Deutschlandradio Kultur, Deutschlandrundfahrt, 05.01.2008, 15.05 Uhr Der geschmiedete Himmel - Halle/Saale Von Susanne Arlt Jingle und Kennmusik Musik hoch O-Ton 1 Meller Die Himmelsscheibe von Nebra gehört zu den absoluten Toppfunden der Archäologie, vergleichbar sicherlich mit Ötzi, mit Tutanchamun und anderen Dingen dieser Qualität. Musik hoch O-Ton 2 Rullmann Was für mich wirklich das aller Spannendste ist, ist, wie die Himmelsscheibe unser Bild verändert hat von den Menschen, die in der Bronzezeit hier in Mitteldeutschland gelebt haben. Musik hoch O-Ton 3 Wunderlich Es ist ja ein einmaliger Fund, und man kann da natürlich nicht nach vorgegebenem Raster rangehen. Ich kam mir manchmal vor als würde ich mit so einer Raumfähre über die Mondoberfläche fahren. Musik hoch O-Ton 4 Reichenberger In Fachkreisen war das schon immer eines der bedeutendes Museum. Wir sind hier in einer Region, die archäologisch eine der bedeutendsten in Deutschland ist. Wir haben nämlich geschätzte etwa 100.000 archäologische Fundstellen. Musik hoch SpvD: Der geschmiedete Himmel Ein Museum fürs Firmament in Halle an der Saale Eine Deutschlandrundfahrt mit Susanne Arlt. Atmo 1 Baulärm Autorin 1: Halle an der Saale. Das Landesmuseum für Vorgeschichte ist momentan ein unwirtlicher Ort. Staub, Lärm, Bauschutt. Die kulturgeschichtlichen Funde sind in Plastikplanen eingewickelt. Zu sehen gibt es nur wenig. Atmo 2 Treppe runter laufen, der letzte macht die Tür zu bitte, ? so jetzt lassen wir die Kollegen raus, kommt noch jemand raus? ? Autorin 2: Graue Steintreppen führen hinab in einen Keller. Grelles Neonlicht, ein langer Gang, dann taucht eine dicke Stahltür auf. Dahinter ruht der Schatz. Hinter weißen Gitterstäben liegt er gut behütet - womöglich einer der größten archäologischen Funde der Menschheit. Vergleichbar mit Ötzi oder Tutanchamun. Die Kostbarkeit stammt aber nicht aus den Alpen oder Ägypten. Die Himmelsscheibe von Nebra kommt aus Sachsen-Anhalt. Musik 1 sphärisch Ancient Civilisations Track 21: Slave Drum Komponist: Gavin Griffiths LC 08510 Autorin 3: Zwei Raubgräber buddelten sie nachts auf der Kuppe des Mittelbergs aus. Ziemlich rabiat sind die beiden dabei vorgegangen. Mit einem Beil haben sie den Schatz aus der Erde gehackt. Doch dass sie dann das Abbild eines prähistorischen Kosmos´ in den Händen hielten, war ihnen nicht klar. Die Himmelsscheibe von Nebra ist dreieinhalb tausend Jahre alt. Es scheint als wollte ihr Schöpfer die Ewigkeit auf dieser Bronzescheibe bannen. Musik 1 sphärisch endet, mischen mit Atmo 3 Schlüsselgeräusche ? Tür geht auf ? zweite Tür geht auf Autorin 4: Im Moment kommen jedoch nur ausgesuchte Gäste in diesen Genuss. Das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle wird seit dreizehn Monaten restauriert. Erst im Mai ist die Wiedereröffnung. Attraktion der teilweise neuen Ausstellung wird dann die bronzene Himmelscheibe sein. Dabei habe das Landesmuseum noch viel mehr zu bieten, sagt Roman Mischker, Referatsleiter und verantwortlich für die Sammlungen und Archive. O-Ton 5 Mischker: Das was Sie hier sehen ist sozusagen die Spitze der Bestände qualitativ und forschungsgeschichtlich gesehen, ansonsten haben wir tausende von Objekten, die auch wertvoll sind, sehr bedeutend sind. Nicht nur für die regionale Geschichte sondern durchaus für die mitteleuropäische und werden in der Studiensammlung aufbewahrt und stehen jedem zur Verfügung, jedem Wissenschaftler und jedem Laien. Atmo 4 Tresorraum Autorin 5: Eine Kühlanlage sorgt für wohltemperiertes Ambiente. Eine dreieinhalb Tausend Jahre alte Bronzescheibe fühlt sich bei 16 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent besonders wohl, glauben die Wissenschaftler. Hinter grauen Gitterstäben liegt die Scheibe gut eingepolstert in einem speziellen silberfarbenen Transportkasten. Roman Mischker dreht den Schlüssel herum, stellt den quadratischen Kasten auf den Tisch, klappt den Deckel hoch. Atmo 5 Schlüsselgeräusche ? zweite Tür geht auf Atmo 6 den Kasten mit der Scheibe hervorholen ? aufklappen ? Autorin 6: Wer die Himmelsscheibe sieht, der möchte sie berühren. Archäologe und Pressesprecher des Landemuseums, Alfred Reichenberger, kennt das Gefühl. Er nickt mir aufmunternd zu. O-Ton 6 Reichenberger: Sie sind in Sekunden einer der wenigen Menschen, der die Himmelsscheibe mal in den Händen halten durfte, wenn auch durch die Handschuhe der Genuss etwas eingeschränkt wird. ? Autorin 7: Alfred Reichenberger hält mir ein Paar weiße Stoffhandschuhe hin. Menschliche Rückstände wie beispielsweise Schweiß sind nicht gut für die metallene Oberfläche. Die Goldapplikationen sind aus 20 Prozent Silber und das läuft schnell an. Ich ziehe erst den linken, dann den rechten über. Meine Finger beginnen zu schwitzen, mein Herz klopft schneller. O-Ton 7 Wunderlich Sie sollten sie am Rand nehmen, vielleicht nicht unbedingt an den Goldbögen. Autorin 8: Die umstehenden Forscher passen auf wie die Schiesshunde. Ich strecke meine beiden Zeigefinger vorsichtig aus, berühre den kühlen Bronzerand. O-Ton 8 Wunderlich, Arlt und Reichenberger Aber jetzt nicht mit zwei Fingerspitzen ? und dann von unten greifen? Wow ? ja ich denke viele Menschen werden sie jetzt beneiden. Autorin 9: Die Scheibe wiegt schwer in meinen Händen. Ihre Eleganz steht im Widerspruch zu ihrem Gewicht von über zwei Kilo. Der grünlich-goldene Schimmer der Oberfläche, die goldenen Symbole. Das Schiff, das zwischen den Sternen fährt, oder die beiden Goldbögen am Rand. Für den Laien werfen die Zeichen Fragen über Fragen auf. Als der Chemiker und Archäologe Heinrich Wunderlich sie zum ersten Mal in seinen Händen hielt, sei von ihrer Schönheit noch nicht so viel zu sehen gewesen, sagt er. O-Ton 9 Wunderlich: Sie sah ganz anders aus. Von Erde völlig überkrustet. Und dann weiß ich, dass ich erst mal zwei Tage damit beschäftigt war, sie unter dem Mikroskop zu untersuchen. Und mir dann zu überlegen, wie geht man da strategisch ran. Es ist ja ein einmaliger Fund, und man kann da natürlich nicht einfach so nach vorgegebenem Raster da rangehen. Autorin 10: Nächtelang und an den Wochenenden schloss sich Heinrich Wunderlich mit der Himmelsscheibe in seine Restauratorenwerkstatt ein. Nur in aller Abgeschiedenheit kamen ihm die richtigen Ideen. Eine hartnäckige Malachitschicht hatte sich über die Jahrtausende auf den Goldblechen festgesetzt. Ein hässliche grünlich-grasige Schicht, glashart. Mechanisch ließ sich diese Schicht nicht entfernen. O-Ton 10 Wunderlich: Ich habe dann ein Verfahren für diesen Zweck entwickelt, eine chemische Komplexierungspaste, die ich dann punktuell auftragen konnte, die nicht weglief du dann chemisch selektiv diese Kupferkorrosion abgelöst hat. Das kostet ein bisschen Hirnschmalz, viel Zeit mit Besprechungen mit anderen Fachkollegen, bei so einem Objekt müssen mehrere dran beteiligt werden, dass man die beste Strategie entwickelt. Autorin 11: Seine Strategien überzeugen. Die Kratzspuren, die man sieht, stammen von den beiden Raubgräbern und den Meistern, die die Scheibe vor dreieinhalb Tausend Jahren angefertigt haben. Der Chemiker ist sich sicher: Die Scheibe war einst mit einer dunklen Legierung überzogen war. Normalerweise ist Bronze goldfarben, aber die Scheibe sollte den schwarzen Himmel darstellen. Auf die dunkel gefärbte Himmelsscheibe brachte der Schmied dann die Goldbleche auf, und formte daraus Sonne Mond und Sterne, rechts und links die beiden Horizontbögen und schließlich die Himmelsbarke. Die Kollegen in der Restauratorenwerkstätte tüfteln noch immer an dem Rätsel, wie man vor 4000 Jahren Bronze mit den einfachsten Mitteln schwarz färbte, sagt Wunderlich. Ein anderes konnte der Chemiker schneller lösen. Wenn er mit seinen Mikroskopen die Scheibe abtastete, hatte er oft das Gefühl, sie würde ihm nicht nur eine Geschichte erzählen. Musik 2 sphärisch Ancient Civilisations Track 12 Invocation Drum Komponist: Gavin Griffiths LC 08510 O-Ton 11 Wunderlich: Ich kam mir manchmal vor als würde ich mit so einer Raumfähre über die Mondoberfläche fahren. Dass man jede neue Spur versucht von alten Spuren zu unterscheiden. Und so kamen wir dann auch auf die Geschichte, die die Scheibe selber hatte zu prähistorischer Zeit. Autorin 12: Die Himmelsscheibe hatte nicht nur einen Meister, sie hatte mindestens drei. Mittels eines speziellen Teilchenbeschleunigers konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass die chemische Zusammensetzug der Goldapplikationen unterschiedlich ist. Die Vermutung bestätigte sich: auf der Himmelsscheibe gibt es drei Chargen Gold. MUSIK I Tears for fears ? Track 13: Everybody wants to rule the world Interpret: Roland Orzabal, Curt Smith Komponisten: Hughes, Stanley, Orzabal LC: 00268, Mercury, 983943-5 92-62408 Autorin 13: Die Himmelsscheibe von Nebra ?sie gab und gibt noch immer Rätsel auf. Schriftliche Überlieferungen gibt es nicht. Die Menschen aus Mitteldeutschland hatten zu dieser Zeit keine Schriftsprache. Welchem Stamm sie angehörten liegt auch im Nebel der Geschichte. Wahrscheinlich haben sie zwischen Saale und Unstrut gelebt, aber auch das - reine Hypothese. Der renommierte Wissenschaftler Wolfhard Schlosser brütete Tage und Nächte über der Himmelsscheibe, um ihre Symbole richtig zu deuten. Der Astrophysiker von der Ruhruniversität Bochum war der erste, der Sonne, Mond und Sterne auf die Schliche kam. Musik 3 orientalisch Ancient Civilisations Track 6 Fertile Crescent Komponist: Steve Everitt LC 08510 Autorin 14: Aus den Hochkulturen Mesopotamien oder Ägypten sind Sternendarstellungen nur ornamental überliefert. Also auf Schmuckstücken, nicht aber so konkret wie auf der Himmelsscheibe. Wie es aussieht, liegt hier der älteste Fund einer konkreten Himmelsdarstellung der Menschheitsgeschichte vor. Es war purer Zufall, dass die zwei Raubgräber im Sommer 1999 auf die Himmelsscheibe stießen. Sie durchkämmten die Wälder in Mitteldeutschland mit einem Metalldetektor und stießen plötzlich auf den Fund. In einer Nacht- und Nebelaktion hoben sie heimlich den Schatz und verkauften ihn zwei Tage später für nur 15.000 Euro. Dann verschwand die Himmelsscheibe. Erst zwei Jahre später tauchte sie wieder auf. Für Harald Meller, Direktor am Landesmuseum, ist die Himmelsscheibe sein schönstes Geburtstagsgeschenk. Am 10. Mai 2001 sah er zum ersten Mal Fotos von der Kosmosdarstellung, den Beilen und den Schwertern. Meller spürte instinktiv ihre Bedeutung. O-Ton 12 Meller: Die Himmelsscheibe ist so unglaublich bedeutsam, weil sie uns einen tiefen Einblick in die geistige Verfasstheit der bronzezeitlichen Menschen zeigt, Archäologen sind ja Kriminalisten, die kommen an einen Fundort und die können ihnen alles sagen über die Größe, das Alter, die Ernährungsgewohnheiten der Skelette, die sie finden. Sie können ihnen alles sagen über die Häuser, die Tiere, mit denen sich die frühbronzezeitlichen Menschen umgeben haben. Sie können ihnen aber nichts sagen über die Musik, nichts sagen über die Philosophie, denn 99,9 Prozent der Menschheitsgeschichte hat ja nichts aufgeschrieben. Musik 4 Krimi Die Paramounts - Kriminalmuseum Track 3: Kriminalmuseum Komponist: Martin Böttcher LC 1156 Autorin 15: Der Landesarchäologe Harald Meller aus Halle an der Saale nahm erst Kontakt zum Landeskriminalamt auf, dann zur Raubgräber-Szene. Er bekundete sein Interesse, streute das Gerücht, er wolle die Himmelsscheibe unbedingt kaufen. Geld spiele keine Rolle. Dann, ein paar Monate später, ein erster konkreter Hinweis. Die Forderung des Hehlers lag bei 350.000 Euro. Meller stimmte breitwillig zu. Ein Treffen mit dem Hehler wurde in Basel arrangiert. Der Rest der Story könnte aus einem Thriller stammen. O-Ton 13 Meller: Also nachdem mich die Polizei belehrt hatte, was ich alles nicht tun soll ? in kein fremdes Autos steigen, auch nicht in ein Taxi, kein fremdes Hotelzimmer betreten usw. - und mir dann doch berichtete, was schon alles in solchen Fällen passiert sei, da hatte ich dann schon ein mulmiges Gefühl Musik 5 Krimi Die Paramounts - Kriminalmuseum Track 3: Kriminalmuseum Komponist: Martin Böttcher, Interpret: Orchester Martin Boettcher LC 03387, Colosseum, CST 8077-2 Autorin 16: 50 Polizisten beschatteten Harald Meller auf seinem Weg zum verabredeten Treffpunkt. Dann ein Anruf auf dem Mobiltelefon: kurzfristige Änderung. Neuer Treffpunkt: eine Hotelsuite. Kaum war der Landesarchäologe dort angekommen, piepte wieder das Mobiltelefon. Die Instruktionen des Hehlers lauteten jetzt: Richtung Tiefgarage. Wohl war Harald Meller bei der Sache nicht. Trotzdem stieg er die Treppen hinab. O-Ton 14 Meller: Ich saß dort dann der Vermittlerin gegenüber, die ich schon kannte. Aber auch einem älteren Herrn. Der immer die Hand in so einer Ledertasche hatte, und durch die Warnungen der Polizei denkt man schnell an eine Waffe und fühlt sich dann doch eher unkomfortabel. Musik 5 Krimi Autorin 17: Aber Harald Meller behielt die Nerven, hievte selbstbewusst seinen Chemiekoffer auf den Tisch, wartete ab. Der Mann reichte ihm erst ein Beil, dann ein Schwert. Meller plünderte sein Köfferchen und tat so als würde er die Funde mit diversen Mittelchen auf ihre Echtheit prüfen. Was natürlich vollkommener Quatsch sei, sagt er und grinst von einem Ohr zum anderen. Damit hätte er absolut nichts nachweisen können. Aber die Prozedur machte Eindruck. Schließlich zog der Mann die Himmelsscheibe unter seinem Pullover hervor, wickelte sie vorsichtig aus dem Handtuch. Harald Meller nahm sie in seine Hände, dann zuckte ihm nur noch eine Gedanke durch den Kopf: der Fund ist echt. O-Ton 15 Meller: Diese Scheibe ist ein Fund von so außerordentlicher Bedeutung. Bei Waffengewalt hätte ich versucht, diese Scheibe in irgendeiner Weise zu behalten. Also hergegeben hätte ich die ohne extreme Gewalt auf keinen Fall. So ein Fund darf nicht in Sammlertresoren verschwinden. Musik 5 Krimi Finale Autorin 18: Dann ging alles sehr schnell. Die Schweizer Polizisten überwältigten den Hehler und die Vermittlerin. Und Harald Meller durfte die Himmelsscheibe mit nach Sachsen-Anhalt nehmen. Aber der Krimi sollte weitergehen. Wer waren die Raubgräber, wo ist der Fundort, können die Kollegen nachweisen, das sie wirklich echt ist und vor allem was bedeuten die Symbole auf der Himmelsscheibe. Bei dieser Frage konnte nur noch ein Astronom weiterhelfen. O-Ton 16 Meller: Die Himmelsscheibe aber ist eine vergleichsweise abstrakte Darstellung des Sternenhimmels. Die älteste und erste, die wir kennen. Und gleichzeitig ist sie kodiert. Auf der Himmelsscheibe ist ein mehrfach verschlüsselter, ich möchte mal sagen Nebra-Code, und dieser Code zeigt uns eine bestürzende astronomische Kenntnis der prähistorischen Menschen, die wir nie erwartet hätten. Autorin 19: Der erste, der diesen Code entschlüsselte, war Wolfhard Schlosser von der Ruhruniversität in Bochum. Er entdeckte, dass die Symbole auf der Himmelsscheibe zu drei unterschiedlichen Zeiten angebracht worden waren und drei völlig verschiedene Aussagen hatten. Die erste Phase zeigt eine nachtschwarze Scheibe mit goldener Sonne, Vollmond, Sichel und 32 Sternen. Auf den ersten Eindruck die einfachste Darstellung mit den wenigsten Informationen. In Wirklichkeit aber ist sie die komplexeste, verschlüsselste und raffinierteste Scheibe von allen dreien. Denn mit ihr hatte ihr Meister einen Mond- und Sonnenkalender entworfen. Er wusste, wann man zum Beispiel einen Schaltmonat hinzufügen musste, so dass sich die Jahreszeiten nicht verschoben. Und das schon vor 4000 Jahren. Harald Meller ist tief beeindruckt. O-Ton 17 Meller: Der Mensch, der die erste Himmelsscheibe herstellte, gehörte auf alle Fälle zu den Eliten der damaligen Zeit. Wir haben in der Frühbronzezeit erstmals eine steile dramatische Hierarchisierung, wir haben zum ersten Mal arm und reich, mächtig und unmächtig, zum ersten Mal Einzelne, die riesige Gebiete kontrollierten. Autorin 20: Dieses explizite Wissen sollte als Memo für einen Einzelnen gebannt werden. Zum einen damit er selbst es nicht vergaß und zum anderer damit er es in seiner Dynastie weiterreichen konnte. Trotzdem ging das Wissen über die Zeit verloren. Die Nachfahren verstanden den Code nicht mehr und fügten darum einige hundert Jahre später einen ganz anderen hinzu. Sie brachten zwei schmale Horizontbögen an den Rändern der Himmelsscheibe an. Sie umfassen genau 82,5 Grad und beschreiben den Lauf der Sonne, die sie innerhalb eines Jahres durchläuft. Musik 6 sphärisch Ancient Civilisations Track 5: Cymbol Komponist: Mark Hawkins LC 08510 Autorin 21: Zur Sommersonnenwende geht die Sonne an einer anderen Stelle unter als zur Wintersonnenwende. Der Winkel, den die Sonne dabei beschreibt, beträgt am Fundort in Sachsen-Anhalt genau 82 Grad. Ein Beweis, dass die Himmelsscheibe in Mitteldeutschland und nicht in Mesopotamien geschmiedet wurde. Der Astrophysiker Rahlf Hansen vom Planetarium Hamburg hat aber inzwischen Belege dafür gefunden, dass das Wissen für die erste Darstellung aus dem Vorderen Orient stammt. Die Menschen in Mitteldeutschland hatten mit der zweiten Phase jetzt nur noch einen Sonnenkalender in der Hand. Sie fallen sozusagen zurück in die Steinzeit. O-Ton 18 Meller: Die hatten damals noch nicht Max Weber gelesen. Die wussten noch nicht, dass in prästaatlichen Gesellschaften dynastisches Wollen meistens scheitert, es gibt bei charismatischen Gesellschaften irgendwann immer einen Schwachen. Und das Wissen reißt ab. Und dann gerät die Scheibe in die Hände eines neuen Besitzers. Musik 5 sphärisch Autorin 22: Und der verhält sich noch rückschrittlicher. Die Himmelsscheibe verkommt zum Kultobjekt. Sie wird mythologisiert. Der Meister bringt eine Himmelsbarke aus Gold auf der Scheibe an. Die Hoffnung: Das Schiff möge für alle Ewigkeit die Sonne über das Firmament transportieren und zwischen den Horizonten hin- und herpendeln. Die Naturwissenschaften sind begraben, es leben die Götter. Kurze Zeit später vergraben die Menschen das Kultobjekt auf dem Mittelberg. Hätten sie die Himmelsscheibe nicht in dem religiösen Akt unter der Erde deponiert, womöglich wäre sie längst zerstört. Der Landesarchäologe Harald Meller hat viel über die Menschheit erfahren. O-Ton 19 Meller: Dass alle Menschen nach Sinn suchen, dass alle Menschen sich in der Welt einordnen möchten, dass die Menschen in einem nachvollziehbaren erklärbaren System leben wollen, dass die Menschen nach Erkenntnis suchen. Als zweites habe ich gelernt, dass Geschichte keine Autobahn ist. Es geht also nicht immer linear weiter, sondern die Geschichte ist ein Gewirr von tausend Wegen, kleinen Straßen, Trampelpfaden und Sackgassen. MUSIK II Georg Friedrich Händel - Feuerwerksmusik Track 4: La Réjouissance: Allegro Komponist: Georg Friedrich Händel Interpret: La Stravaganza Köln LC 8723, Denon, CO 79943 50-04342 Atmo 7 Krähen und Vogelstimmen im Winter Autorin 23: Der Mittelberg. Ein ehrlich gesagt ziemlich unspektakulärer Berg. Der Mittelberg liegt im Burgenlandkreis, mitten im Herzen von Mitteldeutschland. Sachsen-Anhalt ist bekannt für seine Burgen, seinen Wein und seit einigen Jahren auch für seine Berge. Bis vor einem halben Jahr konnte man den Mittelberg kaum von den umliegenden Höhenzügen unterscheiden. Doch mit der Eröffnung des neuen Besucherzentrums am Fuß der Fundstelle der Himmelsscheibe hat sich das grundlegend geändert. Schon von weitem sieht der Besucher das langgestreckte Gebäude durch die Bäume lugen. Das balkenartige Obergeschoss mit einem Knick thront auf einem dunkel verputzen Betonsockel. Seine gelbgoldene Aluminiumhaut glänzt besonders schön in der Sonne. Mit seiner Schiffsform und dem Namen Arche Nebra erinnert es an das Sonnenschiff auf der Himmelsscheibe. Die Architekten wollen damit die Magie des Ortes betonen. O-Ton 20 Rullmann: Bei aller Vorsicht kann man vielleicht ableiten, dass die Menschen in der Bronzezeit die Erde als eine Scheibe vorgestellt haben, und dass sich dann über dieser Scheibe ein feststehender Himmel wölbt. An diesem Himmel fixiert sind dann die Sterne und die Sonne wird eben von einem goldenen Schiff transportiert, das zwischen den Horizonten hin und her pendelt. Autorin 24: Die Architektur lehnt sich an diese Vorstellung an. 4,5 Millionen Euro kosteten Bau und Ausstattung des Besucher-Zentrums. Seit einem halben Jahr arbeitet Anne Rullmann in dem güldenen Sonnenschiff, das über dem Unstruttal schwebt. Ein wunderschöner Ort, sagt sie und steigt die Marmortreppe hoch ins Obergeschoss. Atmo 8 Schritte auf Marmor Atmo 9 Museum Autorin 25: Das Besucherzentrum ist innen genauso modern wie außen ? alles andere als ein Museum mit Vasen in verstaubten Vitrinen. Das Wort Museum ist eigentlich fehl am Platz. Originale findet man hier kaum. Stattdessen betritt der Besucher hier eine coole Lounge in den Farbtönen Orange, Grau und Weiß. Ein goldgelb getöntes Panoramafenster gibt den Blick frei auf den Mittelberg. Über den Köpfen der Gäste schweben dreidimensionale Repliken von Sternen, Vollmond und Sichel. Die aufwändigen Inszenierungen der Dauerausstellung veranschaulichen nicht nur erwachsenen Besuchern, wie das Weltbild aus Bronze und Gold entschlüsselt wurde. Atmo 10 Kasperltheater: Schipp, schipp, ? so´n Schild zum Kämpfen? und danach gehen wir richtig einen trinken, ? Autorin 26: Der Krimi um die Jagd nach dem archäologischen Schatz wird als Kasperletheater lebendig. Atmo 11 Kasperltheater: Zweiter Akt: Der Rubel rollt, die Augen funkeln, der Schatz verschwindet nun im Dunkeln Autorin 27: Ein vorlauter Hausgeist wird in den Glasvitrinen auf Mond- und Sternscheiben projiziert. Den Illusionseffekt wandten besonders gerne Theaterleute im 19. Jahrhundert an. In der Präsentation taucht die Leitfigur immer wieder auf. Mal steckt sie in einem Bronzezeittopf fest oder puschelt die Himmelsscheibe sauber. Vor allem aber unterhält die Figur mit ihrem wilden Geplapper und abstrusen Vorstellungen, wie sich die Geschichte der Himmelsscheibe damals wirklich zugetragen hat. O-Ton 21 Peppers Ghost: 32 Sterne, 32 Tage hat der Monat und wenn dann der dicke Sichelmond kommt, dann muss man was umschalten. Also haben sie das verstanden? Ich habe es nicht verstanden. Autorin 28: Das ist schrille Unterhaltung abseits gängiger Museumspfade. Die Präsentation ist aber auch informativ. In den ersten drei Vitrinen liegen die Zutaten für die Himmelsscheibe: Gold, Zinn und Kupfer. Anne Rullmann erklärt die historische Bedeutung: O-Ton 22 Rullmann: Genau das ist die große Erfindung, die man damals in der großen Bronzezeit gemacht hat. Wenn ich ein ganz klein bisschen Zinn zum Kupfer dazu tue, dann bekomme ich ein neues Metall, das viel viel härter ist als Kupfer alleine. Zum ersten Mal kann ich jetzt Werkzeuge herstellen, die nicht stumpf sind, wenn ich einen halben Baum gefällt habe. Autorin 29: Doch dass das neue Material dreieinhalb Tausend Jahre Weltgeschichte unbeschadet überstehen sollte, hielten wohl auch die Schöpfer für undenkbar. Schon vor 4000 Jahren verliefen Handelswege kreuz und quer durch Europa. Auf ihnen transportierten die Menschen aber nicht nur Waren, sondern auch Ideen. Zum Beispiel die Fertigkeit, die Goldapplikationen auf die bronzenen Scheibe aufzubringen. Das kann den Meistern nicht leicht gefallen sein, denn Bronze ist ein ausgesprochen hartes Metall. Die Technik heißt Tauschier-Plattierung. Der Schmied hat mit Hammer und Meißel eine Rille in die Oberfläche geformt. O-Ton 23 Rullmann: In diese Rille hat er dann den Rand seines Goldbleches eingelegt und dann hat den kleinen Wulst, der in der Oberfläche entstanden ist als er die Rille gemacht hat, wieder über den Rand des Goldbleches übergemeißelt. Das heißt, das Goldblech wird fest geklemmt. Autorin 30: Einige wenige Originale sind in der Präsentation ausgestellt. Zum Beispiel die Hacke, mit der einer der Raubgräber den Schatz aus seiner Grube hieb. Oder ein bronzener Armring und das Bruchstück eines Wendelhalsrings. Die Funde entdeckten Archäologen bei späteren Grabungen auf dem Mittelberg. Dass die Himmelsscheibe nicht in der Arche Nebra am Fundort, sondern demnächst im Landesmuseum in Halle an der Saale zu bewundern sein wird, stört Anne Rullmann kein bisschen. Denn das was die Himmelsscheibe wirklich ausmache, seien die Weisheiten, die in ihr steckten. O-Ton 24 Rullmann: Was für mich das wirklich aller Spannendste daran ist, ist, wie die Himmelsscheibe unser Bild verändert hat von den Menschen, die in der Bronzezeit hier in Mitteldeutschland gelebt haben. Ich glaube vor der Himmelsscheibe herrschte zumindest in den Köpfen der meisten Menschen so das Bild vor, hier in der Gegend vor 3900 Jahren habe sich die Menschen von Ast zu Ast geschwungen und Keulen geschwungen und Fellschürzen getragen. Dass man schon viel weiter war und sehr komplizierte Kalender machen konnte, das wissen wir mit der Himmelsscheibe und das ist auch mit der Himmelsscheibe wirklich ans Ohr der Öffentlichkeit gelangt. Autorin 31: Besucher, die bis jetzt nicht ganz verstanden haben, wie in der Bronzezeit mit der Himmelsscheibe gerechnet wurde, für die lohnt sich ein Gang ins Planetarium. Atmo 12 Planetarium Autorin 32: Dort sitzt der Besucher auf kühlen roten Ledersesseln - und schaut in die Sterne. MUSIK III Hubert Kah ? CD 1, Track 16: Sternenhimmel Interpret: Hubert Kah Komponisten: Ulrich Herter, Hubert Kemmler, Claus Zundel LC 04324, Ariola Express, 708016-2 92-67171 Atmo 13Schritte Atmo 14 Krähen Autorin 33: In drei Kilometer Entfernung von der Arche Nebra ragt auf dem Mittelberg in Sachsen-Anhalt ein bunkerähnlicher Betonbau in den Himmel ? der Aussichtsturm. Der kompakte Körper ist in den Boden der kahlen Bergkuppe gerammt. Er steht schief im Wind, neigt sich zehn Grad Richtung Osten. Er sieht so aus, als ob ihn ein Blitzstrahl in zwei Teile gespalten hätte. Der Schnitt hat einen tieferen Sinn. Von diesem Standpunkt aus ließ sich die Himmelsscheibe einordnen und als Sonnenkalender nutzen. Der Schnitt markiert die Sichtachse zum Brocken, erklärt Anne Rullmann, Mitarbeiterin des Besucher-Zentrums Arche Nebra. O-Ton 25 Rullmann: Es ist nämlich zufällig so, dass wenn ich vom Mittelberg aus den Sonnenuntergang beobachte, dann sehe ich dass die Sonne zur Sommersonnenwende am 21.6. genau hinter dem Brocken untergeht. Am ersten Mai geht die Sonne von hier aus betrachtet genau hinter dem Kyffhäuser unter. Autorin 34: Der erste Mai ist der Tag des Frühlingsfestes. Schon zur Zeit der Kelten huldigten die Menschen diesen Tag. Und vielleicht taten das zuvor auch die Menschen aus der Bronzezeit. Vom Mittelberg aus lässt sich besonders gut der Verlauf der Sonne beobachten. Wie sie innerhalb eines Jahres am Horizont entlang wandert und an unterschiedlichen Orten auf- und untergeht. Aber von dort oben, sagt Anne Rullmann, und zeigt auf den Aussichtsturm, könne das der Besucher viel besser verstehen. Atmo 15 Tür aufschließen Armo 16 Treppe hoch laufen Autorin 35: Im Turminneren lässt ein knalliges Goldgelb die graue Sichtbetonfassade vergessen. 176 Stufen führen auf die Plattform. 30 Meter über der Erde pfeift hier im Winter ein ordentlicher Wind. Atmo 17 Wind bläst Autorin 36: Bei guter Sicht reicht der Blick über die Baumwipfel vom Kyffhäuser bis hin zum Brocken, der höchsten Erhebung im Harz. Am Boden des Turmes durchziehen 50 Zentimeter breite Betonbänder den Erdboden. Sie markieren die Sichtachsen, die die Horizontbögen auf der Himmelsscheibe andeuten. Die Betonbänder laufen quasi auf die Orte zu, wo die Sonne zur Sommersonnen- und Wintersonnenwende auf- und untergeht. Und noch etwas ist von hier oben zu sehen. Eine polierte Edelstahlplatte wölbt sich in den Himmel. Es ist der Fundort der Himmelsscheibe. Nicht gerade spektakulär, sagt Anne Rullmann und lächelt. O-Ton 26 Rullmann: Der Fundort ist gestaltet worden. Ganz bewusst gestaltet worden, man hat also nicht versucht jetzt irgendein altes Bild hervorzurufen, sondern ein Symbol zu schaffen. In dieser Edelstahlplatte spiegelt sich der Himmel. Und das ist genau das, was an diesem Ort 3600 Jahre lang stattgefunden hat. Wir hatten dort 3600 Jahre lang ein Bild des Himmels, das in der Erde liegt. Und das haben wir auch heute wieder. Atmo 18 draußen Autorin 37: Vor der gewölbten Edelstahlplatte steht Thomas Koiki. Der Archäologe vom Landesamt für Archäologie in Sachsen-Anhalt hat vor vier Jahren die Grabungen um den Fundort geleitet. Die Bäume auf der Bergkuppel mussten gefällt werden. Stattdessen standen dann Schaulustige im Weg. Der ganze Medienrummel sei nicht immer hilfreich für die Ausgrabungen gewesen, erinnert sich Koiki und ist irgendwie auch froh, das Ganze hinter sich zu haben. Doch, gibt er dann zu, spannend seien die Grabungen schon gewesen. Auch wenn die Himmelsscheibe von zwei Raubgräbern unsachgemäß gehoben wurde, es war ein riesiger Glücksfall. O-Ton 28 Koiki: Die Raubgräber sind auf die Funde scharf. Die Funde dienen uns zur Datierung, erbauen den Besucher im Museum, wenn er schöne Funde sieht, aber für uns dienen Funde eigentlich der wissenschaftlichen Erkenntnis und wenn sie ihrem unmittelbaren Zusammenhang beraubt sind, dann sind sie nahezu nutzlos. Man kann sich drüber freuen als Privatmensch aber der Wissenschaft dienen sie nicht mehr. Uns ist der Kontext wichtig: Befund und Fund sind ne Einheit und die brauchen wir auch als Einheit. Autorin 39: Niemand weiß, was die Archäologen beispielsweise durch die Lage der Scheibe oder durch die Schichten in denen sie fest steckte, noch hätten erfahren können. Auf der Südseite des Mittelbergs forscht Thomas Koiki unter archäologischen Bedingungen. Dort steht ein verrotteter Wachturm mit einer 300 Meter langen Wallanlage. Aufgrund der Form des Walls hatten Koiki und seine Kollegen vermutet, dass sich unter der Burg eine bronzezeitliche Vorgängerburg befindet. O-Ton 29 Koiki: Das hat sich aber bisher nicht bestätigt. Also dieser Wall, der die Vorburg umgrenzt, ist eindeutig mittelalterlich. Wir bleiben dran und sind da immer noch guter Hoffnung, irgendwo muss es ja sein. Es gibt hier weit über 900 Grabhügel im Ziegelrodaer Forst und da darf man ja auch vermuten, dass einige bronzezeitliche mit drunter sind. Autorin 40: Für Thomas Koiki haben alle archäologischen Funde einen Wert. In dem angeschnittenen Wall konnte er am Boden verkohlte Hölzer ausbuddeln. Ein Glücksfall, sagt Koiki und lächelt. Verkohlte Hölzer? Mittels der C14 Datierung, der Radiocarbonmethode, erklärt Koiki, könne man den Gehalt der Kohlenstoffisotope in dem Holz bestimmen. Immer wenn ein Lebewesen stirbt, sagt Koiki, beginnt die Stoppuhr zu laufen. Je weniger Kohlenstoff, desto älter das Objekt. O-Ton 30 Koiki: Ich bin hocherfreut über die Holzerhaltung und ich denke, man kann es nicht gegeneinander ausspielen ob nun frühe Bronzenzeit, Eisenzeit oder Mittelalter. MUSIK IV The Aberlour´s ? Track 1: White Maid Interpret: Klaus Adolphi Eigenvertrieb (Band aus Halle) Autorin 41: Trotha in Halle an der Saale. Der Stadtteil liegt direkt am Hafen. Seit einem Jahr hat das Landesmuseum für Vorgeschichte hier sein Zentrallager. Das ehemalige Getreidesilo hat sechs Geschosse, endlos lange Gänge, riesige Hallen, Regalreihen so weit das Auge reicht. und ist bestens gesichert. Viele Jahre lang benutzte die Bundeswehr das Gebäude. Noch immer liegt ein Teil der archäologischen Sammlung in den Außenlagern über das ganze Land verteilt. Elf Millionen Fundstücke lassen sich halt nicht so schnell von Punkt A nach Punkt B transportieren. Das braucht seine Zeit. Und fast jeden Tag kommen neue Fundstücke dazu. Wertvolle archäologische Funde gehören automatisch dem Land Sachsen-Anhalt. Wer einen heimlich einsteckt, zuhause ins Regal stellt oder verkauft macht sich strafbar. Dafür sorge das Schatzregal, erklärt der Jurist des Landesamtes für Archäologie in Sachsen-Anhalt. Das Gesetz ist aber rechtspolitisch umstritten. Seine Gegner werfen ihm vor, dass es Raubgräber geradezu verleite, ihre Funde zu verheimlichen. O-Ton 31 Flügel: Natürlich gibt es die Vorstellung, dass ja derjenige, auf dessen Grund und Boden, ja schließlich ein gewisses Recht an der ganzen Sache haben sollte. Und es ist wohl auch so, dass gerade in Nordhrein-Westfalen, Hessen und Bayern viele Funde angezeigt, also gerade in Ländern wo kein Schatzregal besteht. Und das lässt natürlich dann auch aufhorchen. Autorin 42: Auf der anderen Seite: Würde das Schatzregal nicht für Sachsen-Anhalt gelten, dann hätten die Raubgräber die Himmelsscheibe und ihre Beifunde zur Hälfte für sich in Anspruch nehmen können. Um den Gegnern des Schatzregals den Wind aus den Segeln zu nehmen, wurde das Gesetz jetzt modifiziert. Künftig kann das Land Sachsen-Anhalt redliche Schatzsucher belohnen. Im Falle der Himmelsscheibe hätte der Finderlohn aber sicherlich nur symbolischen Charakter gehabt. Atmo 20 kleiner Bohrer Autorin 43: Im Erdgeschoss der Studiensammlung hat Heinrich Wunderlich sein Büro. Übergangsweise, denn die neue Restauratorenwerkstatt ist noch im Bau. Sie bildet quasi das Herz eines Landesmuseums für Vorgeschichte. Hier forschen die Wissenschaftler. Sie suchen nach Beweisen, die ihre Vermutungen stützen und finden Antworten, die ihnen von den Lebenswelten aus früheren Zeiten erzählen. Atmo 21 kleiner Bohrer Atmo 22 Ultraschall ahh ? Sie können richtig Hörschäden kriegen, weil die gefährlichen Frequenzen, die hören sie gar nicht. Autorin 44: Mit fingernagelgroßen Bürsten und Ultraschall rückt Wunderlich den hundert Jahre alten Verkrustungen auf den noch älteren Fundstücken zu Leibe. Auf der Himmelsscheibe aber hätten beide Methoden hässliche Kratzer hinterlassen. In der Restauratorenwerkstatt entwickelte der Chemiker darum die Wunderpaste namens Archäoplex. Mit ihr ätzte er die hartnäckige Malachitoberfläche auf den Goldblechen der Himmelscheibe weg. Es gibt noch viele Rätsel aufzudecken. Der junge Mitarbeiter Daniel Berger glaubt gerade einem auf die Schliche gekommen zu sein. O-Ton 32 Berger und Wunderlich Das ist mein Ergebnis von heute ... was ist das für´n Inlay, ? das ist reines Kupfer ? das ist reines Kupfer, das ist absolut irre. Autorin 45: In dem Depot der Himmelsscheibe lagen auch zwei bronzene Schwerter von außerordentlicher Qualität. Ihre Klingen und Griffe wurden mit feinen Kupferstreifen verziert. Der künstlerische Effekt aber ist über die vielen Jahre verschwunden. Daniel Berger hat ihn mit seinem Experiment wieder sichtbar gemacht. Dazu hat der studierte Archometriker ein feuerzeuggroßes Bronzestück genommen, ein schmalen Streifen eingefräst und darin ein Stück Kupfer eingelegt. O-Ton 33 Berger und Wunderlich Er hat es jetzt geschafft den selektiv zu patinieren, mit einer Lösung ich glaube wir können das verraten, es ist vergorenes Urin und Pottasche ? ohne Pottasche ? nur vergorenes Urin ? Autorin 46: Nach ein paar Tagen bildet sich Ammoniak, das bestimmte Metalle korrodieren lässt. Nur, wie kommt man an so viel vergorenen Urin? O-Ton 34 Berger und Wunderlich: Eigenversuch ? das klingt natürlich ekelig, ist aber ausgesprochen interessant, dass es gelingt, die Bronze unangegriffen zu lassen, so golden wie zuvor. ? und da sind wir womöglich einem ganz spannenden Rätsel auf der Spur. Autorin 47: Zwei Tage lang lagen Bronze und Kupfer in der Lösung, in der Zeit verfärbte sich aber nur das Kupfer. Ein wunderschöner glänzender anthrazitfarbener Streifen entstand. Der hoch legierte Bronzeblock reagierte nicht auf die Lösung. Jetzt glauben die Wissenschaftler zu wissen, warum der Schmied in die Bronzeschwerter die Kupferstreifen einarbeitete. Die schwarzen Verzierungen sahen auf den goldfarbigen Schwertern sicherlich atemberaubend aus, glaubt Heinrich Wunderlich und schaut versonnen auf den Bronzeblock. MUSIK V Beyoncé ? Tarck 5: Wishing on a star Interpretin: Beyoncé Komponist: Billie Rae Calvin LC 00162, Columbia, 676178-2 92-49797 Atmo 23 Baulärm Autorin 48: Das Landesmuseum in Halle an der Saale ist zurzeit eine Baustelle. Im Innenhof steht der neue Betonbau für die neue Restauratorenwerkstatt. Das Museum selbst ? ein massiver, trutziger Bau im Jugendstil - ist zu großen Teilen eingerüstet. Im Moment schwirren hier mehr Bauarbeiter als Archäologen herum. Ab dem 23. Mai aber wird sich das ändern. Dann öffnet der frisch renovierte Bau seine Türen und die Himmelsscheibe ist für jedermann sichtbar. O-Ton 35 Reichenberger: In Fachkreisen war das schon immer ein bedeutendes Museum. Die Funde sind einfach bedeutend, wir sind hier in einer Region, die archäologisch tatsächlich eine der bedeutendsten in Deutschland ist. Wir haben auf die Fläche bezogen die meisten archäologischen Fundstellen in Sachen-Anhalt, nämlich geschätzt 100.000 archäologische Fundstellen. Autorin 49: Alfred Reichenberger, Pressesprecher und Archäologe beim Landesamt, rechnet damit, dass die Besucher in Scharen kommen. So wie bei der ersten Ausstellung vor knapp vier Jahren. Die Himmelsscheibe von Nebra übt eine große Anziehungskraft aus, sagt Alfred Reichenberger mit einem wissenden Blick. Aber auch der Rest des Museum kann mithalten. Atmo 24 Treppe runter laufen ? so jetzt müssen wir hier durch ? Autorin 50: Vor fünf Jahren wurde die Ausstellung neu konzipiert und jetzt um drei Hallen im zweiten Stock erweitert. Oberlichter tauchen die Räume in ein angenehm weiches Licht. Trotz des umfangreichen Fundus lautet die Devise des Landesmuseum für Vorgeschichte: weniger ist mehr. Die Macher setzen auf Originale und keine vollgestopften Vitrinen. In der Paläolithausstellung, die die Steinzeit umfasst, steht die Skulptur eines Urmenschen. Die Gestaltung basiert auf verschiedenen Knochenfunden aus der Zeit vor 200.000 Jahren. Der Ante-Neandertaler hockt einschüchternd echt auf einem Felsen und schaut den Besucher still an, mit Körperhaaren, Hautporen und eingerissenen Fingernägeln. O-Ton 36 Reichenberger: Sie sehen wir haben ihn arrangiert in der Pose des rodinschen Denkers. Es sollte nun ganz sympathisch und lebensecht wirken. Die Idee, die dahinter steckt ist die, dass wir Funde des Neandertalers haben, die auf hohe geistige Fähigkeiten schließen lassen. ? Deswegen wollten wir ihn nicht als dumpfen Urmenschen darstellen, sondern durchaus als Vettern der uns bis zum einem gewissen Grade ebenbürtig war. Autorin 51: Überhaupt geben sich die Gestalter des Museum viel Mühe, Vorurteile abzubauen und stehen damit gewollt oder ungewollt in Verbindung mit der Himmelsscheibe. Atmo Halle mit Hintergrundgeräuschen Autorin 54: Der Saal für die frühe Bronzezeit ist noch komplett leer, nur das Gerippe eines riesigen Stahlgerüstes ist zu sehen ? und Bauarbeiter, die die Wände verputzen. Details möchte Alfred Reichenberger lieber nicht Preis geben. Dann am Ende der Bronzezeit wird die Himmelsscheibe von Nebra zu sehen sein. Sie bildet vorerst den Abschluss der Dauerausstellung im zweiten Stock. O-Ton 38 Reichenberger und Autorin: Das Landesmuseum hat ja nach der Südseite zwei Türme und in einem dieser runden Räume wird die Himmelsscheibe dann als Solitaire präsentiert werden. ? Die Scheibe wird schon sehr zentral präsentiert werden ?. Autorin: Ich nehme an sie wird aufrecht präsentiert werden? ? Ich möchte eigentlich noch nicht mehr verraten. Atmo 26 Warenhaus Galeries Lafayette Autorin 55: Liebhaber der Himmelsscheibe, die die Zeit bis zur Eröffnung des Museums am 23. Mai nicht abwarten können, statten dem Museumsshop in Halle an der Saale einen Besuch ab. Dort sind zwar nicht Originale, aber beeindruckende Duplikate zu sehen. Allerdings auch für beeindruckendes Geld. Eine Scheibe in Originalgröße, grün patiniert, ein Bronzeguss mit galvanisierter Goldauflage, kostet stattliche 918 Euro. Trotzdem ein Renner, sagt Verkäuferin Diana Koch. O-Ton 39 Diana Koch: Es sind alles Einzelstücke, sie werden handgefertigt. Und da finden sie keine, die wirklich noch einmal so aussieht. Also die Kunden kommen wirklich gezielt, die sich das aussuchen. Die gucken sich mehrere an und sagen, die möchte ich. Und dann ist das auch ein Einzelstück. Es ist nichts vom Fließband, nichts, das jeder hat. Autorin 56: Es gibt die Himmelsscheibe aber auch in klein, für weniger Geld. Oder als Ohranhänger, Ring, Kette, Brosche ? für fast jeden Geschmack ist etwas dabei. Wem das zu alles aber nicht echt genug ist, der muss sich eben noch gedulden. SpvD: Der geschmiedete Himmel Ein Museum fürs Firmament in Halle an der Saale Eine Deutschlandrundfahrt mit Susanne Arlt. Musik hoch 1 Die Deutschlandrundfahrt ? Der geschmiedete Himmel Redakteurin: Sonja Scholz, Autorin: Susanne Arlt