COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandrundfahrt/Susanne Arlt / 31.10.2009 Jingle und Kennmusik O-Ton 1 Ursula Duchow: Wir hatten ja hier eine Rasthof vor der Tür, Rasthof Börde. Und da hat man sich schon sehr als Mensch zweiter Klasse gefühlt, denn dort war ja nur Westgeld angesagt. Das war schon frustrierend, wenn man dann in den Rasthof rein ging und als DDR-Bürger sehr scheel angeguckt wurde. Musik hoch O-Ton 2 Klaus Möller: Das Abweichen von der Transitstraße war verboten, das Mitnehmen von Personen war verboten. Und der Transitreisende war gehalten, diesen Transitweg in einer bestimmten Frist einzu- halten. Musik hoch O-Ton 3 Kerstin Sehr: Ja man wusste, dass da die Grenze war. Aber ich meine, ich hatte meine Arbeit, ich hatte mein Zuhause hier. So ne Sehnsüchte hatte ich eigentlich nicht. Musik hoch O-Ton 4 Peter Herfurth: Danke lieber Herrgott, dass ich heute wieder hier sein darf, dass du mich bei dem Crash am 29. September bewahrt hast. Ich komme als Autobahnkirchenbesucher ganz anonym an einen Ort, wo ich heulen kann, wo ich mich hinsetzen kann, wo mich keiner beobachtet und schon gar keiner mich kennt. Musik hoch SpvD: Zwischen Irxleben und Eilsleben - ein Mal Transit und Umgebung Eine Deutschlandrundfahrt mit Susanne Arlt Atmo 1 Wir stehen am Ausfalltor, und gerade heute hat es wieder eine Schlange von drei Kilometer Länge gegeben. Vorher fiel gerade ein Schuss, woher kam der? Ja das passiert hier oft. Die Ostpolizei, da sitzen die Kugeln ziemlich locker im Lauf. Sind auch oft Leute, harmlose Grenzgänger, die nicht stehen geblieben sind, die über den Haufen geschossen worden. Autorin 1: Vergangene, aber nicht vergessene Zeiten. Vor 60 Jahren am Grenzübergang Marienborn. Die Autobahn von Helmstedt nach West- Berlin ist endlich wieder offen. Zehn Monate lang hatten die Sowjets ver- sucht, den Westteil der Stadt zu isolieren und über zwei Millionen Menschen quasi auszuhungern. Dafür blockierten sie damals alle Zu- gangswege. Schienen, Straßen und Wasserwege waren gesperrt. Stalin wollte damit die Alliierten zwingen, ihre Pläne für die Gründung eines Weststaates aufzugeben. Ohne Erfolg. Anfang 1949 begann Stalin schließlich einzulenken, er hob die Berlin-Blockade wieder auf. Atmo 2 Für uns ist es natürlich sehr erwünscht, wenn der Verkehr fließend abgefertigt wird. Leider ist das natürlich nicht immer möglich, weil auf der Ostzone die Abfertigungen schon einmal sehr verzögert durchgeführt werden, so dass sich hier auf unserer Seite hin und wieder größere Schlangen bilden und zwar bis fünf oder sechs Ki- lometer. Autorin 2: Vier Jahrzehnte lang wurden Reisende aus dem kapitalistischen Aus- land fortan penibel kontrolliert, ihre Fahrzeuge gründlich durchsucht. In den 70er und 80er Jahren bauten die 1.000 Bediensteten den Grenzübergang Marienborn zu einem fast perfekten Überwachungssystem aus. Nur wenigen Menschen gelang über diese Transitstrecke die Flucht in den Westen. Atmo 3 Autobahn laut Autorin 3: Ein grauer Herbsttag. Aufgeblähte dunkle Wolken hängen tief über der Landschaft. Es nieselt. Klaus Möller lehnt mit dem Rücken zur Eingangstür des Autobahnreviers Börde. Regelmäßig zieht er an seiner Zigarette, atmet den Rauch in die Lungen, bläst ihn dann durch Nase und Mund wieder aus. Kleine Nebelschwaden entstehen. Möller fröstelt, zieht die schmalen Schultern hoch. Die Temperatur ist auf fünf Grad ge- sunken. Es wird Herbst, sagt er leise und seufzt. Im Herbst gibt es statistisch wieder mehr Unfälle. Viele Autofahrer unterschätzen das nasskalte Wetter. Klaus Möller schnippt mit dem Zeigefinger die Zigarette auf den Boden und tritt sie dann aus. Keine 50 Meter vor ihm rauscht ein nicht enden wollender Strom an Fahrzeugen über die wichtigste Verkehrsverbindung zwischen West- und Osteuropa. Noch lehnt Klaus Möller entspannt an der Tür. O-Ton 5 Klaus Möller: Es ist hier ständig Verkehr, es gibt hier keine zehn Minuten wo nichts fährt. Uns beunruhigt, wenn das Geräusch wegbleibt. Dann heißt das, das irgendwo ein Stau ist, es kommt keener mehr oder es ist ein Unfall. Das beunruhigt uns, wenn hier Stille herrscht. Autorin 4: Möller ist seit vierzig Jahren Polizist und die meiste Zeit davon hat er an der A2 verbracht. Zu Zeiten der DDR hieß die A2 noch A11. Das Rauschen, sagt Möller, nehme er schon gar nicht mehr wahr. O-Ton 6 Klaus Möller: Mit dieser Autobahn, egal in welcher Bezeichnung ob damals A11 oder heute A2 also das sind schon einige Jahre Autobahner- fahrung. Das ist mein Arbeitsplatz, an den ich mich gewöhnt habe und hier möchte ich auch noch bis zu meiner Pensionierung bleiben. Autorin 5: Nach seinem Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee entschied sich Klaus Möller für eine Ausbildung bei der Polizei. Nach zwei Jahren Offiziersschule versetzte man ihn in die Abteilung Verkehrsgruppe Transit. Von zwei Kontrollpunkten aus wachte die Volkspolizei damals mit Argusaugen über die Transitstrecke östlich und westlich der Elbe. Im Visier hatten sie vor allem Autos mit westdeutschem Kennzeichen. Keine Fernstraße wurde im Kalten Krieg vermutlich so gründlich kon- trolliert wie die A2. Heute - 20 Jahre nach dem Mauerfall - überwachen Möller und seine Kollegen noch immer die Autos auf der A2. Allerdings Kennzeichenunabhängig, sagt Möller und lacht. Störfallmanagement heißt jetzt sein Aufgabengebiet. Das heißt Möller und seine Kollegen werden zu Unfällen gerufen, bergen Verletzte, organisieren Hilfe und leiten bei Stau den Verkehr um. Nicht immer eine dankbare Aufgabe. O-Ton 7 Klaus Möller: Es gibt auch wirklich aggressive Leute, die teilweise beleidigend werden. Haben Sie nichts Besseres zu tun als uns hier im Stau stehen zu lassen, sehen Sie lieber zu, dass Sie die Fahrbahn wieder frei kriegen. Es gibt superschlaue Kommentare über die Schaltzustände der Verkehrsbeeinflussungsanlage. Es gibt solche Äußerungen, ihr im Osten seid doch alle blöd, ihr müsst noch viel lernen. Autorin 6: Doch die meisten Fahrer verhalten sich anständig, betont Möller. Für das Tempolimit auf der A2 können er und seine Kollegen nun wirklich nichts. Die Geschwindigkeitsbegrenzung wird automatisch geschaltet. Bei Regen geben die Sensoren der elektronischen Anlage 120 Kilo- meter pro Stunde vor. Aber nicht jeder Autofahrer hält sich daran. Atmo 4 Leitstelle Autorin 7: In der Leitstelle des Autobahnreviers Börde wurde ein Unfall gemeldet. Im Jahr ereignen sich auf der A2 in Sachsen-Anhalt durchschnittlich 1.000 Unfälle. Klaus Möller setzt sich die blaue Mütze auf den Kopf. Zeit für eine neue Zigarette bleibt nicht. Der 56-jähirge steigt in den blauen Dienstwagen. Am Steuer sitzt sein jüngerer Kollege Christoph. Atmo 5 Tür zuschlagen, anschnallen, Funkspruch ... in Richtung Berlin, ja? ... Ja dann nehmen wir den, haste da nen genauen Kilometer? ... A46, den nimmt die 28. Hörer auflegen. ... Fahren ... Autorin 8: Der Mercedes rollt über die Ausfahrt auf die A2. Christoph drückt aufs Gaspedal, schnell ist der Wagen bei Tempo 140. Wir schaffen maximal 220 Kilometer pro Stunde. Manch Verkehrssünder kann darüber nur müde lächeln. Atmo 6 Fahrt innen O-Ton 8 Christoph: Es sind uns auch schon Leute entkommen, das muss man ganz offen sagen. Auch schon mit nem Audi A3. Autorin 9: Klaus Möller lehnt sich entspannt zurück. Bis zur Unfallstelle sind es noch zehn Minuten Autofahrt. Der 56-jährige schaut aus dem Fenster. Regen prasselt gegen das Blech. Der Fahrtwind zieht die Tropfen in langen Fäden über die Scheibe. Im Auto ist es angenehm warm. Früher im Lada, erinnert sich Möller, war das nicht ganz so komfortabel. O-Ton 9 Klaus Möller: Selbstverständlich hat sich in den letzten 20 Jahren auch die Technik verändert. Wenn ich da dran denke, dass wir vor na ja 20 Jahren noch mit Pkw-Lada gefahren sind oder Transporter B 1.000, das ist mit der heutigen Technik nicht mehr vergleichbar. Bequemer und durch die passive Sicherheit der Fahrzeuge auch sicherer. Autorin 10: In den 90er Jahren wurde die A2 auf jeweils drei Fahrbahnen ausgebaut. Die Strecken sind seitdem wunderbar asphaltiert oder glatt betoniert. Das Verkehrsaufkommen ist rasant gestiegen, die Fahrzeuge sind schneller geworden, doch ansonsten, sagt Möller nüchtern, habe sich in den vergangenen Jahren gar nicht so viel auf der A2 verändert. Dass man jetzt beim alten Grenzübergang Marienborn einfach durchbrettern kann, sei halt normal. O-Ton 10 Klaus Möller und Christoph: Früher, da wusste jeder, da ist Schluss. Bis dahin darf ich, bis dahin kann ich. .... Na ich finde es immer noch schön, weil ich erinnere mich noch daran, dass alle meine Klassenkameraden schon zum zweiten Mal im Westen waren und meine Eltern das nicht so eilig hatten. Und mich immer vertröstet haben und ich dann schon betteln musste, dass wir dann noch vor Weih- nachten 89 noch einmal rüber fahren. Autorin 11: 40 Jahre lang aber war ein rüber fahren für die DDR-Bürger schlicht unmöglich. Für Westdeutsche wurde dagegen das Durchfahren zu einer Tortur: langwierige Visa-Bearbeitungen, Gebühren, schikanöse Kontrollen und Durchsuchungen. Das Transitabkommen von 1971 sollte daran etwas ändern. Es war das erste Abkommen auf Re- gierungsebene, das damals zwischen den beiden deutschen Staaten geschlossen wurde. En Detail war in dem Abkommen aufgelistet, wie der Transitverkehr vonstatten gehen sollte. Ein Transitreisender durfte nicht einfach von der Autobahn abfahren. Besuche waren nur im Intershop oder in der Gaststätte Mitropa erlaubt. Einen Anhalter mit- zunehmen, war verboten. Und man sollte nicht trödeln. Wer sich für die Strecke zwischen Helmstedt und Marienborn zu viel Zeit nahm, der fiel unangenehm auf. O-Ton 11 Klaus Möller: Die A2 damals war Betonstraße, teilweise in sehr schlechtem Zustand. Teilweise noch in dem Bauzustand des dritten Reiches. Und es gab dann über das Transitabkommen geregelt, die Finanzierung des Ausbaus. Es wurden eins Komma und ein paar Milliarden Bundesmittel nur für den Ausbau des Fahrbahnzustan- des der Transitstraßen verwandt, zum Bau von Mittel- schutzplanken, die es ja auch damals nur an bestimmten besonders gefährlichen Stellen gab. Also es gab da schon einige Verbesserungen für alle Verkehrsteilnehmer. Titel: Autobahn Interpret: Kraftwerk Komponist: Hutter/Schneider Text: Hutter/Schneider/Schult LC/Best.-Nr.: Electrola, LC 4513 Atmo 7 Autobahn laut Autorin 12: Die A2 zwischen Irxleben und Eilsleben führt in Sachsen-Anhalt mitten durch die Börde. Der Begriff Börde, so sagt lapidar das Lexikon, steht für flaches, für baumarmes Land mit immerhin fruchtbarem Lößboden. Aber irgendwie scheint der Himmel schwerer über dieser Landschaft zu lasten als anderswo in Deutschland. Musik 2 Interpret: Thomas Newman Titel: Dead already Komponist: Thomas Newman LC/Best.-Nr.: Dreamworksrecords, LC 07266 Autorin 13: Vielleicht sind es die unglaublichen Dimensionen einzelner Zuckerrü- ben- oder Weizenfelder, die man schon nicht mehr in der Zahl von Fußballfeldern auszudrücken vermag. Vielleicht sind es aber auch die Menschen, die man, wenn man von der A2 abfährt, nur sehr selten zu Gesicht bekommt. Die Magdeburger Börde scheint auf den ersten Blick nahezu ausgestorben. Dabei enden gerade in dieser Gegend auffällig viele Ortsnamen auf Leben. Das fängt gleich schon hinter der niedersächsischen Grenze an. Mit Alleringersleben Und geht weiter mit Eimersleben, Erxleben, Uhrsleben, Tundersleben, Schackensleben, um nur einige wenige Leben in der Börde zu nennen. In diesem Landstrich, wo die höchste Erhebung, der Wartberg gerade mal 150 Meter über dem Boden ragt, verstecken sich die meisten Dörfer lieber in den Falten der Landschaft. Man kann sie und ihre Bewohner leicht übersehen. So wie zum Beispiel Niederndodeleben, südlich von der A2. Atmo 9 Dorf mit Hahn, der kräht Autorin 14: Kopfsteinpflaster, Fachwerkhäuser, Kleinvieh kräht hinter großen grünen Stalltüren. Nach dem Mauerfall ist die Künstlerin Ursula Duchow hierhin gezogen. Auf großen Öl-Leinwänden hat die 56-jährige die platte Bördelandschaft verewigt. Besucher können die Bilder draußen an ihrer Hauswand bewundern. O-Ton 12 Ursula Duchow: Man sagt, die höchste Erhebung ist die Zuckerrübe, aber da tut man eigentlich unserer Region ziemlich unrecht. Ich finde eigentlich den schweren Boden auch sehr schön. Wenn Sie durch die Felder marschieren und sie sehen die Abendsonne, dann leuchtet die Erde dunkelrot. Und dann duftet es nach Erde. Hier ist es gar nicht bloß platt und flach. Autorin 15: Ursula Duchow stammt aus Magdeburg. Das Leben in der DDR engte sie ein. Keine Reisefreiheit, keine Redefreiheit, kein Leben für die kri- tische Künstlerin. O-Ton 13 Ursula Duchow: Diese Vorstellung, von der Welt nichts gesehen zu haben und zu sterben, und nicht zu wissen, wie die Welt überhaupt ausgesehen hat, das war für mich eine fürchterliche Vorstellung. So und das wollte ich gesehen haben, das war mein Lebens- traum. Autorin 16: Im Sommer 89 flüchtete sie mit ihrem Sohn über die tschechische Grenze. Nach der Wiedervereinigung habe sie sich wieder hergetraut, sagt sie. Aber vorher musste die 56-jährige ihren Lebenstraum erfüllen. Sie hat die Welt bereist, einige Jahre in Spanien gelebt. Vor elf Jahren hat sie schließlich in Niederndodeleben ihre neue alte Heimat wiedergefunden. Duchow mir ihrem wilden roten Lockenkopf ist inzwischen Bördianerin mit Leib und Seele. Vor zwei Jahren hat sie in ihrem Garten das erste Holunder-Kontor in Deutschland eröffnet. Ich möchte ein Stück regionale Kultur bewahren, sagt sie. O-Ton 14 Ursula Duchow: Also ich habe den Holunder, diese alte Kulturpflanze der Börde, zu meiner Leidenschaft gemacht. Es ist eine Kulturpflanze, die in der Region immer beheimatet war. Die Zuckerrübe ist zwar noch nicht so alt, aber die Küche zusammen, Zuckerrübe und Holunder, ist allein schon erzählenswert. Autorin 17: Die Scheune im Hinterhof lässt sie gerade zu einer Einmach- und Schauküche umbauen. Ende des Jahres sollen die Arbeiten abge- schlossen sein. Börde-Besucher können dann mit Ursula Duchow knusprige Holunder-Küchlein backen, gold-gelben Holundergelee ko- chen oder den selbst gemachten Holunder-Likör genießen. O-Ton 15 Ursula Duchow: Ich zitiere immer gerne unsern Wasserdoktor Kneipp, der sagte die wohlhabenden Leute pilgern zu Kuren, die teuer sind, sie sollen doch zum Holunder gehen, da finden sie alles, was sie brauchen. Atmo 9 Dorf Autorin 18: In Niederndodeleben wohnen inzwischen 4.300 Einwohner. Vor allem junge Familien, sagt Duchow. Tendenz steigend. Das ist nicht gerade ty- pisch für ein Land wie Sachsen-Anhalt. Ein Land, in dem nach dem Fall der Mauer der demographische Wandel sozusagen seinen Ursprung fand. Vor sieben Jahren hat Ursula Duchow gemeinsam mit dem ortsansässigen Tierarzt Diethard Brüggemann ein Heimatbuch verfasst: Niederndodeleben - Bördedorf zwischen Wartberg und Schrotetal lautet der Titel. Ein Kapitel beschreibt, was es nun mit dem Leben in der Börde auf sich hat. Alles begann mit den Warnen. Die Warnen waren ein germanischer Volksstamm. Zur Zeit der Völkerwanderung verließen sie ihre skandinavische Heimat und zogen Richtung Süden bis ins heutige Sachsen-Anhalt. Orte, die auf Leben enden, wurden von den Warnen vermutlich schon im sechsten Jahrhundert gegründet. O-Ton 16 Ursula Duchow: Dort verstand man unter dem Wort Leben, natürlich nicht wie heute, sondern leve und leue, war zu verstehen das Wort Besitz. Das Wort Zugehörigkeit, also der Clanälteste setzte seinen Vornamen davor. Und leve oder leue bedeutet dann es gehört zu ihm, es ist sein Besitz und es vererbt, das Wort Erbe war auch noch darin enthalten. Autorin 19: Also keine Bezüge zur heutigen Bedeutung? Oder vielleicht doch? O-Ton 17 Ursula Duchow: Die Funde in den letzten zehn Jahren kann man sagen, dass unser Bördegebiet schon vor 4.000 Jahren besiedelt war. 2005 oder 06 wurde die älteste Bürgerin ausgegraben, 4000 Jahre alt unter der Autobahnbrücke. Natürlich da wo fruchtbarere Boden war und da wo es Wasserläufe gibt, siedelten sich die Menschen an. Da fanden sie natürliche Begebenheiten, um zu überleben. O-Ton 18 Diethard Brüggemann auf plattdeutsch: Stellt sich die Frage, nach die Ahnen, ... Dohläh eben. Musik 3: Interpret: Marius Müller-Westernhagen Titel: Lass uns leben Komponist: Marius Müller-Westernhagen Text: " LC/Best.-Nr.: WEA, LC 04281 Autorin 20: Wer mit dem Auto auf der A2 zwischen Magdeburg und Hannover unterwegs ist, der erblickt kurz vor der Ausfahrt Irxleben ein ungewöhnliches Schild hinter den silbernen Leitplanken. Musik 4 Titel: Der Messias - Hallelujah Komponist: Georg Friedrich Händel Interpreten: RIAS Kammerchor & RIAS Sinfonietta Autorin 21: Bei Kilometer 98 sind auf dem weißen Schild die schwarzen Konturen einer Kirche zu erkennen. Der Hinweis führt den neugierigen Besucher nur einen Kilometer weiter direkt nach Hohenwarsleben in die romanische Dorfkirche Sankt Benedikt. Im Jahr 2002 öffnete dort die erste Autobahnkirche in Sachsen-Anhalt ihre Kirchentür für jedermann. Musik 4 Der Messias - Hallelujah Autorin 22: Familien auf dem Weg in den Urlaub, Geschäftsleute, ganze Reise- busse kehren hier ein. Jährlich sind es bis zu 12.000 Besucher, die zu diesem ungewöhnlichen Rastplatz für die Seele fahren. Atmo 12 Raben krächzen, jemand harkt einen Weg Autorin 23: Das eiserne Gittertor steht offen. Sankt Benedikt ist umgeben von dem Friedhof der Stadt Hohenwarsleben. Die Gräber sehen gepflegt aus, der weiche braune Torfboden ist ordentlich geharkt, die Wiese wurde vor kurzem gemäht. Der Besucher läuft über holpriges Pflaster an den Grabsteinen entlang zur Kirche. Atmo 13 Rauschen und Krähen Autorin 24: Das Rauschen der Autobahn vermischt sich mit dem Krächzen der Raben. Von morgens acht Uhr bis in den späten Abend können Dorfbewohner und fremde Autofahrer hier abschalten. Gemeindepfarrer Peter Herfurth hat aus ganz unterschiedlichen Gründen schon Gäste be- grüßt: Spanier, Holländer, Polen, Japaner und Koreaner. Am Eingang liegen darum Faltblätter mit dem Vaterunser aus: auf Italienisch, Französisch, Spanisch, Englisch und Russisch. O-Ton 19 Peter Herfurth Die sind auf einer Urlaubsreise und machen hier Station, manche machen auch hier auf der Wiese Picknick. Dann sind Geschäftsreisende, die auch hier Pause machen, einfach um etwas zur Ruhe zu kommen. Da sind einige, die mir erzählen, dass sie ganz zielgerichtet immer, wenn sie auf der Autobahn unterwegs sind herkommen, um für sich eine Gebetszeit einzulegen, sehr verschieden. Autorin 25: Der schmale spitze Turm der Kirche stammt aus der romanischen Zeit, die Säulen im Kirchgang aus der gotischen Zeit, die Hufeisenempore, der Altar und die dunkelbraun glänzenden Bänke aus Holz aus der Gründerzeit. Auf dem Boden liegt ein abgewetzter rot-braun gemusterter Teppich. Der soll den maroden Estrich verdecken, sagt Pfarrer Herfurth fast entschuldigend. Das Besondere an dieser Kirche? Der 46-jährige muss nicht lange überlegen. Dass es sie überhaupt noch gibt - das ist das Besondere. Zwanzig Jahre lang war Sankt Benedikt nämlich wegen Einsturzgefahr gesperrt, von Efeu überwuchert, Dachziegel lagen verstreut auf dem Boden. Erst mit dem Fall der Mauer, kam auch für die Kirche die Wende, sagt Eleonore von Westarp. 1996 zog sie mit ihrem Mann in das alte Pfarrhaus. O-Ton 20 Eleonore von Westarp: Ich bin ein typischer Ossi, ich habe also erst nach der Wende den Weg in die Kirche gefunden. Mein Zugang ist über das Erhalten und Bewahren gekommen. Also Zustände, die so waren wie der hier, so etwas kann ich einfach nicht ertragen. Und durch das Pfarrhaus war es eigentlich naheliegend, dass das Thema Kirche mit unserem Leben weiter zu tun haben wird. Autorin 26: In demselben Jahr tagte auch der evangelische Kirchbautag in Sachsen-Anhalt. Die bundesweite Fachtagung beschäftigt sich mit der erweiterten Nutzung von Kirchen. Damals überlegten die Gemeindemitglieder gemeinsam mit den Architekten, was man mit solch einer maroden Kirche noch anstellen kann. Abreißen? Renovieren? Das kostet doch Millionen, warnten einige der 180 Gemeindemitglieder. Schließlich kam man auf die Idee mit der Auto- bahnkirche. Musik 4: Der Messias - Hallelujah Autorin 27: Die Gräfin gründete einen Förderverein, 35 Mitglieder packten mit an, räumten Ziegel, marode Balken und tonnenweise Schutt aus der Kirche. 500.000 Euro Fördermittel flossen. Und inzwischen ist aus dem traurigen Ort wieder ein Ort der Andacht geworden, sagt Pfarrer Herfurth. In einer gemauerten Nische liegt das Anliegenbuch. Da be- dankt sich ein Autofahrer beim lieben Herrgott dafür, dass er ihn vor dem Crash am 29. September bewahrt hat. Bei uns in der Kirche soll sich die Seele erholen, sagt Peter Herfurth. Denn beim Autofahren gehe einem viel durch den Kopf. O-Ton 21 Peter Herfurth Da denke ich auch mal über die Dinge nach, wo ich mir zuhause nicht so die Zeit für nehme. Wie ist das mit meinem Leben, wie ist das mit meiner Partnerschaft und dann auch die plötzlichen Erlebnisse, eben einen Unfall gesehen. Das ist die eine Seite und die andere Seite, dass so eine Autobahnkirche ja bewusst ein Ort ist, der Menschen anspricht, die hier nicht zuhause sind. Ich komme als Autobahnkirchenbesucher ganz anonym an einen Ort, wo ich heulen kann, wo ich mich hinsetzen kann, wo mich keiner beobachtet und schon gar keiner mich kennt. Autorin 28: Zu den 12.000 Besuchern der Autobahnkirche hat der Pfarrer nur selten Kontakt. Wer in dem Anliegenbuch seine Telefonnummer hinterlässt, den ruft Peter Herfurth natürlich zurück. Doch die meisten Gäste verlassen den Raum, wenn er Sankt Benedikt betritt. Die Menschen suchen in der Autobahnkirche eben nicht das Seelsorgergespräch, sondern sie suchen die Stille. Geld bekommt die Kirchengemeinde dafür nicht. Doch wer mag, der kann auf dem Weg nach draußen ein Spende in den Opferstock werfen. Atmo 15 Geld in Opferstock werfen Musik 5 Interpret: Depeche Mode Titel: Enjoy the silence Komponist: Martin L. Gore Text: " LC/Best.-Nr.: Polystar, LC 04324 Atmo 16 Autobahn Autorin 29: Gegenüber von Hohenwarsleben liegt bloß einen Steinwurf entfernt Irxleben. Bundesweit bekannt geworden ist Irxleben vor allem wegen der Staumeldungen. Die A2 trennt die beiden Gemeinden, die in Sachsen- Anhalt zur Verwaltungsgemeinschaft Hohe Börde gehören. Die Fern- straße hat vielen Städten hier zu ein wenig Reichtum verholfen. Denn an einer Autobahn siedelt sich vor allem Gewerbe an und das zahlt, sofern die Geschäfte gut laufen, gutes Geld in die Haushaltskasse. Thomas Schultze, ehrenamtlicher Bürgermeister von Irxleben, freut´s. O-Ton 22 Thomas Schultze: Wir waren die erste Kommune in Sachsen-Anhalt, die 1990 einen genehmigten Bebauungsplan für ein Gewerbegebiet vorlegen konnte. Autorin 30: Früher dominierte in Irxleben die Landwirtschaft, heute das produzie- rende Gewerbe. Die Grundstücke konnte man nach dem Mauerfall günstig anbieten, weil der Bund und die EU blühende Landschaften im Osten schaffen wollten. In Irxleben hat das geklappt. Es gibt einen Stahlbaubetrieb, ein Glaszentrum, eine Druckerei, einen Metallverarbeiter. 200 große und kleine Unternehmen haben sich inzwi- schen in Irxleben niedergelassen. Seit der Konjunkturkrise sind die Einnahmen aus der Gewerbesteuer zwar gesunken. Darum geht es uns im Moment zwar nicht sehr gut, aber doch immerhin gut, sagt der Bürgermeister. O-Ton 23 Thomas Schultze: Wir haben gesagt, Irxleben wird nie ein Luftkurort werden. Mir der Autobahn, das können wir uns abschminken. Und wenn wir den Verkehr schon haben vor der Haustür, dann wollen wir auch davon profitieren. Und deswegen hat sich der Gemeinderat entschlossen, dieses Gewerbegebiet zu erschließen. Und ich glaube, das war die richtige Entscheidung. Wir haben durch dieses Gewerbegebiet rund 1.000 Arbeitsplätze geschaffen. Autorin 31: Kein schlechter Schnitt für eine Stadt, die 1.400 Haushalte hat und damit fast so viele Arbeitsplätze wie potentielle Arbeitnehmer. Andere Landstriche in Sachsen-Anhalt sind dagegen 20 Jahre nach dem Mauerfall nicht ganz so schön aufgeblüht. In der Börde liegt die Ar- beitslosenquote bei knapp zehn Prozent, in Sachsen-Anhalt bei durch- schnittlich über dreizehn Prozent. O-Ton 24 Thomas Schultze: Ich glaube, das hängt auch ein bisschen mit der A2 zusammen, mit der günstigen Lage zwischen A2 und A14. Wir sind ja so mit- ten in diesem Kreuz drin. Zum zweiten die günstige Lage zur Landeshauptstadt und das hat dann nicht nur im Gewerbe geboomt, wir haben auch viele Wohngrundstücke vermarkten können. Irxleben hatte vor der Wende 850 Einwohner und jetzt haben wir 2.500, also der Ort hat sich verdreifacht. Und das ist na- türlich auch gegen den Trend. Autorin 32: Im Zentrum von Irxleben wird gerade ein neuer moderner Kindergarten gebaut. Im kommenden Jahr können dort 100 Mädchen und Jungen betreut werden. Und das ganztags vom ersten bis zum zehnten Lebensjahr, sagt Schultze stolz. Solch einen Luxus kann sich nicht jede Gemeinde leisten. Die A2, seufzt der Bürgermeister, sei aus Irxleben gar nicht mehr wegzudenken. Ja, man habe der Fernstraße viel zu verdanken. Nur manchmal, da nervt sie ein bisschen. Zum Beispiel, wenn Schultze nach einem harten Arbeitstag als Zahnarzt mit der Ehefrau draußen im lauschigen Garten auf der Hollywood-Schaukel entspannen will. O-Ton 25 Thomas Schultze: An lauschigen Sommerabenden, wenn man dann so auf der Terrasse sitzt, dann kann man sie auch manchmal verfluchen, weil der Lärm doch sehr störend ist. Gerade so bei Nordwestwind ist es so, dass es dolle stört. Damals sind wir ein bisschen übertölpelt worden. Damals wurde so eine Art Raumord- nungsverfahren sehr schnell durchgezogen und da wurde auf Lärmschutz nicht so geachtet. Wenn sie mal so Richtung Helmstedt, Braunschweig fahren, da sehen sie Lärmschutzanlagen vom Feinsten und hier ist ja nischt. Autorin 33: Es ist das einzige Mal, dass bei Thomas Schultze ganz leise Ressen- timents anklingen. An manch anderen Orten in Sachsen-Anhalt hadern die Menschen mehr mit dem, was ihnen die Einheit brachte. Doch das Versprechen von den blühenden Landschaften, in Irxleben waren es keine hohlen Worte. Über dem Schreibtisch von Thomas Schultze hängt ein Luftbildfoto von seiner Stadt - und der Autobahn versteht sich. Das imposante Farbfoto bedeckt fast die ganze Wand. Ja, die Irxlebener identifizieren sich mit der A2. Aber das war nicht immer so, erinnert sich der Bürgermeister. O-Ton 26 Thomas Schultze: Vor der Wende war die A2 ja nicht so gerne gesehen, weil es ja die Transitstraße war und Irxleben lag dicht dran und hier hat viel die Stasi observiert und Ratshof Börde war ja so ein richtiges Stasinest. Und hier hatte man Bedenken, dass die Leute auf dem Transitweg abhanden kommen und deswegen wurde hier scharf kontrolliert. Autorin 34: Heute ist das längst passé und die Verwaltungsgemeinschaft hat die A2 sogar in ihrem Wappen verewigt. Zu sehen sind ein goldener Strauß aus sechs Weizenähren, ein goldener Turm und in der Mitte ein schwarz- silberner Streifen. Die Ähren stehen für die Fruchtbarkeit in der Börde, der Turm für den Namen Hohe und der Streifen für die Autobahn. O-Ton 27 Thomas Schultze: Irxleben liegt nun mal an der Autobahn, wir haben das Beste draus gemacht und können da eigentlich gut mit leben. Es lohnt sich auf jeden Fall mal abzufahren. Musik 6: Interpret: Elvis Presley Titel: Heartbreak Hotel Komponist: Mae Boren Axton Text: " LC/Best.-Nr.: RCA Records, LC 00316 Atmo 17 Autobahn laut Autorin 35: In Irxleben an der A2 hat das produzierende Gewerbe längst die Landwirtschaft abgelöst. Dabei lebten die Gemeinden in der Börde Jahrhunderte lang gut von dem was unter und auf ihrem schweren Lößboden gedieh. Plattes, flaches, ödes Land mit riesigen Feldern prägt aber auch heute noch große Teile der Landschaft südwestlich von Magdeburg. Die Börde war einst die Kornkammer Deutschlands, galt mit ihrem Zuckerrübenanbau als die bedeutendste Zuckerdose Europas. Und wer von Irxleben über die A2 weiter Richtung Westen fährt, die Abfahrt Tundersleben nimmt, der landet schnell dort, wo die Börde noch immer Börde ist: plattes, flaches, ödes Land mit riesigen Weizen- und Zuckerrübenfeldern. Atmo 18 Windrad Autorin 36: Na gut, erst einmal erspäht der Besucher die sechzehn Windräder auf den kleinen Anhöhen. Lahm bewegen sich ihre Flügel im Wind. Zur Dorfverschönerung tragen sie nun nicht wirklich bei, aber sie zeugen von dem Innovationswillen und der Leidensfähigkeit dieses ostdeutschen Bundeslandes. Atmo Windrad kurz wieder hochziehen Autorin 37: In Tundersleben grüßt am Ortseingang eine lachende Bördekartoffel von einem Plakat. Auf dem Schild steht: Hofverkauf. Der Kartoffelanbau musste hier einst zwangsweise eingeführt werden. Dann aber erkannten die Bauern den großen Segen, der von dem knorrigen Teufelszeug ausging. Die Kartoffel machte die Menschen nämlich satt und das bis heute - wenn auch im übertragenen Sinne. O-Ton 28 Almuth von Bodenhausen und Ralf Kramer: Wollte nur mal horchen ist der LKW voll? Nee, nee, circa ne drei- viertel Stunde noch. Und danach sortieren wir Drillinge. Drillinge ja. Gut, o.k., ja viel anderes ist im Moment auch nicht zu machen. Nee, roden geht nicht. Nee viel zu kalt, viel zu nass. Atmo 14 Kartoffelhalle Autorin 38: Almuth, Freifrau von Bodenhausen, ist Mitgesellschafterin der Kartoffelaufbereitungs- und Handels GbR in Tundersleben. Von ihrem Mitarbeiter Ralf Kramer will die Geschäftfrau wissen, wie es mit dem Verladen läuft. In der Halle steht ein riesiger Lkw, 28 Tonnen passen in den Hänger. Das kostbare Gut soll schnellstmöglich nach Adersleben in den Harz transportiert werden. Dort werden die Kartoffeln gewaschen, in Netzbeutel verpackt und landen in den Regalen der Supermärkte. Kartoffeln sind Mimosen, sagt die studierte Landwirtin. Liegen sie zu warm, keimen sie, sind sie Tageslicht ausgesetzt, werden sie grün. O-Ton 29 Almuth von Bodenhausen Für die Kartoffelfrucht gibt es keine Subventionen. Darum gibt es große Preisschwankungen, mal waren es fünf Mark pro 100 Kilo, dann waren es sogar mal fast 50 Mark. Der Anbau von Kartoffeln rechnet sich nur über mehrere Jahre, weil die Schwankungen so groß sind. Atmo 15 Purzeln Autorin 39: In Sekundenschnelle purzeln hunderte Kartoffeln der Sorte Birte auf den Hänger. Insgesamt 9.000 Tonnen Kartoffeln können in den Hallen in Tundersleben gelagert werden. Das entspricht einer Anbaufläche von 160 Hektar. Darum kaufen wir auch von anderen Erzeugern Knollen dazu, sagt Almuth von Bodenhausen, die grüne Gummistiefel, Jeans und eine graue Strickjacke trägt. Atmo 16 Reingehen in die Sortierhalle Autorin 40: Die Kartoffeln lagern nebenan in einer abgedunkelten Halle. Die Ne- onröhren unter der Decke leuchten grün. Damit überlisten wir sie, erklärt die Geschäftsführerin. Die biologische Reaktion: die Kartoffeln bleiben außen hellbraun und innen hellgelb. Princess, Arnika, Birte, Melodie, Du- nella, Toskana. Feste, halbfeste und mehlige Sorten lagern in mannshohen Drahtgitterboxen. Anderthalb Tonnen der kostbaren Frucht passen in solch eine Box. O-Ton 30 Almuth von Bodenhausen: Die Kartoffel lagert ja eigentlich so bei fünf Grad. Wenn man sie bewegen will muss sie zehn Grad haben. Denn sonst kriegt sie blaue Flecken. Wenn man jetzt weiß, am nächsten Tag muss man drei Ladungen auf einen LKW kriegen, dann holt man sich entsprechend viele Kisten raus. Wir haben einen Vorwärmraum, wo wir die Kartoffel auf Temperatur bringen und dann werden sie ausgelagert, werden noch einmal verlesen über unsere Sor- tieranlage und gehen dann auf einen LKW. Autorin 41: Nördlich von Tundersleben liegt das Dorf Brumby. Dort lebt Almuth von Bodenhausen mit ihrem Mann, ihren vier Kindern, den vier Pferden, zwei Katzen und der Berner Sennenhündin Cora. Albrecht von Bodenhausen stammt ursprünglich aus Friedland in Niedersachsen. Seine Eltern hatten einen landwirtschaftlichen Betrieb, den aber erbte sein älterer Bruder. Albrecht von Bodenhausen studierte trotzdem Landwirtschaft, obwohl ihm damals klar war, dass er sich vermutlich keinen eigenen Hof leisten kann. O-Ton 31 Albrecht von Bodenhausen: Das wäre im Westen gar nicht möglich gewesen, weil die Betriebe sind da ja alle auch verteilt und man hätte Verwalter werden können, also mein Ziel wäre vielleicht gewesen Beratung oder in die Industrie zu gehen. Aber das Größte war für mich eigentlich immer selbständig zu sein und einen Betrieb ähnlich zu führen wie mein Vater. Autorin 42: Als die Mauer fiel, bot sich plötzlich diese Gelegenheit. O-Ton 32 Almuth von Bodenhausen: Diese Möglichkeit, einen Betreib von dieser Größe zu pachten, hat sich sicherlich nur durch den Mauerfall für uns ergeben. Das Verschwinden der Grenze war die Chance, die wir sonst nie ge- habt hätten. Autorin 43: Per Zufall stieß das junge Ehepaar auf das 220 Hektar große Anwesen in Brumby, das dem Johanniterorden gehört. Im November 1990, erinnert sich Albrecht von Bodenhausen, haben wir uns den Hof das erste Mal angeschaut. Von dem alten Herrenhaus platzte der Putz, manch umliegende Gebäude drohten zu verfallen. Trotzdem ließen sich die beiden nicht entmutigen. O-Ton 33 Albrecht von Bodenhausen: Da ging es nicht darum wie sieht was aus, sondern was können wir hier aufbauen und was bietet sich für uns an Entwicklungschancen. Das war eigentlich viel wichtiger. Autorin 44: Sechs Interessenten bewarben sich, das Gut zu pachten. Die Familie von Bodenhausen bekam den Zuschlag, weil sie nach Brumby ziehen wollte. Diese Entscheidung haben sie bis heute nicht bereut. Im Dorf wurden sie freundlich aufgenommen, sagt Almuth von Bodenhausen. Die Menschen waren neugierig, wohlwollend und hilfsbereit. Und zu ihrem Glück gab es keinen anderen Landwirt im Dorf. Über Zupacht bewirtschaftet das Ehepaar inzwischen 410 Hektar Ackerfläche. Sie pflanzen Weizen, Gerste, Raps, Zuckerrüben und natürlich Bördekartoffeln an, die es in ganz Deutschland zu kaufen gibt. Musik 7: Interpret: Ella Fitzgerald Titel: Let's call the whole thing off Komponist: George und Ira Gershwin Text: " LC/Best.-Nr.: BHM, LC 14403 Atmo 17 Autobahn mischen mit Atmo 18 Küche O-Ton 34 Kerstin Sehr: Harald was haben wir heute als Tagessuppe. ... Heute haben wir als Tagessuppe Lachs-Shrimps-Cremesuppe. Ah lecker, gut danke. Atmo 19 Brummi-Stube Autorin 45: Autohof Uhrsleben. Im vorderen Teil bedienen sich die Gäste selbst, im hinteren Teil des Rasthofes übernimmt das Kerstin Sehr. Seit vielen Jahren leitet die 48-jährige die Brummi-Stube. Mit ihren kurzen roten Haaren, der hellen Haut und den wenigen Lachfältchen um die grau- grünen Augen sieht sie viel jünger aus. Die Trucker-Kneipe ist gemütlich eingerichtet mit braunen Holzbänken, roten Lederkissen darauf und blau-weißen Fähnchen auf den braunen Holztischen. Im Moment haben wir unsere bayerischen Wochen, sagt Kerstin Sehr und begrüßt jeden neuen Gast mit einem strahlenden Lächeln. Im vergangenen Jahr hätten die Trucker sie fast zur Bedienung des Jahres gewählt. Ihr Charme zahlt sich aus. Auch bei Achim, der sich nach einer langen Fahrt aus Köln auf eine der Holzbänke plumpsen lässt. O-Ton 35 Kerstin Sehr und dein Gast: Ach bist du auch mal wieder hier, wie geht´s? Tag Kerstin, ach ich bin froh, dass ich jedes Mal wieder hier anhalten kann. Runter von der Scheiß Autobahn, schon wieder Stau. Freue mich schon auf das Essen hier, was habt ihr Schönes im Angebot ... Autorin 46: Achim zündet sich eine Zigarette an. In der Tracker-Stube darf er das. Doch im Moment würde es sowieso niemanden stören. Die restlichen Bänke sind leer. Seit der Wirtschaftskrise kochen sich viele Brummi- Fahrer ihren Kaffee lieber selbst in ihrem Lkw-Häuschen. O-Ton 36 Kerstin Sehr: Wir klagen ja auch. Wir hatten die ersten Jahre viel zu tun. Wir rannten hier manchmal abends zu viert rum. Und heute ab 20 Uhr sind es nur noch zwei. Weil eben nicht mehr so´n Betrieb ist wie früher. Wir können froh sein, dass wir die holländischen Fahrer noch haben, die hier regelmäßig einkehren. Atmo 20 Cola holen Autorin 47: Kerstin Sehr läuft hinter den Tresen, zapft eine Cola und bringt sie Achim an den Tisch. O-Ton 37 Kerstin Sehr: So hier haste deine Cola, hast du schon was gefunden? Deftig feurig riesig handgemacht, Big 66, da habe ich richtig Appetit drauf. ... mit Pommes .... Jaja mit Pommes, sag mal wer kocht denn heute? Der Roko? Der soll mal schön Zwiebeln drauf ma- chen. Anständige Portion wie immer und dann bin ich schon zu- frieden. Autorin 48: Vor 20 Jahren hätte sich Kerstin Sehr nicht getraut, so vertraut mit einem Truckerfahrer aus Köln zu plaudern. Vor dem Mauerfall arbeitete sie auf dem alten Rasthof Börde. Als sechzehnjährige begann sie ihre Lehre bei der Mitropa-Gaststätte. Damals trichterte man ihr ein: Kameras und Mikrophone würden jeden ihrer Schritte bewachen. Mit Gästen aus dem Westen dürfe sie nicht reden und das Trinkgeld auch nicht behalten. Wer bei der Mitropa arbeiten wollte, musste sich an Regeln halten. O-Ton 38 Kerstin Sehr: Man kam rein in den Ratshof und dann ging man die Treppe run- ter und dann war da das normale Restaurant. Für Transitreisende, Ostdeutsche. Und dann ging man eine Treppe hoch, da war dann eben nur das für Transitreisende das Restaurant. Da drüber das war ja tabu für uns. Das war dann für die Bewohner der Sicherheit. Autorin 49: Viele Transitreisende, erinnert sich Kerstin Sehr, kehrten damals lieber in dem Restaurant im Untergeschoss ein. Stressig war das damals, viel stressiger als heute, sagt die 48-jährige. Unser Essen war bei den DDR-Bürgern sehr beliebt. Auch bei den Transitreisenden. Der Rasthof Börde war der erste und der letzte Rasthof vor dem Grenzübergang Marienborn. Vorurteile, sagt Kerstin Sehr, hatten die Wessis schon damals. O-Ton 39 Kerstin Sehr: Wie geht es euch denn hier so, ihr kriegt doch nicht alles. Ich sage, natürlich kriegen wir hier alles zu kaufen. Ich sage, uns geht es doch gut. Die haben immer gedacht, wir sind hier in so´m Käfig. Wenn die dann immer so erzählt haben die Gäste, ich sage, mal gucken würde ich ja auch mal. Aber dass ich jetzt sage, da drüben bleiben, weiß ich nicht. Wenn man hier alles hat, wenn die Wurzeln hier sind. Musik 8: Titel: Route 66 Interpret: Nat King Cole Komponist: Robert William jr. Troup Verlag: Capitol, LC 00148 Atmo 21 Autobahn mischen Atmo 22 Ja ist nur Sachschaden, wir fahren zur 190 zur Unfallaufnahme ... Funkverkehr Autorin 50: Polizeihauptkommissar Klaus Möller und sein Kollege sind inzwischen bei der Unfallstelle angekommen. Zum Glück nur Sachschaden, ein geplatzter Scheinwerfer, eine Delle im vorderen Kotflügel. Der junge Autofahrer hat seinen Führerschein erst seit einem Monat. Atmo 23 Der wollte wahrscheinlich runter und war ein bisschen schnell in der Kurve. ... Losfahren ... weiterfahren mit Warnsignal ... Autorin 51: Obwohl das Verkehrsaufkommen stetig steigt, gehen die Unfälle auf der A2 in dem Abschnitt zwischen Irxleben und Eilsleben zurück. O-Ton 40 Klaus Möller: Wenn ich jetzt mal vergleiche, das Verkehrsaufkommen, was über die Autobahn an Fahrzeugen rollt, zu den Unfallzahlen, sind nach wie vor statistisch beweisbar die Autobahnen die sichersten Straßen in Deutschland und Europa. Autorin 52: Monatlich passieren laut Statistik auf der 85 Kilometer langen Strecke 105 Unfälle, zu denen Klaus Möller und seine Kollegen von der Auto- bahnpolizei Börde gerufen werden. Das Revier steht heute da, wo vor 20 Jahren noch die Mitropa-Raststätte stand. Der Intershop, der Rast- hof, beides wurde in den 90er Jahren abgerissen. Von den Zeiten aus dem Kalten Krieg ist nach 20 Jahren nicht mehr viel übrig geblieben. Nur noch ein altes Gebäude steht in Sichtweite des Reviers. Fenster und Türen sind längst herausgerissen, das Flachdach ist eingefallen, meterhohes Unkraut wuchert aus den Löchern im aufgeplatzten Est- richboden. O-Ton 41 Klaus Möller: Das ist eine ehemalige Tankstelle vom alten Rasthof Börde, die noch übrig geblieben ist, weil es hier noch Probleme mit den Ei- gentümern gibt, sonst wäre das längst abgerissen. Das ist ja so ziemlich der einzigste alte Rest, den es noch gibt von der alten A2. Atmo 24 Autobahn laut SpvD: Zwischen Irxleben und Eilsleben - ein Mal Transit und Umgebung Eine Deutschlandrundfahrt mit Susanne Arlt Musik hoch 1