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Ja, für beides, Weihnachten und Nikolaus. Wen wollen Sie damit beglücken? Meinen kleinen Sohn und meinen Mann. Was haben Sie ihnen besorgt? Ach, Handtücher und nen schönen Pulli, ne Mütze und ne Trinkflasche, ja, n paar verschiedene Kleinigkeiten noch. Autor: Die Arena des Hamburger Sportvereins liegt im Stadtteil Stellingen. Hier arbeitet der Mann, der bestimmt, welche Fanartikel in das Sortiment des Erstligisten aufgenommen werden. Timo Kraus, Leiter der Abteilung Merchandising/Lizenzen beim HSV. Take 2 (0:25) Kraus: Der Renner ist das Trikot. Das ist natürlich das Produkt schlechthin, wo der Fan sich mit dem Verein identifiziert, aber auch mit dem Spieler, und das ist ja das, worum es sich dreht. Wenn die Mannschaft funktioniert, wenn wir Spieler haben, die herausstechen, dann ist das natürlich ein Motivationsschub, noch mehr, ein Produkt, sprich: das Trikot zu kaufen, und das ist wirklich so das Highlight, das wir haben. Autor: Je beliebter ein Spieler, je größer sein Charisma, desto häufiger wird sein Trikot von den Fans nachgefragt. Take 3 (0:10) Kraus: Sie können sich vorstellen, dass durchaus der Holländer van der Vaart der mit Abstand meistverkaufte Spieler ist aktuell. Atmo 1: Ladengeräusche Take 4 (0:20) Geschwindner: Ja, das Trikot ist über die ganzen Jahre immer der erfolgreichste Artikel geblieben, weil es einfach das Symbol für jede Saison ist. Dieses Jahr besonders schön mit der Fahne pur erstmalig, hat das Logo abgelöst. Im klassischen blau-weißen Design, ist natürlich der Renner. Aber ansonsten sind auch die Klassiker Schals, Caps, Tassen immer noch vorn dabei. Autor: Sebastian Geschwindner, Leiter Merchandising und Lizenzen bei Hertha BSC. Auch im Fanshop von Berlin ambitioniertenm Zweitliga-Spitzenklub in der Geschäftsstelle des Vereins ist kurz vor Weihnachten mehr los als gewöhnlich. Take 5 (0:30) Geschwindner: Hier zu unserer Linken haben wir unsere kleine Weihnachtsecke. Wir haben hier neben dem typischen Nikolaus-Schokolade, den wir jedes Jahr im Angebot haben, auch Weihnachtsbaumkugeln. Seit letztem Jahr auch eine spezielle Weihnachts-Badeente, ein ganz witziger Artikel und natürlich das obligatorische Geschenkpapier, Weihnachtstassen, Weihnachtsschokolade, also da gibt's ganz viel auch auf Weihnachten abgestimmt, das sich immer als Geschenkidee gut verkauft. Aber auch hier drüben zum Beispiel die modische Kollektion an T-Shirts, an Polo-Shirts sind auch gern gesehene Geschenke. Autor: Und natürlich der unvermeidliche Gartenzwerg, aber den haben sie glaube ich inzwischen alle im Sortiment - immer in den Vereinsfarben... Take 6 (0:25) Geschwindner: Ja, ich glaub, es gibt n großes Sortiment, was alle Vereine mittlerweile haben. Der Gartenzwerg gehört seit zwei, drei Jahren dazu. Wir haben mittlerweile nen neuen Gartenzwerg, zusammen mit der Siegessäule, um son bisschen den Brückenschlag zur Stadt Berlin hinzuwagen. Und der kommt auch sensationell an. Auch jetzt im Winter, was ja jetzt nicht die typische Gartenzwerg-Saison ist, wird der sehr gut verkauft. Autor: Egal, ob Trikots, Badeenten oder Gartenzwerge - das Geschäft mit dem Verkauf von Fanartikeln boomt. Und ist inzwischen für die Vereine zu einer relevanten wirtschaftlichen Größe geworden. Florian Oedinger, Chef vom Dienst beim Sponsors Magazin. Take 7 (0:24) Oedinger: Wenn man sich die letzten zehn Jahre betrachtet, da sind die jährlichen Merchandising- Umsätze der drei höchsten Fußballligen um fast 100 Millionen Euro gestiegen. Man kann sagen: Noch nie haben Klubs so viel Geld mit Fanartikeln verdient. Insider schätzen, dass die Erlöse im deutschen Profifußball derzeit bei rund 170 Millionen Euro liegen. D.h., ja, kann man durchaus von ner substantiellen Erlösquelle sprechen. Autor: Das Unternehmen Sponsors gilt als führender deutschsprachiger Anbieter von Informationen im Sportbusiness. Take 8 (0:25) Oedinger: Wenn man die Gesamtumsätze heranzieht, sind es rund fünf Prozent, die Merchandising ausmacht. Sicherlich dann nach Marketing-, Sponsoring-Einnahmen, der Spieltag als solcher mit Ticketing-Einnahmen, ja sicherlich auch den Umsätzen, die im Stadion getätigt werden, ist dann noch vorne dran. Aber fünf Prozent haben oder nicht haben ist schon ein Wort. Autor: Die Agentur PR-Marketing bezifferte in der Saison 2010/11 den Anteil des Fan- Artikelverkaufs am Gesamtumsatz sogar auf 7,6 Prozent. In der Branche erwartet man auch künftig satte Zuwachsraten. Take 9 (0:17) Geschwindner: Die große Expansion war so Ende der 90er Jahre ungefähr, wo Merchandising in den Vereinen immer wichtiger wurde und eben auch aus Erlössicht n wichtiges Standbein geworden ist. Ist aber auch immer noch auf dem Vormarsch, nicht nur bei uns, sondern auch bei allen anderen Vereinen wird Merchandising immer wichtiger. Autor: Meint Sebastian Geschwindner von Hertha BSC. Allerdings verteilt sich der Geldsegen höchst unterschiedlich. Von den vor einem Jahr erzielten 170 Millionen Euro Gesamtumsatz entfielen allein 150 Millionen auf die 18 Klubs der Ersten Bundesliga. Und auch innerhalb der Eliteklasse des deutschen Profifußballs herrscht ein großes Gefälle. Take 10 (0:35) Oedinger: Wenn man die Umsätze im Merchandising ankuckt, klar: Bayern München hat da mit 40 Millionen Euro Merchandising-Einnahmen zuletzt, natürlich ist da ne Klasse für sich, was natürlich die internationalen Erfolge auch eingebracht haben und auch im Ausland die Merchandising-Umsätze, die da generiert werden, da sind sicherlich andere deutsche Klubs auch noch weit hintendran. Trotzdem sind Vereine wie Dortmund, wie Schalke, wie der 1. FC Köln, der trotz seinem Abstieg jetzt immer noch treue Fans hat, die Farbe bekennen, sind da sehr erfolgreich. Autor: Längst wandern nicht mehr nur klassische Artikel wie Trikots, Schals und Mützen über die Ladentische. Von diesen selbstgenügsamen Zeiten ist man inzwischen weit entfernt. Take 11 (0:19) Oedinger: Die Fanartikel-Kataloge haben inzwischen Umfänge von Telefonbüchern, und die Klubs haben da natürlich auch über Lizenzpartner inzwischen erkannt, dass die Produktpalette unglaublich breit aufgestellt werden kann, weil einfach auch in jedem Bereich Nachfrage nach originellen Produkten ist. Musik 1: Vereinshymne St. Pauli oder ACDC "Hells Bells" Autor: Unter den größten Umsatzbringern befindet sich auch der Zweitligist FC St. Pauli. Nach dem Aufstieg in die Erste Bundesliga 2010 stürmte der Kiezklub vorübergehend sogar die Top-Five des bundesdeutschen Fanartikel-Verkaufs. Die exklusiven Verwertungsrechte für alle Merchandising-Artikel des FC St. Pauli besitzt die Firma upsolut merchandising. Take 12 (0:35) Lüttmer: Es gibt n relativ festen Vertrag. Der Verein hat über seine zehnprozentige Beteiligung an der Gesellschaft (...) zehn Prozent an den Erlösen der Gesamtgesellschaft, erhält aber vorab 20 Prozent Lizenzerlös. (...) Je nach Brutto-Rechnung zwischen 30 und 35 Prozent des Erlöses gehen an den FC St. Pauli. Das ist so etwa die Summe, um die es geht. Die landläufig gern kommunizierten 10 Prozent sind wirklich nur Firmenbeteiligung. Die Lizenzerlöse sind vorab deutlich höher. Das ist aber nicht umsatzbedingt, sondern Basis des Vertrages. Autor: Hendrik Lüttmer, Leiter Produkt- und Markenkommunikation von upsolut merchandising. Der Vertrag stammt aus der Zeit, als die Kiezkicker finanziell arg in der Klemme steckten. Um den Konkurs zu vermeiden, sah sich die Klubleitung von St. Pauli genötigt, im Jahr 2003 den größten Teil der Merchandising-Rechte gegen Zahlung einer größeren Summe zu verkaufen. Ein Deal, der ihnen inzwischen angesichts des boomenden Fanartikel-Geschäfts ein wenig im Magen liegt. Normalerweise läuft das Business anders, erklärt Florian Oedinger von Sports. Take 13 (0:35) Oedinger Das normale Modell ist sicherlich, dass der Verein sein Merchandising in eigener Regie betreibt, sicherlich dann Lizenzpartner dafür heranzieht und natürlich dann federführend mit dem Ausrüster zusammenarbeitet. Der natürlich dann genauso wie Dienstleister von steigenden Umsätzen profitiert, aber der Verein hat dann auch nen gewissen Prozentsatz, der dann in dem Vertrag jeweils festgelegt ist, der natürlich dann bei ihm verbleibt, abzüglich der Kosten, die dann ein Ausrüster hat, abzüglich auch der Gewinnbeteiligung. Autor: Die Fußball-Fankultur Hamburgs lebt stark vom Gegensatz zwischen dem arrivierten, immer erstklassig spielenden HSV und den Kiezkickern von St. Pauli. Mochten die Underdogs vom Millerntor sportlich auch gelegentlich in die Regionalliga abrutschen: Der Identifikation der St. Paulianer mit ihrem Klub tat dies keinen Abbruch. Take 14 (0:40) Lüttmer: Der Verein kann nicht ohne den Stadtteil und der Stadtteil nicht ohne den Verein, das beides gehört zusammen. Der Stadtteil St. Pauli hat sich in den letzten 20, 30 Jahren genauso entwickelt wie der Verein - vom kleinen Arbeiterviertel mit Hafenanbindung und Rotlichtmilieu zu einer gigantischen Amüsiermeile in der Mitte des Stadtteils. Aber auch zu einem in den 90ern und Beginn des Zweitausender eigentlich eher sone alternative und Musikszene, unglaublich viele Musiklabels, Musikkulturen, Subkulturen - das ist einfach ne in sich geschlossene Welt , die kann man auch nicht 1:1 auf andere Vereine übertragen. Autor: Das gilt auch für das Merchandising-Geschäft. Bei den meisten Klubs existiert eine klare Relation zwischen sportlichem Erfolg und Fanartikel-Umsätzen. Je besser der Tabellenstand, desto süßer klingeln die Kassen. Die Anhänger des FC St. Pauli dagegen mobilisierten gerade in Krisenzeiten immer wieder alle Kräfte für ihren Klub. So etwa, als im Jahr 2002 mehr als 140.000 so genannte "Retter"-T-Shirts verkauft wurden und rund 900.000 Euro Nettoerlöse in die klammen Kassen spülten. Legendär und immer noch im Angebot ist auch das T-Shirt mit der Aufschrift "Weltpokalsiegerbesieger". Eine Erinnerung an den 6.Februar 2002, als der FC St. Pauli als Tabellenletzter den ruhmreichen FC Bayern München im Stadion am Millerntor mit 2:1 nach Hause schickte. Das populärste Textil ist allerdings ein anderes. Take 15 (0:24) Lüttmer: Seit Jahren immer wieder das klassische Totenkopf-Shirt. Das ist son bisschen der Che Guevara im Fußball. Der funktioniert auch genauso wie Che Guevara. Ist immer seit Jahren der stärkste Artikel gewesen. Natürlich vor zehn Jahren, als die Retter-Zeit war, war kurzfristig das mal anders. Aber eigentlich traditionell ist alles, was im Totenkopf- Textilbereich ist, sind unsere stärksten Artikel. Das ist so, auch stärker als das Trikot. Atmo 2, ein paar Sekunden stehen lassen, dann unterlegen Autor: Reeperbahn 63 - 65. Hier, mitten auf der Vergnügungsmeile, eingezwängt zwischen Amüsierlokalen und Tätowierstudios, befindet sich der Fanshop des FC St. Pauli. Patrick, ein Mittdreißiger im leicht abgerissenen Schlabberlook, betrachtet unschlüssig die vor ihm aufgereihten Textilien Take 16 (0:50) Dialog mit Patrick: Ich wollt jetzt einfach erst Mal kucken, was es vielleicht Neues gibt an T-Shirts, Pullovern oder sowas, was ich noch nicht habe, und das möchte ich mir bei Gelegenheit auch holen. Autor: Wie kamen eigentlich St. Pauli und der Totenkopf zusammen? Upsolut-Manager Lüttmer weiß darauf gleich zwei Antworten. Take 18 (0:40) Lüttmer: Das ist ja so die Legende von Doc Mabuse, dem Bewohner der Hafenstraße, der sich die Fahne an den Besenstil geplackert hat und ins Stadion gegangen ist. Das ist sozusagen der Ursprung, damit auch die Verbindungslinie Hafenstraße - FC St. Pauli sehr eng geknüpft. Der Totenkopf selber, so wie er heute existiert, wurde in einer Druckerei auf St. Pauli, in der Druckerei Taxman 1989/90 irgendwann erstmalig gedruckt und wurde die ersten Jahre ausschließlich über das Fanprojekt im Fanladen verkauft. Der Verein hat das dann irgendwann gemerkt, was fürn Potential da drin steckt, und hat 1998 die Markenrechte daran erworben, und seitdem ist es einmal mehr, mal weniger offizielles Vereinslogo. Autor: Ein Logo, um das viele Vereine den FC St. Pauli beneiden dürften. Timo Kraus vom HSV würde so etwas natürlich niemals zugeben. Auch das HSV-Logo, so bekräftigt er, sei eine der wenigen Marken, die ohne jeden Zusatz funktioniere. Take 19 (0:22) Kraus: Wir haben die Raute, die wirklich einzigartig erscheint. Wir haben keine Abkürzung des Vereinsnamen, wir haben keine Zahlen und andere Symbole, und das ist eigentlich das, wo wir Wert drauf legen, diese Marke entsprechend weiter zu tragen, um dieses Symbol in alle Munde zu bekommen. Autor: In jüngerer Zeit bemühen sich die Klubs, jenseits der Hardcore-Fans und treuen Stadiongänger neue Kundschaft zu erschließen. Das belegt ein flüchtiger Blick in die Fanshops. Eine attraktive Zielgruppe sind vor allem weibliche Fans und Sympathisanten. Auch hier profilierte sich der FC St. Pauli früh als Trendsetter. Als einer der ersten Vereine erweiterte er sein Standardsortiment über Trikots, Schals und Mützen um eine Modelinie. Aber St. Pauli wäre nicht der Kiezklub, wenn er dabei die üblichen Stereotypen bedienen würde. Take 20 (0:35) Lüttmer: Das ist alles farblich doch eher der Männerwelt angepasst. Das heißt, wir haben eher einen eigenständigen Frauenanteil, während viele andere Vereine doch eher so klassisch in die Farbbereiche rosa und glitzer übergehen. Da hat man eher das Gefühl, da wird sozusagen der weibliche Anteil an Fans mitgenommen und bedient, und wir haben das sozusagen als eigene Zielgruppe. Eher bedienen wir sie ähnlich wie männliche Fans. Sind aber farblich komplett anders aufgestellt. Weil wir (...) uns im textilen Bereich eher als Streetwear, als Textilmarke, also Modemarke, als Stadtteilmarke vor allen Dingen sehen, und weniger als reine Fußballfan-Merchandising-Marke. Autor: Im Klartext: Der Kiez-Klub bedient mit seinem Streetwear-Textilangebot die Bedürfnisse der toughen St. Pauli-Braut, die kein Mäuschen in rosa sein möchte. Allerdings wirkt die auf grau, schwarz, braun reduzierte Farbpalette reichlich düster. Die Revierklubs Schalke 04 und Borussia Dortmund agieren ästhetisch kühner: Statt Königsblau tragen die Knappen-Damen auch schon mal Marine mit rosa Ornament. Und die Borussia, traditionell im Kartoffelkäfer- Look, hat für Damen pinke Poloshirts mit dezentem Klubwappen im Angebot. Das Ganze nennt sich im Marketing-Sprech: Stadionferne Fanartikel. Dass Ausflüge in die Modewelt riskant sein können, weiß auch HSV-Merchandiser Timo Kraus. Take 21 (0:25) Kraus: Das ist son schmaler Grat. Weil wenn man versucht, modische Aspekte irgendwo zu integrieren, hat das natürlich auch viel damit zu tun, wie platziere ich meine Marke oder mein Logo. Da geht's über Farbwelten etc., und da wird man natürlich auch von Grund auf irgendwo eingeschränkt, weil bestimmte Farben beim HSV als Beispiel einfach nicht möglich sind umzusetzen, auch wenn es trendige, modische Farben wären. Autor: Zwar dürfte auf lange Sicht das Trikot die umsatzstärkste Textilie bleiben. Aber da viele Vereine die Freizeit-Kollektionen ausbauen wollen, wird deren Bedeutung weiter zunehmen. Auch beim Hauptstadtklub Hertha BSC, bestätigt Sebastian Geschwindner. Take 22 (0:30) Geschwindner: Wir haben ja ursprünglich angefangen mit ganz klassischen blau-weißen Textilien, Fantextilien, T-Shirts, die groß das Logo drauf hatten. Irgendwann haben wir festgestellt, dass Hertha BSC auch eine Marke ist, die man durchaus auch in der Freizeit, beispielsweise abends im Biergarten oder in der Kneipe anziehen kann. Dann will man möglicherweise nicht gleich so auffallen als Hertha-Fan, sondern möchte es dann dezent haben, und dadurch gibt's eben auch T-Shirts in dezenteren Farben: schwarz, grau. Wir haben auch schon mit anderen Farben ein bisschen herumexperimentiert-. Aber ne modische Linie gibt es auch und die rundet das Sortiment ab. Autor: Eine Entwicklung, die auch Matthias Benesch mit Interesse verfolgt. Benesch arbeitet in der PR-Abteilung von 11freunde, dem Magazin für Fußballkultur. Take 23 (0:16) Benesch: Da wird auch viel mit modernen Schnitten gearbeitet. Das sind nicht mehr nur so einfache T- Shirts, die labbrig runter hängen, sondern das ist dann auch mal figurbetont, mit Motiven, wo das Vereinslogo auch mal n bisschen individueller, moderner eingebunden ist. Das beobachtet man schon sehr, sehr stark. Autor: Auch wer nicht regelmäßig zum Fußball gehe, könne auf diese Weise mit unaufdringlich konzipierten Accessoires Farbe bekennen. Take 24 (0:20) Benesch: Es gibt nicht nur diese bunten Fanschals, mittlerweile hat auch jeder Verein son Nadelstreifen-Schal im Angebot, wo nur noch ganz klein unten das Logo eingestickt ist. Das ist für die dezenteren Typen, die sich trotzdem mit ihrem Verein identifizieren, auch ne gute Sache. Autor: Und noch etwas ist dem 11freunde-Mann aufgefallen. Take 25 (0:19) Benesch: Was man verstärkt beobachtet, sind so viele Retro-Kollektionen, hab ich Gefühl, dass die Leute auch angesprochen werden sollen mit bestimmten Looks aus den 80ern, wie sie auch in der Mode wieder adaptiert werden, ne ganz normale Modeerscheinung, die dann wieder auch vom Merchandising adaptiert wird und verarbeitet wird. Autor: Selbst 11freunde hat in begrenztem Umfang eine Art Modelinie aufgebaut. Natürlich nicht als Sympathiebekundung für einem bestimmten Verein. Eher als eine Art fanpolitisches Bekenntnis. Take 26 (0:10) Benesch: Wir haben zum Beispiel T-Shirts und Pullover mit so ner stilisierten Stehplatztribüne, was einfach so als Statement funktioniert. Ja, ich steh halt noch im Stadion, und ich steh gerne dort. Autor: Umgekehrt erscheint die Halbwertzeit von Trikots, die mit dem Namenszug des Lieblingsstars beflockt sind, oft erschütternd kurz. Take 27 (0:25) Oedinger: Das stimmt, wobei man sagen muss: Es gibt natürlich die Kulttrikots, auch von ehemaligen Spielern, die dann immer getragen werden können. Ein Raul auf Schalke, da wird man wahrscheinlich auch noch in 20 Jahren mit ins Stadion kommen können, ohne sich böse Blicke einzufangen. Bei anderen Spielern, die im schlimmsten Fall vielleicht noch zu nem Konkurrenten gewechselt sind, sollte man sich überlegen, ob man das Trikot nicht lieber im Schrank hängen lässt. Autor: Wer heute mit einem Simunic-Trikot ins Berliner Olympiastadion aufkreuzte, dürfte allenfalls nostalgische Gefühle auslösen. Das gilt natürlich nicht für ein per Textil formuliertes Bekenntnis zu Rafael van der Vaart. Er hat seit seiner Rückkehr zum HSV erheblich dazu beigetragen, den Merchandising-Umsatz des Klubs wieder anzukurbeln. Und auch nach Asien haben die Hamburger ihre Fühler ausgestreckt. Timo Kraus: Take 28 (0:20) Kraus: Wir haben bei uns den Spieler Son aus Südkorea, der natürlich auch ein gewisses Potential in den Ländern oder in Südkorea selber natürlich auch entwickelt. Durchaus sind das Effekte, die man dann natürlich auch mitnutzt und ausnutzt. Ob das aber unter dem Strich das Argument ist, einen solchen Spieler zu kaufen, das entscheidet natürlich die sportliche Führung. Autor: International gibt es noch spektakulärere Fälle lukrativer Trikotvermarktungen. Take 29 (0:45) Oedinger: Es wird immer aus der Vergangenheit das Beispiel Cristiano Ronaldo bemüht, der dann bei Real Madrid unmittelbar nach seiner Verpflichtung - 1,2 Millionen Trikots wurden von Cristiano Ronaldo dann verkauft, was, wenn man die Ablösesumme, die bei ihm bei 94 Millionen Euro gelegen hat, betrachtet, und nen Stückpreis von 90 Euro pro Trikot heranzieht, hat der da schon nen beträchtlichen Teil seiner Ablöse wieder eingespielt. Auch wenn natürlich das Geld nicht 1:1 beim Klub landet, sondern auch Ausrüster und Dienstleister partizipieren am Erfolg. Aber das zeigt durchaus ne Überlegung, die bei den Vereinen auch ne Rolle spielt: N Starspieler kann auch n Teil dazu beitragen, über Merchandising die Ablöse zu refinanzieren. Musik - Schalke-Lied "Blau und weiß" Autor: In der St. Pauli-Kneipe am Millerntor treffen wir Artur aus Gelsenkirchen. Er betreut die Schalker Fans, die zum Auswärtsspiel gegen den HSV angereist sind. Sein Outfit: blauweißes Sweatshirt, Mütze, ein Schal mit dem Slogan "Schalke 04 - Eine Liebe, die niemals endet!" Take 30 (0:40) Artur: Trikot hat man immer dabei, Schal hat man dabei, also so, wie man ins Stadion geht. Sweatshirt, Trikot, T-Shirt, das hat man schon. Es gibt Gartenzwerge, Tassen, Stifte -so weit geht deine Verrücktheit nicht? Na, ich hab schon n Teil daheimstehen, so wie viele von uns, das ist so. Wühl mal den Schalke-Katalog durch, dann wirst du schon die richtigen passenden Sachen finden. Ach, Jesses, ich weiß nicht: Tassen, Becher, Wimpel, Fahnen, Schals - ja alles - Gartenzwerg, Teddybär, das is so. Musik - Schalke-Lied Take 31 (0:20) Oedinger: Der Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt. Vom Toaster, der das Vereinsemblem in den Toast brennt über Bettwäsche und sogar Autos, die in den Vereinsfarben beklebt werden können, sind da wirklich keine Grenzen gesetzt. Autor: 140 Seiten stark ist der Schalker Fan-Katalog der laufenden Saison. Die Merchandising- Verantwortlichen des Revierklubs beuten die Bergmann-Folklore weidlich aus. Da gibt es "Malocher"- und "Kumpeline"-T-Shirts, eine Retro-Reihe wartet mit Shirts auf, die an die Kluft ehemaliger Schalker Helden wie Stan Libuda, Klaus Fischer oder Bernie Klodt erinnern. Girls tragen rosa Strampler mit der Aufschrift "Glücksfee", Jungs lassen eher in königsblau den "Teamchef" raushängen. Speziell für den Nachwuchs gibt's ein reiches Sortiment: Vom Schalke-Schnuller über die Stehauftasse Erwin bis zum Baby-Lätzchen mit dem schönen Schriftzug "Latzwart". Bewusst spielen die Schalker ihre regionale Identität als Malocher- Klub aus dem Ruhrgebiet auch bei den Fanartikeln aus. Beim Hauptstadtklub Hertha BSC erscheint der Markenkern nicht ganz so klar definiert. Take 32 (0:17) Gschwindner: Wir haben ja im Stadion einen Querschnitt durch die ganze Bevölkerung, sodass man ja eigentlich nicht sagen kann: Es geht jetzt konkret auf eine Zielgruppe oder auf einen Schlag Mensch. Wir haben von der Golf-Kollektion bis zum 15-Euro-T-Shirt alles im Sortiment, und da findet sich glaube ich auch jeder wieder. Autor: Golf-Zubehör mit Vereinslogo bietet auch der HSV an. Für den FC St. Pauli käme so etwas kaum in Frage. Die besondere Klientel des Kiezklubs ordnet derlei Luxusartikel wohl eher den allenfalls geduldeten Besuchern der VIP-Tribüne zu. Upsolut-Manager Lüttmer stellt klar: Take 33 (0:25) Lüttmer: Was den gesamten Hartwarenbereich angeht, sind wir eher dezenter. Ich muss sagen, wir haben vielleicht nicht die einzelnen Produkte, sondern in sich die Produktvielfalt. Wir haben ein oder zwei Feuerzeuge, andere haben gern mal 10 oder 12 Feuerzeuge. Klassisches Beispiel, was wir definitiv nicht haben, sind Uhren. Uhren funktionieren bei uns überhaupt nicht. Die funktionieren bei fast allen Vereinen, bei uns gar nicht. Das sind halt so Alleinstellungsmerkmale, die auch son bisschen in die Richtung deuten, wie der Verein und die Fanstruktur des jeweiligen Vereins tickt. Da muss man sich n büschen drauf einstellen. Atmo 2 Autor: Zurück im St. Pauli-Shop an der Reeperbahn. Vor der Vitrine mit ausgesuchten Fanartikeln kommen wir mit einem eleganten Mittfünfziger ins Gespräch. Take 34 (0:45) St. Pauli Shop: Wir sehen Tassen, Brotdose, Aschenbecher, Müsli - was ganz Gesundes - selbst n Barkeeper kann sich hier eindecken, ein Mix-Gerät, Und hier oben haben wir die Kuriositäten. Krawatte. Die seh ich ab und zu auch bei Hamburger Geschäftsleuten, wenn die dann ihre Totenkopfkrawatte tragen, wahrscheinlich, wenn St. Pauli gerade spielt, vermut ich mal. Würden Sie sich sone kackbraune Ente in die Badewanne setzen? Gute Frage. Also mittlerweile nicht mehr. Also son Quietscheentchen, ich glaube Ernie und Bert hatte ich mal, aber die sind jetzt mittlerweile wirklich untergegangen, erneuern wollte ich sie eigentlich nicht mehr... Atmo 1 Take 35 (0:15) Benesch: Diese Badeenten sieht man auch überall, ich glaube sogar, dass die ganz gut laufen, wobei das fast unverständlich ist, wie man sowas zu Hause in seinem Badezimmer haben kann. Aber ich glaube, das ist zum Beispiel etwas, was als Geschenkartikel einfach nur witzig gemeint ist und auch dementsprechend funktioniert. Autor: Matthias Benesch von "11freunde". Auch das Magazin für Fußballkultur hat eine kleine, aber feine Auswahl von Fanartikeln im Angebot. Take 36 (0:24) Benesch: Bei uns isses natürlich immer so, dass wir vereinsunabhängig sind. Nichtsdestotrotz adaptieren wir natürlich auch gewisse Sachen. Wir haben eine Tasse, wo "Ich möchte nicht über das letzte Wochenende sprechen" draufsteht. Und diese Tasse ist halt perfekt, wenn der Verein am Wochenende verloren hat und man am Montag damit im Büro aufschlagen kann, und son bisschen signalisieren kann: Sprecht mich bloß nicht drauf an. Autor: Geschickterweise gibt es diese Tassen dann doch in verschiedenen Farben. Ein bisschen Vereinsbezug muss schließlich dann doch sein. Take 37 (0:20) Benesch: Was seit Jahren gut läuft, sind zum Beispiel auch unsere Frühstücksbrettchen, wo wir berühmte Tore - die Frühstücksbrettchen-Reihe heißt auch "Jahrhunderttore" nochmal als Spielzüge aufzeichnen, so mit Kreidezeichnungen - und das sind zum Beispiel auch Artikel, die sehr gut funktionieren. Autor: So können "11freunde"-Leser sich zum Beispiel beim Frühstück noch mal an Zinedine Zidanes genialem Siegtor im Champions-League-Finale 2002 gegen Bayer Leverkusen erfreuen. Musik: Hertha-Hymne im Stadion: Autor: Immer wieder werden den Klubs Artikelideen angeboten, die sie ins Grübeln bringen. Hertha- BSC-Mann Geschwindner weiß ein Lied davon zu singen. Take 38 (0:25) Geschwindner: Wir hatten da ganz verrückte Sachen, vor kurzem beispielsweise Knäufel für Möbel, also zum Aufziehen der Schränke. Da sind nette Ideen dabei, aber oftmals fehlt's da einfach an der praktischen Umsetzung. An dem Beispiel haben wir Schränke in verschiedenen Holztönen mit 30, 40 verschiedenen Knäufen, die die man anbringen könnte. Da ist es einfach schwierig mit der Umsetzung im Fanshop. Autor: Auch andere Projekte wurden nach kurzer Testphase wieder verworfen. Take 39 (0:20) Geschwindner: Es gab mal vor einigen Jahren, ich glaube auch von allen Vereinen, Kondome beispielsweise. Das ist ne Sache, die würden wir jetzt nicht mehr machen. Es kann schnell Konsequenzen haben. Der Sicherheitsaspekt muss natürlich vorne vor stehen, das ist wichtig, dass kein Schaden durch unsere Fanartikel angerichtet wird. Deswegen muss man da n bisschen aufpassen. Autor: Aufpassen müssen die Klubs auch aus einem anderen Grund. Jeder Urlauber kennt sie, die billigen Plagiate von Vereinsschals und Trikots, die weltweit vor Stadien und auf Flohmärkten feilgeboten werden. Wie viele Einnahmen den Klubs auf diese Weise durch die Lappen gehen, lässt sich nicht einmal annähernd schätzen. Markenpiraterie - in Zeiten der Globalisierung für die Vereine ein kaum einzudämmendes Ärgernis. Take 40 (0:20) Geschwindner: Wir versuchen immer, gerade bei Portalen wie e-Bay, zu scannen, was passiert da gerade? Wird da möglicherweise in unserem Namen etwas verkauft. Ich glaube, dass es andere Vereine da noch mal stärker getroffen hat. Jetzt denk ich mal an die großen (...) wie Bayern München oder Borussia Dortmund. Letzten Endes haben wir natürlich damit auch zu kämpfen. Autor: Stark trifft es ironischerweise auch den Klub, der die Piraterie gewissermaßen schon im inoffiziellen Vereinslogo verkörpert. Take 41 (0:24) Lüttmer: Alle vier, fünf Jahre hat man das Gefühl, die Welt wird überschwemmt von Totenköpfen, ob das jetzt im Rahmen der "Fluch-der-Karibik"-Filme ist oder ähnlichen Geschichten. Totenköpfe ziehen ähnlich wie n Camouflage-Muster, findet man immer wieder. Dementsprechend ist den vielen, denen ich nichts Böses will, nicht unbedingt bewusst, dass diese Marke eingetragen und geschützt ist in der Kombination, Totenkopf und St. Pauli. Vielen anderen ist es durchaus bewusst und sie nutzen es aus. Autor: Früher waren die Vereine weitgehend machtlos angesichts der Flut von Plagiaten. Das digitale Zeitalter sorgt indes für mehr Transparenz, auch auf dem Schwarzen Markt. Ohnehin gehört dem Internet als modernem Vertriebsweg die Zukunft. Sponsors-Redakteur Florian Oedinger: Take 42 (0:35) Oedinger: Inzwischen werden im Schnitt ein Viertel der Umsätze der Klubs der Ersten und Zweiten Bundesliga über den klubeigenen Online-Shop getätigt. Es ist eben so, dass man von der ganzen Welt darauf zugreifen kann. Der Vertriebskanal wird sicher immer wichtiger. Was hinzu kommt, ist das Thema Social-Media-Plattformen, also über Facebook das aktuelle Trikot nicht nur per Bild zu zeigen, sondern auch die direkte Möglichkeit zu geben, es zu kaufen. Autor: Das Netz erweitert aber auch die Möglichkeiten der Fans, sich zur Politik ihrer Vereine zu äußern. Telefonbuchdicke Fanartikel-Kataloge, schicke Modelinien, Ausbau von VIP-Lounges - manchem Hardcore-Fan geht diese Entwicklung zu weit. Vor zwei Jahren regte sich erster Protest. Damals unterzeichnete Tausende von Anhängern des FC St. Pauli eine Internet- Petition gegen die in ihren Augen drohende Kommerzialisierung des Vereins. Hendrik Lüttmer von upsolut merchandising fühlt sich nicht angesprochen. Take 43 (0:15) Lüttmer: Wir sind ein kommerzielles Unternehmen, wir sollen Geld verdienen für den FC St. Pauli, aber auch für uns. Da gibt es immer sone Grenze, wo hört der Kommerz auf und wo fängt der Kult an oder umgekehrt. Ich glaube, dass das, was in der Fanszene passiert ist, nicht unbedingt direkt was mit uns zu tun hat. Autor: Tatsächlich richtete sich der Protest der St. Pauli-Fans seinerzeit hauptsächlich gegen den Ausbau der Business-Seats im Stadion am Millerntor und fragwürdige Amüsiereinlagen für die betuchten Besucher der Luxuslogen. Einstweilen handelt es sich nur nur um Einzelerscheinungen bei wenigen Klubs. Dennoch sei Vorsicht angebracht, warnt Florian Oedinger. Take 44 (0:35) Oedinger: Die Vereine müssen da sicherlich aufpassen, dass sie in ihrem Bestreben, ihre wirtschaftlichen Erlöse zu maximieren, nicht die eigenen Werte über Bord werfen und dadurch auch die Marke auf Dauer verwässern. Weil n Klub wie der FC St. Pauli lebt natürlich von seinen Fans und von der Stimmung im Stadion, und von der Identifikation der Fans mit der Marke. Deswegen muss man da als Vermarkter sehr sensibel sein und da auch sicherlich das Rad nicht überdrehen. Musik, Abspann 15