COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 04. Mai 2009, 19.30 Uhr Kohlrüben und Kalter Krieg. Deutschland nach '45 - eine Dokumentation Von Wolf-Sören Treusch SPRECHER v. Dienst Kohlrüben und Kalter Krieg. Deutschland nach '45 Eine Originalton-Dokumentation von Wolf-Sören Treusch TAKE 1 (zunächst Stationszeichen 0'05, dann Radiodurchsage) 0'20 frei, dann langsam weg 20 Uhr und 3 Minuten. Reichssender Flensburg und die angeschlossenen Sender. Seit Mitternacht schweigen nun an allen Fronten die Waffen. Auf Befehl des Großadmirals hat die Wehrmacht den aussichtslos gewordenen Kampf eingestellt. Damit ist das fast sechsjährige heldenhafte Ringen zu Ende. TAKE 2 (Stalin und Churchill, bereits gemischt) 0'13 Originalton Russisch, Originalton Englisch, endet mit: ... we have never seen a greater day than this. (Jubel) TAKE 3 (Thomas Mann) 0'24 Deutsche Hörer. Wie bitter ist es, wenn der Jubel der Welt der Niederlage, der tiefsten Demütigung des eigenen Landes gilt. Freilich: die Befreiung musste von außen kommen. Ich sage, es ist trotz allem eine große Stunde: die Rückkehr Deutschlands zur Menschlichkeit. TAKE 4 (Alliierte Befehle per Megaphon ) 0'28 frei, dann drunter Alle Personen in dieser Stadt werden unverzüglich und vorbehaltlos alle Anordnungen und Befehle der alliierten Militärregierung befolgen. Schießen aus dem Hinterhalt, Sabotage und Plündern sind verboten. Auf jedes dieser Verbrechen steht die Todesstrafe. Lebensmittelgeschäfte und Lebensmittelversorgung stehen unter unserem Schutz, und Vorräte werden gleichmäßig und in gerechter Weise verteilt werden. Behalten Sie Ihre Lebensmittelkarten. TAKE 5 (Zeitzeuge Edwin Stader) 0'04 Meine Eindrücke waren: jetzt ist Ende, jetzt ist alles aus. TAKE 6 (Zeitzeuge Bader) 0'09 Man hatte eben ein paar Rüben und musste dann irgendeine Mehlsuppe machen oder sonst was. Es war eine wirklich schlimme, schlimme Zeit. TAKE 7 (Zeitzeugin Lieselotte Arnholt) 0'12 Viele waren verzweifelt, waren zwar auf der einen Seite froh, dass der Krieg zu Ende war, aber wie sollte es weitergehen. Jeder hat sich gefragt: Was kommt denn jetzt? TAKE 4 (Alliierte Befehle per Megaphon ) wieder hoch, 0'14 frei Jeder Mann, ob Deutscher oder nicht Deutscher, hat sofort nach Hause zu gehen. AUTOR 8. Mai 1945. Der Krieg ist zu Ende. Die vier Siegermächte USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich übernehmen die Oberste Regierungsgewalt. Deutschland wird in vier Besatzungszonen, Berlin in vier Sektoren aufgeteilt. Vom 7. Juli bis 2. August 1945 findet die Potsdamer Konferenz statt. Auf ihr beraten die Regierungschefs der USA, Sowjetunion und Großbritanniens das weitere Vorgehen. TAKE 8 (Volker Koop) 0'24 In Potsdam ging es im Wesentlichen darum, noch einmal die vier Kriegsziele zu bekräftigen: das war die Entmilitarisierung Deutschlands, die Zerschlagung der Kriegswirtschaft, vor allem aber auch die Entnazifizierung, und in Potsdam, und das war das Besondere, wurde zum letzten Mal von den Alliierten bekräftigt, dass man Deutschland als Ganzes weiterhin betrachtet und vor allem auch Deutschland als wirtschaftliche Einheit. TAKE 9 (Ernst Lemmer) 0'25 Die sowjetische Konzeption war nach meinem Eindruck, und ich glaube, er ist zutreffend, eine andere. Man wollte schon ein ganzes Deutschland wieder zusammenbringen, aber sich in dieser deutschen Entwicklung sowohl auf die gesellschaftliche als auch auf die staatliche Ordnung einen ganz entscheidenden Einfluss sichern. TAKE 10 (Wolfgang Leonhard) 0'53 Die Grundlinien waren: Deutschland wird auf sehr lange Zeit von den Truppen der Anti-Hitler-Koalition besetzt werden. Eine deutsche politische Tätigkeit wird nur in begrenztem Maße möglich sein. Es wird die Aufgabe der antifaschistisch- demokratischen Kräfte sein, die Maßnahmen der Besatzungsmächte zu unterstützen: und zwar in erster Linie Entmilitarisierung und Entnazifizierung. Ulbricht sagte, unsere erste Aufgabe wird sein in allen zwanzig Berliner Bezirken, antifaschistisch- demokratische Bezirksverwaltungen aufzubauen, und diese neuen politischen Bezirksverwaltungen müssen politisch richtig aufgebaut werden, und dann kam der berühmte Satz: ,es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben'. TAKE 11 (Ernst Lemmer) 0'39 Ich hatte damals den Eindruck, dass die sowjetischen Vertreter, mit denen wir zu tun hatten, denen der westlichen Siegermächte deshalb überlegen waren, weil sie eben eine ganz klare Konzeption, bestimmte Anweisungen hatten, während ich empfand, dass die Vertreter der beiden angelsächsischen Mächte, die Franzosen kamen ja überhaupt erst später, eigentlich nicht ganz wussten, was sie nun mit dem Sieg, den sie in der Tasche hatten, für die Gestaltung Europas und der Welt anfangen sollten. MUSIK 1 Refrain: In einer kleinen Rossschlächterei, da aßen wir zwei Tatar mit Trockenei. AUTOR Die Not in Deutschland ist groß. Vor allem die Städte sind durch den Luftkrieg stark zerstört. Da viele Männer noch in Kriegsgefangenschaft sind, übernehmen so genannte ,Trümmerfrauen' die Aufräumarbeiten. Viele Menschen leben in den Ruinen ihrer Häuser. Der Schwarzmarkt blüht, zu essen gibt es wenig. TAKE 12 (Andrea Schiffner) 0'11 Ich kann mich erinnern, dass ich mal geweint habe und in dieser Stube saß und gesagt habe, ich habe Hunger, ich habe Hunger, und meine Mutter sagte, ich habe nichts zu essen, ich kann dir nichts zu essen geben. TAKE 13 (Christian von Schmilewski) 0'10 Man lief immer mit irgendeinem Behältnis herum. Entweder brachte man irgendwo was hin, wollte was verkaufen oder hoffte, etwas zu erwischen, also ohne solch ein Behältnis war kaum ein Mensch unterwegs. TAKE 14 (Andrea Schiffner) 0'08 Wenn man nicht Speck und Eier oder Butter bieten konnte, bekam man auch nirgends Schuhe zu kaufen. Ich bin in Holzsandalen im Winter in die Schule gegangen. TAKE 15 (Kardinal Joseph Frings) 0'25 frei, dann drunter Umso schärfer aber sind diejenigen zu verurteilen, die die Lebensmittel, die sie erzeugt haben, unter Missachtung ihrer Ablieferungspflicht gegen überhöhte Preise oder nur gegen wertvolle Sachgegenstände veräußern. TAKE 16 (Volker Koop) 0'20 In der Anfangszeit ging es tatsächlich ums reine Überleben, dann muss man in dem Zusammenhang auch das ,Fringsen' erwähnen, es gab ja den Kölner Kardinal Frings, der ausdrücklich erlaubt hatte, in Notsituationen, hier ging es konkret um den Kohlediebstahl, aber den Diebstahl jetzt in Anführungsstriche gesetzt, ... TAKE 17 (Zeitzeuge Theodor Lassen) 0'09 An einer Hauswand stand: "Wer Gott vertraut und Kohlen klaut, der hat ne warme Bude". TAKE 18 (Volker Koop) 0'20 ... das war rein rechtlich Diebstahl, aber hier war es überlebensnotwendig, und deshalb hat es ja auch den kirchlichen Segen erhalten, wenngleich derselbe Kardinal genötigt war, kurz darauf zu erklären, das sei kein Freibrief gewesen für allgemeines Stehlen. TAKE 15 (Kardinal Joseph Frings) wieder hoch, 0'08 frei Möge das kommende Weihnachtsfest uns in solcher Gesinnung erneuern und befestigen. TAKE 19 (Reporter) 0'21 Das Feuerloch des ersten Zuges, des ersten Personenzuges, der wieder von Aachen nach Köln direkte Strecke fährt, ist geöffnet, und der Heizer wirft die Nahrung für unsere Lok hinein für den nächsten Teil der Strecke. Aachen-Köln, die direkte Strecke ist wieder in Betrieb. (Hupen und Schnaufen) TAKE 20 (Volker Koop) 0'48 Die Verkehrsinfrastruktur war ein Bereich, wo alle Alliierten schon 1945 zugesehen haben, dass die wieder repariert werden, dass die Kriegsschäden behoben werden, dass die Flüsse schiffbar gemacht werden, dass Brücken gebaut werden. Die Amerikaner brauchten Autobahnen, Eisenbahnen, um von den Häfen an der Nordsee ihre Truppen in Bayern versorgen zu können oder in Hessen. Und die Sowjetunion brauchte Eisenbahnen in Richtung Osten, um ihre Truppen zu befördern und Reparationsgüter und anderes in die Sowjetunion zu bringen. Und von daher war es pures Eigeninteresse, dass die Verkehrsinfrastruktur in allen vier Besatzungszonen relativ früh wieder funktionierte. AUTOR Seit Herbst 1945 demontieren die Alliierten, wie im Potsdamer Abkommen festgelegt, große deutsche Industriebetriebe und solche, die für die Kriegswirtschaft wichtig waren. Allein in der Sowjetischen Besatzungszone werden in den ersten zwölf Monaten etwa 1.000 Industrieanlagen demontiert. TAKE 21 (Volker Koop) 1'18 Mit der abstrusen Folge, dass beispielsweise Kohlebergwerke in die Sowjetunion geschafft wurden, dort aber nicht sachgerecht wieder aufgebaut wurden, auf der anderen Seite fehlten in der sowjetischen Besatzungszone Elektrizitätswerke, es fehlte Strom. Dann hat man andere Werke demontiert und an die Stelle der demontierten gesetzt, das war also ein fürchterliches Durcheinander, und der wirtschaftliche Misserfolg war damit vorprogrammiert. Der Sowjetunion war die Möglichkeit eingeräumt worden, auch in den Westzonen zu demontieren, weil es in der SBZ eigentlich nicht genügend Werke gab, das wurde dann 1946 von den Amerikanern gestoppt. Die Amerikaner selbst haben sich zwar auch an die Demontagepläne gehalten, aber die demontierten Werke einer Internationalen Agentur in Brüssel überlassen, die die demontierten Werke und Maschinen an andere Länder verteilt hat. Die Franzosen haben kräftig demontiert und diese Dinge ins eigene Land geschafft, die Briten waren relativ zurückhaltend, sie haben nicht in diesem Ausmaß demontiert und zerstört wie die anderen. ATMO 1 (Lied 'Brüder zur Sonne, zur Freiheit') kurz frei, dann langsam weg TAKE 22 (Walter Ulbricht) 0'10 Wir wollen, dass als Garantie für diese demokratische Entwicklung die Einheit der Arbeiterklasse in kürzester Frist durchgeführt wird. (Applaus) AUTOR Schon bald nach Kriegsende sind in allen vier Besatzungszonen wieder demokratische Parteien zugelassen. Im Januar 1946 wird in den Städten und Gemeinden der US-amerikanischen Zone gewählt - es sind die ersten freien und geheimen Wahlen auf deutschem Boden seit dem Ende der Weimarer Republik. Im April 1946 vereinigen sich in der Sowjetischen Besatzungszone auf Druck der dortigen Militäradministration KPD und SPD zur SED, zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. TAKE 23 (Zeitzeuge Bader) 0'29 Stellen Sie sich vor, die Scheinwerfer auf der großen leeren Bühne gehen an. Von links kam der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschlands, Wilhelm Pieck, von rechts der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Otto Grotewohl. Und sie gehen bis in die Mitte und gründen ihr Parteiabzeichen, nämlich die beiden ineinander verschlungenen Hände ... TAKE 24 (Walter Ulbricht) 0'26 Genossen, in Deutschland, dem Geburtsland der Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus, Karl Marx und Friedrich Engels, wird jetzt die große Lehre unserer Altmeister zum Inhalt des Kampfes und der Arbeit der großen Sozialistischen Einheitspartei werden. (Jubel) TAKE 25 (Zeitzeuge Bader) 0'09 ... und Jubel und Tränen bei den über tausend Delegierten, denn jetzt war die Einheit der Arbeiterklasse geschaffen. Und das behaupteten die Veranstalter. TAKE 26 (Walter Ulbricht) 0'10 Mit dem heutigen Tag gibt es keine Sozialdemokraten und keine Kommunisten mehr, mit dem heutigen Tag gibt es nur noch Sozialisten! (Jubel) TAKE 27 (Wolfgang Leonhard) 0'23 Da gab es damals 680 Delegierte von den Sozialdemokraten und 620 von den Kommunisten, ausgehend von den offiziellen Mitgliedsziffern: 680.000 Sozialdemokraten, 620.000 Kommunisten, und drei Jahre später erfahren wir durch Grotewohl, dass 140.000 Mitglieder der Kommunisten hinzugefälscht worden sind. TAKE 28 (Walter Ulbricht) 0'06 Mit uns das Volk, mit uns der Sieg! (Jubel) ATMO 1 (Lied 'Brüder zur Sonne, zur Freiheit') schon drunter, auf Schluss TAKE 29 (Volker Koop) 0'34 Gerade in den Westzonen hat man nach dem Krieg wichtige Posten: Bürgermeister, Landräte und ähnliche Ämter mit Antifaschisten besetzt, dann kam der Kalte Krieg, und die westlichen Alliierten, vor allem die Amerikaner haben festgestellt: ,Um Gottes Willen, da sitzen ja Antifaschisten, Kommunisten, dann sind uns die alten Nazis doch lieber', man hat also dann die Antifaschisten aus den Ämtern entfernt und dafür frühere Nationalsozialisten dort installiert. MUSIK 2 kurz frei, dann drunter ... die ganze Altstadt, die ist kaputt, und wo man hinschaut, da liegt nur Schutt, doch so ein Aufbau, der ist schnell, eventuell, ... AUTOR Deutschland leidet weiter unter den Kriegsfolgen. Die tägliche Lebensmittelration liegt bei etwa 1.000 Kalorien. Im Sommer 1946 trifft das erste Care-Paket in Deutschland ein. US-amerikanische Wohlfahrtsverbände schicken Lebensmittel, Kleidung oder Werkzeuge. MUSIK 2 hoch auf Schluss Text: ... doch der Wiederaufbau, der ist schnell, eventuell. TAKE 30 (Reporter) 0'12 Wir befinden uns im Württembergischen Staatstheater in Stuttgart, wo der Außenminister der Vereinigten Staaten von Amerika, James Byrnes, zu den Ehrengästen der militärischen und deutschen Regierung sprechen wird. TAKE 31 (James Byrnes) 0'46 Wir haben gelernt, dass Frieden und Wohlergehen unteilbar sind und dass Frieden und Wohlergehen in unserem Land nicht auf Kosten des Friedens und Wohlergehens eines anderen Landes erkauft werden können. Und das ist auch der Gang der Entwicklung, den die amerikanische Regierung mit ihrer ganzen Autorität verfolgen wird. Sie hat offiziell die Absicht ausgedrückt, die Wirtschaft ihrer eigenen Zone mit einer oder allen anderen zu vereinigen, die hierzu bereit sind. Bis jetzt hat sich nur die britische Regierung bereit erklärt, mit ihrer Zone daran teilzunehmen. TAKE 32 (Volker Koop) 0'58 Die Gründung der Bizone: hier ging es mehr oder weniger darum, dass die Amerikaner den Briten wirtschaftliche Hilfe zukommen lassen mussten, Großbritannien war völlig überfordert mit dem Unterhalt seiner Truppen in Deutschland, und Großbritannien musste auch erhebliche Mittel in Wiederaufbau, Versorgung und Ernährung der Deutschen leisten, und durch die Bildung der Bizone wurde Großbritannien in diesem Punkt entlastet. Für die Menschen selbst bedeutete es eine Reihe von Erleichterungen: es gab damals erhebliche Handelsbeschränkungen, denn die Ländergrenzen zumindest zwischen den einzelnen Besatzungszonen, die waren ja nicht so leicht zu überschreiten wie heute: da waren Einfuhrgenehmigungen zu erteilen, Einfuhrzölle und anderes, also es gab erhebliche Handelshemmnisse, und die wurden aufgehoben durch die Bizone. TAKE 33 (James Byrnes) 0'37 Die Freiheit, an welche die Amerikaner glauben und für die sie kämpfen, ist eine Freiheit, an der alle teilhaben sollen, die gewillt sind, die Freiheit anderer zu achten. (Applaus) Das amerikanische Volk wünscht, dem deutschen Volk die Regierung Deutschlands zurückzugeben. Das amerikanische Volk will dem deutschen Volke helfen, seinen Weg zurückzufinden zu einem ehrenvollen Platz unter den freien und friedliebenden Nationen der Welt. (Applaus) ATMO 2 (Amerikanische Nationalhymne aus Staatstheater) TAKE 34 (Reporter) 0'22 Der Winter steht vor der Tür, ... TAKE 35 (Ansager) 0'13 Über Nordrussland liegt ein Hochdruckgebiet, dem fortwährend kalte Luftmassen entströmen, die bis nach Holland und Nordfrankreich vordringen. TAKE 36 (Reporter) ... Millionen Menschen sind der bittersten Not preisgegeben. Sie haben keine Kleider, keine Schuhe, keine ausreichende Nahrung, kein Brennmaterial. TAKE 37 (Ansager) Durch starke Abkühlung der über Russland liegenden Schneedecke kommt es zu Temperaturen im Allgemeinen um minus 15 Grad. TAKE 38 (Reporter) Millionen dieser Armen sind Kinder jeden Alters. SPRECHERIN 1 (Tagebucheintrag Gertrud Meineke) ca. 0'17 9. Januar 47. Die Kälte soll noch bis zum 10. Februar dauern. Strom war nur eine knappe Stunde. Frühstück: Etwas mehr wie ein Teller Mehlsuppe mit Milchpulver und eine Schnitte. Mittagessen: 1 bis 2 Teller Kohlrüben. TAKE 39 (Volker Koop) 0'37 Wenn man komplette Kohlrüben bekommen hatte, dann war das sicher eine Seltenheit, wer Glück hatte, wurde von den Bauern noch mal auf die Felder gelassen und konnte stoppeln gehen, und zusehen, ob da nicht doch noch irgendwo eine halbe Kartoffel, eine halbe Steckrübe oder Ähren aufzusammeln waren. SPRECHERIN 1 (Tagebucheintrag Gertrud Meineke) ca. 0'09 Abendbrot: Pellkartoffeln mit Spinat und Pilzmehlsoße. Der Spinat roch sehr faulig. Der Geschmack war jedoch gut. TAKE 40 (Arzt Dr. Beckwitz) In das Krankenhaus aufgenommen wurden wegen schwerer Erfrierungen 177 Personen, ... SPRECHERIN 2 (aus: Ruth Andreas-Friedrich, Schauplatz Berlin) 0'15 Wieder sinkt das verfluchte Thermometer. Eine Kältewelle löst die andere ab. Stromabschaltungen acht bis zehn Stunden am Tag. Wer heute noch heizen kann, heizt "schwarz". Verschwindend wenige können schwarz heizen. TAKE 41 (Arzt Dr. Beckwitz) ... in ambulanter Behandlung wegen Erfrierungen befanden sich am 15. Januar nicht weniger als 17.244 Personen. SPRECHERIN 2 (aus: Ruth Andreas-Friedrich, Schauplatz Berlin) 0'15 Mit dürren Worten melden die Zeitungen: "Verhungert und erfroren wurden in ihren Betten aufgefunden ... der dreiundsiebzigjährige Rentner Gerhard Z. ..., die neunundfünfzigjährige Bertha O. ..., der einjährige Joachim D. TAKE 42 (Arzt Dr. Beckwitz) 0'09 Unvermeidlich ist es, dass Erkältungskrankheiten und Lungenentzündungen viel häufiger zum tödlichen Ausgang führen müssen, wenn eine Vorsorge für geheizte Räume nicht möglich ist. TAKE 43 (Zeitzeugin Lieselotte Arnholt) 0'10 Auf dem Ofen hatten wir Ziegelsteine gelegt. Die mussten warm werden. Die wurden in Zeitungspapier gewickelt. Die nahm man mit ins Bett, damit man sich wärmen konnte. Es war schon sehr schlimm. MUSIK 3 (Hans Albers aus: ,Über uns der Himmel') kurz frei, dann drunter Text: der Sturm jagt das Sandkorn weiter, ... TAKE 44 (Reinhold Maier, Ministerpräsident Wü-Ba) 0'14 Meine verehrten Hörerinnen und Hörer. Noch immer weist sich der Winter als strenger Herr. Die Not des deutschen Volkes ist durch dieses Naturereignis nochmals beträchtlich gestiegen. MUSIK 3 (Hans Albers aus: ,Über uns der Himmel') wieder hoch Refrain: ... was soll nun werden, es muss doch weiter gehen, es bleibt ja Hoffnung für uns genug bestehen, wir fangen alle von vorne an, weil dieses Dasein auch schön sein kann. AUTOR Der Winter 1946/47 ist einer der kältesten Mitteleuropas. Eis und Schnee legen den Verkehr weitgehend lahm. Getreidelieferungen aus den USA liegen in den Häfen der Westzonen fest, Kartoffelsonderlieferungen für das Ruhrgebiet kommen erfroren an. In der Sowjetischen Besatzungszone verzichtet die dortige Militäradministration auf Reparationslieferungen aus der Konsumgüterindustrie und gibt das Ende der Demontagen bekannt. Seit 1. Januar 1947 bilden die amerikanische und die britische Zone die so genannte Bizone. TAKE 45 (Ansager) 0'09 Der Kollege Kummernuss, Vorsitzender des Ortsausschusses des Deutschen Gewerkschaftsbundes Hamburg spricht jetzt zu euch. TAKE 46 (Adolf Kummernuss, DGB) 0'14 Wir fordern: Erstens: Hamburg und das Ruhrgebiet, die ohne eigene Versorgungsmöglichkeiten sind, müssen zum Notstandsgebiet erklärt werden. TAKE 47 (Volker Koop) 0'35 1945, 1946 hat kein Deutscher daran gedacht, gegen die Alliierten, gegen die Siegermacht, gegen die Besatzermacht zu demonstrieren, aber 1947 war das Bewusstsein dann doch so weit entwickelt, dass es häufig Massenproteste gegeben hat, gerade im Ruhrgebiet, auch in Hamburg, an denen sich Hunderttausende beteiligt haben, etwas was man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann, dass die Deutschen schon wieder soweit waren, überhaupt zu demonstrieren. TAKE 48 (Adolf Kummernuss, DGB) 0'30 Zweitens: wir fordern: das Landeswirtschaftsamt muss in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften sofort alle in Hamburg und Umgebung befindlichen Lager überholen, um die dort gehorteten Lebensmittel der Bevölkerung unverzüglich zuzuführen. Um damit ein Verschieben auf dem Schwarzen Markte zu verhindern. TAKE 49 (Reinhold Maier, Ministerpräsident Wü-Ba) 0'10 Wir können zu dem Industrieprogramm, das zunächst die Kohleförderung begünstigt und dann die Exportindustrie, Vertrauen haben. SPRECHER 1 (aus: Wirtschaftszeitung, Januar 1947) ca. 0'30 Ich verdiene pro Schicht 8 Mark 40, meine täglichen Ausgaben betragen 3 Mark 40, für die verbleibenden 5 Mark kann ich mir auf dem Schwarzmarkt zwei Zigaretten kaufen, die eigentlich nur 12 Pfennig wert sind. Also verdiene ich de facto nur 3 Mark 52. Meine vier Hühner jedoch legen täglich drei Eier. Für die ich auf dem Schwarzmarkt 15 Mark bekomme. Solange meine Hühner mehr verdienen als ich, komme ich nicht mehr zur Arbeit. TAKE 50 (Reinhold Maier, Ministerpräsident Wü-Ba) 0'48 Ist es nicht ein außerhalb jeglicher menschlicher Berechnung stehender außerordentlicher Glücksfall, dass in diesen Tagen von USA eine Industrieankurbelungsanleihe von einer Milliarde Dollar angeregt zu Lasten eines noch nicht existenten Schuldners, nämlich einer zukünftigen deutschen Zentralregierung, vorgeschlagen wird? Gewiss: wir werden vor einem ordentlichen Frieden zu keiner normalen, erst recht nicht blühenden Wirtschaft gelangen. Solange werden wir bestenfalls vegetieren. Vegetieren ist aber immerhin besser als untergehen. TAKE 51 (George Marshall, [CD 3'10]) 0'11 frei, dann drunter The economy of the United States is ... to all. It's logical, that the United States should do what it's able to do. ... TAKE 52 (Volker Koop) 0'27 Mit dem Marshall-Plan wurde in der Tat der Wiederaufbau, der wirtschaftliche, Westdeutschlands eingeleitet, es ging ausdrücklich darum, mit dem Marshall-Plan den amerikanischen Steuerzahler zu entlasten und Westdeutschland als Bollwerk gegen den Kommunismus aufzubauen, das ging aber nur mit einer Bevölkerung, die sich halbwegs wohl fühlt, und dafür brauchte es einen gewissen Wohlstand. TAKE 53 (George Marshall [CD 3'24) kurz frei, dann drunter Our policy is not against any country or ... SPRECHER 2 ca. 0'21 Unsere Politik richtet sich nicht gegen ein bestimmtes Land oder gegen eine bestimmte Ideologie, sie richtet sich gegen Hunger, Armut, Verzweiflung und Chaos. Ihr einziger Zweck ist die Wiederherstellung einer funktionsfähigen Weltwirtschaft, die wiederum politische und soziale Bedingungen schafft, in der freie Institutionen gedeihen können. TAKE 53 (George Marshall) kurz hoch und weg TAKE 54 (Volker Koop) 0'25 ...der wirtschaftliche Aufschwung, man sagt immer, der kam mit der D-Mark, Voraussetzung war der Marshall-Plan, mit dem dann die Industrie wieder in Gang kam, mit dem die Infrastruktur wieder aufgebaut werden konnte, es wurden ja mit Marshall-Plan-Mitteln Wohnsiedlungen errichtet usw., das ist ja ein sehr vielfältiges Feld, ... TAKE 55 (George Marshall [CD 0'00]) 0'05 I need not to tell you, that the world situation is very serious. TAKE 56 (Volker Koop) 0'06 ... aber: Der Kalte Krieg war zu dieser Zeit eigentlich wirklich schon in vollem Gange. AUTOR Zum offenen Bruch zwischen Ost und West kommt es am selben Tag, an dem US- Außenminister George Marshall das Wirtschaftsaufbauprogramm für Europa fordert. Noch bevor die Ministerpräsidentenkonferenz in München am 6. Juni 1947 beginnt, verlässt die Delegation aus der Sowjetischen Besatzungszone das Treffen. TAKE 57 (Hans Ehard, Ministerpräsident Bayern) 0'21 Trotz der Aufteilung Deutschlands in vier Zonen geben wir keinen Teil des deutschen Vaterlandes auf. Trotz des Weggangs der Ministerpräsidenten der Ostzone bleiben wir auch diesem Teil Deutschlands zutiefst verbunden. (Applaus) TAKE 58 (Volker Koop) 0'32 Die Ministerpräsidenten der SBZ-Länder und -Provinzen waren mit einem Programm angereist, was der Westen nicht erfüllen konnte, nämlich ein einheitliches Deutschland unter kommunistischen Vorzeichen. Wenn man mit einem solchen Programm, mit solchen Forderungen zu einer Konferenz nach München reist, dann weiß man von vorn herein, dass diese Forderungen nicht angenommen werden können und provoziert ganz bewusst auch das Scheitern auf der einen Seite, ... TAKE 59 (Hans Ehard, Ministerpräsident Bayern) 0'11 Den deutschen Osten und Berlin betrachten wir als lebenswichtige Bestandteile Deutschlands. (Applaus) TAKE 60 (Volker Koop) 0'12 ... und hat auf der anderen Seite den Schwarzen Peter bei den westlichen Ministerpräsidenten, die überhaupt nicht daran dachten, solche Forderungen zu diskutieren. TAKE 61 (Hans Ehard, Ministerpräsident Bayern) 0'24 Man hat hier und da die Frage aufgeworfen, ob die deutschen Ministerpräsidenten überhaupt zuständig seien für die Beratung solcher Maßnahmen für ganz Deutschland. Ich möchte die Gegenfrage stellen: wer anders sollte denn zuständig sein als die aufgrund demokratischer Wahlen verfassungsmäßig zur Verantwortung berufenen Mandatare des Volkes, die zugleich Exponenten der Volksvertretungen und der großen Parteien sind? TAKE 62 (Volker Koop) 0'11 Sowohl die östlichen Ministerpräsidenten wie die westlichen waren ja Marionetten, Schachfiguren oder sonst was ihrer jeweiligen Besatzungsmacht. TAKE 63 (Louise Schröder, Bürgermeisterin Berlin) 0'26 Ein großer Schatten ist auf die Konferenz gefallen, nämlich der Schatten, dass ein Teil der Teilnehmer abgereist ist, ehe überhaupt die sachlichen Beratungen begonnen haben. Der tiefste Grund ist wahrscheinlich der, dass wir, die wir äußerlich und innerlich so zerrüttet und zerrissen worden sind, uns noch nicht wieder voll und ganz verstehen. TAKE 64 (Volker Koop) 0'40 Mit München war es dann allen und endgültig klar, nach München wurden auf der westlichen Seite dann die Anstrengungen, die Bemühungen zur Bildung der Trizone forciert, es hat hier einige Zeit gedauert, bis die Amerikaner auch die Franzosen so weit hatten, dass sie dieser Trizone zustimmten, aber Ausgangspunkt, jetzt nicht nur hinter den Kulissen, sondern auch offen anzustreben einen Weststaat, dafür war sicherlich München der Ausgangspunkt. SPRECHER v. Dienst Kohlrüben und Kalter Krieg. Deutschland nach '45 Eine Dokumentation von Wolf-Sören Treusch - mit Originaltönen u.a. des Historikers Volker Koop und des Publizisten Wolfgang Leonhard Ton: Ralf Perz Regie: Clarisse Cossais Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2009 1