COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Forschung und Gesellschaft am 8. Mai 2008 Redaktion: Peter Kirsten Klingt der Frühling anders? Zur Entwicklung der Vogelpopulationen in Deutschland Von Anselm Weidner Atmo: Frühlingsvogelgesang, der immer dürftiger wird Zitatorin: "Wenn der Frühling naht, wird er nun in immer größeren Gebieten nicht mehr von seinen Vorboten, den zurückkehrenden Vögeln, angekündigt. Wo einst am frühen Morgen der herrliche Gesang der Vögel erschallte, ist es merkwürdig still geworden. Die gefiederten Sänger sind jäh verstummt, Schönheit, Farbe und der eigene Reiz, die sie unserer Welt verleihen, sind ausgelöscht." Sprecher: Heißt es im 1965 auf deutsch erschienenen ersten Ökobestseller 'Der stumme Frühling' der amerikanischen Biologin Rachel Carson. - 'Der stumme Frühling' war mehr als eine präszise Studie einer wissenschaftlich ausgewie-senen Biologin über die Auswirkungen von chemischen Spritzgiften, v.a. des damals noch nicht verbotenen DDT, auf die Flora und Fauna in Land- und Forstwirtschaft, Parks und Gärten der USA. Dieses Buch weckte das ökologische Gewissen in der westlichen Welt und sorgte erstmals massenwirksam für Nachdenklichkeit in der fort- schrittsgläubigen Industriegesellschaft über deren Umgang mit der Natur. Mit Rachel Carsons Buch begann sich auch in Deutschland ökologisches Bewußtsein zu entwik- keln, unter der Devise: 'Bewahrung der Schöpfung' statt 'Macht euch die Erde untertan!' Laut der jüngsten Roten Liste der bedrohten Vogelarten sind 113 der ständig in Deutschland brütenden 253 Vogelarten gefährdet, das sind 44%! - Droht der 'stumme Frühling' in Deutschland? CUT 1, 4.Stop Sprecher: Da gehen dem Vogelfreund und dem Ornithologen Herz und Ohren über. So vielstimmig kann ein Frühlingsvogelkonzert immer noch klingen. Inzwischen selten gewordene Arten, wie das Blaukehlchen, der Feldschwirl, der Fitislaubsänger oder die Dorngrasmücke sind neben Allerweltsarten wie Buchfink, Singdrossel, Kohlmeise und vielen anderen in der Gegend von Brodowin in der südlichen Uckermark zu hören. CUT 2, auf dem Drumlin: Sprecher: Auf 60,70 von über 100 in dem Gebiet brütenden Vogelarten trifft der Landschaftsökologe Martin Flade in der vielgestaltigen Gewässer- und Gehölz-reichen Endmoränenlandschaft rund um das Ökodorf Brodowin auf seinen regelmäßigen Vogelzählgängen. Die Zählungen sind Teil eines Monitoringprogramms des Dachver- bands deutscher Avifaunisten, DDA. Von überwiegend ehrenamtlichen Vogelkundlern werden nach einer standardisierten Methode auf z.Zt. ca. 500 Zählrouten mit etwa 20.000 festgelegten Zählstops in ganz Deutschland an die 100 häufige, sowie in Sonderprogrammen die seltenen Brutvogelarten erfaßt. Dieses Zählprogramm liefert seit 1990 die verläßlichsten Daten über die Bestandsentwicklungen der Brutvögel in Deutschland. Alle vier Jahre werden die Daten zum 'Bericht zur Lage der Vögel in Deutschland' zusammengefaßt. - Stop Nr.6 des Brodowiner Zählgangs liegt auf einem Trockenrasenhügel in offenem Weideland mit einer Jungrinderherde, einigen Dorngehölzen und Kiefern.26 Vogelar- ten hat der Landschaftsökologe gerade gezählt - und was für welche! CUT 3, Flade 1: Dazu gehört erstmal der Weißstorch, der auf diesem relativ trocke- nen Grünland jagt. Dann fliegt aber auch ein Schwarzstorch vorbei, der im nahegele- genen Feuchtwald brütet, der durch Staumaßnahmen überhaupt erst wieder richtig gut hergestellt wurde, dann fliegt ne Schellente vorbei, Höhlenbrüter, der in Schwarz- spechthöhlen in Altholzbeständen brütet. Man hört Kraniche, man hört Kolkraben, die im Osten auch deutlich seltener sind als im Westen, es sind sehr viel Graugänse unterwegs. Man hat wieder Großinsektenfresser, wie Sperbergrasmücke und Neun- töter, die in dem Weideland überall sind. Man hat den Grünspecht als Bewohner der halboffenen Landschaft und alle möglichen Wasservögel in der Ferne wie Hauben- taucher, Flussee-chwalben, Lachmöwen, Höckerschwäne usw. Sprecher: Über die Hälfte der hier von Martin Flade beobachteten Arten stehen auf der aktuellen Roten Liste der in Deutschland gefährdeten Brutvogelarten. - In den meisten Gegenden Deutschlands klingt der Frühling daher heutzutage ganz anders: CUT 4, Gesang in Möggingen Sprecher: Ortswechsel: mit Peter Berthold auf dem Weg von Schloß Möggingen, dem Sitz der Vogelwarte Radolfzell am Bodensee, durch Felder und Wiesen zum nahen Mindelsee. CUT 5, Berthold 1: Hier sieht's so aus, wie wenn die Welt noch in Ordnung wäre, aber wenn man dieses Gebiet 50 Jahre kennt, muß man sagen, wir hören nur noch die, die übriggeblieben sind und die, die nicht mehr da sind, das sind viele, das ist ungefähr ein Drittel von den 110 Arten, die hier ursprünglich mal zu unserer Zeit gebrütet haben; ein Drittel ist ganz verschwunden, ein weiteres Drittel hat so stark abgenommen, daß man sie suchen muß und wir haben ein Drittel von relativ häufigen Arten, die stabil sind, denen's gut geht. Schaun wir diesen wunderschönen Schloß- turm an, und hier haben früher ab Ende April, Anfang Mai bis zu 30 Brutpaare Mauer- segler gelärmt, es ist ganz still geworden um diesen Turm; wir haben kein einziges Brutpaar mehr. Sprecher: Peter Berthold drückt dem Besucher ein Dokument des Niedergangs der Vogelwelt von Möggingen in die Hand, ein Blatt mit bunten Abbildungen von 35 Vogel- arten; neben 19 ist ein dickes schwarzes Kreuz gedruckt. Vom Steinkauz, Wiedehopf, Raubwürger, Kiebitz und 15 weiteren Arten ist im Gebiet Möggingen nichts mehr zu sehen und zu hören. 12 Arten brüten nur unregelmäßig, wie Wendehals oder Trauer- fliegenschnäpper und 4 sind in den letzten 50 Jahren dazugekommen: der Weißstorch, die Reiherente, die Türkentaube und das Schwarzkehlchen. - Und wenn auch nach Angaben des Naturschutzbundes Deutschland die Starenpopulation insgesamt mit ca. 3 Millionen Vögeln in Deutschland seit 1980 als etwa stabil angegeben wird, es waren in den 50er Jahren noch mehr als doppelt so viele und im Südwesten verschwinden Stare weiter. Die Rückgänge bei so gewöhnlichen Vögeln wie Haussperlingen sind ebenso dramatisch, sagt Peter Berthold. CUT 6, Berthold 2: Weiter vorn im Bereich wuchs die Vegetation von rechts und links weit in die Straße rein; die Äste von den Obstbäumen haben sich praktisch in der Mitte berührt und da drin hat alles gebrütet, was man sic h denken konnte an Feldsperlingen, gleich vorne im Birnbaum war der Raubwürger, en Stück weiter vorn war der Rotkopfwürger; das Getreide reichte bis an den Weg heran, Getreide, wie wir's uns heute gar nicht mehr vorstellen können, schütter im Aufwuchs, dazwischen Unmengen von Mohn, von Kornblumen, von kleinen Kräutern und auf dem Weg den ganzen Sommer hindurch Unmengen von großen grünen Heupferden, d.h. so'n Raubwürger, der hat nen kurzen Rundflug gemacht und kam mit einem Schnabel voll von Großinsekten zurück. Konnte hier seine bis zu sieben Jungen füttern usw.; wenn ich heute gefragt würde, sagen wir mal für eine Studentenexkursion ein großes grünes Heupferd vorführen zu sollen, wir hätten unter Umständen Probleme,in einer ganzen Saison überhaupt ein einziges solches Tier zu zeigen. Sprecher: Habitatverlust und drastischer Rückgang der Nahrungsverfügbarkeit, nennen Ornitho-logen als Hauptursachen für die Einbrüche bei den Vögeln im offenen Agrarland, das immerhin 54% der Fläche Deutschlands ausmacht. Feuchtgebiete werden weiter trok-kengelegt, Bäume und Gebüsche weiter gerodet, Böden übermäßig gedüngt, Pflanzen übermäßig gespritzt und die Flächen mit zuviel maschinellen Arbeitsgängen zu stark beunruhigt. Die intensive Landwirtschaft, darüber sind sich die Ornithologe einig, ist die Hauptursache für den Rückgang der Vögel der Feld- und Wiesenflur. CUT 7, Berthold 3: Diese Wiese wird im Jahr 5 mal gemäht, manchmal sogar noch en 6.Mal, wenn es Dann Richtung Weihnachten geht bis in den letzten Winkel hinein, sodaß auch kaum Randstreifen übrig bleiben. Das war früher die Wiese, in der hier in den Bäumen rechts und links die Feldsperlinge und die Stare, die Trauerschnäpper und der Rotkopfwürger und Goldammern und so alles gebrütet haben. Und hier auf der anderen Seite, hier drin, in diesem Acker kommt kein einziges Wildkräutlein hoch, allenfalls en paar wenige Sachen hier auf diesem Streifen, der aber dann in Bälde auch gemäht wird, damit sich keine Sauerei entwickelt. D.h. wir haben hier im Grunde genommen eine grüne Wüste, in der nichts zur Verfügung steht, was all die genannten Arten brauchen würden. Und während früher hier die Rebhühner rumgelaufen sind, am Rande in diesen Bereich die Braunkehlchen überall gesessen haben, mit über 50 Paaren allein hier in dem Bereich von Möggingen, ist heute Null davon übriggeblieben.Wir freuen uns halt mal, wenn wir heute mal einen einzigen Vogel auf dem Durchzug beobachten können, der vielleicht auch mal en paar wenige Tage singt. Also das ist im Grunde tot geworden. Sprecher: Die Rückgänge bei Offenlandarten wie der Bachstelze liegen laut Statisti- ken des DDA-Vogelmonitoring deutschlandweit bei -1,7% pro Jahr, und im Südwesten bei -4,1 %, beim Baumpieper bei -5,6 % in ganz Deutschland und bei -11% in Süd- westdeutschland, die Verluste beim Kiebitz bei -7,3 bzw. -8,6 % jährlich.Die Arten des Agrarlandes sind in ganz Deutschland die großen Verlierer, aber im Südwesten sind die jährlichen Verluste in den vergangenen 16 Jahren immer deutlich höher als im deutschen Durchschnitt. Warum das so ist, ist nicht ganz klar, sagt Martin Flade, viel- leicht weil dort die landwirtschaftlichen Flächen am saubersten, am meisten aufge- räumt sind. CUT 8, Lerchengesang in Brodowin Sprecher: Der Ornithologe Flade hat das Beobachtungs-und Zählprogramm mit ent- wickelt. Er zeigt auf die Kurve der Bestandsentwicklung eines klassischen Feldvogels, der Feldlerche: CUT 9, Flade 2: In NW-Deutschland und in SW-Deutschland nimmt die Feldlerche fast kontinuierlich ab, mit minus 4% im Jahr; also das ist schon sehr deutliche Abnahme. In Ostdeutschland hat die Feldlerche erst zugenommen nach der Wende von 1991-1999 ungefähr, und seitdem nimmt die Feldlerche auch in Ostdeutschland ab; also d.h., die Feldlerche kommt weder im Westen noch im Osten mit den Bedingungen in der Agrarlandschaft zurecht. Sprecher: Deutlich geringere Bevölkerungsdichte, 80 Bewohner pro Quadratkilometer beispielsweise in Brandenburg gegenüber 380 in Westddeutschland , insgesamt bessere natürliche Bedingungen nicht zuletzt durch die Großschutzgebiete, die 10% der Fläche der östlichen Budesländer ausmachen, allein das sind Vorteile für die Vogelwelt des Ostens gegenüber dem Westen. Aber Martin Flade machen die Entwick- lungen auch im Osten in den letzten 6,7 Jahren Sorgen: CUT 10, Flade 3: Im Osten hatten wir nach der Wende erst einmal eine Bestands- erholung vieler Vogel-arten, z.B. Goldammer, Feldlerche, Grauammer, Wachtel. Und diese Bestandserholung war zurückzuführen durch den Zusammenbruch der großen kollektiven Landwirtschaft und die Stillegung, die durch die EU auch über Ostdeutsch- land gekommen ist und jetzt stabilisiert sich die Landwirtschaft wieder allmälich, intensiviert sich wieder und daduch gibt es bei vielen Arten eine Trendwende, so Mitte der 90er Jahre, seitdem geht's wieder bergab. Man kann also sagen, z.B. bei Arten wie der Feldlerche oder die Goldammer, da sind Ost und West seit ungefähr 1997/98 im Niedergang vereint. Sprecher: Bei noch immer ca. 2 Millionen Feldlerchenbrutpaaren in Deutschland ist zwar sobald mit deren Aussterben nicht zu rechnen, aber pro Jahr sind es an die 70.000 weniger. Auch wenn die Feldlerche in der Roten Liste zwar nur auf der Vorwarnliste steht, die Zahlen sind alarmierend, so Martin Flade. Die beiden anderen hier vorkommenden Lerchenarten, die Heide- und die Haubenlerche sind mit nur noch einigen Tausend Brutpaaren inzwischen unter den Kategorien 'gefährdet', bzw. 'stark gefährdet' zu finden - In Mögginger Vogelkonzerten fehlen Lerchen seit 5 Jahren ganz. Feld- und Wiesenvögel finden nicht nur kaum noch Nahrung, auch die Nistplätze werden immer rarer, ob in Bäumen und Gebüsch, die weiter verschwinden, oder auf dem Boden, den Wiesen, weil zu oft gemäht und gedüngt wird, oder in den Feldern, weil das Getreide zu dicht wächst. Früher wuchs das Korn auf Getreidepflanzen mit wenigen Halmen, erläutert Ornithologieprofessor Berthold an einem Mögginger Feld . CUT 11, Berthold 4: Während man heute extra Gersten züchtet, die sich zunächst ausbreiten und dann möglichst viel Fläche bedecken zum hochwachsen. Es gibt en paar offene Stellen, sie sehen zwei da drüben; das sind die Spuren, wo der Traktor langfährt, um die Herbizide auszuspritzen und da gehen die Lerchen rein. Und was passiert da? Da kommt der gute Onkel nach 14 Tagen wieder und fährt genau über das Nest drüber und da ist das letzte Feldlerchennest auch noch kaputt. Sprecher: Das selige Tirillieren in den Himmel aufsteigenden Lerchen, bis vor 20 Jahren noch selbstverständlicher Teil der Frühlingsvogelkonzerte in ganz Deutschland, ist ,wie in Möggingen, in vielen Teilen Deutschlands nicht mehr zu hören. OCA:Zuspiel 1: Rauch- und Mehlschwalben 6:37,39 Sprecher: Geschwätzig sitzen beide auf Telefonleitungen, die einen schlank elegant, mit zwei langen Schwanzfederspießen, metallisch dunkelblau glänzend die Oberseite, Stirn und Kehle braunrot; die anderen etwas gedrungener, blauschwarz die Oberseite, weiß die Unterseite mit kürzerem gegabeltem Schwanz. Früher jagten sie blitzschnell durch fast jedes Dorf, zwitscherten auf jedem Bauernhof. Heute sieht man sie immer weniger. Rauchschwalben nehmen jedes Jahr um über drei, Mehlschwalben um fast 5% ab. Zu wenig Nahrung, hermetisch verschlossene sterile Viehställe und säuber- lichst sanierte Gebäude sind ebenso wie fehlende Fluginsekten, Gründe für den Rück- gang dieser Arten. Beide stehen in der Roten Liste unter der Kategorie Vorwarnung. Neben der intensiven industriellen Landwirtschaft, samt zunehmender Beunruhigung durch Verkehr und Freizeitaktivitäten in der offenen Landschaft, kommt eine neue Bedrohung der heimischen Vogelwelt hinzu: der Klimawandel. V.a. für die Langstrek- ken- oder Transaharazieher ist er zur Arten bedrohenden Klimakatastrophe geworden. - z.B. auch für die auf der Südostroute aus Ost- und Südafrika kommenden Arten, die Martin Flade am Stop 3 seines Vogelzählgangs,einem Trockenrasenhang, erwartet hatte: CUT 12, am Stop 3: und Zuspiel 2 Pirol:10,1 CUT 13, Flade 4: Neuntöter, hatte ich eigentlich jetzt schon mit gerechnet. Sperber- grasmücke, die kommt auch spät an. Vielleicht ham wir heute die erste. Irgendwann in der ersten Maihälfte kommen die. Und da die nicht merken da unten, wie warm das Wetter war und wie früh der Frühling war, kommen die auch normal an. Andere Kurzstrecken-zieher, die nur zum Mittelmeer fliegen, die kriegen natürlich mit, wie das Wetter dies Jahr ist, die kommen dann viel früher, wie die Heidelerche z.B. Aber die Transsaharazieher die kommen so wie immer. Kann auch en Problem sein. Beim Pirol hat man festge-stellt, daß die Phänologie nicht mehr paßt, also die Vegetationsent- wicklung und Insektenentwicklung, wenn die verfrüht ist bei uns, dann ist die schon viel weiter fortgeschritten, wenn die Pirole ankommen und die kriegen dann Proble- me, ihren Brutzyklus noch so abzuwickeln, daß genau dann, wenn sie ihre Jungen haben, die meiste Nahrung da ist. Specher: Immer mehr Transsaharazieher bringen ihre Jungen nicht mehr hoch. Die sog. Desynchronisation von Brutzyklus und Nahrungsangebot ist eine der fatalen Folgen des Klimawandels für die 81 Langstreckenzieher unter den 253 Brutvogelarten in Deutschland. Schwerer haben es v.a. die Zugvögel, die in West- und Zentralafrika überwintern, ergänzt Vogelzugforscher Berthold: CUT 14, Berthold 5: Weil sich die Sahara nach Süden ausbreitet, die hat an etlichen Stellen um bis zu 300 km zugenommen. Bei Vögeln, die ohnehin an der Grenze sind, so eine ökologische Barriere zu überwinden, ist das natürlich viel. Außerdem sind die Gebiete südlich der Sahara in der Sahelzone überbeweidet, d.h. die ganzen früher vorhandenen Baum- gruppen, Sträucher haben dramatisch abgenommen, damit auch Futterpflanzen, beerentragende Sträucher. Und die Vögel werden in einem schmäleren Streifen als früher immer mehr zusammengedrückt. Sprecher: Aber es gibt auch überraschende Anpassungsleistungen der Vogelwelt an die Herausforderungen des Klimawandels. Seit einigen Jahren beobachten Ornitholo- gen wie Hans-Günter Bauer von der Vogelwarte Radolfzell: CUT 16, Hans-Günter Bauer 1: Daß Vogelarten, die früher definitiv mitten in Afrika überwintert haben, jetzt plötzlich anfangen, in Südeuropa zu überwintern, z.B. Mehl- schwalben in Portugal oder Rauchschwalben in Spanien, und Neuntöter z.T. schon im Mittelmeerraum. Wenn das allerdings stattfindet, dann haben diese Vögel kürzere Anflugstrecken auf die Heimatgebiete und könnten kompensieren, könnten also früher zurückkommen und dadurch die Möglichkeiten finden, auch bei geänderten Bedingungen ihr Auskommen zu haben. Sprecher: Sprich, sie kommen rechtzeitig, wenn die zur Jungenaufzucht nötigen In- sekten und Larven verfügbar sind, die sich aufgrund des früheren Frühlings auch frü- her entwickelt haben. Vieles spricht dafür, daß manche Vogelarten schon jetzt imstan- de sind, sich, sprich ihre genetisch festgelegten Zugmuster, an die neuen Klimaver- hältnisse anzupassen. Zuspiel 3: Mönchsgrasmücken CUT17, Hans-Günter Bauer 2: Z.B. haben wir das bei der Mönchsgrasmücke erlebt, die Mönchsgrasmücke zog früher ins Mittelmeergebiet, das war ne Strecke, die zwar nicht sehr lang war, aber die dafür gesorgt hat, daß der Vogel also nie vor Mitte März, Ende März da war. Jetzt ziehen sie in großer Zahl nach England. Dadurch ist die Anflugstrecke viel geringer geworden; die können noch früher da sein, und plötzlich ist diese Teilpopulation, die jetzt nach England zieht, viel erfolgreicher als die andere und das wird sich dann natürlich ausbreiten. Sprecher: Und die Selektion sorgt dafür,daß sich die Englandzieher unter den Mönchsgrasmücken bereits jetzt gegen ihre später aus dem Mittelmeerraum kommen- den Artgenossen durchsetzen. Auch von Fischadler, Pirol, Dosselrohrsänger und Gartenrotschwanz wird berichtet, daß sie beginnen, im Mittelmeerraum bleiben, anders als beipielsweise die Limikolen, die Watvögel, wie der Große Brachvogel, die Zwergdommel, der Kampfläufer oder der Alpenstrandläufer, die Transsaharazieher sind. Sie alle sind vom Aussterben bedroht oder stark gefährdet und werden diese Anpassungen mit ihren kleinen Populationen nicht schaffen. Neueste Forschungen der Vogelwarte Helgoland belegen dagegen den Zusammenhang von Klimawandel und positiver Bestandsentwicklung v.a. bei Kurz- und Mittelstrecken- ziehern aus Skandinavien. Der Ornithologe Ommo Hüppop: CUT 18 ,Hüppop 1: Wir beobachten bei 20 von 24 Arten eine Verfrühung des Durchzugs um bis zu 12 Tagen. Bei der Amsel ist das der Fall, über die letzten 45 Jahre.Im Herbst ist das Bild nicht ganz so einheitlich. Wir haben aber bei den meisten Arten, bei 14 von 26 eine Tendenz zur Verspätung. Das bedeutet einen längeren Aufenthalt in den Brutgebieten. Sprecher: Der früher reich gedeckte Tisch läßt die Zug-vögel früher gestärkt in ihre Brutgebiete zurückkehren. Und der längere Aufenthalt dort führt oft zu mehr Bruten, eine oder gar zwei mehr. - Immer mehr Kurzstrecken-zieher bleiben infolge der Klimaerwärmung ganz hier oder länger hier, im Osten beipielsweise immer mehr Kraniche. Wärme liebende Arten nehmen zu und verbreiten sich wie seit ein paar Jahren die tropisch bunten Bienenfresser in ganz Sachsen-Anhalt. Die schon länger am Kaiserstuhl ansässigen Vorkommen dehnten sich bis in die Gegend von Mannheim aus. In noch kleinen Populationen tauchen plötzlich Nil- und Rostgänse auf. 15 Neu Arten, Neozoen, wie Flamingos und verschiedene Sittiche haben sich angesiedelt. - Drastische Einbrüche werden allerdings auch auf Helgoland bei den Langstreckenziehern beobachtet. - So widersprüchlich die Folgen des Klimawandels für die Bestandsentwicklung der Vogelarten sind, das Resumé aus den Zahlen des DDA- Monitoring ist eindeutig. Martin Flade: CUT 19, Flade 6: Die Vögel in der Agrarlandschaft nehmen fast alle ab, großflächig überall, auch alle Artengruppen und wenn diese Entwicklung so weiter geht, dann haben wir eine fast vogelfreie Agrarlandschaft. Wir gehen das Risiko ein, daß auf der Hälfte unserer Landschaftsfläche die Vögel fast vollständig verschwinden und das zweite sind die Langstreckenzieher, die nach Afrika fliegen, die fast durchweg abnehmen und die mit den veränderten Bedingungen in Afrika nicht zurechtkommen. Sprecher: So sind allein von den 8 abnehmenden Waldvogelarten 7 Langstrecken- zieher. Aber abgesehen von wenigen Spezialisten wie Birk- und Auerhuhn, sind die Bestände bei Waldvögeln relativ stabil, gibt es wenig Abnahmen und viel Zunahmen, allerdings weitgehend in den grüner werdenden Siedlungen, so bei Allerweltsarten wie Kohl- und Blaumeisen, Amseln, Rotkehlchen oder Buchfinken, aber auch Grünspecht oder Nachtigall nehmen zu. So gehört Berlin mit 178 Vogelarten zu den Vogelarten- reichsten Großstädten Europas, allerdings weitgehend mit denselben Tendenzen wie in ganz Deutschland, den starken Rückgängen bei Offenlandarten und Langstrecken- ziehern. Für die Brutvogelarten aller drei Gruppen, im Agrarland, in den Wäldern und Sied- lungen, kommen die Vogelforscher für die 16 Jahre, seit exakte Daten vorliegen, zu folgender Gesamtbilanz: CUT 20, Flade 7: Dadurch, daß viele der häufigsten Arten zunehmen und vor allem auch viele Wasservogelarten zunehmen, das liegt an der Nährstoffversorgung der Gewässer, auch der Meeresgewässer, nimmt die Menge an Vögeln im Moment zu,aber die Spezialisten unter den Vögeln und die Langstreckenzieher verschwinden. Und es gibt einige Vogelarten, die profitieren, z.B. von der Verstädterung der Landschaft, von dem Wachsen der Gartenstädte usw., und es gibt auch Vogelarten, die profitieren davon, daß es im Wald kaum noch Kahlschlagwirtschaft gibt wie früher und daß es andere Arten gibt, die z.B. mit der intensiven Nutzung der landwirtschaftlichen Flächen nicht klarkommen und diese Arten verschwinden. Und in der Bilanz heißt das natürlich, daß die biologische Vielfalt abnimmt. Denn selbst wenn das ausgeglichen wäre, wenn die Hälfte der Arten zunehmen würde und die Hälfte der Vogalarten abhnehmen würde, wenn man sich vorstellt, daß das immer weitergeht, heißt das ja, daß irgendwann mal die Hälfte der Vogelarten verschwunden ist. Sprecher: Bis dahin wird es noch lange dauern, aber die Entwicklung geht in diese Richtung. Der Frühling klingt schon jetzt anders und wird immer monotoner klingen, wenn der Rückgang der Arten so weiter geht. Was die eigenen Hausaufgaben betrifft, kann neben Sonderschutzprogram-men für seltene Vogelarten nur eine radikale Landnutzung Richtung Extensivierung und ökologische Landwirtschaft zu einer Trendwende des alarmierenden Rückgangs der Vogelarten in Deutschland führen; darüber sind sich Ornithologen und Natur-schützer einig. Das Gebiet im Biospährenreservat Schorfheide Chorin um Brodowin mit seinem von der früheren LPG auf Öko-Lanbau umgestellten landwirtschaftlichen Betrieb und seinen über 100 Brutvogelarten gilt unter Kennern als Vorbild für eine solche mögliche positive Trendwende: CUT 22, Flade 9: Gülle wird sowieso in der ganzen Landschaft nicht mehr ausge- bracht, es wird kein Mineraldünger mehr ausgebracht, es wird organisch gedüngt mit Festmist und mit Kompost und in diesen ganz hängigen Bereichen wird überhaupt keine intensive Ladnwirtschaft mehr betrieben. Dann wurden Hecken gepflanzt. Das waren gleich nach der Wende 8 km. Und die sind ganz toll konzipiert worden mit heimischen Sträuchern und Wildobstarten usw. und sind vogelkundlich das Optimum; Und was letztendlich hier entstanden ist nach der Wende, ist was völlig Neues, was es vorher noch nie gab, ne großflächig bewirtschaftete Landschaft mit großen Maschinen, aber eben ökologisch und dadurch entsteht also eigentlich ne völlig neue Landschafts- form, die es noch nie gegeben hat. Also eigentlich was ganz Revolutionäres, das kann man gar nicht genug hervorheben und man kann das eben in den Vogelbeständen sehen. Und einige Arten, die jetz für uns wieder normal sind, die waren weg Anfang der 90er Jahre, die Grauammer z.B., 95,96 fing die an hier wieder die Landschaft zu besiedeln, die ist jetzt überall . Zuspiel 4 Grauammer, 10.44 Sprecher: Die Grauammer steht auf der Roten Liste in der Kategorie 'stark gefähr- det'. 'Inzwischen brüten im Brodowiner Gebiet so viele Grauammern wie in ganz Niedersachsen', erklärt Martin Flade strahlend. In den Großschutzgebieten und dort wo ökologische Landwirtschaft betrieben wird, sind die Trends der Vogelpopulationsentwicklungen positiver als in der Normalland- schaft, nehmen rückläufige Arten, auch die Langstreckenzieher, deutlich weniger ab oder wieder zu. Das konnte mit den Zahlen des Dachverbands deutscher Avifaunisten erstmals nachgewiesen werden. Die Rückkehr zum vielstimmigen Frühlingskonzert wie noch vor 50 Jahren ist möglich. Nur dafür bedürfte es einer Revolution in der Landwirtschaft wie in Brodowin - hierzu- lande und in Afrika. Doch die jüngsten Tendenzen in der Landwirtschaft gehen gerade in die entgegenge- setze Richtung. Noch einmal der Landschaftsökologe Martin Flade: CUT 23: Die Naturschützer befürchten, daß durch den Wegfall der Stillegungsflächen, der Pflichstillegung, von der EU verordnet, die Bestände vieler Agrarlanschaftsvogel- arten zusammenbrechen werden in den nächsten Jahren, die Grauammer, die Wachtel usw. Und die zweite Tendenz ist, daß durch die Biomassenutzung für Bioethanol z.B., nachwachsende Rohstoffe, der Anteil an Maisflächen, an Raps und an ähnlich Feld- früchten wie Sudangras sehr stark angestiegen ist und diese Flächen sind eben ökolo- gische Wüsten, die sind extrem intensiv genutzt und bieten kaum irgendeiner Art Lebensraum. Und durch diese ganz aktuelle Entwicklung haben wir die Befürchtung, daß es en richtigen Crash geben wird in den nächsten Jahren und daß wir das Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahr 2010 den Rückgang der biologischen Vielfalt zu stoppen in Deutschland überhaupt nicht mehr erreichen können, sondern uns ganz stark entfernen werden. Sprecher: Auf 17% der landwirtschaftlichen Fläche werden in Deutschland bereits Agrotreibstoffpflanzen angebaut. - Nur noch da, wo ökologischer Landbau betrieben wird, finden fortan Vogelarten der offenen Agrarlandschaft ihre letzte Zuflucht. So wird Rachel Carsons bedrückende Vision vom stummen Frühling in Feld und Flur immer mehr traurige Wirklichkeit, - auf der Hälfte der Landesfläche Deutschlands. 1