COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. VERHAFTET - VERURTEILT - WEGGESCHLOSSEN DAS ENDE DER SICHERUNGSVERWAHRUNG von Jörg Hafkemeyer Neu Atmo 9 Verkehr Brunnen-/ Ecke Bernauerstraße Autor 33" Wolfgang Schäfer ist sehr schlank. Hat ein ausgemergeltes Gesicht. Kurz geschorene grau-braune Haare. Wolfgang Schäfer heißt nicht Wolfgang Schäfer. Er geht mit Thomas Meißner die Bernauerstraße in Berlins Mitte entlang. Will nicht, dass sein wirklicher Name bekannt wird. Wolfgang Schäfer ist der erste Strafgefangene in Berlin, der in diesem Jahr aus der Sicherungsverwahrung entlassen wurde. Nach 18 langen Jahren im Gefängnis. Thomas Meißner ist der Geschäftsführer des Vereins Freie Hilfe. Der kümmert sich um Gefährdete und Straffällige. Thomas Meißner bleibt stehen, erinnert sich an den Tag der Entlassung von Wolfgang Schäfer. 1.O-Ton (2) 39" Thomas Meißner Als der betreffende Herr abgeholt wurde, war das auch unproblematisch, weil die Anstalt da sehr kooperativ war und wir nicht durch die Pforte, sondern durch einen Seiteneingang letztendlich das Ganze abgewickelt haben, aber es war schon eine Gruppe von Berichterstattern dort. Erstaunlich war dann, dass sich innerhalb eines halben Tages vor unserer Geschäftsstelle auf der Straße Jagdszenen abspielten. Jeder, der dieses Gebäude betrat, wurde fotografiert, weil es sich bei dem Herrn, der bei uns in der Betreuung ist, um einen Menschen handelt, von dem es vorher keine aktuellen Bilder gab. Und dieses aktuelle Bild, das war vielen Medien eine ganze Menge Wert. Atmo 9 Verkehr Brunnen-/ Ecke Bernauerstraße Autor 14" Wolfgang Schäfer hört zu. Beide Männer stehen an der Brunnen-/ Ecke Bernauerstraße. War er wütend über den Medienrummel, damals, am Tag seiner Entlassung? Er neigt den hageren Kopf nach links, schaut Thomas Meißner an. 2.O-Ton (17) 17" Wolfgang Schäfer Ach, erst hat es mich ein bisschen aufgeregt aber nachher war es mir eigentlich egal, weil, es waren Boulevardzeitungen gewesen und dass die Stimmungsmache und Meinungsmache machen, das ist bei denen völlig normal. Hat mich auch gar nicht mehr interessiert. Ich habe weder die BZ gelesen noch sonst etwas es war mir egal. Atmo 9 Verkehr Brunnen-/ Ecke Bernauerstraße Autor 18" Er zuckt mit den Schultern. Schlägt die schlanken Hände ineinander. Blickt mit leeren Augen durch die vorbei eilenden Passanten hindurch. Die beiden Männer gehen weiter die Brunnenstraße entlang zum Büro der Freien Hilfe. Bleiben vor der Tür stehen. Thomas Meißner schaut Wolfgang Schäfer an, schüttelt den Kopf über die journalistische Belagerung seines Büros im Februar. Ein Schwerverbrecher auf freiem Fuß. Nach 18 Jahren im Knast. Die Presse will sein Gesicht haben. 3.O-Ton (3) 31" Thomas Meißner Das ganze hat sich eine Woche etwa gestaltet. Ich, als Geschäftsführer, bin dann mehrfach zu den Reportern gegangen und habe ihnen gesagt, das beeinträchtigt hier sehr unsere Arbeit, wenn sich jeder beobachtet fühlt, der bei uns als Ratsuchender in die Beratungsstelle kommt und sie mögen das unterlassen, weil wir nicht kooperieren und der betreffende Mensch auch hier nicht wohnt in den Büroräumen der Freien Hilfe, sondern irgendwo untergebracht ist in einer unserer Wohnungen des betreuten Einzelwohnens. Atmo 9 Verkehr Brunnen-/ Ecke Bernauerstraße (leise bitte!) Autor 5" Wolfgang Schäfer ist kein Sexualstraftäter. Er wurde wegen Gewaltdelikten weggeschlossen. Wie reagiert die Presse erst, wenn die Vergewaltiger und Kinderschänder entlassen werden? Die beiden gehen hinein. Ein vertrauliches Betreuungsgespräch. Atmo 1 U-Bahnfahrt bis zur Holzhauserstraße (JVA - Tegel) Autor 18" Die U-Bahnlinie 6 führt von Berlin-Mitte in den Norden der Stadt. Nach Tegel. Die gelben Wagen sind in diesen Mittagsstunden spärlich besetzt. Wenige Rentnerehepaare, in paar jüngere Frauen, manche mit kleinen Kindern an der Hand, sitzen auf den Bänken, starren hinaus. Holzhauserstraße. (ACHTUNG REGIE: BITTE DAS AUSRUFEN DER STATIONSASAGE FREI STEHEN LASSEN!) Atmo 2 Verkehrslärm auf der Seidelstraße in Tegel Autor 29" Die U-Bahn hält in der oberirdischen Station. Einige der jungen Frauen steigen mit ihren Kindern aus. Reden wollen sie nicht. Überqueren die Seidelstraße, gehen auf die kleine Pforte für Besucher zu: Der größte Männerknast in Deutschland, die Justizvollzugsanstalt Tegel. Atmo 3 Draußen: Schlüssel, Schritte, Türen Autor 14" Volker Ullmann - normaler Häftling, keine Sicherungsverwahrung - steht in einem der Gänge. Leicht vor gebeugt. Ein großer, kräftiger Mann. Schütteres Haar. Lebhafte Augen. Ohne Umschweife erzählt er beim Reingehen in seine achteinhalb Quadratmeter große Zelle warum er hier ist: 4.O-Ton (1) 12" Volker Ullmann Am 5.11.2000 bin ich mit meiner Frau im Streit zusammen gekommen und um sieben Uhr und ein paar Zerquetschte haben wir uns erst verbal dann körperlich gestritten und dabei habe ich meine Frau getötet. Atmo 4 Drinnen: Schritte, Türen klappen auf und zu. Gerede Autor 16" Das Urteil heißt: lebenslänglich. Die stählerne Zellentür bleibt offen. Ein Vorhang dämpft den Lärm in dem vierstöckigen Gebäude. Hier ist die Sozialtherapie, die Sota, untergebracht. Ein engmaschiges, metallenes Netz ist in der ersten Etage gespannt. Es soll Selbstmörder zurückhalten. Beamte, Häftlinge laufen die metallenen Treppen rauf und runter. Volker Ullmann hat sich auf den einzigen Stuhl gesetzt. 5.O-Ton (30) 34" Volker Ullmann Wir befinden uns genau auf Station 5 in meiner Zelle, mein Haftraum, der knapp achteinhalb, neun Quadratmeter groß ist, der auch für die nächsten Jahre mein zu Hause sein wird. Gegenüber kann ich auch gleich meinen Nasszellenbereich sehen, Toilette, Waschbecken, was hier drin ist, alles nicht verdeckt oder irgendwie abgehangen. Auf der anderen Seite habe ich halt meine elektronischen Geräte, damit wir aktuell an den Nachrichten teilnehmen können und natürlich fernsehen können. Radio- und DVD-Player, nur zum Abspielen, nicht zum Aufnehmen. Wir dürfen keine Aufnahmegeräte grundsätzlich haben, egal in welcher Form. Atmo 4 Drinnen: Schritte, Türen klappen auf und zu. Gerede Autor 7" Volker Ullman sitzt mit dem Rücken zur Tür blickt nach rechts auf sein wichtigstes Möbelstück, wie er sagt: 6.O-Ton (31) 4" Volker Ullmann Schreibtisch, Esstisch, Maltisch, Basteltisch - Tisch fürs Leben. Atmo 4 Drinnen: Schritte, Türen klappen auf und zu. Gerede Autor 6" Ullmann ist gelernter Tischler. Hatte einen kleinen Betrieb. Der Mann, der seine Frau ermordet hat, stößt einen überraschenden Satz hervor: 7.O-Ton (2) 2" Volker Ullmann Ich lehne Gewalt grundsätzlich ab. Atmo 4 Drinnen: Schritte. Türen klappen auf und zu. Gerede Autor 9" Dann schweigt der an sich so lebhafte Mann. Schaut auf die wenigen gerahmten, kleinen Fotografien. Ist die Frau dabei, die er umgebracht hat? 8.O-Ton (32) 31" Volker Ullmann Leider nicht. Ich wollte eigentlich, ja, auch zum Andenken an unsere vielen Jahre, die wir miteinander verlebt haben, die waren ja auch gut, wollte ich eigentlich unsere Hochzeitsbilder haben, aber die sind leider alle vernichtet worden. Ich habe keine Bilder von meiner Tochter, die sind auch alle weg. Atmo 4 Drinnen: Schritte. Türen klappen auf und zu. Gerede Autor 6" Wieder dieses Schweigen. Er lehnt sich zurück. Blickt hinauf zur niedrigen Zellendecke. 9.O-Ton (33) 3" Volker Ullmann Ich habe keinerlei Erinnerungen in irgendeiner Form an Kerstin, also mein Opfer. Atmo 5 Drinnen: Schritte, Zellentüren, Stimmen, Essensausgabe Autor 34" Essenszeit. Ullmann steht auf. Geht hinaus. Laut ist es. Schnelle Schritte treppauf, treppab. Die Essensausgabe ist im Erdgeschoß. Unter dem metallenen Netz. Gleich rechts neben dem Ausgang zum Hof. Eine Zelle, die vorgibt, eine kleine Küche zu sein. Ein paar Fliesen an den Wänden wegen der Hygiene. Zwei Kalfaktoren knallen das Essen in die Blechgeschirre. Brei, Suppe, Brot. Brei, Suppe, Brot. Die Männer stehen an. Volker Ullmann auch. Mit dem Essen geht er zurück in seine Zelle. Bis nachher. Er nickt, sieht aus als bedauere er, nicht weiter reden zu können. Atmo 7 Draußen: Gatter, Schlösser, Schritte Autor 15" Raus aus dem Gefängnisgebäude geht es über den Hof. Dann in das nächste Haus. Immer wird aufgeschlossen. Immer wird zugeschlossen. Den ganzen Tag von morgens bis abends. Im Büro des Strafvollzugsbeamten Lars Hoffmann. Der kennt beide Männer lange: Den ehemaligen Insassen Wolfgang Schäfer. Den Insassen Volker Ullmann. 10.O-Ton (1) 23" Lars Hoffmann Aus meiner Sicht ist Herr Ullmann nicht der typische Gefangene mit dem wir es hier zu tun haben. Weil er, im Gegensatz zu vielen anderen auch in der Lage ist, sehr reflektiert über sein Hier sein, über die Ursachen seines Hier sein, über seine Tat zu sprechen und hier aus meiner Sicht wirklich alle Chancen wahrnimmt, die ihm der Vollzug bietet. Atmo 6 Drinnen: Schritte. Türen. Stimmen Autor 13" Im Knast gibt es nicht viele Geräusche. Und die, die es gibt, ähneln sich. Wiederholen sich. Lars Hoffmann arbeitet schon lange im Strafvollzug. Und lange in Tegel. Er hat einen ziemlich positiven Eindruck von Ullmann, der lebenslänglich sitzt, wegen Mordes..... 11.O-Ton (2) 37" Lars Hoffmann Ja gut, wenn man länger im Vollzug arbeitet, oder überhaupt im Vollzug arbeitet, denke ich, muss man ein Stück weit die Tat nicht ausblenden, aber zumindest nicht in den Vordergrund rücken, weil sonst ein vorurteilsfreier Umgang mit den Menschen ja schwierig wird und Ich nehme Herrn Ullmann erstmal so wahr, wie er sich hier gibt und da ist er jemand, der natürlich auch in der Lage ist, sich gut darzustellen und das macht er in vielerlei Hinsicht. Ich sehe in ihm also nicht den verurteilten Mörder sondern ich sehe in erstmal als Herrn Ullmann, der einer 1 350 Gefangenen hier ist. Atmo 6 Drinnen. Schritte. Türen. Stimmen Autor 20" Der Mann Mitte 40 wirkt sehr gelassen, unaufgeregt und wie alle im Gefängnis redet auch er lieber über Häftlinge wie Ullmann, den Lebenslänglichen als über Schäfer, den entlassenen Sicherungsverwahrten. Der Grund ist einfach und gleichzeitig kompliziert: der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat 2009 das "Wegsperren für immer" von gefährlichen Straftätern für unzulässig erklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat daraufhin im Mai 2011 entschieden, dass alle Sicherungsverwahrten in den nächsten zwei Jahren entlassen werden müssen. Eine neue Regelung für diese Gruppe von Straffälligen muss her - gibt es aber noch nicht. In Berlin werden 38 Sicherungsverwahrte nach und nach freikommen. Wolfgang Schäfer war der erste. Damit haben Lars Hoffmann und seine Kollegen nicht gerechnet, sie sind überrascht worden. 12. O-Ton (6) 29" Lars Hoffmann Sicherlich ist die Sicherungsverwahrung ein Instrument, was aus dunklen Zeiten Deutschlands und den 30ger Jahren stammt, als ein Gesichtspunkt, der eigentlich dafür spricht, zu sagen, so kann es nicht weiter gehen, da muss etwas Zeitgemäßes her. Aus meiner Sicht gibt es aber anders herum Fälle, die so gefährlich sind, die man selbst nach Verbüßen, einer normalen, regulären Strafe nicht ohne weiteres wieder in die Freiheit setzen darf, weil sie einfach weiterhin eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit darstellen. Vielleicht gehört Wolfgang Schäfer dazu, vielleicht auch ein anderer der 38 Kandidaten. Die Justizbeamten haben Angst davor, denn wenn etwas passiert, stehen sie am Pranger. Dabei glaubt Lars Hoffmann an Alternativen zur Sicherungsverwahrung: 13.O-Ton (7) 38" Lars Hoffmann Ich bin eigentlich guter Hoffnung, dass es gelingt, künftig eine Form der Sicherungsverwahrung zu finden, die sich deutlich unterscheiden wird von der jetzigen. Die zu einem dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung gerecht wird und zum anderen aber auch den Ansprüchen der Sicherungsverwahrten selbst auf eine angemessene und zeitgemäße Unterbringung und auf Chancen insbesondere aus dieser Sicherungsverwahrung wieder heraus zu kommen. Wenn sie nämlich durch therapeutische Behandlung, durch entsprechende Maßnahmen an ihren Problematiken arbeiten und letztendlich dann es gelingt, dass sie möglicherweise keine aktuelle Gefahr mehr für die Bevölkerung darstellen und sie entlassen werden können. Atmo 7 Draußen: Gatter. Schlösser. Schritte Autor 10" Er muss los. Geht mit raus. Rüber ins Haus, wo Volker Ullmann sitzt. Er kommt später noch mal vorbei, sagt er. Ullmann steht mit seinem gefüllten Essgeschirr am Fuß der Treppe. Atmo 5 Drinnen: Schritte, Essensausgabe, Stimmen, Türen knallen Autor 13" Hinauf geht es in die zweite Etage. Hinein in seine Zelle. Die Tür bleibt offen. Er stellt die Näpfe auf den Tisch. Der große Mann ist Mitglied der Theatergruppe, er ist Christ und geht zum Gottesdienst, hat Kontakte zu Betreuern nach draußen. Er verzieht das Gesicht, kommt vorsichtig auf die gefürchteten Männer, die Sexualstraftäter zu sprechen. Ullmann kennt sich hinter Gittern aus und er kennt sehr viele aus dieser Tätergruppe, sie gehören zu den 38 Sicherungsverwahrten. Viele Gefangene wollen keinen Kontakt zu ihnen, blicken auf sie herab. Ullmann nicht. Er ist sogar mit einem befreundet. Ob es eine Sicherungsverwahrung geben muss? 15.O-Ton (17) 23" Volker Ullmann Teils, teils. Es gibt Täter, die darf man nicht mehr raus lassen. Das steht fest. Das ist einfach so. Die sind so hoch gefährlich, weil, auch nicht nur einmal bestraft, sondern fünf, sechs, sieben Mal wegen Kindesmisshandlung oder wegen Missbrauch oder auch Vergewaltigung an erwachsenen Frauen verurteilt, teils mit brutalster Gewalt, die auch die Einschätzung haben, nicht therapierbar. Atmo 4 Drinnen: Schritte, Türen klappen auf und zu, Gerede Autor 6" Dann zögert er, schaut sehr nachdenklich hoch als Lars Hoffmann in der Zellentür steht und meint: 14.O-Ton (18) 14" Volker Ullmann Die kann man nicht raus lassen und gerade diese Tätergruppe versucht es auch nicht, das muss ich auch mal dazu sagen. Ich habe also zwei SVer kennen gelernt, die in dieser Tätergruppe sind, die sagen klipp und klar, Vollzug, tut uns einen Gefallen, lasst uns nicht mehr raus. 15.O-Ton (5) 19" Lars Hoffmann Na ja, das ist ja keine leichte Frage, die man in, ein zwei Sätzen beantworten kann, gerade vor dem Hintergrund der Diskussionen, die ja im politischen Raum jetzt stattfinden. Atmo 4 Drinnen: Schritte, Türen klappen auf und zu, Gerede Autor 9" Lars Hoffmann nickt, grüßt stumm, dreht sich um und geht. Volker Ullmann setzt sich hin. Das Essen ist unterdessen kalt. Nachdenklich schaut er dem Beamten hinterher..... 16.O-Ton (23) 34" Volker Ullmann Was ich ziemlich ungerecht finde für alle Beteiligten, nicht nur für die SVer, da steht ein Gutachter, der die Entscheidung zu treffen hat, da steht ein Richter und ein Staatsanwalt, der die Entscheidung zu treffen hat, ein Anwalt und ein SVer. Ich denke, dass solche Sachen von einem Gnadenausschuss entschieden werden sollten, ob jemand sicherungsverwahrt wird. So eine Art Schwurgerichtsinstanz. Und wenn die Bevölkerung sagt. dass der Mann in der Sicherungsverwahrung bleiben soll, dann, dann ist das auch eine gerechtere Sache als das was zurzeit hier läuft. Atmo 4 Drinnen: Schritte, Türen klappen auf und zu, Gerede Autor 6" Er muss los. Zur Theatergruppe. Er baut die Kulissen und spielt auch mit. Bis morgen..... Atmo 6 Drinnen: schnelle Schritte, Stimmengewirr, Zellentüren Autor 18" Es ist ziemlich was los in diesen Nachmittagsstunden. Die Häftlinge kommen von der Arbeit zurück. In der JVA gibt es kleine Betriebe. Eine Tischlerei, eine Kfz-Werkstatt, eine Wäscherei und, und und.....wenn alle Insassen im Haus sind, werden sie gezählt. Wenn einer fehlt gibt's Alarm. Alle werden dann eingeschlossen. Die Suche beginnt. Heute fehlt keiner. Atmo 7 Draußen: Gatter, Schlösser, Schritte Autor 9" Die Höfe zwischen den einzelnen Gebäuden des größten männlichen Strafvollzugs in Deutschland sind leer. Die Gefangenen eingeschlossen. Die Besucher längst gegangen. Atmo 2 Verkehrsgeräusche Seidelstraße in Tegel vor der JVA Autor 18" Vor dem Haupteingang der JVA Tegel an der Seidelstraße. Wolfgang Schäfer kommt aus der Sozialtherapie. Dort muss er sich seit seiner Entlassung Anfang des Jahres einmal die Woche melden, sich ausfragen lassen, wie er sagt. Das ist eher eine Meldestelle als eine Therapie. Wenn der hagere Mann nicht durch Berlin streift, Sehenswürdigkeiten anschaut, sitzt er zu Hause in einer kleinen von der Freien Hilfe zur Verfügung gestellten Wohnung an seiner Spielkonsole oder liest Zeitung. Inkognito. Die Nachbarn kennen ihn nicht. Autor 18" Er schaut auf das große, schwere Haupttor, denkt an die Tage vor seiner Entlassung. Den Medienrummel. Gleichgültig ist ihm die Sache immer noch nicht: Die hinterhältigen, verlogenen Artikel über den ersten Sicherungsverwahrten, der in Berlin aus dem Gefängnis kommt. Wolfgang Schäfer glaubt zu wissen, woher die Reporter ihre Informationen bekommen haben. 17.O-Ton (18) 29" Wolfgang Schäfer Ich nehme an aus dem Knast, interne Informationen. Anders geht's ja nicht. Ich meine, die haben ja bei manchen Leuten auch die Straftaten aufgelistet. Woher wollen sie das wissen. Das war eigentlich unmöglich. Vor allen Dingen wussten die schon vorher, als das Urteil gefällt wurde, vom Landgericht, dass ich entlassen werden soll. Da wussten die das schon vorher bevor ich erst überhaupt das schriftlich auf dem Tisch hatte. Da wussten die das schon. Das kam schon im Radio und in der Abendschau. Also das ist recht ungewöhnlich. Ich denke, die müssen schon interne Quellen haben. Selbstverständlich, denke ich schon. Atmo 2 Verkehrsgeräusche Seidelstraße in Tegel vor der JVA Autor 18" Er spricht nicht mit Journalisten. Die ganzen Monate seit er hier raus gekommen ist nicht. Er informiert sich. Liest Zeitungen, hört Radio, interessiert sich für Sport und Politik, erzählt er auf dem Weg zum U- Bahnhof Holzhauser Straße. Macht sich Gedanken über seine Zeit in der Tegeler Sicherungsverwahrung. Ist die richtig? Ist sie falsch? 18.O-Ton (19) 33" Wolfgang Schäfer Ja, ich weiß nicht, ob daran was falsch ist. In der Sicherungsverwahrung sollte meiner Meinung nach mit den Leuten gearbeitet werden. Therapeutisch oder so, aber die ganzen Jahre, die ich da oben war, da ist nichts passiert, rein gar nichts. Die haben aufgeschlossen und die Leute waren sich selbst überlassen, was sie den ganzen Tag machen. Und das war es. Genauso mit den Beamten. Die kamen einmal vielleicht um halb Vier oder so oder zum Dienstwechsel. Dann waren die regelmäßig weg. Die waren regelmäßig weg. Also wahrscheinlich unten wieder in der Zentrale Kaffee trinken, was weiß ich, was die gemacht haben, ist mir auch egal gewesen. Atmo 2 Verkehrsgeräusche Seidelstraße zwischen JVA und U-Bahnhof Autor 14" Er bleibt auf dem Weg zum Bahnhof stehen, schaut sich noch einmal um: Die Sicherungsverwahrten wie er sitzen in Tegel dahinten in der turmartigen Teilanstalt 5, zeigt er mit dem rechten Arm. TA 5, sagen die Knackis und die Beamten. Zu denen hat Schäfer ein zwiespältiges Verhältnis.... 23.O-Ton (20) 14" Wolfgang Schäfer Doch, natürlich kann man mit denen reden. Bei mir war es so gewesen: Auf der Seite bin ich und das sind nicht meine Freunde, ganz sicher nicht. Also gehe ich nicht darunter, meine Problemchen lösen, oder so. Soweit kommt das nicht, dazu ist es nicht gekommen. Atmo 1 In der U-Bahn zum Kurt-Schumacher-Platz Autor 30" In der U-Bahn Richtung Mitte. Wolfgang Schäfer ist jetzt ein gutes halbes Jahr draußen. Verurteilt war er wegen Totschlags. Knapp 18 Jahre verbringt in der JVA Tegel. Sein Vorstrafenregister ist zum Zeitpunkt der Verurteilung lang. Ein Versuch, aus der JVA Tegel auszubrechen wird entdeckt, scheitert. Einzelhaft. Um die Jahreswende 2010/2011 steigen seine Chancen, entlassen zu werden, weil nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die gesetzlichen Bestimmungen zur Sicherungsverwahrung in Deutschland geändert werden müssen. Im Februar ist es schließlich soweit nach langen Jahren Knast, Stumpfsinn, tristem Alltag, Langeweile. Ein Moment der Freude? 19.O-Ton (21) Wolfgang Schäfer Nein. Nach so langer Zeit kann man sich nicht mehr richtig freuen. Weil, man lässt es einfach auf sich zukommen. Entweder es läuft oder es läuft nicht. Vor allen Dingen weil man ja weiß... man kennt die Justiz ja und dass die da immer noch was versuchen und noch mal was versuchen, das haben wir gesehen beim ersten Urteil 2009. Atmo 1 In der U-Bahn zum Kurt-Schumacher-Platz Autor 9" Zum ersten Mal spricht er öffentlich über das, was er im Gefängnis erlebt hat, über seine Kontakte zu anderen Insassen während der knapp 18 Jahre hinter Gittern..... 20.O-Ton (11) Wolfgang Schäfer Man liegt ja mit mehreren Leuten zusammen. Man muss ja zwangsläufig zu denen Kontakt haben. Aber engeren Kontakt hatte ich eigentlich nur mit drei, vier Leuten gehabt. Das hat auch gereicht, weil ich mit den Sittenstrolchen nichts zu tun haben wollte. Atmo 1 Verkehrsgeräusche Autor 12" Sexualstraftäter stehen auf der untersten Stufe der Gefängnishierarchie. Genießen überhaupt kein Ansehen, werden oft sogar verachtet. Oben, nach dem Aussteigen, auf dem Kurt-Schumacher-Platz, sagt er, bevor er sich verabschiedet, um sich mit seinem Betreuer Thomas Meissner, zu treffen, warum er mit denen nichts zu tun haben will und zieht eine Grimasse. 21.O-Ton (12) Wolfgang Schäfer Ja, weil ich so etwas einfach nicht nachvollziehen und auch nicht verstehen kann. Das ist für mich einfach heimtückisch und niederträchtig, so etwas zu tun. Und feige ist es. Ich meine, wer geht an Kinder ran, wer geht an Frauen ran, vergewaltigt Frauen. So etwas macht kein normaler Mensch. Ich meine, einen normalen Kriminelle kann ich durchaus verstehen, dass es ihm um Geld geht... Ok, in Ordnung, aber ein Sittendelikt kann ich nicht nachvollziehen..... kann ich einfach nicht. Atmo 10 Verkehrsgeräusche Autor 17" Die beiden Männer gehen in Richtung Einflugschneise des Flughafens Tegel. Wolfgang Schäfer will sich die hier sehr niedrig einfliegenden Maschinen anschauen. Er entdeckt Berlin neu, sagt er und verabschiedet sich. Atmo 8 Drinnen: Schritte, lautes Gerede Autor 13" Der nächste Morgen. Im Tegeler Gefängnis. Volker Ullmann, lebenslänglich, steht auf, freut sich. Er hat erfahren, dass sein Freund, der Sexualstraftäter, endlich aus der Sicherungsverwahrung entlassen wird. 22.O-Ton (24) 27" Volker Ullmann Er geht in die Freiheit nach 22 Jahren und das gönne ich ihm von ganzen Herzen. Ich weiß von ihm, dass er auch solide seiner Arbeit nachgehen wird. Er hat seine eigene Wohnung. Er hat seine Freunde und seinen festen Halt draußen, also Leute, die ihn auch sozial unterstützen werden, dass er auch nicht mehr rückfällig wir, weil er ja auch in der Tätergruppe Sexualstraftäter ist. Ich freue mich für ihn, dass er draußen sein Leben wieder leben kann. Autor 7" Volker Ullmann sieht seinen Freund Uli Schütz, so heißt er nicht wirklich, fast täglich. Fragt ihn, ob er ein Interview gibt. 23.O-Ton (25) 22" Volker Ullmann Einerseits wäre er natürlich gerne bereit gewesen, zu reden, weil es eine Sache ist, die für die Öffentlichkeit wichtig ist. Aber der andere Punkt ist, dass momentan auf Grund der Boulevardpresse, die Bevölkerung natürlich derartig aufgehetzt ist, weil sie natürlich nie wirklich richtig informiert wird, sodass es also massivste Drohungen gegen ihn gegeben hat, sodass er also auch still, ruhig und heimlich hier auch aus der Anstalt gehen und geschützt wird. Atmo 8 Drinnen: Schritte lautes Gerede Autor 17" Volker Ullmann sagt, den Kopf in beide Hände gestützt, er spricht viel mit seinem Freund in den Tagen vor dessen Entlassung aus der Sicherungsverwahrung der JVA Tegel. Versucht, ihm seine Angst zu nehmen. Eine Therapie, eine spezielle Betreuung für Sicherungsverwahrte hier drinnen gibt es ja nicht. 24.O-Ton (27) 17" Volker Ullmann Er hatte stellenweise große Angst. Dadurch, dass er aber jetzt alles sehr solide in den Griff gekriegt hat und sehr liebe Hilfe hat, hat er eigentlich gar keine Angst mehr raus zu gehen. Er wird in der Versenkung verschwinden, auf Deutsch gesagt, also in der Öffentlichkeit unter gehen und dann wird er sein restliches Leben draußen in Freiheit leben und auch verbringen. Atmo 8 Drinnen: Schritte, lautes Gebrüll am Ende (FREI STEHEN LASSEN!!!) Autor 12" Volker Ullmann steht vor seinem schmalen Regal, dreht sich um, hat noch etwa drei Jahre vor sich, meint der lebenslänglich Verurteilte. Dann kann er mit 18 abgesessenen Jahren vorzeitig entlassen werden. Ob er einen Wunsch hat? 25.O-Ton (35) 1" Volker Ullmann Ja, durch den Wald spazieren gehen. Atmo 8 Drinnen: Schritte, lautes Gebrüll bleibt frei stehen 1