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Die Frauen tragen dicke Perlenketten um den Hals. Am meisten beeindruckt mich ein alter, sehniger Indianer, der seine Lampe auf dem Kopf festgemacht hat. Freundlich reden sie alle auf mich ein, schnappen sich mein Gepäck und geleiten mich auf einem schmalen Pfad zum Dorf. Begehrliche Blicke richten sich auf die Pappkartons, in denen die Geschenke vermutet werden. Doch heute wird nicht mehr ausgepackt, heute wird auch nichts mehr gegessen. Yumuin, Hausvorstand und Häuptling des Mehinako-Dorfes, weist mir meinen Platz für die Hängematte an: zwischen einem mit Plastikfolien verhängten Verschlag und dem Hinterausgang des Großhauses. Der Holzbau erhebt sich auf einer Grundfläche von 35 mal 16 Metern. Das Dach in etwa 20 Meter Höhe ist mit Palmstroh gedeckt. Wie umgestülpte Schiffsrümpfe liegen neun dieser Häuser mitten im Urwald. ATMO Im Haus ERZÄHLERIN Erschöpft und hungrig nach der langen Reise wickele ich mich in meinen Schlafsack. Um mich herum in der Dunkelheit wispernde Stimmen und Gekicher. Ich falle in einen tiefen Schlaf. MUSIK ?Grita Amazonia? ERZÄHLERIN Ich war mit einem wissenschaftlichen Anliegen nach Brasilien gekommen. Ich wollte erfahren, wie das Leben in einem Urwalddorf am Oberen Xingu funktioniert. Ich wollte wissen, ob die alten Mythen der Mehinako noch immer Einfluss auf ihren Alltag haben. Der Parque Natural do Xingu in der Provinz Mato Grosso wird oft als letztes Paradies bezeichnet. Der Wald ist voller Wild, denn die Xinguanos essen kaum Fleisch; es gibt Jaguare, Kaimane und Wasserschweine, Affen und Vögel jeder Art und natürlich Schlangen. Man darf den Park nur mit ausdrücklicher Erlaubnis der Indianerschutzbehörde FUNAI und auf Einladung der dort lebenden Gruppen besuchen. Ich hatte diese Einladung von den Mehinako erhalten. Die Verhandlungen waren zäh gewesen. 6000 Dollar hatten sie verlangt und über mein bestürztes Gesicht gelacht: ?Mehinako forte!? Schließlich gaben sie sich mit einer langen Wunschliste an Geschenken und der immer noch beachtlichen Summe von 600 Reais, etwa 300 Euro, Benzingeld zufrieden. Im weit verzweigten Quellflussgebiet des Xingu, der nach ca. 2000 Kilometern in den Amazonas mündet, ist das Motorboot das wichtigste Fortbewegungsmittel, und Benzin ist teuer. Jede Menge Warnungen hatte ich mit auf den Weg bekommen: Die Indianer seien habgierig und diebisch, hielten sich nicht an die Verabredungen, hungern würde ich und so weiter. Nur Aristoteles, ein junger brasilianischer Kollege, beruhigte mich: ?Zeige dich großzügig, und sie werden dich belohnen!? Dabei liebt gerade er es besonders, über die Kalamitäten seiner Feldforschung zu berichten. ATMO Schamanengesang ERZÄHLERIN Der geheimnisvoll monotone Gesang zum Klang einer Rassel reißt mich aus dem Schlaf. Nur wenige Meter von meinem Platz entfernt tanzt ein Schamane! Noch benommen taste ich mich in der Dunkelheit zu meinem Aufnahmegerät vor, das tief im Inneren meines Rucksacks steckt. Dabei muss ich über mich selbst und die Absurdität der Situation schmunzeln. Ich fummele an meinem Gerät herum und drücke die Aufnahmetaste. Es ist Mitternacht. Das Pühükã, das Ohrstechfest, ist eines der wichtigsten Rituale am Oberen Xingu . Es findet statt, wenn ein Häuptlingssohn ?reif? wird, das heißt, wenn er anfängt, sich für Mädchen zu interessieren. Seine Familie muss dieses Fest ausrichten. Da das letzte Pühükã viele Jahre zurückliegt, sind auch ältere Jungen dabei. Etwa 20 werden es sein, im Alter zwischen fünf und 17 Jahren, die den Schritt ins Erwachsenenleben gehen. Der geheimnisvolle Gesang hat immer mehr Leute aus dem Schlaf gerufen. Um mich herum füllt sich der Raum mit farbenfroh geschmückten Männern und Frauen. ATMO Leute kommen herein, Gesang und Tanz im Haus ERZÄHLERIN Die Tänzer haben sich in zwei Reihen aufgestellt, Männer und Jungen auf der einen, die Frauen, zum Teil mit Kindern auf dem Arm, auf der andern Seite. Sie verfallen in einen monotonen Gesang, der von Vogelrufen angefeuert wird. Einige der Männer haben die Jungen untergehakt. Es sind ihre ?Paten?, wie ich später erfahre. Unermüdlich üben sie mit ihnen Tanzschritte und Lieder. Auch während der kritischen Phasen des Festes, wenn das Haar geschnitten wird und schließlich die Ohrläppchen durchstochen werden, betreuen sie ihre Schützlinge. Die männlichen Nachkommen der Häuptlingsfamilie sind mit prächtigen Adlerfedern, bunten Baumwollgürteln und Muschelhalsketten herausgeputzt. Das Großhaus ist die zweite Haut seiner Bewohner und gleichzeitig ein himmlisches Universum. Wie hypnotisiert laufe ich den Tanzenden hinterher, von einem Haus zum nächsten, bis ich merke, dass die ganze Zeit immer dasselbe Lied gesungen wird. Die Häuser sind im Kreis um ein ?Zentrum? angeordnet, das Männerhaus. Frauen ist der Zutritt hier strengstens verboten. Bei mir ist das etwas anderes, denn als Weiße falle ich nicht unter die Regeln. Dennoch versuche ich die Tabus, soweit ich sie kenne, zu respektieren. Das Männerhaus gleicht allerdings mehr einer Rumpelkammer als einem zeremoniellen Ort. Dennoch ist Vorsicht geboten, denn hier werden die Heiligen Flöten und Masken aufbewahrt und vor neugierigen Blicken geschützt. Eigentlich heißt es ?Casa do bicho?, Geisterhaus. Inzwischen ist es vier Uhr morgens. Die Tänze gehen unverdrossen weiter. Immer mal wieder bekomme ich Besuch von den Tänzern, werde freundlich begrüßt, beiläufig nach dem Preis meines Aufnahmegeräts gefragt ? oder um Zigaretten gebeten. O-TON ?Bom dia uli, muito awüxepai.? ERZÄHLERIN ?Awüxepai? bedeutet so viel wie ?sehr gut? und ?danke?. Ich habe mich auf Einladung einiger Burschen erschöpft auf der Bank vor dem Männerhaus niedergelassen, um das Spektakel aus der Ferne zu beobachten. Hier treffe ich Kamalurre, der mit seinem Bruder auf der Uruá-Flöte übt. ATMO Uruá-Flöte, im Hintergrund Tanzen ERZÄHLERIN Kamalurre erweist sich als aufstrebender junger Mann. Er kann sich gut ausdrücken und stellt Kunsthandwerk für ein renommiertes Geschäft in São Paulo her. Kamalurre will es zu etwas bringen. Er möchte einen eigenen Pick-up besitzen. Er erklärt mir die Flötenmusik: ATMO Uruá-Flöte, Gespräch mit Kamalurre SPRECHER Wir haben zwei Flöten. Diese kleine Flöte hat einen helleren Klang, die große einen vollen Klang. Während wir spielen, verstehen wir den ?Weg der Musik?. ERZÄHLERIN ?Watana piala?, der ?Weg der Musik?, ist von zentraler Bedeutung, will man die indianische Kultur verstehen. Denn die Natur, Geister, Krankheit ? alles wird in geometrische und musikalische Muster übersetzt. Muster bedecken die Körper ebenso wie Gebrauchsgegenstände und Masken. Inzwischen ist es hell geworden. Die Musik bricht ab, die Mehinako gehen an ihr Tagewerk. Die Frauen holen Maniokknollen vom Feld, die in einem aufwändigen Prozess zu Mehl und Suppe verarbeitet werden. Sie schleppen bis zu 50 Kilo schwere Wassertöpfe vom Fluss heran. Die Männer sind für die Versorgung ihrer Familien mit Fisch zuständig. Eukate, der älteste Sohn des Häuptlings Yumuin, fährt los, um die Kuikuru abzuholen. Es sind Nachbarn der Mehinako, die während des Festes eine ganz besondere Rolle spielen sollen. Ihr Eintreffen wird für heute Abend erwartet. ATMO In der Küche hinter dem Haus ERZÄHLERIN Die Mittagshitze lähmt das Dorf. Hinter dem Großhaus sitzen die Frauen in einer Kochhütte ohne Seitenwände. Sie plaudern, während sie Maniokknollen schaben und Schnüre aus Palmbast drehen. Männer sind hier zwar geduldet, aber es ist nicht ihr Aufenthaltsort. Sie gehören auf die Platzmitte, auf die zwei langen Bänke vor dem Männerhaus. ATMO Geschenkeverteilung ERZÄHLERIN Am späten Nachmittag geht es an die ungeduldig erwartete Verteilung der Geschenke. Ich liefere meine Kartons bei Yumuin ab und vertraue auf eine einigermaßen gerechte Zuweisung. Sie findet vor dem Männerhaus statt. Jeder bekommt ein paar Angelhaken, Schnüre, ein paar Knäuel Baumwolle zum Knüpfen der Gürtelschnüre und ein Paar Schlappen. Die bunten Glasperlen, die ich kiloweise angeschleppt hatte, bleiben unter Verschluss. Sie werden wohl innerhalb der Häuptlingsfamilie verteilt. Die Frauen fertigen daraus mehrreihige Halsketten, die sie dann ? unter Ausschluss der Männer ? gegen Kleinkram wie Gewürze, Scheren oder Plastikschüsseln einwechseln. Am Xingu gelten strenge Tauschgesetze. Alles kostet. Der Tausch ist eines der wichtigsten Mittel zur Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen. Ganz gleich, ob das nun rituelle Leistungen sind, wie etwa das Tanzen für eine kranke Person, die Herstellung einer Maske oder Liebesbeziehungen. Alles muss entlohnt werden. Oft sieht man kleine Kinder mit einem großen Fisch zu einer der Frauen rennen ? geschickt von einem Liebhaber, der lieber nicht persönlich auftaucht. Jede Gabe fordert eine Gegengabe. Auch das Erzählen von Mythen, die Geschichten der ?Alten? und das Anfertigen von Übersetzungen wollen bezahlt sein. Für mich ist das noch etwas gewöhnungsbedürftig. Doch am Xingu verliert derjenige an Wert, der nicht zu geben weiß. ?Mão fechada?, ?geschlossene Hand? - oder besser: Geizhals - ist ein hartes Schimpfwort am Xingu. Ich bin mitten in das Ritual hineingeplatzt und weiß noch nicht viel über das Pühükã, das ?Ohrstechen?. Also versuche ich, Gewährsleute aufzutreiben, die bereit sind, mir den Ablauf zu erklären. Das ist gar nicht so einfach. Jeder hier ist sehr beschäftigt. Während einer Tanzpause bekomme ich endlich Yumuin zu fassen, der schließlich der ?Herr? und ?Sponsor? dieses Festes ist. O-TON Yumuin SPRECHER Das Fest dauert viele, viele Tage. Es hat bereits letztes Jahr begonnen. Die Leute waren schon besorgt, weil es so viele Kinder gab, deren Ohrläppchen noch nicht durchbohrt waren. Sie kamen zu mir und sprachen mit mir darüber. Ich habe dann eine Versammlung aller Männer einberufen. Das Ohr und der spezielle Haarschnitt sind ?Dokumente?. Also, wenn die Xinguanos in die Stadt gehen, dann ist das wie ein Ausweis. Dort sind andere Indianer, Verwandte, aber andere. Mit anderem Haarschnitt. Und die Weißen wissen gleich Bescheid. Keiner wird sich beschweren, keiner wird Probleme machen, sie werden sie respektieren. ERZÄHLERIN In Andeutungen beschreibt Yumuin auch den Mythos. O-TON Yumuin SPRECHER Mein Vater hat mir diese Geschichte erzählt. Uli, die Geschichte vom Ohrstechen. Vor vielen Jahren, als die Männer zum Jagen gingen, weit weg zum Jagen, da haben sie einen Mann getroffen, einen Mann ? keinen Geist! Er war ein normaler Mensch, so wie die Kuikuru. Ein Fest hatten sie dort, das Ohrstechfest, und da erfuhr er alles. Er tanzte, wisst Ihr, genau wie in dieser Nacht getanzt wurde, erinnert Ihr euch? Die zwei Männer sind also unterwegs, um zu fischen, weit weg von hier, mit Pfeil und Bogen, da treffen sie auf zwei Fremde. ?Oh, verflixt, die werden uns töten?, dachten unsere Männer. Aber die wollten sie nur in ihr Dorf mitnehmen, damit sie dort miterleben, wie man die Ohren durchsticht. ERZÄHLERIN Yumuin entpuppt sich zwar als guter Kenner der rituellen Abläufe, die er vor dem Männerhaus immer wieder mit den Schamanen und Musikern bespricht, aber auf Portugiesisch fällt ihm das Geschichtenerzählen schwer. In Umrissen wird die Geschichte eines Kulturheroen erkennbar, der den Mehinako die Musik und das Wissen über das Pühükã brachte. Ich werde mich weiter auf die Suche machen müssen. MUSIK ?Grita Amazonia? ERZÄHLERIN Yumuins Bruder Monai ist einer der angesehensten aber auch gefürchtetsten Schamanen im Dorf. Auf den ersten Blick überwiegt gegenseitige Abneigung. Das Brüderpaar ist wie aus der indianischen Mythologie entsprungen: Sonne und Mond ? der ?Gute? und der ?Böse?. Als Monai mir im Befehlston vier Batterien abverlangt, fordere ich im Gegenzug vier Geschichten. Er flucht, hält sich aber an die Abmachung. O-TON Monai erzählt ERZÄHLERIN Monai ist der vollendete Geschichtenerzähler ? besser gesagt: ein perfekter Schauspieler. Er wispert, deklamiert, funkelt dabei mit den Augen, springt herum, packt mich am Arm. Doch das, was sein Sohn eher peinlich berührt zögernd übersetzt, enttäuscht mich. Es sind Geschichten über die Entstehung von ?Geistern?, ihr Inhalt ist anzüglich und anstößig. Ich muss also weitersuchen, wenn ich mehr über das Ritual erfahren will. ATMO Frauen im Hintergrund ERZÄHLERIN Langsam wird mir zumindest der grobe Ablauf des Festes klar: Heute Abend werden die Kuikuru eintreffen und die ganze Nacht hindurch tanzen. Morgen dann findet auf dem Platz der rituelle Ringkampf statt, den vor allem die jungen Burschen aufgeregt erwarten: Das Hukã-hukã. Die Mehinako werden ihre besten Kämpfer gegen die der Kuikuru antreten lassen. Einige Gäste befinden sich schon im Dorf: Die Waurá und die Yawalapiti. Erwartet werden außerdem die Aueti. Bei ihnen allen handelt es sich um befreundete Dörfer, die zwar zum Teil andere Sprachen sprechen, sich aber kulturell nicht von den Mehinako unterscheiden. Das Gebiet des Oberen Xingu hat hier über die Jahrhunderte wie ein Schmelztiegel gewirkt. Gleichzeitig werden aber bestimmte Fähigkeiten und Kenntnisse eines Dorfes wie ein Schatz gehütet und als Handelsgut verwendet. Die Mehinako sind exzellente Schnitzer, die Waura sind für die Herstellung großer Töpfe bekannt, die Kamayura für die starken Bögen aus Schwarzholz und die Kuikuru für ihre wunderbaren Muschelketten. ATMO Kinder ERZÄHLERIN Die Hitze unmittelbar vor der Regenzeit ist unerträglich. Bis zum Abend ist noch Zeit. Ich gehe zum Fluss, um Wasser zu holen und ein Bad zu nehmen. Dabei begleitet mich ständig eine Schar Kinder. Hauptsächlich die Mädchen haben Vertrauen zu mir gefasst und immer, wenn ich heimlich ein paar Kekse essen will, sind sie flink zur Stelle und wispern: ?Biscoito, biscoito!? O-TON ?Baño dos meninos.? ERZÄHLERIN Auf dem Weg zum Fluss laufen sie vor, sammeln Früchte, die Jungen pfeifen und üben die Flötenmelodien. Das tägliche Bad ist für die Kinder ein ausgelassenes Spiel. Als ich zurückkomme, sind schon alle bereit zum Empfang der Kuikuru. Die Gäste warten am Eingang des Dorfes. Mit großem Ernst geleitet sie der Schamane Monai zu einer Reihe rostiger Klappstühle, die vor seinem Haus aufgebaut sind. Die Kuikuruchefs lassen sich würdevoll nieder und legen wertvolle Muschelketten vor sich auf den Boden. Ihre Gastgeschenke. Im Gegenzug erhält jeder von ihnen ein riesengroßes Esspaket: Gebratener Fisch, eingewickelt in Maniokfladenbrot. Keiner verzieht eine Miene während des zeremoniellen Austauschs. ATMO Auftritt der Jungen ERZÄHLERIN Nach dem feierlichen Empfang haben die mit Federn geschmückten Jungen ihren ersten Auftritt. Hintereinander, mit gesenktem Haupt, im Takt hin und her wackelnd, strömen sie aus dem Haus des Häuptlings. Sie ziehen einen großen Kreis um Monai, der die Vorgänge streng überwacht. Während er sonst nackt geht, trägt er jetzt ein strahlend weißes T-Shirt mit dem passenden Aufdruck ?Kaiser? und eine Jogginghose. Der Dorfplatz wird zur Bühne. Den Jungen folgen die Hukã- hukã Ringer. Ihre muskulösen, mit Tiermustern geschmückten Körper glänzen in der Nachmittagssonne. Die Gäste schließen sich dem Reigen an. Dann öffnet sich der Kreis, und die Tänzer ziehen unter lautem, rhythmischem Vogelgeschrei in verschiedenen Formationen, die an die rasch wechselnden Bewegungen eines Fischschwarms erinnern, über den Platz. ATMO Tanz auf dem Platz ERZÄHLERIN Plötzlich teilt sich der Tänzerschwarm erneut in Besucher und Gastgeber, die einander alsbald wie Gegner gegenüber stehen. O-TON Aufruf Yumuins zum Hukã-hukã ERZÄHLERIN Jetzt ruft Yumuin die fünf besten Kämpfer auf. Seine Wahl wird mit Stampfen und Rufen aus der Gruppe der jungen Männer bestätigt. Die fünf Auserwählten knien nebeneinander in der Platzmitte nieder, ihnen gegenüber die fünf besten Kämpfer der Kuikuru. Schon läuft das erste Ringerpaar im Bogen aufeinander zu. ATMO Hukã-hukã ERZÄHLERIN Die wilden Kampflaute, die sie dabei ausstoßen, erinnern an das Imponiergehabe aus dem Tierreich. Und so umkreisen sie sich auch, wie wilde Tiere - bis sie sich schließlich auf die Knie werfen. Nun versucht jeder die rechte Hand des Gegners zu ergreifen und ihn so eng an sich heranzuziehen, dass die Köpfe seitlich aneinander schlagen. Das geschieht teils sehr heftig und schmerzhaft. Immer wieder rutschen die Hände an den geölten Körpern ab. Sie greifen nach Sand, um fester zupacken zu können. Es gilt, das Knie des Gegners zu erwischen, um ihn hochheben und umwerfen zu können. Bereits die Möglichkeit zählt als Sieg und beendet den Kampf. Unfein ist es, seinen Vorteil zu nutzen und die Überlegenheit auszukosten, denn der Verlierer soll nicht gedemütigt werden. Hinter den Kämpfern stehen die Schamanen beider Seiten und ?beten?, das heißt, sie murmeln Zaubersprüche, die den Ringern Kraft geben und sie vor dem Zauber der gegnerischen Partei schützen sollen. Das Hukã-hukã ist ein spannendes Spektakel; fast habe ich den Eindruck, die Mehinako nehmen es ernster als das Ohrstechen selbst. Frauen, Männer, Kinder - alle kommen auf den Platz, kommentieren und kritisieren die Kämpfer. ATMO Haus ERZÄHLERIN Bis die nächtlichen Tänze beginnen, kann man sich nun ausruhen und stärken, es gibt Fisch und Maniokfladen für alle. Ich habe großen Hunger, denn es wird hier sehr unregelmäßig gegessen. Gut, dass ich außer den Keksen auch Reis und Nudeln mitgebracht habe. Plötzlich erhebt sich aufgeregtes Geflüster und Getuschel in unserem Haus. Was ist passiert? Ein Mädchen erklärt mir mit aufgerissenen Augen, es habe einen Verletzten gegeben. Er liege im Haus gegenüber. Wahrscheinlich sei er verhext worden! Hexerei ist ein sehr schwerer Vorwurf. Nach einigem Hin und Her entschließe ich mich, hinüber zu gehen und nachzusehen. Es ist Kamaluve, Monais Sohn. Er liegt in der Hängematte und starrt vor sich hin. Der Vater hatte schon nach ihm gesehen. Seine Diagnose lautet ?Asthma?. Asthma ist ein Synonym für Verhexung, denn es ist diese geheimnisvolle Krankheit, die auch die Weißen nicht heilen können. Überhaupt steht man der Medizin der Weißen nicht kritisch gegenüber, man probiert sie gern aus, und wenn sie hilft, dann hatte man eben eine ?weiße? Krankheit. Kamaluve spricht ganz gut portugiesisch. Er erklärt mir, dass er seit dem Hukã-hukã einen stechenden Schmerz in der linken Schulter fühlt. Aus meinem Necessaire ziehe ich eine Salbe gegen Prellungen und eine Schmerztablette. Es hilft binnen kurzem. Wir atmen auf. Inzwischen bereiten sich die Kuikuru auf ihren Gastauftritt vor. Ihr Chef wünscht mich zu sprechen und verlangt mir erst mal ein paar Batterien ab. Er erzählt, dass bald ein Kollege aus Berlin bei ihnen eintreffen wird und dass der massenweise Geschenke mitbringen wird. Dabei lässt er anklingen, dass meine Gabe für die Mehinako nicht gerade besonders großzügig war. Ich gebe ihm die Batterien und ziehe mich zurück in meine Hängematte. Ich bin völlig erledigt und überwältigt von der Fülle der Ereignisse. Die Mehinako diagnostizieren Heimweh. Und das ist gar nicht so falsch. Um mich herum wieder ein Pulk Kinder. Hier ist man niemals unbeobachtet. ATMO Kuikuru tanzen und singen ERZÄHLERIN Die Lieder der Kuikuru schallen laut durch die Nacht. Sie wirken aggressiv. Einige Mehinako verziehen sich mit deutlichem Widerwillen in ihre Hängematten. Der Gesang mache ihm Kopfschmerzen, klagt Mayacute, dessen Matte nicht weit von meiner baumelt. Ich beschließe, den Auftritt von hier aus zu verfolgen. ATMO Morgens im Großhaus ERZÄHLERIN Ein neuer Tag bricht an. Ich werde vom Klappern der Wassertöpfe wach. Die Frauen waren schon längst am Fluss und haben Mingau gemacht, eine Brühe aus süßem Maniokmehl mit Wasser. Es löscht hervorragend den Durst, ich kann es allerdings nur einmal genießen, denn es hat durchschlagende Wirkung. So muss ich also weiterhin mein eigenes Wasser holen und abkochen. Viel Kraft und Zeit geht mit diesen alltäglichen Dingen verloren: Waschen, Feuer machen, Kaffee kochen... Die Gäste sind bereits wieder abgereist, nur ein paar verwandte Waura hocken noch hinten in der Küche. Es sind Familienangehörige von Takulalu, der Frau des Häuptlings. Gestärkt nach einem Kaffee mache ich mich wieder auf die Suche nach einem Mythen-Spezialisten. Ich finde ihn in Kuiaparé. Kuiaparé ist ein eindrucksvoller älterer Mann. Er kennt die Mythologie wie kaum ein anderer, und er kennt die Geister des Waldes. Während die Ringkämpfer ihre Körper mit Mustern bemalen, um deren Kraft in sich aufzunehmen, haben die Schamanen das nicht mehr nötig. Sie tragen die Zeichen der verschiedenen Tiergeister unsichtbar in sich. Schamanen können nicht ?zaubern?, obwohl auch sie sich des öfteren kleinerer Tricks bedienen, sie können aber Dinge und Wesen wahrnehmen, die andere nicht sehen. Darin liegt ihre Macht begründet. Kuyaparé erzählt die Geschichte vom Dorf der Vögel. O-TON Kuyapare SPRECHER Iakipieko und seine Brüder wollten Fische fangen. Sie ruderten mit einem Kanu zu einer schönen großen Lagune und schossen mit ihren Pfeilen nach einem Pintado-Fisch. Iakipieko traf den Fisch. Der Fisch versuchte zu fliehen. Da schoss er noch einmal. Der Pintado-Fisch aber floh bis zum Ende der Lagune. Die Brüder immer hinterher. Plötzlich waren sie im Himmel über dem Fluss. Der Himmel heißt Irapuene. Von unten hörten sie die Leute schreien. Sie schrien: "Iakipieko steigt zum Himmel auf, Iakipieko steigt auf!" Da kamen alle aus ihren Häusern, um Iakipieko zu sehen, der da nach oben stieg. Iakipieko hörte die Leute schreien. Dann traf er Itsula, den Storch. Itsula begrüßte Iaquipieko und sagte zu ihm: ?Dein Sohn wird heute in der Mitte des Platzes sitzen.? Iakipieko antwortete: "Gut." Er wusste nicht, dass er einen Sohn hatte. Es war ein Vogel, Periquito, ein kleiner Sittich. Iakipieko hatte ihn aufgezogen, weil sein Bruder Vögel nicht mochte. Wenn es vor Hunger piepste, nahm der Bruder das Vögelchen und warf es ihm hin. Sollte er sich doch darum kümmern. Als der Sittich schließlich fliegen konnte, erhob er sich in die Lüfte und flog davon... ERZÄHLERIN Der Mythos schildert die Reise ins Dorf der Vögel, wohin auch der misshandelte Sittich einst entwischt war. Hier treffen sie sich wieder. Iakipieko, der Held der Geschichte, erlernt die Melodien und die Tanzschritte des Initiationsfestes, um sie auf die Erde zu bringen. Seine Brüder aber werden die Reise in den Himmel nicht überleben. Sie verunglücken beim Abstieg durch den mythischen doppelköpfigen Geier. Allein Iaquipieko kehrt heil auf die Erde zurück. MUSIK Uruá-Flöten ERZÄHLERIN Das Ohrstechen bei den Mehinako ist ein Abbild jener mythischen Szenen im ?Dorf der Vögel?. Die Erzählung enthält genaue Anweisungen für das heute auszuführende Ritual. Der Dorfplatz wird zum mythischen Ort, und alle Bewohner werden Teil der Inszenierung. Besonders beeindruckt mich ihr schnelles Wechseln zwischen den verschiedenen Welten. Waren die Tänzer soeben noch tranceartig versunken, so wachen sie plötzlich auf, machen ihre Späßchen, um dann ebenso schnell wieder abzutauchen. ATMO Vorbereitung der Jungen, Summen ERZÄHLERIN Die gemeinsame Feier mit den Nachbarn ist zu Ende. Am Mittag geht es weiter mit dem ernsteren Teil des Festes. Die von Vogelschreien begleiteten Tänze und Gesänge wechseln in eine ruhigere Tonart. Das Geschehen verlagert sich auf den Platz zwischen dem Haus des Häuptlings und dem zentral gelegenen Männerhaus. Die Jungen erscheinen nackt und ohne Schmuck. Von ihren Paten werden sie vom Platz hinein in das Haus geführt, wo sie sich in einer Reihe auf grünen Blättern aufstellen. Es sind Blätter der Mayumapana-Pflanze, Symbol der Unsterblichkeit. Sie keimt immer wieder neu und übersteht selbst Waldbrände. Ihr Geruch soll die Totengeister abschrecken, die während des Rituals im Dorf anwesend sind. ATMO Ruhigere Tänze ERZÄHLERIN Die Schreie verstummen. Eine feierliche Stimmung breitet sich aus. Die Männer summen in tiefen Tönen und geben murmelnd Beschwörungsgebete von sich. Zwei Schamanen desinfizieren und betäuben die Ohrläppchen der Jungen mit einer speziellen Wurzelmedizin. Dann dürfen sie ihre Gürtel und den Federschmuck wieder anlegen, und die Tänze gehen weiter bis zum Morgengrauen. Weil das Pühükã so selten gefeiert wird, versucht jeder Junge teilzunehmen, auch wenn er das erforderliche Alter noch gar nicht erreicht hat. Einer weint und muss zu seiner Mutter gebracht werden, ein anderer erbricht sich. Man merkt ihnen die Anstrengung der letzten Tage und Nächte an, die stundenlangen erschöpfenden Gesänge und Tänze. Von ihren Vätern werden sie mit Wurzelsäften behandelt, um sie stark zu machen. Diese Medizin ist nicht ungefährlich, sie kann zu Lähmungen und sogar zum Tode führen. Im richtigen Maß angewendet, soll sie die Muskeln stärken. Dass es sich hier nicht um einen Aberglauben handelt, zeigt mir ein Gespräch einige Wochen später im Haus einer Mehinako- Familie, die im angrenzenden Städtchen Canarana lebt. Ein brasilianischer Capoeira-Kämpfer ist zu Besuch. Der muskulöse Sportler versucht schon seit längerem, die geheime Wurzelmedizin zu bekommen. Doch die Indianer bleiben hart. Als er wiederum erfolglos das Haus verlassen hat, lachen meine Gastgeber und erklären mir, er würde den Schmerz, den diese Medizin auslöst, sowieso nicht aushalten. ATMO Paritas Vogeltanz ERZÄHLERIN Das Initiationsfest hat mittlerweile seinen Höhepunkt erreicht. Noch einmal werden die Jungen nackt in den angrenzenden Wald geschickt. ATMO Feierliche Stimmung ERZÄHLERIN Währenddessen holt der Flötenspieler Parita das Besteck zum Durchstechen der Ohrläppchen. Parita bringt die Stöckchen hüpfend und dabei Vogellaute ausstoßend hinaus auf den Platz, wo sie unter einer Gruppe Männer verteilt werden. Ein erfahrener Schamane, geschmückt mit einer langen Kette aus Jaguarkrallen, leitet sie an. Wieder murmeln zwei Schamanen im Hintergrund die obligatorischen ?Gebete?. ATMO Anspitzen des Bestecks ERZÄHLERIN Die Männer spitzen mit Messern und Schmirgelpapier das ?Operationsbesteck? aus Holz und Jaguarknochen an. Die Spannung steigt. Doch der Höhepunkt wird hinausgezögert. Als die Jungen aus dem Wald zurückkommen, nehmen sie erneut vor dem Männerhaus Platz, wo ihnen die Paten den typischen Xingu-Haarschnitt verpassen, eine Art Pilzkopf. ATMO Warten auf dem Platz ATMO Die Jungen werden zum Großhaus geführt ERZÄHLERIN Dann verlagert sich der ganze Trupp vor Yumuins Haus. Hier ist ein großer Tontopf mit frischer Asche vorbereitet. Die Asche wird von Kuyaparé beblasen und besprochen, was sie in eine magische Substanz verwandelt. ATMO Beblasen der Asche O-TON Yumuin und Tamalui, Ermahnung der Jungen ERZÄHLERIN Yumuin und sein Neffe Tamalui sprechen nun eindringlich auf die Jungen ein. Sie sollen lernen, klug und besonnen zu reagieren und Streit möglichst zu vermeiden. ATMO Bemalen der Jungen ERZÄHLERIN Dann wird jeder Einzelne mit Vogelzeichen bemalt. Die Häuptlingssöhne, wie es sich gehört, mit dem mächtigen Adlermuster, die anderen mit den Zeichen einfacherer Vögel. Die Muster verzieren nicht nur ihre Körper, sondern sollen gleichzeitig die Fähigkeiten der Raubvögel auf sie übertragen. So tauchen sie ein in eine mythische Welt. Ihre Reise ins Dorf der Vögel beginnt Nun aber wird es ernst: Die Frauen müssen bei Yumuins Haus stehen bleiben. Die Paten begeben sich mit den Jungen wieder zum Männerhaus. ATMO ?Angriff? auf die Jungen ERZÄHLERIN Die Gruppe der Männer, die dort gewartet hat, läuft mit Angriffsgeheul auf die Jungen zu, ?bewaffnet? mit den Spießen, mit denen sie die Ohrläppchen durchstoßen müssen. Die Hände der Männer zittern, während sie ihren Auftrag ausführen. Die Jungen beißen auf kleine Holzstöckchen, um den Schmerz besser zu ertragen. ATMO Ohrstechen ERZÄHLERIN In das frisch gestochene Loch werden kleine Holzstecker eingeführt, die mit Harz bestrichen sind, um zu verhindern, dass die Wunde blutet. Tatsächlich ist kein Blut zu sehen. Nur einer der kleineren Jungen weint bitterlich. Am Ende der Prozedur nehmen die Paten die Jungen auf den Rücken, schütteln sie und schleppen sie zum Haus des Häuptlings. Ihre Füße dürfen den Boden nun nicht mehr berühren. Sie verschwinden hinter einer Plane im Großhaus, wo Hängematten für sie vorbereitet sind. ATMO Urwald ERZÄHLERIN Damit sind die Jungen in ?Klausur? und für die nächsten Tage den Blicken der Gemeinschaft entzogen. Sie sterben einen rituellen Tod. Sie dürfen nicht laut sprechen und das Haus nur während der Dämmerung zur Verrichtung der Notdurft verlassen. Am Kopfende der Hängematten baumeln Blätter der Mayumapana-Pflanze, ihr angenehmer Duft soll böse Träume vertreiben. Die erste Nacht ist quälend, ständig höre ich das Stöhnen der Jungen, die nur wenige Meter neben mir in ihrem Verschlag liegen. Was sie in dieser Nacht träumen, wird ihr weiteres Leben bestimmen, heißt es. Yumuins Sohn Mayacute erklärt, es sei ein gutes Zeichen, von Früchten und wohlriechenden Dingen zu träumen, dann habe man später auch Glück mit den Frauen ? so wie er, fügt er stolz hinzu. Sein Freund Sival hingegen habe damals schlecht geträumt, er hat ein Verhältnis mit seiner Schwägerin, und das führt manchmal zu heftigen Eifersuchtsdramen zwischen den Brüdern. Die Jungen dürfen jetzt keinen Fisch essen. Neben den gewohnten Speisen aus Maniok bekommen sie Affen- oder Vogelfleisch. Yumuin kümmert sich rührend um ihre Versorgung. Mit einer alten Flinte macht er sich auf die Jagd und kehrt tatsächlich mit Beute zurück. MUSIK ?Grita Amazonia? ATMO Verschlag ERZÄHLERIN Bald wird es wieder lebhafter hinter dem Verschlag. Die Jungen kichern und machen Späße. Ich werde gewarnt: Heute wird es gefährlich. Heute kommen sie heraus! Und dann ist es soweit. Geschmückt traben sie auf den Platz; Frauen und Mädchen stehen Spalier, was sich jedoch schnell ändert. Die Jungen haben kleine Pfeile und Bogen geschnitzt und zielen damit auf die Mädchen. Trifft ein vorn mit Bienenwachs abgestumpfter Pfeil, wird er von dem betreffenden Mädchen wie eine Trophäe aufbewahrt. Ein solcher Pfeil bedeutet eine erste Annäherung, eine Art Heiratsversprechen. Ein Schuss für die Braut! Natürlich ist auch viel Spaß dabei, und für den Rest des Tages muss sogar ich auf der Hut sein. Dann erfolgt vor dem Männerhaus die feierliche Namenszeremonie. ATMO Namenverkündung ERZÄHLERIN Jeder der Jungen auf dem Platz bekommt eine neue Identität und einen neuen Namen. Die Frauen betrachten das Schauspiel wieder aus der Ferne. Kaluki, der jüngste Sohn des Häuptlings, wird von jetzt an ebenfalls Yumuin heißen, ein Indiz dafür, dass er für die Nachfolge bestimmt ist. Doch festlegen will sich der alte Yumuin nicht. All das muss sich erst erweisen. Damit ist der zweite Teil der Initiation abgeschlossen und das Fest gilt als beendet. Die Jüngeren dürfen nach Hause zurück. Für die Älteren aber beginnt die eigentliche Verwandlung ? in der dunklen Abgeschiedenheit des Großhauses. Mit ein paar Tänzen und Liedern ist es nicht getan. Das Initiationsfest leitet die geistige und körperliche Metamorphose der Jungen ein. Aus harmlosen kleinen ?Sittichen? werden wehrhafte Raubvögel. Das ist nicht allein durch Zaubersprüche zu erreichen, es bedeutet ein gutes Stück ?Arbeit? für die gesamte Dorfgemeinschaft. Jeder nimmt teil an dem Verwandlungsprozess und ist verantwortlich für sein Gelingen. ATMO Eukate singt im Hintergrund ERZÄHLERIN Je nachdem, wie viel die Familie auf sich hält, werden die Söhne drei Monate bis drei Jahre ?eingesperrt?. Ihre Haut wird heller, das Haar wird wachsen, durch die Bewegungslosigkeit und eine spezielle Diät werden sie zunehmen. Als Schönheitsideal gelten dicke Oberarme und Waden, was durch Abbinden der betreffenden Gliedmaßen erreicht wird. Die Väter behandeln ihre Söhne an Armen und Beinen weiter mit der Wurzelmedizin. Ein erwachsener, begehrenswerter Körper ist das Ziel. Zumindest der rituelle Teil dieses Prozesses ist nun abgeschlossen. Yumuin ist erleichtert. O-TON Yumuin erklärt das Pühükã ERZÄHLERIN Noch einmal erklärt der Häuptling die Einzelheiten des Rituals und hält einen kleinen Vortrag über die Bedeutung der Mehinako-Kultur. Sie wird weiterleben ? auch durch die Bewahrung ihrer Rituale. Ich muss kurz nach Canarana. Yumuin, sein ältester Sohn Eukate und zwei weitere Mehinako begleiten mich. Nach zwei Wochen rituellen Geschehens haben sie Lust auf einen kleinen Ausflug in die Stadt. ATMO Lastwagen ERZÄHLERIN Wir brauchen vier Stunden mit dem Motorboot und fahren dann mit dem Pick-up der Mehinakos an abgeholzten Waldflächen vorbei, wo nur noch verbrannte schwarze Stümpfe in die Luft ragen. Durch das Rückfenster sehe ich die Männer auf der Ladefläche besorgt diskutieren. Die Rinderfarmen rücken immer näher an ihr Gebiet heran. Sie verseuchen die Quellflüsse des Xingu mit Colibakterien. Demnächst müssen in den Indianerdörfern Brunnen gebohrt werden. ATMO In Gaucha ERZÄHLERIN Als wir abends in die Pizzeria von Canarana einkehren, bemerke ich, dass sich unter ihnen ein Wandel vollzogen hat, eine andere Art der Metamorphose: Aus den selbstsicheren und mit Stolz geschmückten Menschen, die, wenn sie wollen, Tier- und Götterwelt in sich vereinen können, sind unscheinbare Männer in Turnhose, zerknittertem Hemd und Kappe geworden. Keiner vermutet in diesen Gestalten Menschen mit einer derart reichhaltigen kulturellen Tradition. MUSIK ?Grita Amazonia? Aussprache: Das ?X? wird wie ein ?Sch? ausgesprochen: [Schingu] Das ?X? wird wie ein ?Sch? ausgesprochen ?awüschpai? 22 1