COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Zeitfragen 19. März 2012 Sprung in die Freiheit - Hilfen bei der Haftentlassung Von Annette Wilmes Atmo Schlüsselklappern, Lärm, Hall, Gefängnisflur, darauf: Take 1 - Collage 1 (Anders, Grote-Kux, Maelicke) A: Wer hier inhaftiert wird, kriegt relativ schnell mit, dass draußen alles zerbricht, bei den meisten gehen die Ehen kaputt. Dass der Beruf flöten ist oder weg ist, ist absolut sicher, meistens kann man auch in diesen Beruf später nicht mehr zurückfinden. G-K: Ein schwarzes Schaf kommt in die Waschmaschine und wird weiß gewaschen, kommt raus und weiter weiß. So schwarz-weiß funktioniert das Leben nicht. M: Da wird jemand entlassen, mit seinem Köfferchen und seinem Pappkarton, dann ist der heillos überfordert, sich in diesem Verwirrsystem zurechtzufinden. Sprecher vom Dienst Sprung in die Freiheit - Hilfen bei der Haftentlassung. Von Annette Wilmes Atmo ausblenden unter dem Take Take 2 - Collage 2 (Halbhuber-Gassner, Scharmer) H-G: Einfach alle Täter in einen Topf und hinter jedem Inhaftierten werden einfach Schwerstkriminelle und Sexualstraftäter erwartet und da wähnt sich die Öffentlichkeit in Sicherheit, wenn die eben hinter Gittern und Riegeln sind, was einfach ein absoluter Unsinn ist. Sch: Jemand, der entlassen wird, ist mitunter ganz allein nach vielen langen Jahren der Haft, da muss ein Umfeld geschaffen werden, auch eine Jobsuche oder zumindest die Vermittlung einer Tätigkeit oder Perspektive fällt darunter. Atmo Schlüssel, Schließen, Tür zu. Take 3 (Wolfgang Anders) Die Menschen werden, weil sie irgendwas draußen Schlimmes gemacht haben, inhaftiert, kriegen ihr Urteil, und viele von denen sind direkt draußen von der Straße inhaftiert, in die U-Haft gekommen. Autorin Wolfgang Anders, der Name wurde geändert, ist seit 12 Jahren hinter Gittern, Gefangener in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel, Deutschlands größtem Knast. Take 4 (Wolfgang Anders) Die hatten gar keine Möglichkeit, irgendwas draußen zu regeln, ihre Wohnung aufzulösen oder familiär irgendwas zu regeln oder ihre Kredite in irgendeiner Art und Weise auf die künftige Nichtzahlung vorzubereiten. Also viele sind völlig unvorbereitet, versuchen in den ersten Jahren noch irgendwas zu retten, kriegen mit, dass überhaupt nichts zu retten ist, und viele stehen dann nach zwei, drei Jahren da und haben nicht mal mehr einen Fotoalbum, nicht mal mehr das Bild der Mutter, geschweige denn ein Zeugnis oder irgendein Zeugnis über ihren Berufsabschluss. Zitator Strafvollzugsgesetz § 3 - Gestaltung des Vollzuges (1) Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden. (2) Schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken. (3) Der Vollzug ist darauf auszurichten, dass er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern. Autorin So steht es im Strafvollzugsgesetz, sowohl im alten, das in den meisten Bundesländern noch gilt, als auch in den neuen Gesetzen, die nach der Föderalismusreform von 2007 auf Länderebene erlassen wurden - in Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen. Atmo elektronisch gesteuerte Pforte in Gefängnis Autorin Wer die Berliner Justizvollzugsanstalt Tegel betreten will, muss erst durch eine Schleuse mit großen Stahltüren, jeder Schritt wird von Kameras überwacht. An der Pforte sitzen Bedienstete hinter Glasfenstern, das Handy muss abgegeben werden. Der Ausweis wird gegen eine Besucherkarte eingetauscht. Das riesige Tor zum Innengelände wird auf Knopfdruck mit einer Hydraulik geöffnet. Der Weg zum Anstaltsleiter führt quer über den Hof an Zellengebäuden vorbei zur Kirche. Hier sind die Verwaltungsräume untergebracht. Auch hier müssen Türen auf- und wieder zugeschlossen werden, es geht die Treppe hinauf zum Büro des Anstaltsleiters. Er trägt die Verantwortung für knapp 1600 Gefangene und 822 im Vollzug Beschäftigte; an den Fenstern Gitter, auf den Mauern Stacheldraht. Das Leben im Strafvollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen anzugleichen, wie es das Gesetz vorschreibt, scheint hier kaum möglich zu sein. Take 5 (Ralph Adam) Das kann natürlich nicht so funktionieren, wie es der Wortlaut jetzt vielleicht erwarten lassen könnte. Das sind hier besondere Verhältnisse, das ist hier eine besondere Institution, man spricht ja nicht umsonst vom Strafvollzug wie auch von manchen anderen Institutionen von der so genannten totalen Institution, die die Menschen doch erheblich in ihren Möglichkeiten einschränkt. Autorin ... sagt Anstaltsleiter Ralph Adam. Take 6 (Ralph Adam) Aber wir können eins tun, und das ist unser Bemühen in den letzten Jahrzehnten, wir können versuchen, auf die Menschen, die uns anvertraut sind, einzugehen und ihnen insbesondere eine soziale Sicherheit zu bieten, eine soziale Sicherheit in der Form, dass sie hier keiner Willkür ausgesetzt sind, keiner Willkür von Mitarbeitern ausgesetzt sind und dass wir auch versuchen, sie untereinander zu schützen und ihnen versuchen soziale Verhaltensregeln näher zu bringen. Autorin Ralph Adam war zunächst Sozialarbeiter auf einer Station, später leitete er eine der sechs Teilanstalten und 2007 wurde er Leiter der gesamten Justizvollzugsanstalt. Take 7 (Ralph Adam) Als ich angefangen habe im Strafvollzug hatten diese hohen Mauern auch die Funktion, dass hier niemand reinguckt. Sollte keiner rüberklettern, ist ja klar, sollten alle hierbleiben, die hierbleiben müssen für eine gewisse Zeit lang. Aber der Strafvollzug hatte immer was mystisches und keiner konnte reingucken. Und wir haben uns damals sehr bemüht, die Gefängnisse nach außen zu öffnen. Und hier passiert nichts geheimes und nichts heimliches mehr. Zitator Der Vollzug ist darauf auszurichten, dass er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern. Autorin Dieser Satz hat in den letzten Jahren eine neue Bedeutung gewonnen. Die Fachleute sprechen in diesem Zusammenhang von "Übergangsmanagement". Take 8 (Ralph Adam) Übergangsmanagement soll heißen, dass man Entlassung besser vorbereitet als man es früher getan hat. Wir haben früher auch eine Entlassungsvorbereitung gehabt, aber die hat immer, so schreibt es das Gesetz ja auch vor, immer an den Mauern der Anstalt geendet und vor der Anstalt geendet. Mit Übergangsmanagement versteht man heute die Vernetzung nach außen, die Vernetzung mit anderen Behörden, mit anderen Sozialleistungsträgern und insbesondere eine strukturierte Entlassungsvorbereitung von einem Behandlungskonzept in das nächste Behandlungskonzept. Rechtsanwalt Sebastian Scharmer, der Mandanten auch in der Haftsituation vertritt, ergänzt: Take 9 (Sebastian Scharmer) Es meint, im Grunde genommen, das Hinausverlegen in die Freiheit, die Vorbereitung möglicherweise nach langem Freiheitsentzug wieder in Freiheit Fuß fassen zu können, was oft gar nicht einfach ist, wenn man sich vorstellt, dass manche Mandanten von mir vor der Wende, bevor die Mauer gefallen ist, inhaftiert worden sind, noch nicht mal wissen, wie ein ICE oder ein Fahrkartenautomat aussieht oder ein Euro. Autorin Gefangene, deren Reststrafe auf Bewährung ausgesetzt wird, haben immerhin einen Bewährungshelfer an der Seite. Wer jedoch bis zum Ende der Strafe sitzt, ist erst einmal auf sich selbst gestellt. Für viele Verbesserungen hatte das Strafvollzugsgesetz entscheidende Bedeutung. Denn die Gefangenen besaßen endlich ein Instrument, mit dem sie ihre Rechte einklagen konnten. Früher waren sie der Willkür der Vollzugsbediensteten oder der Anstaltsleiter ausgesetzt. Take 10 (Sebastian Scharmer) Wir haben ja 1976 eine Umkehr sozusagen von der Schuld und Sühne Verbüßung hin zur Resozialisierung. Die ist inzwischen auch durch verfassungsgerichtliche Rechtsprechung als Ziel des Vollzuges festgeschrieben. Also davon kann man auch nicht mehr weg. Autorin Mit dem Strafvollzugsgesetz von 1976 wurde zwar der Grundstein für eine erfolgreiche Wiedereingliederung gelegt. Take 11 (Gabriele Grote-Kux) Aber ich denke schon, dass die Urmütter und -väter des Strafvollzugsgesetzes das Denken dazu haben an der Mauer enden lassen. Und das war der Kardinalfehler. Autorin Gabriele Grote-Kux, Fachreferentin in der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Diplom- Pädagogin und Sozialpädagogin, hat früher auch lange als Vollzugsleiterin und stellver- tretende Anstaltsleiterin gearbeitet. Take 12 (Gabriele Grote-Kux) Die Verantwortung des Justizvollzuges geht entsprechend der Regelung des Strafvollzugsgesetzes bis zum Tag der Haftentlassung. Und das ist ein Kardinalfehler, wenn wir nur auf diesen Tag fokussiert in der Verantwortung auch planen, sondern wir müssen weit über diesen Tag hinaus denken und planen und letztendlich auch mit Kooperationspartnern gemeinsam grade die Tage danach gestalten. Und das war vielleicht nicht so vordergründig Leitmotiv derer, die an diesem Strafvollzugsgesetz gearbeitet haben, was ich im Übrigen nach wie vor für eines der besten Gesetze europaweit halte. Autorin Die Föderalismusreform von 2007 hat bewirkt, dass die einzelnen Bundesländer eigene Strafvollzugsgesetze erarbeiten müssen. In Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen sind sie bereits erlassen. Zehn weitere Länder, darunter Berlin, haben sich zusammengeschlossen und einen gemeinsamen Musterentwurf erarbeitet. Gabriele Grote-Kux sieht darin eine Chance, die Vorgaben des alten Gesetzes weiterzuentwickeln. Für ein gutes Übergangsmanagement heißt das vor allem, die rich- tigen Partner zu finden. Take 13 (Gabriele Grote-Kux) Das ist zum einen der Justizvollzug, sofern sich der straffällige Mensch in Haft befindet. Das ist die Bewährungshilfe. Das sind Träger der freien Straffälligenhilfe. Das sind Einrichtungen anderer Verwaltungen. Das sind bezirkliche Beratungseinrichtungen für Menschen, die Probleme im Familienkontext, Erziehungsfragen und Ähnliches haben. Also, die Palette ist relativ groß und immer vom Einzelfall abhängig. Atmo Offener Vollzug, Stimmen, Lautsprecherdurchsagen, Autorin Der Gefangene Markus Meyer zum Beispiel - auch sein Name wurde geändert - hat mit Hilfe der Anstalt eine Arbeitsstelle gefunden. Er ist im Offenen Vollzug untergebracht. Take 14 (Markus Meyer) Ich hatte vorher Arbeit, das hat aber, dem konnte man nicht nachgehen, weil ich komme ursprünglich aus dem Bereich Sachsen und das war nicht mehr umsetzbar und deswegen habe ich hier eine neue Arbeit gesucht. Aber nicht irgendeine, für mich war primär wichtig, mich nicht in einem Personal-Leasing-Büro da zu melden, sondern wirklich auch eine Zukunft aufzubauen und da auch eine Perspektive zu schaffen. Das kann ich definitiv, ich bin zuständig für 50 Mitarbeiter. Das kann ich auch weitermachen. Dafür habe ich alle Vorkehrungen schon getroffen. Ich hoffe, wenn alles gut geht, dass ich im April das Haus verlassen darf. Ich bin ja schon lange genug hier. Autorin Markus Meyer darf als so genannter Freigänger die Anstalt täglich verlassen, um zur Arbeit zu gehen. Die geringste Verfehlung kann jedoch seine Pläne durchkreuzen. Alkohol und Drogen sind streng verboten. Vor allem muss er nach der Arbeit pünktlich zurückkom- men. Autorin Die Modelle, die in den einzelnen Bundesländern entwickelt werden, sind sehr unter- schiedlich. Allen gemeinsam ist das Bestreben, durch einen guten Übergang in die Freiheit Rückfälle zu vermeiden. Take 15 (Bernd Maelicke) Es gibt diesen alten Spruch, der sagt: Die beste Entlassungsvorbereitung fängt mit dem Tag der Aufnahme im Vollzug an. Autorin Bernd Maelicke war viele Jahre in Schleswig-Holstein im Justizministerium als Abteilungsleiter für den Justizvollzug zuständig. Heute ist er Honorarprofessor an der Leuphana Universität Lüneburg und Gründungsdirektor des Deutschen Instituts für Sozialwirtschaft in Kiel. Für ihn bedeutet "Übergangsmanagement" mehr als nur eine gute Entlassungsvorbereitung und -begleitung. Take 16 (Bernd Maelicke) Das ist eben der Übergang in den Vollzug hinein: Wie ist die Lebenssituation vor der Einlieferung gewesen? Wo liegen die Hauptprobleme? Wie ist das mit der beruflichen Qualifikation? Wie ist es mit Schulden? Wie ist es mit Drogenabhängigkeit? Wo sind besondere Therapiebedürfnisse vorhanden? Und dann wird dieses Teil der Vollzugsplanung. Das heißt, gute Anstalten bieten dann entsprechende Ausbildungsprogramme, Trainingsprogramme usw. an, und dann kann man ja auch zu einem großen Teil dann dafür sorgen, dass Gefangene auch vorzeitig entlassen werden. Das heißt, wenn das alles gut läuft, ungefähr ein Drittel der Gefangenen wird vorzeitig entlassen oder geht in den offenen Vollzug. Dann ist das gewissermaßen ein gestalteter Übergang. Autorin Es ist längst erwiesen, dass eine gute Wiedereingliederung Rückfälle zu vermeiden hilft. Das haben auch wissenschaftliche Untersuchen ergeben, sagt Bernd Maelicke. Take 17 (Bernd Maelicke) Es gibt da in Nordrhein-Westfalen eine gute Untersuchung, die eben nachweist, dass ohne diese Gestaltung der Übergänge dort festgestellt wurde, bis zu 90 Prozent Rückfall, und mit Gestaltung der Übergänge und mit Betreuung, nach der Entlassung vor allem, und zwar auch Betreuung durch dieselben Personen, haben sie da eine Rückfallquote von 32 Prozent gehabt. Autorin Für Bernd Maelicke, Professor am Institut für Sozialwirtschaft, vor allem auch aus ökonomischen Gründen ein interessantes Ergebnis. Denn ein Haftplatz kostet etwa 100 Euro pro Tag, die Bewährungshilfe nur 5 Euro. Dennoch sei es schwierig, die Politiker in den 16 verschiedenen Landtagen zu überzeugen. Vor der Föderalismusreform, als der Justizvollzug noch bundeseinheitlich geregelt war, sei es leichter gewesen. Man habe es im Bundestag lediglich mit dem entsprechenden Ausschuss und den entsprechenden kriminal- und vollzugspolitischen Sprechern der Fraktionen zu tun gehabt. Der Strafvollzug hat keine Lobby, Strafgefangene schon gar nicht. Schließlich haben sie sich schuldig gemacht. Den Opfern sollte man helfen, nicht den Tätern, das ist eine weit verbreitete Auffassung. Take 18 (Bernd Maelicke) Dass das eine falsche Sichtweise ist, weil sie letzten Endes damit die Sicherheit gefährden und langfristig sogar mehr Kosten entstehen, das ist ein schwieriger Prozess in der Argumentation. Und wir haben auch eine Begleitung durch die Medien, die eher skandalisiert und mehr auf Sicherheit setzt als auf diese rationale Kriminal- und Vollzugspolitik. Und da liegen so die Hauptschwierigkeiten. Autorin ... sagt Bernd Maelicke. Schwierigkeiten, mit denen vor allem auch die Praktikerinnen und Praktiker im Strafvollzug zu kämpfen haben, in allen Bundesländern gleichermaßen. Atmo Schlüsselklappern, Lärm, Hall, Gefängnisflur, Stimmen Autorin Besonders wichtig im Übergangsmanagement sind die Vollzugslockerungen, bei denen sich die Gefangenen in der Freiheit erproben können. Dazu gehören die bewachten Ausführungen, die Ausgänge und der Urlaub von der Haft. Wolfgang Anders, seit 12 Jahren inhaftiert, hat die ersten Ausgänge schon hinter sich. Take 19 (Wolfgang Anders) Das läuft so ab, dass beim allerersten Mal zwei Beamte in Uniform mitkommen, dass man noch mit Handschellen ausgeführt wird, und erst wenn man bei seiner Familie zum Beispiel angekommen ist, in den Räumen der Familie die Handschellen abgenommen werden, und man darf dann dort zwei, drei Stunden mit der Familie zusammen sein, auch recht ungezwungen. Und wenn's wieder zurückgeht, kriegt man die Handschellen wieder an, kommt in ein Taxi und wird dann wieder in Begleitung von zwei Beamten zurückgefahren. Autorin Dann kommt die Ausführung mit Beamten in Zivil, schließlich der Ausgang, ganz ohne Bewachung. Nicht nur für die Gefangenen, auch für die Angehörigen enorm wichtig. Take 20 (Wolfgang Anders) Wenn man dann das erste Mal draußen auf seine Familie trifft und die völlig außer Häuschen sind, da kriegt man erst mal mit, dass man für die Familienangehörigen durch die Inhaftierung so weit weggeraten ist, dass die eigentlich erst mal eine Hoffnung jetzt wieder sehen, ihren Familienangehörigen, der in Haft ist, irgendwann zurückzubekommen. Und das ist so wichtig für die Familie, dass die wieder Hoffnung haben, dass man irgendwann zurückkommt, dass man eigentlich als Inhaftierter schon alleine davon leben kann. Atmo Hall, Stimmen, Schlüssel, Tür zu Take 21 (Rupert Jakob) Wir sind als externe Berater in Bayern in drei Vollzugsanstalten an festen Tagen vor Ort und bieten unsere Beratungsdienstleistung an. Autorin Rupert Jakob, Diplom-Sozialpädagoge und Diplom-Betriebswirt, leitet in München die Zentrale Straffälligenhilfe, eine Einrichtung des Katholischen Männerfürsorgevereins. Take 22 (Rupert Jakob) Der Kontakt kommt zustande über unsere Plakate, über unsere Aushänge und ein wichtiger Faktor sind die Bediensteten vor Ort in der JVA, die - das traue ich mich zu sagen - unsere Arbeit sehr schätzen und wir sie natürlich auch entlasten, indem wir vor Ort unsere Beratung anbieten. Das heißt, da kommen viele Kontakte zustande und das was ich glaube der wichtigste Schritt ist, ist die Kommunikation unter den Gefangenen. Autorin Die Haftbedingungen sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, auch die Praxis der Vollzugslockerungen und der Haftentlassungen. Während zum Beispiel in Bayern noch eine Mehrfachbelegung mit 8 Mann in einem Haftraum möglich ist, wird in Berlin Wert auf Einzelbelegung gelegt. In Bayern gibt es wesentlich weniger Plätze im offenen Vollzug, in Berlin erheblich mehr. Dafür ist in Bayern die vorzeitige Entlassung viel eher möglich als in Berlin. Berlin ist Schlusslicht bei vorzeitigen Entlassungen im Bundesschnitt. Bei allen Unterschieden sind bestimmte Kernprobleme jedoch überall gleich. Rupert Jakob: Take 23 (Rupert Jakob) Fakt ist, dass viele der Inhaftierten schlecht qualifiziert sind. Das heißt, Schule, Ausbildung, das ist eine Geschichte. Bei der Entlassung spielt eine große Rolle, der Wohnraum, hat der hinterher ne Wohnung, also wo kommt der unter, wo wohnt er letztendlich, wie schaut's aus dann mit einer Arbeitsstelle. Ein weiterer Bereich, der uns immer beschäftigt, ist eine Suchtproblematik. Ein weiterer Bereich ist, dass sehr viele mittlerweile überschuldet sind. Auch ein Bereich, den man schon während der Inhaftierung gut angehen kann. Von den persönlichen Beziehungen und von dem wie man Konflikte aushält oder löst ganz abzuzweigen. Das ist ein neues Wort, das ist die Multi-Problemlage. Und die wird da sicherlich deutlich. Autorin Besonders problematisch ist die Vermittlung von Arbeit. Es ist schon schwierig genug, beim Job-Center den richtigen Ansprechpartner zu finden. Und die meisten Arbeitgeber sind nicht gerade erpicht darauf, Haftentlassene zu beschäftigen. Take 24 (Rupert Jakob) Des ist sicherlich so, wer macht das schon. Aber da wär ja mal zu überlegen, inwieweit wir, und da meine ich jetzt alle, die im Hilfeprozess drin sind sowie maßgeschneiderte und passgerechte Mitarbeiter für ein Unternehmen finden. Also jetzt nicht wahllos jemanden irgendwo hinschicken, dass er sich bewerben soll oder dass er das Kriterium erfüllt, sondern Partner zu finden und zu sagen, gut, wir haben da jemanden, der passt da genau hinein. Der hat die Ausbildung, der bringt andere Qualifikationen mit, das Manko, dass er mal inhaftiert war, kann man vielleicht mal akzeptieren. Aber das, was der Arbeitgeber sucht, es passt genau derjenige, den wir haben, also das wäre so meine Wunschvorstellung. Autorin Freie Straffälligenhilfen gibt es in allen Bundesländern. Sie übernehmen vor allem beim Übergang vom Strafvollzug in die Freiheit wichtige Aufgaben. Sie arbeiten mit den Mit- arbeitern im Vollzug zum Teil partnerschaftlich zusammen. Aber, darauf legt Rupert Jakob besonderen Wert, sie sind unabhängig von der Justiz. Sie sind eben keine Überwacher oder Kontrolleure oder Verwaltungsmitarbeiter. Take 25 (Rupert Jakob) Sondern wir gehen vom Mandat des Menschen aus und wir schauen auf seine Position und versuchen dort was zu ändern und dann wiederum als ein Ansprechpartner für den Betreffenden zur Verfügung zu stehen. Autorin In Bayern sind die meisten Freien Straffälligenhilfen kirchlich organisiert. Auch die Gefährdetenhilfe vom Sozialdienst Katholischer Frauen, kurz SKF. Fachreferentin Lydia Halbhuber-Gassner, Diplom-Sozialpädagogin: Take 26 (Lydia Halbhuber-Gassner) Unsere Beraterinnen des SKF bieten in den JVAs zum Beispiel in JVA Aichach, das ist ja die größte JVA für Frauen in ganz Deutschland oder in Würzburg, Nürnberg, bieten die Sprechstunden an, so dass die Menschen auch die Möglichkeit haben, direkt zu denen Kontakt aufzunehmen. Das heißt, die Frauen, also unsere Praktikerinnen, bauen schon ein Vertrauensverhältnis im Gefängnis zu den Menschen auf, so dass der Übergang für sie auch leichter ist eben in die Beratungsstelle dann zu kommen, weil man eben zu der Frau XY kommt, die man schon kennt. Autorin Probleme wie Arbeitsvermittlung, Wohnungssuche und Familienbetreuung sind ähnlich gelagert wie bei den männlichen Gefangenen. Im Frauenvollzug gibt es jedoch einige Besonderheiten, erläutert Lydia Halbhuber-Gassner: Take 27 (Lydia Halbhuber-Gassner) Dass da auch einfach andere Angebote notwendig wären, weil einfach viele Frauen eben traumatisiert sind und Gewalterfahrungen haben und so weiter. Das wird viel zu wenig beachtet, auch bei einer Frauen-JVA. Was zum Beispiel auch ganz interessant ist, dass es kaum eine JVA gibt, in der es einen weiblichen Gynäkologen gibt. Das heißt, und das ist deutschlandweit, dass Frauen, die oft sexuelle Missbrauchserfahrungen haben, Frauen mit einem Migrationshintergrund, der es ihnen nicht möglich macht, dass ein Mann ihnen so nahe kommt, hier nicht die Wahl haben zwischen einem weiblichen und einem männlichen Gynäkologen. Autorin Es gibt viel weniger Frauen als Männer im Strafvollzug und in der Regel haben die Frauen auch kürzere Strafen zu verbüßen. Dennoch werde die Wohnungs- und Arbeitssuche extrem dadurch erschwert, dass es kaum noch Vollzugslockerungen wie Ausgang oder Urlaub für die gefangenen Frauen gäbe, beklagt Lydia Halbhuber-Gassner. Take 28 (Lydia Halbhuber-Gassner) Das hat einfach mit unserem verstärkten Sicherheitsbedürfnis zu tun, und leider Gottes schmeißt einfach die Öffentlichkeit, und das wirkt sich immer auch auf die Politik aus, einfach alle Täter in einen Topf und hinter jedem Inhaftierten werden einfach Schwerstkriminelle und Sexualstraftäter erwartet und da wähnt sich die Öffentlichkeit in Sicherheit, wenn die eben hinter Gittern und Riegeln sind, was einfach ein absoluter Unsinn ist. Weil wenn die Menschen bis zum Ende ihrer Endstrafe absitzen, dann haben sie ja nicht einmal Bewährungshilfe, das heißt, die haben überhaupt niemanden mehr als Ansprechpartner. Was ganz interessant einfach in diesem Zusammenhang ist, dass in Bayern ungefähr 70 Prozent der Menschen, die entlassen werden, Endstrafe haben. Das heißt, die haben dann weder Bewährung noch Führungsaufsicht, das sind alles praktisch unsere Klienten, weil für die sonst keiner zuständig ist. Autorin Bereits 1999 hat der Sozialdienst Katholischer Frauen ein Projekt für Frauen ins Leben gerufen, die kurz vor der Entlassung stehen. Sie treffen sich vier Tage lang mit Therapeutinnen in einem Tagungszentrum außerhalb der Anstalt. Take 29 (Lydia Halbhuber-Gassner) Hintergrund war eben die Erfahrungen, dass vielen Frauen gemeinsam ist, sexuelle oder Missbrauchserfahrungen, Gewalterfahrungen, Verletzlichkeiten in der Familie, die sie dazu veranlassen, sehr früh aus der Familie auszubrechen und die dann oft auch wieder in andere Beziehungen wieder reingeraten sind, ja, die sie oft dazu auch gebracht hatten, dass sie wieder kriminell werden, weil eben sie sich den Partnern ausgeliefert gefühlt hatten. Oft so, Schatzele, wenn du mich liebst, dann bringst du die Drogen darüber oder dann unterschreibst du und sonstiges. Und von dem her ist es für die Frauen auch oft, sie werden darauf reduziert, Diebin, Betrügerin und so weiter. Und da ist es uns wichtig gewesen, hier den Frauen zu vermitteln, bist mehr als das, du hast Stärken, du hast Fähigkeiten, schau drauf, was du hast. Autorin Das Projekt heißt "Freiraum" und wird vom Justizministerium finanziert. Das ist nicht viel, aber immerhin etwas und nachahmenswert. Atmo Offener Vollzug Stimmen, Hall, Lautsprecherdurchsage Autorin Zurück in Berlin in einer Anstalt des offenen Vollzugs. Take 30 (Sebastian Scharmer) In Berlin muss man dann auch mal Berlin loben, gibt es den offenen Vollzug als Selbststeller Modell. Das heißt, wer sich in Berlin selbst der Strafvollstreckung stellt, geht erst mal in den offenen Vollzug, der entscheidet, ob er dann bleibt. Autorin ... so Rechtsanwalt Sebastian Scharmer. Und Alfred Leszczynski, der einen Bereich im Berliner Offenen Vollzug leitet, ergänzt: Take 31 (Alfred Leszczcynski) Der Offene Vollzug ist erst mal nicht ein Vollzug, um den Inhaftierten es gemütlich zu machen. Es ist auch kein Vollzug, um den Inhaftierten den Schmerz des Freiheitsentzuges wegzunehmen. Sondern es ist schon ein Behandlungskonzept, so verstehen wir uns. Wir wollen die Inhaftierten hier herausfordern, sich mit ihrer Situation auseinanderzusetzen und es ist der Vollzug, der, ja, das höchste Maß an Selbstverantwortung den Menschen abverlangt. Und es ist eine starke Herausforderung und diese wollen wir ja an die Inhaf- tierten vermitteln. Autorin Insgesamt gibt es in Berlin 908 Plätze im offenen Vollzug. Etwa die Hälfte der Gefangenen hat eine Arbeitsstelle im freien Beschäftigungsverhältnis außerhalb der Anstalt. Sie müssen jedoch jeden Tag nach der Arbeit zurückkehren, spätestens nach 16 Stunden. Andere Gefangene arbeiten in so genannten Außenkommandos zum Beispiel bei anderen Behörden. Es gibt auch Arbeit innerhalb der Anstalt, etwa in der Hauskammer. Take 32 (Gefangener) Wir haben hier praktisch die ganzen Sachen, die die Gefangenen bekommen oder schon haben, die werden getauscht, Bettwäsche, Handtücher, oder auch natürlich Arbeitskleidung, wenn sie hier arbeiten, und das wird jede Woche getauscht, und wenn's gar nicht anders geht, auch zwischendurch. Wir sind hier flexibel, und ich freue mich aber nicht, dass ich hier bin. (lautes Lachen) Aber sonst geht alles hier seinen Gang. Auch die kriegen hier auch Kosmetiksachen, wenn einer hierhin kommt, und hat jarnischt, da haben wir Notreserven hier, Kosmetiksachen, auch wenn einer überhaupt keine Sachen hat zum Tauschen oder zum Waschen oder wat, dann wird er von uns hier auch ein bisschen eingekleidet. Und die Schuhe werden dann vom Chef geputzt. (lautes Lachen) Autorin Vor allem für auswärts arbeitenden Gefangen ist Pünktlichkeit oberstes Gebot, wenn sie sich nicht daran halten, steht ihr Platz im offenen Vollzug auf dem Spiel. Take 33 (Markus Meyer) Pünktlichkeit, hier wird wirklich genauestens darauf geachtet, dass man sich da auch immer dran hält, ist ja logisch, die haben ja hier die Voraussetzungen geschaffen, dass ich auch draußen arbeiten gehen kann. Und irgendwo, das ist aber nicht das einzige, es ist doch schon manchmal so hier drin, da gibt's den Moment, wo man keine Lust mehr hat, wo man kämpfen muss. Einsamkeit, wie man es auch immer bezeichnen will. Autorin Dennoch, sagt Bereichsleiter Alfred Leszczynski, ist der Übergang vom offenen Vollzug in die Freiheit erheblich leichter zu bewältigen als aus dem geschlossenen. Take 34 (Alfred Leszczynski) Doch, ich würde schon sagen, dass es leichter ist. So, dass die Inhaftierten hier über längere Zeiträume sich ausprobieren können. Und dass wir sie über längere Zeiträume zum Beispiel in den Arbeitsverhältnissen begleiten. Dass wir über unsere starke Kontrolle sie auch motivieren, dort praktisch über längere Zeiträume zu arbeiten. Autorin Nach dem alten Strafvollzugsgesetz, das in den meisten Bundesländern noch gilt, sollte der Offene Vollzug die Regel sein. Das ist in den neuen Gesetzen leider nicht mehr so. Kein Wunder, dass es zum Beispiel in Bayern so viel weniger Plätze im offenen Vollzug gibt als etwa in Berlin, wo noch das alte Gesetz gilt. Ob im offenen oder im geschlossenen Vollzug, oberstes Gebot ist es, die Gefangenen zu befähigen, nach der Haftentlassung "in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten" zu führen. Daran sollten die Politiker und Politikerinnen, die sich jetzt mit der neuen Gesetzgebung befassen, denken. Gabriele Grote-Kux aus der Berliner Senatsverwaltung für Justiz: Take 35 (Gabriele Grote-Kux) Das Problem an der Geschichte ist nur, dass das Ganze Geld kostet. Und das zu verteidigen, ist eine ganz schwierige Aufgabe für alle Justizpolitiker und -politikerinnen und auch schwierig, der Gesellschaft zu vermitteln. Also ich denke, ein Strafvollzug, der ausschließlich auf Verwahrung und Selbstheilungskräfte von Inhaftierten setzt, mag günstiger sein. Aber er wird um ein Vielfaches teurer für die Gesellschaft, wenn diese Menschen dann am letzten Tag entlassen werden. Atmo Schlüsselklappern, Schritte, Tür zu. Sprecher vom Dienst Sprung in die Freiheit - Hilfen bei der Haftentlassung Eine Sendung von Annette Wilmes Es sprach die Autorin Ton: Alexander Brennicke Regie: Beate Ziegs Redaktion: Martin Hartwig Produktion: Deutschlandradio Kultur 2012 *** 17