COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur - Nachspiel "Eistanz unter Palmen". Sotschi und die Olympischen Winterspiele 2014 08.03.2009 Von Gesine Dornblüth Nebeneinander stehen sie auf der Umkleidebank, dünn, in Unterwäsche, neben sich Kleiderkoffer, größer als sie selbst. Mütter, Väter, Großmütter knien vor ihren Kindern und Enkeln und stülpen ihnen die Ausrüstung über: Schulter-, Ellbogen-, Schienbeinschützer, Unterleibschutz, schließlich den Helm mit dem Gitter vorm Gesicht. Alles muss richtig sitzen und sorgfältig verschlossen werden. Zum Schluss kommen die Schlittschuhe. Atmo hoch Autorin: Die Eisbahn steht im Süden von Sotschi, im Bezirk Adler. Sie ist neu, ein Jahr alt. Eine einfache Halle mit Wellblechdach, gleich neben einer Hühnerfarm. Davor wiegen sich Palmen im Wind. Bisher war Sotschi am Schwarzen Meer ein Sommerkurort mit einer Kulisse aus Bergen. Dennoch sollen in Sotschi Olympische Winterspiele stattfinden. In fünf Jahren, im Februar 2014. Sämtliche Anlagen müssen erst noch gebaut werden: Die Eisstadien an der Küste ebenso wie die Pisten in den Bergen. Und auch der Wintersport wird von Null aufgebaut. Die Eishockeyspieler in der Halle von Adler sind zwischen 6 und 8 Jahren alt, und sie stehen erst seit wenigen Monaten auf Schlittschuhen. Ihr Name: Die "Schneeleoparden". Die Eltern haben ehrgeizige Ziele. Elena Pantelejeva ist Lehrerin, ihr 7Jähriger Sohn Nikita wird gerade von seinem Vater angekleidet. O-Ton/OV Sprecherin: Rein theoretisch können die Kleinen 2014 Junioren sein. Vielleicht können sie sich bei den Olympischen Spielen präsentieren, vielleicht können sie bei der Eröffnungsfeier helfen - mal sehen. Atmo: Oma Autorin: Heute spielen die "Schneeleoparden" gegen die "Delphine" aus dem Zentrum von Sotschi. Die Delphine sind mit einem Kleinbus angereist. Evdokija Atamanova streift ihrem Enkel den Pullover über den Kopf. Ramaz, ein schmächtiger Junge mit zarten Gelenken und dunklem Haar, spielt bereits seit einem Jahr Eishockey. Die Oma kramt in einer großen Tasche, alles ist durcheinander. Ein Klettverschluss will nicht halten. Ramaz treibt sie zur Eile, die anderen seien alle schon fertig. Atmo: Enkel Autorin: Für Ramaz ist klar: Sie, die "Delphine", werden heute siegen. Neulich hätten sie 12:0 gegen Stavropol gespielt. Und sie hätten schon drei Pokale gewonnen. Atmo: Enkel Autorin: Der kleine Nikita von den heimischen "Schneeleoparden" guckt finster. Er greift nach dem Eishockeyschläger und stolpert breitbeinig an Ramaz vorbei aufs Eis. Seine Mutter, Elena Pantelejeva, lächelt ihm noch einmal zu. O-Ton/OV Sprecherin: Mal sehen, wie sie sich heute schlagen. Das erste Spiel war natürlich furchtbar. Da sind sie alle im Pulk der Scheibe hinterher gerannt. Jetzt kennen sie ihren Platz auf dem Eis, ihre Rolle. Heute müssen sie kämpfen. Auf Leben und Tod. Wir müssen eine gesunde Nation heranziehen. Es gibt ja sehr viel Negatives im Land, schlechte Angewohnheiten, die unsere Jugendlichen schnell annehmen. Sport lenkt sie davon ab. Und dass hier demnächst Olympische Spiele stattfinden werden, stimuliert die Kinder. Autorin: Elena Pantelejeva sagt das nicht einfach so. Sport hat in Russland heute zwei Funktionen: Mit ihm soll das angeschlagene Selbstbewusstsein der Bevölkerung wieder gestärkt werden, das in der Krise der 90er Jahre gelitten hatte. Und Russland will sich wieder als Weltmacht präsentieren. Die Regierung hat ein Programm zur Entwicklung des Sportes aufgelegt, das unter persönlicher Kontrolle des Präsidenten Dmitrij Medvedev und des Premierministers Vladimir Putin steht. Der ist selbst ein begeisterter Sportler. Ziel ist es, endlich das Image der Russen als Volk von Säufern loszuwerden und eben jene "gesunde Nation" zu schaffen, von der die begeisterte Mutter am Rande des Eishockeyspiels spricht. Sport zu treiben, soll modern werden. Die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi fügen sich perfekt in dieses Programm. Geplant werden sie in Moskau. Atmo: Kremlglocke Autorin: Aleksandr Kravcov ist für die Vorbereitung der Olympiakader zuständig, und zwar speziell für den Wintersport. Am Vormittag war er beim Staatspräsidenten zur Lagebesprechung. Die Olympischen Spiele sind Politik, erläutert Kravcov. O-Ton/OV Sprecher: Es ist kein Geheimnis, dass der Sport Teil der Politik dieses Staates ist. Daran, welches Bild die Sportler eines Landes bei internationalen Wettkämpfen abgeben, kann man ablesen, wie es um eine Gesellschaft steht: Um ihre wirtschaftliche, ihre medizinisch-biologische und ihre wissenschaftlich- methodische Entwicklung. Denn das sind die drei Richtungen, die für den Sport entscheidend sind. Wir betrachten die Olympischen Spiele in Sotschi nicht nur als ein Ereignis von Weltrang, sondern sie sind für uns ein Weg, um viele Probleme zu lösen. Es geht um die Gesundung unserer Nation, um die Entwicklung von Breitensport, um den Aufbau eines Netzes von Sportschulen, mit deren Hilfe wir nicht nur den Spitzensport voranbringen, sondern auch ein gesundes Klima im Land schaffen können. Autorin: Kein Wunder also, dass Premierminister Vladimir Putin die Olympischen Winterspiele zur Chefsache gemacht hat. O-Ton: Mr President, members of the IOC, distinguished guests, ladies and gentlemen. It is a great honor for... Autorin auf O-Ton: Im Sommer 2007, damals noch Präsident Russlands, reiste er persönlich nach Guatemala Stadt, um vor den Mitgliedern des Internationalen Olympischen Komitees für Sotschi zu werben. Fortsetzung O-Ton hoch: ... Sotchi is going to be done a new world class resort for the new Russia and the whole world. And we shall be happy to see you in Russia and in Sochi as our guest. Monsier le President... Merci. Applaus. Autorin: Putins Einsatz zeigte Wirkung. Das IOC gab Sotschi den Vorzug vor Salzburg und dem südkoreanischen Pyeongchang - zur Überraschung vieler Beobachter, die das subtropische Sotschi nicht nur klimatisch für denkbar ungeeignet für Olympische Winterspiele halten. In Sotschi gab es bisher kein einziges Weltcup-Skirennen, allenfalls Radsport- und Segelwettbewerbe. Alle Olympiaanlagen müssen neu gebaut werden. Fachjournalisten sprachen denn auch von Korruption, die die Entscheidung in Guatemala Stadt beeinflusst habe. Und die Süddeutsche Zeitung schrieb, der IOC-Ehrenpräsident Juan Antonio Samaranch habe die entscheidenden Stimmen für Sotschi besorgt. Im Gegenzug würden ihm die Russen helfen, die Olympischen Sommerspiele 2016 nach Madrid zu holen, in Samaranchs Heimatland Spanien. Russische Sportfunktionäre weisen das zurück. Es habe keine derartigen Absprachen gegeben, versichert Viktor Chototschkin, Vizepräsident des russischen Nationalen Olympischen Komitees. O-Ton/OV Sprecher: 2016 sind sehr ebenbürtige Kandidaten im Spiel: Madrid, Chicago, Rio und Tokio. Da ist es sehr schwer, einem einzelnen zu helfen, selbst wenn wir Sympathien für einen Ort hätten. Chicago zum Beispiel. Barack Obama kommt von dort. Glauben Sie, Chicago hätte wenig Chancen? Dabei haben die sich schon an uns gewandt: Wir müssten sie unterstützen, wegen Obama. Der Kampf wird schwer, und zu behaupten, wir könnten das Stimmverhalten des IOC beeinflussen, ist gewagt. Die Mitglieder des IOC sind mittlerweile so erfahren, sie entscheiden selbst, wo die Olympischen Spiele stattfinden sollen. Autorin: Zweifel an den Winterspielen in Sotschi wollen die Funktionäre des russischen NOK nicht zulassen. Doch Zweifel gab und gibt es viele. Die Bauarbeiten verzögern sich. Für einige Projekte fehlen noch immer die Investoren. Vor einem Jahr nahm der Vorsitzende des für den Bau der Olympiaanlagen verantwortlichen Staatsunternehmens "Olympstroj", der Großunternehmer Semjon Wajnschtok, seinen Hut - nicht ohne zuvor auf Defizite in der Planung hinzuweisen. Die Anwohner wehren sich gegen Enteignungen. Umweltschützer protestieren. Das Hauptproblem aber ist die Finanzkrise. Sie trifft Russland besonders hart. Ihretwegen wurde das Budget für die Olympischen Winterspiele bereits erheblich gekürzt. Für dieses Jahr zum Beispiel hatten die Planer ursprünglich umgerechnet etwa eine Milliarde Euro veranschlagt. Zwei Drittel wurden gestrichen. Dazu kommen noch Fragen der Sicherheit. Die Konfliktregion Abchasien, die sich von Georgien losgesagt hat, ist nur zehn Autominuten von den künftigen Olympiaanlagen entfernt. Abchasien ist ein potentieller Kriegsherd. Erst im vergangenen August gab es Krieg in Georgien. Salzburg, Verlierer bei der Abstimmung in Guatemala, erklärte prompt, es stehe noch für die Winterspiele 2014 bereit. Hartnäckig halten sich die Gerüchte, die russische Regierung werde alles noch absagen. Die Funktionäre in Moskau bringt das nicht aus der Ruhe. Svetlana Gurjeva, Vizepräsidentin der russischen Alpinen Ski- und Snowboard-Föderation und Beraterin des NOK, lächelt. O-Ton/OV Sprecherin: Olympische Spiele unterscheiden sich von allen anderen internationalen Veranstaltungen dadurch, dass sie, anders als Kongresse oder Konferenzen, nicht abgesagt werden können. Aber so reden die Leute eben. Dahinter stecken radikale Olympiagegner und die Länder, die bei der Vergabe der Spiele den Kürzeren gezogen haben. Für uns spielt das keine Rolle. Wir stürzen uns in Arbeit, so wie wir Russen das immer machen, und schuften für die Idee, für die wir so viele Jahre gekämpft haben. Der Prozess läuft gut. Wir haben alles unter Kontrolle. Autorin: Viktor Chototschkin, der Vizepräsident des NOK, nickt. Er verspricht: Die Winterspiele in Sotschi würden nicht nur stattfinden, sondern als die besten in die Geschichte eingehen. O-Ton/OV Sprecher: Unser Konzept sieht vor, dass es High Tech-Spiele werden, Spiele einer ganz neuen Generation. Wir haben den Internationalen Sportverbänden vorgeschlagen, in Sotschi beim Bau der Anlagen all das zu verwirklichen, von dem sie früher nur träumen konnten, weil sie nicht die finanziellen Möglichkeiten hatten. Die Internationalen Verbände haben vom Organisationskomitee eine Carte Blanche erhalten. Sie dürfen für die Planung der Anlagen und die Durchführung der Wettkämpfe die besten Köpfe und Kräfte engagieren, die die internationale Sportwelt zu bieten hat. Autorin: Und dann zieht Svetlana Gurjeva, die Beraterin des NOK, ihren höchsten Trumpf: In Sotschi sollen alle Olympischen Anlagen maximal eine dreiviertel Stunde voneinander entfernt liegen. Das dürfte Sportler wie Besucher gleichermaßen freuen. O-Ton/OV Sprecherin: Am Meer planen wir einen Olympiapark. Der untere Teil des Olympischen Dorfes und alle fünf Stadien werden dort hinter einem Zaun auf einem Gelände liegen. Sie müssen dann nur eine Kontrolle, nur einen Metalldetektor passieren. Sie kommen vom Flughafen oder vom Bahnhof und werden nur einmal belästigt. Hat es das etwa jemals bei Olympischen Spielen gegeben? Und erstmals in der Geschichte der Olympische Spiele werden die Wettkämpfe in allen zehn alpinen Disziplinen an einem Hang ausgetragen. An einem Hang! Außerdem noch die Freestyle- und Snowboardwettbewerbe. So kann man einen zweiten Wettkampf ansehen, ohne irgendwo hin zu fahren. Und das obere Olympische Dorf ist auch noch an derselben Stelle! So etwas hat es noch nie gegeben! Atmo: Straße, Autos Krasnaja Poljana Autorin: Ein Besuch vor Ort, in Krasnaja Poljana. Das Bergdorf liegt eine dreiviertel Stunde von Sotschi entfernt, auf gut 500 Metern Höhe, inmitten von dreitausender Gipfeln. Schnee türmt sich am Straßenrand. Zweige biegen sich unter der weißen Last. Der Ort ist langgestreckt, hier und da ein Restaurant, dazwischen, eingezäunt, Appartmentanlagen. An jedem Laternenmast hängt eine russische Fahne. Atmo hoch Autorin: Die Skigebiete in Krasnaya Polyana sind aufgeteilt, zwischen dem halbstaatlichen Gaskonzern Gazprom und den Milliardären Oleg Deripaska und Vladimir Potanin. Und während sich unten am Meer, dort, wo in fünf Jahren Eistänzer und Eisschnelläufer um olympisches Edelmetall kämpfen werden, noch Sumpf und Brachland erstrecken, sind hier oben, in den Bergen, immerhin schon einige Anlagen zu sehen. Drei der vier Skigebiete sind zumindest teilweise in Betrieb. Am vierten, "Roza Chutor", wird gerade gebaut. Die Talstation ist schon fertig, samt Restaurant und Skiverleih. Sie liegt versteckt am Ende des Ortes. Lange Eiszapfen hängen von den Dächern. Ein Bagger kratzt frischen Schnee zur Seite. Arbeiter verlegen ein Rohr. Atmo: Poidemte... Autorin: Alexander Belokobylskij ist der Direktor von "Roza Chutor". Er zeigt auf Regale mit Halterungen für die Ski. Sie sind noch leer und lassen sich beinahe lautlos auf Rollen verschieben. O-Ton/OV Sprecher: Das hier ist der Verleih, mit topmoderner Einrichtung. Hier kommen noch Trockner für die Skistiefel hin. In zwei, drei Jahren wird Sotschi ein Ski-Mekka sein. Wir haben Geld. Wir haben eine schöne Natur. Wir haben die besten Ingenieure. Deshalb bekommen wir einen der besten Skiorte in Europa, in der Welt. Autorin: In "Roza Chutor" werden nicht nur die alpinen Wettbewerbe stattfinden; der Unternehmer Potanin baut hier auch das Pressezentrum und den oberen Teil des Olympischen Dorfes. Die Gebäude werden hinterher zu Hotels umfunktioniert. Dann wollen die Investoren Gewinn machen. Doch zunächst steht Olympia im Vordergrund, und um rechtzeitig fertig zu werden, müssen sie sich sputen, räumt Belokobylskij ein. O-Ton/OV Sprecher: Wir sind verpflichtet, bis 2012 alle Sportanlagen fertigzustellen. Denn dann müssen wir Testrennen in den alpinen Disziplinen ausrichten. Wahrscheinlich wird das ein Weltcuprennen sein. Außerdem haben wir uns vorgenommen, schon im Winter 2010/2011 nationale und europäische Wettbewerbe zu veranstalten. Autorin: Die Pisten entwirft der ehemalige Skirennfahrer Bernhard Russi aus der Schweiz im Auftrag des Internationalen Skiverbandes. O-Ton/OV Sprecher: Er war in den letzten zwei Jahren ein paar mal hier. In diesem Frühjahr will er die Strecke testen. Wir haben zwar noch keinen Lift, aber wir kriegen Bernhard Russi schon irgendwie dort oben hin, notfalls mit dem Hubschrauber. Die Rennstrecke wird sehr schwierig sein, er will sie so schwer wie möglich machen. Atmo: Dorf. Sessellift Autorin: Im Ort vergnügen sich unterdessen die Winterurlauber. Die meisten kommen aus Moskau. An einem Parkplatz verkaufen Frauen einheimischen Honig, Kräuter und hausgemachte Marmelade. Skifahrer in Skistiefeln staksen über den vereisten Gehweg. Andrej Ischutin ist mehrere Stunden Ski gefahren. Mit geröteten Wangen steigt er aus dem Sessellift, lehnt seine Ski an den Zaun, fährt sich über das feuchte Haar. Daheim in Moskau entwickelt Andrej Ischutin Immobilien. O-Ton/OV Sprecher: Seit einigen Jahren schon versuche ich, jeden Winter hier her zu kommen. Ich bin schon an vielen Orten Ski gefahren: In Österreich, in Frankreich, Italien, der Schweiz. Hier sind die Berge anders. Ich will nicht behaupten, dass es in den Alpen schlechter ist, aber hier stehen Bäume, die Luft ist anders. Hier sind ja Subtropen, es ist feuchter, und vor allem ist der Schnee besser, flauschiger. Allerdings sind die Pisten nicht vergleichbar mit denen in Europa. Dort hat man hunderte Kilometer. Aber mit den Olympischen Spielen werden die Pisten hier ja auch ausgebaut. Autorin: Andrej Ischutin findet die Olympischen Spiele in Sotschi gut, und er wird auf jeden Fall zum Zuschauen kommen. O-Ton/OV Sprecher: Olympische Spiele im eigenen Land erlebt man eigentlich nur einmal im Leben. Gut, wir hatten sie 1980, aber da war ich sehr klein. Ich denke, das wird ein Fest für uns. Autorin: Viele Einheimische sehen Olympia skeptischer. Pjotr Fedin ist Bergbauingenieur und in Krasnaya Poljana geboren. Er hat den ersten Skilift in dem Bergdorf gebaut. Das war in den 90er Jahren. Mittlerweile hat er die Anlage an Gazprom verkauft, unter Druck, wie er sagt. O-Ton/OV Sprecher: Mir wäre es lieber, die Olympischen Spiele würden nicht stattfinden. Dann würde die Entwicklung hier ruhiger voran schreiten. Es bleibt doch nur sehr wenig Zeit, um all die Anlagen zu bauen. Und der Umfang der Arbeiten ist sehr groß. Außerdem haben wir eine Wirtschaftskrise, und es gäbe vieles, für das man das Geld sinnvoller ausgeben könnte, als für Olympische Spiele, die binnen zwei Wochen vorbei sind. Sotschi hätte sich auch ohne Olympia entwickeln können. Die riesigen Investitionen hier sind unnötig - zumal sie sich nicht rentieren werden. Meines Wissens waren Olympische Winterspiele bisher immer ein Verlustgeschäft. Da geht es nur um politisches Prestige. Autorin: Fedin wirft den Olympiaplanern vor, sie würden die Anwohner und ihre Bedürfnisse ignorieren und an den Realitäten vorbei bauen. O-Ton/OV Sprecher: Die Anlagen werden nach den Olympischen Spielen nicht benutzt werden. Sotschi ist mit 400.000 Einwohnern klein. Die ganzen Hockey- und anderen Eispaläste werden überflüssig sein, erst recht so etwas Spezielles wie die Bobbahn. Es ist unvernünftig, so etwas hier zu bauen. Solche Anlagen haben Sinn in der Nähe von Großstädten, dort werden sie auch genutzt. Selbst Turin mit etwa eineinhalb Millionen Einwohnern tut sich schwer, seine Olympiaanlagen zu unterhalten. Die belasten den Haushalt der Stadt enorm. Unsere Stadt ist viel kleiner, da wird es noch größere Probleme geben. Autorin: Die Organisatoren weisen diese Kritik zurück. Es gäbe vernünftige Pläne für die künftige Nutzung der Anlagen. Im Stadion für die Eröffnungsfeier zum Beispiel solle später die Fußballnationalmannschaft trainieren. Und die Sprungschanzen könne man gut für Show-Veranstaltungen nutzen. Atmo: SU-Hymne Autorin: In der Halle neben der Hühnerfarm in Sotschis Stadtteil Adler haben sich die Eishockeymannschaften auf dem Eis aufgestellt: Links die heimischen Schneeleoparden, rechts die Delphine aus dem Zentrum von Sotschi. Alles ist ein wenig improvisiert - auch die Musikanlage. Atmo: Hymne Autorin: Zur Hymne wird die russische Fahne gehisst. Die Spieler schubsen sich, ab und zu fällt einer um. Dann geht es los. Atmo: Spiel Autorin: Das erste Tor schießen die Schneeleoparden aus Adler. Die Eltern jubeln: 1:0 für die Gastgeber. Elena Pantelejeva, die Mutter des kleinen Nikita, schwenkt einen Cheerleader- Puschel. O-Ton/OV Sprecherin: Im Vergleich zum letzten Mal spielen sie besser. Beim ersten Spiel haben sie sogar die Tore verwechselt. Sie wussten nicht, welches ihres ist. Jetzt sieht das schon viel besser aus. Autorin: Doch dann fallen sie schnell zurück. Die Delfine aus Sotschi spielen besser zusammen und liegen schnell mit einigen Toren Differenz vorn. Der Trainer der Schneeleoparden, Alexander Voronin, vergräbt die Fäuste in den Jackentaschen. Der 36jährige ist aus Sibirien an die Schwarzmeerküste gekommen und steht von morgens bis abends auf der Eisbahn, immer im Dienste des Eishockeys. Atmo: Trainer O-Ton/OV Sprecher: Es steht schon 5:1. Ihr verliert! Nummer acht, du musst kämpfen, verstanden? Du läufst hier herum wie eine Zierpuppe. Autorin: Die Kleinen schlucken. Disziplin müsse sein, meint der Trainer. Sein rüder Ton ruft Erinnerungen an sowjetische Zeiten wach. Der Trainer der sowjetischen Eishockey- Nationalmannschaft, Viktor Tichonov, galt als bester Trainer der Welt, gewann drei mal olympisches Gold - und lächelte so gut wie nie. Doch solche Parallelen sind fehl am Platz, meint Viktor Chototschkin, der Vizepräsident des Nationalen Olympischen Komitees. O-Ton/OV Sprecher: Wir leben jetzt in einem anderen Land, unter ganz anderen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen. Was in der Sowjetunion üblich war, die Sportler mit Bonussystemen, gesellschaftlichen Auszeichnungen und Prämien zu Höchstleistungen anzuspornen, ist im heutigen Russland nicht mehr machbar. Autorin: Statt dessen zählt Geld. Viel Geld. Und da sind der Staat und die staatsnahen Oligarchen gleichermaßen spendabel. Russische Ölkonzerne haben letztes Jahr eine Kontinentale Eishockeyliga gegründet, die es mit der amerikanischen NHL aufnehmen soll. Zahlreiche Eishockeystars waren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in die NHL geflohen; jetzt können die Sportler in Russland genauso viel Geld verdienen. Die Kontinentale Eishockeyliga streckt ihre Fühler bis nach Westeuropa aus. Auch die Berliner Eisbären wurden bereits eingeladen, in der neuen Liga mitzuspielen. Die russischen Skispringer wiederum, international bisher nicht sehr erfolgreich, leisten sich einen deutschen Trainer, den Hinterzartener Wolfgang Steiert. Der Sportfunktionär Aleksandr Kravcov vom Vorbereitungszentrum der russischen Olympiamannschaft ist voll des Lobes für den Deutschen. O-Ton/OV Sprecher: Er hat deutsche Ordnung ins Training gebracht und ein professionelles Umfeld geschaffen. Die Sportler müssen sich ihre Ausrüstung jetzt nicht mehr selbst beschaffen. Wolfgang ist aber nicht einfach nur Wolfgang Steiert. Ihn kennt jeder in Europa, er ist bekannt im Weltskiverband, und er macht seinen Job mit großer Hingabe. Das gute Abschneiden von Vasiljev und Rosljakov bei der Vierschanzentournee ist Wolfgangs Verdienst. Autorin: Doch es liegen auch Schatten auf dem russischen Wintersport. Kurz vor Beginn der Biathlon WM in Südkorea wurden drei russische Sportler des Dopings überführt, darunter die Athletin Jekaterina Jurjewa, die bis dahin den Gesamtweltcup angeführt hatte. Das passt nicht zu dem positiven Image, das Russland im Vorfeld der Olympischen Spiele bekommen soll. Russische Sportfunktionäre brandmarkten die drei Dopingsünder denn auch als Nestbeschmutzer. Russland tue alles, um gegen Schwarze Schafe vorzugehen, versichert auch Kravcov. O-Ton/OV Sprecher: Russland ist der WADA beigetreten, der Welt-Antidoping- Agentur. Damit hat sich Russland gegenüber der Weltöffentlichkeit verpflichtet, Doping zu verbieten und zu verhindern. Verbote allein sind aber nicht alles. Deshalb tun die zuständigen russischen Behörden alles nur Erdenkliche im Bereich Aufklärung und Prävention. Schauen Sie, gerade ist zum Beispiel ein neuer Anti-Doping-Kodex erschienen. Den hat unsere nationale Antidoping-Agentur herausgegeben. In diesem Heftchen sind alle Forderungen der WADA in Gesetze für unsere Sportler gefasst. Wir verteilen diese Hefte jetzt an alle Sportler und Trainer. Autorin: Kravcov zeigt auf eine Broschüre in Din-A-5-Format. Doping hin oder her - die Zielvorgaben der Russen für die Olympischen Winterspiele sind ehrgeizig. Bei den letzten Spielen in Turin holte Russland acht Goldmedaillen. Spitzenreiter Deutschland gewann elf. O-Ton/OV Sprecher: In Vancouver wollen wir 9 bis 10 Goldmedaillen holen. Aus meiner Sicht wird das schwer. In Sotschi müssen wir 14 Goldmedaillen holen. Wir müssen. Atmo: Spiel Autorin: Die kleinen Eishockeyspieler in Sotschi können davon nur träumen. Am Ende gewinnen die "Delfine" mit 9:2. Evdokija Atamanova, die Oma aus Sotschi, jubelt. Aufmunternd nickt sie ihrem Enkel zu. Ramaz strahlt. Zurück auf der Umkleidebank, stupst sie den Kleinen an. Er solle mal sagen, was er werden wolle. Die Antwort kommt prompt: Olympiasieger. O-Ton/OV Sprecherin: Für diese Olympischen Spiele sind wir natürlich noch zu klein. Aber wir hoffen auf die Zukunft. Wenn alles gut läuft, kriegen wir zu den Olympischen Spielen schöne, richtige Eisstadien, und dann sind wir gerade im richtigen Alter und können Profis werden. 18