COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Literatur 30.6.2013, 00.05 Uhr "Widerstand ist ein zuverlässiger Maßstab zur Beurteilung der Wahrheit" Die Wiederentdeckung des "jugoslawischen Goethe" Miroslav Krleza Autor : Jörg Plath Redakteurin : Barbara Wahlster Sendetermin : 30.6.2013 Regie : Friederike Wigger Besetzung : Autor spricht selbst; Sprecherin Bettina Kurth, Zitator Michael Evers; Sprecher für Voice Over Erwin Schastok, Sprecherin für Voice Over Uta Prelle "Die Recherche für die Sendung wurde von der Robert Bosch Stiftung im Rahmen des Förderprogramms 'Grenzgänger' gefördert.? Übersetzung: Natasa Medved Atmo Trg Jelacic (Stimmen, Straßenbahnen fahren an, klingeln) Sprecher Auf Zagrebs Einkaufsstraße Illica fahren in dichter Folge Straßenbahnen zwischen den Fußgängern, den Passagen aus der Gründerzeit und den zwei- oder drei-, selten vierstöckigen Häuserzeilen hindurch. Hinter ihnen sind gen Norden steil ansteigende Hügel zu sehen. Eine Seilbahn führt zu den prächtigen Häusern der Zagreber Oberstadt. Dann folgt ein Tal, in dem sich eine Straße hinauf schlängelt, und der Zagreber Oberstadt gegenüber liegt inmitten eines noblen Wohnviertels die Villa Rein. Hier residierten Miroslav Krleza und seine Frau Bela. O-Ton Klingeln "Dobrodisli u dom Miroslava i Bele Krleza. Bitte." Tür klappt zu, Schritte. Sprecher Vesna Vrabec, die Leiterin des Museums, führt durch die Villa Rein. 29 Jahre lebten Miroslav Krleza und seine Frau Bela, eine Theaterschauspielerin, im ersten Stock der herrschaftlichen Villa: von 1952 bis 1981, bis zu ihrer beider Tod. Es sind die Jahre höchster Anerkennung für einen Schriftsteller, der mit seinen Werken und Schriften die bürgerliche Gesellschaft des Landes, die mächtige Kirche und obendrein die Freunde Stalins gegen sich aufbringt. Der in Lebensgefahr ausgerechnet bei den Faschisten Unterschlupf sucht und findet. Sprecherin Miroslav Krleza, Jahrgang 1893, ist nach dem Zweiten Weltkrieg einer der wichtigsten Künstler Jugoslawiens und der politisch einflussreichste. Der Klassiker zu Lebzeiten, dessen Werkausgabe mehr als 50 Bände umfasst, ist befreundet mit Jugoslawiens Staatspräsident Tito. Er wird immer wieder als Kandidat für den Nobelpreis gehandelt, gibt als Direktor des Lexikographischen Instituts die "Jugoslawische Enzyklopädie" heraus, steht dem kroatischen Schriftstellerverband vor, ist Mitglied der Jugoslawischen Akademie der Wissenschaften und der Künste, zeitweise auch ihr Vizepräsident. Krleza ist ein Mann von der Statur Goethes, allerdings auf der Linken. Ein Mann mit der Produktivität eines Bertolt Brecht und einer Modernität, die sich an Robert Musil, Rainer Maria Rilke und Karl Kraus orientiert. O-Ton "Krleza, das ist ein Kontinent. (Lacht) Eine Planet." Sprecherin ... meint nicht nur Bora Cosic. Der in Berlin lebende serbische Schriftsteller hat eine fiktive Autobiographie Krlezas verfasst, die manchen Kritiker verwirrt denken ließ, er habe ein bisher unbekanntes Werk des großen Mannes gelesen. Musik Sprecher Unterhalb der Villa, an der sich den Hügel hinauf schlängelnden Straße, steht Krlezas Bronzestatue der Bildhauerin Marija Ujevic aus den späten Jahren: Ein weiter Mantel verhüllt die umfängliche Figur zu einem Kegel. Die Hände tief in den Taschen, richtet die schwere, leicht zur Seite geneigte Gestalt ihre Augen im kleinen, sorgenvollen Gesicht voller Skepsis auf den Betrachter. Der Dichter stand der Bildhauerin Modell. Er lebte Zeit seines Lebens in Zagreb. O-Ton "Ovo je karta na kojoj smo pokazali ...? Overvoice Frau "Diese Karte zeigt alle Adressen Krlezas - wo er mit seinen Eltern wohnte, mit Bela, wo er zur Schule ging. Hier, die Nummer 2, das ist sein Geburtshaus in der Radiceva. Eine Tafel am Haus weist heute darauf hin.? Sprecher Die Tafel in der Radiceva, die damals Duga Ulica hieß, eine kleinstädtisch wirkende Gasse nahe dem zentralen Jelacic- Platz, ist von schmalen, maximal dreistöckigen und proper renovierten Häusern aus der Zeit vor 1900 gesäumt. Krlezas Zagreb ist gründerzeitlich, von der österreichisch- ungarischen Besatzung geprägt. Oben trägt die Tafel eine Halbreliefbüste des Schriftstellers. Sie blickt die meiste Zeit auf die belebte, lärmige Terrasse der "Caffe Bar Krolo". Die Radiceva ist Teil des lebendigen Zagreber Nachtlebens. Sprecherin Krleza ringt Zeit seines Lebens mit der Provinzialität seiner Heimat, am deutlichsten vielleicht in seinem großartigen Roman "Die Rückkehr des Filip Latinovicz?. Musik (unterlegen) Zitator "Es dämmerte, als Filip auf dem Stiftsbahnhof ankam. Dreiundzwanzig Jahre war er nicht in diesem Winkel gewesen, aber er wusste noch genau, was alles auf ihn zukommen würde: die fauligen, modrigen Dächer, der Zwiebelturm der Mönchskirche, das graue, verwitterte einstöckige Haus am Ende der düsteren Allee und schließlich das Medusenhaupt aus Gips über der schweren, beschlagenen Eichentür und die kalte Klinke. Dreiundzwanzig Jahre waren seit jenem Morgen vergangen, da er sich wie der verlorene Sohn vor diese Tür geschlichen hatte: ein Unterprimaner, der seiner Mutter einen Hundertkronenschein gestohlen hatte, der drei Tage und drei Nächte trank, sich mit Weibern und Kellnerinnen herumtrieb, dann heimkehrte, sich aber vor verschlossener Tür fand und draußen blieb, seitdem auf der Straße lebte, schon viele Jahre. Nichts hatte sich im Grunde geändert. Er stand vor einer fremden, verschlossenen Tür, und er glaubte, wie auch an jenem Morgen, die metallene Kälte des schweren massiven Türdrückers in seinem Handteller zu spüren. Er wusste, dass die Tür unter seiner Hand nur schwer nachgeben würde, dass das Laub in den Wipfeln der Kastanien sich leicht bewegte; er hörte, wie eine Schwalbe über seinen Kopf hinwegstrich, und ihm war - an jenem Morgen -, als träume er. Schmutzig war er, müde, unausgeschlafen, und er spürte, dass ihm etwas am Kragen entlangkroch, allem Anschein nach eine Wanze. Nie würde er jenes düstere Dämmern vergessen, jene durchzechte letzte Nacht, die dritte, und jenen grauen Morgen - nie im Leben." Sprecherin In Deutschland ist Miroslav Krleza, einst ebenso berühmt wie der jugoslawische Literaturnobelpreisträger Ivo Andric oder Danilo Kis, beinahe vergessen. Seine Bücher, selbst die großartigen Romane "Die Rückkehr des Filip Latinovicz" und "Ohne mich", waren lange vergriffen. Die jugoslawischen Kriege taten ein Übriges, auch die Nationalisten im 1991 selbstständig gewordenen Kroatien, die den verhassten Linken, "Titoisten" und Anhänger Jugoslawiens tot schwiegen. Sprecher Geprägt vom Ersten Weltkrieg, von der Gewalt und dem Entsetzen darüber, will Krleza lange Zeit kompromisslos nur zwei Dinge: Sowohl ästhetisch wie politisch wirken, im Reich der Freiheit ebenso wie in dem der Notwendigkeit. Krleza ist ein homo politicus und ein homo aestheticus. Noch mit 75 Jahren, 1968, verbindet er beides miteinander: Zitator "Um sein Handwerk ordentlich ausüben zu können, muss der Schriftsteller die Möglichkeit haben, eine Art Dissident zu sein, sogar auch ein Defätist in Bezug auf den Staat und seine Institutionen, in Bezug auf die Nationen und ihre Autoritäten. Er ist der verlorene Sohn, der ins väterliche Haus zurückkehrt, nur um wieder weggehen zu können. Die Verneinung ist seine familiäre Form, die Welt zu akzeptieren." Musik Sprecherin Kroatien wird bis 1918 von der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie beherrscht, ist dann Teil des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen, wird 1941 von den Deutschen besetzt, die das faschistische Ustascha-Regime unter Ante Pavelic einsetzen, und gehört ab 1945 zur Föderativen, später Sozialistischen Volksrepublik Jugoslawien. In all diesen Staaten ist das Beharren auf einer individuellen Wahrheit unmittelbar politisch, es produziert Dissidenten. Krlezas Werke handeln von diesem Widerspruch zwischen Kunst und Politik - und seine Figuren, allesamt Einzelgänger, bezahlen ihr "Nein!" mit dem Leben, der Freiheit oder ihrem Verstand. Sprecher Miroslav Krleza aber gelingt, nachdem er den Faschismus ausgerechnet unter den Faschisten überlebt hat, der Aufstieg: 1950 wird er Direktor des Lexikographischen Instituts am Strossmayer-Platz. Sein Umzug in die ehemalige Bankiersvilla Rein 1952, dem heutigen Krleza-Museum, dokumentiert den Aufstieg in die Machtelite Jugoslawiens. Bankier Rein war Jude, er brachte sich beim Einmarsch der Deutschen um. Seine Tochter und seine Frau überlebten, sie vermieteten das erste Stockwerk an das Ehepaar Krleza. O-Ton "U ovu prekrasnu vilu na Krlezinom Gvozdu broj ...? Overvoice Frau "In diese wunderschöne Villa in der Straße Gvozd Nr. 23 zogen Miroslav und Bela Krleza im Jahre 1952. Das Viertel ist ruhig, es hat ihnen sicherlich gefallen. Anfangs war Krleza allerdings dagegen. Die Eheleute waren immerhin über 60 Jahre alt. Aber er hat seine Meinung geändert.? Musik Sprecherin Miroslav, 1893 geboren als Sohn von Ivka und Miroslav Krleza, einem Oberschutzmann, gegen dessen Ordnungsvorstellungen der Sohn ständig aufbegehrt, wächst in Zagreb auf. Seine Großmutter lebt mit im Haushalt und beeindruckt das Kind mit ihrem Witz, ihren Geschichten und ihrer Sprache, dem Kajkavischen. Die Familie spricht Neustokavisch, vermischt mit deutschen Einsprengseln: das so genannte Agramer Deutsch. Das Stokawische ist die Grundlage des Kroatischen, Serbischen und Bosnischen und verdrängte im 19. Jahrhundert das in Binnenkroatien und Zagreb gesprochene Kajkavisch. Sprecher Der Zagreber Schriftsteller Boris Peric kennt die Sprache noch, die mit den Österreichern und Ungarn verschwand: O-Ton "Diese Sprache wird nicht gesprochen, das war ein Dialekt, der bestand zu 99 Prozent aus kroatischem Wortschatz, nein: aus deutschem Wortschatz und kroatischer Grammatik. Also, der Paradesatz war: ... (Kroatischer Satz.) Es gibt da nur ein kleines kroatisches Wort: fe, im. (Kroatischer Satz.) 'Die Bedienerin klopft Teppiche im Lichthof.''" Sprecherin Die Werke Krlezas stecken voller unterschiedlicher Tonlagen, Dialekte, Sprachschichten, sogar Sprachen. Die Übersetzungen ins Deutsche vermerken hilflos mit einem Sternchen, diese oder jene Wendung sei im Original deutsch, der Rest fällt unter den Tisch. Am weitesten treibt Krleza diese Polyphonie 1936 in "Die Balladen des Petrica Kerempuh". Die Balladen über den Leidensweg des an Till Eulenspiegel erinnernden Schalks sind in einem stilisierten barocken Kajkawisch verfasst, mit dem sich Krleza vor seiner Großmutter verbeugt. Das Buch gilt als Nationalepos Kroatiens. Sprecher Wie schon frühere Ausgaben wird auch die Neuausgabe im Verlag Novi Liber von Slavko Goldstein und seinen Kindern einen Anhang enthalten, damit Kroaten ihr Nationalepos überhaupt verstehen können. O-Ton "Wir werden im Anhang des Buches 40, 50 Seiten haben, die als Wörterbuch von den weniger bekannten Termini. Leute in Zagorje verstehen es noch immer, da hinter den Bergen auf der anderen Seite, die sprechen jetzt ein neokajkawisches Dialekt. Aber die verstehen die meisten Worte. Seine Großmutter war von dort, Krlezas." Sprecherin Der Junge lauscht der Großmutter und spielt in den Gassen der Stadtteile Kaptol und Oberstadt. Im Kaptoler Dom, der über der Stadt, gegenüber der Oberstadt thront, ist er Ministrant. Zitator "Ich war also ein Illusionist, aber doch intelligent genug, um zu wissen, dass ich Schall und Rauch in Gestalt heiliger Worte verkaufte." Sprecherin Den reinen Glauben besitzt schon der Ministrant nicht mehr, glaubt man den in den 1940er Jahren verfassten Erinnerungen an die "Kindheit in Agram", wie Zagreb zu Zeiten der österreichisch-ungarischen Besatzung hieß. Während des Ritus begehrt der Ministrant Miroslav den Leib der angebeteten Isabella. Zitator "Ich war ein Scharlatan und Betrüger, ein Experte und Routinier, dem es nicht um den Symbolgehalt des Mysteriums ging, sondern um Isabella, und, verglichen mit diesem Sakrileg, war Simonie eine lässliche Sünde. Ich war eine Art Zauberkünstler, der geschickt mit den heiligen Büchern jonglierte und sich in die Todsünde mit der Leichtfertigkeit eines Fischotters gleiten ließ, der im Mondschein seiner Beute nachjagt. Ich war eine Art Idiot, den die profane fixe Idee vom gebenedeiten Leib Isabellas bedrängte und verfolgte, und das akkurat in den Augenblicken, da vom Leib der Jungfrau gesungen wurde, ich war ein Judas, weh mir, und ich wäre besser nie geboren worden: si natus non fuissem homo ille ..." O-Ton "Ovdje jos naravno mozemo vidjeti Krlezu ...? Overvoice Frau "Hier ist Krleza auch zu sehen, hier auf dem Foto, das auf diesem schönen Tisch steht. Das Foto zeigt ihn als Schüler. Der junge Mann in der ersten Reihe, das ist Miroslav Krleza.? Sprecher Der Junge sieht aufgeweckt und neugierig aus, nicht so melancholisch-massig wie der Erwachsene auf sämtlichen Fotografien und bildlichen Darstellungen. Sie sind zahlreich, weil Krleza mit vielen bildenden Künstlern befreundet war. Sprecherin Nach vier Gymnasialjahren in Zagreb wechselt Krzleza in die Kadettenanstalt im südungarischen Pécs, 1911 auf die Budapester Militärakademie Ludoviceum. Einen Abschluss erlangt er nicht. Der künftige Stabsoffizier träumt nämlich nicht nur von der Selbständigkeit Kroatiens innerhalb einer südslawischen Konföderation, er will auch für das Ende des "Vielvölkergefängnis" Österreich-Ungarn kämpfen. Zweimal reist er heimlich nach Serbien, um sich den Aufständischen anzuschließen, die seit 1912 in den Balkankriegen gegen die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie antreten. Doch man weist ihn zurück aus Furcht, er könnte ein Spion sein. In Budapest werfen die Ungarn den verhinderten Freiheitskämpfer aus der Militärakademie. Erst im zweiten Kriegsjahr 1915 zieht ihn das Imperium ein. Krleza wird jedoch wegen einer Tbc nur kurz an die Front in Galizien geschickt, danach lebt er in der Etappe in Budapest und Zagreb. Im Kriegstagebuch "Längst vergangene Tage" begreift Krleza seine Lage 1915 als existenzielle Prüfung: Zitator "Was muss geschehen, damit Du Mensch wirst? Auf welche Weise sollst Du leben, um dein Gesicht zu wahren und saubere Hände zu behalten? Da man dir von allen Seiten droht als Kanonenfutter." Sprecherin Krleza sucht nach Antworten und reift als Autor heran. Er liest Nietzsche, Schopenhauer, Baudelaire, Strindberg, Wagner, Dostojewski, Tolstoj, oft im Original. Er veröffentlicht Reportagen über die Lage der Armen, Essays, Gedichte und lyrische Dramen, die "Legenden". Sie stellen große Gestalten der Weltgeschichte dar - Jesus, Kolumbus, Michelangelo -, in dramatisch zugespitzten Situationen. Krleza spielt Haltungen und Entscheidungssituationen durch. O-Ton "Ach, mein lieber junger Freund, über meine Kriegslyrik, das heißt über meine Gedichte, die ich damals im Kriege geschrieben habe, könnte ich heute eigentlich nur resigniert sprechen.? Sprecher ... antwortet Krleza 1968, mit 75 Jahren, in perfektem Deutsch auf die Frage nach seiner Kriegslyrik. O-Ton "Meine so genannte Kriegslyrik hat keinen tendenziösen politischen Sinn. Ich verstehe nämlich die Tendenz im Rahmen einer Jesuitenästhetik nach der für die Poesie auch heute noch die gleichen Regeln gelten wie für ihre ältere Cousine Theologie. Das heißt: entweder dient sie Gott, entweder fegt sie Kirchen aus und wischt den Staub von den alten Glaubensbüchern, oder sie wird von der Tagesordnung abgesetzt. Meine, diese meine Kriegslyrik ist geschrieben im Schatten - Sie werden sich wundern - der Schopenhauerischen Erkenntnistheorie. Weit entfernt davon, Ikonen nach dem Thema der sogenannten sozialen Frage zu malen und zu vergolden, verfallen meine, diese meine Verse oder verfällt diese meine Poesie jede zweite Strophe in Stirnerische Widersprüche. Stirner und Nietzsche nämlich waren von Anfang an, ich sage vom Anfang meiner Poesie an, meine schwache Seite.? Sprecherin Krlezas Werke beklagen die Opfer, sie treten auf humanistische Weise ein für den Menschen. In dem Erzählband "Der kroatische Gott Mars", entstanden im Ersten Weltkrieg und unmittelbar danach, schildert Krleza realistisch und detailgenau, wie seine Landsleute als Schlachtvieh auf dem Altar der so genannten höheren, de facto österreichisch- ungarischen Interessen geopfert werden. Krleza wird nun "der kroatische Remarque" genannt. Musik Sprecher Miroslav Krleza rückt im Krieg nach links und agitiert bald für die Kommunistische Partei. Dass er auch in ästhetischer Hinsicht ein Marxist ist, bezweifelt der schwarz gekleidete Komparatistikprofessor Zoran Kravar in einem seiner letzten Interviews. Kravars Büro in der Philologischen Fakultät liegt im Süden der Stadt, zwischen großen Wohn- und Verwaltungsbauten, nicht weit entfernt vom Fluss Save. O-Ton "Ich glaube, dass seine Nähe zum Kommunismus nicht so stark sein Werk geprägt hat. Krleza hat in den späten 20er und 30er Jahren so etwas wie eine Evolution erlebt. Er hat angefangen als Expressionist, und in den 20er und 30er Jahren, in ,Filip Latinovicz' und in diesen reifen Dramen über die Familie Glembay, kehrt er zum Realismus zurück oder zur spätbürgerlichen Literatur. Es ist sehr typisch, dass er in dieser Zeit über Rilke schreibt, über Proust, über Matos - Matos ist ein Exponent des kroatischen Ästhetizismus -, über Stefan George usw., also über diese spätbürgerliche Literatur, über eine Literatur, die wir mit dem Begriff des Ästhetizismus umfassen können. Das kommt zum Ausdruck auch in der Konzeption seiner Romangestalten, etwa Filip Latinovicz ist - natürlich nicht zufällig - dass er ein Maler ist und ein Künstler, (lacht) kein Politiker. (lacht)" Sprecherin Filip Latinovicz ist die Hauptfigur eines der drei Romane, die Krleza in den außerordentlich bewegten und für ihn gefährlichen 1930er Jahren vorlegt. In den 1920er Jahren hat er durch Zeitschriftengründungen, viele Artikel, Erzählungen und erste Theaterstücke stürmische Erfolge gefeiert. Als Krlezas große Romane und die Glembay-Dramen erscheinen, ist er der führende Autor Kroatiens, auch für politische Gegner wie jenen Lehrer, den der Ungar François Fejtö Anfang der dreißiger Jahre in Zagreb trifft. Sprecher Fejtö schildert das Gespräch auf recht komische Weise. "Ich fragte ihn?, schreibt der Ungar, "wer ihr größter Romanautor sei. Seinen komplizierten Namen schrieb ich mir auf: Miroslav Krleza. Wer ihr größter Dramatiker sei? Er zögerte, dann antwortete er: Miroslav Krleza. Wer ihr größter Essayist sei, ihr größter Lyriker? Womöglich auch Miroslav Krleza? ,Ja, wenn man es sich genau überlegt, wieder Miroslav Krleza. Leider', fügte der Herr Lehrer melancholisch hinzu. ,Warum leider?', fragte ich. ,Leider - weil Krleza ein unmöglicher Mensch ist, ein Marxist.' (Francois Fejtö, Reise nach gestern, S. 88) Sprecherin Für die Rechten mag Krleza ein Marxist sein. Doch in den Romanen und den Dramen aus den 1930er Jahren erhebt sich nicht das Proletariat oder seine Vertreter. Einzelne revoltieren in ihnen gegen die bürgerliche Gesellschaft., gegen den mit ihr verbundenen Zerfall der Wirklichkeit. Sie kämpfen wie Filip Latinovicz, der nach 23 Jahren aus Paris in die Heimatstadt zur Mutter zurückkehrt, gegen den Verlust der Unmittelbarkeit: um den Sinn ihres Lebens. Musik (unterlegen) Zitator "In diesen müden, schläfrigen Bildern, die Filips Kopf wie giftige Mücken umschwirrten, befiel ihn Angst vor der Idee, die ihm bald klarer erschien, bald trüber, und so erging es ihm nun schon zwei Jahre lang. Es handelte sich um die Idee von der Infernalisierung der Wirklichkeit. Die Idee, zweifellos höllisch und ungesund, besagte vor allem, dass die Erscheinungen im Leben keinerlei inneren Zusammenhang hatten, dass sie weder logisch noch vernünftig waren, dass sie nebeneinanderherliefen und sich abwickelten wie ein höllischer Simultanismus in einer Vision von Hieronymus Bosch oder Brueghel: eins im anderen, eins neben dem anderen, eins über dem anderen, im Wirrwarr, im Delirium, in einer Ruhelosigkeit, die von Anfang an bestand.? Sprecherin Filip Latinovicz, der in Paris Erfolge als Maler feierte, hat die Schaffenskraft verloren. Sein Ich zerfällt. Erinnerungen an Kindheit und Jugend, an Vereinsamung, Ekel und Sinnleere gleiten ineinander. In einer Kleinstadt auf dem schlammigen Land, in die sich die Mutter und ihre Freunde zurückgezogen haben, lernt er die irrationale, ursprünglich-sinnliche Bobocka und den kalt-intellektuellen Kyriales kennen. Die Frau verwirrt Filips Sinne gründlich, Kyriales zersetzt seine Vorstellungen von Kunst und Sinn grausam, die Mutter und ihre Freunde wirken auf ihn wie höhnische Karikaturen der bürgerlichen Gesellschaft. Der Roman endet in einem Blutbad, Filip steht vor dem Scherbenhaufen seiner Existenz. Die Wirklichkeit bleibt disparat, infernalisch, die kindliche Unmittelbarkeit verloren. Die Kunst kann die existenzielle Entfremdung nicht aufheben. Sprecher Krleza spitzt die individuelle Entscheidung so zu, wie es später Jean-Paul Sartre tun wird. Der Schriftsteller Bora Cosic erinnert sich, dass Krleza in Zagreb mit dem französischen Existenzphilosophen spricht und beansprucht, in "Die Rückkehr des Filip Latinovicz" als erster vom Lebensekel gesprochen zu haben: O-Ton "I to je Krleza rekao Sartreu u lice ...? Overvoice Mann "Krleza hat Sartre in Zagreb ins Gesicht gesagt, dem sehr strengen Sartre: 'Ich habe es vor dir geschrieben', und Sartre gestand es ihm zu.? Sprecherin Miroslav Krleza versenkt die traditionelle Ästhetik des Schönen im Schlamm der kroatischen Provinz. Er gibt dem Individuum keine Chance mehr, verfolgt aber mitfühlend sein hoffnungsloses Aufbegehren. So erzählt der Roman "Ohne mich" vom Kampf eines namenlosen Rechtsanwalts gegen seinen Arbeitgeber, einem Nachttopffabrikanten, der sich stolz des Mordes an vier Bauern rühmt; so kämpft Leo Glembay im Drama "Die Glembays" gegen die Machenschaften der eigenen Familie; so schildert der Roman "Bankett in Blitwien" den Widerstand gegen einen mordenden Diktator. Alle Helden Krlezas argumentieren nicht mit Moral. Mit Moral hantieren ihre Gegner. Krlezas Helden begehren auf gegen den Widerspruch zwischen moralischem Anspruch und mörderischer Praxis. Sie, die auffällig oft Künstler sind, berufen sich auf die Menschlichkeit. Musik Sprecher Interviews lehnt Krleza ab. Erst in den letzten Lebensjahren lässt er sich auf Gespräche ein, von denen einige veröffentlicht und berühmt werden. Ab 1968 trifft er sich mit dem Publizisten Predrag Matvejevic und beschreibt die Funktion der Kunst auf recht unmarxistische Weise: O-Ton "In einem meiner Romane, 'Bankett in Blitauen', beendet einer der so genannten Linksliberalen seine politische Karriere in völliger Resignation. Und er schließt seine tragische Anabasis mit der Frage: Was bleibt dann noch übrig? Eine Schachtel von Drucklettern, und das ist nicht viel. Aber es ist das einzige, was der Mensch bis heute als Waffe zur Verteidigung seiner Menschenwürde erfunden hat.? Sprecher Kunst als Waffe zur Verteidigung der eigenen Würde und Kunst als, wie der existenzialistische Krleza auch sagt, "Bollwerk gegen den Lebensekel? - beides verträgt sich nicht mit den strikten Vorgaben, die Stalins Genossen in den 1930er Jahren der Kunst im Kampf gegen den Faschismus machen. Der Künstler Krleza gerät in Konflikt mit der eigenen Partei. O-Ton "Wenn ich mich recht erinnere, war es im Jahre 33 oder 34 zur Zeit des 1. Russischen Schriftstellerkongresses in Charkow. Damals schrieb ich ein Vorwort für den bekannten sozialtendenziösen Maler Krsto Hegedusic, in dem ich mich gegen die Schematisierung und Schablonisierung des künstlerischen Schaffens wandte." O-Ton "Aber in den letzten 30er Jahren, es hat begonnen bereits schon im 34., war er enttäuscht mit der Entwicklung in Stalins Russland. Erst hat es begonnen mit Fragen der Ästhetik, der Theorie der Literatur und der Kunst. Er war sehr unzufrieden mit der Benützung der Kunst für propagandistische Zwecke." Sprecher Der Verleger Slavko Goldstein ist ein kleiner Mann, hellwach trotz seiner mehr als 80 Jahre. Er hat manches von und über Krleza verlegt und kommt durch Predrag Matvejevic , einen der späten Gesprächspartner Krlezas, in Kontakt mit dem lebenden Klassiker. Sprecherin KP-Mitglied Krleza äußert sich unmissverständlich ablehnend über Stalins ästhetische Dogmen und lässt in den Zeitschriften, die er herausgibt, Gleichgesinnte zu Wort kommen. Obwohl Jozip Broz Tito, Generalsekretär der jugoslawischen KP, zweimal stundenlang mit dem einflussreichen Genossen und Schriftsteller hinter verschlossenen Türen diskutiert, steckt er nicht zurück. Die Nachrichten über die stalinistischen Säuberungen bestärken Krleza vielmehr im Widerstand gegen die Doktrin des sozialistischen Realismus. O-Ton "Aber eigentlich ist die Konfrontation schärfer geworden, als die Prozesse, stalinistische, begannen, als die Tschiskas - wie sagt man deutsch? - Säuberungen dort in Russland begannen. Aber besonders im Jahre 36, als man seine Freunde - Krleza hatte - das hat er mir persönlich erzählt - nur drei Freunde aus der Jugend, die er - sagen wir - als intime Freunde betrachtete - zwei von denen waren getötet in den Stalins Säuberungen." Sprecherin Die Kontroverse in der Linken über die Rolle der Kunst im Kampf gegen Nationalsozialismus und Faschismus, in Deutschland als "Expressionismusdebatte" bekannt, ist nicht nur eine Debatte. Stalins Gefolgsleute besitzen wenig Neigung, zwischen Andersdenkenden und Verrätern zu unterscheiden. Freund oder Feind, lautet die Parole, und der Feind ist Faschist. Mutmaßliche Verräter werden nicht nur in der Sowjetunion liquidiert. Dass Krleza und andere Ende der dreißiger Jahre aus der KP ausgeschlossen werden, ist lebensgefährlich. Sprecher "Ohne mich", Krlezas Roman über den aufbegehrenden Rechtsanwalt, dessen Existenz zerstört wird, liest man vor dem Hintergrund dieser heftigen Auseinandersetzungen anders. Musik Sprecherin 1941 endet die erbittert geführte Kontroverse unvermittelt. Die Deutschen marschieren in Jugoslawien ein. Mit ihrer Unterstützung regiert in Kroatien Ante Pavelic und seine Ustascha. Nicht nur die Kommunisten und ihr Führer Tito, auch Bürgerliche gehen "in den Wald", in den Untergrund, und bekämpfen die kroatischen Faschisten sowie die Deutschen. Krleza schließt sich den Partisanen nicht an. Bora Cosic: O-Ton "Titov sukob s Krlezom je jedan sukob na visokom nivou.? Overvoice Mann "Tito und Krleza stritten auf hohem Niveau, ideologisch und auch sonst. Krleza wäre nie von Tito mit einer Pistole bedroht worden. Aber Titos Mitarbeiter bedienten sich sehr wohl solcher Gewaltmittel. Krleza hatte große Angst, dass sie ihn liquidieren würden. Deswegen wollte er nicht zu den Partisanen. (...) Zagreb schien ihm weniger gefährlich zu sein, trotz Pavelic und der Ustascha. Sprecher Krleza hat Angst, und er hat, darauf weist Verleger Slavko Goldstein hin, eine serbische Ehefrau, der das KZ droht. O-Ton "Wohin, mit einer Frau, serbisch. Wohin? Die Frau konnte er nicht lassen. Er weiß, wenn er weggeht, wird die Frau nach Jasenovac kommen, und er hat sie ins Tod geschickt. Mit der Frau konnte er nirgends gehen.? Sprecherin Drei Mal wird Krleza verhaftet und kommt wieder frei. Der Besitz seiner Schriften ist verboten. Der Autor, langjähriges Mitglied der KP, lebt zurückgezogen in der Hauptstadt des faschistischen "Unabhängigen Kroatien". Er ist mit einigen hochrangigen Ustaschas gut bekannt, mit dem Staatssekretär im Innenministerium, Ðuro Vranesic, verbindet ihn eine Freundschaft. Als sich nach der Kapitulation Italiens 1943 die Lage der mit den Deutschen verbündeten Mächte verschlechtert, wirbt Staatspräsident Ante Pavelic um ihn. O-Ton "Er war bei Pavelic eingeladen. Pavelic hat ihm Vorschläge gegeben, er soll sein der Intendant des Theaters oder Mitglied der Akademie oder ich weiß nicht was. Er wollte nicht. Er hat nichts veröffentlicht. War zurückgezogen. Hat Teppiche verkauft, damit er leben kann. Hat sich diese vier Jahre zurückgezogen. Aber seine Frau, obwohl sie Serbin ist, war weiter Schauspielerin im Theater." Sprecherin In der Inneren Emigration entstehen zwei Erinnerungsbücher: "Kindheit in Agram" und "Längst vergangene Tage" nach Aufzeichnungen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Wenn es zu gefährlich wird, zieht sich Krleza in das Sanatorium Zelengaj zurück, das dem Freund und Ustascha-Staatssekretär Ðuro Vranesic gehört. O-Ton "Aber da war er ja nicht versteckt. Alle wussten, dass er dorten ist. Die Polizei! Vranesic konnte niemanden halten in seinem Sanatorium, ohne ihn anzumelden der Polizei." Musik Sprecher Slavko Goldstein erinnert sich, dass Krleza nach dem Krieg für das Leben des Mannes kämpft, dem er das seine verdankt. O-Ton "Wenn der Vranesic nicht ein Freund von Krleza wäre und nichts mit Krleza hatte, hätte man ihn gleich getötet. Kein Minister der Ustascha-Regierung rettete sein Leben nach dem Krieg." Sprecherin Doch Krleza kann sich nicht durchsetzen, Ðuro Vranesic wird von den regierenden Genossen nach mehreren Anläufen zum Tode verurteilt. Sprecher Er selbst ist sich seines Lebens auch nicht sicher, weiß Predrag Matvejevic. O-Ton "Reci cu jedan primjer pa cu vam ispricati.? Overvoice Mann "Ich erzähle ihnen ein Beispiel: Im Mai 1945 wurde Zagreb befreit. Vor Krlezas Haustür steht ein Partisan Wache. Warum? Krleza hat Angst, er wurde ja aus der Partei ausgeschlossen. Aber Tito hatte die Wache angeordnet, damit ihn kein Partisan ermordet.? O-Ton (unterlegen aus Film über Goli Otok) "Tita, Tita, Tita!? O-Ton "Nach dem Krieg kam es zu einer - sagen wir - stillschweigenden Versöhnung. Besonders nach dem Bruch Jugoslawiens mit Informbüro im Jahre 48. Krleza als ein Mann, der kein Vertrauen zu Stalin und Stalinismus hatte, war auf einmal aufgenommen, von Tito persönlich." Sprecherin 1948 schließt die von Stalin kontrollierte Kominform, das Informationsbüro der Kommunistischen und Arbeiterparteien, Jugoslawien aus und ruft zum Sturz des "Titoismus" auf. Tito hatte den Zorn Stalins erregt, weil er auf der Gleichberechtigung aller Mitglieder beharrte. Sprecher Krleza steht mit einem Mal auf der richtigen Seite, ohne sich bewegt zu haben. Seine Haltung zum Sozialistischen Realismus in den 1930er Jahren wird um 1950 Jugoslawiens offizielle Politik. Krleza betont diese Kontinuität: O-Ton "Dann, später im Jahre 52, auf dem Jugoslawischen Schriftstellerkongress in Ljubljana, wandte ich mich erneut gegen die Simplifizierung des künstlerischen Schaffensprozesses, wie er vom Sozialistischen Realismus propagiert wurde. (...) Denn, ich zitiere: Schreiben heißt weder Beschreiben noch Abschreiben. (...) In dem heutigen Wirbel von Leidenschaften und Temperamenten, in dieser entfesselten und geradezu wahnwitzigen Dynamik ist die Kunst nicht für die Kaninchen und ein stilles Leben mit gekochten Eiern und Fischen und Feigen geschaffen. Die Kunst ist heute zerrissen, in Ruinen ganzer Zivilisationen, die vor unseren Augen von der Szene abtreten." Sprecherin Nach dem Krieg muss sich Krleza erst bewähren. Er wird Herausgeber der wichtigen literarischen Zeitschrift "Knizevna Republika" und reist 1949 als Ausstellungskurator nach Paris. Sprecher Zwei Gegenstände aus der französischen Hauptstadt begleiten Krleza 1952 in die Villa Rein. O-Ton "Ovaj mali radio i ovu kartu si je pedesetih kupio u Parizu ...? Overvoice Frau "Diese kleine Radioanlage und diese Karte kaufte er sich in Paris. Er kam nämlich damals auf die Idee, den jungen Staat, das damals noch föderative Jugoslawien, als Kulturstaat zu präsentieren, und wo kann man das besser tun als in Paris, dem Kulturzentrum Europas. Daher können sie in seiner Wohnung neben anderen Kleinigkeiten, die er dort kaufte, auch die Reproduktion dieser Freske aus dem Kloster Sopocani sehen. Die Ausstellung zeigte nämlich die mittelalterliche Kunst der Völker Jugoslawiens.? Sprecher Die moderne Radiotruhe und die mittelalterliche Freske aus dem Kloster Sopocani stehen in Krlezas Arbeitszimmer, dessen Wände dunkle, halbhohe Bücherregale säumen. Es liegt im Zentrum der Wohnung. Die Zimmer gehen ineinander über: Auf einen Empfangsraum folgt Belas Salon, von dem ihr Schlafzimmer abgeht. Dann folgen Miroslavs Arbeits- und sein Schlafzimmer. O-Ton "A ovo je Krlezin radni stol ...? Overvoice Frau "Das hier ist Krlezas Arbeitstisch, für ihn in den 1930er Jahren angefertigt. Er ist ziemlich groß und massiv, ein großer Tisch für einen großen Schriftsteller. Immer wenn Bela und er umzogen, nahm er ihn mit. In Belas Zimmer mit den alten Möbeln herrscht eine theatralische Atmosphäre. Krleza mochte dagegen moderne, einfache Möbel, sein Zimmer ist einfacher eingerichtet als das von Bela.? Sprecher Miroslav Krleza besitzt ab 1950, nach der Rückkehr aus Paris, ein zweites Arbeitszimmer. Ein Türschild im ersten Stock des Lexikographischen Instituts am repräsentativen Marschall-Tito-Platz, schräg gegenüber vom Nationaltheater und nur 15 Gehminuten entfernt von der Villa Rein, verheißt: "Miroslav Krleza, Gründer". Sprecherin Das Türschild ist eine kuriose Ehrung. Krleza hat nie am Marschall-Tito-Platz gearbeitet. Das Lexikographische Institut befand sich zu seiner Zeit am Strossmayer-Platz. O-Ton "Ja zapravo ne znam jer sam bio proteklih ...? Overvoice Mann "Um ehrlich zu sein - ich weiß nicht, was da unten in diesem Zimmer ist. Im letzten Jahr hatte ich Streit mit dem damaligen Direktor, er hatte sich das Zimmer angeeignet, ich konnte nicht hineingehen. Es ist ja nicht das ursprüngliche Zimmer, wir sind erst seit 1990 in diesem Gebäude. Aber dieses Regal hier stammt aus seinem Vorzimmer." Sprecher Auch ein barocker Sekretär und ein schon etwas abgetretener Teppich von Krleza schmücken das geräumige, mit Büchern angefüllte Zimmer von Velimir Viskovic im Lexikographischen Institut. Viskovic, ein großer, freundlicher Mann Anfang 60, ist hier Redakteur, zudem Herausgeber von Zeitschriften und Büchern, Literaturkritiker und Essayist. Er ist auch Herausgeber des dreibändigen Lexikons zu Krleza, den "Krleziana", und legt mehrmals im Gespräch stolz seine linke Pranke auf die großformatigen Bände. O-Ton "Radili smo ukupno cetrnaest godina na ovoj enciklopediji...? Overvoice Mann "Wir haben 14 Jahren an dieser Enzyklopädie gearbeitet. Sie hat drei Bände, und wir verzeichnen jedes einzelne Werk Krlezas.? Sprecherin Es ist nicht ohne Ironie, dass Krleza nach seinem Tod Gegenstand eines Lexikons wird - der Mann, der die politischen Ämter, die ihm nach der Bewährungszeit angeboten werden, ablehnt, weil er ein Lexikographisches Institut in Zagreb gründen und Enzyklopädien und Lexika herausgeben will. 1950 ist er am Ziel. Die angesehene Institution trägt heute den Namen seines ersten, sehr produktiven Direktors: "Lexikographisches Institut Miroslav Krleza?. O-Ton "U osam svezaka koja je trebala donijeti ...? Overvoice Mann "Er hat acht Bände der 'Jugoslawischen Enzyklopädie' veröffentlicht über alle möglichen Aspekte Jugoslawiens. Er wollte weitere 15 Enzkylopädien herausgeben, aus allen Bereichen des menschlichen Wissens, eine allgemeine Enzyklopädie, eine nautische, eine medizinische, eine technische, eine Forst- und Agrarenzyklopädie, eine musische,eine Theaterenzyklopädie. Etwa 200 Bände verschiedener Enzyklopädien sind erschienen." Sprecher Krleza stellt dem Brockhaus, dem Larousse, der Encyclopedia Britannica ein jugoslawisches Pendant zur Seite. Aus politischen Gründen, glaubt Komparatistikprofessor Zoran Kravar. O-Ton "Er glaubte, dass die südslawischen Kulturen irgendwie hintergeblieben seien und das man das durch eine solche Enzyklopädie nachholen kann. Er glaubte, mit dieser 'Jugoslawenska Enzyklopaedia' so etwas wie ein Selbstverständnis für die Südslawen zu schaffen, eine kulturelle Identität zu kreieren.? Sprecher Studiert hat der Gründer und Direktor des Lexikographischen Instituts nicht, nicht einmal einen höheren Schulabschluss besitzt er. Doch Krleza liest alle Beiträge und verfasst manche in seinem unverkennbaren Stil selbst. Kein Tag ohne eine Zeile, so heißt es einmal in den Manuskripten des Nachlasses, erinnert sich Velimir Vikosvic, der Herausgeber der "Krleziana". Doch an einen Roman setzt sich Krleza erst nach Jahren wieder. O-Ton "Poceo je pocetkom sezdesetih...? Overvoice Mann "Anfang der 60er Jahre fing er wieder an, fiktive Werke zu schreiben: mit den ,Flaggen', die zuerst in der von ihm gegründeten Zeitschrift ,Forum' veröffentlicht wurden, als Feuilletonroman. Der Roman erschien in vier Bänden, dann hat er einen fünften geschrieben, und manche Freunde sagen, er habe noch einen sechsten und siebenten geplant." Sprecherin Mit dem breit angelegten historischen Roman "Flaggen" kehrt Krleza zum Krieg, zur österreichisch-ungarischen Herrschaft und dem ihr nachfolgenden Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen zurück; das sozialistische Jugoslawien wird nicht Teil seiner Romanwelt. Manchen Kritikern erscheint "Flaggen" verplaudert, dazu arg didaktisch. Auch der dritte Band des Romans "Bankett in Blitwien", der 1962 erscheint, zeigt Krlezas enorme Eloquenz. Vermutlich wagt niemand, den Großschriftsteller zu lektorieren. Er ist längst kanonisiert. Sprecher Krlezas Figuren beharren auf ihrer individuellen Wahrheit, auch wenn sie sie in den Tod oder das Irrenhaus führt. Doch der Autor ist ein Teil der sozialistischen Macht, nicht mehr der Dissident, der ein Schriftsteller seiner Meinung nach sein muss. Kroatistikprofessor Kresimir Nemec bedauert das. O-Ton "Nazalost to se dogodilo jednom covjeku...? Overvoice Mann "Leider ist das einem Mann geschehen, der immer Opposition sein wollte. Aber im Sozialismus, in Jugoslawien unter Tito übte er keine Kritik mehr an der Gesellschaft. Er war sehr zufrieden mit seiner bequemen und angenehmen Position am Lexikographischen Institut. Er hatte ein ansehnliches Haus, eine Limousine vor der Haustür. Vor dem Zweiten Weltkrieg übte er ständig Kritik am Regime, denn er war der Auffassung, Künstler müssten das Gewissen der Gesellschaft sein. Im Sozialismus und unter Tito waren seine Ideale jedoch verwirklicht. Er hat sich nie kritisch über irgendetwas in der jugoslawischen Gesellschaft geäußert. Auch nicht über Goli Otok, über politische Gegner oder über Tito, das kam nicht in Frage. Er verhielt sich auch während des Kroatischen Frühlings Anfang der 1970er Jahre reserviert. Krleza war eine führende Persönlichkeit, und die Leute erwarteten, dass er sich äußert. Krlezas Stimme wäre sehr wichtig gewesen. Aber sie erklang nicht." Sprecher Auch die Massenexekutionen nach 1945 hat Krleza nie kritisiert, da hat Nemec Recht. Doch es gibt einige Konflikte mit Tito, denn Krleza tut, auch wenn er sich öffentlich nicht äußert, nicht nichts. Zum Beispiel sucht er, der Interviews immer abgelehnt hat, weil sich zwar Politiker, nicht aber Schriftsteller erklären müssten, im Alter das Gespräch mit Jüngeren. Manche Unterhaltungen werden aufgezeichnet, autorisiert und veröffentlicht. Der wohl berühmteste seiner Gesprächspartner ist Predrag Matvejevic, ein Literaturwissenschaftler und Antistalinist, der Jugoslawien 1993 aus Protest gegen den Krieg verließ. Matvejevic lehrte in Rom und kehrte erst 2009 zurück nach Zagreb. O-Ton "Ja sam napisao sezdeset osme jedan tekst u ...? Overvoice Mann "1968 habe ich einen Text in ,Le Monde' veröffentlicht, wo ich gelegentlicher Mitarbeiter war. Ich versuchte zu zeigen, wie untypisch Krlezas Stellung in der europäischen Linken war. Danach bat mich ,Le Monde' um Interviews mit ihm, und so haben unsere Gespräche begonnen." Sprecher Krleza nutzt die Gespräche als Form der Publizistik. Manche Unterhaltungen nimmt Predrag Matvejevic auf. Eine findet sich auf der CD, die der neuesten Auflage seines Standardwerks "Gespräche mit Krleza" beiliegt. Sprecherin Erstaunlicherweise ist es fast die einzige Aufnahme von Krleza. Sprecher Krleza engagiert sich, berichtet Predrag Matvejevic, um die Publikation von Danilo Kis' "Ein Grabmal für Boris Dawidowitsch" zu ermöglichen, einem Werk über die Revolution, die ihre Kinder in den Gulag schickt. Und dann gibt es einen gewaltigen Konflikt, in dem die freundschaftliche Beziehung zu Tito auf eine harte Probe gestellt wird: Krleza unterzeichnet 1967 als einer der ersten die "Deklaration über den Namen und die Stellung der kroatischen Sprache" -- ein Protest gegen die Dominanz des Serbischen vor allem in den föderationsweiten politischen Organisationen Jugoslawiens, der Armee und der Bundesverwaltung etwa. Erzürnt zitiert Tito Krleza nach Belgrad. O-Ton "Krleza je saslusao tu Titovu kritiku ...? Overvoice Mann "Krleza hörte sich Titos Kritik an und verhielt sich defaitistisch. Er schlug Tito vor, wenn er glaube, dass er das empfindliche Gleichgewicht der verschiedenen Nationen Jugoslawiens gestört habe, dann könne er ja Konsequenzen ziehen und aus der Kommunistischen Partei Jugoslawiens austreten. Das sei nicht möglich, sagte Tito, er sei zu wichtig für die KP. Er solle seine Unterschrift zurückziehen. Das würde bedeuten, sagte Krleza, seine Würde aufzugeben, und er fragte: Was soll dann meine Frau von mir denken? Er sei zu einem solchen Schritt nicht bereit. Dann haben sie sich geeinigt: Wenn es schon eine Strafe geben müsse, dann tritt Krleza aus dem ZK des Bundes der Kommunisten Kroatiens aus." Sprecher Krleza zieht sich aus der Politik zurück, während sich die Unterzeichner der Deklaration radikalisieren. Eine Massenbewegung entsteht, die Demokratisierung, wirtschaftliche und politische Reformen der Föderation sowie Souveränitätsgarantien fordert. In Anlehnung an den Prager Frühling 1968 spricht man 1970/71 vom Kroatischen Frühling. Wie jener wird auch dieser niedergeschlagen. Die Repressionen treffen Zehntausende. O-Ton "Krleza nije protestirao kada ...? Overvoice Mann "Krleza protestierte nicht öffentlich, als der Kroatische Frühling unterdrückt wurde, als die Verfolgungen begannen und die Anführer verhaftet wurden, insbesondere die Mitglieder der Studentenbewegung und die Leitung der Matica Hrvatska; die beteiligten Genossen wurden nur abgesetzt, nicht verhaftet. Aber er intervenierte bei Tito, wenn es um wichtige Politiker oder Prominente ging. So engagierte er sich für Franjo Tudman und bat Tito, ihn als Partisanengeneral rücksichtsvoll behandeln.? Sprecher Krleza schweigt, aber er handelt manchmal. Schon in den 1950er Jahren stellt er im Lexikographischen Institut politisch Missliebige ein. Ebenso verfährt Krleza Mitte der 1970er Jahre. O-Ton "Onda je recimo bio novi val uposljavanja ...? Overvoice Mann "Damals gab es eine Welle von Neueinstellungen all jener, die sich im Kroatischen Frühling engagiert hatten. Es herrschte ein sehr interessantes Klima am Institut, weil hier sehr wenige Genossen arbeiteten. Man kann sagen, es war ein pluralistisches Schaffensklima. Wir hatten viele für diese Zeit sehr ungewöhnliche Gespräche über politische Themen. Krleza sagte immer, das Institut sei ein refugium peccatorum, ein Zufluchtsort für Sünder." Musik (unterlegen) Sprecherin Diese erstaunliche, christlich anmutende Haltung lässt das Institut zum Asyl werden. Aus den Sündern von damals rekrutiert sich in den 1990er Jahren ein Gutteil der politischen Elite des neuen, souveränen Kroatien nach 1991. Viele wollen allerdings mit Miroslav Krleza, dem Linken, Leninisten, Titoisten, nichts zu tun haben. Sprecher Krleza hätte darin vermutlich eine späte Bestätigung seiner Überzeugungen gesehen. 1968 sagt er Predrag Matvejevic und klingt dabei wie ein unabhängiger bürgerlicher Intellektueller: Zitator "Es ist weder links noch rechts auf Dauer opportun, die Wahrheit zu sagen. Sie ruft auf beiden Seiten einen gleich hysterischen Widerstand hervor. Dieser Widerstand scheint der einzig zuverlässige Maßstab zur Beurteilung der Wahrheit selbst zu sein." Sprecher Trotz des Widerstands der Rechten erscheint 1993, zum 100. Geburtstag Krlezas, der erste Band der "Krleziana". Zu verdanken sei das, erzählt Velimir Viskovic, niemand anderem als Franjo Tudman, dem nationalistischen Premierminister Kroatiens. Tudman ist in den 1960er Jahren ein Mitarbeiter Krlezas am Lexikographischen Institut, und für ihn setzt sich Krleza nach dem Kroatischen Frühling bei Tito ein. Tudman revanchiert sich. Musik O-Ton "Ovo je Krlezina spavaca soba ...? Overvoice Frau "Hier ist Miroslav Krlezas Schlafzimmer, sein intimster Raum. Hier hat er geschlafen, Radio gehört, und auf diesem Nachtkästchen lagen immer sehr viele Zeitungen. Da er viele Sprachen beherrschte, war er vorwiegend auf ausländische Zeitungen abonniert. Alle Zeitungen hier zeugen von seinen letzten Tagen. Sie sind Mitte November 1981 erschienen. Kurz danach ging Krleza ins Krankenhaus und kam leider nie wieder zurück. Er ist am 29. Dezember 1981 gestorben.? Sprecher Vesna Vrabec steht vor dem breiten Bett Krlezas. Beim Erwachen blickte er auf eine Sammlung von Fotos seiner Frau an der Wand. Bela starb wenige Monate vor ihm. Sprecherin Jugoslawien setzt Krleza auf dem Friedhof Mirogoj bei, der monumentalen, noch von der Doppelmonarchie geschaffenen Nekropole oberhalb der Stadt. Das Grab liegt am zentralen Platz, den die Swimming-Pool-große Grabplatte Franjo Tudmans beherrscht. Krleza, der Kriegsverächter, dessen Denken, Schreiben und Tun vom Krieg beherrscht wurde, wird mit militärischen Ehren verabschiedet. Sprecher Erst zwanzig Jahre später richtet Zagreb das "Bela-und- Miroslav-Krleza-Museum" ein. Es öffnet lediglich einen Nachmittag in der Woche. Der Andrang ist nicht übermäßig groß. Seit einigen Jahren organisiert das Museum im Sommer Krleza-Festspiele mit Inszenierungen, Lesungen und Diskussionen - Anzeichen für eine allmähliche Renaissance des Autors in Kroatien und auf dem Balkan. Im Jahr des EU-Beitritts will Kurator Goran Matovic Krleza zu Europa befragen. O-Ton "Stanko Lasic koji je velik Krlezin ucenik...? Overvoice Mann "Stanko Lasic, der ein großer Schüler von Miroslav Krleza war, hat in einer Definition zusammengefasst, was Miroslav Krleza vielleicht in seinem ganzen Werk bewegte: 'Europa ist ein Monstrum, das Mozart spielt.'" Sprecherin Eine sehr typische Haltung von Krleza: die Vereinigung der Widersprüche. Es gibt ein noch schöneres, auch versöhnlicheres Schlusswort von diesem großen Skeptiker. Es stammt aus Krlezas Lesung aus dem Roman "Flaggen" auf der CD, die dem Buch seines Gesprächspartners Predrag Matvejevic beiliegt. Der Auszug ist durchsetzt mit deutschen Worten, und er endet unvermittelt mit einer Anleitung auf Deutsch. O-Ton Lesung auf Kroatisch aus "Zastave" (Flaggen). Unvermittelt deutsch: "dass man eigentlich über die letzten Dinge ein bisschen nachdenken sollte. (Zuschlagen des Buches)." Musik Länge: 53.40 1