COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Next Generation (9) - Die Jugend im Ruhrgebiet auf Zukunftssuche - Autoren Schulz, Friederike (Beitrag 1- 5'08'') Keim, Stefan (Beitrag 2- 12'13'') Mod./Red. Stucke, Julius Sendung 06.09.2010 (13 Uhr 07) -folgt Skript Sendung- Skript Sendung MOD Jeden ersten Montag im Monat begleiten wir hier im Deutschlandradio Kultur - schon seit Anfang des Jahres - das Projekt Next Generation. Wir geben den Jugendlichen eine Stimme, die im Rahmen der Kulturhauptstadt Ruhr 2010 in zehn sogenannten Zukunftshäusern an Visionen für das Zusammenleben von morgen feilen. Mit Musik, Film, Tanz, Theater und mehr... Darüber berichten wir auch heute - und wollen darüber hinaus der Frage nachgehen - wie es denn jenseits von Kulturhauptstadtprojekten aussieht mit der Förderung von jungen Künstlern und alternativer Kultur. Doch zuerst einmal geht es nach Bochum, zu den Jugendlichen auf Zukunftssuche. Friederike Schulz berichtet: Beitrag 1 - Gemeinsam auf der Bühne (Friederike Schulz) ATMO (Theater, Jugendliche, Nuran Calis) "Okay, alle auf die Bühne! Wir überspringen jetzt einiges, das Kennenlernen, wir legen gleich mit dem Spielen los." AUTORIN 14 Jugendliche stehen im Kreis auf der Probebühne des Schauspiels Bochum. In ihrer Mitte: Der Regisseur Nuran Calis. Der 35-jährige hat sich deutschlandweit einen Namen mit Jugendtheaterprojekten gemacht - hat bereits an vielen renommierten Häusern gearbeitet: am Thalia in Hamburg, am Grillo in Essen, am Staatschauspiel Hannover. Seit Anfang des Jahres beobachtet Nuran Calis die Arbeit in den einzelnen Zukunftshäusern von Next Generation. Er hat die Jugendlichen eingeladen, mit ihm für Ende des Jahres ein gemeinsames Theaterstück zu schreiben und aufzuführen. Dafür sollen sie ihm eine Frage beantworten: Was ist Dein Traum? ZITATE (Jugendliche) "Dass sich die Welt mal wenigstens nur für eine Woche verträgt! Das wünsch ich mir vor allem bei den Kurden und den Türken. Wenn wir Jugendliche uns meist immer vertragen warum dann nicht alle?" "Ich denke, dass meine Zukunft in meinen Händen liegt. Deshalb sollte ich das Beste daraus machen." OT (Nuran Calis) "Die Texte der Jugendlichen bleiben eigentlich so wie sie sind. Ich werde da nicht dran herumdoktern. Es geht nur darum, dass ich versuchen werde, den Abend in einen äußeren dramaturgischen Bogen zu bringen und es für den Zuschauer erlebbar zu machen." AUTORIN Die Jugendlichen haben ihre Texte bereits in ihren jeweiligen Gruppen vorgetragen, über die Ferien sollten sie sie auswendig lernen. Zunächst haben sich alle etwas schwer getan mit der Frage, berichtet die 17-Jährige Jessika. Sie geht auf die UNESCO-Schule Essen, die Projektpartner von Next Generation ist - mit einigen Klassenkameraden ist Jessika nach Bochum gekommen. OT (Jessica) "Erst mal fand ich das etwas komisch, weil man normalerweise nicht danach gefragt wird. Aber eigentlich finde ich das interessant, dass sich jemand für mich interessiert und dass es anscheinend jemandem wichtig ist, was ich für mich plane und was ich mir für mich vorstelle." AUTOR Beim ersten gemeinsamen Treffen sollen sich die jungen Schauspieler kennenlernen: durch gemeinsames Spielen und Improvisieren auf der Bühne. Der Regisseur deutet auf die Aufbauten am Rande der Bühne: Ein Holzgestell mit Stufen, das an die Zuschauerränge eines Amphitheaters erinnert. ATMO (Theater, Jugendliche, Nuran Calis) "Jetzt möchte ich, dass der erste mal versucht, so schnell es geht, mal da hoch zu rennen und so schnell es geht, wieder runter..." AUTORIN Nacheinander laufen die jungen Schauspieler die Stufen rauf und runter. Sie sollen sich mit der Bühne vertraut machen. Fast alle haben bereits Theatererfahrung: Hassan und Omar aus Essen-Altendorf haben zusammen mit der Regisseurin Ines Habich im Rahmen von Next Generation ein Stück über das Viertel, in dem sie leben, geschrieben und aufgeführt. OT (Hassan / Omar) "Ich weiß nicht, was ich in der Zeit gemacht hätte, in der ich nicht dahingegangen bin, aber es war auf jeden Fall sinnvoll - man kann schon sagen: Die haben Jugendliche von der Straße geholt." "Auch über Altendorf was neues kennengelernt, obwohl man da wohnt. Wie das früher war, wie es jetzt aussieht und ein paar Gedanken gemacht, wie das in der Zukunft aussieht. Wir haben uns schon sehr intensiv mit Altendorf beschäftigt." AUTORIN In dem gemeinsamen Theaterstück ist der Anspruch ein anderer: eine Zukunftsvision für die Jugend im ganzen Ruhrgebiet, zusammengesetzt aus den Träumen der einzelnen. Für die jungen Schauspieler, die bereits Schwierigkeiten hatten, überhaupt ihren Traum zu formulieren, ein schwieriges Anliegen, sagt die 18-jährige Lena aus Essen. OT (Lena) "Erst mal hört es sich natürlich sehr hochgegriffen an. Aber wenn man genauer drüber nachdenkt: Es ist schon möglich, würde ich sagen. Und ich bin auch mal gespannt, was da so draus wird." AUTORIN Bis Ende Oktober ist noch Zeit: Dann ist Premiere auf der großen Bühne im Schauspielhaus. Bis dahin wird sich die Gruppe mehrmals in der Woche in Bochum treffen. Intendant stellt Nuran Calis seine Probebühne mitsamt eigenem Bühnenbild und Kostümen zur Verfügung, finanziert von der Ruhr 2010 und der Bundeszentrale für politische Bildung. Doch auch außerhalb des Kulturhauptstadtjahres bekommt der Regisseur von großen Häusern in ganz Deutschland regelmäßig Angebote, um mit Jugendlichen Theater zu machen. OT (Nuran Calis) "Ich bin da noch nie auf Barrieren gestoßen, ich habe eher Leute getroffen, die noch mehr Ressourcen ermöglicht haben und noch mehr Geldquellen aufgetan haben, um die Rahmenbedingungen für die Jugendlichen und meine Arbeit noch besser zu machen." ATMO (Theater, Jugendliche, Nuran Calis) "Du bist der Papa, du bist die Mama..." AUTORIN Nuran Calis zeigt mit dem Finger auf Tim, Lena und Hassan: Sie sollen eine Szene improvisieren: Ein Junge kommt aus der Schule und muss seinen Eltern am Abendbrottisch erklären, dass er sitzen geblieben ist. ATMO (Theater, Jugendliche) "Und heute letzter Schultag?" "Ja." "Komm, zeig das Zeugnis!" "Hm, kriegen wir später..." AUTORIN Nuran Calis steht am Bühnenrand, beobachtet die Szene und nickt zufrieden: Die Jugendlichen spielen bereits so vertraut miteinander, dass er beim nächsten Treffen mit der eigentlichen Arbeit beginnen kann. - ENDE 1 - MOD Es gibt mitten im Jahr der Kulturhauptstadt auch Protest einer jungen alternativen Künstlergeneration - die sich nicht vertreten fühlt durch die vorhandenen Spielorte und Förderprogramme. Ein Beispiel für diesen Protest war kürzlich die Besetzung der leer stehenden Kronenbrauerei in Dortmund. - Stefan Keim ist für uns durch das Ruhrgebiet gereist und der Frage nachgegangen wie es den jenseits der Kulturhauptstadtprojekte aussieht - mit der Förderung lokaler Kultur. Beitrag 2 - Alternative Künstler auf der Suche nach Unterstützung (Stefan Keim) MUSIK (X-Vision "Ruhr 2010, und wir sind dabei") AUTOR Junge Musiker aus dem Projekt "Next Generation" besingen die Kulturhauptstadt. Sie haben ihre Hymne selbst geschrieben und komponiert, versprühen Zuversicht und Selbstbewusstsein. Doch nicht alle Künstler der jüngeren Generation haben das Gefühl, bei Ruhr 2010 dabei zu sein. Sie suchen nach Räumen für Proben, Ateliers, Diskussionen. OT (Noltemeyer) "Das macht man nicht gern zu Hause im Schlafzimmer oder im Wohnzimmer, sondern man braucht dafür bestimmte Räumlichkeiten. Und die müssen halt günstig vorhanden sein, damit man sie überhaupt nutzen kann." AUTOR Svenja Noltemeyer ist Raumplanerin und sitzt für die Grünen im Dortmunder Stadtrat. Die 28jährige setzt sich für ein Unabhängiges Zentrum in Dortmund ein. Für einen Ort, an dem es nicht in erster Linie darum geht, jeden Abend die Bude voll zu kriegen und viele Karten zu verkaufen. Das soll das Zentrum unterscheiden von den freien Kulturstätten, die es bereits gibt. Svenja Noltemeyer will Kinder, Jugendliche und Arbeitslose einbeziehen und mit ihnen die Stadt gestalten. OT (Noltemeyer) "Wenn der Nordmarkt vor meiner Tür blöd aussieht, dann kann ich doch den verändern. (...) Und das ist im Zentrum auch die Idee, dieses Produktiv sein, aber mit nem ganz geringen kommerziellen Hintergrund." AUTOR Räume dafür gibt es im Ruhrgebiet zu Hauf, sagt der Stadtsoziologe Tino Buchholz, der sich ebenfalls für ein Unabhängiges Zentrum einsetzt. OT (Buchholz) "Der Leerstand ist überwältigend. Ruhrgebietsweit gibt es so was wie eine neunte Stadt. Die acht größten Ruhrgebietsstädte haben Leerstände in der Summe einer neunten Stadt." AUTOR Wer durch das Ruhrgebiet reist, findet diese Aussage sofort bestätigt. Die Region ist immer noch mitten im Strukturwandel. Manche Zechengelände werden bereits neu genutzt, mit der Ruhrtriennale ist ein überregional bedeutendes Festival in den alten Industrieanlagen entstanden. Aber es gibt sie noch an jeder Ecke, langsam verfallende riesige Firmengebäude mit eingeschlagenen Fenstern, Ladenlokale und ehemalige Kaufhäuser, die schon seit Jahren leer stehen. Von der ehemaligen Bierstadt Dortmund ist heute kaum noch etwas übrig geblieben. Auch die Kronenbrauerei, die 550 Jahre Tradition auf dem Buckel hatte, wurde schon vor 14 Jahren verkauft. Das Gebäude ist ein toter Punkt mitten in der Innenstadt. Das wollen Tino Buchholz und Svenja Noltemeyer ändern. Zusammen mit rund hundert Dortmunder Künstlern haben sie vor einigen Wochen die Brauerei besetzt. OT (Noltemeyer) "Die Tür war offen. (...) Es sind kaum Zerstörungsspuren zu merken. Der Keller besteht noch aus vier Theken, es ist sofort bespielbar. Und das ist ne Situation, auf die wir aufmerksam machen wollten. Es ist ein offener Raum, der sofort nutzbar ist, und warum soll mans nicht machen?" AUTOR Der Besitzer war gerade im Urlaub, hörte von der Aktion und ließ die Polizei anrücken. Wegen Hausfriedensbruchs. Nach fünf Stunden war die Besetzung vorbei. OT (Noltemeyer) "Wir haben da auch Fenster und Böden gewischt. Es sieht letztendlich schöner aus als vorher." AUTOR Die Zwischennutzung leer stehender Gebäude durch Künstler und Kreative ist in vielen Städten nicht nur geduldet, sondern erwünscht. Weil die Immobilien so nicht verrotten, sondern geheizt, gelüftet und genutzt werden. Bis sich ein neuer kommerzieller Interessent findet. OT (Buchholz) "Da sind die Künstler und Kreative die Durchlauferhitzer für Stadtteile, die noch nicht warm gelaufen sind." AUTOR Tino Buchholz nennt ein positives Beispiel. OT (Buchholz) "Amsterdam hat große, gute Erfahrung mit seiner kreativen Hausbesetzerbewegung. Würde ich als die fortschrittlichste Stadt dort sehen, selbst wenn sie sich an einem Wendepunkt befindet." AUTOR In den Niederlanden gibt es ein Gesetz, nach dem Häuser, die länger als ein Jahr leer stehen, kostenlos zwischen genutzt werden dürfen. Die Grünen fordern seit längerem, diese Idee ins deutsche Recht zu übernehmen. Allerdings rudern die Holländer nun zurück, die konservativ geführte Regierung findet die Stärkung des Privateigentums wichtiger als den gesellschaftlichen Nutzen. Am 1. Oktober wird das Gesetz abgeschafft. Tino Buchholz hält die Idee trotzdem für richtig und warnt vor den Folgen einer falschen Stadtentwicklung. OT (Buchholz) "Das Referenzbeispiel ist Detroit, wo sehr viel leer steht, wo der Strukturwandel sehr unbefriedigend für die Menschen bewältigt wurde. Die sind weg gezogen, weil sie sich die Räume entweder nicht mehr leisten konnten oder weil die Arbeitsmöglichkeiten weg gefallen sind. Solche Entwicklungen wollen wir im Ruhrgebiet nicht." AUTOR Bei der Dortmunder Stadtverwaltung stößt Buchholz auf offene Ohren. Neben Vertretern von Stadtrat und Kulturbüro war auch Jörg Stüdemann bei der Besetzung der Kronenbrauerei vor Ort. Er ist Kulturdezernent und Kämmerer Dortmunds. OT (Stüdemann) "Es ist ja auch richtig. Wir haben sehr viel Leerstand in der Stadt, viele große Immobilienkomplexe. Ich ärgere mich selbst beispielsweise seit einigen Jahren über das Brückstraßenviertel, wo die Stadt sehr viel Geld in die Hand genommen hat und rundherum regiert der Leerstand, aus spekulativen Interessen meistens nur. Wir haben viele andere Partien in der Stadt, wo wir über Leerstand klagen. Und insofern, wenn jetzt Akteure da sind, die sagen, wir wollen Kunst, Kultur und politische Artikulation und brauchen Räume, dann ist das erstens in der Beschreibung richtig und zweitens unterstützenswert." AUTOR Doch mit größeren Geldsummen kann die nahezu bankrotte Stadt nicht helfen. OT (Stüdemann) "Dort, wo es sich um privates Immobilieneigentum handelt, können wir Gespräche moderieren oder begleiten. Auf der anderen Seite leuchten wir unser eigenes Liegenschaftsgeschäft auch ab, also die Gebäude und Gelände, die zu uns gehören. Und wenn sich da eine geeignete Anlage findet, kann man über die eventuell auch sprechen." AUTOR Dortmund ist kein Einzelfall. Auch in anderen Städten gibt es Aktionen, Demonstrationen, kurzfristige Besetzungen von leer stehenden Gebäuden. Die Ziele, sagt Tino Buchholz, sind ähnlich. OT (Buchholz) "Von Köln über Düsseldorf, Essen, Duisburg, Bochum - nicht so wirklich zusammenhängend gerade, aber überall gibt es diese Bewegungen. Zunehmend thematisieren sie das Recht auf Stadt und das Recht auf Differenz, Andersartigkeit, Mitbestimmung, Zentralität und Raumaneignung. (...) Los gestoßen wurde das in Hamburg, für Deutschland." AUTOR Der theoretische Hintergrund dieser Aktionen ist ein Klassiker der 68er Bewegung. Der französische Philosoph und Soziologe Henri Lefebvre formulierte in seinem Buch "Die Revolution der Städte" die Idee, dass die Bürger ihre Städte aktiv mit gestalten, ohne Anleitung von oben. Doch das stößt immer noch auf Probleme, Verwaltungen reagieren weiterhin skeptisch auf spontane Entwicklungen. Zu den ursprünglich geplanten Projekten der Kulturhauptstadt zählte lange auch "Land for Free". Auf Brachen sollten sich Menschen ansiedeln können und einfach machen, was sie wollen. Aus dem offiziellen Programm ist diese Idee nun verschwunden. OT (Buchholz) "Das war den entsprechenden Behörden, Autoritäten, zu subversiv. Das war zu ungeplant, zu ungesteuert, ließ sich scheinbar nicht kontrollieren, wie die Landvergabe funktioniert. Obwohl es genügend Land gibt und Experimentiermöglichkeiten entsprechend." AUTOR Kreativquartiere zu schaffen ist weiterhin ein zentraler Punkt der Ruhr 2010. Dieter Gorny, der dafür zuständige künstlerische Direktor, will eine Entwicklung in Gang setzen, die weit über das Jahr der Kulturhauptstadt hinaus reicht. Ob es klappt, ist derzeit kaum abzusehen. Svenja Noltemeyer: OT (Noltemeyer) "Das Problem ist, dass man Standorte schaffen muss, die man aber schlecht vom Schreibtisch aus kreieren kann. Also man muss gucken, wer ist konkret vor Ort, wer könnte diesen Ort nutzen und zusammen mit den Kreativen planen. Kreativen kann man auch nicht was vorsetzen, sondern die müssen den Ort selbst entdecken und entwickeln, damit sie überhaupt diesen Ort interessant finden." AUTOR Ein besonders gelungenes Beispiel für so eine Entwicklung ist die Rottstraße 5 in Bochum. Ein Firmengelände direkt neben dem Innenstadtring, umgeben von Peepshows und Sexshops. Produziert wird hier außer Kunst nichts mehr. In einer der kleinen Hallen befindet sich nun ein Atelier, in einer anderen ein Off-Theater. Mit knapp 70 Plätzen, im Eintrittspreis von zehn Euro ist ein Getränk enthalten. Reich werden die Macher hier nicht. OT (Dreher) "Keiner arbeitet hier des Geldes wegen. Sondern es sind Herzensangelegenheiten, die hier entstehen." AUTOR Hans Dreher ist einer von drei Leitern der Rottstraße 5. In kurzer Zeit hat das Ensemble die Aufmerksamkeit vieler überregionaler Kritiker erregt. Mit gerade mal zwei Scheinwerfer und, einem CD-Player als Tonanlage, dafür aber umwerfender Spielenergie entwickelt das Ensemble leidenschaftliche Aufführungen. Zeitgenössische Stücke aber auch klassische Stoffe wie die Odyssee und die Nibelungen stehen auf dem Spielplan. Die Schauspieler wagen große Gefühle, Zentimeter von den Zuschauern in der ersten Reihe entfernt. Regisseur und Schauspieler Arne Nobel: OT (Nobel) "Es ist irre. Man hat keinen Schutz. Man hat nirgends so ein intensives Spielererlebnis , weil es so eng, so nah ist. Und weil man danach die Zuschauer trifft, man hat sofort Feedback und so weiter." AUTOR Die Anfänge des Off-Theaters in der Rottstraße waren allerdings nicht nur von künstlerischen Erfolgen geprägt. Sondern auch vom Ärger mit dem Ordnungsamt, der zu einer vorübergehenden Schließung führte. Inzwischen gibt es warme Worte von der Stadt, aber immer noch kein Geld. OT (Nobel) "Mein Gedanke war, man macht das als Schaufenster, kann arbeiten, ist besser als arbeitslos zu sein und macht sechs bis acht Veranstaltungen im Monat. Jetzt machen wir 20, es ist ein Fulltimejob. Wir arbeiten jeden Tag rund um die Uhr. Wir gehen selber ans Telefon, wir machen alles selbst und haben keine Zeit, um einen Nebenjob zu machen, um die Miete zu zahlen. Deswegen wäre es schon schön, wenn wir wenigstens gesichert wären, wenn wir einfach wüssten, der Laden ist sicher." AUTOR Von der Ruhr 2010 kommt bei Arne Nobel in der Bochumer Rottstraße bisher nichts an. OT (Nobel) "Die findet nicht statt. Kulturhauptstadt ist nicht da. Gibt es nicht. Wenn Herr Pleitgen erzählt, es ist New York, Blödsinn. Er kauft nur die fetten Sachen ein, das ganze Geld geht nach Berlin. Leute werden von woanders engagiert. Ich finde, das beste Beispiel ist, die Odyssee an sechs Stadttheatern wird von einem Fotografen fotografiert, aus Berlin. Das sind Häuser, die ihre Fotografen eigentlich hier haben. Da sind sechs Jobs zerstört worden aus der Region." AUTOR Auch wenn Arne Nobel und Hans Dreher manchmal an städtischen Bühnen arbeiten, wollen sie der Rottstraße die Treue halten. Das ist ihre Heimat, sagen sie. Kulturpolitiker begegnen jungen Künstlern oft mit Wohlwollen, geben ihnen aber trotzdem kein Geld. Weil sie befürchten, dass ihr Engagement nur kurzfristig ist und die Kreativen die Stadt wieder verlassen, wenn ein spannendes Angebot kommt. Nachhaltigkeit ist das Stichwort. Dortmunds Kulturdezernent Jörg Stüdemann findet allerdings, dass jede Generation ihren eigenen Weg finden muss. OT (Stüdemann) "Was nicht funktionieren wird, ist dass sich eine Kaste der 50, 60, 70jährigen hinsetzt und den Anfang-, Mitte-20Jährigen erklärt, wie sie Nachhaltigkeit zu interpretieren haben. Das wird dann tragischkomisch." AUTOR Stüdemann macht sich Gedanken, ob das System der Kulturförderung noch zeitgemäß ist. Denn oft fehlt es gerade den aktiven und gefragten Künstlern an der Lust, sich mit bürokratischen Abläufen zu beschäftigen. Ein DJ sagte dem Kulturdezernenten einmal: OT (Stüdemann) "Bevor ich einen Antrag geschrieben habe, bin ich einmal in Tokio gewesen und zweimal in St. Petersburg. Und dann ist das interessanter als einen Antrag an das Kulturbüro Dortmund zu richten. Dann versuche ich mein Geld eben am Markt als DJ zu erarbeiten für meine künstlerischen Projekte. (...) Also das Networking funktioniert völlig anders als in einer Generation als diese Kulturförderung aufgebaut worden ist in ihren Parametern und Strukturen." AUTOR In vielen Städten - auch in Dortmund - sind Kulturbüros entstanden, die schneller und unbürokratischer agieren sollen. Aber... OT (Stüdemann) "Was man nicht ausblenden kann, ist, dass letztlich der Rat einer Stadt oder eine Gemeinde über die Zuteilung entscheidet. Und diese Schwerfälligkeit in Anführungsstrichen, der Prozess einer Meinungsbildung, der muss schon gelebt und durchgehalten werden. Das ist das Grundprinzip einer Demokratie, in der wir agieren." AUTOR Jörg Stüdemann benennt das zentrale Problem: Verwaltung und Politik wollen Kontrolle und Verlässlichkeit, junge Kreative sind spontan, ungeduldig, sie haben ein anderes Tempo. Ganz wird sich dieser Konflikt nicht auflösen lassen, und die kommunale Finanzkrise macht die Lage auch nicht einfacher. Doch zumindest ist vielerorts Offenheit zu spüren. Das Jahr der Kulturhauptstadt ist bald vorbei. Nun geht es um die Kultur und das urbane Leben in dieser Region über die Ruhr 2010 hinaus. -ENDE SENDUNG - 1