COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Literatur - 17.12.2013 Akustische Zeitansagen Literarische Kalender 2014 Von Sigried Wesener MUSIK: Kronos Quartett: Our beginning Sprecher Das allererste Wort war NEIN. Es kann ja gar nicht anders sein. Das JA lässt alles, wie es war, doch NEIN schafft Neues wunderbar. Sprecherin das allerzweite Wort war DU, und dann kam erst das ICH dazu. ICH ohne DU gibt keinen Sinn, denn DU erst zeigst mir, wer ICH bin. Sprecher Vom dritten weiß man’s nicht genau, vielleicht war’s Himmel oder Frau, Glück, Liebe oder Apfelbaum, vielleicht vergehen oder Traum…… Autorin Schöpfungsgeschichte, Buchstabensuppe, Turmuhr, zwei Elefanten, der Mond als Schmutzfink, Jaguar und Neinguar, dazu ein vegetarischer Löwe, der sich nach einem blutrünstigen Jagdleben an die gelbe Rübe ranmacht, „die hält wenigstens still“ - sie alle bevölkern die Seiten des Arche-Kinderkalenders. Reimend oder erzählend werden Lebewesen, Gegenstände, Wörter aufgespießt und in leuchtende Bilderlandschaften gestellt. Die Idee zu diesem Kalender kam nach einer Ausstellung der „Internationalen Jugendbibliothek München“. Eine zweisprachige Einladung an kleine und große Menschen, in die bunte Kinderwelt Malis, Brasiliens, Frankreichs, Japans, der Türkei oder – wie im folgenden – des Iran einzutauchen. Sprecherin Es dreht Und dreht Und dreht sich, Mein hübsches Blumenkleid In der Waschmaschine. Wie gut, Dass ich nicht drin bin! Es tanzt Und tanzt Und tanzt, Mein hübsches Blumenkleid Im Wind Auf der Wäscheleine. Wie schade, Dass ich nicht drin bin. Musik: Kronos Autorin (Arche) Die Kinderzeit nimmt sich für 2014 der thematisch aufbereitete Arche-Literaturkalender vor. Auf dem Cover: Die Benjamin- Kinder: Walter und die jüngeren Georg und Dora. Abgelichtet 1903 in einem Berliner Fotoatelier. Da war die großbürgerliche Welt der assimilierten jüdischen Familie noch friedlich. Auf dem Foto schaut nur der 13jährige Walter - in Matrosenuniform - in die Kamera. Aus der Stadt, in der diese Aufnahme gemacht wurde, ist der deutsch-jüdische Schriftsteller und Kunstkritiker drei Jahrzehnte später für immer vertrieben worden. In seinen Erinnerungen „Berliner Kindheit um 1900“, begann er in den 30er Jahren die Bilder der Kindheit schreibend zu erinnern. Sprecher Ich … rief die Bilder, die im Exil das Heimweh am stärksten zu wecken pflegen – die der Kindheit – mit Absicht in mir hervor. (Ich habe) … mich bemüht, der Bilder habhaft zu werden, in denen die Erfahrung der Großstadt in einem Kind der Bürgerklasse sich niederschlägt. Autorin 1940 beging Benjamin in den Pyrenäen, auf der Flucht vor den deutschen Nationalsozialisten, Selbstmord. Erst sein Nachlass ist in die Geburtsstadt Berlin, in die Akademie der Künste, zurückgekehrt. Der Arche-Kalender beleuchtet vor allem das 20. Jahrhundert. Das Kindheitsthema bestimmt die Foto- und Textauswahl, die an den großen Jubiläen nicht vorüber geht. Arno Schmidt gibt bereits im Januar den Auftakt der Hundertjährigen, geboren in jenem Jahr als der Erste Weltkrieg begann. Auch Bohumil Hrabal, Geschichtenerzähler, Biertrinker aus Prag ist Jahrgang 1914 Sprecher …und so lief ich mitten im Gespräch gedankenverloren in die Kindheit zurück, als ich zum ersten mal in einem Gasthaus war, das mich dermaßen bezauberte, dass die Kneipe zu meinem Schicksal wurde. Autorin Literarische Orte sind nicht immer die wirklichen, aber mit Hrabals Büchern kann man Prag entdecken, Zizkov, Kersko, Liben. In seinen Büchern unternahm er ausgiebige Wanderungen durch die Gassen mit ihren zahllosen Schenken, ob sie nun Alte Post, Grüner Baum oder Goldener Tiger hießen. Bei James Joyce, sagte mir Hrabal bei einem Besuch in Berlin, sei er in die Schule gegangen. Take Hrabal 2 23‘‘ Ich habe jetzt eine Methode gefunden. Ich schreibe jetzt so schnell, wie ich denke und ohne Verbesserungen. Also alles ist original. Ich habe gelernt bei dem Herrn Joyce, also ein Strom der Gedanken, also schreiben wie sie denken. Autorin Da sind noch Celine, Kurt Schwitters, die Surrealisten, Isaak Babel und natürlich sein "Bruder Hasek" mit dem schwarzen Prager Humor. Und so sind seine Bücher bevölkert, von Fahrdienstleitern, Kellnern, Papierpackern, Kartenabreißern, Leichenwäschern, neugierigen Nachbarn, Zechkumpanen, Zugabfertigern. MusiK Sprecherin Ich war die Tochter eines Beamten, und während meiner ganzen Kindheit habe ich immer nur den Ort gewechselt. Sobald meine Eltern die Stellung wechselten, habe ich auch das Haus gewechselt…und nun habe zum ersten mal ein Haus, das mir gehört. …ein klein bisschen ist es so, als sei ich hier geboren. Autorin Marguerite Duras ist 1914 in Indochina geboren, in jenem Jahr, als die Schüsse in Sarajewo den österreichischen Thronfolger töteten und der Erste Weltkrieg begann. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. tönte vom Balkon des Berliner Schlosses, hier in einer nachgestellten Aufnahme. Take: Kaiser Wilhelm CD 1:33-1:41 Es muß denn das Schwert entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf zu den Waffen! Autorin … 1914 wurden auch sie geboren: Alfred Andersch, die Italienerin Anna Maria Ortese, der Argentinier Julio Cortázar. Der walisische Dichter Dylan Thomas ist Jahrgang 1914 und der Österreicher Georg Trakl, der mit 27 an einer Überdosis Kokain verstarb, nachdem er die Schrecken des Krieges als Sanitäter in Galizien erlebt hatte. Der erste Weltkrieg hat sich in viele europäische Dichterbiografien eingeschrieben. Musik Autorin Kindheitserinnerungen, die der Arche-Kalender wachruft. Lion Feuchtwanger hat 1928 für die Frankfurter Zeitung seine Münchner Kindheit unter acht Geschwistern im ausgehenden 19. Jahrhundert so gesehen: Sprecher Er wurde von insgesamt 98 Lehrern in 21 Disziplinen unterrichtet, darunter waren Hebräisch, angewandte Psychologie, Geschichte der altbayerischen Fürsten, Sanskrit, Zinseszinsrechnung, Gotisch und Turnen… Es wurde im Laufe des Unterrichts der Name Plato 14203 mal, der Name Friedrich der Große 22641mal, der Name Karl Marx keinmal genannt. Autorin Und schon wechsle ich zum Aufbau- Literaturkalender, schmunzle über die abgebildete Arno Schmidt- Anziehpuppe, entdecke, dass sich im Januar der 150. Geburtstag von Ricarda Huch jährt. Die promovierte Schriftstellerin stand in der Weimarer Republik der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste vor. Sprecherin Demokratie …mag noch so sorgsam formal abgewogen sein, sie wird sich nie als Volksfreiheit ausprägen, wenn nicht das Rechtsgefühl und das Verantwortungsgefühl im Volke lebendig ist, damit verbunden ein Selbstbewusstsein, das jedem einen festen Stand gibt und ihn verhindert, mitunter Willkür und totalitären Staatsansprüchen zu folgen. Dass diese Eigenschaften nicht genügend vorhanden waren, erklärt die Katastrophe, die wir erlebt haben. Autorin Nach Hitlers Machtantritt, verließ sie 1933 die Akademie. Der Aufbau-Kalender feiert ebenfalls die Hundertjährigen und gräbt in weit gesteckten Feldern, wenn er den 450. Geburtstag von Galileo Galilei bedenkt oder den Arzt und Traumdeuter aus der Wiener Berggasse 19: Siegmund Freud, der kurz nach Kriegsbeginn im Londoner Exil starb und er zeigt die in Wien lebende Dichterin Friederike Mayröcker in ihrer „Zettelhöhle“, die ihrem 90. Geburtstag entgegen zu schreiben scheint . Der große Außenseiter des deutschsprachigen Theaters Einar Schleef wäre 70geworden. 1944, lese ich, ist auch das Geburtsjahr des Dramatikers und Erzählers Botho Strauß, von W.G. Sebald, der mit Büchern wie „Die Ausgewanderten“ oder „Austerlitz“ über die Nachwirkungen des Holocaust schrieb und das Todesjahr von Filippo Tommaso Marinetti, dem Mussolini-Anhänger. Mit seinem futuristischen Manifest hatte dieser einst die westliche Welt aufgeschreckt. Er erklärte den verstaubten Akademien, Bibliotheken, Museen den Krieg, sah die Veränderungen der Welt durch die allgegenwärtige Technik. Musik: Autorin Bestseller, Newcomer, Tipps und Leseproben, Gedichte, Hörbücher und literarische Ereignisse versammelt der Harenberg-Taschenkalender. Ein prall gefülltes Kompendium für jedem Tag. Fotos und Buchcover werden auf der Rückseite durch pointiert geschriebene Erklärtexte und das beliebte Rätsel „literalogisch“ ergänzt. Der Jahrgang 1929, entdecke ich, wird 85: Hans Magnus Enzensberger, Christa Wolf, Peter Rühmkorf, Walter Kempowski, Günter Kunert. In diesem Sommer hat der Dichter und Essayist mit seinem Buch „Tröstliche Katastrophen“ den sehr persönlichen Begleittext zum Weltzustand geliefert. Take: 43‘‘ : Take: 3:35 – 3:49 Also mein Ruf ist schlecht…der Kerl hat ja Humor//Take: 3:58- 4:09 Das Eine ist die Einsicht in den Weltlauf ……mein Charakter/ Autorin Der Tageskalender feiert den bedeutendsten europäischen Dramatiker William Shakespeare – im April steht immerhin sein 450. Geburtstag an. Dazu bildet er das Künstlerpaar Alissa Walser und Sascha Andersson ab, die Erzählerin ist Tochter von Martin Walser, er gehörte zur alternativen Prenzlauer Berg-Szene und ließ sich auf Spitzeldienste ein. Derartigen Zumutungen entging Uwe Johnson, dessen 80. Geburtstag indem er eine S-Bahnkarte löste und im Juli 1959 von Ost- nach Westberlin wechselte, am Erscheinungstag seines Romans „Mutmaßungen über Jakob“ bei Suhrkamp. Take: Johnson 3‘‘ Jakob ist immer quer über die Gleise gegangen Autorin Uwe Johnson erlebte keine Veröffentlichung seiner Bücher im Arbeiter- und Bauern-Staat. Deshalb wehrte er sich auch gegen das Etikett der Kritiker: Dichter beider Deutschlands zu sein. Bereits im Januar läutet der österreichische Autor und Übersetzer Raoul Schrott den Reigen der 50jährigen ein. Das Sprachgenie, er har Griechisch, Latein, Arabisch, Französisch und Keltisch gelernt, hat mit der Neuübertragung von Homers „Illias“ und den Auslegungen der Geschichte nicht nur gepunktet: Take: Schrott 34‘‘ Ehrlich gesagt, zu einen ist der Standpunkt, den ich hier vertrete der eines Poeten. Und das poetische Wissen unterscheidet sich von dem wissenschaftlichen Wissen letztlich dadurch, das der Dichter dieses Wissen zu verkörpern hat, d.h. Dem eine menschliche Relevanz zu verleihen, zumindest versucht. Völlig egal worum’s geht, man nimmt dieses Wissen, man nimmt diese Erfahrungen und versucht sie exemplarisch für alle zu formulieren. Autorin Lautpoet, Performer, Bachmannpreisträger und Literaturprofessor Michael Lentz ist Jahrgang 1964 Take: Lentz: Gedicht: Jedoch immerhin 31‘‘ Autorin Thomas Hettche – dazu der Autor von „Helden wie wir“ und „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ Thomas Brussig und Anett Gröschner zählen zu den Jubilaren. Die gebürtige Magdeburgerin wurde durch den satirischen Roman „Moskauer Eis“ bekannt und sammelt Erfahrungen mit der Linie vier – in Alexandria, Berlin, Budapest, New York, Peking, Zürich. Take: Gröschner 22‘‘ Die Urgeschichte war die, dass die erste Straßenbahn, mit der ich als Kind gefahren bin, die vier war. Wir wohnten damals auf dem Werder. Das ist ‘ne Insel in der Elbe in Magdeburg und diese Insel war halt durch ‘Straßenbahn mit dem Festland verbunden. Dazwischen lang dann ‘ne Welt. Ich bin dann von Endstelle zu Endstelle gefahren und hab mir Linien ‘rausgesucht, die Grenzen überschritten haben Autorin Der populäre Philosoph mit eigener Fernsehsendung Richard David Precht vervollständigt den Reigen der 50jährigen. So erfolgreich wie beargwöhnt hat sein Buch „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele“ ihn zum Bestsellerautor gemacht. Autoren, in der Mitte des Lebens. Musik Autorin An dieser Stelle ein Nachruf auf den stets opulent ausgestatteten Literaturkalender von Artemis und Winkler. Über Jahrzehnte ließ er Woche für Woche gut ausgesuchte Zitate mit großflächig-bunten Reproduktionen von Gemälden, Zeichnungen, Fotos korrespondieren und rundete den Gesamteindruck mit Hinweisen auf Autor und Text ab. Trotz der bunten Fülle im Kalenderangebot wird er vermisst! Also leiste ich mir eine kulinarische Ablenkung mit dem Literarischen Küchenkalender des Arche Verlages. Beim Blättern koste ich Krabbensalat, Roastbeef, das Salka Viertel 1941 in Kalifornien für Heinrich Mann zum siebzigsten Geburtstag bereitet hat, übergehe Fischpudding, lande bei Maccaroni, nur in Butter und Parmesan gewälzt. Italien- und Weinliebhaber Bodo Kirchhoff hat über die Mittelmeerleichtigkeit, Liebe und das Sehnen in der Ehe, über Abschiede und Heimkehr einen Roman geschrieben: „Die Liebe in vollen Zügen. Take: Kirchhoff/Bücherherbst 38‘‘ Dieser erste Satz, ja er hat schon eine Geschichte, mehr eine Episode. Ich habe mal in einer mittleren Arbeitsphase dieses Buches nachts lange wach gelegen und hab darüber nachgedacht, worum es im Kern bei diesem umfangreichen Roman geht und dann war da wie ein vor mich hinsprechen: Sehnsucht nach Liebe ist die einzige schwere Krankheit, mit der man alt werden kann, sogar gemeinsam. Und mir war klar, dass das der Anfang des Buches ist, und die Anstrengung darin besteht diesem Satz auf allen folgenden Seiten gerecht zu werden. Autorin Nach der italienischen Reise folge ich dem kulinarischen Pfad, lese Romanauszüge, die von Sybil Gräfin Schönfeldt mit Fotos, Bildcollagen und als krönender Abschluss mit Rezeptvorschlägen garniert sind. Zarte Rhabarberscheiben auf Vanilleschicht von Sadie Jones konkurrieren mit Käsekuchen aus Ursula Krechels preisgekrönten Roman „Landgericht“ und Philip Roth kommt nochmals mit einem Hauptgang für „Jedermann“. Sprecher Zu seinen exzentrischen Gewohnheiten zählte es, dass er von Zeit zu Zeit ohne besonderen Grund seinen Smoking anzog, um mit der Frau, mit der er gut fünfzig Jahre verheiratet war, im Dorfrestaurant ein Kalbsschnitzel zu essen. Wo zum Teufel soll ich den denn sonst anziehen, lautete die barsch liebenswürdige Erklärung, die er jedermann gegenüber abgab. Musik Autorin Freundinnen und ihren brieflichen oder literarischen Beglaubigungen spürt der Frauenkalender der Edition Ebersbach nach. Ein Mix aus Zitaten, kurzen informativen biografischen Tipps und Fotos, Collagen, Porträts. In zarten Pastelltönen sammelt der literarische Frauenkalender auch in seinem neuen Jahrgang überraschende und vertraute Beziehungsgeschichten. Hanah Arendt entpuppt sich als unzuverlässige Briefschreiberin. Und Erika Mann hat zwar gerade Gustaf Gründgens geheiratet, sehnt sich aber nach Pamela Wedekind. Sprecherin Viele, viele Grüße, meine geliebte Göttin, von der Ehefrau…. ja, Pamela, es war schon ein großer Schreck. Wie so der Herr auf dem Standesamt noch ganz freundlich „Fräulein Mann“ zu mir sagte, als er uns ermahnte, doch lieber richtig herum den Tatort zu betreten – G.G. links und ich rechts (wir hatten es natürlich falsch gemacht), und dann plötzlich herrschte er mich an, „jetzt unterschreiben Sie, Frau Gründgens!“ Autorin Ein Jubiläum ist anno 2014 zu vermelden. Im nunmehr 20. Jahrgang ‘fliegen‘ dem Betrachter Woche auf Woche Wörter zu - gereimt, gebunden, komplex, synthetisch. Der Kalender „Fliegende Wörter“ aus dem Daedalus Verlag Münster liefert mit seinen grafisch gestalteten Versen kleine Kunstwerke. Sprecher Ich hasse und liebe. Warum ich das tue, fragst du vielleicht? Ich weiß nicht. Doch dass es geschieht, fühl ich und leide Qualen. Catull Sprecherin Wenn die Dinge sprechen könnten – aber wenn sie sprechen könnten, könnten sie auch lügen. Vor allem die gewöhnlichen, wenig geschätzten, um endlich Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Grauenhaft sich vorzustellen, was mir dein abgerissener Knopf sagen würde, und dir – mein Wohnungsschlüssel, der alte Schwätzer Wislawa Szymborska Sprecher Fußnote zu Rom Ich werfe keine Münze in den Brunnen, Ich will nicht wiederkommen. Zuviel Abendland, verdächtig. Zuviel Welt ausgespart. Keine Möglichkeit für Steingärten Günter Eich Sprecherin Enigma Nichts wird mehr kommen. Frühling wird nicht mehr werden. Tausendjährige Kalender sagen es jedem voraus. Aber auch Sommer und weiterhin, was so gute Namen wie „sommerlich“ hat – es wird nichts mehr kommen. Du sollst ja nicht weinen, sagt eine Musik. Sonst sagt niemand etwas. Ingeborg Bachmann Autorin Der Kalender „Fliegende Wörter“ versammelt 53 Gedichte, Maximen und Sentenzen. Die Verse schweben, tanzen, setzen sich, korrespondieren gleichberechtigt mit dem Gedichttitel oder lassen sich an den Rand drängen. Strophe wird gegen Strophe ausgespielt. Zwei Zeilen auf einem weißen Mittelstreifen behaupten sich auf grünem Buchstabenrasen. Er garantiert wechselnde emotionale Aggregatzustände, ist nüchtern, beschwingt, fiebrig, abgeklärt, düster. MUSIK Autorin Taschenkalender sind die handliche Variante eines Jahresplaners. Literaturverlage haben diese Marktnische für sich entdeckt, haben den Jahreslauf ausgestattet mit Gedenkblättern für Jubilare, mit Zitaten, Versen, Fotos, Bildern und Grafiken. Während dem ambitioniert monothematisch gestalteten Kalender des Deutschen Taschbuchverlages nur eine kurze Existenz beschieden war, gibt es bei Wunderhorn im zweiten Jahrgang einen Lyrik-Taschenkalender, den Michael Braun herausgibt. Er hat Dichter und Kritiker, Verse und ihre Kommentierung zusammengespannt. Ein poetischer Staffellauf. 52 Gedichte, die jeden Wochenbeginn begleiten, Lieblingsgedichte von Kommentatoren, die dann in der zweiten Wochenhälfte ihr Loblied singen, zum Beispiel auf Ingeborg Bachmann, Inger Christensen, auf Paul Gerhardt, Eduard Mörike, Lutz Seiler, Ernst Jandl oder Friederike Mayröcker, die – wie schon gesagt - im Dezember 90 Jahre alt wird. Sprecherin Was brauchst du? einen Baum ein Haus zu //ermessen wie grosz wie klein das Leben als Mensch/ wie grosz wie klein wenn du aufblickst zur Krone/ dich verlierst in grüner üppiger Schönheit wie grosz wie klein bedenkst du wie kurz dein Leben vergleichst du es mit dem Leben der Bäume du brauchst einen Baum du brauchst ein Haus keines für dich allein nur einen Winkel ein Dach zu sitzen zu denken zu schlafen zu träumen zu schreiben zu schweigen zu sehen den Freund die Gestirne das Gras die Blume den Himmel Autorin Der Suhrkamp/Insel Verlag leistet sich gleich ein Taschkalender-Quartett, einen lustvoll ausgewählten Katzenkalender und den Klassiker „Berühmte Frauen“, den ein Foto der Tänzerin Pina Bausch ziert, beim Blättern treffe ich auf die Präsidentengattin Michel Obama, die Schriftstellerin Alice Walker oder die Mezzosopranistin Christa Ludwig, die im März 90 wird. Vor 20 Jahren verabschiedete sich der von Wien bis New York gefeierte Opernstar von Bühnen und Konzertsälen Musik (unterlegen?) Sprecherin Wie ich meinen letzten Schrei in der Oper tat, hat es geschneit…. Ich wollte mich mal in Ruhe erkälten. Solange musste ich aufpassen auf diese blöden Stimmbänder! Ich hab den Mantel auf- und den Hals frei gemacht und ging in den Schnee. Musik: Christa Ludwig /Schubert-Winterreise? Autorin Der Kalender erinnert an die verstorbene Schauspielerin Monika Bleibtreu und an den 75. der Kanadierin Margaret Atwood. Ob sie autobiographisch über „Moralische Unordnung“ schreibt oder ihre weiblichen Hauptfiguren in Zukunftswelten, historischen Szenerien, in Kriminalgeschichten oder in eine Gothic Novel steckt, meist erzählt sie von starken, geheimnisumwitterten Charakteren. Als Mitglied von Amnesty International ist sie auch politisch aktiv. Sprecherin Neulich habe ich gelesen, dass die CIA dieses großartige neue Ding hat, das Facebook genannt wird. Man muß gar nicht mehr spionieren, die Leute erzählen freiwillig, was sie tun und wer ihre Freunde sind. Autorin Dass man eine große Fangemeinde um sich scharen kann, ohne pausenlos Intimes zu posten, beweist mal wieder Herman Hesse, der it-Autor vieler Generationen – pardon: it steht für Insel Taschenbuch. Das Reservoir seiner Aquarellzeichnungen mediteraner Landschaften und Szenerien scheint unerschöpflich. An dem Cover schaut man nicht vorbei: ein von Fenstern und Balkonen bestimmtes Haus vor einem angedeuteten Wasser- und Hügelpanorama. Die warmen Orangetöne atmen Nachmittagsstimmung. Im Kalendarium: Lebensdaten berühmter Autoren sowie Brief- und Prosazitate von Hesse. Er gibt sich ganz den Stimmungen hin, findet Worte für überwältigende Naturschauspiele, Regentage, für Vorfrühlingsdüfte und stöhnt über aufdringliche Leserpost, in der sich schon mal ein Schreiber wegen seiner Ideale besorgt zeigt. Sprecher Ich schrieb ihm, dass er eigentlich ganz recht habe, und dass in der Tat das Leben durch Ideale sehr verschönert und erleichtert werde, dass ich aber nach Jahren des Verschönerns und Erleichterns nun eben einmal mich einem anderen Sport zugewendet habe, und beim letzten Maskenball seien mir mehrere der Ideale, die ich mir noch über die Jahre 1914 und 1919 hinaus gerettet, leider aus der Tasche meines Überziehers gestohlen worden. (Musik) The beat goes on Autorin Schwarz gewandet und mit dem Suhrkamp-Label-Aufdruck ausgestattet, liefert der voluminöse Taschenkalender “The Beat Goes On“ in seiner siebten Auflage eine launige Auswahl toter Musiker nebst einer Statistik der Todesarten, der Beschreibung von Mordszenen etwa in Songs von Johnny Cash, Nick Cave, Tom Waits oder Jimmi Hendrix. Die Statistik listet Krankheiten, Selbstmorde, Unfälle, Anschläge, Katastrophen, Todesahnungen auf Sprecher I cannot stopp the clock, so someday I’am going to die/ It’s a shame the genius will be wasted of me, myself, and I. Autorin Herausgeber: Die Edition Observatör. Alles streng subjektiv. Dazu liefert der mit viel Platz für eigene Termine und Notizen ausgestattete Kalender den „Death of the Week“. Musik: (aus Enigmatic – Jednego serca – unterlegen)Intro – 27‘‘, Autorin Der mit vielen graphischen Schnörkeln ausgestattete Kalender bringt „Denkzettel“ für Stefan Diestelmann, Bob Marley, Ray Charles, Dave Bruback, Donna Summer, Ravi Shankar und viele andere. Ein Gedenkblatt der Woche bekommt auch der Pole Czeslaw Njemen Musik: (aus Enigmatic – Jednego serca – unterlegen) Sprecher: Njemen schreit seine russische Seele auf Polnisch in mein Herz. Mich trifft eine Injektion aus Bildern: ich sehe den Fluss in Weißrussland, der ihm seinen Namen schenkte, sehe Birkenwälder und eine Frau mit dunklen Haaren, deren Name Sehnsucht ist….Kein Rockmusiker der Welt hat so die Seele seines Volkes assimiliert…. Musik Musik: (aus Enigmatic – Jednego serca 1