COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Die Reportage, 28.11.2011 Der Klang der Blauen Berge - Unterwegs auf der Straße des Bluegrass Regie Atmo 1 Erzähler Tim Whites Haare sind grau meliert, sein Körper steckt - worin sonst - in Jeans, kariertem Hemd und Cowboy Stiefeln. So steht er vor einem Wandgemälde in der Innenstadt von Bristol, Tennessee. Oder sind wir schon wieder in Bristol, Virginia? Die Kleinstadt mit ihren 40.000 Einwohnern ist nämlich ein Unikum, die Grenze zwischen den beiden US-Staaten verläuft mitten hindurch. O-Ton 1 Tim White "In 1986 I painted this mural downtown, this 100 by 30 foot mural paying tribute to Bristol, the birthplace of Country Music, those sessions of 1927. And my mural depicts Ralph Peer who came here to record with the Victory company, the Carter Family, A.P. Sarah and Mother Maybelle, Pop and Hattie Stoneman and Jimmie Rodgers And the focal point of the mural is the Victor recording label with Nipper the dog, the little dog has a name, his name is Nipper, on the Victor recording label." Länge: 0:32min Sprecher 1 Voice Over Tim White "Dieses Wandbild ist von mir, ich habe es 1986 gemalt, als Verneigung vor Bristol, dem Geburtsort der Country-Musik. Links sehen Sie Ralph Peer, er kam 1927 im Auftrag der Plattenfirma Victor hier her, um die Musik der Berge aufzunehmen. Daneben die Carter Family, die Stonemans und Jimmie Rodgers. Und in der Mitte das Plattenlabel von Victor, mit dem kleinen Hund vor dem Grammophon. Er hat sogar einen Namen, er heißt Nipper." (Atmo 1 läuft weiter) Erzähler Tim White kneift die Augen zusammen und betrachtet sein Werk. Es nimmt den kompletten Giebel eines Hauses ein. Die Farben blättern ab, vor allem aus der Arbeitskleidung von Jimmie Rodgers, der Kappe und der Latzhose, wie sie damals typisch waren für Eisenbahner, ist das Blau gewichen. Na ja, sinniert Tim, man müsste mal nachbessern. Andererseits erinnert er sich noch gut, wie schwer er sich getan hat, das Wandgemälde überhaupt zu finanzieren. Ein Baumarkt hat die Farben gespendet, er selbst mangels weiterer Sponsoren ehrenamtlich gemalt. Regie Atmo 1 als Trenner kurz hoch ziehen. Erzähler Tim schlendert über die Hauptstraße, die hier State Street heißt. Sie ist von überschaubarer Länge und sieht aus, wie Hauptstraßen in amerikanischen Kleinstädten nun mal aussehen. Links und rechts rote Backsteinbauten, die meisten dreigeschossig. In den Ladenzeilen vorwiegend Ramschläden, ab und an ein Restaurant oder Café. Und ein altes Art-deco-Kino, das nun als Veranstaltungsort fungiert. Die State Street endet an einem Parkplatz. Bis vor ein paar Jahren stand hier ein Gebäude, erzählt Tim White, darin haben die Aufnahmen, die so genanten "Bristol Sessions" im Jahr 1927 stattgefunden. O-Ton 2 Tim White "The Bristol Sessions were a revolution in American music. Having Jimmie Rodgers, the Stonemans and the Carter Family record at the same place in this two-week period right here on Sate Street in Bristol would be the equivalent of having Chuck Berry, Elvis Presley and maybe another American icon for rock 'n' roll recording at the same place. These people became household names practically overnight after they did the recordings here, in a time where there were no cell phones or any telephones to speak of, internet. As a matter of fact radio was just beginning back then in a big way. And they set the precedent for the evolution of American Country Music." Länge: 0:48min Sprecher 1 Voice Over Tim White "Die Bristol Sessions waren eine Revolution in der Musik Amerikas. In jenen zwei Wochen haben Jimmie Rodgers, die Stonemans und die Carter Family da vorne auf der State Street ihre Songs aufgenommen - das ist, als ob Chuck Berry, Elvis Presley und ein anderer Rock 'n' Roll-Star zusammen ins Studio gegangen wären. Alle drei wurden praktisch über Nacht im ganzen Land bekannt, in einer Zeit in der es weder Handys noch Internet gab, kaum jemand hatte Telefon, und das Radio begann gerade, sich durchzusetzen. Durch sie ist Country Music überhaupt erst entstanden." Regie Blende zu Atmo 2 (Autotür) Erzähler Tim klettert in seinen Pick-Up. Regie Blende Atmo 3 (Anlassen) und zu Atmo 4 (Autofahrt) Erzähler Er legt eine CD ein, die "Bristol Sessions". Regie Musik 1 ("Single Girl, Married Girl" von der Carter Family) Erzähler Ein Song der Carter Family, "Single Girl, Married Girl." "Achten Sie auf die Gitarre", sagt Tim, "den berühmten Carter-Scratch". Mit dem Daumen wird die Melodie gespielt, mit den anderen Fingern der Rhythmus - eine damals innovative Technik. Regie Musik 1 bei 0:22min hoch ziehen. Die erste Strophe soll frei stehen. "Single girl, single girl, she's goin' to dress up fine Oh, she's goin' to dress up fine. Married girl, married girl, she wears any kind Oh, she wears any kind..." Runter blenden. Musik soll spätestens vor dem nächsten O-Ton enden. Erzähler Die Fahrt führt durch eine Stadt, die bessere Tage gesehen hat, vorbei an verlassenen Fabrikhallen und leeren Einkaufszentren. Hinaus in die Appalachen, eine wilde Hügellandschaft, die als Heimat der Country-Music gilt. In den Appalachen wird Country nach wie vor auf ursprüngliche Art gespielt, auf akustischen Instrumenten wie der Violine, dem Banjo und der Dobro, einer Gitarre mit im Korpus eingebauter Resonanzmembran. Heute läuft diese Musik unter Bluegrass oder old- time, und Tim White gilt als einer ihrer profundesten Kenner. Er ist der Gastgeber einer Fernseh-Show namens "Song of the Mountains", er legt die Musik im Radio auf und er spielt sie mit seiner Band, den VW Boys. Seinen Lebensunterhalt verdient er als Schildermaler. O-Ton 3 Tim White "Back in 74 when I came here the music was alive but in a different way, you had to know where it was. You had to go search it out. There was not as much public exposure of the music, you had to know where the jam sessions were or people would have get-togethers at their homes and you sort of had to be in that loop of people that knew, but as far as the very day, there is probably not a day in the week that you cannot find somewhere to listen or play music. Back then it was pretty much based on weekends." Länge: 0:37min Sprecher 1 Voice Over Tim White "Als ich 1974 her zog, gab es hier auch schon eine rege Musikszene, aber man musste wissen, wo man hin ging. Alles spielte sich jenseits der öffentlichen Wahrnehmung ab, in unangekündigten Jam Sessions oder bei den Leuten zu Hause. Wer nicht in diesen Kreisen verkehrte, erfuhr nichts davon. Heute gibt's jeden Tag irgendwo Musik, zum Anhören oder Mitspielen, damals nur an den Wochenenden." Erzähler Tim setzt den Blinker und biegt in ein enges, bewaldetes Tal ab. Die Straße schlängelt sich neben einem rauschenden Gebirgsbach einen Hügel hinauf. Gespielt wird in alten Scheunen, Frisörsalons, Kinos, erzählt er weiter. Zwischen diese Veranstaltungsorten pendeln die Musiker: taking the crooked road, heißt das im Volksmund. Die "kurvige Straße" windet sich über 400 Kilometer. Sie verbindet über hundert dieser Auftrittsorte in den US-Staaten Virginia, Tennessee und Kentucky. Große wie den County Store, einen ehemaligen Gemischtwarenladen in Floyd, Virgina, zu dessen Friday Night Jamborees bis zu 400 Zuschauer kommen und kleine, bei denen die Musiker unter sich bleiben. Ein paar davon werden Sie heute kennen lernen, sagt Tim White und tritt das Gaspedal. Regie Atmo 4 (als Trenner kurz hoch ziehen. Erzähler Erste Station auf unserer Reise auf dieser imaginären Straße des Bluegrass ist Bluff City. Dort wohnt die Skinner Family. O-Ton 4 Tim White "The Skinners I met 5 or 6 years ago, when they moved to this region. And the Skinners had two young children, they actually had to stand on little stools, they were so short, they couldn't reach the microphones to play their instruments. In their home they have a pickin' room, what most people would have as a living room, is their pickin' room. That's where they learn to craft, their parents are teaching them and it's amazing to see how far they have come in 5 short years." Länge: 0:37min Sprecher 1 Voice Over Tim White "Die Skinners sind vor fünf, sechs Jahren in diese Gegend gekommen. Ihre beiden Kinder waren damals so klein, dass sie bei Auftritten auf Hockern stehen mussten, sonst wären sie nicht an die Mikrofone gekommen. Wo bei anderen Leute das Wohnzimmer ist, haben sie ein Musikzimmer. Dort lernen die Kinder, ihre Instrumente zu spielen, die Eltern bringen es ihnen bei - unfassbar, wie gut sie in diesen fünf Jahren geworden sind." Regie Blende zu Atmo 5 (bei Skinners) Erzähler Die Skinners in einem rostroten Bungalow. Hinterm Haus rinnt ein von Platanen gesäumter Bach, am anderen Ufer ragt ein bewaldeter Hügel auf, wie eine grüne, undurchdringliche Mauer. Das Haus ist klein, zwei Schlafräume, Küche, winziger Flur. Im Wohnzimmer zupft Jasons Sohn Zayn auf der Mandoline herum. Die einzigen Möbelstücke sind vier Hocker, auf denen die Familienmitglieder sitzen. An den holzvertäfelten Wänden hängen alte Konzertplakate von Don Reno und Red Smiley. O-Ton 5 Jason Skinner "Don Reno and Red Smiley were one the first pioneering Bluesgrass-Bands. They are copies of the originals, they are scans and I had them printed out. The one back here is an original. And this one actually has the words written on the back of it, he used it at a show as a cue-card, basically. It's pretty rare. The guitar here on the wall was my dad's guitar, my dad passed away and he gave that to me." Länge: 0:27min Sprecher 2 Voice Over Jason Skinner "Don Reno and Red Smiley waren Pioniere des Bluegrass. Die Poster sind Scans, ich habe sie ausgedruckt. Bis auf dieses, das ist ein Original, eine echte Rarität. Don Reno hat es als Spickzettel benutzt und sich Texte auf der Rückseite notiert. Und die Gitarre hier an der Wand hat meinem Vater gehört, ich habe sie nach seinem Tod geerbt." Erzähler Jasons Skinner ist schlank und groß, das schwarze Haar über dem Adlergesicht hat er zur Tolle gekämmt. Auf dieser Gitarre hat er das Spielen gelernt - von seinem Vater. Jetzt gibt er sein Wissen weiter. An die Kinder Zayn und Alyssa - sie spielt Dobro. Und an Jenny, seine Frau. Jenny stammt aus Maui und hatte nie etwas mit Musik zu tun. O-Ton 6 Jason + Jenny Skinner Jenny: "I'm not very comfortable on stage as they all know. I like to be in the background, I like to play rhythm for them. I don't sing, I don't like to do anything fancy, Mom's juts in the back." Jason: "As good as she plays rhythm she doesn't realize how important that is for a bluegrass band, cause a lot of them want to pick, she plays a solid rhythm and she doesn't understand: o everybody can do that." Länge: 0:25min Sprecherin 3 Voice Over Jenny Skinner "Ich fühle mich, wie jeder weiß, nicht so wohl auf der Bühne. Ich spiele die Rhythmusgitarre für sie, ich singe nicht, ich mache nichts Besonderes. Mama bleibt im Hintergrund." Sprecher 2 Voice Over Jason Skinner "Sie versteht nicht, wie wichtig ein guter Rhythmus im Bluegrass ist. Die meisten wollen Banjo spielen, aber einen soliden Rhyhtmus kriegen viele nicht hin." Erzähler Jason streicht über sein Banjo. Dass Familien gemeinsam auftreten, ist nicht ungewöhnlich im Bluegrass. Die Carter Family zum Beispiel bestand aus dem Ehepaar A.P. und Sara sowie Maybelle, der Frau von A.P.'s Bruder Ezra. Später trat Maybelle mit ihren Töchtern in der Grand Ole Opry in Nashville auf, der bekanntesten Country- Show Amerikas. Als June, ihre Älteste, mit einem gewissen Jonny Cash anbandelte, wurde die Carter Family ein Teil seiner Tour-Band. Normal auch, dass Kinder schon mit fünf oder sechs mit der Musik anfangen, sagt Jason. O-Ton 7 Jason Skinner Here at his school they have their own Bluegrass band in the high school, and for the kids, they are like superstars on their school, everybody knows they are playing and they all like it, they are proud of it." Länge: 0:11min Sprecher 2 Voice Over Jason Skinner "Nehmen Sie meine Beiden: In der Schule habe sie ihre eigene Bluegrass-Band, sind dort richtige Superstars, alle sind stolz auf sie." Erzähler Auch die Skinner Family ist auf der Crooked Road unterwegs. Jason lächelt verlegen: Na ja, auf einem Teil der Straße. Geld verdienen sie damit nicht, zumindest nicht nennenswert. Muss auch nicht sein, findet Jason, er ist technischer Zeichner, Jenny Hilfslehrerin, mit ihren Jobs kommen sie gut über die Runden. Es geht um die Musik. Jeden Abend üben sie gemeinsam. Und dienstags jammen sie in der Tankstelle an der Hauptstraße, mit Hobbymusiken aus Bluff City. "Unfassbar, wie gut die Leute dort sind" sagt Jason Skinner und nimmt sein Banjo vom Ständer. Regie Blende zu Atmo 6 (Skinners play). Dann Blende zu Atmo 7 (Auto 2) Erzähler Weiter auf der Straße des Bluegrass. Sie schlängelt sich durch Täler und erklimmt steile Bergpässe, sie passiert kleine verlassene Weiler und ab und zu eine Farm. Anfangs lief Country unter Hillbilly, Hinderwäldermusik - auf der Crooked Road versteht man warum. Immerhin, die Straßen sind gut ausgebaut. Noch vor ein paar Jahren war das ganz anders, erzählt Tim White. Und früher.... für die Fahrt zu den Bristol Sessions, knapp 35 Kilometer, hat die Carter Family sieben Stunden gebraucht und unterwegs vier Autopannen gehabt. So jedenfalls die Legende. Regie Atmo 7 als Trenner kurz hoch ziehen Erzähler Das nächste Ziel ist Lay's Hardware Store in Coeburn, Virgina, einem alten Bergarbeiterstädtchen, in dem längst keine Kohle mehr gefördert wird. O-Ton 8 Tim White "It's a great place to go and enjoy music. It's a very relaxed atmosphere, sometimes you may go and there are children playing, learning to craft, learning to play in front of an audience. And other times you may go and there is a national artist on the stage." Länge: 0:16min Sprecher 1 Voice Over Tim White "Ein großartiger Ort, um Musik zu hören, sehr entspannte Atmosphäre, Manchmal haben sie Kinder auf der Bühne, die vor Publikum üben, manchmal landesweit bekannte Musiker." Regie Blende zu Atmo 8 (Jonas live1). Soll ein wenig frei stehen Erzähler Gut fünfzig Zuschauer haben sich im alten Eisenwarenladen auf der Main Street eingefunden, die Männer in Jeans und karierten Hemden, die Frauen in knöchellangen Kleidern. Sie sitzen auf abgewetzten Stühlen, essen Hamburger und Sandwichs und trinken Cola aus Plastikbechern. Eine Längswand nimmt ein rotbrauner Apothekerschrank mit unzähligen Laden ein, die andere ein Wandgemälde: ein Downtown, das sich zwischen bewaldeten Hügeln duckt, Menschen, die unter Kastanienbäumen flanieren, eine Dampfeisenbahn, die sich durch die Berge schlängelt. Regie Atmo 8 hoch ziehen. Soll kurz frei stehen. Erzähler Auf der Bühne Jonas Riley and the Bluegrass Messengers, drei Männer und eine Frau mit Fransenschnitt, die hinter ihrem riesigen Standbass fast verschwindet, alle Mitte zwanzig. Die Bühne selbst ist eine stilisierte Veranda, dahinter die Front eines weißen Holzhauses, mit Tür und Fenstern und rot-weiß karierten Gardinen. Ein Nachbau der alten Holzhütte, in der Jim und Jesse McReynolds aufwuchsen, wie eine Hinweistafel erklärt. In den Appalachen sind die McReynolds berühmt, mit ihrer Band, den Virginia Boys, gelten sie als Pionierie des Bluegrass. Regie Blende zu Atmo 9 (vor Lay's) Erzähler Auch die Bluegrass Messengers sind ein Familienunternehmen. In der Pause zwischen zwei Auftritten stellt Jonas Riley die Band vor: O-Ton 9 Jonas Riley "My brother, his name is Marcus Riley, he plays the mandolin. Here playing the bass, this is Chereece Bates, she's from Wise VA. And this fellow standing here is my guitar player, Marc Baker, he's from Clinchco, VA." Länge: 0:14min Sprecher 4 Voice Over Jonas Riley "Mein Bruder Marcus an der Mandoline, Chereece Bates spielt Bass, Marcus Baker Gitarre." Erzähler Und er selbst, muskulös, hoch aufgeschossen, mit militärisch kurzem Haar, singt und zupft das Banjo. Gitarrist Marc ist ein Jugendfreund, mit Chereece ist Jonas verlobt. Ihr Vater Toni Bates managt die Band. Als Sheriff von Wise County ist er zudem der Vorgesetzte seines künftigen Schwiegersohns, denn von Beruf ist Jonas Riley Polizist. O-Ton 10 Jonas Riley "I've got a great uncle that lives in Memphis, Tennessee, he plays in a country band. And he would come in for family reunions and family get togethers and he would play the guitar and I was always interested in playing the guitar. And I was about 13 when we went out and I bought me a guitar. Ad he showed me the basic chords, G,C and D. And next time that he came in to play, I was better than he was." Länge: 0:24min Sprecher 4 Voice Over Jonas Riley "Ich habe einen Großonkel, er lebt in Memphis und spielt in einer Country-Band. Bei Familienfeiern hat er immer Gitarre gespielt, und ich wollte das lernen. Als ich 13 war bin ich mit ihm los, habe mir einen Gitarre gekauft, und er hat mir die wichtigsten Akkorde gezeigt. Und als er das nächste mal kam, war ich besser als er." Erzähler Jonas stellt das ganz nüchtern fest, kein bisschen angeberisch, schließlich beschreibt er damit nur eine Wirklichkeit in den Appalachen. Er kommt aus Pound in Wise County, einem abgelegenen Dorf in jenem Teil Virginias, der sich wie ein Finger zwischen die Bundesstaaten West Virginia, Kentucky und Tennessee schiebt. Für Jugendliche blieb und bleibt da wenig mehr als die Musik. Eine Leidenschaft, von der Jonas auch als Erwachsener nicht lassen kann. O-Ton 11 Jonas Riley + Chereece Bates Jonas: "I don't have an exact count but I would imagine that we played 40 or 50 shows probably." Chereece: "Probably over 100 I would say, cause we've done quite a few the last couple of weeks, playing some local and we traveled some too." Jonas: "There's a little jam session in the town hall of Pound we go there to that jam session, we don't really jam, we actually put up a show for them actually sometimes, like every other week or so. If you count that, I'm sure we've played well over 100." Länge: 0:29min Sprecher 4 Voice Over Jonas Riley "Ich hab' das nicht nachgerechnet, aber wir hatten dieses Jahr 40 bis 50 Auftritte." Sprecherin 5 Voice Over Chereece "Über hundert, würde ich sagen. Wir hatten ´ne Menge bei uns im Ort und etliche außerhalb." Sprecher 4 Voice Over Jonas Riley "Stimmt, einmal die Woche findet eine Jam-Session bei uns im Rathaus statt. Da gehen wir so jedes zweite mal hin und treten auf. Wenn man das mitzählt, sind's sicher über hundert." Erzähler Die Pause ist zu Ende. Chereece klemmt sich wieder hinter ihren Standbass. Das erste Lied in der zweiten Stunde wird sie singen: "Bury me under the weeping willow tree", ein Klassiker der Carter Family. Regie Blende zu Atmo 10 (Jonas live 2). Die Band spielt "Bury me under the weeping willow tree". Refrain soll frei stehen. Dann Blende zu Atmo 7 (Auto 2) Erzähler Von Coeburn nach Hiltons. Immer weiter hinein in eine verwunschene Welt, die mit dem Rest Amerikas so wenig gemein zu haben scheint. Die Straßen werden immer schmaler und kurviger, die Orte seltener und kleiner. Meist bestehen sie nur aus einer Ansammlung von Mobile Homes, den Eigenheimen des kleinen Mannes. Tim White deutet auf eine Furche zwischen zwei Felsen, die wie Finger in den Himmel ragen. O-Ton 12 Tim White "If you look across the little valley here you see this road going up through this two mountains. That's actually the site where A.P. Carters birth cabin originally stood, about a mile from here. It was not accessible so it had to be moved to the Carter Family property, but right over there is where it actually stood." Länge: 0:19min Sprecher 1 Voice Over Tim White "Sehen Sie die Straße, die dort oben zwischen den beiden Bergen in ein kleines Tal führt? Dort stand die Blockhütte, in der A.P. Carter geboren wurde. Jetzt steht sie auf dem Grundstück der Familie in Hiltons." Erzähler Vor einem schlichten Holzhaus hält Tim White an. Nur der überdimensionierte Parkplatz lässt ahnen, dass dies die wohl legendärste Konzerthalle auf der Crooked Road ist, der Carter Fold. A.P. Carter hat hier bis zu seinem Tod im November 1960 gelebt. Seit Mitte der 1970er Jahre treten hier jeden Samstag Bluegrass- Musiker auf, erst veranstaltet von A.P.'s Tochter, heute von seiner Enkelin. Regie Blende zu Atmo 11 (Fold) Erzähler Auch im Carter Fold ist die Bühne eine stilisierte Veranda. Eine Reminiszenz an die Ursprünge dieser Musik, erläutert Tim White, Man traf sich auf den hölzernen Vorbauten der Wohnhäuser, jeder brachte ein Instrument mit. Dann wurde gespielt. Und mit der Zeit verschmolzen die keltischen und schottischen Weisen der Einwanderer mit dem traditionellen Harmoniegesang der Kirchenmusik zur ursprünglichen Country Music. Regie Blende zu Atmo 11 (Fold) Erzähler Tim White blickt sich um. Die Zuschauerränge steigen an - wie im Kino. Auch die in Reihen aufgestellten hölzernen Klappstühle erinnern an ein Lichtspielhaus. Gut 300 Besucher sitzen darauf - fast ausverkauft. Schließlich tritt heute nicht irgendwer auf. O-Ton 13 Tim White "Yeah, Lonesome Will Mullins! Lonesome Will comes from a musical family too, his father pick's, his brothers play, he has uncles that play. He's an entertainer. You've got great musicians from all over this place and then you have that handful of people who are entertainers who go beyond juts playing music. And Will is one of those guys. He puts on a show." Länge: 0:24min Sprecher 1 Voice Over Tim White "Oh ja, Lonesome Will Mullins. Er kommt aus einer musikalischen Familie, sein Vater spielt Banjo, seine Brüder machen Musik, seine Onkel auch. Will ist ein Entertainer. Großartige Musiker gibt es jede Menge in dieser Gegend, aber nur einen Handvoll echter Entertainer. Will ist einer davon, er legt eine richtige Show hin." Regie Blende zu Atmo 12 (Will live 1). Soll kurz frei stehen. Erzähler Will Mullins trägt ein weißes Hemd zum viel zu kurzen schwarzen Anzug und einen Haarschnitt, der vor allem eines ist: praktisch. Den Spitznamen hat ihm Ralph Stanley vor vielen Jahren verpasst, noch so eine Bluegrass-Legende. Und weil Lonesome Will das als Ehre betrachtet, hat er ihn nicht mehr abgelegt. Regie Atmo 12 mit Gesangspassage kurz hoch ziehen. Erzähler Auf der Bühne gibt Lonesome Will alles. Er lässt die Hüfte kreisen und wirft sich ruckartig vor und zurück - weil sein Oberkörper überproportional lang ist, sieht das ein wenig steif aus. Zwischen den Songs reißt er Witze: Was sind die Symptome der Vogelgrippe? Frösteln, Fieber, Schwitzanfälle und der unstillbare Drang, anderen auf die Windschutzscheibe zu kacken. Bei den Zuschauern erntet er brüllendes Gelächter. Also noch einer: Was macht man gegen Vogelgrippe? Ein tweetment - eine zwitschernde Behandlung. Auch dieser Witz kommt prima an. Regie Blende zu Atmo 13 (Pause Will) Erzähler Pause zwischen den beiden Sets. Auf der Veranda des Carter Fold raucht Lonesome Will eine Zigarette, vor einem Tisch mit CDs. Seine Stimme klingt mitgenommen. O-Ton 14 Lonesome Will "See, I sing really hard, I sing harder than most people. I tend to rear back and let it out there and that's my style of singing. And always... you sound a little moiré like Johnny Cash than you want to, but generally speaking: Come time to sing again I drink a hot cup of coffee and I'm generally right back in there." Länge: 0:19min Sprecher 6 Voice Over Lonesome Will "Ich singe kraftvoll, härter als die meisten anderen, und ich lasse auf der Bühne alles raus - das ist mein Gesangsstil. Und manchmal klinge ich danach etwas mehr wie Johnny Cash als mir lieb ist. Wenn's wieder auf die Bühne geht, trinke ich eine Tasse heißen Kaffe und bin meistens wieder voll da." Erzähler Lonesome Will zündet sich die nächste Zigarette an. Er kommt aus Skeet Rock an der Grenze zwischen Virginia und Kentucky. Ein Kaff wie viele in den Appalachen: Kirche, Tankstelle, ein paar Häuser - das war's. Eine richtige Band hat Lonesome Will nicht. Seine Begleiter nennen sich die Virginia Playboys und existieren gewissermaßen nur virtuell. Wenn Will ein Engagement hat, ruft er befreundete Musiker an, allesamt Asse an ihren Instrumenten. Wer Zeit hat kommt. Regie Atmo 13 als Trenner kurz hoch ziehen. Erzähler Will ordnet einen CD-Stapel. Er ist 28 und seit zwölf Jahren Profimusiker. Drei CDs hat er heraus gebracht, alle im Eigenverlag. Einen Vertrieb hat Lonesome Will nicht, die Platten verkauft er nach seinen Auftritten - nach Abzug der Unkosten bleiben pro Auflage ein paar Hundert Dollar hängen. Immerhin, der Auftritt heute lohnt sich, rund 500 Dollar springen für jeden Musiker raus - "ein seltenes Highlight", kommentiert Lonesome Will. Für kurze Zeit war er l mal in einem Reisebüro beschäftigt, aber feste Arbeitszeiten sind nichts für ihn. Die Ehe auch nicht: zweimal versucht, zweimal gescheitert. Lonesome Will grinst schief: "Eines der vielen Opfer, die ich für die Musik bringe". O-Ton 15 Lonesome Will "You work the hardest for the least amount of pay. The people that I admire, where I hope to be, on the level of the likes of the Bluegrass Brothers. Groups like them, they'll work 200, 225 shows a year. And if you are plying so many shows that means that you're one the road 300 days a year. They do well for themselves but they work hard for it. I hope I can get to that level soon. And somebody on the top of the business like a Rhonda Vincent, if you look at her schedules it takes up two pages in the "Bluegrass Unlimited", because she works every day - and that's great." Länge: 0:35min Sprecher 6 Voice Over Lonesome Will "Das ist harte Arbeit für wenig Geld. Ich bewundere Bands wie die Bluegrass Brothers, auf ihr Niveau möchte ich auch kommen. Sie haben 200, 225 Auftritte pro Jahr, das heißt, sie sind 300 Tage unterwegs. Sie leben gut von der Musik, aber sie arbeiten verdammt hart. Oder Leute, die ganz oben sind, jemand wie Rhonda Vincent: Ihr Tourneeplan in der Zeitschrift "Bluegrass Unlimited " geht über zwei Seiten. Sie spielt jeden Tag - das ist klasse." Erzähler In der modernen Country-Musik dagegen wird großes Geld gemacht. Top-Stars wie Keith Urban und Taylor Swift verkaufen Millionen Platten, ihre auf Massentauglichkeit getrimmten Songs laufen im Radio rauf und runter. Lonesome Will könnte es einfacher haben. O-Ton 16 Lonesome Will "Well, you know, I thought about that. As much as you love it, when the wolf is scratching at your door and you're in the red instead of the back in your check book, you do sit and want things like that. But I don't think could make it in any other music because Bluegrass allows me to be who I am. It's a lot about... I suppose it's a lot about a feeling of home that it gives me, an area were I grew. It was the music that I grew up listening to, and I always knew that there was something about it. It just felt like it was.... I don't know if it's cliché to say it or if it sounds weird, nut I feel like this is what I was born to do." Länge: 0:43min Sprecher 6 Voice Over Lonesome Will "Weißt Du, ich habe darüber nachgedacht. Wenn die Geier über dir kreisen und dein Konto mal wieder in den Miesen ist, machst du dir natürlich Gedanken. Aber ich glaube nicht, dass ich es in einer anderen Musik schaffen würde. Nur im Bluegrass kann ich sein, wer ich wirklich bin. Diese Musik fühlt sich an wie meine Heimat, die Gegend, in der ich aufgewachsen bin. Ich habe sie von Kind auf gehört und immer gewusst, dass sie etwas Besonderes hat. Vielleicht ist es ein Klischee, vielleicht klingt es verrückt, aber genau dafür bin ich geboren worden." Regie Blende zu Atmo 14 (Lonesome live 2) Erzähler Das Konzert geht weiter. Wieder reißt Lonesome Will seine Witze, wieder tänzelt er über die Bühne, wieder rasen seine Finger über die Saiten seines Banjos. Dann singt er, ein Lied über dieses friedliche Tal in den Appalachen, in das er nach langen Reisen endlich zurückgekehrt ist. Die Zuschauer wiegen sich im Takt. Auch Tim White. Er hat die Augen geschlossen und singt jede Zeile mit. Regie Atmo 14 hoch ziehen.