DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 23.02.2010 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 ? 20.00 Uhr "Im Kleinen sind wir sehr lebendig" Pastor Kemper und das "Wunder von Marxloh" Von Thomas Hartwig URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - O-TON PASTOR KEMPER Marxloh war von Anfang an eine Stelle mit hohen Herausforderungscharakter [...] also von meiner Einschätzung [...] geht's anders zu als in anderen Stadtteilen oder Gemeinden wegen des hohen Ausländeranteils, wegen der vielen [...] sozial schwachen Familien, Hartz IV-Empfänger und so weiter. Und es stellt sich ja die Frage, wie wir diesen [...] Herausforderungen als Kirche zukünftig begegnen [...] mit einer Gemeinde, die immer älter und immer kleiner wird. O-TON ZEHRA YILMAZ Und vielleicht wissen Sie, dass hier gegenüber auf dem [...] brach liegenden Feld Teile aus dem Film "Das Wunder von Bern" gedreht wurden, vor der Kulisse der Zechenhäuser. Und der Herr ...sagte dann in seiner Ansprache, "da drüben entstand 'Das Wunder von Bern' und hier entsteht 'Das Wunder von Marxloh'". Und das fanden wir so toll, dass wir das als Überschrift für unser Projekt hier genannt haben und die Medien sprechen vom "Wunder von Marxloh", weil es hier so allgemein keine Proteste gegen den Moscheebau gegeben hat. O-TON JÜNGERE KATHOLIKIN Ich erlebe einfach die türkischen Mitbürger und Mitbürgerinnen in unserem Viertel sehr differenziert. Da gibt es türkische Leute, die sehr gepflegt sind, die wirklich Bildungsniveau haben, die 'ne Souveränität ausstrahlen. Und es gibt auch die, die ganz offen Drogen nehmen, die einen anpumpen, die auch vor einem hinrotzen und sagen: "Eh, gib mal Geld für die Moschee!" O-TON JUNGE KATHOLISCHE MUTTER Das ist nicht zu übersehen, da kann man nicht so tun, als gäbe das nicht, als hätte das keine Relevanz, und ich finde, dass die Moschee eine sehr gute Öffentlichkeitsarbeit macht und sehr gut und plausibel ihren Gästen vor Augen führt, [...] warum die da auch so viel Geld investiert haben, warum die sich da engagieren, warum sie ihren Glauben ... für Relevant halten. [...] Da müssen wir uns was einfallen lassen als Christen. ANSAGE: "Im Kleinen sind wir sehr lebendig." Pastor Kemper und das "Wunder von Marxloh" Ein Feature von Thomas Hartwig ATMO Fahrgeräusche Straßenbahn AUTOR Juli 2009. Ein heißer Sommertag in Duisburg. Ich fahre vom Hauptbahnhof mit der Straßenbahn nach Marxloh, vorbei am Hafen Ruhrort, durch die Altstadt von Laar und Beeck. Je mehr ich mich Marxloh nähere, desto deutlicher fallen die vielen leer stehenden Geschäfte und Wohnungen auf. Die Bahn fährt vorbei an riesigen Industrieanlagen von Thyssen/Krupp mit der Kokerei in Bruckhausen. Marxloh gehört zu Duisburg-Hamborn und liegt im Nordosten. Dahinter beginnt Oberhausen. ATMO Straßenbahnfahrt, Gong, Ansage: "Nächste Haltestelle: Marxloh Pollmann", Stadtverkehr AUTOR Ich bin im Zentrum von Marxloh angekommen. Es fällt gleich ins Auge, dass das Straßenbild von Türken geprägt wird: Frauen mit und ohne Kopftuch, unzählige türkische Brautgeschäfte dicht nebeneinander, Friseure, Reisebüros, Restaurants, Obst- und Gemüseläden. Man kann hier von einer türkischen Enklave sprechen. Nur am Bebel-Platz gibt es noch zwei deutsche Einkaufszentren und Billigläden für Bekleidung, Lebensmittel und Drogerieartikel. O-TON PASTOR KEMPER Den Menschen wurde hier sozusagen, [...] ohne dass sie weggezogen sind, sind sie in die Fremde geraten. Der Stadtteil hat sich so verändert, dass sie hier fremd wurden und mit dieser äußeren Entfremdung, also viele deutsche Geschäfte gingen hier ein und [...] deswegen veränderte sich hier sehr stark das Umfeld. Hausgemeinschaften brachen auf und wurden international und so weiter. Und diese ganze Entfremdung hat sich, glaube ich, bei vielen so ausgedrückt, dass sie so an innerer Beheimatung, an innerem, also auch am inneren Selbstwertgefühl, Selbstbewusstsein. [...] dass sie da geschwächt wurden, das geschwächt empfunden haben. AUTOR Marxloh hat 18 000 Einwohner. Etwa 10 000 sind Einwanderer oder wurden hier geboren und stammen aus Migrantenfamilien. Menschen türkischer Herkunft dominieren ganz offensichtlich. Ende Oktober 2008 wurde auf dem Gelände der ehemaligen Zechenkantine die Merkez-Moschee eingeweiht. Sie zählt zu den größten Moscheen in Deutschland. Bis zu 1200 Gläubige finden darin Platz. Zur Merkez-Moschee gehört auch eine Bildungs- und Begegnungsstätte. Fast ein Steinwurf entfernt, steht die katholische Kirche Sankt Peter. O-TON JÜNGERE KATHOLIKIN Also bedrohlich erlebe ich es nicht. Was ich wohl in meinem ersten Jahr, wo ich hier war, seltsam fand oder befremdlich fand, aber in sich stimmig, aber für mich neu war, dass zum Beispiel im Advent nicht die sonst übliche Beleuchtung, Dekoration der Städte auf der Weseler Straße war. Also, das ist mir einfach aufgefallen. [...] Traurig finde ich oft, wenn ich nur noch türkische Worte stehen, die ich nicht lesen kann. Wo ich nicht weiß, worauf die hinweisen. Das ist schon so'n Teil, den finde ich wirklich schade. Also, dass ich da als Deutsche lebe, da sind viele türkische Geschäfte, und ich kann nicht mehr lesen, was da steht. AUTOR Die junge Katholikin ist erst vor zwei Jahren nach Marxloh gezogen, "um zwischen den Leuten zu wohnen", wie sie sagt. O-TON PASTOR KEMPER In der Tat begegnen uns viele Muslime ... sehr selbstbewusst. Und das macht manchen Angst, solange er nicht sich selbst seiner inneren Kräfte eingedenk wird und sich vergewissern kann, ich hab einen gesunden Glauben und einen [...] nicht nur gesunden Menschenverstand, sondern auch ein gesundes Selbstbewusstsein und kann mich auf Augenhöhe auch mit Muslimen zusammen und auch auseinandersetzen. ATMO Fahrgeräusche; Blinker AUTOR Mit Pastor Michael Kemper auf dem Weg in den Stadtteil Sankt Konrad, in dem auch eine gleichnamige Kirche steht. Sie ist gute fünf Autominuten von der großen katholischen Kirche Sankt Peter entfernt. Wir fahren am großen Moscheegebäude vorbei. Von hier ist der Kirchturm von Sankt Peter zu sehen, der die alten Zechenhäuser überragt, mit ihren schmutzigen Fassaden vom Ruß der Jahrhunderte getränkt, Spiegelbild des Kohlebergbaus und der Stahlindustrie. Der Stadtteil Sankt Konrad gehört zu Marxloh. O-TON PASTOR KEMPER Es gibt dort keinen Konsum. [...] Kein Geschäft, es gibt dort ganz wenig Punkte, wo Menschen sich treffen können. [...] Also, die Kirche und unser Gemeinderaum und bis vor kurzem auch der Kindergarten dort, das war ein Treffpunkt für Menschen. Ansonsten gibt es sie kaum. Es ist ganz merkwürdig, also, [...] ein Stadtteil auch, der sehr stark schrumpft von der Einwohnerzahl her. Als ich vor fünf Jahren, fast sechs Jahren kam, lebten dort noch ungefähr 1400 Katholiken in dieser ehemaligen Gemeinde Sankt Konrad. Heute sind es um die 750. [...] Ganze Häuserzeilen, die leer stehen. AUTOR Nachdem es in anderen Städten so erbitterte Auseinandersetzungen um Moscheebauten gegeben hatte, wollte ich wissen, warum das in Marxloh anders war. Michael Kemper war einverstanden, dass ich ihn mehrere Monate begleite. Von Anfang an war er mir sympathisch, weil er offen über seine Arbeit erzählte. Der rundliche Pastor ist 49 Jahre alt und hat neun Jahre in der Jugendseelsorge im Bistum Essen gearbeitet. Kemper macht auf mich den Eindruck eines Menschen, der in sich ruht und gut zuhören kann. Das schüttere Haar steht im Gegensatz zu seinem jugendlichen Gesicht und den wachen Augen, die neugierig und offen das Gegenüber mustern. O-TON PASTOR KEMPER Es ist einfach, ist 'ne Entwicklung, die hier, wie auch anders im Ruhrgebiet voranschreitet. Für die Menschen ist es natürlich schon deprimierend. Sie fragen sich, wie geht das weiter? [...] Menschen erleben dass Kontakte, Bekanntschaften, Freundschaften manchmal [...] ja, sich auflösen, weil jemand wegzieht zu den Kindern aufs Land. Sie gehen ins benachbarte südliche Münsterland, ne. [...] Da [...] haben die Menschen schon dran zu knacken. Natürlich ist damit auch die Frage verbunden, wie lange bleibt noch hier eine katholische Kirche offen? Wie lange haben wir noch einen Raum wo sich hier Christen treffen können. ATMO Handbremse wird angezogen, Haltegurte klicken, Kirchenglocke läutet, Schritte O-TON PASTOR KEMPER Willkommen in Sankt Konrad. In diesem Kindergarten haben wir vor kurzem, vor den Sommerferien, das katholische Personal verabschiedet. Der geht jetzt über an die Stadt, sie führt ihn weiter, immerhin und Gott sei Dank. ATMO Glocke, Orgelmusik AUTOR Pünktlich um 17:00 Uhr, wie jeden Samstag, beginnt die Heilige Messe. Etwa fünfzig Gläubige, überwiegend alte Menschen, verlieren sich im Kirchenraum. 250 Gläubige hätten hier Platz. Sankt Konrad wurde 1953 gebaut, in einer Zeit, die vom wirtschaftlichen Aufstieg und Optimismus geprägt war, Aufbruch in eine prosperierende Zukunft mit einer stetig wachsenden Gemeinde. Die Kirche besticht durch ihre schlichte Innenausstattung und die farbigen Kirchenfenster mit Motiven aus der Bibel. O-TON PASTOR KEMPER Besinnen wir uns einen Augenblick auf die Frage hin: Was beschäftigt und bewegt uns im Moment am meisten? Was bringen wir mit aus den vergangenen Tagen, aus der vergangenen Woche an Freude, an Dank, an Sorge, an Fragen. Besinnen wir uns einen Augenblick in Stille vor Gott. AUTOR Die Stille wird nach einer Minute von einem Kirchenlied abgelöst. ATMO PASTOR KEMPER+GEMEINDE SINGEN "Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren! So wie Seele vereint mit den himmlischen Chören. Kommet zu Hauf, Psalter und Harfe wacht auf, laßet den Lobgesang hören." O-TON PASTOR KEMPER Im 15. Kapitel, in der Abendmahlsrede Jesu, die Johannes ganz ausführlich überliefert, ist davon die Rede, wie Jesus sagt: "Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch". Das Bild vom Weinstock, das Sie alle kennen, bringt dies bildhaft zum Ausdruck. Wer nicht in mir bleibt und in dem ich nicht bleibe, der bringt keine Frucht. [...] Und dann etwas weiter, an anderer Stelle: "Bleibt in der Liebe, dann bleibe ich in euch". AUTOR Während der Predigt schreit immer wieder ein kleines Baby an der Schulter seiner Mutter. Sie versucht es zu beruhigen, was nicht gelingt. Kurz entschlossen steht die junge Frau auf und geht mit dem Kind nach draußen. O-TON JUNGE KATHOLISCHE MUTTER Also, ich finde, dass die Leute, die hier in der Gemeinde sich engagieren sehr vital sind, auch wenn sie schon älter sind. Und [...] dass sie im Kleinen sehr lebendig sind. [...] Wir wohnen jetzt hier fünf Jahre, und wir haben schon 'ne Menge [...] Gemeindemitglieder sterben sehen. Da kommt halt keiner nach. [...] Und die Frage ist halt eben auch, es gibt 'ne ganze Menge zu tun hier in [...] diesem [...] Stadtteil. Wo wir Christen auch Antworten haben auf Lebensgestaltungen, [...] wo wir auch was zu bieten haben. Aber die Frage einfach ist, [...] wer das schultern soll. AUTOR Die junge Frau schaukelt sanft ihr Baby, das nun eingeschlafen ist. O-TON JUNGE KATHOLISCHE MUTTER Also es gibt viele tolle Ideen. [...] Mensch, Kirchen dürfen nicht zu sein, auch nicht hier. Gerade hier nicht, gerade nicht da [...], wo 'ne Riesenmoschee 'ne ganz tolle Öffentlichkeitsarbeit macht. Da muss man was gegenhalten. Ich würd' sagen, also [...] mit dem Bau ist sichtbar geworden, dass man um die eigene Existenz, [...] nicht kämpfen muss, aber dass man dafür was tun muss, dass es nicht selbstverständlich [...] bleibt. [...] Es ist einfach [...], ein sichtbares Zeichen für Pluralität, ich muss was für meine eigene Identität tun. Und ich muss erst mal fragen - es war immer so selbstverständlich, katholisch zu sein - was is'n das eigentlich? ATMO Glockengeläut AUTOR Nach der Messe hat Pastor Kemper es eilig. In einer guten Viertelstunde beginnt in Marxloh die nächste Heilige Messe in Sankt Peter, der größten katholischen Kirche hier. ATMO Autotür klappt, Einschnappen der Sicherheitsgurte, Fahrgeräusche, Blinker O-TON PASTOR KEMPER Es wird [...] seit einigen Wochen etwas [...] mehr, ja, also es kommen ein paar mehr Leute. Ich weiß nicht genau, woran es liegt. [...] Es kommen Leute, die nicht zu unserer Gemeinde gehören, hier aus der Nachbarschaft, aus der Nachbargemeinde. Als im November 2007 der Bischof hier zu Besuch war, der Bischof Felix Genn, da [...] war die Kirche bis auf den letzten Platz gefüllt. [...] Das hab' ich davor und danach noch nicht erlebt. Doch, Weihnachten, Weihnachten ist es auch sehr voll, das stimmt. AUTOR Sankt Konrad gehört zur katholischen Sankt Peter und Paul-Gemeinde. In diesem Jahr wird die neugotische Kirche Sankt Peter einhundert Jahre alt. An einem Samstagnachmittag ist eine Gruppe türkischer Muslime von der benachbarten Moscheegemeinde zu Besuch gekommen. O-TON PASTOR KEMPER Wir haben jetzt etwa 3900 Katholiken in Marxloh und Fahrn. [...] Ja, das ist im Moment noch so die größte Gruppe hier im Stadtteil. Ich glaube, die Moschee hat fast ähnlich so viel. An sich ist das Christentum wie der Islam zu groß, zu viel, um in einer Stunde etwas zu sagen. Aber die Kirche ist ein erster guter Einsteig. Ich weiß nicht, ob Sie schon andere Kirchen, oder... O-TON TÜRKISCHE MUSLIMA ... wir waren letzte Woche in der evangelischen Kirche... O-TON PASTOR KEMPER ...ah, ja. Dann kennen Sie vieles schon, vieles ist ähnlich, etwas ist anders. AUTOR Etwa vierzig Muslime, die Frauen mit Kopftuch, haben auf den Holzbänken in der Kirche Platz genommen und hören dem katholischen Seelsorger aufmerksam zu. O-TON PASTOR KEMPER Diese Kirchbauten sind in gewisser Weise ein Bild für Gott, wie man sich damals im Mittelalter und dann vor hundert Jahren, Gott dachte. Nämlich Gott ist groß, Gott ist allmächtig, daher die Höhe der Kirche, man soll hineinkommen und aufschauen zu Gott. Gott ist Licht, daher viele Fenster. [...] Und das Gewölbe, also die Decke in den Bögen ein Abbild des Himmels, seinen Wolken. AUTOR Michael Kemper erläutert die Grundlagen des christlichen Glaubens und die verschiedenen Sakramente der katholischen Kirche. Die Taufe sei das erste Sakrament. Dadurch werde man Christ und gehöre zur Kirche. O-TON PASTOR KEMPER Das Wichtigste in den Kirchen ist für uns ist der Altarraum. In der Mitte steht dieser schwarze Tisch. [...] In manchen Kirchen ist es eher ein Opferstein, ein geschlossener Block, das nennen wir Altar. [...] An dem Altar denken wir mit Brot und Wein an das letzte Abendmahl Jesu, wo er eben in den Zeichen von Brot und Wein seine Lebenshingabe am Kreuz zeichenhaft vorweggenommen hat. AUTOR Sehr ausführlich erklärt Kemper die Funktion der Beichte und dann rückt das Zölibat, das Keuschheitsgebot für Priester, in den Mittelpunkt des Interesses. O-TON PASTOR KEMPER Die Frage, warum dürfen Pastöre nicht heiraten, wenn die Ehe so heilig und wichtig ist? - Das ist auch nur in der katholischen Kirche so, evangelische Pfarrer dürfen heiraten. In der evangelischen Kirche dürfen ja auch Frauen Pfarrer werden. Das gibt's in der katholischen Kirche auch nicht. O-TON TÜRKISCHE MUSLIMA Es ist doch für Sie dann 'ne Sünde, wenn Sie zum Beispiel das nicht einhalten könnten? O-TON PASTOR KEMPER Wenn ich das nicht einhalten könnte, könnte ich [...] nicht mehr Priester sein, müsste ich diese Aufgabe aufgeben. O-TON TÜRKISCHE MUSLIMA Also, nach dem Glauben ist das keine Sünde oder wie? Habe ich das richtig verstanden? O-TON PASTOR KEMPER Ehm, (verlegen) also, Sünde ist, würde ich in dem Sinn, es wäre dann, es wäre nicht mehr gültig. Ich könnte meine Aufgabe nicht mehr ausführen. Es wär keine Sünde. Ich würd' es nicht als Sünde sehen. O-TON TÜRKISCHE MUSLIMA War das für Sie schwer. Also, dass ist (Lachen) 'ne Entscheidung, bevor Sie Pastor werden, dass Sie sich damit abfinden können, keine Familie, keine Kinder... O-TON PASTOR KEMPER [...] Wir werden sieben Jahre auf diesen Beruf vorbereitet. Und in diesen sieben Jahren hat man Zeit genug, sich das zu überlegen und trotzdem gilt, [...] für jeden Priester, wie auch für alle Eheleute eine einmal getroffene Entscheidung, die für das Ganze Leben gelten sollte, ist nicht für jeden für die ganze Lebenszeit möglich. AUTOR Anschließend besichtigen die türkischen Muslime die Kirche. Kemper sitzt mit dem evangelischen Pastor Lauer von der Kreuzeskirche im Beirat des Vereins der Begegnungsstätte der Moschee. Zusammen mit Vertretern von Parteien und verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen beraten sie den Verein in Fragen der Programmgestaltung. Welche Erfahrungen hat Kemper im Umgang mit Muslimen dort gemacht, möchte jemand wissen. O-TON PASTOR KEMPER Wir sprechen in beiden Gotteshäusern, Moschee und Gemeinde hier von, sprechen hier, erleben einen guten Kontakt, eine gute Nachbarschaft, einen freundschaftlichen Kontakt [...] punktuell [...] unterstützen wir uns gegenseitig [...] wo wir können, [...] so ist zum Beispiel ... die muslimische Gemeinde unterstützt [...] einen Platz in einer Einrichtung unserer Gemeinde, wo Kinder, Christen und Muslime, hier aus dem Stadtteil eine Übermittagsbetreuung nach der Schule haben. [...] Da einen Platz finanziert die Moscheegemeinde hier. Das ist eine Form von Unterstützung. Wir sind gemeinsam in Fragen des Stadtteils aktiv in den Gremien auf Stadtteilebene sind wir präsent. Da gibt es einen guten Kontakt. ATMO KINDERGÄRTNERIN BETET MIT DEN KINDERN: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen. Alle guten Gaben, alles was wir haben, kommt von Dir, wir danken dir dafür. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen. AUTOR Direkt gegenüber von Sankt Peter ist der katholische Kindergarten, den 95 Kinder unterschiedlicher Nationalität und Religion besuchen. Über die Hälfte sind muslimische Kinder. Schweinefleisch gibt es nicht zum Essen. Gemeinsam werden alle christlichen Feste gefeiert, erzählt mir Andrea Glowka, die Leiterin, aber auch das islamische Opferfest. O-TON ANDREA GLOWKA Wir sind eine katholische Einrichtung und erziehen die Kinder hier auch im katholischen Glauben. Für mich ist es ganz wichtig, dass alle Kinder, die hier zu uns in diese Einrichtung kommen, christliche Werte kennenlernen, gemeinsam miteinander umgehen. [...] auch verschiedene Religionen kennenlernen, aber hier bei uns in der katholischen Einrichtung erzählen wir sehr viel von Gott und Jesus, von der Fürsorge, die wir füreinander haben. Die türkischen Eltern bringen ihre Kinder auch hierher, weil hier Deutsch gesprochen wird. Das ist den Eltern ganz, ganz wichtig. Uns als Team ist das auch wichtig. ATMO im Kindergarten AUTOR Den Kindern ist es freigestellt, sich an den christlichen Gebeten zu beteiligen. Bisher hat sich nur eine einzige türkische Mutter am täglichen Gebet ihres Kindes gestört. Frau Glowka empfahl ihr daraufhin den städtischen Kindergarten. Vorsichtshalber fragte sie Pastor Kemper um Rat. O-TON ANDREA GLOWKA Und da hat er gesagt, Frau Glowka, das war genau richtig. Sie hätten der Mutter dann noch sagen können, "seh'n se, und das ist der Punkt, wo Sie Zuhause Ihrem Kind sagen können, 'dort im katholischen Kindergarten falten wir die Hände und hören von Jesus. Und hier Zuhause öffnen wir die Hände und ich erzähle Dir von Allah'. Das ist Ihre Aufgabe, Zuhause die religiöse Erziehung zu machen." ATMO Glockengeläut von Sankt Peter, Orgelmusik AUTOR Mitte Juli 2009. Beim sonntäglichen Familiengottesdienst in der sehr weiträumigen Kirche von Sankt Peter mit ihren über fünfhundert Plätzen laufen Kleinkinder herum und beleben mit ihrer Neugier das zeremonielle Ritual. Pastor Kemper erinnert in seiner Predigt an die Nachkriegszeit, als viele Kölner von den Güterwaggons Kohlen klauten, um damit ihre kalten Wohnungen zu beheizen. O-TON PASTOR KEMPER Und Kardinal Frings erhob damals in einer Art von Ansprache, die sehr berühmt geworden ist, seine Stimme und sagte: "Wenn jemand in dieser Notzeit für seine Familie, also für den eigenen Bedarf Kohle entnimmt zum Heizen, ist das sittlich erlaubt und keine Sünde". AUTOR Der Kölner Volksmund nannte den Kohlediebstahl "fringsen". Pastor Kemper will mit dieser Geschichte natürlich nicht zum Diebstahl ermuntern. Er will etwas von seinen eigenen Überzeugungen weitergeben. Zu den bedeutsamsten Phasen in seinem Leben gehört ein halbes Jahr, das er im Nordosten Brasiliens verbrachte. Dort erlebte er die Kirche an der Seite der Armen, sie steht dort für die Armen ein und drückt sich nicht, wo es überlebensnotwendig ist, auch mal Regeln zu verletzen. Diese Erfahrung hat sein Verständnis von der Priesterrolle geprägt. ATMO SCHLAGERGESANG "Ich lieg in dem Gras und schau zu dem Himmel rauf, schau'n die ganzen Wolken nicht lustig aus? Und fliegt 'nen Flieger vorbei, dann wink ich zu ihm rauf, und bist du auch noch dabei? Dann bin ich super drauf". GERÄUSCHE + KINDERGESANG AUTOR Im Garten des Kolpinghauses gegenüber von Sankt Peter findet das diesjährige Sommerfest der katholischen Gemeinde von Marxloh statt. Über einhundert Katholiken sind gekommen, darunter Familien mit ihren Kindern und viele ältere Frauen, deren Männer schon einige Jahre tot sind. Von der türkischen Gemeinde nimmt niemand teil. "In erster Linie erreichen wir die jungen Familien nicht über den Gottesdienst", meint Kemper selbstkritisch. O-TON PASTOR KEMPER Also, wo wir diese Menschen erreichen, das ist [...] im Bereich der sozialen Beratung, die hin und wieder stattfindet, auch individuell, persönlich hier am Tisch, oder eben [...] im Bereich der Caritas, also des Daseins für die Menschen, sei es im Lebensmittelladen, im Tafelladen, sei es im Schwesternhauscafé, also drei Mal die Woche ein Frühstücksangebot für hilfsbedürftige Menschen. ATMO SCHLAGERGESANG Und ich nimm, nimm, nimm dich bei der Hand, weil ich dich mag. Und ich sag, 'heut ist so ein schöner Tag', la, la, la, la, heut ist so ein schöner Tag', la, la, la, la. O-TON PASTOR KEMPER Die jungen Familien, die hier leben, [...] gehören überwiegend [...] zu den sogenannten Hartz IV-Empfängern. Das sind Familien, die [...] oft nicht nur finanziell arm sind und einfach leben müssen, sondern deren Armut mitunter hauptsächlich auch daran liegt, dass sie [...] wenig Ressourcen haben, um sich selbst als Mensch und auch als Familie zu organisieren. Das sind hier die Konsummaterialisten, mit dem wir es hier häufig zu tun haben. So wenig Geld, wie sie haben, vieles davon geht in den Konsum, [...] wobei man sich oft dafür selbst auch wieder krumm legen muss, beziehungsweise auch verbiegen muss in Schulden hinein, um [...] ein Stückchen Glück und Erfüllung zu schenken. AUTOR Am Morgen hat es leicht geregnet, sodass viele fürchteten, das Fest würde buchstäblich ins Wasser fallen. Doch der Himmel meinte es gnädig und schickte einige zaghafte Sonnenstrahlen. Zwei Wochen lang wurden mit Kindern aus Familien, die sich einen Urlaub nicht leisten können, Ferienspiele am Wolfssee in Duisburg-Wedau veranstaltet. Pastor Kemper war einige Tage mit dabei. Er ist offensichtlich gerne mit Kindern zusammen und geht sehr herzlich mit ihnen um. O-TON PASTOR KEMPER Seelsorge ist, nicht nur hier, aber besonders auch hier, Leibsorge. In den Ferien geht es darum, Kindern, dann also auch wieder ganzheitlich, also leiblich und seelisch [...] Erholung zu schenken und für Kinder etwas, die nicht wegfahren können, sind zwei Wochen gestaltetes Ferienprogramm [...] einfach auch eine leibliche Erholung [...] Und sie erleben Kreativität, sie erleben Spiel und Spaß, sie erleben Ausflüge, sie bewegen sich [...] also, sie haben Abwechslung [...] das tut denen einfach gut. AUTOR Ausgelassen toben die Kinder herum und tanzen auf der kleinen Bühne. Danach erzählt ein zehnjähriges Mädchen die Geschichte vom Kapitän Nemo. Der Duft von Bratwürsten zieht zu uns herüber. An langen Tischen wird gegessen, viel gelacht und erzählt. O-TON KATHOLISCHE EINWOHNERIN Ich bin hier als Katholikin groß geworden, und ich leb' auch in meinem Umfeld, die sind alle katholisch oder wenn auch [...] evangelisch. Aber sind alles gute Christen. O-TON KATHOLISCHER EINWOHNER Also, ich find das 'nen bisschen schade, dass der katholische oder evangelische Glauben zurückgedrängt wird für den moslemischen Glauben. Finde ich nicht so gut, dass die sich da so ausbreiten. [...] O-TON KATHOLISCHE EINWOHNERIN So 'ne Riesenmoschee die sie da neu gebaut haben, bei uns machen se die Kirchen zu. Wie verträgt sich das denn? O-TON KATHOLISCHER EINWOHNER Ich muss dazu sagen, ich hab' in der Schule gearbeitet im Berufskolleg, wo viele türkische Schüler waren. Die haben zum Beispiel auf die katholischen oder evangelischen Feiertage, die wir Deutsche haben, keine Rücksicht genommen. Wir mussten aber auf die ihr Zuckerfest Rücksicht nehmen. [...] Tut mir leid, da fehlt die Toleranz zwischen den Glaubensrichtungen ganz und gar. O-TON PASTOR KEMPER Das Gemeindebuffet ist reichlich gedeckt und hiermit auf geöffnet. Salate und kalte Speisen gibt es drinnen, auch ein warme Suppe, hier draußen am Grill Würstchen. Guten Appetit und viel Freude mit unserem Gemeindebuffet. (Applaus) AUTOR Zum Abschluss des Festes singen die alten Einheimischen "Kornblumenblau", "Freut Euch des Lebens, solange noch das Lämpchen glüht" und das Marxloh-Lied. ATMO Frauenchor singt das Lied "Marxloh" AUTOR Jeden Mittwochnachmittag gibt es in der ehemaligen katholischen Pfarrei von Sankt Paul die Marxloher Tafel, Lebensmittel für bedürftige Rentner und Langzeitarbeitslose. Im Gegensatz zu Sankt Peter, wurde die Kirche Sankt Paul 2006 geschlossen. Gegenüber, am anderen Ende der Straße, sieht man den Kirchturm von Sankt Peter. Etwa achtzig Bedürftige warten jede Woche geduldig auf die Ausgabe von Lebensmitteln. O-TON BEATE AKDEMIR Also, von den ganz jungen Müttern, die wir auch dabei haben, gehe ich mal einfach davon aus, da war der Kinderwunsch glaube ich größer wie der Wunsch nach 'ner Ausbildung. [...] AUTOR Beate Akdemir von der CARITAS hilft die Tafel zu organisieren. O-TON BEATE AKDEMIR Ich finde wichtig und deshalb mache ich das hauptsächlich ehrenamtlich, überhaupt tätig zu sein, dass man den Menschen ihre Selbstachtung wiedergibt, die Würde für sich selber und die Achtung vor sich selber, indem wir als Mannschaft sozusagen, darüber sind wir uns alle, die hier mitmachen, einig, denen ihre Würde wiedergeben in Anführungsstrichen. Also dieses Gefühl, dass sie würdevolle Menschen sind, und nicht Menschen dritter Klasse, vierter Klasse, oder auch immer. Wir sind höflich zu ihnen, wir sind freundlich zu ihnen. AUTOR Ob diese Arbeit etwas mit ihrem katholischen Glauben zu tun habe, möchte ich wissen. O-TON BEATE AKDEMIR Mit Christentum. Nächstenliebe. Wir sind alles Brüder und Schwestern. Ich bin nicht besser wie die, ich kann aber auch genauso in der Schlange stehen. Deshalb ich bin nichts Besseres wie jeder andere Mensch auch. AUTOR Kurz vor fünf Uhr am Nachmittag ist die Arbeit getan. Ich sitze mit Frau Akdemir und den Mitgliedern des Teams noch in der Küche zusammen. Durch das offene Fenster weht warme Luft herein. Es riecht schon ein wenig nach Herbst. O-TON BEATE AKDEMIR Mein Mann ist Moslem und ich bin Christ, ..."katholisch" erzogen worden. Und wir sind 2011 sind wir 25 Jahre verheiratet, ja. Und wir haben es so geregelt, er hat seinen Glauben, ich hab' meinen Glauben und wir sind darin übereingekommen, dass es eh nur einen Gott gibt, der da Allah genannt wird und der bei mir eben Gott genannt wird. Und in beiden Religionen kommt es darauf an, für den Nächsten da zu sein. Und deshalb machen wir das auch für den Nächsten da zu sein. AUTOR Die Lebensmittel, das Obst und Gemüse werden jede Woche von deutschen Einzelhändlern aus Duisburg kostenlos an die Tafel abgegeben. O-TON BEATE AKDEMIR Ich kann nur sagen, ich hab' mal ... türkisches Geschäft nachgefragt, und die sagten, [ ... ] knapp kalkuliert, dass sie sogar angerissene Packungen sogar noch wieder zurückgeben können, ... mit ihren Lieferanten so gesprochen, dass da solche Sachen, ...geben die gar nicht uns ab. AUTOR Mich erstaunt diese Aussage ein wenig, denn offiziell wird ja ständig betont, wie wichtig das gegenseitige Verständnis von Deutschen und Türken für das Zusammenleben sei. Auf der Weseler Straße sind heute alle Obst- und Gemüseläden in türkischer Hand. Im größten Geschäft frage ich nach. Die Chefin, eine Türkin mit Kopftuch, will mir nicht sagen, ob und warum keine Lebensmittel für die Marxloher Tafel gespendet werden. Angeblich würden die Hartz IV-Empfänger stehlen. O-TON PASTOR KEMPER Wir sind nicht in Marxloh die einzigen, die eine Kirchen zumachen, ja. Das passiert nicht nur hier, das ist bistumsweit oder die [...] Leerstände der Wohnungen. Es gibt nicht wenige Leute [...] die kommen monatelang, um nicht zu sagen, ein Jahr lang, nicht raus aus Marxloh, vielleicht Hamborn. Hamborn, da ist das Rathaus, da sind manche Ärzte, ja, so, da fahren sie dann hin. AUTOR Um sieben Uhr morgens fahre ich mit Pastor Kemper ins südliche Münsterland. Im kleinen Dorf Dingden wird eine diamantene Hochzeit gefeiert. Er soll dort die heilige Messe lesen. Während wir uns immer weiter von Duisburg entfernen, bleibt Kemper mit seinen Gedanken bei den Menschen von Marxloh. Als er 2003 dort zu arbeiten anfing, hatte er "eine verrückte Idee". O-TON PASTOR KEMPER Vielleicht sollte ich aber auch sagen, den Spleen in Kopf, dass es gelingen würde, in Marxloh eine Gemeindearbeit zu machen, die Leute motiviert, in Marxloh zu bleiben. [...] Und eine Gemeindearbeit zu machen, also wo von Kindern bis alten Leuten, [...]eine Bindung entsteht, im Grunde eine ... Wo man sagt, Marxloh ist zwar schmutzig wegen Thyssen/Krupp von der Luft her, Marxloh ist [...] laut und trubelig wegen der ganzen Ausländer und ungemütlich, [...] aber [...] es gibt da 'ne Gemeinde, und dann habe ich auch gedacht: und da gibt's auch 'nen netten Pfarrer und dat finde ich anderswo erst mal nich. AUTOR Und mit einer guten Predigt würde er den Menschen weiterhelfen und sie zum Bleiben veranlassen. O-TON PASTOR KEMPER Anfangs habe ich gedacht, dass es geht. Ich hab` zuletzt auch mal gemerkt, das ist 'ne Illusion. Und [...](Routenplaner) das Ziel der Gemeindearbeit ist für mich nicht mehr, Leute an Marxloh zu binden, sondern Leuten [...] so viel Kirchliches, ich sag' mal, so viel Religiöses, und da denke ich jetzt nicht an die alten Leute, die haben ihr religiöses Selbstbewusstsein, sondern da denke ich an die jungen Leute, also, denen so viel religiöses Selbstbewusstsein zu geben, und Gepräge zu geben, dass sie [...] von innen her Interesse haben, egal, wo sie hinziehen, egal, wo sie wohnen wollen und werden [...], bei Kirche wieder anzudocken. Das ist mein Ziel. ATMO GERÄUSCHE+MUSIK Kleine Glocke, Orgelmusik, Gesang O-TON PASTOR KEMPER Ganz herzlich begrüße ich Sie alle zu diesem Gottesdienst, den wir feiern anlässlich der diamantenen Hochzeit von Elisabeth und Franz Deckers. Mit dem Jubelpaar bin ich gerne aus Duisburg-Marxloh hierher gekommen, um in Ihrer Heimat Dingden, der Pfarrkirche hier, den Gottesdienst zu feiern zu Ihrem Jubelfest AUTOR In der katholischen Kirche Sankt Pankratius in Dingden sind Angehörige und Freunde von Familie Deckers versammelt. O-TON PASTOR KEMPER Herr und Gott, wir preisen deinen Namen, denn du hast dieses Ehepaar in guten und in bösen Tagen mit deinem Segen begleitet. Schenke ihnen die Fülle deines Heiles, segne die Eheleute Deckers, die mit ihren Kindern, Verwandten und Freunden gekommen sind, um dir Dank zu sagen. [...] Schenke ihnen viele weitere gemeinsame Lebensjahre und Gesundheit und Frieden. Hilf ihnen, die Last des Alters zu tragen, erhalte ihnen die Weisheit des Herzens und die Stärke des Glaubens. AUTOR Nach der Messe zieht sich Kemper im Vorraum der Kirche um, während der heimische Küster die Notenbücher wegpackt. O-TON PASTOR KEMPER Hier gibt's wahrscheinlich noch, gibt's hier noch mehr Taufen als Beerdigungen? O-TON KÜSTER [...] Ja. O-TON PASTOR KEMPER Tatsächlich? O-TON KÜSTER Ja, ja. Wir haben gut [...] fuffzig Taufen, fünfundfünfzig, sechzig werden wir bis zum Jahresende haben. Und Beerdigungen haben wir so vierzig, aber von der Gemeindegröße mit 5300 Seelen wird sich das so mit Beerdigungen dann irgendwann mehr... Es sind ja jetzt noch viele Kriegsjahre, die ausgedünnt waren... O-TON PASTOR KEMPER ...ist 'ne andere Realität. O-TON KÜSTER Ja. O-TON PASTOR KEMPER Hier wächst die Gemeinde noch... O-TON KÜSTER Ganz genau. Noch, ja. (Lachen) AUTOR Die beiden jungen Mädchen, die als Messdienerinnen den Gottesdienst begleiteten, haben sich inzwischen auch umgezogen. O-TON KÜSTER Ist genau wie mit dem Kirchenbesuch, ne. Wir liegen ja am Niederrhein [...] die Pfarren mit dem höchsten Kirchenbesuch. Prozentual hier. O-TON PASTOR KEMPER Hier? O-TON KÜSTER ...ja, wir liegen noch bei knapp zwanzig Prozent, ja [...] O-TON PASTOR KEMPER Das heißt, hier gehen noch an die tausend Leute zur Kirche? O-TON KÜSTER Ja, ja. O-TON PASTOR KEMPER Tausend Leute? O-TON KÜSTER Ja, letzte Wochen waren es gut tausend, die zur Messe da waren, ja. O-TON PASTOR KEMPER Dingden ist zu wie viel Prozent katholisch? O-TON KÜSTER [...] Also, bis zum Krieg gab's nur eine evangelische Familie, war nur katholisch. Jetzt im Moment haben wir ... ich glaub' noch um siebzig Prozent. AUTOR Am Niederrhein "ist die Welt noch in Ordnung", meint Kemper, während wir uns auf den Rückweg nach Marxloh gemacht haben und fügt hinzu: ATMO Abfahrt O-TON PASTOR KEMPER Bei uns ist die Welt auch in Ordnung, aber anders, ja. AUTOR In Marxloh kommen auf zwanzig katholische Taufen im Jahr sechzig bis achtzig Beerdigungen. O-TON ZEHRA YILMAZ Wir glauben, dass alles, was geschieht, Fügung Gottes ist. Und deshalb ist es natürlich eine schöne Fügung Gottes, dass der Architekt, der dieses Haus gebaut hat, einen besonderen Namen hat. Es ist nämlich der Herr Christ, der die Moschee gebaut hat (Lachen des Publikums). AUTOR Die Marxloher Moschee bietet mehrmals in der Woche Führungen an. Die Besuchergruppen informieren sich über den Islam und über den Bau der Moschee. Zehra Yilmaz, die heute die Besucher durch das Haus führt, ist in der Türkei geboren und lebt seit über vierzig Jahren in Deutschland. Sie ist die Bildungsreferentin der Begegnungsstätte und erzählt, man habe beim Bau der Moschee darauf geachtet, dass das Minarett die örtlichen Kirchtürme nicht überragt. O-TON ZEHRA YILMAZ Und [...] hier vor Ort nehmen diese Ängste wahr und gehen auf das ein. Wir wollen hier niemand ängstigen, niemand provozieren, das ist nicht unser Ansatz. Wir heißen hier Begegnungsstätte. Wir möchten, dass die Menschen aller Religionen, Nationalitäten hier hinkommen und sich begegnen, sich hier wohl fühlen. Den Gebetsruf wird es auch nicht geben. Das haben wir hier gar nicht beantragt. Auch da gibt es Ängste, das wissen wir. [...] Die Menschen sind noch nicht so weit. Sie haben Angst vor dem Islam. O-TON 1. DEUTSCHE BESUCHERIN Die Ängste sind da. Wir wohnen [...] ja alle zusammen, und weil das manchmal so sehr fanatisch, so fanatisiert [...] rüberkommt, und das tut so weh dann für beide Seiten denk' ich mir. [...] O-TON ZEHRA YILMAZ [...] Aber diese Ängste bestehen, weil man sich fremd geblieben ist, leider. Also, wir sind seit vierzig Jahren sind Muslime hier in Deutschland, aber man hat nie miteinander gelebt, sondern nebeneinander. Man hat sich nicht kennen gelernt. Und man hat immer Angst vor dem Fremden, dass man nicht kennt. Wenn wir hier Dialogveranstaltungen machen, dann merke ich, wenn die Menschen so zusammen kommen, dann verlieren sie die Ängste. O-TON 2. DEUTSCHE BESUCHERIN Weil wir müssen ja jetzt mal sagen, wir sind ja hier in Deutschland, und wir, Sie sind hierhin gekommen, und Sie sollen auch integriert werden. Nur, Sie sind gekommen, also müssen Sie auch versuchen, den Dialog aufzustellen und auf uns zuzugehen. Also, ich bin offen, aber ich seh' das auch bei uns, in unserer Gemeinde, das es also wirklich schwierig ist, mal zu sagen, wir machen 'nen integratives Fest In Mölln, ich weiß nicht, ob Ihnen das 'nen Begriff ist, da wird ganz viel gemacht. Und das finde ich auch wirklich gut. Aber es muss noch mehr, es muss von Ihrer Seite aus diese Angst genommen werden. Da sind die Probleme. [...] O-TON ZEHRA YILMAZ [...] Aber der Grund weshalb das nicht gemacht wurde, ist 'nen ganz einfacher. Die Menschen, die seit vierzig Jahren hier leben, die haben immer hier nur gelebt mit dem Gedanken, wir gehen zurück. ATMO GITARRENMUSIK+GESANG Wir sind dein, wir gehören zusammen. Wir sind eins und das tut gut. AUTOR Ende Oktober 2009. In der Katholischen Akademie in Schwerte geht das Seminar "Unser Gott" ?Begegnung mit dem Islam zu Ende. Zum Abschluss singen die Teilnehmer gemeinsam. Drei Tage haben sie mit Pastor Kemper über den Islam diskutiert und von seinem Wissen profitiert. Das zentrale Glaubensbekenntnis sei der Glaube an den einzigen und wahren Gott. Dies sei die erste Säule des Islam, die zweite, das fünfmalige Beten am Tag und die dritte Säule das Fasten. O-TON PASTOR KEMPER Damit [...] nachher zusammenhängend inhaltlich die vierte Säule, nämlich das Almosengeben, also noch mal über das Fasten und Teilen oder Dritteln, der Fasten- und Opfergabe hinaus, [...] kennt der Islam [...] das Almosengeben, also [...] das sei es kontinuierlich, regelmäßig [...] Unterstützen, Zuwenden von [...] Menschen in Not, von [...] Einrichtungen, die notleidenden Menschen helfen. Und schließlich die fünfte Säule, [...] einmal im Leben die Wallfahrt nach Mekka. AUTOR Zu Beginn des Seminars erzählte Pastor Kemper von einer Reise, die er 1985 nach Jerusalem gemacht hatte. O-TON PASTOR KEMPER Und mit einem Mal begann oberhalb der Klagemauer der Muezzin seinen Ruf erschallen zu lassen zum Mittagsgebet in der Moschee. [...] Und zeitgleich ertönte hinter uns von der evangelischen Erlöserkirche das Angelusläuten.[...] Diese [...] akustischen Eindrücke verbunden mit dem optischen Erleben: die Juden vor der Klagemauer zu beobachten, zu sehen auch beim Gebet. Diese Gesamteindrücke haben uns sehr gepackt, also mich zutiefst gepackt. Also, wenn es ein Reiseerlebnis gibt, das mich innerlich [...] zutiefst berührt hat, dann war es das. [...] AUTOR Kemper zitiert wörtlich aus dem Zentraldokument des II. Vatikanischen Konzils, das sich zum Miteinander der monotheistischen Religionen äußert: O-TON PASTOR KEMPER "Mit Hochachtung begegnen wir den Anhängern des Islam, den Söhnen Abrahams, mit denen wir den Glauben an den einen Gott teilen." [...] Und das war genau das, was ich umgekehrt im Kontakt mit den Muslimen von Anfang an und eigentlich bis heute [...] so erlebt habe, also, ein sehr hochachtungsvolles [...] Begegnen, sich Begegnen [...] wertgeschätzt werden, ja, das erleb ich. Und wie gesagt, von Anfang an in Marxloh noch bis heute. ATMO Friedhof AUTOR Pastor Kemper hat mich heute Morgen nach Mülheim an der Ruhr mitgenommen. Eine Beerdigung steht an. O-TON PASTOR KEMPER Im Wasser und im Heiligen Geist wurdest du getauft. Der Herr vollende an dir, was er in der Taufe begonnen hat. Von der Erde bist du genommen, zum Staub der Erde kehrst du zurück. Dein Leben aber ist aufgehoben in Gottes Hand. AUTOR Während die Angehörigen noch mit einer kleinen Schippe Erde ins Grab werfen, machen wir uns schon wieder auf den Weg zurück nach Marxloh. O-TON PASTOR KEMPER Wir geben einem Menschen die letzte Ehre. [...] Aber in unserer Gemeinde leben auffallend viele Menschen, die beim Thema Kinder und Enkel immer ganz beklommen sind, ältere Menschen, [...] dann sind sie ganz [...] irritiert merke ich, und wenn man dann also vorsichtig nachfragt, dann beklagen sie, also ganz schmerzlich, oft mit Tränen, viele haben zu Kindern und Enkeln kaum oder gar keinen Kontakt mehr. [...] Manchmal bin aber auch mit dem Bestatter ganz allein, ganz allein. Das finde ich immer schrecklich, aber es ist so. AUTOR Immer häufiger weigern sich Kinder, die Kosten für die Beerdigung ihrer Eltern zu übernehmen. Für Kemper ist das ein eklatanter Verlust von Menschlichkeit. O-TON PASTOR KEMPER Ja, also dann stehe ich, dann bin ich auch stellvertretend da für die Familie, für Freunde, die es sicher auch gab. Und einfach so dieses, also, es gibt für mich auch so'nen Impuls, also, dann auch diese Beerdigung ganz besonders sorgfältig zu tun und, ja, ich sag mal, so liebevoll wie nur möglich, um einfach rüber zu bringen, mir oder auch denen, dann da sind, wir geben jetzt diesem Menschen die letzte Ehre, unsere Ehre. AUTOR In der evangelischen Kreuzeskirche von Marxloh findet in jedem Monat das Politische Nachtgebet statt, zu dem der evangelische Pastor Lauer einlädt. Auch der katholische Amtsbruder Kemper nimmt regelmäßig daran teil. Heute steht die Veranstaltung unter dem Motto "Nicht meckern, sondern anpacken". In der lebhaften Diskussion äußert sich ein Marxloher Bürger zu den Problemen des Zusammenlebens. O-TON HANS-DIETER POLLERPÖS Ich vermisse meine türkischen Mitbürger, die (Applaus) genauso hier stehen müssten; denn meckern tuen wir auf beiden Seiten. [...] Und ich gebe offen zu, dass wir hier in Marxloh mittlerweile in der Minderheit sind. Und dass unsere türkischen Mitbürger in der Überzahl sind. Es geht einfach nicht mehr so, dass wir alleine hier entscheiden und meckern, wenn wir nicht eine Plattform finden, wo wir alle zusammen diese Probleme gemeinsam diskutieren und besprechen. Das ist die Grundlage der Integration. AUTOR Viele Mitglieder der katholischen Gemeinde leben gerne in Marxloh, weil sie hier wertvolle Erfahrungen im Umgang mit Muslimen sammeln können, erzählt Pastor Kemper. O-TON PASTOR KEMPER Ich hab' gerne die Stelle in Marxloh angenommen, auch aus dem Eindruck heraus, dem auch ein Stück nachgehen zu können. [...] Also, was ist denn dran an dieser Vision, an dieser Sehnsucht? Was ist denn möglich im Zusammenleben von Christen und Muslimen? ATMO Kirchenglocke Absage: "Im Kleinen sind wir sehr lebendig" Pastor Kemper und das "Wunder von Marxloh" Ein Feature von Thomas Hartwig Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2010 Es sprach: Wolf Aniol Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Jutta Stein Regie: Thomas Wolfertz Redaktion. Karin Beindorff ATMO Kirchenglocke 31