COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Länderreport 20.12.10 Vorbeugen ist besser als keilen - Gewaltprävention in Schleswig-Holstein Autor: Matthias Günther Red: Claudia Perez Anmoderation: Vorbeugen ist besser als keilen. Vorbeugen ist vor allem preiswerter und effektiver als reparieren. Diese Binsenweisheit wird immer wieder gerne nach entstandenem Schaden verbreitet. Wenn die Polizei eingreifen muss, ist es oft schon zu spät. Um Kriminalität zu verhindern oder zumindest zu verringern, ist, wie es immer so schön heißt, die ganze Gesellschaft gefragt: Schulen, Kindergärten, Sozialarbeiter, Stadtplaner, Vereine, Verbände, Kirchen usw. In schleswig-holsteinischen Städten wurden nach dänischem Vorbild erste so genannte örtliche kriminalpräventive Räte gebildet, in denen diese Einrichtungen zusammenarbeiten. Vor 20 Jahren dann wurde landesweit der erste Rat für Kriminalitätsverhütung eingerichtet, der die örtlichen Räte unterstützt. Die Idee hat inzwischen in ganz Deutschland viele Nachahmer gefunden. Matthias Günther hat diese Zusammenarbeit überprüft und festgestellt, dass das wirklich hilft. Nicht nur statistisch gesehen. Inzwischen ist klar, dass Kriminalitätsverhütung heute nicht mehr in erster Linie auf bessere Schlösser und Alarmanlagen zu reduzieren ist. Atmo Gemurmel Samstagmorgen im Lübecker Stadtteil Buntekuh. Ein Dutzend Jugendliche sind in den Versammlungsraum des Anwohnervereins gekommen - zum Frühstück. Erzieherin Nicole Freyher begrüßt die Gäste und teilt mit: "Heute werden ein paar Porträtfotos gemacht von den Leuten, die bei dem Graffiti mitgesprayt haben. Auch die Gäste, die noch nicht so viel damit zu tun haben, möchte ich begrüßen, dich zum Beispiel, und vielleicht hast du durch das Treffen heute auch schon Lust, an der weiteren Projektarbeit hier noch teilzunehmen." Es geht um die Graffiti, die die Jugendlichen auf eine Mauer an der Fregattenstraße gesprüht haben - mit Einverständnis des Eigentümers. Für den pädagogisch betreuten workshop stand eine 70 Meter lange und zweieinhalb Meter hohe Garagenrückwand zur Verfügung. Sie ist jetzt mit Motiven der Hansestadt Lübeck verziert. Nun sollen von den jungen Sprayern Fotos gemacht werden für eine Ausstellung der Kunstwerke. "Lasst es Euch erst einmal schmecken." Die Erzieherin leitet den workshop gemeinsam mit dem Sozialpädagogen Sascha Jelinski. Während die Jugendlichen zu den Brötchen greifen, erklärt er: "Die Garage war vorher beschmiert mit so genannten Tags, mit den Signaturkürzeln von verschiedenen, na ja, Sprayern möchte ich sie jetzt nicht nennen, aber von Schmierern, und allgemein ist schon die Frage seit langem im Raum, ob die Garagenfläche nicht hätte schon gestalten können, und wir haben uns in diesem Jahr dieses Projekts angenommen und konnten so doch die Garagenwand um einiges verschönern." Der Lübecker Stadtteil Buntekuh hat nicht den besten Ruf. Er entstand in den 60er Jahren. Hochhäuser wurden hier auf die Grüne Wiese gesetzt. Die Bewohner kommen aus aller Herren Länder. Die Eltern und oft schon die Großeltern der Jugendlichen, die bei dem Graffiti-workshop mitmachen, waren nach Deutschland eingewandert. Die Teilnehmer sind zwischen 14 und 21 Jahre alt. Fedat Akay ist 17. Er erzählt, was er gelernt hat: "Den Umgang mit Farbe, und wie man halt diese Graffitis malt und so was. Wurde uns von einem professionellen Graffiti-Sprayer gezeigt, wie man das macht. Hat uns auch ein bisschen geholfen dabei." Fedat Akay hat seine künstlerische Ader entdeckt. Wenn es die Gelegenheit gibt, will er seine neuen Kenntnisse gern anwenden, sagt er. Fedat weiß, dass es bei diesem Projekt nicht nur um die eine Garagenwand geht: "Was für die Gemeinde tun. Und nicht einfach Farbe nehmen und irgendwo anders hinschmieren. Also schon gezeigt wird, wo man das darf und wo nicht. Zum Beispiel nicht an Orten, wo es nicht zugelassen wird, bei Privatgeländen oder so was, darf man zum Beispiel nicht. Also da, wo die Gemeinde zulässt, wo die auch zulassen, dass man die Garage von denen verschönert, da dürfte man das machen." Auch das hat ihnen der professionelle Graffiti-Künstler erklärt. Alle Teilnehmer geben an, zuvor noch nie eine Wand besprüht zu haben. Und es geht auch gar nicht nur darum, sie vom illegalen Graffiti-Sprayen abzuhalten, sagt Erzieherin Nicole Freyher: "Es geht darum, Graffiti als eine Form von Kunst zu nehmen und es geht darum, darüber zu sprechen, welche Folgen hat illegales Sprayen, und es geht darum, wenn man Graffiti richtig anwendet, welche Möglichkeiten man auch hat. Also es gibt ja auch die Möglichkeit, dass Leute auch auf die Jugendlichen jetzt zukommen und sagen, sie finden das so toll, sie hätten das auch gern an ihrer Garagenwand oder im Kinderzimmer. Es ist ja ein sehr weit gefächerte Form von Kunst." Mit der geplanten Ausstellung wollen die Jugendlichen auch für ihre Dienste werben. Einige Anwohner, die gesehen haben, wie die Teilnehmer des workshops die Garagenwand neu gestalteten, haben schon Interesse gezeigt und vor allem: sie haben die Jugendlichen gelobt. Ein typisches Projekt zur Kriminalprävention, sagt Sascha Jelinski: "Das ist Kriminalprävention, weil wir natürlich dadurch versuchen, Jugendlichen sinnvolle Freizeitgestaltung näher zu bringen, dass sie selber auch lernen, wie sie ihre Freizeit sinnvoll gestalten können, und nicht unbedingt sich mit andern Leuten zu zoffen, Schlägereien zu suchen oder sonst irgendwie kriminell aktiv werden." Das Graffiti-Projekt gehört zum Konzept, das der Kriminalpräventive Rat der Hansestadt Lübeck umsetzt. Die ersten dieser Räte auf kommunaler Ebene waren in den 80er Jahren in Schleswig-Holstein entstanden - nach dänischem Vorbild. In den Gremien arbeitet die ganze Bandbreite des öffentlichen Lebens mit: Schulen, Kindertagesstätten, Polizei, Justiz, Kommunalpolitik, kommunale Behörden wie das Jugendamt, Kirchen, freie Träger der Sozialarbeit, Bewährungshelfer, Vereine und Verbände. Die unterschiedlichen Kenntnisse sollen hier dazu beitragen, gemeinsam Lösungen zu finden. Uwe Müller vom Landespolizeiamt Schleswig- Holstein ist davon überzeugt, dass Kommunen am wirkungsvollsten Straftaten vorbeugen können - oft schon durch einfache Mittel wie eine ausreichende Beleuchtung von öffentlichen Wegen: "Dort wo es hell ist, fühlen sich Menschen erstens wohler, und zweitens sind Kriminelle auch eher weniger geneigt, dort Straftaten zu begehen." Auch die Stadtplaner sollten mit den Kriminalpräventiven Räten zusammenarbeiten, empfiehlt der Fachmann vom Landespolizeiamt. "Dazu sollte eine frühzeitige Beratung erfolgen. Es gibt bestimmt Kriterien, die Kriminalität begünstigen, oder zumindest Angsträume begünstigen, und wenn man da frühzeitig bei der Planung von Stadtteilen oder von Wohnsiedlungen darauf achtet, dann kann man später diese Probleme vermeiden. Also man sollte zum Beispiel versuchen, keine Ghettos zu schaffen. Zu starke Ballung von bestimmten Personengruppen führt halt dazu, dass die Kriminalität dann auch sehr stark ansteigt." Die Zusammensetzung der Kriminalpräventiven Räte ist von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Die Polizei ist aber immer mit dabei. Uwe Müller: "Oftmals ist es die Polizei, die solche Räte initiiert. Wir versuchen dann aber, uns möglichst frühzeitig zurückzuziehen, um nicht diese Führerrolle bis zum Ende zu behalten, denn das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und da ist es eigentlich an den Bürgermeistern, da die Zügel in die Hand zu nehmen." In vielen Kommunen nehmen die Bürgermeister diese Aufgabe auch schon wahr; sie haben Kriminalpräventive Räte eingerichtet. In Schleswig-Holstein gibt es davon inzwischen 92, der 93. wird demnächst gegründet. Deutschlandweit wird ihre Zahl auf 2000 geschätzt. Und oft übernehmen die Bürgermeister selbst den Vorsitz - so wie Thorsten Dahl in der Stadt Schleswig. Aus Dänemark hat die Stadt das Projekt "Nacht-Raben" übernommen, berichtet der Bürgermeister. "Das sind Erwachsene, die mit gelben Jacken bewaffnet, sagt ich mal, erkennbar sind, auf die Straße gehen, und Jugendlichen, die sich um zehn Uhr zuhause abmelden und sagen, wir gehen jetzt in die Disko, aber tatsächlich sich irgendwo treffen zum Vorglühen und eben um halb eins, eins, dann betrunken in die Diskothek gehen, die greifen wir auf der Straße ab. Ich bin selber ja auch Mitglied bei den Nachtraben." Die Nacht-Raben zeigen Präsenz, reden mit Jugendlichen, helfen ihnen, wenn es nötig ist, bringen sie unter Umständen nachhause und verständigen im Notfall die Eltern. Bürgermeister Thorsten Dahl freut sich besonders darüber, dass es in Schleswig gelungen ist, auch ein Patenschaftsprogramm für Jugendliche auf die Beine zu stellen: "Dort sind Erwachsene dabei, die eben als Paten Jugendlichen zur Verfügung stehen, die nicht mehr so den Draht zu ihren Eltern haben. Die Jugendlichen gehen dann mit den Paten einmal in der Woche ins Kino oder gehen spazieren, und können sich dann diesem anderen Erwachsenen mal so richtig öffnen. Und das hat also einen sehr großen Erfolg bei uns gehabt, dass eben die Jugendlichen, die auf dem Weg in die - na ja, in die Kriminalität schon beinahe waren, selber jetzt schon eine Ausbildung gemacht haben, Familie gegründet haben und auf dem richtigen Wege jetzt sind." In den Kindertagesstätten vieler Kommunen gibt es inzwischen Kurse zur Gewaltprävention. Die Kinder lernen, Konflikte verbal zu lösen. In Schleswig beispielsweise unter dem Motto "Faustlos". "Also wir können deutlich sagen: Dieses Projekt Faustlos läuft zum Beispiel schon seit über vier Jahren, dass die Kinder, die im Kindergarten damit aufgewachsen sind, die jetzt zur Grundschule kommen, da merken also die Grundschullehrer tatsächlich, dass dort also eine bessere Konfliktbewältigung stattfindet als wenn das eben ohne dieses Programm Faustlos ist. Wenn es im Kindergarten beginnt, ist es mit Sicherheit der richtige Weg." Auch in der Stadt Preetz im Landkreis Plön setzt der Kriminalpräventive Rat vor allem in den Kindertagesstätten und Schulen an. Bürgermeister Wolfgang Schneider: "Ich beginne einfach mal mit dem Kindergarten: Wir haben organisiert in den Kindergärten eine Sprachschulung für Menschen ausländischer Herkunft, aber auch für Deutsche. Die Sprachförderung setzt sich in den Schulen fort. Wir haben in den Schulen beispielsweise Streitschlichter in aller Preetzer Schulen, wir haben dort auch Streitschlichtungsgruppen in den Kindergärten, insofern sind wir also in diesen Projekten gut eingesetzt." Und auch der Preetzer Bürgermeister sieht Erfolge dieser Arbeit: "Wir haben viele Kinder, die Deutsch gelernt haben, die in den Schulen gute Erfolge zeigen, wir haben Kinder mit Migrationshintergrund, die inzwischen Abitur machen. Ich stelle fest, dass im öffentlichen Raum weniger auffälliges Verhalten von Jugendlichen festzustellen ist. Die Polizei bestätigt das. Wenn wir die Erfolge messen anhand der Kriminalstatistik, sinkt die Zahl von jugendlichen Straftätern, und da sind wir eigentlich sehr zufrieden." Die Kriminalpräventiven Räte der Kommunen in Schleswig-Holstein sind nicht auf sich allein gestellt. Schon seit 20 Jahren werden sie unterstützt vom Landesrat für Kriminalitätsverhütung. 13 Bundesländer sind inzwischen dem schleswig-holsteinischen Beispiel gefolgt und haben ebenfalls Landesräte eingesetzt. Der Landesrat hilft den kommunalen Räten durch Fördermittel für einzelne Vorhaben, vor allem aber durch Expertenwissen. Nicht jede Kommune muss also das Rad neu erfinden. Der Landesrat trägt zusammen, welche Konzepte es gibt - auch in anderen Bundesländern und im Ausland - und stellt sie den kommunalen Räten zur Verfügung. Der Landesrat geht aber auch neuen Phänomenen nach - wie vor einigen Jahren dem so genannten "happy slapping": "Es wird völlig grundlos ein Passant, ein Mitschüler, eine Mitschülerin verprügelt und andere Personen nehmen das über die Videofunktion des Handys auf, damit sie das dann in das Internet stellen. Das heißt: Zielrichtung ist, jemanden zu demütigen." Sagt Günther Kronbügel, der Geschäftsführer des Landesrats für Kriminalitätsverhütung Schleswig-Holstein. Er ist damals selbst darauf gestoßen: "Darüber habe ich etwas in der Zeitung gelesen. Es wurde festgestellt, dass das möglicherweise vermehrt aus England vielleicht nach Deutschland und Schleswig-Holstein herüber schwappen wird. Ich habe mich dann mit Kolleginnen und Kollegen unterhalten, ob es dort schon Erfahrungswerte gibt. Das war eher nicht der Fall. Und dann haben wir es aufgegriffen." Zusammen mit Rechtsexperten und Jugendschützern, aber auch mit Vertretern von Handy-Herstellern und Netzbetreibern hat der Landesrat Empfehlungen für Lehrer und Eltern entwickelt. Sie können nun in einer Broschüre oder im Internet nachlesen, wie sie dem happy slapping vorbeugen können und wie sie reagieren sollten, wenn es doch dazu kommt. Zu 35 Themen hat der Landesrat inzwischen derartige Empfehlungen herausgegeben. Viele werden bundesweit beachtet - beispielsweise die Broschüre "Rechte Sprüche in der Klasse". Daran haben neben Fachleuten auf dem Gebiet des Rechtsextremismus auch Lehrer mitgearbeitet. Inga Hansen hat ihre Erfahrungen als Berufsschullehrerin eingebracht. Sie hat schon Hakenkreuze an der Tafel vorgefunden und Nazi-Parolen von ihren Schülern gehört. "Was uns da begegnet, sind eher jetzt nicht Jugendliche, die manifest rechtsextrem sind, sondern sehr sehr viele uninformierte Jugendliche, die also rechte Parolen und rechte Sprüche relativ unreflektiert von sich geben, und denen die Bedeutung oft gar nicht klar ist, und die das auch manchmal tun, um zu provozieren." Inga Hansen machte sich Gedanken darüber, wie sie damit umgehen soll - wie solche Tendenzen an der Schule frühzeitig unterbunden werden können. "Es färbt natürlich ab, wenn man damit nicht arbeitet. Also wenn man das zum Beispiel stehen lässt als Tatsache, dann färbt das ab, klar, dann wirkt das meinungsbildend. Und da denke ich ist es eben die Aufgabe der Lehrer, so etwas wahrzunehmen und darauf eben entsprechend zu reagieren und das im Unterricht zu behandeln." Inga Hansen war gern dazu bereit, sich der Arbeitsgruppe anzuschließen, die schließlich die fast 70 Seiten starke Broschüre mit dem Titel "Rechte Sprüche in der Klasse" erstellte. Darin werden die Lehrer angehalten, sich zunächst selbst Gedanken zu machen, Gedanken über einen oft tabuisierten Bereich, wie die Vorsitzende der Arbeitsgruppe, Christa Limmer von der Aktion Kinder - und Jugendschutz sagt: "Ein wesentlicher Bereich ist, dass Lehrkräfte sich vorher klar werden müssen, wie sie zu bestimmten Themen stehen, die so ein bisschen, sag ich mal, gerade auch in meiner Generation lange eher tabuisiert waren, zum Beispiel, wie stehe ich zu deutsch sein, was verbinde ich mit dem Thema Heimat, finde ich das blöd, wenn jetzt die Flaggen überall bei Fußballmeisterschaften sind, weil das natürlich Bereiche sind, wo Rechte versuchen, das Thema deutsch positiv zu besetzen. Und wenn man dem gar nichts entgegensetzt, also auch unserer demokratischen Traditionen, wenn man das einfach dann immer ignoriert oder nur moralisch daherkommt, dann hat man eigentlich bei Jugendlichen ziemlich schnell verloren." Mit Hilfe der Broschüre können die Lehrer u.a. lernen zu erkennen, wie stark Jugendliche in die rechte Szene verstrickt sind, wie sie mit rechtsextremen Äußerungen und Argumenten umgehen, und wie sie gegebenenfalls auch mit Behörden zusammenarbeiten sollten. Fallbeispiele machen das empfohlene Vorgehen anschaulich, und die Lehrer bekommen auch Vorschläge für praktische Übungen, die sie in den Unterricht einbauen können. Christa Limmer hält es auch für angebracht, in der Schulordnung auf das Problem Rechtsextremismus einzugehen: "Wichtig wäre, wenn sich ein Lehrerkollegium darüber verständigt, was zu diesem Thema an der Schule auch untersagt ist, weil ja oft Jugendliche mit Springerstiefeln herumlaufen und das wird mehr oder weniger übersehen, und dass es eben gut ist, wenn man sozusagen mit Eltern und mit Jugendlichen also in der Schulkonferenz gemeinsam so etwas verabschiedet und sagt: so wollen wir an unserer Schule damit umgehen, bestimmte menschenverachtende Äußerungen wollen wir hier nicht haben.." Das meint auch Thomas Riecke-Baulecke, der Leiter des Instituts für Qualitätsentwicklung an Schulen in Schleswig-Holstein - also der oberste Lehrer-Fortbilder des Landes. Von der Broschüre "Rechte Sprüche im Klassenzimmer" ist er geradezu begeistert. "Schule muss dazu erziehen, dass Gewaltlosigkeit in der Auseinandersetzung dominiert und deshalb gehört diese Broschüre an jede Schule. Jede Lehrerkonferenz, jede Schulkonferenz muss sich damit beschäftigen und die Schulgemeinschaft insgesamt muss gemeinsame Antworten formulieren." Thomas Riecke-Baulecke tritt dafür ein, dass der Ratgeber schon in der Lehrerausbildung eingesetzt wird. Bundesweite Beachtung fand auch die Broschüre zum Thema Stalking. Der Landesrat für Kriminalitätsverhütung Schleswig-Holstein hat sich in jüngster Zeit außerdem mit dem Problem des Schuleschwänzens oder der Gewalt gegen ältere Menschen befasst, mit Rassismus an Schulen oder mit der Nutzung der neuen Medien. Kriminalitätsverhütung heißt also heute nicht mehr in erster Linie, für immer bessere Schlösser und Alarmanlagen zu sorgen - die Themen haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten gewandelt, stellt Geschäftsführer Günther Kronbügel fest: "Also ganz zu Beginn der Ratstätigkeit sind es sehr stark polizeibezogene Themenbereiche gewesen, also Themenbereiche, die die technische Prävention umfassen, also Sicherungstechnik an Gebäuden, wie schütze ich mich vor Einbruch, wir haben auch ein Handbuch für Ladendiebstahl herausgegeben seinerzeit. Wir sind mehr jetzt im Laufe der Jahre hin zu sozialen Prävention übergegangen, das heißt, immer mehr Themen wie happy slapping, rechte Sprüche in der Klasse, Gewalt gegen Jungen und Mädchen mit Behinderung und ähnliches mehr." Kriminalitätsverhütung setzt deshalb vor allem in den Schulen und in den Kindertagesstätten an: "Wir gehen mehr an die Wurzeln, als es ursprünglich der Fall war, also ganz früh dorthin, wo man noch etwas verändern kann, bevor eine Entwicklung in schiefe Bahnen läuft." Die Fachleute bereiten sich auch auf neue Herausforderungen vor. Nach Einschätzung des Bundeskriminalamts werden die Internetkriminalität sowie Straftaten von Islamisten künftig eine große Rolle spielen. Aber können kommunale Kriminalpräventive Räte denn gegen Internetkriminalität vorgehen? Durchaus, sagt Uwe Müller vom Landespolizeiamt Schleswig-Holstein: "Der Akteur muss immer irgendwo an einem PC sitzen, und der wird sich auch in seinem Wohnumfeld weiter bewegen, und wenn man ihn da von früher Jugend an sozialisiert, dass er gar nicht erst kriminell wird, dann wird er später auch nicht diese weltweite Wirkung entfalten können. Menschen begehen kriminelle Handlungen, und Menschen entwickeln sich an einem Ort, in einer Familie, in einer Gemeinschaft. Und wenn man dort rechtzeitig die Weichen stellt, dann kann man sicherlich auch solche Phänomene verhindern." Studien scheinen das zu belegen. So ergab eine Befragung von extremistischen oder terroristischen Straftätern, die in Deutschland in Haft sitzen, dass die meisten von ihnen nicht aus religiösen oder politischen Gründen kriminell wurden. Soziale Aspekte gaben den Ausschlag: Zusammenhalt, soziale Anbindung oder emotionaler Rückhalt. Eine weitere Studie kommt zu dem Ergebnis, dass 80 Prozent aller Straftaten von so genannten örtlichen Tätern begangen werden, die höchstens fünf Kilometer vom Tatort entfernt wohnen. Es sind Menschen, um die man sich vorher hätte kümmern können. Im Lübecker Stadtteil Buntekuh versucht das u.a. der Sozialpädagoge Sascha Jelinski - nicht nur mit dem Graffiti-Projekt für Jugendliche: "Wir haben zweimal die Woche Fußball-Projekte für Jungs - einmal für jüngere und einmal für ältere, da arbeiten wir sehr eng mit dem ortsansässigen Verein hier zusammen, dann haben wir Sport-Projekte für Mädchen, auch unter anderem ein Fußball-Projekt für Mädchen, ein Tanz-Projekt mit Mädchen, in den Sommerferien oder generell in den Ferien machen wir natürlich Ausflüge, natürlich auch immer mit dem Hintergrund, nicht nur zu bespaßen, sondern dass die Jugendlichen auch unterschwellig etwas dabei lernen sollen." Seine Kollegin, die Erzieherin Nicole Freyher schätzt, dass sie durch ihre verschiedenen Aktivitäten Kontakt zu 140 Jugendlichen im Stadtteil haben - zu 60 von ihnen sogar intensiven Kontakt. "Es geht uns darum, dass die Jugendlichen, mit denen wir arbeiten, auf ihrem Weg begleitet werden. Auch, mit Jugendlichen zu arbeiten, die vielleicht schon - ja, die eine oder andere nicht so schöne Sache gemacht haben und von den kleinen Abzweigungen, die sie auf ihrem Weg hatten, auch jetzt wieder auf den richtigen Weg geführt werden." Nicole Freyher, die selbst aus dem Stadtteil Buntekuh kommt, ist überzeugt davon, dass ihre Arbeit tatsächlich kriminalpräventiv wirkt: "Grundsätzlich gibt es die Aussagen von Anwohnern oder auch von Geschäften aus dem Einkaufszentrum Buntekuh, dass der Stadtteil auch ein bisschen ruhiger geworden wäre. Auch die Polizei kommentiert das so." Klaus Köhnemann vom Anwohnerverein Buntekuh gibt ihr Recht. Er hält viel von den kriminalpräventiven Projekten im Stadtteil: "Ich persönlich bin der Meinung, die bringen auf jeden Fall was. Die statistischen Angaben, die von der Polizei veröffentlicht werden, zeigen inzwischen von Buntekuh eine ganz erfreuliche Entwicklung. Das führen wir auf jeden Fall auf solche Projekte zurück. Und wir hören immer wieder, dass die Leute sich hier wohlfühlen, auch sicher fühlen. Und alles das, was gemacht wird, hat unmittelbar auch einen positiven Effekt für den Stadtteil und das Leben in dem Stadtteil." 1