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Auch Alexander Gerst, der per Knopfdruck das Soundsystem bedient, schwebt nicht. Er steht breitbeining da, strahlt: Regie: O-Ton 2 (22s) Das sind typische Geräusche, die man auf der Raumstation hört, das ist jetzt hier eine Funkunterhaltung über den Space to Ground Kanal, das heißt der Kanal zwischen Boden und Raumstation, damit man einen Eindruck geben kann, wie sich das auf der Raumstation anhört, in echt.) Autorin: Das Modell bildet einen Teil der Internationalen Raumstation ISS nach, originalgetreu - gebaut zum Üben und für PR-Zwecke. Es ist eng und karg, kein Tageslicht, kein bequemes Sitzmöbel, nur ein Tisch und ein paar Bilder mit Jury Gargarin und anderen Astronauten auf Mission. Gerst geht voran, klettert durch eine offene Luke - im All würde ihn das Vakuum in einem Bruchteil einer Sekunde raussaugen. Regie: O-Ton 3 (45s) (Klappern als Vorlauf) Achtung auf den Kopf! (Klappern) So hier sind wir in einer kleinen Transferkammer, das ist das hintere Ende der Raumstation. Normalerweise ist die Luke geschlossen und dahinter befindet sich der Weltraum, wenn ein Vehikel andockt, das könnte eine Progresskapsel sein oder ne Sojus mit Menschen drin, dann gibt es ein Andockmanöver (und man hat ne Prozedur, wie man die Luke öffnet und mit Luft füllt und dann hat man ein zusätzliches Modul, in das man kann.) Autorin: Er ist jetzt in der russischen Kommandozentrale, einer Röhre mit 4,50 Meter Durchmesser, vollgestopft mit eingebauter Technik.Gerst bewegt sich in der Enge so sicher, als ob er seit Monaten hier wohnt. Wenn alles gut geht, ist er der nächste Deutsche, der ins All fliegt, vielleicht sogar einmal der erste Deutsche auf dem Mond. Die ISS wird seine erste Mission, ein halbes Jahr lebt er dann in der internationalen Weltraum-WG. Gerst sieht in ihrem Nachbau schon glücklich aus. (O-Ton 4 gestrichen) Regie: O-Ton 5 (18s) Ich war schon immer Technik-begeistert. Und das ist vor allem toll, dass man daran arbeiten kann, ganz nah, und wirklich so hochwertige Trainingsmodelle hat. Für mich ist das wie so ein Wissenschafter - Schrägstrich - Ingenieur-Schlaraffenland. Autorin: Auf sein blaues Poloshirt gestickt ist das Logo der European Space Agency ESA, die hier in Köln ihr Ausbildungszentrum hat. Gersts rotblondes Haar ist am Ansatz schon schütter, er hält es milimeterkurz, so dass er fast kahlköpfig scheint. Trotzdem kann man in ihm nur zu gut den kleinen Jungen erkennen, der mit seinem Opa, einem Amateurfunker, Worte ins All schickt. Der Junge ist nun 1:86 groß, 35 Jahre alt, wiegt 90 Kilo und sein Traum ist in Erfüllung gegangen. Seit Mai 2009 ist er Nachwuchsastronaut der ESA, der einzige aus Deutschland: Regie-O-Ton 6 (30s) Das weiß ich nicht, warum ich es gerade geschafft habe, das würde ich auch gerne wissen. Ich denke einer meiner Qualitäten ist meine Neugier, und das war gut, dass ich die nie aufgegeben habe. Und dass habe ich auch vielen Kindern geraten, die hier herkommen und mich gefragt haben: Was soll ich machen, damit ich Astronaut werde? Ich habe gemeint, das Wichtige ist, dass ihr eure Neugier nicht aufgebt. (Lasst euch nicht entmutigen, versucht das zu studieren, was euch Spaß macht und dann werdet ihr gut drin sein und vielleicht reicht es dann Astronaut zu werden.) Autorin: Wer Astronaut werden will, muss viel Geduld haben, zuletzt hat die ESA vor 20 Jahren rekrutiert. Mit Alexander Gerst im Nachwuchsteam sind eine Italienerin und ein Italiener, ein Franzose, ein Brite und ein Däne. Alle fünf sind ausgebildete Kampfflieger oder Flugingenieure, sagt Gerst. Er ist der einzige Wissenschaftler, erst seit kurzem besitzt er einen Flugschein. Ein ungewöhnlicher Weg für einen Astronauten. Er schaltet die Bord-Boden Kommunikation aus, findet unter all den Knöpfen routiniert den richtigen, um die Lüftung hochzufahren. Regie: Atmo 2 Lüftung hochfahren und wieder ausmachen (50s) Regie: O-Ton 7 (24s) Im Weltall ist es besonders wichtig, dass man überall Frischluftversorgung hat, weil die Luft sich nicht einfach austauscht. Das heißt, man hat keine Conviction, warme Luft steigt nicht auf, kalte Luft sinkt nicht nach unten, die natürliche Luftvermischung findet nicht statt, das muss man durch Lüfter ersetzen. Autorin: Gewissenhaft erklärt er den thermischen Luftaustausch - er macht das viel lieber als über seine unglaubliche Karriere zu reden, die ihn hierher gebracht hat: 8413 - das ist die Zahl der Bewerber, die bei der ESA Astronaut werden wollen. Alles akademische Überflieger, etwa 1000 von ihnen prüft in der ersten Runde ein 30köpfiges Expertenteam aus Astronauten, Psychologen, Medizinern und Ingenieuren: Die Kandidaten müssen Mathematik-Fragen beantworten, ihr Reaktions- und Erinnerungsvermögen wird getestet, sie müssen Fitness- und Psychologietests bestehen, sich am Flugsimulator beweisen und in vielen Gesprächen überzeugen. Regie:O-Ton 8 (16s) Mir war ja immer klar, dass ich nicht Astronaut werden würde, weil mir war ja auch klar, dass die Wahrscheinlichkeit nicht sehr hoch ist. Ne , ich wollte Wissenschaftler werden, das war mein Berufsziel, ich wußte, dass ich das erreichen kann und ich wußte, dass das interessant ist und mir hat das auch immer Spaß gemacht. Autorin: Alexander Gerst ist kein Träumer, auch kein draufgängerischer Abenteurer und schon gar keiner, der für Starwars und Jedi-Ritter brennt. Eher ein nüchterner Typ, einer, der die Wahrscheinlichkeiten im Leben genau kalkuliert und abwägt. Um seinen ganz großen Traum zu verwirklichen, hat er sich gut vorbereitet. Er hat Geophysik in Karlsruhe und Neuseeland studiert - also zuerst das Innere der Erde erforscht, um sich so einmal auf das Äußere der Erde vorzubereiten. An der Uni in Hamburg, wo er dann seine Doktorarbeit über Erdbeben und Vulkane schreibt, programmiert er seinen Webbrowser so, dass er automatisch eine Email sendet, sobald die ESA ihre Bewerbungsseite ändert. Regie:O-Ton 9 (15s) Aber ich habe trotzdem von zig Freunden eine Email bekommen, hey ich habe gesehen, da kann man sich als Astronaut bewerben, du musst dich unbedingt bewerben und so! Und in der Tat hatten viele meiner Freunde viel mehr Glauben daran, dass das funktionieren würde, als ich selbst. Regie: Atmo 3 Schritte (35s) Autorin: Als er die Zusage bekommt, ist er gerade auf dem Weg ins Schwimmbad, erzählt er. Er freut sich noch immer, alles in seinem Gesicht lächelt wieder. In Künzelsau, seiner Heimatstadt im Baden-Württemberg mit 15 000 Einwohnern, spricht sich die Nachricht schnell rum. Mittlerweile gibt er auf der Straße Autogramme. Wenn er aber erst einmal ins All fährt, werden alle den Name Alexander Gerst kennen, nicht nur in Künzelsau, nicht nur in Deutschland: Die ESA hat ihn von Beginn an als den ersten Deutschen präsentiert, der einmal "zum Mond und darüber hinaus" fliegen wird. Der Mond, vielleicht sogar der Mars - das ist der sichere Platz in den Geschichtsbüchern. Gerst bemüht sich sehr, mit beiden Beinen auf dem Boden zu stehen, und der nette Junge aus Künzelsau zu bleiben. Das ist sympathisch, und macht ihn zum perfekten Werbeträger für die Raumfahrt, die wegen ihrer Milliardenkosten umstritten ist. Auch jetzt nimmt er sich viel Zeit, alles zu erklären, obwohl nichts knapper als seine Zeit ist. Er durchquert die russische Kommandozentrale, über einen kurzen Steg gelangt er zu einer Modell-Schlafkabine: Regie: O-Ton 10 (18s, dann 10s Atmo) (Schritte)Das ist so eine Schlafkabine, die man hier sieht. Das ist so ein kleines abgetrenntes Abteil, und das ist praktisch der Privatraum, den man hat. Da ist so ein Schlafsack, und man kann auch einfach ein paar Dinge mitbringen, sich ein paar Bilder, die man von der Erde mitgebracht hat, oder ein Buch, das man lesen will. (Rascheln) Autorin darüber: Das winzige Abteil misst höchstens eineinhalb Quadratmeter. Senkrecht an der Wand ist ein silbrig glänzender Schlafsack aufgehängt. Regie: O-Ton 11 (18s plus 15s Atmo) Man schläft in dem Fall vertikal, das ist einfach nur, weil die Schlafkabine so angebracht ist und deswegen ist die längste Dimension in der Vertikalen. Das macht in der Schwerelosigkeit sowieso keinen Unterschied, und man hat hier drin ja auch keine Referenz. Und von dem her ist das Jacke wie Hose. (Rascheln) Autorin darüber: Wände und Decke sind komplett mit blauem Filz ausgeschlagen, darauf hat er einige persönliche Dinge mit weißem Klettband angeheftet: ein Foto eines Vulkankraters, ein Spiegel, ein Wecker, auch eine Stoffmaus klebt an der Wand: Regie: O-Ton 12 (10s) (Rascheln) Das hier ist ein Bild von der Maus, die ich in der Antarktis dabei hatte. (Rascheln) So wickelt man sich in den Schlafsack ein. Regie: Atmo 4 (55s) In der Schlafkabine mit Schlafsack Autorin: Gerst schlüpft in den Schlafsack, stehend und so beengt zu schlafen, scheint unvorstellbar. Er lächelt, extreme Bedingungen hat er schon während seines Studiums gesucht: Er reist nach Äthiopien, Guatemala, Indonesien und in die Antarktis - Vulkane erforschen. Als der indonesische Feuerberg Merapi auszubrechen droht, bleibt Gerst vier Kilometer vom Gipfel entfernt und repariert Messgeräte. Am Südpol campt er einmal sechs Wochen am Fuße des Mount Erebus, um ihn herum 800 Kilometer Eis, weiter weg vom Leben als auf der ISS: Regie: O-Ton 13 (22s) Angst habe ich da gar nicht, sonst hätte ich mich auch nicht beworben für den Job. Mir hat es eher Spaß gemacht, in so einer extremen Umgebung zu sein, so den Umgebungsbedingungen zu trotzen, so als kleine Gruppe da zu sein, auch bei minus 45 Grad im Zelt, ja zu kochen und zu leben und zu forschen - mir hat das sehr viel Spaß gemacht. Autorin: Wie eine Mumie ist er in den Schlafsack eingewickelt, durch seitliche Schlitze im Stoff steckt er nun die rötlich behaarten Arme nach draußen: Regie: O-Ton 14 (22s) Eines der wichtigsten Dinge ist, dass man sich so ein bisschen festschnallt, beim Schlafen nicht davonschwebt und dass die Hände auch nicht in alle Richtungen davonschweben. Manche Astronauten haben davon berichtet, wenn sie ihre Hände nicht festschnallen, dann driften die so langsam hoch und berühren irgendwann mit den Fingerspitzen die Nase. Und das kitzelt dann und man wacht auf. Regie: Atmo 5 Schritte Treppe, Halle (..s) Autorin: Raus aus dem Schlafsack und wieder unten in der gigantischen Trainingshalle will Gerst unbedingt noch das Advanced Transfer Vehikel zeigen, das neben dem russischen Modul steht. Das ATV, der Raumtransporter der Europäer, ist bisher zweimal fehlerfrei an der ISS angedockt: Regie: O-Ton 15 (37s) Wie der Name sagt, es ist kein bemanntes Raumschiff, das Menschen transportiert, sondern hier geht es darum, dass man Treibstoff oder Fracht zur Raumstation bringt. Das ist Europas Beitrag, ein sehr wichtiger Beitrag, weil der ATV nicht nur die Möglichkeit hat, Treibstoff zu bringen oder eben Fracht, Essen, Wasser, sondern es kann mit seinen Antriebsdüsen auch die Raumstation anheben in der Umlaufbahn. Was sehr wichtig ist, weil aufgrund der Restreibung der Atmosphäre die Raumstation stetig jeden Tag ein paar Meter Richtung Erde sinkt. Autorin: Fast liebevoll blickt er auf das 1-1 Modell, das etwas von einem überdimensionalen Motorkolben hat. Die Außenhaut ist extra aufgeschnitten, um die vielen goldfarbenen Isolierschichten zu zeigen, die im Weltraum vor Hitze, Kälte und Einschlägen von Mikrometeoriten schützen. Regie: Atmo 6 Klappern, Schnallen/Gurte lösen, Reißverschluss (45s) Autorin: 330 Millionen Euro kostet allein ein einziger Flug des Transporters, wenn er mit den ganzen 7,6 Tonnen Nutzlast beladen ist. Regie:O-Ton 17 (20s) Für die Raumfahrt insgesamt zahlt man so um die 10 Euro, also ungefähr so viel wie eine Pizza im Jahr. Und was man dafür kriegt, ist - finde ich - gigantisch. Das heißt: Man hat Satellitennavigation, Klimaschutz, Wettervorhersage, Satellitenfernsehen - man investiert in die Zukunft, in neue Technologien. Regie: Atmo 7 Lüftung (45s) Autorin: Mit wie viel ein Land die ESA finanziert, richtet sich nach dem jeweiligen Bruttoinlandsprodukt. Deutschland zahlt unter den 18 europäischen Mitgliedstaaten am meisten: 2011 sind es 713 Millionen Euro. Den Pizzavergleich benutzt Gerst gerne, schon häufiger hat er ihn in Interviews verwendet. Als Wissenschaftler und Technik begeisterter Mensch ist Alexander Gerst natürlich vom Nutzen der Raumfahrt absolut überzeugt. Jetzt als Astronaut steckt er aber auch in der Rolle als Werbe-Botschafter der ESA, der sich vor dem Steuerzahler rechtfertigt. Regie:O-Ton 18 (insg. 20s plus 15s Atmo) Hier befindet sich eine Tür, die gibt es aber im echten Modell nicht, die ist nur, dass man leichter ins Modell reinkommt. Hier ist eine Wand, alles wozu man als Astronaut Zugang hat... Autorin darüber: Gerst hat sie gar nicht bemerkt - plötzlich steht die Pressesprecherin der ESA hinter ihm. Regie: O-Ton 18 weiter Pressedame: Alex? Können wir das hinterher machen? Weil die haben sich jetzt die halbe Stunde Zeit genommen. (Treppe und Schritte durch Halle) Autorin darüber: Die Dame mit ihrer blonden Hochsteckfrisur wirkt streng. Gerst hat überzogen, sie erinnert ihn an seinen Zeitplan: Russischtraining, der Lehrer wartet bereits im Schulungsraum. Zusammen durchqueren sie die Halle Richtung Ausgang. Gerst folgt der Pressedame, die schnell geht. Regie: Atmo 8 Quer durch Halle, dann Büroflure (1:10s) Autorin: Der Traum vom Astronautendasein hat eben auch sein Kleingedrucktes: Dafür dass die ESA ihm eine millionenteure Ausbildung finanziert, wird sein Leben jetzt von der Raumfahrtagentur bestimmt. In Köln hat er zwar eine Wohnung, doch selbst über seine Zeit verfügen, wie und mit wem er sie verbringen will - das darf er spätestens seit der Grundausbildung nicht mehr: Regie: O-Ton 19 (35s) Es ist so, man versucht, weil es meistens internationale Crews sind, dass man die Trainingsplätze nicht dupliziert. Das heißt, wenn wir jetzt für den US-Teil trainieren, machen wir das in Houston. Wenn wir für den japanischen Teil, das japanische Modul trainieren, fliegen wir nach Scuba, das ist bei Tokio. Und aufgrund dessen kommt man gut rum in der Welt. Das hat natürlich den Vorteil, dass man auch mal andere Astronauten trifft und sich mit denen austauschen kann. Autorin: Seit November letzten Jahres ist Gerst vollwertiges Mitglied des Europäischen Astronautenkorps, seine 18monatige Grundausbildung ist zu Ende. Die ESA hat sich für die Anwärter ein gewaltiges Programm überlegt: Crashkurse in Raumfahrttechnik, psychologische Schulungen, Sprachtrainings in Russland, Survivalkurse in Sizilien, um nur ein paar zu nennen. Wie baut man aus dem Landefallschirm der Sojuskapsel ein Zelt, falls sie an einem unvorhergesehenen Ort der Erde landet? Wie fängt man ein kleines Nagetier? Für Gerst kein Problem mehr. Auf dem Weg zum Schulungsraum bleibt er vor einem Glaskasten mit einem russischen Raumanzug stehen: Regie:O-Ton 20 (30s plus 5s Vorlauf) (Schritte) Der ist relativ alt, aber das Design der Sokol-Raumanzüge hat sich nicht wesentlich geändert, weil man da sehr gute Erfahrung mit gemacht hat. Das ist ein Raumanzug, den man nicht im freien Weltraum anzieht, den hat man beim Start und bei der Landung des Sojusraumschiffs an und es dient dazu, dass es einen schützt, wenn es einen Druckabfall gibt. Autorin: Sein richtiger Raumanzug wartet auf ihn in Russland. Im vergangenen Oktober verbringt Gerst zwei Monate im Sternenstädtchen bei Moskau, wo die Russen seit den 60er-Jahren ihre Kosmonauten in einer riesigen Zentrifuge auf Flüge ins All vorbereiten. Als er sich bei der ESA bewirbt, versteht er kein Wort russisch: Regie: O-Ton 22 (37s) Gerst grüsst auf russisch . Lehrer grüßt zurück. Take a seat. Churkin: I present the training programm for russian language for you. Gerst antwortet auf russisch.... Autorin darüber: Er setzt sich neben Dmitriy Churkin an den hufeisenförmigen Tisch. Der Lehrer erklärt den Trainingsplan für die nächsten Wochen. Er will wissen, welche Themen Gerst gerne wiederholen möchte. Der antwortet scheinbar fließend, auch wenn er gerade aus der Übung ist, wie er sagt. Regie:O-Ton: 23 (17s) Ich habe im Prinzip gesagt, dass ich alte Sachen wiederholen möchte, dass ich wieder reinkomme - weil ich habe jetzt vier Monate in USA verbracht und da im Prinzip keinerlei Zeit gehabt russisch zu sprechen. Und deswegen einfach nur wieder reinzukommen. Die Grammatik wieder draufzukriegen. Regie: Atmo 9: Raumatmo Notizen machen, Blättern, Wasser einschenken (2:30) Autorin: Er blättert durch den Trainingsplan, macht sich Notizen. Jeder Tag ist in seine einzelnen Stunden zerlegt, kaum eine ohne Eintrag. Russisch in nur drei Monaten zu lernen, war selbst für Gerst eine Herausforderung, die schwierigste im Basistraining, sagt er. Die Alltagssprache lernt er bei einer russischen Familie: Regie:O-Ton 24 (20s) Das war eine ganz normale Familie im Prinzip, die in St. Petersburg lebt, die sich entschlossen haben Leute aufzunehmen und denen beim Russich zu helfen. Und ja, ich habe tatsächlich im Wohnzimmer auf der Couch geschlafen. (Für die Zeit ist das Wohnzimmer quasi für mich umfunktioniert worden. Und es ist schon ein bisschen abenteuerlich, aber sicherlich eine sehr gute Erfahrung gewesen.) Autorin: Neben dem normalen Wortschatz gibt es aber auch einen speziellen Space- Talk, für den er sich hunderte von russischen Spezialausdrücken und Abkürzungen einprägen muss. Regie: O-Ton 25 (22s) Ja, ich denke das ist allgemein so, dass man das durch Wiederholung erfährt. Wenn man im Training ist, und wenn man mit der Karte - es gibt quasi Karten, die einem sagen, wo welches Gerät liegt - wenn man mit der Karte in der Hand dort steht, kann man sich das schon besser einprägen, als wenn man nur am Schreibtisch sitzt und durch die Bedienungsanleitung blättert. Autorin: In seinem Kopf sind mittlerweile tausende technische Details und Abläufe abgespeichert. Gerst ist seit kurzem auch Pilot, seine Ausbildung bei der Lufthansa schließt er in drei Monaten ab, normalerweise dauert sie zwei Jahre. Und weil er jede Minute zum Üben nutzt, spielt er während des Fitnesstrainings das komplette Start- und Landemanöver - jeden Knopf, jeden Handgriff, jeden Befehl - in Gedanken durch. Gerst muss da oben im Kopf einen Mega-Pentium Prozessor haben, wahrscheinlich ist das die eigentliche Befähigung zum Astronauten: Sich immer wieder neue komplexe Dinge einprägen zu können und dabei nicht nur die Technik, sondern auch sich selbst zu beherrschen. Regie: O-Ton 26 (30s) Gerst: Can I keep that?(packt zusammen) Thanks Dimitri, thanks Dimitri, bye (Gemurmel, Schritte) Autorin darüber: Ein Blick auf die Uhr, der Tag ist noch nicht zu Ende. Gerst muss jetzt noch im Columbus-Forschungslabor ein defektes Ventil zur Temperaturregelung reparieren - ein Fehler, der auf der Raumstation ISS jeden Tag passieren kann. Geübt wird dieses Mal in Englisch Regie:O-Ton 27 (1:30 wobei 20s Vorlauf) (Gemurmel) Gerst: Ok. Frau: Ok, dann fangen wir an. Welcome Alex to the control system lecture, this is going to be a lesson on maintenance activities ATMO... Autorin darüber: An Board der ISS befinden sich verschiedene Labore, im sogenannten Columbus-Labor erforschen die Europäer zum Beispiel, wie Materialien und Flüssigkeiten sich im All verhalten. Gerst steht in einem detailgetreuen Columbus-Modell, neben ihm die Trainerin, eine Ingenieurin für Sicherheitstechnik. In die Wände sind sogenannte Minilabor-Racks eingebaut, Experimentierschränke, in denen sich die verschiedensten Versuchsanordnungen für die Raumfahrtmedizin oder die Plasmaphysik anbringen lassen. Tausende einzelne Teile, jedes festgezurrt und wie im Supermarkt mit einem Barcode versehen. In der Hand hält Gerst jetzt eine sogenannte Prozedur, ein Skript, das ihn Schritt für Schritt anleitet, wie er den Temperaturregler für das Labor manuell einstellt. Regie: O-Ton 28 (1:15) Gerst: Munich Station on space to ground, just completed procedure 3.1. I opened the valve. Please let me know, if you see effect. Funkstimme: This is Munich, we just copied, good news, please continue. Gerst. Ok this is ... Autorin darüber: Gerst gibt ganz ruhig jeden seiner Handgriffe per Funk an das Boden- Kontrollzentrum in München durch. Noch ist nicht klar, wann er die echte ISS betritt, als erster wurde sein Teamkollege, der Italiener Luca Parmitano für eine Mission im Jahr 2013 ausgewählt. Da für einen Europäer nur einmal im Jahr die Gelegenheit besteht, zur ISS zu fliegen, wird Gerst wohl mindestens bis 2014 warten müssen. Doch er hat gute Chancen, er ist Deutscher, und Deutschland bestreitet mit 17,9% einen großen Teil des ESA-Etats. Auf der Station arbeitet ein Astronaut dann als Hightech-Laborant. Regie: Atmo 10 Im Mock up Herumgehen, Geräte bedienen (1min) Regie:O-Ton 29 (15s) Als Astronaut muss man Mädchen für alles sein, das heißt, man führt die Experimente durch, die große Wissenschaftsgruppen am Boden sich ausgedacht haben, zum Teil seit über zehn Jahren mit 50 verschiedenen Wissenschaftlern daran arbeiten und man führt die dann im Weltraum aus. Autorin: Sein Traumexperiment ist es, auf der ISS ein Gewächshaus einzurichten: Regie: O-Ton 30 (35s) Es ist natürlich eine Herausforderung, weil die Pflanzen auf der Erde sich nach der Gravitation orientieren, die Wurzeln wachsen nach unten, die Pflanzen nach oben. Und das ist in der Schwerelosigkeit nicht gegeben. ((Da muss man mit Tricks arbeiten, zum Beispiel das Licht so einstellen, ja oder eventuell sogar Zentrifugen verwenden.) Es ist noch nie probiert worden wirklich Pflanzen in großem Stil im Weltraum zu züchten. Und das ist eine Frage, die man klären muss bevor man zum Mars fliegt oder weiter weg, weil die Raumschiffe dann sich selber versorgen müssen.) Autorin: Momentan ist die ISS die einzige Station im All, die Astronauten anfliegen können. Die ESA hat kein konkretes Mondprogramm, derzeit sammelt sie noch Gelder, um ein unbemanntes Landegerät zu entwickeln. Seit 1972 hat kein Mensch mehr den Mond betreten. Gerst will genau das tun und sogar noch weiter. Regie O-Ton 31 (30s) Es gibt all die guten Gründe dafür, wir müssen es nur anpacken. Und wann das passiert, ist eher eine politische Frage. Von der Technologie her zum Mond zu fliegen ist sehr attraktiv, weil wir den Mond als Testplatz verwenden können, um dann weiter zum Mars zu fliegen. Und daher ist es wichtig, am Mond diesen Zwischenstopp einzulegen. Nebenbei kann uns der Mond sehr viel verraten, wir waren ja bisher nur sechsmal kurz dort, sind einmal aus dem Raumschiff gestiegen, haben ein paar Steine eingesammelt und sind wieder zurück. Regie: Atmo 13 Glovebox Autorin: Er zieht einen luftdichten Glaskasten auf einer Schiene aus der Wand, steckt die Hände in Gummihandschuhe, mit denn man im Inneren der Box Proben keimfrei untersuchen kann. Von einer Mond oder Marsmission verspricht sich Gerst viele Antworten. Gibt es Leben außerhalb der Erde? Eine Frage, die er sich schon als Kind gestellt hat. Regie O-Ton 32 (13s) Und ich denke, wenn die Chance da ist, dass es irgendwo primitive Kleinstlebewesen gibt, dann heißt das auch, dass es irgendwo intelligentes Leben gibt. Weil das Leben findet immer eine Möglichkeit sich weiter zu entwickeln, dass haben wir auf der Erde gesehen. Autorin: Der Mond ist drei Tage entfernt, zum Mars dauert der Flug ein Jahr. Trotzdem erscheint ihm all das jetzt nicht mehr unerreichbar. Denn wäre er nur nach der Wahrscheinlichkeit gegangen, wäre aus dem Jungen nie ein Astronaut geworden. ENDE 1