COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Vollbremsung in Schleswig-Holstein - Die Kürzungspläne der Landesregierung - Autor Günther, Matthias Red. Stucke, Julius Sdg. 16.06.2010 - 13.07 Uhr Länge Beitrag 18.20 Minuten -folgt Manuskript Beitrag- Manuskript Beitrag ATMO (Atmo Demo) Protest vor dem Landtag in Kiel - Demonstrationen gehören hier zum Alltag, seit bekannt ist, wo die schwarz-gelbe Koalition in Schleswig-Holstein Kürzungen plant. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen von der CDU wendet sich an die protestierenden Bürger, ruft ihnen zu: OT 01 (Carstensen) "Jeder bei Ihnen zu Hause weiß, dass man nicht über seine Verhältnisse leben kann, nicht dauerhaft mehr ausgeben kann, als man einnimmt. Und deswegen geht es auch darum, den Haushalt wieder in Ordnung zu bringen, damit wir unseren Kindern eine Zukunft geben." Das Land Schleswig-Holstein hat jahrelang über seine Verhältnisse gelebt, hat mehr ausgegeben als eingenommen. Fast 25 Milliarden Euro Schulden sind so über die Jahre zusammengekommen. Allein die Zinsen für die alten Schulden liegen bei einer Milliarde Euro pro Jahr. Sie fressen mehr als ein Zehntel des Haushalts auf. So kann es nicht weiter gehen, ist die Botschaft des Ministerpräsidenten an Eltern, die aus Protest gegen Einsparungen bei den Kitas mit ihren Kindern vor den Landtag gezogen sind: OT 02 (Carstensen) "Einen Wechsel auszustellen, den wir unterschreiben, und den diese Kinder zu bezahlen haben, das ist eine Politik, die mit mir nicht zu machen ist, und deswegen bin ich heute hier hergekommen, um Ihnen auch das zu sagen." Peter Harry Carstensen will dem Protest trotzen und an Kürzungen festhalten. Grund dafür ist auch: die Schuldenbremse. Sowohl das Grundgesetz als auch die Schleswig- Holsteinische Landesverfassung schreiben vor, dass von 2020 an keine neuen Schulden mehr gemacht werden. Bisher macht Schleswig-Holstein aber noch 1,25 Milliarden neue Schulden im Jahr. Dieses Defizit muss das Land bis 2020 also abbauen. Das Sparpaket von CDU und FDP sieht Einschnitte in fast allen Bereichen vor: 5300 Stellen beim Land werden gestrichen. Soziale und kulturelle Organisationen und Einrichtungen bekommen weniger oder gar kein Geld mehr. Das Blindengeld wird gekürzt, der Zuschuss zur Schülerbeförderung gestrichen, die Beitragsfreiheit für das dritte Kita-Jahr wieder abgeschafft, die Schulen der dänischen Minderheit bekommen weniger Geld. Auch beim Schleswig-Holstein-Musikfestival wird gekürzt, das Landeskulturzentrum in Salzau verkauft. Das Land spart auch beim Straßenbau, gibt seine Beteiligungen am Flughafen Kiel-Holtenau ab. Die Häfen Husum, Tönning, Friedrichstadt und Glückstadt werden verkauft, der Hafen Friedrichskoog geschlossen. Die Förderung der Tourismusagentur des Landes entfällt. Die einzelbetriebliche Wirtschaftsförderung, bei der Unternehmen beispielsweise für die Schaffung von Arbeitsplätzen Zuschüsse bekommen, wird abgeschafft. Tiefe Einschnitte sind bei den Hochschulen geplant: Die Uni Lübeck verliert das Medizinstudium, die Uni Flensburg die wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge. Die Opposition im Schleswig-Holsteinischen Landtag spricht von einem Kahlschlag. Robert Habeck, Fraktionschef der Grünen, vermisst ein Gesamtkonzept: OT 03 (Habeck) "Man nimmt den Vorschlaghammer, schlägt erstmal eine Wand raus, wenn die Landespolitik ein Haus wäre, und weiß nicht, ob einem die Decke auf den Kopf fällt oder ob man diese Wand später noch gebraucht. Wir haben keine Idee, wie die Arbeitsplätze entstehen sollen, wie viel Bildung wir brauchen, wie viel Investitionen für den Klimaschutz wir brauchen, aber wir fangen erstmal an, rumzuschnippeln und zu rasieren. Das kann man ja alles tun, oder man kann darüber ernsthaft reden, wenn es so etwas wie eine Zielvorstellung, eine politische Idee gibt. Hier ersetzt aber buchhalterisches Handeln politisches Handeln." Für Ralf Stegner, den Vorsitzenden der SPD-Fraktion und Oppositionsführer im Schleswig-Holsteinischen Landtag, ist das Konzept der Koalition ein Kürzen nach der Rasenmäher-Methode: OT 04 (Stegner) "Das klingt dann gerecht, so nach dem Motto: wir beteiligen ja alle. Der Unterschied ist nur: bei dem Einen sieht die Beteiligung so aus, dass da in einem vollen Haarschopf ein Haar ausgerissen wird, und bei dem Anderen sieht der Rasenmäher so aus, dass der Kopf weg ist." Uneingeschränkten Beifall für das Sparpaket gibt es nur vom Steuerzahlerbund. Landesgeschäftsführer Rainer Kersten sagt. OT 05 (Kersten) "Es ist ein wirklich mutiges Konzept, was man hier auf die Beine gestellt hat, denn es wird eine Vielzahl von Gruppen betroffen, negativ betroffen. Und dennoch ist man als Landesregierung offenbar fest gewillt, jetzt auch die Proteste auszuhalten, denn es gibt zu solch harschen Einschnitten jetzt keine Alternative mehr, wenn man wirklich die Schuldenbremse einhalten will." Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände in Schleswig-Holstein kritisieren vor allem die Streichungen und Kürzungen im Sozialbereich. Günter Ernst-Basten vom Paritätischen Wohlfahrtsverband rechnet mit nicht wieder gut zu machenden Schäden: OT 06 (Ernst-Basten) "Wir befürchten, dass Vieles an sozialer Infrastruktur, was aufgebaut wurde in den letzten Jahren, ob das die Frauenhäuser sind, die Frauenberatungsstellen, die Selbsthilfekontaktstellen, die Beratungsstellen für Suchtkranke, für psychisch Kranke, und ich könnte diese Liste jetzt weiter fortführen, dass all diese Einrichtungen in ihrer Existenz bedroht sind. Was passiert, wenn finanzielle Mittel für soziale Einrichtungen gestrichen werden, schildert Günter Ernst-Basten am Beispiel der Selbsthilfekontaktstellen, die im Lande flächendeckend eingerichtet worden sind: OT 07 (Ernst-Basten) "Diese Kontaktstellen, die sind mit einer halben Stelle, mit einer Stelle, aus diesen Mitteln in der Regel finanziert und bilden die Grundlage für vielleicht 100, 150, teilweise 200 Selbsthilfegruppen, die sich um diese Person und um diese Räumlichkeiten gruppieren. Selbsthilfegruppen im Gesundheitsbereich, bei Verschuldungsfragen, in vielen, vielen sozialen Feldern. Wenn wir das wegnehmen, dann bricht für ganz viele Menschen etwas zusammen. 150 Gruppen, vielleicht zehn Leute im Durchschnitt, da sind sehr sehr viele Menschen, die betroffen sind." ATMO (Atmo Demo) Bei einer Demonstration vor dem Landtag kritisiert Georg Falterbaum von den freien Wohlfahrtsverbänden, dass Eltern für das dritte Kita-Jahr künftig wieder Gebühren zahlen sollen: OT 08 (Falterbaum) "Die Beitragsfreiheit hat sehr wohl etwas gebracht, es hat zum einen einen sozialpolitischen Aspekt, aber auch einen bildungspolitischen Aspekt. Wir müssen zusehen, dass im dritten Kindergarten-Jahr, möglichst viele Kinder vorbereitet werden auf die Schule. Bildung ist wichtig, die beginnt schon im Kindergarten. Es sind mehr Kinder, die vorher nicht in den Kindergarten gekommen sind, in den Kindergarten gegangen - gerade aus den Bereichen, wo es besonders wichtig ist, dass sie den Kindergarten besuchen." Ministerpräsident Peter Harry Carstensen hat mit dem Proteststurm gegen das Sparpaket gerechnet. OT 09 (Carstensen) "Ich hab auch Verständnis dafür, ich hab Riesenverständnis dafür, dass eine betroffene Gruppe auf die Barrikaden geht. Ich habe Verständnis dafür, dass in vielen Bereichen die Leute sagen, wieso bin ich jetzt der Betroffene. Ich hab auch jedem immer gesagt, auch meinen eigenen Parteifreunden, Leute, es kommt eine Schwierigkeit auf uns zu." Doch Carstensen will nicht einknicken. Wann, wenn nicht jetzt, soll man die Schuldenbremse anziehen, fragt er. OT 10 (Carstensen) "Ich glaube nicht, dass wir in den nächsten fünf, sechs Jahren einen zweiten Aufschlag haben werden. Deshalb ist das wirklich die letzte Situation, um hier im Haushalt und für das Land Schleswig-Holstein noch mal das Ruder rumzureißen." Der lauteste Protest kommt aus der Hansestadt Lübeck. ATMO (Demonstration, Rufe: "Lübeck kämpft") "Lübeck kämpft", rufen hier Studierende vor dem Landtag in Kiel. Auch heute Nachmittag wollen sie wieder vor das Parlamentsgebäude ziehen - gemeinsam mit Professoren und Bürgern der Stadt kommen sie mit einem Sonderzug nach Kiel. Denn die schwarz-gelbe Koalition will an der Lübecker Uni den Studiengang Medizin einstellen. In Schleswig- Holstein sollen Ärzte dann nur noch in Kiel ausgebildet werden. Viele Studierende haben sich aber gerade für die Lübecker Uni entschieden, weil deren Medizin-Studiengang im deutschlandweiten Ranking seit Jahren an erster Stelle steht. OT 11 (Studierende) "Ich komme aus der Nähe von München. Ich bin nach Lübeck gekommen, weil ich gerne Mathematik studieren möchte, aber nicht nur Mathematik, sondern die Anwendung haben wollte. Lübeck ist ja berühmt für die Medizin. Und ich wollte die Anwendung in der Medizin suchen, und deswegen bin ich hier hergekommen." "Ich komme aus Schwerin und bin nach Lübeck gekommen, weil ich medizinische Informatik studieren wollte und mir genau Gedanken darüber gemacht habe, wo das möglich ist, hab mir alle Universitäten angeguckt, und dabei ist Lübeck einfach herausgestochen durch die Exzellenz in der Medizin und auch durch die sehr enge Verzahnung durch den Medizinsche- Informatik-Studiengang mit der Medizin, so dass das also für mich eine eindeutig klare Entscheidung für Lübeck war." "In der Forschung gibt es auch noch andere Standorte, die gut sind, aber hier hat man beides: gute Forschung und vor allem gute Lehre." Mit dem Studiengang Medizin würden an der Universität zu Lübeck 1500 von 2600 Studienplätzen wegfallen. Und der verbleibende kleine Rest mit Studiengängen wie Medizintechnik, Biomathematik oder medizinischer Informatik ist eng mit der Medizin verwoben. Für Uni-Präsident Peter Dominiak steht deshalb fest: OT 12 (Dominiak) "Wenn der Studiengang Medizin hier eingestellt wird, dann bedeutet das auch automatisch den Tod der Universität." Nicht nur die Hochschule protestiert. Auch Wirtschaftsverbände machen sich für einen Erhalt des Medizinstudiengangs stark. Denn in der Region Lübeck gibt es 600 Unternehmen mit 15.000 Arbeitsplätzen aus dem Bereich Medizintechnik und Medizin. Lübecks Bürgermeister Bernd Saxe weist darauf hin, dass sich einige Unternehmen nur wegen der Universität im Raum Lübeck angesiedelt haben: OT 13 (Saxe) "Wir müssen einfach befürchten, dass der eine oder andere von diesen Unternehmern sich auch über Alternativen Gedanken macht, wenn hier eine Forschungseinrichtung nicht mehr vorhanden ist, und das ist ja das, was uns konkret droht." Die ersten Unternehmer haben schon angekündigt, sich einen anderen Standort zu suchen, wenn in Lübeck der Studiengang Medizintechnik geschlossen wird - die strukturschwache Region Lübeck hätte noch weniger Arbeitsplätze und noch weniger Gewerbesteuereinnahmen. Und wahrscheinlich würden die Firmen nicht nur die Region Lübeck, sondern auch das Land Schleswig-Holstein verlassen. Enno Hartmann, der Vizepräsident der Lübecker Uni, geht deshalb davon aus, dass eine Abschaffung des Medizinstudiengangs dem Land mehr schadet als nutzt. OT 14 (Hartmann) "Es gibt offensichtlich keine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung dieser Sparmaßnahme. Es gibt keine fiskalische Betrachtung dieser Sparmaßnahme. Das heißt hier wird gespart nach dem Motto: spare mit jedem Pfennig - koste es, was es wolle." Die Flensburger Universität soll die Wirtschaftswissenschaften verlieren und sich auf Erziehungswissenschaften und die Lehrerausbildung konzentrieren. Etwa ein Fünftel der Studienplätze würde wegfallen. Die Wirtschaftswissenschaften in Flensburg sind aus Sicht von Uni-Präsident Lutz Reuter jedoch wichtig für den Wirtschaftsstandort: OT 15 (Reuter) "Etwa bei der Ansiedlungspolitik für neue Firmen, da ist eine Universität ein Werbeträger, aber ihnen fehlt auch vor Ort eine Institution, in der Personen ausbildet werden, die sie in der Region halten können. Man darf nicht vergessen: der nördliche Teil Schleswig-Holsteins ist wirtschaftlich schwach, und da spielt gerade eine Universität, die Personal für die Region ausbildet, eine wichtige Rolle." Die Einstellung der wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge in Flensburg hätte auch Auswirkungen auf gemeinsame Studiengänge mit der süddänischen Universität in Sonderburg: OT 16 (Reuter) "Die Dänen haben sich äußerst verärgert und frustriert gezeigt. Es gibt einen offenen Brief des Rektors der süddänischen Universität, der auf den großen Schaden für die Grenzregion und für deutsch-dänische Zusammenarbeit verweist. Von den Landräten gibt es Proteste. All das, was mit viel Mühe und viel Geld auch aus der regionalen Wirtschaft aufgebaut worden ist, würde dann kaputtgemacht werden." Der Vorsitzende der Region Syddanmark, Carl Holst, ist daher nach Kiel gereist, um Ministerpräsident Carstensen von diesem Sparvorhaben abzubringen: OT 17 (Carl Holst, overvoiced) "Die Sparpläne vom 26. Mai führen in ihrer Konsequenz dazu, dass das Fundament für die süddänische Universität in Sonderburg verschwinden wird." Denn die grenzübergreifende Zusammenarbeit mit der Universität Flensburg in den Wirtschaftswissenschaften ist der Schwerpunkt der Syddansk Universität. Ministerpräsident Carstensen hat sich bisher stets für ein gutes deutsch-dänisches Verhältnis eingesetzt - in diesem Punkt aber bleibt er hart:, OT 18 (Carstensen) "Hier haben wir einen Punkt, wo der Regionsvorsitzende aus Dänemark dem Ministerpräsidenten aus Schleswig-Holstein ins Gewissen redet und sagt: sieht zu, dass Du diesen Punkt noch änderst, und der Ministerpräsident aus Schleswig-Holstein ihm sagt: ich habe im Moment keine Möglichkeit." Auch bei einem weiteren Punkt lenkt Carstensen nicht ein: Die Schulen der dänischen Minderheit im nördlichen Schleswig-Holstein sollen nicht mehr wie bisher zu 100 Prozent gefördert werden, sondern nur noch zu 85 Prozent. Die schwarz-gelbe Koalition in Kiel rechtfertigt sich: das sei immer noch mehr als die 80-Prozent-Förderung für Privatschulen. Das könne man nicht gelten lassen, sagt hingegen Anke Spoorendonk, die Fraktionsvorsitzende des Südschleswigschen Wählerverbandes, der Partei der dänischen Minderheit: OT 19 (Spoorendonk) "Die dänischen Schulen sind Regelschulen, sind öffentliche Schulen für den dänischen Bevölkerungsteil. Wer eine deutsche Privatschule besucht, hat immer noch die Möglichkeit, wenn Unzufriedenheit aufkommt, dann zu einer öffentlichen Schule, zu einer Regelschule zurück zu gehen. Diese Möglichkeit besteht für Kinder aus der dänischen Minderheit nicht." Ministerpräsident Carstensen verweist hier auf die Notwendigkeit des Sparpakets. Andernfalls fände sich Schleswig-Holstein im Jahr 2016 in der Situation wieder, in der Griechenland heute ist: OT 20 (Carstensen) "Ich will nicht wie Griechenland werden. Wenn wir 2016 eine solche Situation haben, und sei sie nur annähernd, dann haben wir keinen mehr, der uns hilft. Und deswegen ist es nötig, auch für die dänischen Schülerinnen und Schüler und dänischen Kinder, die später mit ihren Steuerzahler-Mitteln diese Schulden zu bezahlen haben, dass wir jetzt zu einer Lösung da kommen, damit wir wieder Spielraum bekommen." Trotz des breiten Protests: Die Opposition stimmt einigen Vorschlägen zu. Auch die SPD ist dafür, Tausende Stellen im Landesdienst zu streichen und etwa die einzelbetriebliche Wirtschaftsförderung abzuschaffen. Und die Grünen haben etwa 30 Punkte in dem Sparpaket der schwarz-gelben Koalition ausgemacht, denen sie ihre Stimmen geben wollen - von der Zusammenlegung der Katasterämter bis zu Schließung von kleineren Gefängnissen. Aber selbst wenn die schwarz-gelbe Koalition ihr gesamtes Sparpaket durchsetzen könnte, würde das nicht reichen, zumindest nach Rechnung der Grünen. Anders als die Koalition kommen sie zu dem Ergebnis, dass der Haushalt im Jahre 2020 nicht ausgeglichen wäre, sondern ein Defizit von 1,4 Milliarden Euro hätte. Wie die anderen Oppositionsfraktionen fordern deshalb die Grünen, nicht nur zu kürzen, sondern auch die Einnahmen zu erhöhen. Der Vorsitzende der Grünen im Schleswig-Holsteinisch Landtag, Robert Habeck: OT 21 (Habeck) "Wenn man rückwärts rechnet, dann - man mag es ja gar nicht mehr sagen - ist das erste das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, Hoteliers und reiche Erben, dran, 70 Millionen für das Land. Dann hat SPD und CDU in den letzten Phasen ihrer Regierung ein Familienentlastungsgesetz von 400 Millionen Euro beschlossen. Man kann sicherlich für die Familien mehr tun, aber dann muss man es strukturell angehen, da kann man sicherlich was machen. Rot-Grün, also auch meine Partei, hat die Einkommensteuer gesenkt, Körperschaftssteuer abgeschafft. Das hat alles nicht geholfen, und jetzt stehen wir vor den Trümmern und müssen den Pfad rückwärts beschreiten, sonst wird diese Gesellschaft an die Wand gefahren werden." Auch SPD-Fraktionschef Ralf Stegner empfiehlt, sich erst einmal beim Bund dafür einzusetzen, bisherige Steuerentlastungen zurückzunehmen. Schleswig-Holstein müsse seine Bundesratsstimmen richtig nutzen, sagt Stegner - und nicht Gesetzen zustimmen, die den Ländern schaden. Beispiel: Wachstumsbeschleunigungsgesetz: OT 22 (Stegner) "Da hat Herr Carstensen konkret gegen die Interessen der Menschen in Schleswig-Holstein gehandelt, und dafür muss er sich verantworten. Wenn Herr Carstensen jetzt hingeht und sagt, wir stellen den Antrag, dass das zurückgenommen wird, wir setzen uns dafür ein und wir setzen es sogar durch, dann zieh ich den Hut. Ich fürchte nur, das wird nicht passieren." Der Oppositionsführer setzt deshalb darauf, dass Abweichler aus den Reihen der Koalition wesentliche Teile des Sparpakets zu Fall bringen - schließlich haben CDU und FDP im Schleswig-Holsteinischen Landtag nur eine hauchdünne Mehrheit: OT 23 (Stegner) "Wir hoffen, dass die knappe Ein-Stimmen-Mehrheit an entscheidenden Punkten für Schwarz-Gelb nicht realisiert werden kann. Jeder Abgeordnete weiß, er ist dem Wohl des Landes verpflichtet und er soll Schaden abwenden. Und wenn ein Lübecker Abgeordneter also dafür stimmt, seine Region zu ruinieren, dann wird er das vor dem Wähler verantworten müssen. Der muss wissen, dass wir das öffentlich thematisieren werden und das wird nicht folgenlos bleiben." Das zielt auf den einzigen Lübecker Landtagsabgeordneten der schwarz-gelben Koalition: Gerrit Koch von der FDP-Fraktion. Von der Aussage des SPD-Fraktionschefs zeigt er sich unbeeindruckt: OT 24 (Koch) "Ich freue mich ja, dass er mir eine so große Aufmerksamkeit schenkt, ich lasse mich von ihm natürlich nicht unter Druck setzen und er muss mich auch nicht darüber aufklären, was eine Stimme Mehrheit im Landtag bedeutet. Dessen bin ich mir sehr bewusst. Aber ich mache sicherlich keine SPD-Politik, sondern eine der FDP- und CDU-Koalition." Dennoch: auch Gerrit Koch sorgt sich um die Zukunft des Hochschulstandortes Lübeck. Er setzt sich für den Erhalt des Medizinstudiengangs ein. Seine Zustimmung zum Sparpaket ist nicht selbstverständlich, sagt er, denn er fühlt sich in erster Linie seinem Wahlkreis und seiner Heimatstadt Lübeck verpflichtet: OT 25 (Koch) "Natürlich fühle ich mich auch der Partei verpflichtet, aber auch nur, solange wie die Partei eine vernünftige Politik macht, wobei ich jetzt nicht das in Abrede stellen will." Auch in anderen Regionen Schleswig-Holsteins sehen Abgeordnete der Koalition einen Konflikt zwischen den Interessen ihres Wahlkreises und der Koalitionsdisziplin. Ministerpräsident Carstensen hat sie dazu aufgerufen, Alternativ-Vorschläge zu machen. Der FDP-Abgeordnete Gerrit Koch unterstützt deshalb Bemühungen von Universität, Politik und Wirtschaft in Lübeck, die angestrebte Sparsumme zu erreichen, ohne den Medizinstudiengang in Lübeck aufzugeben. Sie suchen Geldgeber für ein Stiftungsmodell für die Lübecker Uni. Einige Zusagen gibt es bereits. Carstensen ist offen für derartige Lösungen: OT 26 (Carstensen) "Wenn ich das Gewicht im Paket bekomme, dann bin ich so frei, dann auch zu sagen, jawohl, diese Vorschläge nehmen wir auf. Aber nur zu sagen, nein, wir akzeptieren das nicht, kann ich nicht akzeptieren." Peter Harry Carstensen gibt sich zuversichtlich, das Sparpaket in dem geplanten Umfang durch den Landtag zu bekommen - trotz der knappen Mehrheit: OT 27 (Carstensen) "Das Parlament hat das Königsrecht, den Haushalt festzulegen, und ich bin mir sehr sicher, dass das Gewicht des Pakets nicht verändert wird." Medienberichte, nach denen er für den Fall des Scheiterns des Sparpakets mit seinem Rücktritt gedroht hat, hat Carstensen dementieren lassen. Aber vielleicht ist es auch gar nicht nötig, diese Drohung offen auszusprechen. Viele Schleswig-Holsteiner sind der Meinung von Rainer Kersten vom Steuerzahlbund: OT 28 (Kersten) "Gelingt es nicht, das Konzept als Ganzes durchzusetzen, dann, denke ich, wird auch diese Regierungskoalition am Ende sein." Den ersten Punkt des Sparpakets will die Koalition schon an diesem Freitag durchsetzen. Dann stimmt der Landtag ab: über die Abschaffung der Beitragsfreiheit für das dritte Kita-Jahr. Wegen ihrer knappen Mehrheit von einer Stimme müssen CDU und FDP dann alle Mann an Deck haben, wenn sie nicht Schiffbruch erleiden wollen. -ENDE- 5