GSE am 5 Dezember 2009 11:05 -12:00 Eine Sendung von Marc-Christoph Wagner Moderation: Britta Fecke 1) Das Meereis schwindet. Mit Kapitän Arne Sörensen entlang der Ostküste Grönlands. 4:05 2) Kleine Unterschiede, die viel ausmachen. Die Ozeanologin Ruth Curry. 5:30 3) Eismassen auf dem Weg ins Meer. Das Swiss Camp in Grönland. 6:33 4) Die Bibliothek des Klimas- die Eisforscherin Dorthe Dahl-Jensen und ihr Archiv 6:05 5) Mit dem Klimawandel leben. Der Grönländer Tobias Ignatiusen hofft auf Wachstum. 5:08 6) Ein Abkommen für die Welt. Dänemarks Klimaministerin Connie Hedegaard. 6:10 Literatur: Peter Hoeg: Fräulein Smillas Gespür für Schnee Roman ?aus dem Dänischen von Monika Wesemann, Hanser Verlag, 1994 Sprecher, Literatur: Thomas Lang (3.12.09): 6:15" Mod.: ...Ein amerikanischer Forscher auf dem grönländischen Inlandeis: O-Ton: Wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung. Das Feuerwerk hat gerade erst begonnen. Je wärmer die Atmosphäre, desto mehr Eis gelangt ins Meer. Und je mehr Eis im Meer, egal, ob hier in Grönland oder der Antarktis, desto höher wird der Meeresspiegel steigen. Mod:...und Dänemarks Klimaministerin über ihre Erwartungen an den Gipfel: O-Ton Gerade nach der Wirtschafts- und Finanzkrise haben viele Entscheidungsträger begriffen, dass wir wirklich auf dem Holzweg waren. Der Globus hält ein "weiter so" nicht aus. Und nun haben wir die Möglichkeit des Umdenkens. Mod.: Gesichter Europas: Das Ende des ewigen Eises - die Gletscherschmelze in Grönland Mit Reportagen von Marc-Christoph Wagner, Am Mikrophon begrüßt sie Britta Fecke. Mod 1: Wer durch die Grönländischen Gewässer fährt, der navigiert durch vereiste Fjorde, meterdicke Packeisschichten und treibende Eisschollen. Die Passagen durch das Nordmeer entlang der grönländischen Küste waren schon immer gefährlich und in den letzten Jahren hat sich die Situation noch verschärft, denn vom Gletscherrand brechen seit gut 10 Jahren immer häufiger riesige Eisbrocken ab und stürzen ohne Vorwarnung hinab in die kalte, arktische See..... Beitrag 1 Atmo Schiffsbrücke Konzentriert steht Arne Sörensen auf der Brücke. Langsam navigiert er sein Schiff durch den Fjord. Vor ihm eine Landschaft aus Eisbergen, die sich majestätisch aus dem grün-blauen Wasser erheben. Eine alte Regel besagt, nur ein Zehntel des Eisberges ist über Wasser, neun Zehntel sind darunter. Hinzu kommt: Diese Eiskolosse sind keine wohlgeformten Eiswürfel. Unter Wasser können sie sehr viel breiter sein, als über der Oberfläche. Eben das macht sie so gefährlich. Man kann nicht mal ebenso an einem Eisberg vorbeifahren. Man muss stets einen gewissen Abstand halten. Sörensen streicht sich durch sein halblanges, nach hinten gekämmtes Haar, während er erzählt. Seine Augen sind ebenso klar, wie der blaue Himmel über dem Eis. Auf der Brücke stände Sörensen neuestes technisches Gerät zur Verfügung. Dennoch steht er selbst ganz vorne am Fenster, navigiert sein Schiff mit einem kleinen Hebel per Hand. Deine Augen sind das Beste Instrument, das du hast. Nur so kann man sich einen wirklichen Überblick verschaffen und festlegen, wie schnell man fahren kann. Hier draußen helfen dir weder GPS-Geräte noch Satellitenfotos. Durch sie kann man sich einen generellen Überblick verschaffen. Um das Schiff aber sicher durch das Eis zu bringen, musst du dich auf dich selbst und deine Augen verlassen. Seit über 30 Jahren fährt Sörensen durch Gewässer wie diese ? in der Arktis ebenso wie am Südpol. Dieses Mal hat er ein internationales Forscherteam an Bord, das den Hellheim-Gletscher im Osten Grönlands untersucht. Sörensen kennt die Gegend gut. Einst hat er einige Jahre an der Ostküste Grönlands gelebt. Doch seitdem hat sich vieles verändert. Man merkt es am Meereseis. Davon gibt es heute sehr viel weniger als noch vor zehn Jahren. Die Entwicklung geht immer schneller. Ich bin mir sicher, das alles hat mit dem Klimawandel zu tun. Keine Sekunde weicht Sörensens Blick von der Spitze des Schiffes, während er spricht. Immer wieder korrigiert er den Kurs, ab und an setzt er zurück. Im Eis ist kein Tag wie ein anderer, sagt er. Jede Fahrt ist wie ein neues Spiel. Die Aussicht auf eine eisfreie Arktis, auf eine passierbare Nordwest- oder Nordostpassage begeistert ihn wenig: Als Eisnavigator kann ich mich darüber nicht freuen. Vor allem nicht, wenn das schmelzende Eis durch einen von uns Menschen gemachten Klimawandel verursacht ist. Gewiss, für die Schifffahrt im Allgemeinen ist eine eisfreie Arktis interessant. Bei mir aber überwiegt die Sorge ob der Folgen. Literatur 1 auf Musik: Fräulein Smillar ist Geologin, Grönländerin und bei ihren Untersuchungen des Todes eines Nachbarjungen kommt sie als blinder Passagier auch in die arktische See: Peter Hoegs Roman, "Fräulein Smillars Gespür für Schnee", ist 1994 im Hanser Verlag erschienen. Peter Høeg: Fräulein Smillas Gespür für Schnee, S. 457ff. Die Kronos ist auf dem Weg ins Eis. Ich sehe es von Weitem, verschleiert durch zehn Millimeter bruchsicheres Glas, das von außen durch Salzkristallisation vernebelt ist. Doch das ändert nichts daran, ich spüre das Eis, als ob ich darauf stünde. Es ist eine dichte Treibeisdecke, und anfangs ist alles grau. Der schmale Kanal, durch den sich die Kronos hindurchzwängt, wirkt wie eine Aschenrinne; die Eisschollen, die meisten haben die Ausdehnung des Schiffes, sind leicht erhabene, frostverwitterte Klippenstücke. Es ist eine Welt aus konsequenter Leblosigkeit. Dann fällt die Sonne hinter die Wolkendecke, wie angezündetes Benzin. Die Eisdecke hat sich letztes Jahr im Polarmeer gebildet. Von dort aus ist sie zwischen Spitzbergen und der grönländischen Ostküste hindurchgepresst und unten um Kap Farvel herumgeführt worden, um dann die Westküste hinaufzutreiben. 2 Mod. : Grönland ist zu 4/5 mit Eis bedeckt, noch! Denn die Eisdecke über der arktischen Insel schmilzt und das viel schneller, als Klimaforscher noch vor wenigen Jahren prognostiziert haben. Von Grönlands Gletschern fließt inzwischen doppelt soviel Schmelzwasser ins Meer als noch vor 8 Jahren. Und indem das inländische Eisschild immer dünner wird, steigt der Meeresspiegel an, um durchschnittlich 0,5 Millimeter jedes Jahr. Atmo kurz stehen lassen Der Helheim-Gletscher ist der größte Küstengletscher Grönlands. Wie ein eisgewordener Fluss zieht er vom grönländischen Inland durch eine Gebirgsspalte direkt ins Meer. Seit 2001 hat sich die Gletscherfront um mehr als 8 Kilometer zurückgezogen, außerdem wurde sie auch noch um 40 Meter dünner. Glazialforscher führen das Abschmelzen der Gletscher auf die gestiegene Luft- und Wassertemperatur zurück, die im Zuge des Klimawandels um durchschnittlich drei Grad gestiegen ist -in nur 12 Jahren! Die Erwärmung wirkt sich vielschichtig auf den Wasser- und Eiskreislauf der Arktis aus. Und einige Prozesse verstärken sich dabei noch gegenseitig: So reflektieren weiße Eisflächen einen Großteil des Sonnenlichts und schicken es wieder in die Atmosphäre zurück, da aber das Meereis um mehr als ein drittel zurückgegangen ist, kommt das dunkle Meer darunter zum Vorschein, das viel mehr Sonnenlicht absorbiert und dadurch noch weiter erwärmt wird. Die veränderte Energiebilanz der arktischen Gewässer wirkt sich auch auf die Zirkulation der ozeanischen Meeresströme aus - einem komplizierten Kreislauf aus absinkenden, kalten Wassermassen und nachgezogenen Warmwasserströmen deren genauer Verlauf noch erforscht wird: Beitrag 2 Atmo Schiff durchs Eis Gelbe Latzhose, schwarzer Wollpullover, die rote Brille steckt im Haar, das zu einem Pferdeschwanz gebunden ist. Wenn Ruth Curry lächelt, und das tut sie häufig, kommen Grübchen zum Vorschein. Schau dich um. Wo auf der Welt findet man einen solchen Ort? Eisberge, Gletscher, eine fantastische Landschaft. Und unter uns in der Tiefe passiert so viel. Die Ozeane spielen in Sachen Klimawandel eine enorme Rolle. In ihnen finden sich viele der Antworten, die dessen Dynamik erklären. Und deswegen bin ich hier. Curry ist Ozeanologin. Seit 29 Jahren arbeitet sie für die renommierte Woods Hole Oceanographic Institution in der Nähe von Bosten. Jedes Jahr verbringt die 52-Jährige Wochen auf Forschungsschiffen wie diesem, um wissenschaftliche Daten zu sammeln: An Bord schaltet man um auf einen besonderen Modus. Man gewöhnt sich an die Routinen auf dem Schiff, an die Regeln. Man lebt mit anderen Menschen auf sehr engem Raum und muss Rücksicht nehmen. Es kann nervig sein, langweilig, aber auch ganz wunderbar, alles zusammen. Wenn man wochenlang auf dem Schiff ist, dann sehnt man sich nach dem Hafen. Nach einer gewissen Zeit an Land aber wünscht man sich zurück aufs Schiff. An der vorderen Steuerbordseite hat sich Curry nahezu häuslich eingerichtet. Dort steht alles, was sie braucht. Eine Trommel mit einem langen Stahlseil, eine Apparatur mit Messinstrumenten, ein GPS-Gerät, ein Laptop. Hier, in der Bucht vor dem Hellheim-Gletscher entnimmt sie Tiefenproben alle paar 100-Meter. Ein Job, der Ausdauer verlangt. Wenn du deinen Finger hier ins Wasser tun würdest, würdest du sagen ? mein Gott, ist das kalt. Es wird ja an der Oberfläche auch vom Gletscher gekühlt. Aber 300 Meter weiter unten, da wird warmes Wasser vom Atlantik hier in diesen Fjord hineingezogen, Wasser, das im Golf von Mexico seinen Ursprung hat. Dieses Wasser ist vier, fünf Grad warm und man würde darin nicht baden wollen. Aber hier am Gletscher fließt es nach oben und es ist warm genug, um Eis zu schmelzen. Das wiederum lässt den Gletscher schneller fließen. Mehr Inlandseis gerät ins Meer. CTDs heißen solche Messungen, mit deren Hilfe Ruth die Leitfähigkeit des Wassers, dessen Temperatur und Tiefe bestimmt. Auch kann sie feststellen, woher das Wasser stammt ? vom Gletscher, vom Regen, aus dem Pazifik oder dem Atlantik. Viele Leute sehen keinen Zusammenhang zwischen dem schmelzenden Eismassen an Land und dem Ozean. Doch beide Systeme sind über die Gletscher miteinander verbunden, diese reichen ja bis ins Meer hinein. Und die Ozeane speichern so viel Wärme. Die Luft erwärmt sich sehr schnell, kühlt aber auch schnell wieder ab. Das Meer hingegen ist ein enormer Wärmespeicher und er leitet diese Wärme hin und her. Und auch das trägt zum Abschmelzen der Gletscher bei. Atmo Trommel hochziehen Ruth blickt konzentriert auf die Trommel, die ihre Apparatur aus der Tiefe zieht. Dicke Handschuhe schützen ihre Hände vor dem Stahlseil, das sich vor ihr gleichmäßig aufrollt. Jeder Handgriff sitzt, ist tausendfach getätigt. Bei aller Routine aber hat Ruth von ihrer Leidenschaft für die Forschung nichts verloren. Gut gelaunt und voller Elan steht sie an Deck, obwohl die Ergebnisse ernüchternd sind. Die Erwärmung der Ozeane geht auf den menschlichen Einfluss zurück, auf die gestiegene CO2-Emission in der Atmosphäre, sagt Ruth lapidar. Zwar gibt es auch im Meer eine natürliche Variation. Der aktuelle Anstieg der Temperaturen aber geht weit darüber hinaus: Der Ozean ist ein wichtiger Faktor. Nicht der Einzige, natürlich nicht, aber ein wichtiger. Die Meere decken 75 Prozent der Erde und beinhalten 97 Prozent des Wassers. Natürlich spielen sie in puncto Klimawandel eine wichtige Rolle. Mod 3: An der Westküste Grönlands, 250 km nördlich des Polarkreise liegt der Ilulissat-Eisfjord. Er hat seinen Namen von der benachbarten Stadt Ilulissat, in der auch der große Polarforscher Knud Rasmussen geboren wurde. Auch heute wird hier noch geforscht, denn der Eisfjord ist mit seinen 40 km Länge und 7 km Breite einer der größten weltweit. Und an seinem Ende ist auch noch einer der aktivsten Gletscher der Erde; Inzwischen ist der allerdings aktiver, als so manchem lieb ist. Seine Fließgeschwindigkeit hat sich seit 2004 verdoppelt auf 40 Meter am Tag. Die Gletscherzunge hat sich dagegen zurückgezogen um 10 Meter in nur 6 Jahren. Klimawandel zum Zuschauen, so eindrucksvoll, dass sich auch EU-Kommissionspräsident Barroso und Angela Merkel ein Bild vor Ort machten. Atmo kurz stehen lassen, dann drunter: Die Wissenschaftler des Swiss-Camps einer amerikanisch-schweizerischen Forschungsgruppe sind auch bei schlechtem Wetter hier, um die Bewegung und die Abnahme der Eisdecke zu untersuchen. In den letzten 19 Jahren ist die Durchschnittstemperatur stetig gestiegen und seitdem schmilzt hier in jedem Jahr mehr Eis, als in den Gletschern der Alpen gebunden ist. Beitrag 3: Atmo Wind Der Sturm hat sich gelegt, nach wie vor aber weht ein frischer Wind. Den ganzen Morgen über haben Liam und Kevin im Camp verbracht. Jetzt aber wollen sie den Rest des Tages nutzen, um eine der Messstationen auf dem Inlandeis zu kontrollieren. Ein Jugendtraum? Nun, auf jeden Fall ist es eine einzigartige Kombination aus Natur und Wissenschaft, die mir sehr gefällt. Und natürlich ist sich jeder Wissenschaftler der Bedeutung seiner Arbeit bewusst. Wir glauben, dass wir auch dazu beitragen, die richtigen Antworten auf den Klimawandel zu finden. Vor den drei Zelten, die den Kern des Swiss Camps ausmachen, liegen Dutzende gelbe Proviantkästen im Schnee. Darin alles, was man für das Überleben auf dem ewigen Eis braucht ? Tütensuppen, Instantnudeln, Müsli und Brotmischungen. Liam sucht nach ein paar Schokoriegeln für die Tour. Die traurige Wahrheit ist doch, so ein Camp ist nicht besonders umweltfreundlich. Alles, was wir brauchen, wird eingeflogen ? das Benzin, die Lebensmittel, die Zelte, die Schneemobile alles. Sieben Wochen verbringen der Kanadier Liam und sein US-Kollege Kevin auf dem Eis. Beide sind Doktoranden an der University of Colorado. Beide erforschen die Bewegung des grönländischen Inlandseises. An einem Ort wie diesem aber ist mehr als spezifisches Fachwissen gefragt. Handwerker, Koch, Pfadfinder ? in der Eiswüste Grönlands, eine halbe Flugstunde von jeglicher Zivilisation entfernt, braucht es viele Talente: Das Wetter kann von einem Augenblick auf den anderen umschlagen. Deswegen fahren wir immer zu zweit auf einem Schneescooter und am liebsten mit zwei Scootern, also vier Leuten. Wir verlassen das Camp nie ohne Satellitentelefon und GPS-Geräte, sodass wir unseren Weg stets zurückfinden. Da draußen kann man sehr schnell die Orientierung verlieren. Jeder hat ein GPS dabei mit extra Batterieren. Und wir verlieren uns nicht aus den Augen. Atmo Schneescooter Es geht hinaus in die scheinbar unendliche Weite des scheinbar unendlichen Weiss. Etwa zehn Kilometer vom Camp liegt die Messstation entfernt. Mit dem Schneescooter ein Katzensprung. Doch Liam und Kevin drosseln die Fahrt ? die Schneeoberfläche ist holprig, gerade am Ende des Sommers tun sich Risse und Spalten auf, die meterweit in die Tiefe führen. Das Inlandeis, auf dem wir stehen, ist hier etwa ein Kilometer dick. Darunter befinden sich Gestein und Geröll. Je mehr Eis an der Oberfläche schmilzt, desto mehr Wasser gelangt zwischen das Eis und das Gestein. Das Wasser wirkt dann wie ein Ölfilm. Und die gesamte Eismasse fängt an, sich sehr viel schneller zu bewegen. Früher gab es das Problem nicht. Doch seit Beginn der neunziger Jahre hat das Swiss Camp unzählige Daten gesammelt, die genau diesen Zusammenhang belegen. Je größer die Erwärmung, desto schneller bewegt sich das grönländische Inlandeis in Richtung Küste. Wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung. Das Feuerwerk hat gerade erst begonnen. Je wärmer die Atmosphäre, desto mehr Eis gelangt ins Meer. Und je mehr Eis im Meer, egal, ob hier in Grönland oder der Antarktis, desto höher wird der Meeresspiegel steigen. Das wird Küstenlinien weltweit zerstören und Millionen von Menschen in ihrer Existenz bedrohen. Atmo Kevin und Liam beginnen zu schaufeln. Die Antenne der Messstation ragt aus dem Eis heraus. Die Batterie jedoch, die den GPS-Sender speist, ist unterhalb des Eises vergraben. Jetzt muss sie ausgetauscht werden. Äußerlich könnten die beiden gegensätzlicher kaum sein ? Liam groß, schlank, schwarzhaarig. Kevin klein und kompakt. Sein Atem hat sich in seinem rötlichen Bart gefangen und ist vereist. In der Kritik an ihren Regierungen in Washington und Ottawa aber stimmen die beiden vollends überein. In Sachen Klimaschutz passiere zu wenig. Ich denke, viele Leute in den USA sind der Regierung voraus ? die Wissenschaftler, aber auch Kommunen, Städte, Bundesstaaten wie Kalifornien. Viele sind sehr viel fortschrittlicher als die Regierung in Washington, die weder die Abhängigkeit des Landes vom Öl reduziert hat, noch den Ausstoß der Treibhausgase. Ich denke, die Öffentlichkeit ist dabei zu erwachen. Liam nickt, während Kevin spricht. Mit der Hand deutet er in Richtung Küste. In der Disko-Bucht vor Ilulissat liegen riesige Mengen an Öl und Gas. Ein Viertel aller unentdeckten, aber förderbaren Rohstoffe der Welt wird in der Arktis vermutet. Eine der wenigen Dinge, die vom Klimawandel profitieren werden, ist die Rohstoffindustrie. Wenn das Meereis schmilzt, können sie hier in der Arktis neue Vorkommen ausbeuten. Ich hoffe aber, die Weltgemeinschaft wird sich damit begnügen zu wissen, dass es diese Rohstoffe gibt, ohne sie zu fördern und stattdessen andere, erneuerbare Energieformen zu entwickeln. Es ist schon verrückt, dass diejenigen, die den Klimawandel verantworten, gleichzeitig von ihm mit am meisten profitieren. Literatur 2 auf Literaturmusik: So wie es aussieht, lassen Wetter, Meer und Eis die Kronos durch. Jetzt sitzt Lukas im Eisausguck, nun bugsiert er sein Schiff vorsichtig durch die Kanäle, lässt den Steven dort, wo das Neueis weniger als dreißig Zentimeter dick ist, auflaufen, um es durch das Gewicht des Schiffes zu zerschmettern. Er kommt voran, weil die Strömung hier so ist, wie sie ist. Weil die Kronos dafür gebaut ist, weil er Erfahrung hat. Aber es geht nur knapp. Shackletons eisverstärktes Schiff Endurance wurde im Weddelmeer vom Packeis zermalmt. Die Titanic erlitt Schiffbruch. Und die Hans Hedtoft. Und die Proteus, als sie im zweiten internationalen Polarjahr der Expedition von Leutnant Greely zu Hilfe kommen sollte. Die Verluste in der Polarfahrt sind unzählig. 4 Mod: Noch ist der grönländische Eispanzer der zweitgrößte der Welt, wenn er weiter so schwitzt und vollständig abschmelzen würde, würde der Meeresspiegel, nach jüngsten Berechnung der Wissenschaftler des Weltklimarats, um sieben Meter ansteigen. Ihr Appell vor der Konferenz in Kopenhagen ist auch deshalb so eindringlich: Die CO²-Emmissonen müssen radikal gedrosselt werden, damit sich die Atmosphäre nicht noch mehr als 2Grad C aufheizt. Sonst werden die jetzt schon spürbaren Folgen des Klimawandels katastrophal sein: Dürren, die Ausbreitung der Wüsten auf dem einen Kontinent, die Zunahme von Überflutungen und Wirbelstürmen auf dem Anderen, und der starke Anstieg des Meeresspiegels weltweit werden zu Naturkatastrophen, Hungersnöten und in deren Folge zu Flüchtlingsströmen führen. Die damit verbundenen sicherheitspolitischen und finanziellen Herausforderungen würden uns teurer zu stehen kommen, als wenn die Vertragsstaaten jetzt in den Ausbau emissionsarme Technologien und Waldschutz investieren. Atmo kurz stehen lassen: Doch bisher wurde an der Klimafront noch kein Durchbruch erzielt. Statt die Treibhausgas-Emissionen weltweit zu senken - wie im Kyotoprotokoll angestrebt - sind sie weiter gestiegen. Allein im letzten Jahr wurde rund 40 Prozent mehr CO² freigesetzt, als noch 1990! Die Erdnahe Bodenschicht hat sich schon jetzt um rund 0,8 Grad C erwärmt. Was das für das große kontinentale Eisschild bedeutet, erforscht Dorte Dahl-Jensen, sie leitet das Zentrum für Eis und Klima an der Universität zu Kopenhagen: Beitrag 4: Die Bibliothek des Klimas. Mit der Eisforscherin Dorthe Dahl-Jensen in den Eisschrank. Pinke Fleecejacke, Wollmütze, dicke Handschuhe ? Dorthe Dahl-Jensen weiß, was sie auf der anderen Seite der dicken Stahltür erwartet. Der raumgroße Tiefkühler liegt nur wenige Schritte von ihrem Büro am Kopenhagener Niels Bohr-Institut entfernt. Das hier ist unserer Arbeitsraum ? hier sind es minus 15 Grad. Im Kühlraum nebenan befindet sich unser Lager. Dort sind es minus 25. Stahlregale in drei Etagen. Darin beschriftete Kühlboxen, in denen Eiskerne aus Grönland und der Antarktis gelagert sind. Was die meisten als unwirtliche Gegenden betrachten, sind für Dorthe seit mehr als 30 Jahren wertvolle Schatzkammern: Diese Eiskerne hier bedeuten mir unglaublich viel. Ich kann keinen von ihnen in die Hand nehmen, ohne darüber nachzudenken, wo stammt er her, aus welcher Tiefe, welche Geschichte erzählt er. Ich bin ja schon sehr viel mit solchen Kisten hier durch die Welt geflogen. Als meine Kinder noch klein waren und ich sie manchmal mitnahm, da machte ich mir mitunter mehr Sorgen über die Eiskerne, als um meine eigenen Sprösslinge. Wer Dorthe sieht, fühlt sich ein wenig an Peter Höghs Romanfigur Fräulein Smilla erinnert. Halblanges dunkelbraunes Haar. Ein Gespür für die Feinheiten des Eises. Auch ein ausdauernder Wille wird ihr nachgesagt. Dorthe greift in eine Kiste. Säuberlich beschriftet liegen die Eiskerne in durchsichtigen Tüten nebeneinander ? jeder von ihnen 55 cm lang, 10 cm im Diameter. Wenn wir die einzelnen Schichten dieser Kerne analysieren, dann erfahren wir, wie waren die Temperaturen damals, als dieses Eis als Schnee fiel. Auch kleine Partikel sind enthalten, sodass wir sehen können, aus welcher Richtung wehte der Wind ? in manchen Perioden kam der Staub im grönländischen Eis aus China, in anderen Epochen woanders her. Auch den Salzgehalt des Eises können wir messen. Daraus könnten wir schlussfolgern, wie stürmisch war es über den Meeren und wie ausgedehnt war zu diesem Zeitpunkt das Meereis. Die Eiskerne enthalten unglaublich viele Informationen, mit deren Hilfe wir die Klimageschichte nachvollziehen können. Denn manchmal lässt sich von der Vergangenheit eben auch auf die Zukunft schließen. Gerade deshalb stehen Dorthe und ihre Kollegen des Nils-Bohr-Institutes derzeit an der Spitze eines internationalen Forschungsprojektes, das im Norden Grönlands versucht, in so tiefe Eisschichten vorzudringen, die Informationen über die sog. EEM-Periode beinhalten. Eine Warmzeit in der Geschichte des Globus, die vor etwa 130 000 Jahren begann, in der die globale Durchschnittstemperatur 5 Grad höher war, als heute. Wir wissen, während dieser EEM-Periode, die etwa 15.000 Jahre andauerte, stieg der Meeresspiegel um 5 Meter. Und natürlich möchten wir wissen, welchen Anteil daran hatte das geschmolzene Eis aus Grönland, welchen die Antarktis, welchen andere Gletscher und wie viel dieses Anstiegs ist auf die thermische Ausweitung des Wassers zurückzuführen. Trotz der erheblich höheren Temperaturen damals aber finden wir bei all unseren Bohrungen Eis aus der EEM-Periode. Und das zeigt ja, selbst damals ? während dieser warmen Periode - war das Eis auf Grönland nicht völlig geschmolzen. Atmo Stufen Dorthe Dahl-Jensen führt zurück in ihr Büro im dritten Stock des Institutes. Sie erzählt ruhig und sachlich, könnte unprätentiöser nicht sein. Die 51-Jährige zählt zu den anerkanntesten Forscherpersönlichkeiten ihres Faches. Gerade erst hat sie den Eisbericht für das UNO-Klimapanel verfasst. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel vor zweieinhalb Jahren Grönland besuchte, wurde sie von Dorthe begleitet. Als ich Studentin war, sprach niemand über die globale Erwärmung. Die war zwar damals schon in vollem Gange, aber niemand hatte sie entdeckt. Damals sorgte man sich eher um die nächste Eiszeit. Jedes Mal, wenn der Winter kalt war, fragten die Medien, ist das jetzt der Beginn der neuen Eiszeit. Nie hätte ich mir seinerzeit träumen lassen, dass unsere Forschung einmal ein solch öffentliches Interesse haben würde. Die vielfach ausgezeichnete Forscherin blickt mit Sorge auf die Klimadebatte dieser Tage. Einerseits freut sie sich über das öffentliche Interesse an dem Thema. Andererseits sei gerade deswegen eine besondere Verantwortung mit der Vermittlung wissenschaftlicher Ergebnisse verbunden. Wer ständig den Weltuntergang an die Wand male, ende wie bei Peter und der Wolf. Am Ende nehme niemand die Warnungen mehr ernst. Auch deswegen warnt Dorthe vor zu hohen Erwartungen an den anstehenden Klimagipfel: Ich möchte die Politiker auffordern zu handeln. Aber Tatsache ist doch, wer versucht, einen zu großen Schritt zu nehmen, der blockiert, bleibt stehen, ja manchmal geht er sogar rückwärts. Ich finde, man sollte sich auf kleine Schritte über kurze Zeiträume konzentrieren, sagen wir 2, 3 Jahre. Danach kann man wieder neue, etwas größere Schritte beschließen. Meines Erachtens ist das große Problem mit dem Kyotoprotokoll, dass man seinerzeit ein sehr ambitiöses Ziel formulierte, jedoch über einen langen Zeitraum. Was darin resultierte, dass jahrelang nichts geschah. Literatur 3 auf Musik: Im Eis ist so viel Widerstand, dass es keinen Sinn hat, es besiegen zu wollen. Eben jetzt sehe ich, wie die Zusammenstöße die Schollenkanten zersplittert und sie zu zwanzig Meter hohen Absperrungen aufgestaut haben, unter denen die Schollen dreißig Meter tief ins Wasser hinunterragen. Um uns friert es. Jetzt, in diesem Augenblick, spüre ich, wie sich das Meer um uns schließen will, dass uns nur eine fast zufällige, vorübergehende Konstellation aus Wasser, Wind und Strömung weiterfahren lässt. Hundertzehn Meilen weiter nach Norden ist das Packeis eine Mauer, durch die nichts hindurchdringt. Nach Osten zu stehen die festgefrorenen Eisberge, die vom Gletscher von Jakobshavn abgebrochen sind; in einem einzigen Jahr hat er tausend Eisberge abgeworfen, zusammen über hundertvierzig Millionen Tonnen Eis, die wie eine erstarrte Bergkette fünfundsiebzig Seemeilen vor der Küste zwischen uns und dem Land stehen. Zu jeder Zeit gibt es auf einem Viertel der Meeresoberfläche der Erde treibendes Eis. Trotzdem wollen sie das Eis besiegen. Sie wollen es durchfahren, Ölbohrinseln darauf bauen und Tafeleisberge vom Südpol zur Sahara bugsieren, um die Wüste fruchtbar zu machen. Alles Projekte, deren Zwischenrechnungen mich nicht interessieren. Die Kalkulation von Unmöglichkeiten ist Zeitverschwendung. Man kann versuchen, mit dem Eis zu leben. Aber man kann nicht gegen das Eis anleben oder es verändern und anstelle des Eises leben. 5 Mod. Ein Anstieg des Meeresspiegels um rund einen Meter würde nach Prognosen der Klimaforscher unter anderem bedeuten, dass rund 1/5 von Bangladesh unter Wasser stände. Das träfe dann einen der am dichtesten besiedelten Landstriche der Erde und würde 40 Millionen Menschen zu Flüchtlingen machen. Auch deshalb verlaufen die Klimaverhandlungen so schleppend: die höchsten Kosten für Anpassungsmaßnahmen kämen nämlich auf die Länder zu, die fast nichts zum Klimawandel beigetragen haben, aber von den Folgen am härtesten getroffen werden. Für diese Ungerechtigkeit sollen die Industrieländer einen Anpassungsfond finanzieren, über die Höhe wird auch in Kopenhagen hart verhandelt werden. Atmo: Es gibt aber nicht nur Verlierer beim Klimawandel: Grönland könnte zumindest finanziell vom Abschmelzen seines Eisschildes profitieren. Denn unter dem - nicht mehr ewigen - Eis vermuten Experten die größten ungenutzten Ölreserven der Erde. Die Aussicht auf die enormen Rohstoffressourcen erhöht die Chance, dass Grönland wie zuvor schon Norwegen durch die Ölförderung reich werden könnte. Für viele ein verlockender Gedanke: Beitrag 5 Tobias Ignatiusen beugt sich nach vorne und öffnet die Kiste vor ihm im Boot. Darin ein heilloses Durcheinander ? Ölzeug, Garn, Handschuhe, Ösen, aber auch drei geladene Gewehre unterschiedlichen Kalibers. Taucht ein Wal auf oder eine Robbe, muss es schnell gehen, sagt der 50-Jährige. Zeit zum Laden bleibt da nicht: Wenn wir ab und an hinausfahren, um Minkwale zu fangen, dann sind wir stets mit mindestens fünf Booten unterwegs. Wenn ich dann das große Kaliber benutze, stirbt der Wal sofort. Das aber ist nicht gut, denn er muss auf dem Wasser schwimmen. Deshalb benutze ich das mittlere Kaliber. Dann saugt sich der Magen binnen einer halben Stunde mit Luft voll und der Wal bleibt an der Oberfläche. Das ist ein gutes Gewehr. Tobias ist an der Ostküste Grönlands groß geworden. Seit früher Kindheit fährt er hinaus aufs Meer ? wie sein Vater und sein Großvater vor ihm. Vor 20 Jahren war es viel, viel kälter. Heute ist es gerade im Winter sehr viel wärmer, vor allem in den letzten Jahren. Es gab kaum Schnee. Es regnete viel. Und der Polarstrom aus dem Norden, der das Eis bringt, kam nicht ? zumindest war er im März nur etwa einen Kilometer breit. Atmo Boot hoch, dann weiter Normalerweise kommt der Eisstrom Anfang November. Aber jetzt kommt er mitunter erst im März. Den ganzen Winter über gibt es kein Eis, weil die Wogen auf dem Wasser so hoch schlagen. Tobias fährt sich mit der Hand durch sein kurzes schwarzes Haar. Nachdenklich blickt er auf den Himmel, an dem sich dunkle Wolken zusammenziehen. Nicht allein das Klima hat sich seit Tobias Jugend verändert. Schon längst können er wie auch die anderen grönländischen Fischer nicht mehr vom Fang alleine leben. Umweltorganisationen wie Greenpeace nehmen uns seit 30 Jahren als Geisel. Sie haben dafür gesorgt, dass die Preise für die Robbenpelze so gefallen sind. Heute kann man sie nicht einmal mehr nach Europa exportieren. Robben nicht. Narwalzähne nicht. Walrosszähne nicht. Alles ist heute verboten. Atmo Boot in Hafen Langsam steuert Tobias sein Boot in den Hafen von Tasiilaq zurück. Er selbst, sagt er, kommt irgendwie über die Runden. Ab und an begleitet er Touristen - im Sommer mit dem Boot, im Winter mit dem Hundeschlitten. Tobias ist zwiegespalten, wenn er an den Kopenhagener Klimagipfel denkt. Einerseits kann er die Auswirkungen des Klimawandels spüren. Andererseits hofft er durch den Klimawandel auf Investitionen und Wachstum für die Region. Insbesondere die Förderung von Öl und Gas vor der Küste würde den Menschen hier eine Perspektive bieten. Immer wieder heißt es, wir Grönländer dürfen keine Robben töten. Aber in Europa isst man doch auch Rind und Schwein und Hühnchen. Bitte, wer sagt, das dürft ihr nicht? Wer sagt, diese Tiere dürft ihr nicht in enge Ställe zwängen und anschließend töten? Uns aber wird unsere traditionelle Lebensweise verboten. Aber bitte wovon sollen wir dann leben, wenn nicht von der Sozialhilfe? Mod 6. Eigentlich soll ab Montag in Kopenhagen ein Folgeabkommen für das 2012 auslaufende Kyotoprotokoll ausgehandelt werden, es sollte ehrgeiziger sein, als das erste völkerrechtliche Abkommen, es soll die Industriestaaten dazu bringen ihre Emissionen drastisch zu drosseln, und auch die aufstrebenden Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien in ein globales Abkommen einbinden. Noch scheint es aber wahrscheinlicher, dass Kopenhagen am Ende nur für eine Absichtserklärung und nicht für ein neues Klimaabkommen stehen wird, denn schon jetzt scheinen viele Positionen unvereinbar- zum Beispiel die zwischen den Schwellenländern und Industrieländern - . wie den USA und China. Aus den Schloten der beiden Supermächte kommen zusammen 2/5 der globalen CO²-Emmissionen. Und China stößt dabei noch mehr CO2 aus als Amerika, aber nur absolut gesehen. Die Pro-Kopf-Emissionen dagegen liegen in China unter fünf Tonnen pro Jahr, in den USA bei fast 20 Tonnen. Wer muss also mehr einsparen? Eine der vielen Kontroversen in Kopenhagen Die aber nicht davon ablenken sollten, dass die Weltgemeinschaft keine Zeit mehr hat für solche Spitzfindigkeiten, denn die Auswirkungen des Klimawandels bedrohen schon jetzt vielen Regionen und ganze Küstenstreifen. Atmo: Das weiß auch Connie Hedegaard. Die Dänin war die erste Klimaministerin ihres Landes, nun wird sie die nationale Bühne verlassen und der gleichen Mission als EU-Komissarin für Klimaschutz folgen.: Atmo Schule Einmal mehr hat der Tag früh angefangen. Um kurz nach Fünf standen Connie Hedegaards Chauffeur, ihre Büroleiterin und ihr Pressesprecher vor der Tür ihres Hauses im Kopenhagener Norden. Jetzt, drei Stunden später steht sie vor einem versammelten Gymnasium am anderen Ende des Landes. Atmo hoch Connie Hedegaard spricht über die Rasanz des Klimawandels. Dutzendfach hat sie diesen Vortrag schon gehalten. Doch davon merken die Schüler nichts. Hedegaards Elan ist ungebrochen. Der Kontakt mit der Jugend ist ihr besonders wichtig. Ich habe die Schüler gefragt, wie viele von ihnen ihren Computer daheim zu laufen haben, während sie hier in der Schule sitzen ? und da rückten einige nervös auf ihren Stühlen hin und her. Es gibt so viel Energie, die wir in Europa verbrauchen, aus der wir absolut keinen Nutzen ziehen, ja die wir schlichtweg vergeuden. Jeder von uns kann bei sich selber anfangen. Und wenn ich dieses Bewusstsein bei den Schülern schaffe, dass sie Energie dort sparen, wo sie sowieso keinen Nutzen daraus ziehen, dann ist schon eine ganze Menge gewonnen. Atmo Auto Um kurz nach Neun geht es weiter. Connie Hedegaard sitzt im Auto hinten links, vor sich einen Stapel Papiere, in der Hand das Handy, auf dem sie eingegangene Nachrichten ließt. Hedegaards Biografie verlief nicht geradlinig, ging aber stets nach oben. Mit 23 wurde die heute 49-jährige zur Abgeordneten gewählt. In den 80er-Jahren galt sie als Hoffnungsträgerin ihrer konservativen Partei. 1990 aber kehrte Hedegaard der Politik den Rücken, wurde Journalistin, war vier Jahre später Nachrichtenchefin des Dänischen Rundfunks. 2004 dann die ? erneut überraschende ? Rückkehr in die Politik: Ab und an ist es schwer, nein zu sagen. Ich hatte 14 Jahre lang eine wunderbare Zeit außerhalb der Politik. Wenn du mich am Tag, bevor ich angerufen und mir der Ministerposten angeboten wurde, gefragt hättest, gehst du in die Politik zurück, hätte ich wahrscheinlich geantwortet: No way. Aber dann kam das Angebot und ich als Bürgerliche kann ja nicht an der Seitenlinie sitzen, alles kritisieren, selbst aber keine Verantwortung übernehmen wollen. Das war das entscheidende Argument. Ich wollte mich der Verantwortung stellen. Nur eine Woche später droht Hedegaard mit Rücktritt, weil das Budget des Umweltministeriums gekürzt werden soll. Die konservative Politikerin setzt sich durch, formuliert ambitionierte Ziele für das Land: 2011 soll Dänemark 20 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Quellen beziehen, 2020 schon 30. Hedegaard betont, Dänemark sei das energieeffizienteste Land der Welt, der Gesamtenergieverbrauch seit den 70er-Jahren nicht gestiegen. Sie verschweigt aber geflissentlich, dass jeder Däne noch immer durchschnittlich 10 Tonnen CO2 im Jahr verbraucht: Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem man nicht mehr sagen kann, okay, wir machen business as usual. Weltweit haben wir nun wirklich erkannt, dass wir vor enormen Herausforderungen stehen und wir diese wahrscheinlich nur zusammen lösen können. Natürlich gibt es auch wirtschaftliche Herausforderungen, Arbeitsplätze müssen gesichert werden, aber ich bin der Meinung, die Klima- und Energiepolitik ist Teil der Lösung, nicht Teil des Problems. Gerade nach der Wirtschafts- und Finanzkrise haben viele Entscheidungsträger begriffen, dass wir wirklich auf dem Holzweg waren. Der Globus hält ein "weiter so" nicht aus. Und nun haben wir die Möglichkeit des Umdenkens. Atmo Treppenhaus Der nächste Auftritt wartet, ein Interview im Dänischen Rundfunk. Nach dem Klimagipfel wird Hedegaard die heimische Politik verlassen, wird in der neuen EU-Kommission das Klimaressort übernehmen. Sie weiß, auch der Kopenhagener Gipfel wird nicht alle Probleme lösen. Dennoch glaubt sie ? zumindest vor den Mikrofonen und Kameras ? an einen Erfolg. Auch wenn sie weiß, dass am Ende nicht Dänemark, sondern Washington, Peking, Neu-Dehli und andere Schlüsselakteure darüber entscheiden. Ich und meine Mitarbeiter haben in den vergangenen Jahren versucht, den politischen Preis, mit leeren Händen nach Kopenhagen zu kommen, so hoch wie möglich zu machen ? so hoch, dass keine Regierung dies wagen sollte. Und die Dinge bewegen sich. Ich bin überzeugt, wer jetzt nicht einlenkt, der hat seine politische und wirtschaftliche Führungsrolle im 21. Jahrhundert verspielt. Das wissen sie auch in China und den USA. Hoffen wir nur, dass sie sich in Kopenhagen daran erinnern. Abmod. auf Musik: Gesichter Europas: Das Ende des ewigen Eises - die Gletscherschmelze in Grönland. Mit Reportagen von Marc-Christoph Wagner, Die Literatur las Thomas Lang. Die Musikauswahl traf Simonetta Dibbern Am Mikrophon war Britta Fecke. 21