ZEITFRAGEN 19.04.2017 Callcenter ? im Maschinenraum der Marktwirtschaft Von Frank Drescher ?Herzlich willkommen beim Kundenservice ? herzlich willkommen beim Kundenservice ? herzlich willkommen beim Kundenservice? Stefan-Gerats ?Es ist 'ne schwere Arbeit, das kann ich bestätigen. Und insbesondere in der Anfangszeit, als ich angefangen habe, bin ich nicht mit dem Gefühl zur Arbeit gegangen, 'ich schaff' das.'? Autor Stefan Gerats, Callcenter-Agent seit vier Jahren. ?Einen Augenblick. Ich verbinde Sie mit einem Kundenbetreuer.? Christian-Fath ?Wenn ein Kunde am Telefon oder ein Anrufer auch mal danke sagt für die Hilfe, und nicht nur sagt 'und schön', 'und= tschüß, danke', reicht. Ist ein ganz einfaches Wort, das hebt die Stimmung ungemein.? Autor Christian Fath, ehemaliger Teamleiter in einem Callcenter. ?Ich verbinde Sie mit einem Mitarbeiter. Einen Augenblick, bitte.? Barbara ?Ich telefoniere gar nicht mehr privat. Ich schicke immer meinen Mann vor. Wenn's Telefon klingelt, sage ich, ich bin nicht da. Es reduziert sich aufs absolute Minimum.? Autor Barbara ist gelernte Bankkauffrau, seit 20 Jahren im Telefon-Banking. Sie heißt in Wahrheit anders. Und sie will ihre echte Stimme nicht im Radio hören. Manfred-Stockmann Gut, die Belastung in den Callcentern, obwohl es ein Büroarbeitsplatz ist, hat ja doch wesentlich mehr mit einer Produktionsstraße zu tun, und er ist sehr fremdgesteuert. Autor Manfred Stockmann, Präsident des Callcenter-Verbands. Herzlich-willkommen Herzlich willkommen beim telefonischen Kundenservice! Autor Telefonischer Kundenservice ? in den Neunziger Jahren Geburtshelfer vieler damals neuer Geschäftsmodelle: Direktversicherung, Telefon-Banking, viele davon seriös, andere dagegen weniger: TV-Werbung ?Die einfachste Nummer Deutschlands. 0190 ? Ruf an!? Autor Die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes machte vieles möglich. Hand in Hand mit immer leistungsfähigeren Telefonanlagen schuf sie eine völlig neue Tätigkeit: die des Call-Center-Agenten. Männer und Frauen, die im Akkord Anrufe entgegennehmen. Ohne sie keine Abo-Hotline, kein technischer Support für DSL-Anschlüsse und auch kein Buchungsservice fürs Flugticket. Eine halbe Million Beschäftigte telefonieren in Deutschlands Callcentern, Voll- wie Teilzeit. Sie erwirtschaften laut Callcenter-Verband etwa 12 Milliarden Euro jährlich, gerade mal 0,4 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts, weniger noch als Bauern, Förster und Fischer zusammen. Doch wie wäre es um die Volkswirtschaft ohne sie bestellt? Fest steht: Die Arbeit macht Callcenter-Agenten viel öfter krank als Angehörige anderer Berufe, so der Fehlzeitenreport des AOK-Bundesverbands. Sogar im Bergbau ist der Krankenstand niedriger. Und es gibt keine andere Arbeit, die so oft Menschen seelisch krankmacht wie die an den den Service-Hotlines. Warum ist das so? Ulf Krummreich, Arbeitspsychologe bei der zuständigen Berufsgenossenschaft: Ulf-Krummreich ?Wenn man sich das jetzt im Callcenter einmal vor Augen führt, was von den Mitarbeitern dort verlangt wird, dann ist das in allererster Linie eine ganz klare Service-Orientierung. Zum zweiten, häufig auch in externen Callcentern, natürlich die Verpflichtung, Produkte zu veräußern beziehungsweise Dienstleistungen anzubieten. Und Sie haben damit einhergehend eine Belastung, die für manche Mitarbeiter sich stärker ausprägt als für andere, und die wir als Arbeitspsychologen unter dem Begriff Emotionsarbeit bezeichnen, und das heißt, die Emotionsarbeit beschreibt letztendlich die Verpflichtung, im Arbeitskontext eine bestimmte Emotion, in der Regel positiver Art, nach außen dem Kunden gegenüber darzustellen.? Autor Diese ?Emotionsarbeit?, bei Telefon-Bankerin Barbara hat sie Spuren hinterlassen: Barbara ?Man verändert sich, weil man so 'ne emotionale Schere hat. Heute stirbt mir mein Hund, ich gehe trotzdem arbeiten, bin eigentlich total traurig, höre in einem Call womöglich im Hintergrund einen Hund bellen, darf ich nicht in Tränen ausbrechen. Oder ich hab' mich vielleicht morgens mit meinem Mann gestritten, gehe mit Wut im Bauch zur Arbeit, und da kommt mir noch so 'n komischer Kerl am Telefon merkwürdig entgegen, und was muss ich bleiben? Freundlich. Und je mehr Sie Stellschrauben von der Arbeit her bekommen, umso stärker geht die Schere noch weiter auf. Denn Sie müssen schnell telefonieren, viel telefonieren, sie müssen freundlich bleiben, und beim nächsten muss alles gleich wieder gut sein. Ich darf stimmungsmäßig nichts mitnehmen vom einen Call in den nächsten. Das ist schwierig, und das ist aus meiner Sicht persönlichkeitsverändernd. Man wird ein Stück weit stumpfer.? Autor Dennoch gehen ihr immer wieder Anrufe nahe. Wie 2004, bei der Tsunami- Katastrophe. Barbara ?Da rief eine Frau an, deren Mann verschollen war. Sie war total aufgelöst. Und mit ihm war auch die Kreditkarte weg. Und ich hab' sie in diesem Moment dran, und dann nie wieder. Ich erfahre nicht: Ist er wieder aufgetaucht? Oder ist daraus ein Nachlassfall geworden? Das macht halt traurig. Ein anderes Mal rief eine Frau an, da ist der Mann im Auto von irgendwelchen Verrückten angezündet worden. Er lag monatelang auf der Intensivstation, und dann ist er verstorben. Er war so alt wie mein Mann. Und da nimmt man einfach Anteil. Ich denke dann immer, wie es mir gehen würde.? Autor Solche Situationen erlebt sie sehr selten. An der Service-Hotline eines Telefonanbieters hingegen gibt es öfter mal Kunden, die sich im Ton vergreifen: Stefan-Gerats Ich hab das mit nach Hause genommen, bis in den Schlaf hat sich das fortgesetzt. Autor Stefan Gerats über seine erste Beleidigung durch einen Kunden. Stefan-Gerats Ich hatte damit durchaus ein Problem und musste das lernen, damit umzugehen. Da gibt es verschiedene Dinge, die bewusst gemacht werden müssen. Dass der Kunde gar nicht mich meint. Das ist etwas, wenn man anfängt in der Branche, er redet ja mit: mir! Und das ist unsere Gewohnheit in der Kommunikation. Wenn wir mit jemandem reden, dann sind wir gemeint. Und wir reden auch ganz persönlich als die Person xy, und das ist in dieser Branche nicht so, wir reden als Mitarbeiter in einem Unternehmen und müssen da psychologisch gesehen eine zweite Persönlichkeit aufbauen. Das eine bin ich, und das andere ist die Person, die sozusagen die Arbeit macht. Und die kann das aushalten, weil die gar nicht gemeint ist. Autor Gute Callcenter-Mitarbeiter brauchen viel Einfühlungsvermögen. Könnte das vielleicht schon die vielen Krankentage aufgrund psychischer Erschöpfung erklären: Weil Callcenter-Mitarbeiter so viel Empathie haben, nehmen sie sich mehr zu Herzen, als ihnen guttut? Ulf-Krummreich Das ist eine Möglichkeit. Autor sagt Arbeitspsychologe Ulf Krummreich. Zugleich unterscheidet er: Ulf-Krummreich Empathie in dem Sinne verstanden, dass man nachvollziehen kann, wie es dem anderen geht, würde ich aber noch stark davon abgrenzen, dass man dieses Gefühl auch wirklich mitnimmt, an sich heranlässt, bei einem arbeiten lässt. Florian ?Nun ja, man lässt sich durchaus anbrüllen. Das ist kein Thema. Dann wird mal das Mikro mal 'ne Weile weggelegt, der Hörer nur noch so hinters Ohr ge-klemmt, dass man hört, ob er noch brüllt, aber dass man das Brüllen nicht mehr direkt im Ohr hat.? Autor Sagt Florian, früher beim technischen Support für DSL-Anschlüsse. Auch er will anonym bleiben. Florian ?Man distanziert sich also ein bisschen davon. Und wenn's dann aber zu verbalen Beleidigungen kommt, dann wird auch schon mal gesagt: Also, lieber Kunde, wir reden gern mit ihnen, aber nicht in diesem Ton. Wenn sie jetzt noch eine Beleidigung von sich geben, dann bin ich gezwungen aufzulegen.? Autor Manche Callcenter-Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern Hilfe für solche Fälle. So wie Stefan Gerats Arbeitgeber, der US-amerikanische Callcenter- Konzern Convergys in Halle an der Saale, der die Kunden vieler bekannter Unternehmen bedient. Stefan-Gerats Zum Beispiel haben wir hier viele Trainer, die gerade auch immer wieder Schulungen anbieten, nennt sich De-Eskalationstraining, ja, das heißt, wird auch richtig rollenspielmäßig, plaudere ich jetzt mal aus dem Nähkasten, und da kann tatsächlich auch mit den Kollegen das ganz gemeinschaftlich bewusst machen, so'n Eskalationsfall mal nachstellen und rational erfassen. Denn was da passiert, ist ja nicht rational, sondern eher irrational, Gefühle, da ist oft, die Logik bleibt auch nicht selten auf der Strecke. Es gibt Fälle, wo Leute sich unglaublich aufregen, und man versteht's nicht Autor Stefan Gerats ist einer von mehr als 700 Callcenter-Mitarbeitern in dieser Niederlassung. Nicht alle telefonieren. Viele erledigen den Kundenkontakt auch per E-mail, Fax, Brief, Chat oder in den sozialen Netzwerken. Bei Convergys sollen die Arbeitsbedingungen annehmbar sein, hatte ich auf inoffiziellem Wege erfahren. Im Gegensatz zu anderen Callcentern habe ich von Convergys ohne Umschweife einen Besuchstermin erhalten. Die letzte Renovierung der Räume scheint noch nicht allzu lange her zu sein. Die Arbeits-plätze verfügen über ergonomischen Sicht- und Schallschutz. Die externen Dienstleister beschäftigen nur ein Viertel aller deutschen Callcenter-Mitarbeiter, sagt der Callcenter-Verband. Doch bei ihnen konzentrieren sich die gesundheitlichen Probleme, so Verbands-Präsident Manfred Stockmann: Manfred-Stockmann Was wir feststellen, ist, dass in Inhouse-Centern, also die, die fürs Unternehmen selber tätig sind, die in der gesamten Infrastruktur, in allen Maßnahmen eingebettet sind, die Krankenquoten dramatisch niedriger sind als bei einem Dienstleister. Der Dienstleister wird vom Auftraggeber anders getaktet, der muss 'ne andere Produktivität liefern, also da gibt?s auch 'nen ganz gewaltigen Unterschied.? Autor Vor allem die externen Dienstleister haben jahrelang das Bild der Branche geprägt: Unseriöse Geschäftspraktiken und prekäre Arbeitsbedin- gungen. Solche Auswüchse will die Branche überwinden. Und sie will sich professionalisieren: Seit einiger Zeit gibt es einen Ausbildungsberuf für Callcenter-Fachkräfte: Kaufmann oder Kauffrau im Dialogmarketing. Bisher sind Callcenter oft auch die letzte Anlaufstelle für Menschen, die anderswo keine Chance mehr haben: Langzeitarbeitslose. Menschen, die in ihrem eigentlichen Beruf nichts mehr finden. Gescheiterte Unternehmer. Auf der Fachmesse Callcenter World in Berlin sind Ideen zu besichtigen, wie sich ihre Arbeit erträglich machen lässt: Hier steht das ?Live Call-Center? der Firma Human CallCenter Design. Lena Reimers, Mitarbeiterin eines Pannenhilfsdienstes, arbeitet darin vor dem Messepublikum. Autor Wir sehen hier also Frau Reimers, die am Schreibtisch sitzt, sie hat zwei 16:9-Monitore vor sich und hat 'n Headsets auf, über das die Anrufe reinkommen. Und hinter Frau Reimers, hinter ihrem Stuhl ist so 'ne Art Trennwand, die aussieht wie ein Segel, die sich dann bogenförmig über sie wölbt und dann so, naja, ich würde mal sagen, so eins fünfzig über ihrem Kopf geht das dann über in, ja, wie nennt man das? - Ja, das ist das Baldachin. Autor Das ist Sandra Stüve, die Co-Chefin des Designbüros. Sandra-Stüve Das Baldachin, es dient einfach dazu, natürlich akustisch wirksam zu sein, und zum anderen natürlich aber auch die indirekte Beleuchtung der Leuchtsäule nochmal zurückzureflektieren. - Und dieses Baldachin stützt sich auf eine - ? auf eine Leuchtsäule, die oben mit intensivem entblendeten Licht arbeitet und in der Säule mit dimmbaren Licht arbeitet Autor Außerdem gehört ein ergonomischer Stuhl dazu, der sich auf die Haltung und das Körpergewicht von Pannenhelferin Lena Reiners einstellt. Ihren Arbeitsbereich begrenzen stoffbespannte Sichtblenden, die auf Blickhöhe enden. Sie dienen dem Schall- und Sichtschutz, erlauben aber gerade noch so den Blickkontakt zur Kollegin gegenüber, falls sie sich mit ihr austauschen will. Lena-Reimers Jeder ist so ein bisschen für sich, aber man hat trotzdem alle auch im Blick, man stört sich nicht, man ist gemeinsam hier, und das sind alles Punkte, die da sehr helfen, durch die man sich sehr wohlfühlt. Ich hab' auch mehrfach schon in anderen Betrieben in dem Beruf gearbeitet, und wir sind gottseidank so ausgestattet, und das merkt man eindeutig. Es gibt Sachen, da fühlt man sich wie in einer Sardinenbüchse, so übertrieben gesagt. Autor Manche Unternehmen erkennen, dass sie besser mit ihren Angestellten umgehen müssen. Aufwendig eingearbeitetes Personal, das schnell das Weite sucht, kommt die Firmen teurer als eine zufriedene Belegschaft, die bleibt. Guido-Cuypers-Koslowski Es gibt verschiedene Herausforderungen. Das ist zum einen ist die große Herausforderung, den Arbeitstag für einen Callcenter-Mitarbeiter so zu gestalten, dass er nicht eintönig wird, sprich: da sind es dann die Projekte, die Abwechslung bieten und bringen. Autor Auch Guido Cuypers-Koslowski ist auf der Messe. Seine Firma betreut die Kunden von Autoherstellern. Die wollen, dass ihre Kunden im Callcenter stets denselben Ansprechpartner haben, erzählt er: Von der Vereinbarung der Probefahrt vor dem Kauf bis zu allen Fragen, die nach dem Kauf auftreten. Das gehe auf Dauer nur, wenn die Mitarbeiterfluktuation niedrig ist. Die Einstiegsgehälter bei diesem Callcenter lägen darum etwa 400 Euro über dem Mindestlohn, sagt Guido Cuypers-Koslowski. Guido-Cuypers-Koslowski Auch bei uns herrscht Verkaufsdruck, klar. Insofern ist es für uns einfach wichtig, dass wir Projekte anschaffen und an Land ziehen, die zu uns passen und zu unseren Mitarbeitern passen und die wir auch unseren Mitarbeitern zumuten können. Alles das, was ich nicht machen will, will ich auch meinen Mitarbeitern nicht zumuten. Autor Zurück nach Halle an der Saale zu Convergys, dem Kundenservice-Dienstleister vieler bekannter Großunternehmen. Personalmanagerin Jenny Schmidt fällt auf, dass geeignete Mitarbeiter immer schwerer zu bekommen sind. Deswegen hat sich auch Convergys etwas einfallen lassen: Jenny-Schmidt Wir bieten Kurse an für sportliche Aktivitäten, Ernährungsseminare. Wir machen Check-ups, also so Gesundheits-Check-ups, und da versuchen wir viel für unsere Mitarbeiter zu tun. Wir bieten unter anderem auch Kinderbetreuung an, wir bieten's allerdings nur am Wochenende an, die Kinderbetreuung, dass sie wissen, ihre Kinder werden hier gut versorgt und sie können in Ruhe hier arbeiten. Autor Außerdem will die Firma wissen, ob sich die Mitarbeiter wohlfühlen. Dazu hat sie eine Methode entwickelt: Freiwillige Gruppeninterviews mit den Callcenter- Agenten, bei denen keine Vorgesetzten anwesend sind. ?Arbeitsplatzsituationsanalyse? nennt Convergys dieses Verfahren. Jenny-Schmidt Und das hat schon einige Dinge aufgedeckt, die ansonsten vielleicht immer unter der Decke geblieben wären. Zum Beispiel, dass bestimmte Arbeitsanweisungen zu kompliziert geschrieben waren, dass die Kundenberater die am Ende gar nicht richtig verstanden haben, was sie da tun sollen. Die wurden dann vereinfacht. Dass technische Geräte defekt waren, konnte korrigiert werden oder repariert werden oder ausgetauscht werden. Dass der Informationsfluss in dem einen oder anderen Team nicht so gut gelaufen ist konnte auch dann verbessert werden, da dem Teamleiter das nicht einmal bewusst war, dass seine Mitarbeiter gerne mehr Informationen zu bestimmten Themen haben wollen. Autor Auch Ausfalltage wegen Krankheit sind hier ein Thema. Hier sind wie auch in vielen anderen Callcentern sogenannte ?Willkommensgespräche? üblich, wenn ein Mitarbeiter nach krankheitsbedingter Abwesenheit wieder zur Arbeit kommt. Jenny-Schmidt_Wenn-der-Mitarbeiter-wieder.wav Wenn der Mitarbeiter wieder auf Arbeit kommt, ist es, denke ich, auch eine Art der Wertschätzung, wenn man ihn wieder willkommen heißt und ihn auf die Dinge, die er in der Zeit der Abwesenheit verpasst hat, auf Stand bringt. Und natürlich müssen wir auch auf unsere Wirtschaftlichkeit achten und gegebenenfalls abstimmen, ob arbeitgeberseitig irgendwelche Maßnahmen erforderlich sind, damit der Gesundheitszustand vom Mitarbeiter sich verbessert. Christian-Fath Das ist gang und gebe, die sogenannten Welcome-back-Gespräche. Autor Christian Fath, ehemaliger Teamleiter und Betriebsrat in einem anderen Callcenter-Unternehmen. Er verkaufte dort teure Smartphones und Computer. Heute ist engagiert er sich für Callcenter-Beschäftigte bei der Gewerkschaft Verdi. Er sieht die Willkommensgespräche kritisch: Christian-Fath Wie so'n Gericht, was drei, vier Leute auf einer Seite sitzen, und der Mitarbeiter mit reinkommt und einfach mal gefragt wird: 'Ja, wie geht?s dir?' Ich sage persönlich: Den Arbeitgeber geht sowas überhaupt gar nichts an. Ich kenne das auch, dass Kollegen aus solchen Gesprächen, wo ich leider nicht dran teilgenommen hab, den Raum verlassen haben, ihre Jacke genommen haben und haben sich für den Tag abgemeldet und waren dann auch sehr, sehr langfristig krank gewesen. Florian ?Im Grunde schrie in mir alles: Nein. Nein, ich fühle mich nicht gesund. Nein, ich will hier nicht wieder arbeiten.? Autor Das ging in Florian vor, nachdem ihn seine Teamleiterin im Willkommensge- spräch fragte, ob er sich wieder gesund fühlt. Autor Florian arbeitet bei einem externen Dienstleister. Zuerst im technischen Kundendienst. Dann verliert die Firma diesen Auftrag. Florian kommt in eine neue Abteilung. Dort muss er handschriftlich ausgefüllte Versicherungsanträge in den Computer eingeben. Florian vermisst den direkten Kontakt zu den Kunden, erlebt die Arbeit als eintönig. Seiner Teamleiterin ist er zu langsam, was sie ihn regelmäßig wissen lässt. Wegen einer verschleppten Erkältung fällt er zwei Wochen lang aus. Dann erwartet ihn seine Teamleiterin zum ?Willkommensgespräch?. Nach Florians Darstellung habe sie ihm Vorhaltungen gemacht: Wie viel Schaden er der Firma durch seine Abwesenheit zugefügt habe. Und was er seinen Kollegen angetan habe, die seine Arbeit mit erledigen mussten. Sein monatelang angestauter Frust entlädt sich schlagartig. Florian ?In der Situation, wo ich dieses Nein gefühlt habe, dachte ich nur: Nee, du kannst jetzt nicht guten Gewissens sagen, dir geht es gut. Täglich die eigene Unzulänglichkeit vorgeführt zu bekommen, das hat mich mürbe gemacht. Ulf-Krummreich Wenn er das als Verpflichtung empfindet, sich da persönlich zu outen, was sein Krankheitsgeschehen angeht, dann ist das natürlich extrem bedenklich. Autor Arbeitspsychologe Ulf Krummreich von der Berufsgenossenschaft. Ulf-Krummreich Das ist eine Frage, wie gestalten Sie's aus, und da versuchen wir unsere Unternehmen zu unterstützen, dass sie lernen, es möglichst positiv auszugestalten. Sie können es aber natürlich auch genauso als Druckmittel einsetzen. Und dann birgt es natürlich das Risiko, eine weitere Belastung für den Mitarbeiter zu sein. Autor So ein Risiko geht auch von der immer ausgefeilteren Technik aus, die in Callcentern zum Einsatz kommt. Auf der Callcenter-World in Berlin haben viele Softwarehersteller ihre Stände aufgebaut. Im Angebot: Computer-Programme speziell für Callcenter. Servicequalität <2x Freizeichen> Zur Steigerung unserer Servicequalität zeichnen wir vereinzelt Beratungsgespräche auf. ? Zeichnen wir vereinzelt Beratungsgespräche auf. Vereinzelt! Autor Von wegen: Vereinzelt! Autor Ein Aussteller bietet ein System an, das neben den Gesprächen auch den Bildschirminhalt des Callcenter-Mitarbeiters aufzeichnet. So lässt sich nachvollziehen, wo der Mitarbeiter wann mit der Maus hingeklickt hat und was der Kunde in dem Moment von ihm wollte. Ob der Kunde verärgert war und etwa das Wort ?Kündigung? fiel, kann das Programm vollautomatisch auswerten: Katrin-Henkel Wir wissen sehr genau, wie sensibel das ist, und deshalb bestehen wir auch darauf, dass es ein Mitspracherecht gibt. Und auch die Betriebsräte bestehen darauf, dass es ein Mitspracherecht gibt. - Was ist denn in Callcentern, wo es keinen Betriebsrat gibt? - Dann muss der Mitarbeiter trotzdem zustimmen. Also, es kann nicht einfach eine Unternehmensführung das einführen ohne dass der Mitarbeiter und natürlich auch der Kunde dem zustimmt. - Naja gut, dann sagt der Geschäftsführer: Okay, Mitarbeiter, entweder Du stimmst dem zu oder wir unterhalten uns über 'ne Vertragsauflösung. - Gut, aber Sie fragen mich jetzt hier Fragen, die nichts mit Technik zu tun haben. Sie können das machen, aber unsere Kunden, ich rede mal aus Erfahrung, unsere Kunden, die gehen damit sehr, sehr offen um. Die haben überhaupt, also das ist... und die Mitarbeiter, die damit arbeiten, die fragen ja sogar oftmals nach solchen Lösungen. Weil das ihnen selbst ja hilft. Autor Da gehen die Meinungen unter den Mitarbeitern aber auseinander. Christian Fath, Ex-Mitarbeiter im telefonischen Verkauf und Gewerkschafter: Christian-Fath_Am-Anfang-war.wav Am Anfang war die Kontrolle sehr schwer zu ertragen, weil sie doch sehr, sehr massiv gewesen ist. Und für mich war eine sehr, sehr starke Änderung gewesen, nachdem ich Einblick hatte in die Systeme. Autor So ging es auch Joachim. Er arbeitet seit zehn Jahren im Telefonbanking. Auch er heißt in Wahrheit anders und will seine Stimme nicht im Radio hören. Joachim sagt aber auch: Joachim ?Als ich dann so gut in meinem Job war, dass ich weiß, dass das, was ich sage, richtig ist, war es eine Sicherheit für mich. Weil, es kam vor und nicht selten, dass im Anschluss an ein Gespräch eine Beschwerde über das Gespräch kam. Und dann wurde das Gespräch abgehört und dann wurde festgestellt, dass ich das korrekte Wording benutzt habe, die korrekte Aussage getätigt habe und der Kunde eine falsche Wahrnehmung hatte.? Autor Warum aber unterwerfen die Callcenter ihre Mitarbeiter einem so umfassenden Überwachungsregime? Manfred Stockmann, Präsident des Callcenter-Verbands: Manfred-Stockmann Bei großen Volumina, also wenn ich heute bei der Deutschen Bahn, der Lufthansa, der Deutschen Telekom, dann hat 'ne Telekohem allein an manchen tagen 1,5 Millionen Anrufe. So, das heißt, ich brauche irgendeinen Anhaltspunkt, an welchen Stellen ich optimieren kann. Und vor allem, wo ich auch Hilfestellung leisten kann. Autor Doch leicht kann aus Qualitätssicherung und Kontrolle ein Krankheitsfaktor werden: Christian-Fath Es gibt ja auch noch Videoüberwachung. Und sobald ich gemerkt habe im Betrieb, ich bin dort, war ich auch 'ne andere Person. Also, von der Persönlichkeit her wurde ich sehr, sehr kühl und sehr distanziert. Also eher hin zum Unnahbaren. Um mich einfach nicht angreifbar zu machen. Sei es dem Kunden gegenüber oder dem Kollegen. Also, die Überwachung, die beginnt ja an der Tür, und sie nervt ungemein. Man ist immer wie auf Glatteis. Autor Damit die Arbeit erträglich wird, sieht Verbandspräsident Stockmann die Führungskräfte in der Pflicht: Manfred-Stockmann Ich brauch' dieses Bewusstsein, dass Führung dienen ist. Und zwar dienen am Mitarbeiter, dienen an dem Rahmen, dass ich dafür sorge als Führungskraft, dass mein Mitarbeiter genau die Strukturen vorfindet, dass er seine Arbeit vernünftig machen kann, und nicht, dass ich als Führungskraft permanent noch Knüppel dazwischenwerfe. Zitatorin Adressänderung. Wertpapierorder. Eine Kreditkarte sperren. Einen Interessenten erfassen. Eine Kreditkarte entsperren. Einen Antrag per Post an den Kunden schicken. Überweisungsauftrag entgegennehmen. Einen Antrag zur Kontoauszugsnacherstellung erfassen. Auslandsüberweisung. ? (ausblenden). Autor 400 bis 600 Prozesse, schätzt Telefon-Banker Joachim, muss er beherrschen. Ein 10.000 Seiten starkes Kompendium regelt seine Arbeit, erzählt er. Joachim hat mal etwas Kaufmännisches gelernt, war eine zeitlang arbeitslos. Das Callcenter, in dem er arbeitet, ist zwar ausgelagert, gehört aber der Bank, deren Kunden Joachim bedient. Das Einstiegsgehalt knapp über dem Mindestlohn liegen, sagt er. Und etwa 25.000 Euro seien das höchste dort erzielbare Jahresgehalt. Trotzdem gebe ihm der Arbeitgeber immer wieder zu verstehen, dass er und sein Kollegen zu teuer seien. Dabei schließen alle Banken ihre Filialen und verweisen ihre Kundschaft auf Internet und Telefon. Der Bedarf an Telefon-Bankern dürfte also eher noch steigen. Autor Für ihre Geiz ist die Callcenter-Branche berüchtigt. Das Problem ist dem Preiskampf der externen Callcenter-Dienstleister untereinander geschuldet. Inzwischen verdienten Gebäudereiniger und Briefzusteller oft mehr als Callcenter-Mitarbeiter, so Verbandspräsident Stockmann. Doch die Unternehmen der Branche hätten mehrheitlich kein Interesse an einem Tarfivertrag: Manfred-Stockmann Also, wenn ich die Dienstleister anschaue, dann haben wir die klassischen inhabergeführten Unternehmen. Die wären eher noch bereit dafür, aber das ist der Minderanteil an dem Ganzen, weil die können das selber entscheiden. Dann habe ich Dienstleister, die kommen aus internationalen Konzernen, die haben hier nur Standorte, das heißt, der Geschäftsführer hier ist überhaupt nicht dafür eingesetzt worden und kriegt überhaupt keine Freiräume für solche Themen mitzuverhandeln. Dann haben wir Dienstleister, die gerade von Investoren bestimmt sind, auch die haben kein großes Interesse drauf, Preise nach oben zu treiben, weil denen ihre Marge ihrer Investoren im Hintergrund zerschossen werden, also es ist eine sehr heterogene Landschaft. Autor Da müssten der gesamten Branche schon in Scharen die Leute davonlaufen, damit sich das ändert. Die Erfahrung machen viele der Unternehmen schon jetzt: Nach durchschnittlich fünf Jahren ist in einem Callcenter die Beleg- schaft komplett ausgewechselt, durch Fluktuation. Autor Die Software-Industrie arbeitet für diesen Fall schon an Lösungen. Lernfähige Spracherkennungssysteme, so ihr Versprechen, sollen die für menschliche Mitarbeiter stupidesten Routineaufgaben wegautomatisieren. Das klingt dann so: Dialog_Mensch-Maschine ?Sie brauchen keine komplizierten Tastenkombinationen mehr. Wir verstehen Sie jetzt einfach per Spracheingabe. Bitte nennen Sie jetzt den Grund Ihres Anrufs.? - ?Ich möchte meine Kundenadresse ändern.? - ?Okay. Es geht um eine Adressänderung. Nennen Sie mir bitte dazu die Handynummer, um die es dabei geht.? - ?Nullhundertsiebenundsiebzig, zwo acht neun.? - ?Die Nummer lautet: Null eins sieben sieben, zwei acht neun. Ist das richtig?? - ?Ja? - ?Bitte nennen Sie mir jetzt Ihr Kundenkennwort? - ?New York? - ?Das genannte Kennwort ist richtig?. ?Vielen Dank. Ihre gespeicherte Kunden- und Rechnungsadresse lautet: Schenkendorfstraße 5. Dann nennen Sie jetzt bitte Straße und Hausnummer.? - ?Biedersteiner Straße 7? - ?Vielen Dank. Ihre neue Kundenadresse lautet: Biedersteiner Straße 7. Ist das richtig?? - ?Ja? - ?Okay, Ihre Kundenadresse wird geändert.? Autor Ein Beispiel für sogenannten Self-Service: Der Kunde interagiert für Routineprozesse gar nicht mehr mit einem Menschen, sondern mit einer Maschine. Das eben gehörte System stammt von Nuance, der Firma, von der auch die Sprachassistenz einer bekannten großen Smartphone-Marke stammt. Sollen solche Systeme den Callcenter-Mitarbeiter abschaffen? Tilman-Beer Das ist schwer zu sagen. Das ist natürlich auch sehr vom Anwendungsfall abhängig. Autor Tilman Beer, Verkaufsmanager bei Nuance. Tilman-Beer_Also-da-können.wav Also da können Einsparungen im Bereich 10 bis 20 Prozent denkbar sein, aber es geht eigentlich nicht nur darum, Callcenter-Agenten einzusparen, es geht auch darum, die Zeit, die der Anrufer in der Leitung verbringt, zu reduzieren. Autor Ähnlich äußert sich Arun Mani von Freshdesk, einem indischen Anbieter von Kundendienst-Software: Arun-Mani In a lot of companies, customer support is the glorified agent who basically keeps smiling when the customer comes and punches on their face. Actually, it's gonna get better. There is a lot research coming out where it says that a happy customer is good for the company, good for the bottom line because they buy more, they advocate more, they bring in more customers. And companies are starting to pay attention to this, especially if they're in the commodity space where their services and products is not any different from others, where customer service is the differentiator. So the new mantra I'm hearing a lot is customer support is the new marketing. Instead of spending hundreds of millions of dollars in advertising on how great your product is, acutally make your customers talk about it. Voice-over ?In vielen Firmen ist der Kundendienstmitarbeiter der ruhmreiche Agent, der weiterlächelt, wenn der Kunde kommt und ihm ins Gesicht haut. Aber das wird besser. Denn es gibt viele Forschungsergebnisse, die aufzeigen, dass zufriedene Kunden mehr kaufen und für die Firma Mund-zu-Mund-Propaganda betreiben. Und die Firmen fangen an, das zu beachten, besonders solche aus Konsumartikelbereich, deren Dienstleistungen und Produkte sich nicht weiter von anderen unterscheiden. Da wird der Kundendienst zum Unterscheidungsmerkmal. Daher höre ich oft ein neues Mantra, das lautet Kundendienst ist das neue Marketing. Nicht mehr hunderte Millionen Dollar in eine Werbekampagne zu stecken, die behauptet, wie toll dein Produkt ist, sondern die Kunden dazu zu bringen, das zu erzählen.? Autor Schön wär's, für die Callcenter-Mitarbeiter. Zumal auch künstliche Intelligenz auf entscheidende Fragen noch keine gescheite Antwort hat. Anruf beim Sprachcomputer eines Internet-Auktionshauses, der schon ziemlich viel versteht, aber noch nicht genug: Maschine-Dialog.wav ?Nennen Sie mir bitte in einigen Worten den Grund Ihres Anrufs. Sie können zum Beispiel sagen: 'Ich benötige Hilfe beim Einstellen eines Artikels.' Oder: 'Wie kann ich meine Zahlungsmethode ändern?'? - ?Wie kann ich mehr Geld herausschlagen?? - ?In einigen Worten: Sagen Sie mir bitte etwas genauer, worum es bei Ihrem Anruf geht.? - ?Ich möchte gern mit meinen Verkäufen mehr Geld herausschlagen.? - ?In einigen Worten: Sagen Sie mir bitte etwas genauer, worum es bei Ihrem Anruf geht.? - ?Ich bekomme zu wenig Geld für meine Verkäufe.? - ?Geht es bei Ihrem Anruf um eine Rückerstattung?? - ?Nein, ich will einfach nur wissen, wie ich...? - ?Mein Fehler. Versu... Sie haben: 'Uujing'. Ist das richtig?? - ?Bitte?? ?Okay. Sagen Sie mir bitte, um welche Fragen zum Verkauf es sich handelt.? - ?Kann ich einen Mitarbeiter sprechen?? - ?In Ordnung. Dürfen wir Ihren Anruf zu Verbesserung unserer Servicequalität aufzeichnen?? - ?Nur, wenn ich das auch darf.? - ?Okay. Dieser Anruf wird nicht aufgezeichnet.? Spätestens an dieser Stelle dürfte klar werden, welche Art von Fragen Menschen auch künftig noch besser als eine Maschine beantworten können. Autor Und für diejenigen, die in diesem Job länger durchhalten, gibt es manchmal sogar angenehme Seiten zu entdecken. Christian-Fath Das Schöne war, dass ich 'ne direkte Rufnummer hatte, dass meine Kunden mich direkt anrufen konnten und ich das auch mit den Kunden direkt kommunizieren konnte, auch über E-mail. Das ist 'ne Sache, die total toll laufen kann, auch diese Menschen sich entwickeln zu sehen. Barbara ?Wenn man mal in die Welt der Schönen und Reichen hineinhören kann. Wir haben relativ viele Grafen und Adlige. Einer von denen hat mir mal erklärt, wie man die richtig anspricht, sagt man sagt entweder 'Herr von ? Tralala' oder 'Graf Tralala'. Aber 'Herr Graf von Tralala' ist völlig verkehrt. Und dann kommt man ins Quatschen. Stefan-Gerats Was mir auch Freude macht, ist, wenn ich ein Problem lösen kann. Das gibt ein Gefühl, dass man was Gutes geschafft hat. Joachim ?Ich nehme nie Arbeit mit nach Hause. Das lasse ich alles in der Firma.? Vielen-Dank Vielen Dank und auf Wiederhören! 1 von 20