COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Auf demselben Kissen alt werden - Trennungsgeschichten aus der Berliner Migrationsgesellschaft - Autor Voss, Sabine Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 17.09.2012 - 13.07 Uhr Länge 18'37" Moderation Wieviel ist ein Eheversprechen heutzutage noch wert? Also wie viele Paare werden noch auf dem selben Kissen alt? Ewig gelobt kann auch arg kurz dauern. Das Eheversprechen verliert an Kraft - das ist in der deutschen Mehrheitsgesellschaft so und im Einwanderungsmilieu nicht anders. Dennoch lassen sich dort ganz eigene Geschichten beobachten und erzählen. Von der Schwierigkeit der Importehen, vom Spagat zwischen konservativem Rollenverständnis der Männer auf der einen und den Gefühlen verlassener Väter auf der anderen Seite. Von einer Vätergruppe für türkisch- und arabischstämmige Männer. Oder von einem, dessen Frau vom Verwandtschaftsbesuch in der Türkei nicht zurückkehrte, zu ihm und den drei Kindern. Sabine Voss erzählt uns nun Trennungsgeschichten aus der Berliner Einwanderungsgesellschaft. -folgt Script Beitrag- Script Beitraq Vätergruppe Wer kann sich vorstellen von Euch, die Vätergruppe in fünf Minuten vorzustellen. Wer sind wir, was machen wir, welche Leute kommen zu uns? Welche Probleme haben wir? Vielleicht wenn Alican kommt, ist er da? Kommt er noch? ... - Ist er da? - Wenn er kommt, vielleicht kann er die Vätergruppe vorstellen, weil seine Sprachkenntnisse ordentlich sind. Abblenden, darauf Sprecherin Jeden Montagabend trifft sich in den Räumen des Vereins "Aufbruch Neukölln" eine Gruppe türkisch- und kurdischstämmiger Männer. Diese kleine für jeden Besucher, auch Frauen, offene Zuwanderungsgesellschaft sitzt um einen runden Tisch versammelt und trinkt Tee. Für die kommende Woche wird der Stadtrat für Gesundheit und Sport erwartet, darauf will man vorbereitet sein. Erdogan Hast du Idee, Alican, was wir den Herrn fragen könnten? - Nach Geld. - Geld? Alican, Geld! Seit neununddreißig Jahren fordere ich Geld und kein Cent ist reingekommen. Ich hab aufgegeben. Na klar, wir wollen fragen, ob er dem Verein Aufbruch Neukölln noch ein bisschen Geld geben kann. Würdest du mal das übernehmen diese Frage? - Ja - (abblenden) Sprecherin Kazim Erdogan ist Psychologe im Sozialpsychiatrischen Dienst des Bezirksamts Berlin-Neukölln - einem Bezirk, der zutiefst von der Gemeinde der Einwanderer geprägt ist. Vor dem Hintergrund seiner Arbeit als Berater für Trennungspaare gründete er im Jahr 2005 eine Vätergruppe für türkisch- und arabischstämmige Scheidungsväter und ist seitdem ein engagierter Multiplikator einer Väterarbeit für Migranten, die bundesweit in Väterinitiativen immer mehr Widerhall findet. Kazim Erdogan Im Türkischen sagt man, wenn man heiratet, ihr solltet auf demselben Kissen alt werden. Alleine dass man Türkisch kann, die gleiche Sprache hat, reicht nicht aus und ist kein Garantieschein dafür, dass diese Ehen halten. Meistens haben die Frauen die Konsequenzen gezogen und gesagt, mit dir geht's nicht mehr, weil die Männer, sage ich mal, leider die Hauptgründe dafür liefern. Da spielen unterschiedliche Gründe - Gewalt, Alkohol, Fremdgehen, Spielsucht, häusliche Gewalt - alles eine Rolle. Und die Stellung der Frau in der Gesellschaft ist auch ein weiteres Thema, "du bist eine Frau und dies und jenes darfst du nicht, sollst du nicht machen" usw. Sprecherin In der Vätergruppe arbeiten die Männer miteinander die Folgen ihrer Trennung auf. Da gibt es Männer, die sich an ihren Ehrbegriff klammern, an ihr konservatives Rollenverständnis und ihre Haltung nun überdenken. Da gibt es Väter, die sich im Sorge- und Umgangsrechtsstreit mit ihren Ex- Partnerinnen aufreiben. Es gibt aber auch Männer, die, obwohl sich ihr Leben inzwischen beruhigt hat, auf das Gespräch in der Vätergruppe nicht verzichten wollen. Und es gibt in der Einwanderungsgesellschaft mit steigender Tendenz eine ganz neue Gruppe von Männern. Kazim Erdogan Oder aber die Frauen kehren in die Türkei zurück und heiraten dort neu, und die Kinder werden hier bei den Vätern gelassen. Zum Beispiel, in meiner türkischen Vätergruppe habe ich vierzig Prozent alleinerziehende Väter. Wer hätte das bloß gedacht! Und auch da haben wir neue Zahlen, Erkenntnisse, Entwicklungen. Erdogan Wir haben zwei neue Gäste: Jussuf kennen wir alle. Nein, aber seit neun Monaten hat er eine Pause eingelegt, und wir würden unseren neuen Freund mal gerne kennenlernen: Würden Sie mal sich vorstellen? - Ein Mann: Meine Name ist Cedai Deca.... abblenden Ali Ich bin reingekommen und hab gleich loserzählt: "Ich hab meinen Sohn verprügelt." Am ersten Tag. Ich kannte keinen. Ja, und da kommen welche, die kommen und erzählen nichts. Hören zu und hören zu und hören zu und irgendwann fängt der an zu erzählen. Schämen sich, unheimlich, schämen sich. Ich hab das Kind verprügelt, ich hab die Frau verprügelt. Es ist ihnen peinlich, aber irgendwann machen sie es doch. Und dann sagen wir, okay, du bist nicht alleine, was du erzählt hast, das haben wir alle teilweise mitgemacht. Genauso so, eins zu eins. Junge, wir haben's gelernt, lass es, es ist keine Lösung. Ayden Ich kann mich selbst als Beispiel nehmen. Vielleicht hätte ich auch Gewalt angewendet. Wenn ich die Vätergruppe nicht gefunden hätte. Alle Türen gingen ja zu damals. Aber jetzt: Es sind Menschen da - Zustimmendes Gemurmel: Gott sei Dank - die mir zuhören, die damals mir zugehört haben und das nimmt die Aggressionen weg. abblenden Ali Ich war ein knallharter Vater, ich hab dreimal vorgewarnt, beim vierten Mal hab ich zugeschlagen, dann gab's Strafe, ne Ohrfeige, Fernsehentzug, dieses und jenes. Es sollten keine Zweifel aufkommen. Aber leider Gottes hat die Frau das nicht verstanden. Die hat gesagt, wenn du nicht schlägst, mach ich mit. Hab ich gesagt, wenn du zu mir hältst und nicht möchtest, dass ich den Jungen schlage, denn du bist eigentlich die Schwachstelle, nicht ich, unterstütze mich, sag auch mal was, wenn ich diese Rede zum 100.000sten Mal halte, tu das nicht und tu jenes nicht, unterstütze mich lautstark., er wird seine Meinung ändern, sein Verhalten ändern, er nutzt dich aus. Nee, macht er nicht, du musst mit schlagen aufhören. Hab ich auch gemacht, ich hab drei vier Monate mich wie ein Engel benommen. Ist natürlich nichts passiert. Sprecherin Ali Uckan kommt mit acht Jahren als Kind von Gastarbeitern nach Deutschland. Die Migration hat vielen Türken seiner, in den 6oer und 70er Jahren aufgewachsenen Generation die Väter genommen. Entweder ließen die Einwanderer ihre Familien noch lange Zeit in der Türkei zurück. Oder sie haben die Kindheit ihrer Söhne dann in Deutschland bei der Schichtarbeit verpasst. Ali lernt schnell Deutsch, macht Abitur, studiert Chemie, später promoviert er. Seine Frau, eine Türkin, lernt er in den Semesterferien auf einem Urlaubstrip in die Türkei kennen. Ali Das ging ratz fatz, und war ich verheiratet. Ich hab gesagt, was hast'e denn gemacht jetzt, jetzt haste die Frau am Hals und, ja, eine typische Importehe, und ein Jahr später kam sie dann nach Deutschland, ich war nicht glücklich darüber, als ich dann auch noch die Familie kennengelernt habe, war ich schon tief enttäuscht, in was für eine Familie habe ich mich eingeheiratet Sprecherin Damals wie heute beginnen Importehen zwischen einem nach Deutschland "importierten" und einen hier lebenden Partner mit dem Besuch in der Heimat; mittlerweile auch mit einem Urlaubsflirt an der türkischen Riviera oder mit einem Chat im Internet oder mit einer Kontaktanzeige. Und nicht immer ist der importierte Ehepartner die Ehefrau. Kazim Erdogan Stellen Sie sich mal einen Mann vor, der in der Türkei seine Arbeit aufgekündigt hat und hierher nach Deutschland kommt, und die Frau ist hier groß geworden, sozialisiert worden, sie kann perfekt Deutsch, er kann kein Wort Deutsch, und er bekommt von seiner Frau Taschengeld, eigentlich er würde dafür erzogen, Alleinernährer der Familie zu sein und träumt vom Paradies. Und nach zehn Jahren will die Frau nicht mehr, kann die Frau nicht mehr, und sie lässt sich scheiden, und was für ein Bild vermittelt er in die Gesellschaft. Ich sag mal: Seine Welt bricht zusammen. Und in der türkischen und arabischen Gesellschaften ist das so, dass das ganze Dorf, der ganze Clan, die ganzen Familienmitglieder sich einmischen, sogar die Tanten, die Onkels, die Großeltern. Ali Am Anfang waren beide Elternteile, meine, hundert Prozent haben sie zu meiner Ex-Frau gehalten. Jetzt haste dich entschieden, das ist ne junge Frau, du kannst nicht mit ihrem Leben spielen, einfach heiraten, nach Deutschland bringen und sagen, tschüss, das geht nicht, dann musst'e eben deinen Kopf hinhalten, und irgendwann mit der Zeit wirst'e dich an sie gewöhnen. Und ist auch so passiert eigentlich, irgendwie sind wir uns schon über die Jahre, ich war 26 Jahre verheiratet, über die Jahre doch menschlich nahe gekommen. Sprecherin Trotzdem endet die Ehe extrem gewalttätig, mit sich aufschaukelnden eskalierenden Gewaltszenen auch zwischen den Eheleuten. Ali Uckan fühlt sich unter dem Einfluss der Familie seiner Frau eingeengt. Und was überhaupt nicht in sein Weltbild passt: Sein Sohn gerät auf die schiefe Bahn. Heute reflektiert Ali - nach mehreren Jahren Arbeit in der Vätergruppe - seinen Anteil daran. Ali Ich hab immer vergessen, dass das ein Kind ist. Ich hab immer gesagt eins und eins macht zwei und noch eins macht drei. Das hast du zu verstehen, das ist klipp und klar, das ist wissenschaftlich. Ich hatte in meinem Leben keinen Platz für seine Kindergefühle oder für seine Emotionen. Und das werde ich mir nie verzeihen, das kann ich nicht. Kinder auf dem Balkon Also sie wohnt da hinten mit dem bunten Sonnenschirm. Von diese lilane gehst du ein zwei drei vier Spiegel zurück und danach hoch. Da wo die türkische Flagge ist. Abblenden Sprecherin Emre und Wolkan stehen zu Hause auf dem Balkon und zeigen auf das Hochhaus gegenüber, da wo ihre Großmutter wohnt. Die beiden Kinder sind gemischtethnischer Abstammung. Ihr Vater, Berkant Otto, ist halb deutsch, halb türkisch und hier, am Kottbusser Tor, geboren und aufgewachsen - in einem Kreuzberger Viertel, das schon immer als sozialer Brennpunkt galt. Seine Exfrau und Mutter der beiden Jungen ist Moldavierin. Berkant Sie hat mich einfach verlassen, sie hat ihre Koffer gepackt und ist gegangen. Dann haben wir uns wieder versöhnt, einen Monat später ist sie dann wieder abgehauen, aber alleine. Hat sie die Kinder bei mir gelassen. Dann gab's viele Streitereien, dann sind die Kinder hin und her gezogen. Die haben zwei Jahre bei mir gelebt, dann haben sie ein Jahr wieder bei der Mutter gelebt, und jetzt leben sie wieder bei mir. Wolkan (Sohn) Ja, weil wir hier viel lieber, viel besser leben. Bei meiner Mutter war das so, ich wollte zum Fußball, sie sagt, nein nein, das geht nicht. Ich will öfter was haben, und "Ach, das ist nur Quatsch, das brauchst du nicht". Und bei meinem Vater hier, wenn wir was haben wollen, dann kann er es nicht sofort holen, weil wir bekommen ja nur 1000 Euro im Monat, davon wird ja die Miete abgezogen und davon müssen wir Essen kaufen. Und wenn wir was haben wollen, dann spart unser Vater das zum Beispiel. Sie will auch gar nicht meine Träume oder Hobbys .... Und sie selber ruft nicht an, und sie will nicht, dass wir zur ihr kommen. Sprecherin Auch wenn Wolkan und Emre unter der Trennung von der Mutter leiden, identifizieren sie sich, wie viele Trennungskinder, an denen gezerrt und gezogen wird, mit dem Elternteil, bei dem sie leben, ihrem Papa. Vom neuen Lebensgefährten der Mutter fühlen sie sich wenig gemocht. Bei ihrem Vater scheinen sie einen vorläufig sicheren Heimathafen gefunden zu haben. Berkant Also die Vätergruppe hat mir sehr viel bei meinen Problemen geholfen. Hatte ja damals nach der Trennung sehr viele Probleme gehabt, war auch damals ein sehr aufbrausender Mensch, aber hat mir sehr viel geholfen mit Ratschlägen, mit Tipps, die haben mir zur Seite gestanden. Man hat mir auch gesagt, was für Fehler ich gemacht habe. Im Denken zum Beispiel. Dieses Paschaleben. Dass sich die Zeiten ändern usw., dass man auch mithelfen sollte. Im Endeffekt war ich wirklich wie ein Pascha. Meine Frau ist arbeiten gegangen, ist nach Hause gekommen, hat Essen gekocht, hat sich um die Kinder gekümmert, während mehr oder weniger mein Arsch auf der Couch gelegen hat. Sprecherin Nun ist Berkant selbst der Versorger seiner Familie. Er macht eine Umschulung zum Hausmeister, hat einen Job schon in Aussicht und erwartet den nächsten Termin vorm Familiengericht. Seine Ex-Frau will das alleinige Sorgerecht für die Söhne. Berkant Aber wird sie nicht kriegen. Weil der Richter, der kennt uns ja auch mittlerweile sehr gut, und der hat auch von Anfang an gesagt, das alleinige Sorgerecht gibt es nicht. - Wolkan: Ich glaube, wir können in das Guinnesbuch eingetragen werden, weil wir so oft vor Gericht waren. Erdogan: Viele beschweren sich über die Arbeit des Jugendamtes, dass die Väter ihre Kinder nicht sehen, dass da Schwierigkeiten gibt und dass die Väter einen schlechten Ruf haben, und dass die Sozialarbeiterinnen denen nicht glauben. - Alibaba: Wir haben genug Probleme, zwei Stunden reicht nicht. - Nein, aber wir sollen die wichtigsten Fragen vorbereiten und stellen. Muhammet, rede doch mal von dir, wie das war, du warst ja plötzlich alleinerziehender Vater. Hat Jugendamt Deine Kinder weggenommen? Abblenden Muhammet Also Jugendamt hat mich auch gut geholfen. Sogar sehr geholfen. Wenn ich wütend war, habe ich gleich den Jugendamt angerufen, und sie haben gesagt, bleib ruhig, nicht aggressiv werden, und ich hab gemacht, was Jugendamt zu mir gesagt hat. Sie wollte am Anfang alle Kinder haben, aber sie hat nicht geschafft, weil das Jugendamt auch dagegen war. Dass da bei Mutter nicht die Kinder nicht geeignet sind, sondern bei Vater die Kinder gut aufgehoben sind. Sprecherin Sieben Jahre ist es nun her, da stand Muhammet Avcibac am Berliner Flughafen Tegel und wartete auf seine Frau. Die Maschine aus der Türkei, mit der sie aus dem Urlaub bei ihren Eltern zurückkehren wollte, landete in Berlin, aber Muhammets Frau war nicht unter den Passagieren. Sie war in der Türkei geblieben, hat sich dort um Arbeit bemüht, später einen neuen Lebensgefährten gefunden und ist nie zu ihm zurückgekehrt. Die beiden ältesten Töchter holte sie später zu sich. Und Muhammet stand plötzlich als alleinerziehender Vater von zuerst fünf und heute drei Kindern ganz alleine da. Muhammet Betrogen, hintergangen, ja, allein. Ich hab auch damals drei Schichten gearbeitet und fünf Kinder allein zu Hause. Als Maschinenführer. Jede Woche eine Schicht. Eine Woche Frühschicht, eine Woche Spätschicht und eine Woche Nachtschicht. Wenn ich nicht zu Hause war, weil Arbeit war, ist auch meine Schwester oder meine Mutter bei den Kindern. Habe ich alles vorbereitet, gekocht und alles hingestellt. Ich könnte ein bisschen schon kochen, da hab ich noch mehr gelernt. Das habe ich alles gemacht, gewaschen, geputzt, gekocht, alles habe ich selber gemacht. Ich hab mehr Verantwortung übernommen. Kazim Erdogan Wenn sie dann in dem Prozess begleitet werden und auch mit anderen Vätern, die alleinerziehend sind, zusammen kommen, dann denken sie, ich bin doch nicht der einzige, von zwanzig Vätern sind acht, die alleinerziehend sind, die mit fast selben Problemen konfrontiert sind, und diese Tatsache führt zu einer gelasseneren Haltung. Muhammet Ich gehe jeden Montag hin da. Es gibt mir auch Kraft. Krieg auch Kraft, dann werd ich auch mutig. Sind auch die erste Vätergruppe in Deutschland. Nicht in Berlin, sogar in Deutschland. Ist auch für die Männer nicht einfach, dahin zu gehen und die Probleme erzählen. Also die türkische Männer die Probleme immer zu sich behalten. Sie sind auch nicht gewöhnt, weiter zu erzählen. Auch Umgebung, Freundenkreis, auch nicht. Ich hab meine Freunde nicht erzählt. Als ich bei Vätergruppe war, hab ich da alles erzählt. Das erleichtert und kommt auch wie ein Gift raus von innen. Dann beruhigt sich das. Ich bin ein freier Mann geworden. Ich freue mich, dass sie mich verlassen hat. Jetzt bin ich hundertprozentig für die Kinder da. ATMO 2 Kezim Erdogan mit der Vätergruppe frei, dann Sprecherin darauf: Sprecherin Vielleicht bezieht Kazim Erdogan die Energie, mit der er seinen Landsleuten hilft, aus seiner Zuwanderungsbiografie. Er wuchs mit sieben Geschwistern auf, die Eltern, selbst Analphabeten, ermöglichten ihm eine Internatsausbildung in Ostanatolien. Er war der erste Abiturient und Hochschulabsolvent seines Heimatdorfes und ging in den 70er Jahren zum Studium in die weite Welt, ins Ausland, nach Berlin. Erdogan in der Vätergruppe Wenn jemand wie Alican und ich seit fast 40 Jahren in Deutschland lebt und nicht viel Türkisches gelesen hat, nicht geschrieben hat, dem fehlen die entscheidenden Begriffe, Wörter, Sätze usw., da kommen wir nicht mit. Und wenn ich dann sehe, wie in Istanbul gesprochen wird, da habe ich selten Mut, mich einzubringen, ich sage nur "Essen" und "Trinken" und "Hotel buchen" und "Urlaub machen", dann bist du genug, aber bloß komm mit denen nicht ins Gespräch. Wissen Sie warum? Wir haben immer gedacht, ich kehre zurück, ich kehre zurück, wir haben nicht gelesen, wir haben kein Deutsch gelernt, wir haben uns nicht fort- und weitergebildet, wir sind stehen geblieben. Ich sage immer wieder: Ich bin drei Schritte vor meinem Vater, aber sechs Schritte hinter meinen Kindern. Das ist so. Sprecherin Die Einwanderungsgesellschaft befindet sich im Wandel, und damit die Männer nicht abgehängt auf der Strecke bleiben, hat sich die Vätergruppe ein neues Projekt ausgedacht: Eine anonyme Telefonhotline für alle Männer, die in der Trennungszeit ins Schleudern geraten. -ENDE Beitrag- MOD Auf demselben Kissen alt werden? Trennungsgeschichten aus der berliner Migrationsgesellschaft. Sabine Voss trug die Biographien zusammen. Morgen dann im Länderreport ab 13.07 Uhr : Wie werde ich Nordrhein-Westfale? Eine kleine Handreichung in Sachen Selbstverständnis. Am Mikrofon verabschiedet sich von Ihnen Claus Stephan Rehfeld -ENDE Ablaufplan-