DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 01.09.2009 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 ? 20.00 Uhr Ich kämpfe bis zum Schluss! Der Streit um die Braunkohle in der Lausitz Feature von Charly Kowalczyk URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Musik O-Ton Monika Schulz Ich hab noch nie in diesen ganzen 25 Jahren, in denen ich da jetzt lebe, erlebt, dass das Dorf so wortlos, stumm und dunkel war wie ich das dann in diesem Jahr erlebt habe. Weil die Leute wussten einfach gar nicht mehr, wie sie mit diesem Fakt umgehen sollen. Erzähler Drei Dörfer sollen in der Lausitz dem Abbau der Braunkohle weichen. Erst schwiegen die Leute, jetzt gehen sie auf die Straße. Zu Hunderten ziehen sie zum Kohlekraftwerk Jänschwalde, wenige Kilometer nördlich von Cottbus. Die meisten demonstrieren zum ersten Mal in ihrem Leben. Sie halten selbst bemalte Plakate in die Luft. "Hier verbrennen Horno und Lacoma! - Das reicht!" und "Kohle killt Klima"...Junge Leute plakatieren an Bäume den Spruch: "Kohle nur noch zum Grillen". Die Stimmung ist ausgelassen, der Weg zur Kundgebung nicht weit. Aus den Kühltürmen des Kraftwerks steigen weiße Wolken in den Himmel. O-Ton Kundgebung Sven Giegold, Moderator: Der nächste Redner ist Pfarrer Mathias Berndt. Er hat seine Gemeindemitglieder unter anderem in den Dörfern, die vom Abbaggern bedroht sind. Herr Berndt bitte, die Predigt ist Ihre. Mathias Berndt: Ich wünsche keinem Menschen, aber wirklich überhaupt keinem, dass einem im wahrsten Sinne des Wortes der Boden unter den Füßen weggezogen werden soll, dass die Bäume im Garten gefällt werden sollen, die Häuser an der Dorfstraße abgerissen, die Kirchen, weil sie zu dicke Mauern haben, gesprengt werden und das Unterste nach oben gedreht werden soll. Wir haben es in Horno ja erlebt, wie das aussieht, und in unserer Kirche eine kleine Ausstellung darüber. Fast zynisch finde ich es ... Musik Ansage Ich kämpfe bis zum Schluss! Der Streit um die Braunkohle in der Lausitz Ein Feature von Charly Kowalczyk Musik Erzähler Vor den Kühltürmen des Kraftwerks hat der schwedische Energiekonzern Vattenfall große Transparente anbringen lassen: "Kohle fördern ? wir arbeiten daran", und: "Lausitzer Braunkohle ? Energie für Generationen". Etwas abseits der Kundgebung versammeln sich Vattenfall-Mitarbeiter: Kraftwerksingenieure, Betriebsräte, Pressesprecher. Nur 100 Meter liegen zwischen den Arbeitsplatzbesitzern und den demonstrierenden Heimatverlierern, aber keiner sucht den Kontakt zum anderen. O-Ton Astrid Hobracht Ich kann das eigentlich nachvollziehen, wenn gerade die ältere Generation sehr an Haus und Hof und an den Bäumen, die man selber gepflanzt hat, wenn die daran hängen. Aber ich sage mal, wenn ich jetzt so neu auf ein Dorf komme, wie ich das ja auch getan habe, wir haben die rausgerissen, wir haben die auch durch junge Bäume ersetzt, schon weil der Ertrag eben nicht mehr da war, und die neuen Sorten jetzt eigentlich besser gefallen. Es ist Heimat nicht unbedingt mit diesem Stück Wohnort vergleichbar. Also wenn ich mir meine Eltern angucke oder auch meine Tochter, ihre Heimat ist jetzt eine andere und da wo man arbeitet und sein Brot verdient, ist dann letztendlich auch das Zuhause und wenn es einen Umzug erforderlich machen würde, muss das nicht unbedingt mit Nachteilen versehen sein. O-Ton Mathias Berndt Das andere ist, dass unser Kampf sich ja nicht nur dahin richtet, dass wir hier stehen bleiben wollen, sondern er richtet sich gegen den Aufschluss neuer Tagebaue. Und das hängt nun wieder zusammen mit etwas, wovon ja auch alle reden und das Gegenteil tun, von der Politik angefangen bis zum kleinen Bürger hin muss man sagen. Das ist nämlich die Frage nach dem Klimawandel...Ich halte es nicht für sehr verantwortlich, was Vattenfall macht. Dass sie nämlich junge Leute auch gerade für die Kohle ausbilden und in die Kohle schicken, mit dem Wissen, die ganze Geschichte könnte schief gehen. Es wäre verantwortungsbewusst zu sagen, wir bilden Leute aus und entwickeln Technologien zur regenerativen Energieerzeugung und nicht für einen absterbenden Ast. Musik Sprecher Die Landesregierung in Brandenburg setzt langfristig auf Braunkohle. Allerdings mit der Auflage an Vattenfall, bei der Erzeugung von Strom aus Kohle eine Klima schonende Technik zu entwickeln und anzuwenden. Daran wird gearbeitet. Da dem Tagebau Jänschwalde spätestens in 15 Jahren die Kohle ausgeht, läuft schon das Planverfahren für einen neuen Tagebau: Jänschwalde-Nord. Ab 2025 will Vattenfall hier Braunkohle fördern. Dafür müssen drei Orte von der Erde verschwinden: Atterwasch, Grabko und Kerkwitz. 900 Menschen verlören dann ihr Zuhause. O-Ton Mathias Berndt Meine Frau war auf einer Kur gewesen. Ich habe sie abgeholt. Und auf der Kur wurde ihr noch gesagt, sie sollte ein Jahr alle Aufregung möglichst von sich halten. Und wir kamen wieder und unser Nachbar hier der gab uns einen Brief und sagte, gucke hier, das ist gekommen...Das war ein Brief von Vattenfall, der also uns mitteilte, dass der Aufschluss des Tagebaus Jänschwalde Nord als Erstes geplant ist...Und dass ihnen es leid tut, dass wir nun leider umgesiedelt werden müssen, aber dass sie alles für uns tun müssen. Und der Brief schloss mit den fröhlichen Worten "Glück auf". Musik Erzähler Ein Sonnabend in Atterwasch. Es regnet in Strömen. Nicht einmal eine Katze wagt sich an diesem Morgen in dem 200-Seelen-Dorf zwischen Cottbus und Guben auf die Straße. Das Pfarrhaus liegt direkt neben der über 700 Jahre alten Kirche, dem Mittelpunkt des Ortes. "Das Gotteshaus hat Belagerungen durch die Hussiten, den Dreißigjährigen Krieg, zwei Weltkriege und den Kommunismus überstanden. Aber am Rechtsstaat droht es zu scheitern", schimpft der Ortsbürgermeister. Heute bin ich mit dem Pfarrer Mathias Berndt verabredet. Wir sitzen in seiner Küche bei Brötchen und Marmelade. Durch das Fenster sehe ich die Weite des Himmels, Bäume, Wiesen... O-Ton Mathias Berndt Wenn ich mich zur richtigen Jahreszeit auf die Bank setze in meinem Garten, kann ich Tanz der Kraniche mit und ohne Fernglas verfolgen, im Dorf nisten die Störche ... Erzähler Mathias Berndt wirkt aufgeräumt, sitzt da in Jeans und Hemd, seiner Alltagskleidung, wenn er keine Predigt halten muss. Seit 1975 lebt der Vater von zwei erwachsenen Kindern in Atterwasch. Als Diener Gottes ist er Berufsoptimist. So lange die Kirche noch steht, kämpfe ich dafür, dass das auch so bleibt, bekräftigt er. Er ist amüsiert, als ich ihm erzähle, dass man ihn in Zeitungsartikeln auch mal den "Roten Berndt" nennt. O-Ton Mathias Berndt Ach ja, der rote Berndt, ist ja schön. Das gefällt mir (lacht), das gefällt mir...Als wir vor einem Jahr die Nachricht kriegten, da war das also wirklich eine Katastrophe. Man hat sich jeden Baum anders angeguckt. Es war einfach unglaubwürdig, dass man so etwas beseitigen kann. Die Gewohnheit führt dazu, dass man abstumpft. Und wir sind natürlich auch daran zu arbeiten, dass wir eben nicht abstumpfen und dass die Menschen hier nicht abstumpfen, sondern sondern man muss gegenhalten. Man muss sagen, wir haben eine Chance. O-Ton Astrid Hobracht Das ist ja nicht, ob Braunkohle Bestand hat, sondern wie wir die Braunkohle denn einsetzen. Und der Makel ist halt das CO2, was nach der Verbrennung in die Atmosphäre abgegeben wird und zum Treibhauseffekt mit beiträgt. Und wenn wir also dieses CO2 aus dem Rauchgas binden können, so wie wir es ja auch mit dem SO2, mit dem Schwefeldioxid machen oder wie wir die Asche dort reduziert haben, dann denke ich mal, ist die Kohle auch weiterhin ein sicherer Bestandteil bei der Energieerzeugung. Zumal wir nicht nur in Deutschland so viele Vorkommen haben. Es sind weltweit so sehr viele, nicht nur Braunkohle, auch Steinkohlevorkommen, die, wenn sie mit der richtigen Technologie genutzt werden, auch erheblich zu unserem Umfeld, also zum Treibhauseffekt, da einiges positiv bewirken können. Erzähler Astrid Hobracht holt mich in Teichland ab. Vom Bahnhof ist es nicht mehr weit zum Tagebau Jänschwalde, ihrem Arbeitsplatz. Seit 2004 ist sie an diesem Ort zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit. Sie erklärt den Besuchergruppen, wie ein Bergwerk funktioniert. Ihr Domizil ist ein Container. Der Tagebau schreitet voran. Hier begreife ich, dass nichts für die Ewigkeit ist. Im Versammlungsraum stehen Holztische, Stühle, nicht viel mehr. Männer kommen, fragen, gehen, es ist gerade Schichtwechsel im Tagebau. Astrid Hobracht findet den Ton für ihre Kollegen, gestikuliert, organisiert. Der Bergbau sei immer noch von Männern dominiert, sagt die Maschinistin für Großgeräte, sie setze sich da schon durch. Seit 30 Jahren ist Astrid Hobracht im Bergbau beschäftigt. Früher war die Stimmung kollegialer, freundschaftlicher, jetzt sei der Leistungsdruck hoch. Die Unsicherheit der 1990iger Jahre, der Untergang des Lausitzer Reviers, das hätte sie schon tief getroffen. Da ginge es ihr wie vielen in der Lausitz, als ZehnTausende ihre Arbeit im Bergbau verloren haben. O-Ton Astrid Hobracht Es war eine Unsicherheit unter den Leuten, wer wird weiterhin zum Stammpersonal gehören, wer wird aussortiert oder ja Kündigung ist nicht so sehr das Thema gewesen, es gab ja immer die soziale Abfederung. Trotzdem ist es im Hinterkopf drin geblieben: Ich muss um meinen Arbeitsplatz bangen. Und dieser psychische Druck auf die Einzelnen hat doch, denk ich mal, vieles verändert und viele Unsicherheiten auch mitgebracht. Erst als ich dann die Zusage hatte, dass ich so eine Stelle bei der Stabsabteilung in der Bergwirtschaft erhalten hab, dann ist die Last von den Schultern gegangen. Also bis dahin hat man doch immer noch, ja mehr oder weniger, nicht recht gewusst, was mit einem passiert und hat überlegt, wo fange ich an, wenn jetzt hier im Bergbau für mich das Aus sein sollte? Aber zum Glück ist es dazu nicht gekommen. Sprecher In der Lausitz tobt der uralte Streit zwischen denen, die um ihre Arbeitsplätze bangen und denen, die den Verlust der Heimat befürchten. Doch der Konflikt geht tiefer und betrifft nicht nur das Revier. Soll in Zeiten des Klimawandels aus Braunkohle weiter Energie gewonnen werden? Erzähler Ich fahre zum Betreiber der Lausitzer Braunkohlekraftwerke, zu Vattenfall nach Cottbus. In der Südstadt hat sich die Filiale des schwedischen Energiekonzerns 2004 angesiedelt, in einem funktionalen Glasbau der Moderne. Im offenen Foyer hängen an den Wänden historische Bergbaufotos. "Sie werden abgeholt", informiert mich die Pförtnerin lächelnd. Kathi Miedtank - "ein Kind der Lausitz", wie sie sagt - wird mich den ganzen Tag begleiten. Sie ist hier "Projektmanagerin Kommunikation". Mit dem Aufzug fahren wir ganz nach oben, zu Hartmut Zeiß. Er ist im Vorstand von Vattenfall Europe Mining & Generation für den Bereich Bergbau zuständig. Die Vorzimmerdame empfängt uns, nimmt mir die Jacke ab, macht Kaffee, lächelt. Alle hier sind an diesem Morgen freundlich. Auch Hartmut Zeiß. Er begrüßt mich mit "Glück auf". Sein Büro ist repräsentativ, mit großen Fenstern, in dunklen Farben gehalten. Wir sitzen an einem ovalen Tisch, von hier oben sieht man gut, wie waldreich die Lausitz ist. Hartmut Zeiß gibt sich leger, trägt das helle Hemd ohne Krawatte. Im Gespräch sucht er den Augenkontakt, signalisiert Offenheit, will aber auch schnell zur Sache kommen. Also: Platz nehmen, Aufnahmegerät anstöpseln, loslegen. O-Ton Hartmut Zeiß Wer mit Braunkohle plant, muss langfristig planen, weil Braunkohle ist ein Geschäft, was man nur in Dekaden entwickeln kann. Da gibt es keine Fünf-Jahres-Entwicklungsschritte. Wir planen mit Braunkohle über das Jahr 2050 hinaus...50 Prozent der Energieerzeugung in Deutschland basiert auf Kohle, 40 Prozent der Energieerzeugung, der Stromerzeugung in der Welt basiert auf Kohle, 30 Prozent in Europa. Der Kohleverbrauch weltweit ist von 2000 auf 2007 um 40 Prozent gestiegen. Das sind Dinge, die ich glaube, viele sich nicht so vor Augen führen. Kohle ist der Rohstoff der Gegenwart und entwickelt sich rasant im Verbrauch. Das heißt, wir müssen für Kohle Lösungen finden. Und da sind wir hier in Brandenburg ganz weit vorn. Erzähler Gelassenheit in beruflichen Dingen sei nicht seine Stärke. So sieht Hartmut Zeiß sich selber. Er müsse das, was er für richtig halte, in Gang bringen. Vielleicht liegt seine Ungeduld auch darin begründet, dass er verschiedenen Herren dienen musste. Erst dem Braunkohlewerk Oberlausitz in der DDR, dann der Lausitzer Aktiengesellschaft, danach Vattenfall. O-Ton Hartmut Zeiß Und dass sie am Ende des Tages auch akzeptieren können, dass das ein Weg ist, um Energiesicherheit für Deutschland am Ende des Tages zu haben. Erzähler Also, sagt Hartmut Zeiß, am Ende des Tages kämen wir um die Braunkohle zur Energieversorgung nicht herum und...das Lausitzer Revier hätte doch schon eine Menge Gutes für das Klima getan. O-Ton Hartmut Zeiß Wir haben mit der politischen Wende 1990 natürlich an vielen Stellen Erfahrungen sammeln müssen. Die Braunkohleförderung hier in der Region lag bei 200 Mio. Tonnen im Jahr. Sie liegt heute bei 60. Das zeigt schon mal, welchen Beitrag dieses Revier geleistet hat zur Reduzierung der CO2-Emissionen in Deutschland. Ich denke mal, es ist der Größte. Wir waren damals 75 000 Beschäftigte im Bergbau, sind heute 4500. Das ist ein Weg, den sind wir hier in der Region gegangen und damals, wenn wir da über das Unternehmen gesprochen haben, waren die ersten Sätze immer, das Unternehmen hat 17 Tagebaue und 21 Brikettfabriken. Wenn wir heute über das Unternehmen sprechen, haben wir vier aktive Tagebaue, die in Betrieb ist und eine Brikettfabrik. Erzähler Aber noch weniger Kohle könne nun wirklich nicht gefördert werden, denn "am Ende des Tages", sagt er, müsse es sich ja auch rechnen. Wenn Hartmut Zeiß über die geplante Umsiedlung der drei Dörfer Atterwasch, Grabko und Kerkwitz spricht, wird er ernst, er ringt um Worte. Der hartnäckige Widerstand der betroffenen Bevölkerung habe ihn dann doch ein wenig überrascht, denn Umsiedlungen würden doch seit Generationen zur Lebenswirklichkeit in der Lausitz gehören. O-Ton Hartmut Zeiß Umsiedlung vor 1990 fanden nach einem Standard statt, der, ich sag mal, allen, die davon betroffen worden sind, in den Knochen sitzen. Ein Ort fand sich am Ende irgendwo in einem Neubaublock wieder. Ich selber hab das erlebt. Ich komme aus dem Tagebau Berzdorf bei Görlitz und dort war genau in diesem Wendebereich die Umsiedlung des Ortes Deutsch-Ossig. Ein Teil ist vor der politischen Wende noch umgesiedelt worden. Die Straße, wo dieser Ortsteil wohnte, hieß Deutsch-Ossig-Ring, war ein Neubaublock und der zweite Teil ist dann bereits in Eigenheime umgesiedelt wurden. Das war also mittendrin ein neues Verfahren. Und wir haben uns dann hier als Unternehmen, auch mit Unterstützung unserer neuen Eigentümer, Schritt für Schritt heran getastet: Was ist eine sozialverträgliche Umsiedlung? Fairer Umgang miteinander, Offenheit, aufeinander zugehen, die Dinge klar benennen und das versuchen wir jetzt auch in alle diese Verfahren von Anfang an einzubringen und da haben wir viel dazu gelernt und die Bürger haben gesehen, an praktischen Beispielen, wie so ein Verfahren heute aussieht. Erzähler Hartmut Zeiß will Umsiedlungen, wie er sagt, vernünftig abwickeln. Er wisse doch, wie sich Heimatverlust anfühle, komme doch auch aus der Region. Und 2006 hätte es doch schon prima geklappt. Das Lausitzer Dorf Haidemühl mit 600 Einwohnern wurde geräuschlos umgesiedelt. Dies, sagt das Vattenfall-Vorstandsmitglied jetzt schon fast euphorisch, müsse doch auch in Atterwasch, Grabko und Kerkwitz möglich sein. Außerdem könne er die Beweggründe der Einheimischen verstehen, die der anreisenden Umwelt- und Klimaschützer seien ihm aber fremd. Gerade weil Vattenfall keine Anstrengung scheue, eine klimaschonende Technik bei den Kohlekraftwerken zu entwickeln. "Bitte berichten Sie fair", gibt er mir dann noch zum Abschied auf den Weg. Musik Erzähler Kathi Miedtank, meine junge Begleiterin bei Vattenfall, erzählt mir von ihrem Glück. Dass die Arbeitsplätze erst mal bis mindestens 2012 gesichert seien. Dass sie wirklich nette Kolleginnen und Kollegen habe. Und da sie durch den Job nun in Cottbus bleiben könne, baue sie mit ihrem Lebensgefährten ein Haus. Schön, nicht! Kathi Miedtank hofft, dass die in den drei Dörfern bald begreifen, wie gut es Vattenfall mit ihnen meine. Man wisse doch, wenn man hier lebt, dass man irgendwann umsiedeln muss. Und letztendlich ginge es vielen nach der Entschädigung besser, auch finanziell. Sie werden sehen, sagt sie dann noch, das wird alles bald ein gutes Ende nehmen...Wir nehmen erst einmal den Aufzug nach unten, zum nächsten Gespräch. O-Ton Hubertus Altmann Mein Name ist Hubertus Altmann. Ich bin bei Vattenfall Europe Generation tätig und verantworte dort den Bereich Kraftwerksmanagement. Erzähler Hubertus Altmanns Büro ist nüchtern eingerichtet, alles gut sortiert. Der Kraftwerksmanager drängt sich nicht nach Gesprächen mit Journalisten. Er fragt, was ich genau von ihm wissen wolle. Vattenfall hat im September 2008 die weltweit erste Pilotanlage für ein CO2-emissionsarmes Braunkohlekraftwerk eingeweiht, darüber möchte ich mit ihm sprechen. Gut, murmelt er, und zieht seine Jacke aus. O-Ton Hubertus Altmann Wir machen das in "Schwarze Pumpe"...Wir haben bei Vattenfall eine Variante zur Zeit im Test, ein sog. Oxifulverfahren. Auch das ist wieder ein englischer Begriff, heißt übersetzt, dass Kohle mit Sauerstoff verbrannt wird anstelle von Luft und über dieses Oxifulverfahren entsteht CO2. C mit O2 zusammen ergibt CO2 und wenn man dann aus diesem CO2 die anderen Bestandteile eines Rauchgases, Schwefeldioxid, Stickdioxid und auch Staub herauswäscht, dann bleibt CO2 in relativ reiner Form noch übrig. Das heißt capture und das heißt CO2 freies Kraftwerk. Sprecher CCS - carbon, capture and storage - heißt das Verfahren, dass in Zukunft in Kohlekraftwerken angewendet werden soll. Bei dem Verfahren soll das klimaschädliche Kohlendioxid aus den Kraftwerksabgasen zu mindestens 85 Prozent abgeschieden werden. Das abgetrennte CO2 soll dann über Pipelines transportiert und in unterirdischen Lagerstätten gelagert werden. Erzähler Die Bundesregierung möchte bis 2020 in Deutschland den CO2-Ausstoß um 40 Prozent senken. Ich frage Hubertus Altmann, ob denn Kohlekraftwerke, die jetzt im Bau sind, später mit der CCS-Technik nachgerüstet werden können? O-Ton Hubertus Altmann So einfach geht das nicht...Man könnte jetzt mit erheblichen Umbauten an der Turbine und an Rohrleitungssystem und an komplexen technologischen Anlagen im Kraftwerk das Ganze lösen. Aber diese erheblichen Umbauten kosten viel Geld und dann muss man sich die Frage stellen, ob dieses viele Geld, was man dann quasi dort einsetzt, nicht besser angewendet ist, wenn man es vollkommen in ein neues Kraftwerk investiert und dafür einen neuen Kraftwerksblock benötigt. Erzähler Hubertus Altmann sieht mich nicht an, wenn er redet, aber er redet Klartext. Sicher sei nur, dass es vor 2020 kein "definitives CCS-Kraftwerk" geben werde, eher Jahre später. Allerdings muss sich Vattenfall mit der Entwicklung der CCS-Technik beeilen. In ein paar Jahren müssten sie viel Geld für Emissionszertifikate bezahlen, wenn ihre Kraftwerke weiter Kohlendioxid in die Atmosphäre blasen. Die CCS-Technik wird zur Erfolgsstory, daran zweifelt der Kraftwerksmanager nicht. Wir, sagt Hubertus Altmann, und meint Vattenfall, haben bisher viel investiert, sind in Vorleistung gegangen, dafür aber müsse jetzt die Politik endlich für Planungssicherheit sorgen. Zitatorin (Merkel) Ich habe neulich auf einer Europawahlkampf-Veranstaltung in Flensburg gesagt, Sprecher Bundeskanzlerin Angela Merkel am 21. Juni 2009 im ZDF, zur CO2-Endlagerung. Zitatorin (Merkel) ... Sie sollten sich jetzt vor den Mineralwasserflaschen hüten, weil da ja auch Kohlendioxid drin ist. Aber mein Scherz ist wie immer nicht gut angekommen an dieser Stelle. Das wiederum spricht allerdings dafür, dass wir in Bildung noch mehr investieren müssen. Atmo: Kundgebung vor dem Brandenburger Tor Sprecher Ortswechsel. Berlin, 17. Juni 2009. Renate Künast von den GRÜNEN spricht auf einer Kundgebung... Atmo/O-Ton Renate Künast Wir brauchen keine neuen Kohlekraftwerke und wir brauchen und wollen auch keine CCS-Speicherung, weil es Alternativen gibt, schon deshalb. (Beifall...) Das CCS-Gesetz ist Murks und ist ein unverantwortlicher Schnellschuss...Wahr ist, dass die Konzerne, die diese Regelung wollten, das geschrieben haben, dann ins Wirtschaftsministerium gegangen ist, um dann noch ein bisschen dran rumdoktern konnten... Erzähler Auf dem Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor demonstrieren Bürgerinnen und Bürger, vor allem aus Schleswig-Holstein und aus Brandenburg. Sie sind gegen geplante CO2-Endlager in ihren Bundesländern. O-Ton Birte Matthiesen Die wollen von Köln-Hürth eine Pipeline zu uns nach Stadium/Hörup, die ungefähr 500 km lang ist, bauen und dort soll CO2 in halb flüssig, halb vergasten Zustand zu uns hochgepumpt werden und dann ungefähr ab 1000 Meter verpresst werden. Sprecher Birte Matthiesen ist Mitbegründerin einer Bürgerinitiative aus Schleswig Holstein. Innerhalb von dreieinhalb Wochen sammelten sie und ihre Mitstreiter zwischen Husum und Flensburg 25 000 Unterschriften gegen die Endlagerung von CO2 , ein Projekt von RWE. O-Ton Nils Chlubka Ich hab davon eigentlich gar nichts gewusst, bis eines Tages bei uns im Ort einfach Flyer auftauchten, die relativ kurzfristig ankündigten, ich glaub in einer Woche hieß es dann, können sich die interessierten Bürger von Neutrebbin in der Turnhalle treffen, da kommen dann Vertreter des Vattenfall Energiekonzerns hin und...erklären die Vorteile dieser schönen Innovationstechnik für die Region und das war denn auch eine Friede-Freude-Eierkuchen-Veranstaltung. Die Menschen, die da waren, die waren natürlich auch sehr gut vorbereitet und haben so bald es kritisch wurde, weil sich dann doch viele Bürger damit beschäftigt haben und kritische Fragen gestellt haben, haben die gesagt: "Da wissen sie mehr als wir und wir können nur sagen, das ist eine super Technologie, die Holländer erproben es schon seit ein paar Jahren und wir sehen da die große Zukunftschance drin", usw. Sprecher Nils Chlubka ist Mitglied der Bürgerinitiative in Neutrebbin. In Ostbrandenburg, bei Beeskow und Neutrebbin, will Vattenfall unterirdische Lagerstätten nutzen. Dort soll das anfallende Kohlendioxid aus der Lausitz unter der Erde gelagert werden, bis zu 1600 Meter tief. Die Einwohner in den betroffenen Orten, auch die Kommunalpolitiker aller Parteien, lehnen die Pläne der Brandenburger Landesregierung und von Vattenfall ab. Erzähler Eigentlich sollte im deutschen Bundestag, zwei Tage nach der Kundgebung, am 19. Juni 2009, das CCS-Gesetz von der großen Koalition beschlossen werden. Doch nun ist die Debatte in den Wahlkreisen entbrannt, die für ein CO2-Endlager vorgesehen sind. Auch im Wahlkreis von Peter Harry Carstensen. Der CDU-Ministerpräsident in Schleswig-Holstein mochte das Gesetz vor der Bundestagswahl nicht haben. Überraschend verschob die Unionsfraktion den Tagesordnungspunkt. Vor allem über die im CCS-Gesetz vorgesehene Haftung wird gestritten: Die Kraftwerksbetreiber sollen nur 30 Jahre lang verantwortlich gemacht werden können, falls CO2 doch wieder aus der Tiefe nach oben entweicht. O-Ton Monika Schulz Ich gehe davon aus, dass man die Situation völlig falsch eingeschätzt hat. Dass man auch das Informationsbedürfnis der Menschen völlig falsch eingeschätzt hat. Denn sonst wäre das meiner Meinung nicht passiert. Sprecher Die Brandenburger CDU-Landtagsabgeordnete Monika Schulz glaubt, die Fraktionsführung der CDU/CSU im Bundestag sei von der Stimmung in den Wahlkreisen überrascht worden. O-Ton Monika Schulz Denn Fakt ist, es hat zu wenig Aufklärung gegeben, sonst würden die Leute sich ja nicht in dieser Vehemenz wehren...Und ich kann nicht anfangen zu bohren und dann gleichzeitig die Leute informieren, so nach dem Motto: das habt Ihr jetzt zu akzeptieren...und demzufolge sage ich mal, ist meiner Meinung nach der öffentliche Druck so hoch geworden, dass man gesagt hat, also hier muss man doch noch mal genauer hingucken... Erzähler Monika Schulz empfängt mich in ihrem Potsdamer Landtagsbüro mit Kaffee und Keksen. Die Lausitzer Parlamentarierin lacht, plaudert, argumentiert. Monika Schulz hat keine Berührungsängste, auch nicht gegenüber den Linken. Sie ist forsch, kokett, und auch überraschend. Seit fast 15 Jahren sitzt sie für die CDU im Brandenburger Landtag. Leicht macht Monika Schulz es ihren Kollegen nicht. Denn wenn ihr etwas gegen den Strich geht, dann pfeift die Arbeitsmarkt-, Familien- und Frauenpolitische Sprecherin auf Fraktions- und Koalitionsdisziplin. So wie beim Bergbau. Die Lausitzer Abgeordnete war nach der Wende Bürgermeisterin von Atterwasch. Seit 25 Jahren lebe sie da jetzt und das solle auch so bleiben. Außerdem sei Vattenfall nicht gerade das Unternehmen, dem sie abnehmen würde, dass es alles im Griff hätte, schon gar nicht nach den Vorfällen in seinen Atomkraftwerken. Und sie zweifle sowieso daran, ob die Akzeptanz in der Bevölkerung für die CO2-Endlagerung überhaupt herzustellen sei. O-Ton Monika Schulz Und das Ganze hat meiner Meinung nach auch noch eine Zuspitzung bekommen durch das, was jetzt mit der Abrutschung des Hauses in Sachsen-Anhalt passiert ist. Auch das wird sicherlich damit in Verbindung gebracht, dass man sagt und was passiert jetzt, wenn wir in die Hohlräume CO2 einpressen? Was macht das CO2 da, niemand konnte das bisher aufklären. O-Ton Matthias Platzeck Ich glaube im Interesse zum Schutze unseres Klimas muss diese Technik Erfolg haben. Erzähler Doch die SPD/CDU-Landesregierung in Brandenburg tritt in ihrer Energiepolitik vehement für die CCS-Technik ein. Ich bitte deshalb um ein Gespräch mit dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck. Zehn Minuten müssten aber reichen, teilt mir der Chef der Staatskanzlei am Telefon mit. Regierungssprecher Thomas Braune holt mich ab. Er begleitet mich in der Staatskanzlei auf dem Weg zum Ministerpräsidenten. Thomas Braune will mir im Vorfeld klar machen, um was es wirklich geht. Erklärt mir, warum 'wir' in Brandenburg auf die Braunkohle nicht verzichten können. Dass es ihn keineswegs überrascht habe, dass das Volksbegehren "Keine neuen Tagebaue ? für eine zukunftsfähige Energiepolitik" in Brandenburg scheiterte. Letztendlich würden sich die besseren Argumente meistens durchsetzen, das sei nun mal seine Erfahrung. Ende des Monologs, Ankunft bei Matthias Platzeck. Platzeck grüßt, scherzt, ist aufgeräumt. Herr Ministerpräsident, warum drängen Sie auf eine schnelle Verabschiedung des CCS-Gesetzes? Musik O-Ton Matthias Platzeck Also ich glaube, wir haben nicht unendlich Zeit...und ich sage ganz klar: ich möchte, dass wir dem Klimawandel möglichst schnell was entgegensetzen, dass wir das im Kontext der gesamten Weltentwicklung tun, weil wir leben nicht alleine auf dieser Welt...Kohle wird weiter, ob wir das wollen oder nicht, zur Energieerzeugung genutzt, und wir müssens möglich schnell klimaverträglich tun. Und das ist der einzige Punkt, warum ich sage, Kinder lasst uns da nicht noch Jahre lang ins Land gehen: Das Klima wird sich rächen. Erzähler Ob wir in Brandenburg unsere Kraftwerke schließen, habe auf das Weltklima ungefähr so viel Auswirkungen, als ob in China ein Sack Reis umfällt, meint der Regierungschef. Also müsse man die Chance der Abtrennung von Kohlendioxid nutzen, denn mit dieser Technik könne Brandenburg sogar Weltmarktführer werden. Ja aber, wende ich ein, irgendwo muss das Kohlendioxid doch hin. Warum wurde die Bevölkerung in Ostbrandenburg so spät informiert, dass bei ihnen das CO2 unter die Erde soll? O-Ton Mathias Platzeck Also ich respektiere nicht nur, sondern ich kann die Ängste auch verstehen. Es handelt sich, zumindest in diesen Räumen, um eine neue Technologie, etwas womit die Menschen bisher nicht konfrontiert waren und da tut man gut daran, alle Kanäle der Aufklärung und der Aufklärungsmöglichkeiten zu nutzen... Erzähler Ich hake noch einmal nach ... O-Ton Autor Es ist ja auch ? wenn gleichtzeitig mit der Presse die Bevölkerung erfährt, ist das auch ein Fehler, nicht rechtzeitig an den Ort zu gehen und die Menschen aufzuklären. Erzähler ...da fällt mir der Regierungssprecher ins Wort... O-Ton Thomas Braune / Matthias Platzeck Braune: Es ist doch Quatsch, also entschuldige mal: Wie willst Du das denn machen! Das wird doch sofort alles öffentlich! Also, das ist eine Vorstellung, die nicht geht, das muss man doch mal sagen. Also Entschuldigung, wir sind gleich am Ende, aber das Doofe ist, es bringt mich hoch: Ich hab das auch gemacht, solche Fragen gestellt, aber manchmal muss man sie auch durchdenken. Entschuldigung. Platzeck: Darf ich antworten? Braune: Entschuldigung...Platzeck: Also ich möchte noch mal in aller Sachlichkeit sagen, wir stehen am Anfang eines langen Prozesses...Sie haben am Anfang immer das Problem Huhn oder Ei, mit wem und wie beginne ich diese Öffentlichkeitsarbeit...Das ist am Anfang holprig gewesen, das haben wir ja gerade gemeinsam festgestellt. Aber ich bin mir ganz sicher, in den nächsten Wochen und Monaten und Jahren ? und es wird sich über Jahre erstrecken ? wird die Öffentlichkeit, die auch ich mir wünsche, hergestellt werden, und es wird keine Frage unbeantwortet bleiben. Erzähler Matthias Platzeck ist verärgert, weil die Bundestagsfraktion der CDU/CSU vor der parlamentarischen Sommerpause das Gesetz über Abscheidung, Transport und Endlagerung von CO2 erst einmal gestoppt hat. Und wie reagiert Vattenfall? Der schwedische Staatskonzern droht. Und zwar mit dem Rückzug aus der Lausitz, sollte es bis Ende 2009 kein Gesetz zur CCS-Technologie geben. Man könne auch in Polen investieren... O-Ton Monika Schulz Das Gesetz wird kommen. Davon bin ich überzeugt. Es wird nur die Frage sein WIE. Dass Vattenfall nach Polen gehen will, ich meine, das steht jetzt als Drohkulisse da, so sehe ich das...Dass sie nach Polen gehen wollen, das steht schon lange fest. In Polen hat es auch schon die ersten Entscheidungen gegeben. Da haben sich auch Gemeinden mittlerweile gewehrt dagegen, dass Tagebaue aufgeschlossen werden sollen, da wächst eben auch ein Problembewusstsein...Und ich meine, das ist doch ein demokratisches Recht. Ich sag immer, dafür bin ich ´89 auf die Straße gegangen, dass ich das Recht habe, solche Dinge zu hinterfragen und darauf auch wirklich Antworten zu bekommen. Sprecher Nach der Verschiebung des Gesetzes verschickten die Energiekonzerne, die sich im Bundesverband Braunkohle zusammen geschlossen haben, eine Pressemitteilung: Zitatorin Schwarzer Tag für den Klimaschutz. Ohne CCS-Gesetz ist der Industriestandort Deutschland in Gefahr. Erzähler Und als nerve die Stromunternehmen die zögerliche CDU/CSU-Fraktion in Berlin nicht schon genug, kommt jetzt auch noch Gegenwind von der Landesbank Baden-Württemberg. Die zieht im Frühjahr 2009 in ihrer Branchenanalyse Fotovoltaik ein überraschendes Fazit: Zitatorin Ab dem Jahr 2012 kann Solarstrom vom Dach in Deutschland billiger sein als der Strom aus der Steckdose. Im Jahr 2020 wird es sogar billiger sein, CO2 durch Fotovoltaik zu vermeiden als durch Abtrennung des Abgases in Kohlekraftwerken. CCS ist in Mitteleuropa aus betriebs- und volkswirtschaftlichen Gründen nicht angebracht. Die Politik muss sich die Frage stellen, welche Technologie in Zukunft durch Steuergelder gefördert werden soll: die Säuberung konventioneller, fossiler Kraftwerke durch CCS oder die nachhaltigere Versorgung der Industriegesellschaft mit Solarstrom. Sprecher Ob die CCS-Technologie wirklich eine Erfolgsstory wird, hängt auch von einem kleinen Städtchen in Brandenburg ab. In Ketzin wird u.a. mit Forschungsgeldern der Europäischen Union, des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung sowie von großen Energiekonzernen, zum Beispiel auch von Vattenfall, die CO2-Endlagerung erprobt. O-Ton Fabian Möller Also ich sagte gerade noch mal, dass eigentlich die Gase-Speicherung an sich Ingenieur-technisch gesehen nichts Neues ist, weil man schon seit den 60er-Jahren Untergrundspeicher betreibt, wo man Methangas oder andere Gase auch in die Erde einspeichert...Das Neue ist bloß, dass CO2 eben im Gegensatz zu Methangas mit dem Formationswasser reagiert zu Kohlensäure und diese Kohlensäure natürlich das Speichergestein verändern kann, auch das Abdeckgestein verändern kann, und das sind Prozesse, die wir hier auch im Projekt bewerten und beobachten müssen. Erzähler Geo-Ingenieur Fabian Möller wirft mit einem Dia-Projektor pausenlos Bilder, Grafiken, Worte an die Wand, bevor er mit uns ? einem Japaner und mir ? über das Forschungsgelände spaziert. Es ist ein kalter und stürmischer Tag. Fabian Möller parliert auf Englisch und Deutsch und freut sich über unser Interesse an der CO2-Forschung. Er zeigt uns Bohrlöcher, Container, mit CO2-Messdaten gefütterte Computer. Alles wirkt harmlos, unspektakulär. Nichts deutet darauf hin, dass die Forschung an diesem Ort weltweit Aufmerksamkeit erregt. Denn hier läuft ein Pilotversuch, bei dem Wissenschaftler des Potsdamer Geoforschungszentrums testen, wie sich CO2 in Hohlräume pressen lässt und...wie sich potenzielle Lagerstätten sicher verschließen lassen. Wenn das abgetrennte Kohlendioxid im Untergrund verbuddelt wird, kann es das Klima nicht belasten. So lautet die Rechnung. Atmo: Gang / Schritte auf dem Forschungsgelänge O-Ton Fabian Möller Ich kann ja mal den Zaun öffnen: Das sind also diese Messkabel, die wir hier haben. Man sieht hier, wie die Kabel aus dem metallenen Bohrkopf herausgeführt werden, das sind also diese schwarzen Plastikkabel, die auf dem Gelände durch Kabeltrassen geführt in den Wissenschaftscontainer gehen und dort unabhängig von menschlichen Eingriffen rund um die Uhr die Messungen, dann auch Messwerte sammeln und die Wissenschaftler kommen dann her, holen sich die Messwerte ab und werten die dann zu Hause, was heißt zu Hause, (lacht) sie werten sie hoffentlich in der Arbeit aus und nicht zu Hause und werten Sie bei sich im Labor dann aus. Und dann gehen wir jetzt mal hier rein in den Messcontainer... Erzähler Wenn es aber nicht klappt, werden künftige Generationen ein Problem haben: Mit Treibhausgasen, die sich unter der Erde selbstständig machen. Die Folgen für Mensch und Natur sind nicht absehbar. Na ja, meint Fabian Möller, ausschließen könne er gar nichts, das könne er als Wissenschaftler nun wirklich nicht. Aber im Grunde halte er die CO2-Endlagerung für machbar. Ich verstehe...aber das haben viele Wissenschaftler bei der Lagerung von Atommüll auch immer gesagt und jetzt leckt das Lager im niedersächsischen Asse so furchtbar gefährlich. Deshalb muss ich noch ein wenig nerven, also welches - wenn vielleicht auch kleines - Risiko gäbe es denn überhaupt bei der CO2-Endlagerung? O-Ton Fabian Möller Das CO2 formt ja mit dem im Sandstein vorhandenen Wasser die Kohlensäure und die Kohlensäure kann also zu Mineralreaktionen führen. Diese Reaktionen können einerseits sein, dass das CO2 sich fest bindet, also neue Mineralien formt. Dann ist es also tatsächlich als Gas nicht mehr vorhanden, sondern als Feststoff. Das bezeichnet man als geolocical trapping, die geologische Falle. Es kann aber auch zu Auflösungserscheinungen kommen, also wenn man sich vorstellt, dass diese Kohlensäure das abdichtende Gestein angreifen würde, dann stellt sich natürlich die Frage nach der Dichtigkeit. Atmo: Fahrt in den Tagebau Erzähler Zurück in die Lausitz. Astrid Hobracht und Kathi Miedtank von Vattenfall fahren mit mir in den Tagebau Jänschwalde. Also Helm auf... O-Ton Astrid Hobrecht Sie können ihn einstellen: Wenn er zu groß ist? Also lässt sich auch auf kleine Kopfgrößen...Wir haben ja manchmal auch Schüler hier...Probieren Sie jetzt mal... Atmo: Tagebau O-Ton Astrid Hobracht Das ist unsere Abraumförderbrücke F 60 und vor uns ist jetzt ein Eimerkettenbagger vom Typ ES 3750 und der hat die Aufgabe, hier die Kohle frei zu legen. Also momentan arbeitet er im Tiefschnitt. Angeschlossen an die Förderbrücke sind drei solcher Geräte und gegenüber auf der anderen Seite ist sozusagen der Versturz dieser Abraummassen...Wir stehen jetzt über der Kohle, ca. so 25, 23 Meter über der Kohle. Und an diese Kohle wollen wir letztendlich heran. Wir müssen also die Sande obendrüber wegnehmen. Atmo: Tagebau Erzähler Kathi Miedtank schwärmt... O-Ton Kathi Miedtank Viele sagen ja immer, das ist vergleichbar mit einer Mondlandschaft...Aber die geologischen Formationen, die verschiedenen Sandfarben, gerade wenn jetzt sonnige Tage sind, dann ist es ein wunderschönes Lichtspiel, dann reflektieren die hellen Sande besonders schön. Erzähler Kathi Miedtank sieht die Lausitz voller Stolz als "Toscana des Ostens". Astrid Hobracht lächelt, so hat sie das noch nie gehört, aber schön findet sie es hier schon, jetzt wachse sogar Wein auf den "Bergbaufolgeflächen" und die gehörten zur Lausitzer Kulturlandschaft dazu. Atmo: Tagebau Musik Erzähler Hier verliert sich Zeit. Das immer gleiche Hämmern der Bagger. Das immer gleiche Tempo der gigantischen Förderbrücke. Die immer gleiche Sehnsucht nach Stille, die mich an diesem Ort nach einer Weile überkommt. Kilometerweit nur Sand, Rippe um Rippe...Ödnis, Leere, Abgrund...Nachdem wir eine Weile miteinander geschwiegen haben, wendet sich Astrid Hobracht mir zu, das müsse sie jetzt schon noch sagen, die Braunkohle, ja, die gehöre einfach zur Lausitz. O-Ton Astrid Hobracht Wenn man vor über 30 Jahren die Berufslaufbahn in der Kohle begonnen hat und jetzt immer noch dabei ist, also da muss mehr als nur das tägliche Brot dran hängen. Da gehört auch ein bisschen Emotionalität dazu und für die Region da sein. Es ist auch nicht nur mein Beruf in der Kohle, es ist auch meine Familie, die hier Arbeit gefunden hat. Mein Sohn hat hier begonnen mit der Lehre 2003 und ist mittlerweile hier im Entwässerungsbetrieb tätig. Mein Mann hat seinen Job hier auch vor 25 Jahren begonnen und ist in der Maschinenabteilung tätig. Ja also, ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es ohne dem weitergehen sollte. (lacht) O-Ton Mathias Berndt Das erste, was ich von der Kohle erlebt habe, war der Abriss von Weißack. Da bin ich noch mit meinen Kindern noch hingefahren, die waren so drei und sechs Jahre alt und die Große sagte, Papa, das sieht ja aus wie im Krieg hier. Wie das Dorf abgerissen wurde, da haben wir uns noch von der Straße Steine geklaut zur Erinnerung...und dann kam die Gefahr mit Horno immer näher, dagegen war nichts zu machen, in DDR Zeiten. Dann kam die Wende und ein Ministerpräsident Stolpe und der sagt, und wenn ihr mich wählt, dann bleibt Horno stehen, er wird sich dafür einsetzen. Und wir haben ihn gewählt und Horno blieb ja nicht stehen. Erzähler 1997 gab die Landesregierung grünes Licht für die Abbaggerung des sorbischen Dorfes Horno. Der damalige Ministerpräsident von Brandenburg, Manfred Stolpe, bat in Guben bei der Bevölkerung um Verständnis und versprach, dass Horno nun wirklich das letzte Dorf sei, das für den Bergbau geopfert werden würde. Die Bevölkerung nahm ihm das noch einmal ab. Das müsse man wirklich wissen, erklärt der Pfarrer Mathias Berndt, um die Enttäuschung und Wut in der Lausitz zu verstehen. Nach diesem Versprechen hätten viele in ihre Häuser investiert und einige hätten dann sogar in Atterwasch, Grabko und Kerkwitz gebaut. Wie es jetzt weiter gehe, wisse niemand. Manchmal fragt sich der Pfarrer, warum er das alles macht, bringt sein Engagement etwas, kann man sich gegen Vattenfall und die Landesregierung wehren? Hoffnung und Verzweiflung liegen bei ihm nah beieinander. Wie bei allen, die in den bedrohten Dörfern leben. O-Ton Mathias Berndt Das gibt es auch, dass Menschen krank werden, Schlafstörungen haben und Alpträume. Davon weiß ich...Dass sie sagen, was krieg ich für die Hütte cash auf die Hand und ich mache mich fort. Ich werde doch das Affentheater hier nicht weiter mitmachen...Und jetzt können sie natürlich ihre Hütte nicht verkaufen. Jetzt kommt doch keiner und sagt, ich möchte gerne ein Häuschen in Atterwasch haben. Das werden sie nicht los... O-Ton Monika Schulz Es geht um unsere Heimat und wir wollen da bleiben. Wir wollen gar keine Entschädigung, sondern wir wollen möglichst da bleiben. Und wir wollen da bleiben zu verträglichen Konditionen. Denn ich denke in Zukunft wird man viel intensiver darüber nachdenken, wie sind die Abstandsflächen? Wie sind die Bedingungen fürs Dableiben? Dass es so verträglich gestaltet wird wie nur irgendwie möglich und ich glaube, es ist nicht die Lösung wie in Griesen, dort eine große Mauer hinzubauen. Das ist ja keine 50 Meter von der Ortslage entfernt, eine große Mauer hinzustellen und das ist dann quasi für die Griesener das Ende der Welt. Das kann es eigentlich nicht sein. Erzähler Eigentlich hält die CDU-Parlamentarierin Monika Schulz es für antiquiert, im 21. Jahrhundert dem Bergbau noch Dörfer zu opfern. Um den Frieden in der Lausitz wiederherzustellen, schlägt sie vor, ein anderes, nahe gelegenes Kohlefeld auszugraben, das nicht unter Dörfern liegt. O-Ton Monika Schulz Es bedeutet immer noch einen ganz tiefen Einschnitt in die Natur, in die Wälder, in die Felder, es wird ja ganz viel Natur in Anspruch genommen dadurch, aber sie haben ja auch die Option aufgemacht, dass es Gruben gibt nach Jänschwalde Nord, die ohne Inanspruchnahme von Dörfern aufgeschlossen werden können und von daher ist für mich der Beweis noch lange nicht angetreten, dass die Notwendigkeit besteht, die Dörfer in Anspruch zu nehmen. Erzähler Ein Volksbegehren in Brandenburg gegen die neuen Tagebaue scheiterte Anfang 2009. Aber Ruhe, meint Monika Schulz, wird es trotzdem nicht mehr in der Lausitz geben. Vattenfall brauche nicht damit zu rechnen, dass die Menschen sich so einfach umsiedeln ließen. Musik O-Ton Monika Schulz Ich bleibe dabei: ich halte es nicht für zeitgemäß und ich halte es nicht für notwendig, diese Dörfer abzubaggern. Und glauben Sie mir, dafür werde ich kämpfen bis zum Schluss. Absage: Ich kämpfe bis zum Schluss! Der Streit um die Braunkohle in der Lausitz Ein Feature von Charly Kowalczyk Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2009 Es sprachen: Thomas Vogt, Robert Frank und Ilka Teichmüller Ton und Technik: Andreas Narr Regie: Heide Schwochow Redaktion: Karin Beindorff Musik 28