COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Länderreport / 25.1.2011 Seid ihr alle da ? Die Fusion zweier Theater in Niedersachsen Autorin: Susanne Schrammar Red.: C. Perez Anmoderation: Das Jahr fing gerade erst an, da klagte der Deutsche Städte- und Gemeindebund schon über ein Rekorddefizit von elf Milliarden Euro bei den Kommunen. Das war in den Jahren davor allerdings nicht anders. Die Folgen bekommt auch die Kultur zu spüren. Vor allem in Nordrhein-Westfalen wird derzeit aus Kostengründen über die Schließung von Theatern diskutiert: In der hoch verschuldeten Stadt Wuppertal steht das Theater möglicherweise vor dem Aus. Auch in Essen und Oberhausen haben die Theater große finanzielle Problemen. Kulturexperten befürchten ein Theatersterben. Doch vielleicht gibt es für das eine oder andere Theater eine andere Lö- sung als das schiere Aus. Im Nachbarland Niedersachsen hat man sich vor acht Jahren erstmals Gedanken über eine Theaterfusion der besonderen Art gemacht: Die Landesbühne Hannover und das Stadttheater Hildesheim sollten zu einem Haus verschmelzen. 2007 war es dann so weit. Die beiden Bühnen wurden zusammengelegt und das Theater für Niedersachsen kam dabei heraus. Natürlich war das problematisch und so werden Sie am Ende dieses Länder- reports auf vergleichbare Schwierigkeiten bei der deutschen Wiedervereinigung gestoßen sein. Die Sache war also nicht einfach. Susanne Schrammar hat für den Anfang Ihres Stückes bei den Be- teiligten mal ein paar Erinnerungen eingesammelt. MUSIK, DARAUF O-TÖNE ALLENDORF Ich wusste natürlich, dass sowohl das Hildesheimer Stadttheater als auch die Landesbühne immer, also in den letzten Jahren vor der Fusion mit finanziel- len Problemen zu kämpfen hatten und insofern schien diese Fusion wirklich eine gu- te Lösung zu sein/ MÄDLER Es war natürlich, dass einerseits, Leute, die an einer Landesbühne arbeiten, ganz anders denken und planen als Leute, die an einem Stadttheater arbeiten und so sucht man sich von beiden Seiten das Optimale raus und schafft dadurch was Neues/ GADE Allein der Begriff "marktgerecht zu produzieren", was für eine Landesbühne, die ihre Produkte verkaufen muss, eine Selbstverständlichkeit ist, löst bei Stadtheaterleuten zurecht einen negativen Reflex aus/ ALLENDORF Ich glaub, die Schauspieler haben es vielleicht noch am ein- fachsten gehabt, weil wir sind es gewohnt, uns in ein neues Ensemble einzufügen und wir haben uns da relativ schnell zusammen gerauft. In anderen Abteilungen ist es natürlich schwieriger. MEIER Beide Theater hatten schöne Seiten, beide haben schlechte Seiten - was jetzt geblieben ist? Wir gucken mal... MUSIK BLEIBT STEHEN, SPRECHE DRAUF 3. Mai 2006. Unter dem abendlichen Frühlingshimmel wird in Hildesheim feierlich ein Vertragsabschluss begangen. Das Orchester spielt und bunt kostümierte Opern- gestalten flattern über den Platz vor dem prächtigen Säulenportal des Stadttheaters. Gekommen sind Vertreter aus Politik und Behörden und jede Menge Menschen aus Kunst und Kultur. Auch aus dem 40 Kilometer entfernten Hannover sind einige an- gereist. Die Füllfederhalter werden gezückt und drei Unterschriften machen den Weg frei für ein neues Theater: Das Theater für Niedersachsen, kurz TfN. GADE Das Theater für Niedersachsen ist entstanden aus dem Zusammenschluss zwischen Stadttheater Hildesheim und Landesbühne Hannover. Wir nennen es im- mer Fusion, obwohl es juristisch keine Fusion ist, aber bleiben wir mal bei dem Be- griff einer Theaterfusion. Nötig war dieser Zusammenschluss deshalb, weil beide Theater vor ganz unterschiedlichen, aber doch gravierenden strukturellen Problemen standen. Und unser Ziel bei dem Zusammenschluss beider Theater war, aus zwei schwachen Theatern ein starkes zu machen. Jörg Gade, Intendant des Theaters für Niedersachsen, leitete bereits die Landes- bühne Hannover, als 2005 aus Hildesheim die ersten Überlegungen kamen, das dor- tige Stadttheater mit seinem Haus verschmelzen zu wollen. Die wachsende Finanz- not hatte beide an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gebracht: In Hildesheim drohte die Schließung einer der drei Sparten Musiktheater, Schauspiel und Ballet, bei der Landesbühne war die Eigenfinanzierungsquote schon lange viel zu hoch. Landesbühnen haben den staatlichen Auftrag, Gegenden zu bespielen, in denen kein öffentliches Theater beheimatet ist. In Niedersachsen eine wichtige Einrichtung, denn das Land hat viel Fläche und nur wenige größere Städte leisten sich eigene Spielstätten. Dass eine Landesbühne mit einem städtischen Kulturbetrieb fusioniert, hatte es bis dahin in Deutschland noch nie gegeben. Schließlich waren die beiden Häuser in ihrer Konzeption höchst unterschiedlich: das Theater mit festem Standort und Stammpublikum auf der einen und die Wanderbühne auf der anderen Seite. Doch es gab auch Überschneidungen und so hofften die Väter der Fusionsidee auf eine Kostenreduzierung durch Synergieeffekte und eine bessere Auslastung. GADE Also, wenn bisher zu Stadttheaterzeiten eine Schauspielinszenierung zehn-, zwölfmal in Hildesheim gelaufen war, dann war sie durch, dann hatte sie ihr Publi- kum erreicht. Jetzt wird dieselbe Inszenierung zehn-, zwölfmal in Hildesheim gezeigt und nochmal 15-20mal auf Tour. Das heißt, die Investition wird sehr viel besser aus- gelastet jetzt. Intendant Jörg Gade und sein Team haben sich zwei Jahre vorher Gedanken ge- macht und so sah der Fusionsplan aus: Alle drei Sparten der Hildesheimer - Musik, Schauspiel und Tanz - blieben erhalten und die Ballet-Abteilung wurde sogar zur Musical Company ausgebaut. Auch der Stammsitz der rund 300 Mitarbeiter sollte künftig in Hildesheim sein. Dafür würde der ehemalige Sitz der Landesbühne in Han- nover als Aufführungsort aufrecht erhalten. Hinzu kämen 60 Gastspielorte pro Sai- son. Die hatten durch die Fusion übrigens einen echten Vorteil: Anders als früher, wo an Gastspielorten nur Schauspiel möglich war, konnten den buchenden Kommunen jetzt auch Tanzabende, Konzerte, Opern und große Musicals angeboten werden. Doch nicht überall wurde der Zusammenschluss der Theater bejubelt. Vor allem beim Hildesheimer Publikum gab es Befürchtungen: HÖPER Wenn ein Theater, das hier fast jeden Abend gespielt hat - wir hatten, ich glaube, so 280 Vorstellungen im Jahr - dass dies Theater, wenn es a.) noch eine weitere Dauerspielstätte hat und b.) in 60 verschiedene Orte geht, dass dann hier das Theaterleben ausgedünnt wird. Dieter Höper ist Vorsitzender der Freunde des Theaters für Niedersachsen - ein Verein mit rund 300 Mitgliedern, die Spenden für das TfN einwerben und die Kinder- und Jugendarbeit finanziell stark unterstützen. Höper wohnt in Hildesheim. Seit mehr als 30 Jahren besucht der 70jährige fast jede Premiere, die im Stadttheater auf- geführt wird. Für die Hildesheimer hat das Theater vor Ort eine ganz besondere Be- deutung, sagt Höper, es ist das kulturelle Zentrum der Stadt. HÖPER Das Stadttheater ist entstanden aus einer Bürgerinitiative vor 100 Jahren und das trägt sich bis in die heutige Zeit hinein. Der Hildesheimer - der ins Theater geht, gehen ja nicht alle hin - der geht in sein Theater, in sein Stadttheater. Und würde dieses traditionsreiche Theater künftig vielleicht öfter dunkel bleiben, weil die Schauspieler oder das Orchester irgendwo mitten in Niedersachsen unterwegs sind? Eine erschreckende Vorstellung für Höper und die anderen Hildesheimer Theaterfreunde. Zumal die Befürchtung anfangs sogar eintraf: Es gab häufiger als früher spielfreie Abende in Hildesheim und sogar Premieren wurden an anderen Orten gefeiert. Unmut regte sich. Die Theaterleitung reagierte und sorgte bei der Auf- führungsplanung dafür, dass sich die Hildesheimer nicht zu kurz kamen. Und auch auf eine weitere Zuschauer-Befürchtung ging Intendant Gade noch vor Beginn der ersten Spielzeit im Sommer 2007 ein. So gab es, erzählt der 51jährige, beim Hildes- heimer Publikum die Sorge, dass durch den Zusammenschluss mit der Landesbühne das Niveau der Stücke sinken könne. GADE Allein der Begriff "marktgerecht" zu produzieren - was für eine Landesbühne, die ihre Produkte verkaufen muss und zwar zwei Jahre im Voraus an die Gastspiel- orte verkaufen muss, eine Selbstverständlichkeit ist - löst bei Stadttheaterleuten zu- recht einen negativen Reflex aus. Marktgerecht - die Hildesheimer verstanden darunter offenbar "leichte Kost" und "Boulevard". Würden schwierige Stücke nach der Fusion vermieden werden, weil sie nicht gefällig genug waren für den Geschmack der Theatergucker zwischen Bad Be- vensen und Göttingen? Solche Diskussionen habe er vor Beginn der ersten Spielzeit oft führen müssen, sagt Gade. Wenn der Intendant, jahrelanger Leiter der Landes- bühne, darüber spricht, ist noch zu spüren, dass er sich über diese Haltung geärgert hat. Und so wurde der erfahrene Theatermacher bei der Gestaltung des allersten Spielplans sogar ein bisschen bockig. GADE Irgendwann hat bei mir dann so eine Gegenreaktion eingesetzt, so dass ich im Schauspiel in der ersten Spielzeit einen sehr anspruchsvollen Spielplan hatte, den ich mir als reiner Landesbühnenchef nie getraut hätte: Wir haben eröffnet mit Familie Schroffenstein von Heinrich von Kleist, also ein sehr sperriger Kleist. Haben dann den Woyzeck in einer sehr anspruchsvollen Inszenierung rausgebracht, die Komödie fand auch keiner so richtig komisch - das Ergebnis war, dass wir unglaubliche Wi- derstände hatten und das uns so richtig um die Ohren geflogen ist - vor allem in Hildesheim. Ein Sturm der Entrüstung: Die Zuschauerzahlen gingen zurück, es hagelte tele- fonische und schriftliche Beschwerden. Auch hier reagierte die Leitung prompt: In der folgenden Spielzeit wurden mehr Klassiker und Unterhaltendes eingeplant und die Hildesheimer spendeten daraufhin wieder den gewohnten Applaus. Und für Intendant Gade blieb die Erkenntnis: GADE Das Wichtige ist, dass wir die Geschichte so erzählen, dass sie mich in Herz, Hirn und Bauch berührt. Da müssen wir nicht unterscheiden zwischen unserem Hil- desheimer Publikum und unseren Gastspielort-Publikum. Wenn's überzeugt, über- zeugt es überall. BÜHNENSZENE FRAU: Weiße Rosen sind pur und rein, rote Rosen machen mich traurig. Sie erinnern mich an meinen Ex-Mann. Möge er in Frieden ruhen - dem- nächst PUBLIKUM LACHT An diesem Abend überzeugt das Schauspiel-Ensemble des Theater für Nieder- sachsen das Publikum in Barsinghausen, einem kleinen Ort 45 Kilometer von Hil- desheim entfernt. Auf dem Programm steht "Der süßeste Wahnsinn" - eine Komödie, bei der zwischen zwei Hollywood-Diven ordentlich die Fetzen fliegen. Eine der beiden Hauptdarstellerinnen, Michaela Allendorf, sitzt anderthalb Stunden vor der Aufführung noch im Reisebus. ATMO REISEBUS Etwa 60 Gastspielorte besucht das TfN, die Theaterleute nennen solche Auftritte "Abstecher". Weil die Kommunen immer weniger Geld für Kultur ausgeben können, ist die Zahl der Buchungen im ver- gangenen Jahr leicht rückläufig, erzählt die Schauspielerin, dennoch vollführt die Theater-Dispo eine logistische Meisterleistung, um alle Gastspiele zu koordinieren. In dieser Spielzeit führen die Abstecher quer durch Niedersachsen und noch darüber hinaus: Buxtehude, Goslar, Itzehoe, Wilhelmshaven, Salzgitter, Sulingen oder Uelzen werden angesteuert. Für Allendorf und ihre Kollegen bedeutet das lange Fahrtzeiten mit einem kleinen Team, das sich aufeinander verlassen können muss. ALLENDORF Wir sitzen dann manchmal vier Stunden im Bus und auf dem Rück- weg, dann bringt jeder was zu essen mit oder wir trinken was und vor Ort muss man eben immer ganz schnell handeln, einfach gemeinsam handeln, so. Wenn z.B. die Maske kein ordentliches Licht hat, dann helfen uns die Techniker und auch die Schauspieler packen mit an, oder so. Das ist dann wirklich so ein bisschen zirkus- mäßig, dass dann wirklich alle zusammen gucken, dass der Abend gut wird. In den seltensten Fällen finden die Künstler in den Abstecherorten ein richtiges Thea- ter mit professioneller Bühne vor. Gespielt wird in Schulen, Stadthallen, Kellern, Kir- chen oder im Sommer auch in Parks. Michaela Allendorf ist das Routine. Kurz vor der Aufführung macht sie noch einen kleinen Rundgang auf der Aula-Bühne in Bar- singhausen. ALLENDORF Und dann mache ich nochmal den obligatorischen Check - mit der Tür nämlich. Vorsicht, ich komm jetzt hier ganz schnell raus. TÜR KNALLT Ja, das geht. Die quirlige 37jährige hat vor sieben Jahren an der Landesbühne Hannover an- gefangen und war dort dauernd unterwegs. Seitdem die beiden Theater fusioniert haben, halten sich bei rund 660 Vorstellungen insgesamt die Gastspiele auswärts und die Aufführungen im Stammhaus Hildesheim in etwa die Waage. Doch immerhin bis zu dreimal die Woche sitzt Schauspielerin Allendorf im Bus und kommt oft erst eine Stunde vor Spielbeginn an. Dann gilt es meist zu improvisieren: Umziehen im Klassenzimmer oder Einsingen auf der Toilette. ALLENDORF Also, als ich angefangen habe an der Landesbühne und meine ersten Abstecher hatte, dachte ich: Ich kann das nicht. Aber, wie das so ist - irgendwann macht man sich unabhängig davon und man merkt, es geht halt doch. ATMO REQUISITE Silvia Meier weiß, wovon Michaela Allendorf spricht. Die Requisiteurin hat 21 Jahre im Stadttheater Hildesheim gearbeitet, bevor sich das Haus mit der Landesbühne Hannover zusammenschloss. Die Umstellung auf den häufigen Gastspielbetrieb sei ihr besonders schwer gefallen, erzählt die 43jährige. MEIER Wir sind zwar Abstecher gefahren, aber eben nicht so. Wir sind vielleicht ein oder zweimal im Monat höchstens in große Häuser gefahren, in Ruhe, mit viel Vor- bereitungszeit, mit vielen Menschen. Also, was da wirklich auf einen zukommt, das war mir und vielen anderen so nicht so bewusst, glaube ich. Wie sieht's aus? Wie ist die Bühne aufgebaut? Man hat gar keine Zeit zu gucken, wo wird der Abgang sein. Immer wieder neu gefordert. Und das ist unglaublich anstrengend. Die Angestellten mussten sich durch den Theaterzusammenschluss auch anderen Veränderungen stellen. In der niedersächsischen Landesbühne hatten 90 Mit- arbeiter, beim Stadttheater 240 gearbeitet. Um seinen Arbeitsplatz musste niemand fürchten, denn im Fusionsvertrag waren betriebsbedingte Kündigungen aus- geschlossen worden. Einige verließen das Theater für Niedersachsen schon vor dem Start auf eigenen Wunsch und ein paar der Verträge liefen aus. So gehörten zu Beginn der ersten Spielzeit 301 Techniker, Bühnen-, Masken- und Kostümbildner, Schneider, Schauspieler, Tänzer, Musiker, Verwaltungsleute und andere zum Team des TfN. Doch das Problem in vielen Abteilungen: Durch den Zusammenschluss gab es immer jeweils zwei Personen mit Leitungsfunktion - eine aus Hannover, eine aus Hildesheim. Bei der Intendanz war das Problem schnell gelöst: der Hildesheimer Intendant hatte schon frühzeitig angekündigt, sich aus Altersgründen zurückzu- ziehen. In besonders arbeitsreichen Abteilungen wie der Bühnentechnik blieb es bei zwei Chefs, einige suchten sich neue Aufgaben außerhalb des Theaters. Andere mussten, um Kompetenzgerangel vorzubeugen, mit einer anderen Beschäftigung innerhalb des Hauses vorlieb nehmen. In der Requisite übernahm Silvia Meier die neue Leitung, die hannoversche Kollegin ging in die Abteilung Dekoration. MEIER Das war sehr schwierig und das tat mir auch leid, aber das war so eine Art Losverfahren, das war sehr belastet. Das hat, glaube ich auch, die ersten zwei Jahre belastet. Ziemlich. Aus zwei Theatern eines machen. Das ist auch im zwischenmenschlichen Bereich nicht immer ganz einfach. Wir haben uns ziemlich kritisch beäugt, gibt Silvia Meier zu, da prallten zu Beginn zwei Welten aufeinander. Die kleine eingeschworene Trup- pe der Landesbühne mit ihren flachen Hierarchien stieß auf die große Gruppe der Stadttheater-Leute, bei denen der Ton auch mal rauer wird und es noch heute vielen wichtig ist, die Dienstwege auch korrekt einzuhalten. Die Annäherung findet langsam statt. Intendant Gade. GADE In einigen Abteilungen, z.B. der Schneiderei ging's ganz schnell, da kamen schon nach einem halben Jahr die Mitarbeiter zu mir und haben gesagt: Bei uns spielt das gar keine Rolle mehr. In anderen Abteilungen ist es im Grunde genommen auch nach drei Jahren so, dass da sehr genau jeder weiß, wo der andere herkommt. Klingt ein bisschen wie bei der Deutschen Einheit, grinst Gade. Durch viele Ge- spräche und Unternehmungen wie z.B. eine gemeinsame Klettertour versucht der Intendant, das Team zusammenzubringen. Mit zunehmendem Erfolg. Doch eine ech- te Herausforderung für das Zusammenwachsen des neuen Teams bleibt das Ver- ständnis für die unterschiedlichen Arbeitsweisen der beiden Theaterformen. Besonders deutlich wird das bei der Bühnentechnik, erzählt der Intendant. Während die früheren Angehörigen des Stadttheaters großen Wert auf sehr sorgfältige Arbeit legen, ist es beim Betrieb der Landesbühne oft wichtig, improvisieren zu können. GADE In der Abteilung Beleuchtung war die Landesbühnenmannschaft zu Recht stolz darauf: Wir fahren mit zwei Mann hin in einen Abstecherort, finden dort z.B. gru- selige technische Voraussetzungen vor und können mit dem, was da ist und mit un- serem eigenen Kram zaubern. Das ist unsere Qualität, das ist unsere Stärke und das können wir. Die Stadttheater-Hildesheim-Mannschaft, die Beleuchtung, hat - mit der gleichen Berechtigung - sagen können: Was machen die denn da? Die improvisieren sich da ein zu Recht, da geht sogar der Bühnenmeister hin und richtet selber einen Scheinwerfer um, wie unprofessionell ist denn das? Eine bessere Auslastung und finanzielle Einsparungen durch Synergieeffekte - das sind die Ziele der niedersächsischen Theaterfusion - Aus zwei schwachen ein star- kes Haus machen. Und doch stand das neugegründete Theater für Niedersachsen nach nur einem dreiviertel Jahr fast vor dem Aus. Zwar waren die Zuschüsse, rund 13 Millionen Euro, die Stadt und Landkreis Hildesheim, der Zweckverband der Lan- desbühne und das Land Niedersachsen zusteuern, für einige Jahre gesichert, doch den Verträgen fehlte eine wichtige Zusicherung der Träger: Dass sie Tarif- steigerungen bei den Bediensteten ebenfalls übernehmen würden. Doch das Gegen- teil ist der Fall, die Subventionsbeträge sind gedeckelt. Und so kam die Theater- leitung 2008 in große Schwierigkeiten, als die Tariferhöhungen unerwartet hoch aus- fielen und dadurch plötzlich ein Defizit von 350.000 Euro entstand. Parallel gingen in der ersten Spielzeit die Zuschauer und damit die Einnahmen zurück und das Theater stand zudem noch mit Altschulden in der Kreide. Dem TfN drohte die Insolvenz. GADE Also, da wäre das Theater nach acht Monaten fast schon wieder tot gewesen. Wir haben das dann mithilfe der Träger überwunden diese Krise, aber das hing damit zusammen, dass die finanzielle Ausstattung deutlich unterfinanziert ist und wir vor allen Dingen nicht dauerhaft die Tarifsteigerungen, die wir nicht verhandeln, nicht zu verantworten haben, aber ausbaden müssen, die können wir nicht selber tragen. Das deutsche Theater ist nicht in der Lage seine Mittel, die es braucht, selber zu erwirt- schaften. Das entspricht nicht dem deutschen Theatersystem. Einsparungen waren von Nöten: In der Verwaltung, der Technik und der Ausstattung wurden Kosten reduziert, die Zahl der Produktionen verringert, die Schauspiel- und Musical-Ensembles verkleinert, indem auslaufende Verträge nicht wieder besetzt wurden. Auch Stellen, die aus Altersgründen frei wurden, fielen weg. Auf die eigene Spielstätte in Hannover wurde aus Kostengründen verzichtet und schließlich über- nahm Intendant Jörg Gade selbst mehr Inszenierungen, um zu sparen. GADE Und jetzt, nach drei Spielzeiten kann man auch sagen, jetzt haben wir so langsam die ersten Kinderkrankheiten einer solchen Theaterfusion überwunden und beginnen noch nicht wirklich, dass zu ernten, was wir gesät haben, aber wir können ein bisschen durchatmen. Wir sind beim Publikum sehr wohl gelitten, sowohl in Hil- desheim, als auch in unseren Gastspielorten. Wir haben in der letzten Spielzeit eine sehr positive Resonanz an den Gastspielorten bekommen und hier in Hildesheim deutlich steigende Zuschauerzahlen - insofern: im Moment stehen wir gut da. Das soll sich auch nicht ändern, wenn in diesem Jahr die Zuschüsse der öffentlichen Träger neu verhandelt werden, wünscht sich der Intendant des Theaters für Nieder- sachsen. Doch angesichts der schwierigen Haushaltslagen bei Kommunen und Land sind Kürzungen zu befürchten. GADE Was die Zukunft angeht, sind wir so auf Kante inzwischen mit der finanziellen Ausstattung, dass jede Kürzung eine massive Leistungsveränderung hätte. Also deutliche Reduzierung der Vorstellungen bis hin zu Spartenabbau und das wäre eine Tragödie, denn die Fusion hatte zum Ziel unter anderem den Erhalt des Drei- Sparten-Hauses in Hildesheim und das jetzt nach so kurzer Zeit aufzugeben, würde die ganze Fusion ad absurdum führen. Dreieinhalb Jahre liegt die Fusion zwischen der Landesbühne Hannover und dem Stadttheater Hildesheim jetzt zurück. Trotz aller Schwierigkeiten - das Team des Theaters für Niedersachsen hat in die bundesweit einmalige Fusion viel Herzblut und Engagement gesteckt. Und den Spagat geschafft, das Publikum in Hildesheim zu halten und den Zuschauern in den 60 niedersächsischen Gastspielorten mehr zu bieten als vor dem Zusammenschluss. GADE Das, was die Gründung des Theater für Niedersachsen gerade für Nieder- sachsen an positivem Impuls gebracht hat, an kultureller Qualitätssteigerung und auch Quantitätssteigerung in der Fläche, in Niedersachsen, in den vielen Gastspiel- orten vor allem, ist ein absoluter Gewinn, der nicht mehr wegzudenken ist.