COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport 25.3.2011 Die Lage im Bücherregal - Bibliotheken in Sachsen und Bücherkisten in Staucha - Autor Ralf Geissler Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 25.03.2011 - 13.07 Uhr Länge 03.09 + 14.33 Minuten Moderation Die Leipziger Buchmesse ist vorbei, die Frankfurter bereitet sich vor. Neue Bücher wurden und werden besprochen, doch die Lage jener, die dieses und jenes Buch dem Leser leihweise zur Verfügung stellen, also die Lage der Bibliotheken war und ist weiterhin kein Thema. Eigenartig, versorgen doch Bibliotheken vor Ort den Bürger mit Vitamine gegen Dummheit, sollen ihm Spannung, Unterhaltung, Belehrung bieten. Also reden wir über die Bibliotheken, an dieser Stelle nun über ihre Lage in Sachsen. folgt Script Sendung Script Sendung LR-k Bibliotheken / Geißler - 3'09" Autor Die DDR war ein "Leseland". Zwar herrschte beim Papier ständiger Mangel, und die Zensur bestimmte, was darauf gedruckt werden darf. Trotzdem lasen die DDR-Bürger im Durchschnitt mehr als die Westdeutschen. Bücher gab es billig zu kaufen oder gratis zu entleihen. O-Ton Waltraud Frohß Wir hatten 89/90 eigentlich in jeder kleinen Kleinstgemeinde eine bibliotheksmäßige Versorgung. Autor Sagt Waltraud Frohß, Leiterin der sächsischen Landesfachstelle für Bibliotheken in Chemnitz. Doch nach der Wiedervereinigung wurde das Bibliotheksnetz - wie überall in Ostdeutschland - auch in Sachsen stark ausgedünnt. O-Ton Waltraud Frohß Mit der Änderung Verwaltungsreform, Kreisreform haben wir uns von über 1.000 Bibliotheken auf ein mittlerweile seit ungefähr zehn Jahren konstantes Netz von 200 Bibliotheken in größeren Gemeinden und Städten mit hauptamtlichen Personal und ungefähr 350 in kleineren Orten und Ortsteilen stabilisiert. Autor Nur reichlich jede zweite kommunale Bibliothek überlebte also. Und trotzdem ist auch etwas Positives passiert. In weniger Einrichtungen wird heute insgesamt mehr ausgeliehen als früher. Zum Beispiel Dresden. Dort gab es nach der Wiedervereinigung in allen Städtischen Bibliotheken knapp 3 Millionen Entleihungen pro Jahr. 2009 waren es fast doppelt so viele. Und auch die Nutzerzahlen sind gestiegen, sagt Direktor Arend Flemming. O-Ton Arend Flemming Wir haben kürzlich eine Umfrage gemacht, eine kommunale Bürgerumfrage, aus der deutlich wurde, dass über die Hälfte der erwachsenen Dresdner Bevölkerung regelmäßig die Bibliothek besucht. Das ist schon eine enorme Zahl. Und wenn Sie jetzt dahinter gucken, ob das lauter alte Leute sind oder lauter Kinder, die nichts zu tun haben: Das ist ein Irrtum. 74 Prozent aller Dresdnerinnen und Dresdner zwischen 16 und 24 Jahren - 74 Prozent - gehen regelmäßig in die Bibliothek. Autor Die öffentlichen Bibliotheken sind die meistgenutzten Kultur-Einrichtungen Sachsens - weit vor Theatern oder Museen. Vor allem das inzwischen aktuelle Angebot - mehr Bestseller, Hörbücher und Videos - locken die Nutzer. Und trotzdem ist die Qualität bedroht. Es wird vielerorts weiter gespart. Vor allem kleine Gemeinden setzen vermehrt Ehrenamtliche oder Ungelernte als Bibliothekare ein. Waltraud Frohß von der Landesfachstelle ist darüber nicht glücklich. O-Ton Waltraud Frohß Ein Bibliothekar muss vier Jahre studieren, es ist nicht so ganz ohne. Und oftmals wird es abgetan als, ich sage jetzt mal was Gehässiges, die paar Bücher über die Theke kann jeder geben. Aber ich vergleiche es mit einer Apotheke. Dort muss auch ausgebildetes Personal da sein, um die Qualitätsware - und das ist es bei uns, die Medien und die Informationen - zu bekommen. Autor Frohß wirbt dafür, weiterhin Bibliothekare als Lotsen im Mediendschungel zu beschäftigen. Und sie wünscht sich eine bessere Vernetzung mit den Schulen. Diese betreiben mitunter eigene Bibliotheken, die mehr leisten könnten, wenn sie mit den städtischen Einrichtungen kooperieren würden. Dann fänden Jugendliche schneller den Weg in die Stadtbibliothek und Sachsen bliebe auch in Zukunft ein Leseland. -Ende Beitrag Bibliotheken- MOD 11.000 Bibliotheken gab es im "Leseland" DDR. Nach der Wende landeten viele Bücher aus Privathaushalten auf dem Müll, ebenso viele Regalkilometer aus Bibliotheken. Den Schauspieler Peter Sodann hatte das entsetzt, und er begann zu sammeln. Er baute eine Bibliothek der DDR-Literatur, also in der DDR erschienener Bücher auf, von Thomas Mann bis Mark Twain, von Bert Brecht bis Erwin Strittmatter. Erst hatte die umfängliche Sammlung des ehemaligen Tatort- Kommissars Halle als Standort, dann musste er nach Merseburg umziehen, nun sollen tausende Bücher im sächsischen Staucha ein neues Zuhause finden. Ralf Geißler interessierte sich für den Stand der Dinge. LR-l Sodann-Bibliothek / Geißler - 14'33" O-Ton Peter Sodann Da ich ein Kind war, nicht wusste wo aus noch ein, Kehrt' ich mein verirrtes Auge zur Sonne. Als wenn drüber wär' ein Ohr zu hören meine Klage. Ein Herz wie meins sich des Bedrängten zu erbarmen. Autor Vielleicht hilft ihm ja dieses Gedicht. Peter Sodann sitzt bei einer Tasse Kaffee im Gemeindehaus im sächsischen Staucha und rezitiert Goethes Prometheus. Der Schauspieler hält ein Blatt Papier in der rechten Hand. Ein Spendenaufruf, den er verteilen will. Und der mit dem Goethe-Vers beginnt. Prometheus - meint Sodann - passt als Hilferuf gut. O-Ton Peter Sodann Na weil, das ist doch. Der Prometheus ist ein Widerstandsgedicht von einzigartiger Größe. Und bei Herrn Goethe kann man alles lesen, was man will. Da muss man nicht bei den Marxisten suchen. Autor Sodann lächelt. Der einstige Tatort-Kommissar hat einiges vor mit dem kleinen Staucha. Er will ein Bücher-Dorf daraus machen. Ein Zentrum für Literatur. Sodann ließ fünf LKW-Sattelzüge voll gebrauchter Bücher in den Ort karren - insgesamt eine halbe Million Exemplare, gedruckt in der DDR. 40 Jahre ostdeutsche Verlagsgeschichte. Sodann will sie hier in der sächsischen Provinz für die Zukunft bewahren. O-Ton Peter Sodann Da ich mal zur Arbeiter- und Bauernfakultät gegangen bin, ist mir Hermann Kants "Die Aula" noch wertvoll nach wie vor. Aber es geht mir auch um andere. Um Goethe und Aristophanes. Albert Camus. Es geht mir um Max Frisch, es geht mir um Anna Seghers. Wen wir auch hernehmen wollen. Es geht mir zum Beispiel um die Literatur des gesamten Aufbau-Verlages, der hervorragende Bücher veröffentlicht hat. Autor Die DDR-Bibliothek ist ein alter Traum von Peter Sodann. Er hatte ihn schon kurz nach der Wiedervereinigung. Damals warfen viele ostdeutsche Bibliotheken tausende Bücher einfach auf den Müll. Auch in Halle an der Saale war das so, wo Sodann damals das Neue Theater leitete. O-Ton Peter Sodann Ich habe mir aber gesagt, da wirft man ja Dein Leben weg. Wenn man Bücher wegwirft, weiß man ja, was daraus werden kann. Und nun sammle ich alle Bücher ab dem 8. Mai 1945 bis zu Schabowskis einzigen vernünftigen Ausspruch seines Lebens: Die Mauer ist weg. Alles, was in der DDR erschienen ist oder über oder unter dem Ladentisch verkauft wurde, gedruckt wurde und so weiter. Autor Doch wie das so ist mit großen Sammlungen: Sie brauchen viel Platz. Stauchas Bürgermeister Peter Geißler kann diesen Platz bieten. Atmo Vögel zwitschern O-Ton Peter Geißler Und das war hier mal ein Rittergut, das Herrenhaus dazu, 100 Hektar gehörten damals hier dazu. Und das ist sozusagen der Hof gewesen. Wir haben auch Bilder drinne, wie es mal auf dem Hof aussah. Autor Geißler steht vorm Gemeindehaus und stellt seinen Ort vor. 800 Einwohner. Die Häuser schmiegen sich rund um einen Hügel, auf dem eine prächtige Kirche steht: Sankt Johannis. Sie ist kilometerweit zu sehen. Am Dorfende dunkelbrauner Ackerboden. O-Ton Peter Geißler Die Böden hier sind sehr gut. Das heißt also: Wir gehören zur Lomatzscher Pflege. Die Bodenwertzahlen sind hier sehr hoch. Und die Bauern haben hier ordentlich gearbeitet und ordentlich auch verdient. Deswegen auch diese große Kirche, die mal so um die tausend Sitzplätze hatte. Autor Der Bürgermeister läuft mit Peter Sodann über den Hof des Ritterguts. Der Schauspieler kennt die Gegend hier gut. Sodann ist 1936 in Meißen geboren, rund 20 Kilometer von Staucha entfernt. Atmo Schritte O-Ton Peter Sodann So gehen wir erstmal unten rein. Da musste aber mal Licht machen, weil ich wieder nicht weiß, wie das geht. Autor Die beiden Männer betreten eine 800 Quadratmeter große Halle. Auf den ersten Blick sieht sie aus, als gehöre sie zu einem Kloster. Gewölbte Decke, toskanische Säulen aus Sandstein, gefliester Boden. O-Ton Peter Geißler Das war mal ein Kuhstall. Da haben also mal um die hundert Kühe drin gestanden. Bis kurz vor der Wende sollte es umgebaut werden als Kälber- Stall. Aber dann kam die Wende und damit war es Geschichte. Atmo Hämmern Autor Seit ein paar Monaten lässt Geißler den Kuhstall zur Bibliothek umbauen. Handwerker schleifen Balken ab und holen das Fachwerk an den Wänden hervor. Noch im April sollen die ersten Bücherregale aufgestellt werden. Jahrelang hat Sodann nach einem Ort wie diesen gesucht. Zuerst hatte er seine Sammlung an seinem Hallenser Theater aufbewahrt. Als er nicht mehr Intendant bleiben konnte, brachte er Kant, Kisch und Co. in einer Turnhalle in Merseburg unter. Als dort der Oberbürgermeister abgewählt wurde, musste Sodann wieder eine neue Herberge suchen. O-Ton Peter Sodann Ich hatte ins Internet etwas gestellt, dass ich Hilfe suche. Und da gab es viele Leute, die sich gemeldet haben. Schlösser, Schlossbesitzer oder sonst was. Aber alle wollten, dass ich da hin komme, weil sie dachten, der bringt viel Geld mit. Aber mit Büchern bringt man kein Geld mit und mein privates Geld ist schon längst da drin. Autor Stauchas Bürgermeister Geißler verlangte kein Geld. Er ließ den Gemeinderat abstimmen. Alle Mitglieder waren dafür, Sodanns Bücher im Ort aufzunehmen. Den Umbau des Kuhstalls finanziert das Dorf zur Hälfte aus der eigenen Kasse und zur anderen Hälfte aus Fördermitteln. O-Ton Peter Geißler Ich denke, als Bürgermeister sollte man nicht nur an das Finanzielle denken. Das ist zwar wichtig, aber ich denke, wir sollten auch was für die Nachfahren tun. Und ich denke mit diesem Ausbau da schaffen wir auch was für die Zukunft, unsere Nachfahren. Hier ist noch was, das wir uns ansehen können. Autor In der mehr als 750-jährigen Geschichte Stauchas gab es noch nie eine Bibliothek. Die nächste bescheidene Ausleihstelle befindet sich im Nachbarort. In Zukunft könnte Staucha mit 500.000 Büchern so ziemlich jeder deutschen Stadtbücherei Konkurrenz machen. Doch die Vorfreude der Dorfbewohner hält sich überraschend in Grenzen. O-Ton Anke Nakoinz Viele sagen, das Geld wäre eigentlich woanders besser angelegt als wie für so eine Bibliothek. Weil viele denken, dass sich das nicht rentiert. Also sie sind sehr, sehr skeptisch. Autor Anke Nakoinz betreibt den einzigen Laden im Dorf. Gegenüber der Freiwilligen Feuerwehr hat sie auf wenigen Quadratmetern alles einsortiert, was der Mensch für sein Glück benötigt: Süßigkeiten, Handtücher, Uhren, Kaffeemaschinen ... Hier trifft man sich, um zu kaufen und zum Klatsch. Nakoinz zog 1993 nach Staucha. O-Ton Anke Nakoinz Also ich muss sagen, der Ort selber hat sich in der Zeit wirklich super entwickelt. Also wenn man gesehen hat, was alles gemacht wurde, also das ist wirklich schon gut. Aber es gibt eben auch andere Seiten, wo ich jetzt sage: In letzter Zeit, wo die 1-Euro-Jobber eingespart wurden, die ABM-Kräfte ... es sieht in vielen Ecken wieder ganz schön mistig aus. Und das war früher nicht. Wir haben immer gesagt: Staucha ist ein Vorzeige-Dorf. Autor Damit es wieder ein Vorzeige-Dorf wird, müsste zum Beispiel die Straße vor ihrer Tür geflickt werden. Stattdessen fließen Fördermittel nun in die Bibliothek. Nakoinz schüttelt den Kopf. O-Ton Anke Nakoinz Wenn es fertig ist, ich gucke es mir auch an. Neugierig ist man schon. Aber ich glaube nicht, dass es sich rechnet. Ich weiß es nicht. Es sind ja auch viele Kosten im Nachhinein, gerade was die Heizung betrifft. Die Bücher müssen ja eine bestimmte Luftfeuchtigkeit haben und alles. Ich weiß es nicht. Autor Vor allem die Alten im Dorf sind skeptisch. O-Ton Kaffeekränzchen Du meine Fresse (Kichern). Autor Kaffee-Kränzchen im Erdgeschoss des Gemeindehauses. Sechs Damen spielen Karten. Sie treffen sich jede Woche hier. Heute haben sie erfahren, dass Peter Sodann neben seiner Bibliothek auch ein Café eröffnen will. Jetzt kommen die Frauen aus dem Kichern kaum heraus. O-Ton Kaffeekränzchen Café? Da geht doch gar niemand rein! Wir haben schon mal Café gehabt in Staucha. Da ist jetzt Hundepension drin. Weißte noch? Wo ich dann soweit war mit meinem Mann, dass wir hingehen wollten, da war es zu. (Kichern.) Autor Die Damen glucksen. Vielleicht liegt es ja daran, dass Peter Sodann mit dem Bürgermeister und den Gemeinderäten gesprochen hat, sich aber nie bei den Seniorinnen vorstellte. O-Ton Kaffeekränzchen Das ist Zufall, wenn man den mal sieht, wenn er mit dem Hund hier lang geht. Aber ich glaube, der ist heute da. Er fuhr, glaube ich, an uns vorbei. Halle hat er doch Kennzeichen. Oder? Atmo Dorfstraße Autor Während sich die Rentnerinnen wieder ihrem Kartenspiel widmen, steht Peter Sodann keine 500 Meter von ihnen entfernt auf einer Straße und sinniert über die Zukunft. O-Ton Peter Sodann Es entwickelt sich in Deutschland eine Zweitkultur. Und diese Zweitkultur wird betrieben oder gefördert von Bürgermeistern, die noch eine Idee haben. Die also nicht geradeaus leben. Also ich würde sagen, das Leben besteht nicht nur aus einer Autobahn, sondern aus vielen Nebenstraßen. Autor Sodann läuft zu einer Scheune am Dorfrand. Früher wurde hier Vogelfutter gemischt, heute stapeln sich 4.000 Bananen-Kisten auf zwei Etagen. Das Zwischenlager für die Bücher. Sodann öffnet eine der Kisten. O-Ton Peter Sodann Mal sehen, was das jetzt hier gerade ist: Stefan Rossin. Das ist Egon Erwin Kisch. Ach, Hans Marchwitza: Die Kumiaks. Daniel Druskat - von Sakowski. Da gab es einen Film drüber. Autor Man bräuchte Jahrhunderte, um alles zu lesen. Selbst das Katalogisieren dürfte Jahre dauern. Der Bücherberg wird derweil immer größer. Seit in der Zeitung stand, dass Sodann DDR-Literatur retten will, bekommt er fast täglich Pakete. Aus jedem Winkel Deutschlands senden ihm Menschen ihre alten Schmöker. Die Doppelten will Sodann in einem Antiquariat verkaufen und so ein bisschen Geld einnehmen. O-Ton Peter Sodann Diese Bibliothek ist nicht nur da, um zu zeigen, dass wir Bücher hatten. Sie ist auch dazu da, was wir für Bücher hatten und dass es ein Leseland war. Und wenn man nicht so sehr viel verreisen darf oder nur in eine bestimmte Richtung, dann liest der Mensch Bücher über die andere Richtung. Und so weiter und so fort. Und es war nun mal ein Leseland. Atmo Kirchenglocken Autor Von der Johanniskirche läuten die Mittagsglocken. Edelgard Pollmer steht in der Frühlingssonne vor ihrer Haustür. Die Rentnerin wohnt direkt neben der künftigen Bibliothek. Und wie es der Zufall will, liest sie nicht nur gern, sie dichtet auch. O-Ton Edelgard Pollmer Ich schreibe alle vier Wochen in der Stauchitzer Zeitung, veröffentliche ein Gedicht. Das ist mein Hobby. Jeder hat ein Hobby. Und ich schreibe eben gern Gedichte. Autor Pollmer hat einen kleinen Lyrik-Band herausgebracht. "Leb in jeder Blume" heißt er. Kein Wunder also, dass die Rentnerin zu denen im Ort gehört, die sich auf die Bibliothek freuen. O-Ton Edelgard Pollmer Also Bücher sind schon Schätze. Bücher können auch Freunde werden. Ich mach mir bloß Gedanken: Wird das immer gelingen? Die brauchen ja eine gewisse Temperatur, ein gewisses Klima. Und eine gewisse Betreuung auch. Die müssen mal umgeblättert werden. Autor Pollmer kam mit 5 Jahren aus Schlesien nach Staucha und hat im Nachbarort als Kindergärtnerin gearbeitet. Jetzt steht sie auf der Türschwelle ihres Hauses und knetet die Hände. Sie hat einen Text dabei. Ein Lied, das sie vor 18 Jahren gedichtet hat. Das Heimatlied für Staucha. Gesang Edelgard Pollmer (singt) Meine Heimat, das ist Staucha. Immer zieht es mich hierhin. Bin ich einmal auch woanders. Staucha ist mein Herz und Sinn. Ja ich liebe all die Menschen, die mir wert sind und bekannt. Für mich gibt's hier keine Fremden, alle sind mit mir verwandt. (spricht) Und so weiter und so weiter. Autor Pollmer lächelt schüchtern. Natürlich schreibt sie nicht wie Goethe oder Schiller, aber vor zwei Jahren feierte Staucha 750 Jahre Dorfjubiläum, und der Chor hat ihr Lied gesungen. Peter Sodann sagt über die alte Dame, die finde er klasse. Ein Original. Der Schauspieler sitzt wieder im Gemeindehaus und rezitiert noch einmal Goethe. O-Ton Peter Sodann Ein Sumpf zieht am Gebirge hin verpestend alles schon Errungene. Den faulen Pfuhl jetzt abzuziehn. Das Letzte wärs das höchst Errungene. Mit freiem Volk auf freiem Grunde stehn. Oder ist es anders herum? Auf freiem Grund mit freiem Volk zu stehen? Autor Vielleicht trägt er ja in Staucha schon bald auf großer Bühne vor. Dort, wo die Bücher zwischenlagern, will er irgendwann ein kleines Theater aufbauen. Ein paar Freunde hätten ihm versprochen, auch mal aufzutreten. Aber lohnt sich das? Ein Theater im 800-Einwohner-Dorf? Das wird schon, brummt Sodann. O-Ton Peter Sodann Ich war vor kurzem bei Frankfurt am Main auf einem Berg. Da oben stand eine einzelne Scheune. Die war ausgebaut und hatte Platz für 400 Leute. Ringsum kein Dorf, gar nichts. Und am Abend, mein Sohn und ich haben Mozartbriefe vorgelesen, ein bisschen Musik dazu auch, nur die Mozartbriefe von der Geburt bis zum Tod - der Saal war gerammelt voll. Wunderbar. Autor Doch bis zum Theater in Staucha ist es noch ein weiter Weg. Zunächst muss Sodann Geld für den Unterhalt seiner Bibliothek auftreiben. Bürgermeister Geißler stellt ihm zwar die Räume, aber Heizung, Strom, Wasser und Personal muss Sodann über einen Verein finanzieren. Deswegen sammelt er Spenden. O-Ton Peter Sodann Ich habe ja aufgerufen: Wenn mir jeder Mensch aus Deutschland, aus dem Land der Dichter und Denker, so wie es sich einst nannte, einen Euro spendet, dann hätte ich 80 Millionen. Das ist ne ganz schöne Summe. Da könnte ich mehrere Dörfer in Afrika noch mit aufbauen. Autor Er kneift die Augen zusammen und nickt zur Selbstbestätigung. Im Juni wird Sodann 75 Jahre alt. Er kann nicht sicher sein, dass er den Tag noch erleben wird, an dem sein Traum vom Bücher-Dorf Staucha Wirklichkeit geworden ist. Aber das macht ihm nichts aus. Ideen muss man angehen, sagt er. Egal, in welchem Alter. -ENDE Staucha/Sodann- MOD Bibliotheken in Sachsen und viele Bücherkisten in Staucha. Ralf Geißler nahm sich die Zeit für ein notwendiges Thema. Am Mikrofon verabschiedet sich von Ihnen Claus Stephan Rehfeld. -ENDE Sendung- 1