nahles) Ich fand insgesamt, dass diese Phase sehr brutal war. Ich kann das nicht anders sagen. Wenn ich in den Fahrstuhl eingestiegen bin, dann verstummte das Gespräch, und viele haben dann die Messer gewetzt, auch gegen mich persönlich. Haben viel, viel Dreck über mein Haupt geschüttet. Das ist im Nachhinein aber so, dass es mich auch klarer gemacht hat, was Freund-Feind angeht, und es hat mich auch gestärkt insoweit, als dass ich auch mit mir selber zu Rate gegangen bin, was hast du da eigentlich gemacht. War das der richtige Zeitpunkt für so eine Auseinandersetzung? Hat das nicht auch die SPD in?n ganz schlimmes Fahrwasser gebracht? Also ich würde im Nachhinein nicht behaupten, ich hab alles richtig gemacht, ich würde aber auch nicht sagen, es wäre ohne eine Art Katharsis in der SPD nach dieser Schröder- Zeit gegangen. Ich war sozusagen nur das Instrument, um die neue Regierung richtig aufs Gleis zu setzen, also die SPD in dieser Regierung. Ich bin deswegen, und das ist auch wahr, politisch nicht tot. Sprecherin Tatsächlich, soviel Vernunft wird belohnt. Oder ist das nicht vielmehr kluge Taktik? Im Oktober soll sie als einzige Frau neben zwei Männern nun doch: Stellvertreterin des neuen Parteivorsitzenden Kurt Beck werden. Angela Merkel wurde es als Schwäche ausgelegt, dass sie zuerst dem Machtpolitiker Edmund Stoiber die Kanzlerkandidatur überließ. Letztendlich eine kluge Entscheidung, meint Ursula Heinen, 41, Bundestagsabgeordnete in der dritten Legislaturperiode und Vorsitzende der Gruppe der 46 Frauen der CDU/CSU- Fraktion, eine der so genannten ?soziologischen Gruppen? der Partei, die ihre personelle Fachkompetenz in die parlamentarische Arbeit einbringen: Take 10 (Ursula Heinen) Ich hab das selber als ?ne Art Niederlage empfunden, als sie 2002 zu Stoiber gefahren ist und ihm die Kanzlerkandidatur angetragen hat und hab mich sehr unwohl in meiner eigenen Partei gefühlt, die die Parteivorsitzende zu diesem Schritt gedrängt hat. Aber im Nachhinein war sie zweiter Sieger, aber hat das Rennen gewonnen, und heute ist sie die Bundeskanzlerin. Das zeigt mir als jüngerer Kollegin, man muss ausdauernd und beharrlich sein und an seinen Zielen weiter arbeiten. MUSIK (Gisela May: ?Da behält man seinen Kopf oben??) Sprecherin Die Ziele der Politik sind im jeweiligen Parteiprogramm festgelegt, und die beschließen beide Geschlechter. Allerdings überwiegt die Zahl der männlichen Mitglieder in den Parteien bei weitem. Am krassesten bei der CDU mit 75 und der CSU mit über 80 Prozent. Bei der FDP sind es knapp 74 Prozent, bei der SPD knapp 70, bei den Grünen etwa 65 Prozent, bei der Linkspartei immerhin beinahe gleich: 54 Prozent Männer. Insgesamt also ein Missverhältnis, das durch die Unterschiede zwischen Politikern und Politikerinnen noch verschärft wird. Maßgebliche Unterschiede: Take 11 (Lührmann/Pau/Nahles/Asgodom) Ich hab bei Frauen eher erlebt, dass es um die Sache geht. Bei Männern hab ich schon oft den Eindruck, dass die diesen Prozess toll finden, gewählt zu werden, und da rein zu kommen und da wichtig zu sein und so, und dann sich ein paar Inhalte aneignen. Frauen gockeln nicht so rum, und sie sind schon auch reflektierter, was ihre eigenen Fehler angeht. Man sagt ja Frauen nach, dass sie mehr den Weitblick haben, während man Männern ja eher diesen Tunnelblick nachsagt. Also, dahinten ist mein Ziel und ? wopp-wopp-wopp ? marschier ich los, egal, ob die Heidelbeeren zerquetscht werden. Dahinten ist das Mammut! MUSIK (Sailor: ?Girls, girls, girls...?) Sprecherin Gesine Lötzsch ist die haushaltspolitische Sprecherin ihrer Fraktion und bezeichnet sich als überzeugte Feministin. Ein Beispiel für Frauenpolitik: Take 12 (Gesine Lötzsch) Also wenn wir uns mal anschauen den Sport. Wie wird Geld im Sport verteilt. Männer üben in der Regel Sportarten aus, wo sie sehr viel Platz brauchen, also Fußballspiele, da werden Fußballplätze gebraucht. Frauen haben kleine Gymnastikhallen. Also das sind schon Dinge, wo solche Fragen, auch Geschlechtergerechtigkeit in der Haushaltsverteilung, etwas sind, was mich jedes Jahr beschäftigt. Zweiter Punkt ist, dass wir versuchen, zum 8. März, zum Internationalen Frauentag, die Aufmerksamkeit auf diesen Tag zu lenken, weil wir merken, wie der auch in dem politischen Bewusstsein gerne verdrängt wird. Also es gibt den Muttertag, und dann hat neulich skurrilerweise der Präsident den Frauen im Bundestag zum Girl?s day gratuliert, weil er auch schlicht gar nicht wusste, dass es beim Girl?s day ja darum geht, junge Mädchen in bisher Frauen-untypische Berufe einzuführen. Also da ist einfach auch viel zu tun, immer wieder bestimmte Dinge auch ins Bewusstsein zu rufen. Sprecherin Und schon wieder sind die Frauen den Männern weit voraus. Sie haben zwar den besseren Durchblick, aber können den nicht umsetzen, weil sie sich nicht trauen. Oder Beißhemmung haben. Oder einen anderen Stil pflegen. Take 13 (Gesine Lötzsch) Das Wort Feminismus jagt ja einigen Frauen heutzutage auch ein bisschen Angst ein. Weil sie denken, dann werden sie als nicht mehr so sexy empfunden. Aber die Erfahrungen, in der Berufswelt, im politischen Leben an Grenzen zu stoßen, die führen, glaube ich, viele nach diesen Erfahrungen zum Feminismus und den Zielen zurück. MUSIK (Cicero: ?Frau?n regier?n die Welt? ? verzerrt leiern, aus dem Ruder laufen...) Take 14 (Sabine Asgodom) Wenn du in der Politik etwas erreichen willst, musst du dich mit den Mächtigen verbünden. Und die Mächtigen in der Politik sind immer noch die Männer. Und deshalb sind die Antennen von vielen Frauen immer noch auf die Männer ausgerichtet, nicht auf die anderen Frauen. Manchmal vertrauen sie den anderen Frauen nicht, dass die stark genug sein könnten, um sie zu stützen. Manchmal fürchten sie, mit den Schwachen zu paktieren und hängen sich lieber an den einen erfolgreichen Mann, der sie ein bisschen mitzieht. Ich glaub, das ist der Grundwiderspruch. Wenn ich mit Frauen paktiere, komme ich in die Frauenecke, wenn ich mich an starke Männer hänge, dann muss ich die anderen Frauen fürchten, weil die ja dann meine Konkurrenz sind. Also, wer ist Papas Liebling? Ist ja auch so?ne politische Geschichte. Ich glaub, dieser Widerspruch, der macht Frauen noch zu schaffen und der ist nicht so leicht zu überwinden. Sprecherin Sabine Asgodom trainiert als Coach Politikerinnen. In ihren Workshops hat sie beobachtet, dass die Frauen vorher zwar nichts voneinander wissen, aber nachher sehr viel voneinander gelernt haben: Take 15 (Sabine Asgodom) Also der spannendste Unterschied zwischen Jung und Alt ist, dass die Alten so Haudegen geworden sind. Also die haben manche Kämpfe hinter sich. Manchmal eine gewisse Verachtung gegenüber den männlichen Kollegen, weil sie schon viel, viel Prügel eingesteckt haben. Und manchmal gibt?s bei diesen Frauen so eine gewisse Diskriminierungserwartung. Und bei den Jüngeren sehe ich so nen ungestümen Mut. Die sagen, ich will das, ich mach das, pong. Dann kriegen sie eins auf die Mütze ? und dann machen sie wieder weiter. Sprecherin Es scheint so, dass die Politik der letzte Hort männlicher Selbstüberschätzung und Unerschrockenheit gegen die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Macht sei. Hilfe gegen diesen Missstand versucht die Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) in Berlin mit Unterstützung der Bundeszentrale für Politische Bildung anzubieten. Deren Workshops mit Titeln wie ?Frauen zeigen Profil!? oder ihre ?Mentoring?-Programme wurden in den letzten fünf Jahren von etwa 130 Frauen genutzt. Egal, ob jung oder alt, in welcher Partei oder in welcher Funktion, es geht dabei strukturell immer um die Frauenfrage, erklärt Trainerin Sabine Asgodom: Take 16 (Sabine Asgodom) Das Erstaunlichste bei den Seminaren ist, dass es fast keine Unterschiede gibt zwischen Frauen aus einzelnen Parteien. Wenn die miteinander reden, erleben die plötzlich: Ach, bei euch ist es ja ganz genauso. Ach, bei euch geht das auch so? Ach, du bist auch nicht aufgestellt worden? Das ist etwas, was Frauen immer wieder erzählen, dass sie zu lange abwarten und dass sie fassungslos sind über das, was läuft in ihren Parteien. Dass sie diese Spielchen nicht ertragen. Und dann ist wirklich für ne Frau die Frage, spiel ich da mit oder spiel ich da nicht mit. Puuh! Sprecher vom Dienst (aus verschiedenen Ecken verächtlich rufend) Krampfhenne! Kohls Mädchen! Das Merkel. Zonenmädchen! Gedöns! Unsere Kabinetts-Barbie! Sprecherin (sehr bestimmt und überlegen-knapp, beide Silben betont) Platzhirsch! (nach Kunstpause wieder im normalen Tonfall) Wir befinden uns im Jahre 2007. Was haben wir nicht alles erreicht. 1918 das Wahlrecht für Frauen. 1949 die Gleichheit von Mann und Frau im Grundgesetz. 1976 das neue Ehe- und Familienrecht. 1994 das Bundesgleichstellungsgesetz. Aber weder gleichen Lohn für gleiche Arbeit noch die gleichen Chancen zu denselben Bedingungen. Und schon gar nicht die politische Macht, wenn ?Macht? mit Mehrheit und struktureller Gleichberechtigung zu tun hat. Woran liegt das? Andrea Nahles: Take 17 (Andrea Nahles) In dem Maße, wie Frauen in die Gremien reingekommen sind, haben sich die Männer in informellen Zirkeln wieder rausgezogen, das heißt, die wirklichen Entscheidungen fallen dann doch wieder fast ausschließlich, jedenfalls beobachte ich das in der SPD, in Männerrunden. Insoweit haben wir zwar formal Beteiligungsrechte, haben uns auch Stellvertreter-Positionen erkämpft, aber wenn man dann in den Alltag der politischen Betriebsamkeit hineinblickt, stellt man doch fest, viele Entscheidungen fallen dann wieder in kleinen Runden, die dann vor den eigentlichen Sitzungen als Vorbesprechungsrunden dienen. Und da sind die Frauen überhaupt nicht oder in der ganz kleinen Minderheit nur vertreten. Sprecherin Old-boys-networks heißen die traditionellen, engmaschigen Netze, die die männlichen Machtstrukturen so flexibel erhalten. Warum fällt es Frauen trotz feministischer Aufklärung und Bewusstseinswandels so schwer, sich ihrerseits zu unterstützen und zu vernetzen? Sabine Asgodom: Take 18 (Sabine Asgodom) Sich verbünden mit anderen Frauen, kostet unendlich viel Energie. Das heißt, man müsste die eigene Macht bei sich selbst erkennen, um zu glauben, dass auch die anderen Frauen Macht haben. Und ich glaube, dass Männer es auch gut hinkriegen, Frauen gegeneinander aufzubringen. Also es liegt auch daran, dass man sagt, solange man es dir nicht anmerkt, dass du eine Frau bist, fördern wir dich. Aber sobald du deine Frauenfahne rausholst, dann bist du tot. Sprecherin Männer untereinander sind da ganz anders, hat Andrea Nahles beobachtet. Sie kennt ihre SPD seit immerhin schon neunzehn Jahren: Take 19 (Andrea Nahles) Es ist eine Selbstverständlichkeit, mit der die Männer ein Lobkartell bilden, wo sie sich wechselseitig loben. Und wie nebenbei einflechten, dass der andere gute Arbeit macht und den einen an den andern weiterempfehlen. Das läuft einfach wie geschmiert, während es bei den Frauen immer noch etwas Systemfremdes hat. Musiktrenner Take 20 (Hildegard Müller) Ich war ganz oft die einzige. Ich war die erste weibliche Bundesvorsitzende der Jungen Union, die erste weibliche Vorsitzende der Jungen Union, die ins Präsidium der Partei gekommen ist. Ich mache Wirtschafts- und Sozialpolitik als Schwerpunkt. Ganz besonders in der Wirtschaftspolitik begegnet man heute Gott sei Dank auch mehr Frauen als zu dem Zeitpunkt, als ich angefangen habe. Da gibt?s Höhen und Tiefen, da gibt?s gewonnene und verlorene Abstimmungen. Demokratie lebt von Mehrheiten, die muss man sich auch mal besorgen, die kann man auch mal nicht haben, und die Kenntnis von Männernetzwerken und deren Funktionsweise muss ja nicht schädlich sein, wenn man Politik gestalten will. Vielleicht kann man sie nehmen und noch ein Schräubchen obendrauf setzen. Sprecherin Hildegard Müller, 40, CDU, Bundestagsabgeordnete seit 2002, gehört zu den Frauen, die direkt von Angela Merkel profitieren. Sie hat vor neun Monaten ihr erstes Kind und deshalb in ihrem zweiten Job als Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin ein Jahr unbezahlten Urlaub von ihrer Chefin bekommen. Dazu brauchte es übrigens extra einen Sonder-Haushaltsausschuss-Beschluss, denn solches Anliegen - Stichwort: Vereinbarkeit von Familie und Beruf - hatten bislang keine Frau und schon gar kein Mann vorgebracht. Ach ja, Frau Müller aus Düsseldorf ist, wie ihre Parteikollegin Ursula Heinen aus Köln auch, nicht nur katholisch und späte Mutter, sondern lebt unverheiratet mit dem Vater ihres Babies und dessen zwei älteren Kindern in einer Patchwork-Familie ? auch das ist eine klammheimliche Revolution in der Politik und vor allem in ihrer Partei, der CDU: Take 21 (Hildegard Müller) Natürlich braucht man Frauensolidarität. Ich hab mich zum Beispiel immer für ein Quorum ausgesprochen, da darf es keine falsche Bescheidenheit von Frauen geben. Wenn wir über Parteibesetzungen reden, oder die Frage, wie Parteien ihre Listen machen, haben wir Bezirksquoten, Länderquoten, Vereinigungsquoten, warum sollen Frauen auf einmal sagen, wir sind da aber besonders etepetete? Also, ran an die Quote! Sprecherin Emanzipation, laut Herder-Frauenlexikon von 1988 ?ein Begriff, der jeden Vorgang bezeichnet, der aus Untertänigkeit und Abhängigkeit in Unabhängigkeit und Gewaltfreiheit hinüberführt?, scheint inzwischen selbstverständlich, je nach individuellem Vermögen. Die seit den achtziger Jahren verordnete ?Gleichstellung? als weibliches Strukturanpassungsprogramm hat sich als bürokratischer Papiertiger erwiesen. Was von den Anstrengungen der letzten Jahrzehnte tatsächlich geblieben ist und den Marsch durch die Institutionen beflügeln sollte, heißt Quotierung. Den entscheidenden Kick zu diesem ersten Schritt zur Macht haben die Grünen gegeben, als sie die 50-Prozent-Quote mit dem Reißverschluss-Prinzip einführten. Informell wird Politik immer noch in Kungelrunden in Hinterzimmern, am Telefon oder sonstwo beim Bier bestimmt. Von Männern, die sich im Verbund mit den männlich dominierten Medien traditionell besser darauf verstehen. Petra Pau erlebt das als innenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion so: Take 22 (Petra Pau) Ich glaube, es liegt an beiden, an den Parteien und Fraktionen selbst, wenn sie beispielsweise zur obligatorischen, wöchentlichen Pressekonferenz ohne Not zwei Männer plus einen männlichen Pressesprecher vor die Kamera stellt, da, wo sie das Bild selbst beeinflussen können. Aber auch durch die Medienansprache. Auch mir ist es schon so ergangen, dass mein Fraktionsvorsitzender gesagt hat, du hast doch Ahnung von Innenpolitik, willst du das angefragte Interview nicht machen? Und dann aber die Journalistinnen und Journalisten sagten, nee, wir wollten den Vorsitzenden, selbst wenn er keine Ahnung davon hat. Sprecherin Auch die Partei Die Linke hat eine 50-Prozent-Frauenquote. Bei der SPD hat man sich zu einer 40-Prozent-Quote auf den Listenplätzen durchgerungen. In der FDP haben erst kürzlich über achtzig Prozent der Mitglieder die Frauenquote abgelehnt. Bei der CDU/CSU gibt es immerhin ein 30-Prozent-?Quorum? ? nachdem ihr vor allem die jüngeren Frauen sowohl als Wählerinnen als auch als Mitglieder verloren gehen. Liegt also ? wie gewöhnlich ? für Frauen in der Krise erst die Chance? Oder warum fallen - ausgerechnet in der CDU - Frauen auf, die so selbstverständlich ihre Macht beanspruchen und mit dem Frauenthema umgehen wie Hildegard Müller? Take 23 (Hildegard Müller) Ansonsten besteht mein frauenpolitisches Engagement darin, dass ich in der Entstehung direkt die besondere Lebenssituation von Frauen reinbringe. Also wenn ich jetzt über Betreuungsplätze rede, sagt jeder, klar, Frauenthema. Aber wenn ich generell über Arbeitsmarktbedingungen rede, wenn ich über die Frage der Strukturierung der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes rede, sehe ich die Lebenssituationen von Frauen und bringe deshalb auch bestimmte Vorschläge ein. Das ist ja der Vorteil, wenn beide Geschlechter in der Politik ausreichend vertreten sind, dass jeder aus dem eigenen Erfahrungsschatz die besonderen Sichtweisen reinbringt. So dass Frauenpolitik nicht mehr nur mehr Nachbesserungspolitik sein soll, jetzt habt ihr wieder die Frauen vergessen, sondern dass Frauenpolitik selbstverständliches Mitdenken sein muss, genauso wie Lebensbiographien von Männern in den Sozialsystemen gedacht werden. Sprecherin Gewachsenes weibliches Selbstbewusstsein lässt männliche Überheblichkeit schrumpfen, hat auch die Vorsitzende der CDU/CSU-Parlamentarierinnen, Ursula Heinen, ausgemacht. Wobei es eben auch auf die Masse Frau als ernst zu nehmender Faktor ankomme. Die Frauen in der Großen Koalition haben deshalb ein gemeinsames Frühstück eingeführt, um abzuklären, welche Themen auf den Weg gebracht werden können. Jüngster großkoalitionärer Erfolg in der Frauenpolitik: Take 24 (Ursula Heinen) Wir hatten eine sehr schwierige innerfraktionelle Debatte zu unserem Antrag zum Weltfrauentag. Und zwar ging es um mehr Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt. Sie wissen, dass die Lohnschere zwischen Frauen und Männern sich weiter vergrößert hat in Deutschland, statt wie in den anderen europäischen Ländern sich zu verringern. Und wir haben zusammen mit den SPD-Kolleginnen einen Antrag dazu formuliert. Und eine wirklich schöne Erfahrung war, dass alle Frauen, die Mitglied im Fraktionsvorstand sind, wo das Thema beraten wurde, an einem Strang gezogen haben. Die Frauen haben sich einfach alle zu Wort gemeldet, so dass die männlichen Kollegen schon sehr erstaunt waren über diese Frauensolidarität in der Frage. Sprecherin Solidarität schafft Macht. Quoten sind nur die Einstiegsdroge. Beharrlichkeit, Nervenstärke, Kampfbereitschaft und der Mut, sich unbeliebt zu machen, gehören außer ?Fleiß und noch mal Fleiß? sowie dem notwendigen Wissen zur Grundausstattung einer Politikerin. Sagen die Politikerinnen. Also ist es nur eine Frage der Zeit, dass sich das Verhältnis der weiblichen Abgeordneten im Deutschen Bundestag zu dem in der Gesamtbevölkerung annähert: 52,4 Prozent? Die SPD- Politikerin Renate Schmidt, dreifache Mutter, vierfache Großmutter, hartgesottene Parteifunktionärin, eine Frau mit weitreichender Erfahrung und ausgeprägtem Frauenbewusstsein, widerspricht. Das werde nicht geschehen, aber nicht weil irgendwelche bösen, finsteren, männlichen Mächte dagegen seien? Take 25 (Renate Schmidt) ? sondern weil die Frauen das selber so nicht wollen. Und warum ist das so? Ich glaube, dass die Frauen nicht bereit sind, zu den Bedingungen, wie man heutzutage Macht erreicht, sich an diesem Spiel in dem 52,4-prozentigen Anteil zu beteiligen. Frauen kennen immer neben dem Beruf, neben der Politik, neben allem haben sie immer noch andere Lebensbereiche. Sie wollen sich auch Zeit nehmen dafür. Frauen wissen viel stärker als Männer, dass Partnerschaft und Familie, dass Freunde Zeit brauchen, ansonsten hat man sie nämlich über kurz oder lang nicht. Und das heißt, dass wenn wir wollen, dass diese unterschiedlichen Lebenserfahrungen wirklich zusammenkommen, dann müssen wir uns mal drüber unterhalten, wie bei uns eigentlich Aufstieg, und zwar in allen Bereichen, funktioniert und ob der richtig funktioniert. Und deshalb glaube ich, ist die Frage der Machtbeteiligung von Frauen eine Frage an die gesamte Gesellschaft, wie eigentlich Macht erreichen ausschauen sollte. Spr. vom Dienst Stark und mächtig oder nur ''gleich'? - Frauen in der Politik Von Rosemarie Bölts Es sprach: Heidrun Bartholomäus Ton: Andreas Krause Regie: Steffi Ruh Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2007 1