Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 21. März 2011, 19.30 Uhr Mercedes statt Mama, Pleite dank Papa Das Feilschen um den Elternunterhalt. Von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster Atmo 1 25'' Einen wunderschönen guten Abend, kommen sie rein, können sie rausgucken (Schritte, Stühle rücken, reden) Sprecherin: Rechtsanwalt Peter Pietsch begrüßt scherzend einen zu spät Kommenden. Der Mann errötet ein wenig und nimmt ganz hinten, am Ende des Saales Platz. Gut 50 Zuhörer blicken gespannt nach vorn. Vor ihnen auf den Tischen liegen Notizblöcke und Aktenordner. "Die Unterhaltspflicht von Angehörigen Pflegebedürftiger" heißt die Informationsveranstaltung. Eingeladen hat die Interessengemeinschaft Berliner Betreuungsvereine. Sprecher vom Dienst: Mercedes statt Mama, Pleite dank Papa - Das Feilschen um den Elternunterhalt. Vom Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster. Sprecherin: Rechtsanwalt Pietsch greift zu einem dicken Filzstift, malt ein großes E und ein V nebeneinander auf das Blatt. Das steht für "Einkommen" und "Vermögen". Der Anwalt zieht einen Strich. Schreibt darunter noch einmal E und V. O-Ton 1 (Pietsch) Hier haben wir den Bedürftigen oder auch Berechtigten und hier unten gehe ich auf den der verpflichtet ist, der unterhaltsverpflichtet ist Sprecherin: Nicken bei den Zuhörern. Unterhaltsverpflichtet sind viele hier. Da wollen sie wissen, was unter dem Strich auf sie zukommt. Sie betreuen Vater oder Mutter. Die sind oft pflegebedürftig, leben im Heim. Ein solcher Platz kostet - je nach Pflegeumfang - zwischen 1.500 und 4.500 Euro. Die Rente und das Geld aus der Pflegekasse reichen meist nicht, Erspartes und Eigentum sind schnell aufgebraucht. Dann begleicht das Sozialamt die Differenz, jedenfalls zunächst. O-Ton 2 (Pietsch) Im Hintergrund lauert ja das Sozialamt, ihr Vater, ihre Mutter nimmt Sozialhilfe in Anspruch. Und sie begleiten das alles sehr liebevoll als Betreuer und auf einmal kriegen sie einen Brief. Mit dem sie auch gerechnet haben, irgendwann kriegen man mal Post vom Sozialamt. Und diesen Brief nennt man technisch: Rechtswahrungsanzeige. Sprecherin: Eine Mittvierzigerin in der zweiten Reihe nickt energisch. Ihre Schwiegermutter lebt seit über einem Jahr in einer betreuten Wohngemeinschaft für Demenzkranke. Rente bekommt sie kaum. Der Pflegesatz reicht nicht aus. Das Sozialamt zahlt: O-Ton 3 (Zahnarzthelferin) Wir haben im April das Schreiben gekriegt, also fast vor einem Jahr und warten bis heute noch auf eine Berechnung. Das heißt, wir wissen bis heute nicht, ob wir was zahlen müssen oder nicht. Sprecherin: Dass es der Schwiegermutter gut geht, freut die Zahnarzthelferin. Doch die Ungewissheit macht ihr zu schaffen. Ob ihr Mann zahlen muss. Und wenn ja, wie viel? Denn abgerechnet wird rückwirkend. Stichtag ist der Eingang der sogenannten "Rechtswahrungsanzeige" vom Sozialamt. O-Ton 4 (Zahnarzthelferin) Das macht uns ganz schön Magenschmerzen, das macht uns richtig Magenschmerzen. Sprecherin: In den Zeiten knapper Kassen sind die Sozialämter nicht immer der faire Makler des öffentlichen Interesses, mahnt der Anwalt. Darum sollte sich jeder über das Thema Elternunterhalt informieren. Bevor er Auskunft gibt oder gar einen Bescheid des Amtes akzeptiert. O-Ton 6 (Pietsch) Aber wenn der Brief im Kasten ist, sagt das Gesetz können sie nicht mehr frei schalten und walten, sie müssen mit dem Unterhaltsanspruch jetzt auch im Rechtssinne rechnen. Sie können jetzt also nicht mehr frei Verbindlichkeiten eingehen. Sprecherin: Wer dann noch eine Wohnung oder eine Limousine kaufen will, der hat schlechte Karten: erst die Mama, dann der Mercedes, das ist die Reihenfolge. Nicht Pool sondern Papa. O-Ton 7 (Diekmann) Ich hab mal nachgeschaut - für den Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf haben wir 3.200 potentielle Unterhaltspflichtige und auch mal ganz pauschal überschlagen, um nicht jede Akte zählen zu müssen - kann ich sagen, dass wir davon 20 Prozent in Anspruch nehmen. Und es werden auch durchschnittlich Unterhaltsbeträge um die 50, 60 Euro monatlich gezahlt. Sprecherin: Helmut Diekmann, Fachbereichsleiter im Berliner Bezirkssozialamt Charlottenburg- Wilmersdorf, versteht die Aufregung um den Elternunterhalt nicht. Seine Mitarbeiter legen fest, in welcher Höhe Kinder ihren pflegebedürftigen Eltern gegenüber unterhaltspflichtig sind. Bundesweit orientieren sich die Sozialämter dabei an der sogenannten "Düsseldorfer Tabelle". Sie wird vom Oberlandesgericht Düsseldorf erstellt. O-Ton 8 (Diekmann) Da sind Selbstbehaltsbeträge genannt. Das sind zu Zeit für einen Alleinstehenden sind das 1.500 und für den Ehepartner dann sind es noch mal 1200. Und diese Selbstbehaltsbeträge, die werden noch mal erhöht, um die Hälfte des darüber liegenden Einkommens. Sprecherin: Wenn ein Alleinstehender zum Beispiel 2.000 Euro verdient, beträgt die Differenz zum Selbstbehalt 500 Euro. Dieser Betrag wird halbiert: 250 Euro darf das unterhaltspflichtige Kind behalten, 250 Euro werden dann als Elternunterhalt fällig. Allerdings: Zusätzlich zum Selbstbehalt können weitere finanzielle Verpflichtungen geltend gemacht werden: Laufende Ratenkredite für Haus oder Auto etwa. Dem Unterhaltspflichtigen soll eine - Zitat - "angemessene Lebensführung" möglich bleiben. Doch was angemessen ist und was nicht - darüber befinden die Sozialämter äußerst unterschiedlich. Und zwar deutschlandweit. Unterhaltspflichtig sind nur die Kinder, nicht etwa die Enkel. Gibt es mehrere Geschwister, müssen diese anteilig zahlen, je nach individueller Finanzlage. Einen Unterhaltsanspruch ausschließen kann einzig eine sogenannte "unbillige Härte", erläutert Helmut Dieckmann. Die liegt zum Beispiel vor, wenn das Kind von seinen Eltern grob vernachlässigt wurde oder gar im Heim aufgewachsen ist. Ein Kontaktabbruch von Seiten des Kindes dagegen reicht nicht, findet der Verwaltungsbeamte. O-Ton 10 (Diekmann) Wenn sich dann herausstellt, die Eltern haben schon etwas getan für mich, haben dafür gesorgt, dass ich eben nicht nur versorgt wurde, sondern zur Schule gehen konnte, einen Beruf erlernen, dann finde ich schon - trotz Kontaktabbruch durch mich - dass ich zahlen müsste. Sprecherin: In drei Fällen musste sein Amt im vergangenen Jahr in Sachen Elternunterhalt vor Gericht ziehen, sagt Diekmann. O-Ton 11 (Diekmann) Natürlich will keiner gerne zahlen, aber in der Regel ist es wirklich so, dass die meisten schon Auskünfte erteilen und die meisten zahlen auch. Es gibt natürlich Einzelfälle, die durch irgendwelche Verzögerungstaktiken oder durch ständiges Vorbringen von Einwendungen versuchen, die Unterhaltspflicht zu verringern oder ganz wegfallen zu lassen, aber in der Regel ist es wirklich so, wir bekommen unsere Auskünfte, wir berechnen, die Herrschaften akzeptieren es und zahlen auch. MUSIK-TRENNER Atmo 2 Es ist furchtbar im Augenblick mit dem Verband und Anwälten und da und dort. Naja, da kommen wir schon noch hin. Sprecherin: Monika Meier kommt ins Wohnzimmer, legt einen Aktenordner auf den Esstisch. Die 64-Jährige lebt in einer süddeutschen Kleinstadt. Ihren richtigen Namen möchte sie nicht nennen. Der Streit mit dem Sozialamt ist zermürbend genug, sagt die Rentnerin: O-Ton 12 (Meier) Der Bezirk legt heute schon fest, dass ich nicht älter als 84 werden darf, monatlich eben mit diesen 1.400 Euro auskommen muss, diesem Notgroschen von 20.000, dass der ausreichen muss für 24 Jahre. Sprecherin: 10.000 Euro fordert das Sozialamt von der alleinstehenden Frau. Ausgaben für die Heimpflege ihrer zwischenzeitlich verstorbenen Mutter. Nicht, dass Monika Meier eine große Rente bezieht. 330 Euro erhält sie jeden Monat. Hinzu kommen Mieteinnahmen aus einer Eigentumswohnung. Zusammengerechnet liegen ihre Einkünfte deutlich unter dem Selbstbehalt. Bis zum 31.12.2010 waren das 1.400 Euro, jetzt sind es 1.500 Euro. O-Ton 13 (Meier) Ich hab aber auf der anderen Seite, weil ich eben für mein Alter und meinen Lebensunterhalt vorgesorgt habe, Ersparnisse angesammelt, die für mich quasi für die Zukunft meine Einkünfte ergänzen und davon muss ich eben leben, das Geld, was ich hab, das muss mir reichen. Und das hab ich auch so angegeben. Sprecherin: Aus diesem Vermögen stockt Monika Meier schon jetzt Monat für Monat ihre Einkünfte auf. Aus diesem Vermögen soll sie aber auch die Pflegekosten für ihre verstorbene Mutter erstatten. Dazu hat das Sozialamt zunächst einmal das Schonvermögen der 64-Jährigen berechnet. Also den Teil des Vermögens, der nicht angetastet werden darf. O-Ton 14 (Meier) Dieses Schonvermögen hat als Grundlage gehabt, dass ich - ich glaube, es waren 295,4 oder 5 Monate noch leben darf, also, man hat einfach gesagt, mein statistisches Lebensalter ist so und so lange, folglich wird nur für diese Zeit mir ein Schonvermögen zugestanden. Es wurde nicht geprüft, wofür das eigentlich alles reichen muss. Es wurde nicht geprüft, was für einen Lebensstandard habe ich, was für eine Lebenssituation habe ich. Es wurde einfach festgelegt. Man hat ausgerechnet, dass ich im Monat etwas über 1400 Euro behalten darf und hat das dann irgendwie hochgerechnet auf diese - bis ich 84 Jahre alt bin, diese so und soviel Jahre eben. Und den Rest hat man gesagt, da bleiben dann noch 10.000 Euro übrig und die möchten wir haben. Sprecherin: Bei seinen Berechnungen legte das Amt eine jährliche Verzinsung des Vermögens von vier Prozent zu Grunde. Mögliche Preissteigerungen wurden nicht berücksichtigt O-Ton 15 (Meier) Jetzt frage ich Sie, wer garantiert mir heute, dass sich erstens mal überhaupt was verzinst, wer sagt mir, dass ich in 10 Jahren mit 1400 Euro überhaupt noch auskommen kann, vielleicht kann ich damit meine Miete gar nicht mehr zahlen, weil die Preise explodieren - ich weiß nicht, irgendwas eintritt- das wurde auch alles nicht berücksichtigt. Sprecherin: Drei Mal wendet sich Monika Meier ans Sozialamt, um den Sachverhalt persönlich zu klären. Fragt auch, warum der Ehemann ihrer Mutter und ihre Schwester nicht unterhaltspflichtig sind. Ohne Erfolg. Die Behörde lässt sich nicht umstimmen. Monika Meier nimmt sich einen Anwalt, die Sache landet schließlich vor Gericht. Am Ende der Verhandlung legt der Richter fest, die Rentnerin soll nicht zehn, sondern rund sechs- tausend Euro plus Zinsen an das Sozialamt überweisen. O-Ton 16 (Meier) Und dann hat der Richter zu mir gesagt, abschließend, er möchte mir einen Rat geben, eben, dass sei ein gesellschaftspolitisches Problem, ich solle mir doch einen Verband suchen, der sich dieser Sache annimmt und mit mir notfalls bis vor den Bundesgerichtshof zieht. So und das war dann die Quintessenz von meiner Verhandlung und ich stand da, es war nichts geregelt und er hat dann gemeint, wenn ich bereit bin meinen Namen herzugeben, dann wird's mir die Allgemeinheit danken, weil das Thema ist derart brisant und es müsse endlich geklärt werden. So. Sprecherin: Monika Meier versteht die Welt nicht mehr. Recht hat sie nicht bekommen, aber die Empfehlung weiter vor Gericht zu ziehen. Da könnten aber bis zu 6.000 Euro Prozesskosten auf sie zu kommen, fürchtet die Rentnerin. Monika Meier hat jetzt erst einmal Beschwerde gegen das Urteil eingereicht. Finanziell hat sie sich ohnehin seit dem Bescheid des Sozialamtes ein Sparprogramm verordnet. Ist nicht mehr in Urlaub gefahren, hat kein Konzert besucht: O-Ton 19 (Meier) Ich leb halt mit dem Minimum, was ich momentan ausgeben muss, um einfach mein Leben aufrecht zu erhalten, aber alles, was im kleinsten Maße darüber hinausgeht, das erlaube ich mir momentan nicht., weil ich einfach denke, weiß der Teufel wie lange mir mein Geld reichen muss und wenn jetzt noch was genommen wird, was mach ich dann? Und vielleicht erlaube ich mir wirklich, älter als 84 zu werden. Ich hab schon Angst, dass dieses Datum sich nicht wirklich irgendwo im Kopf manifestiert, dass ich dann das Gefühl hab, so jetzt wird's aber Zeit zu sterben, weil es ist mir ja so vorausberechnet, ich mein, das klingt jetzt kurios, aber irgendwo spür ich das, dass es ganz viel mit mir macht, so eine Entscheidung einfach. Atmo (Vobruba) Was ein gutes Buch, warte mal wo isses denn, ich habe es gar nicht mehr, ... da ist es doch, das ist schön: Wer sitzt in der Armutsfalle? ... Sprecherin: Georg Vobruba steht vor einem gut gefüllten Bücherregal. In seinem Büro am Institut für Soziologie der Universität Leipzig. Seit Jahren beschäftigt sich der Professor mit dem Wandel in der Sozialpolitik, den Veränderungen der Sozialsysteme: O-Ton 21 (Vobruba) Was allerdings passiert ist, ist, dass ein gleichbleibendes Niveau von Sozialfinanzen aufgeteilt werden muss auf eine immer größer werdende Anzahl von sozialpolitischen Problemen. Weil der Arbeitsmarkt und das Beschäftigungssystem eben nicht so funktioniert wie früher. Sprecherin: Ein tiefgreifender Wandel. Dessen Konsequenzen heute noch lange nicht absehbar sind. Fest steht: Alle staatlichen Leistungen, deren Finanzierung an den Faktor Arbeit gekoppelt sind, geraten immer stärker unter Kostendruck. Der Staat muss nach neuen Finanzierungsquellen suchen. Wie zuletzt bei der Pflegeversicherung, als Gesundheitsminister Phillip Rösler der Bevölkerung eine private Pflichtzusatzversicherung verordnen wollte. O-Ton 22 (Vobruba) Das ist überhaupt nicht überraschend vor allem deswegen nicht, weil die Pflegeversorgung immer teurer wird, die Renten nicht in dem Maße steigen, die Pflegeversicherung eine lobenswerte Einrichtung ist, aber nicht kostendeckend und alte Menschen eben in eine Kostenklemme geraten. Sprecherin: 2,5 Millionen Menschen sind pflegebedürftig, ermittelte das Statistische Bundesamt für das Jahr 2007. Gut ein Drittel dieser Pflegebedürftigen wird in Heimen versorgt. Die Sozialämter zahlten dafür rund 2,5 Milliarden Euro an "Hilfe zur Pflege". Dem gegenüber stehen Einnahmen von rund 530 Millionen Euro. Welchen Anteil daran der Elternunterhalt ausmacht - darüber gibt es keine konkreten Angaben. Auch Zahlen, wie häufig Kinder zum Elternunterhalt herangezogen werden, fehlen. Die Experten sind sich allerdings einig: Die Fälle werden erheblich zunehmen. Denn bis zum Jahr 2030 prognostiziert das statistische Bundesamt einen Anstieg der Pflegebedürftigen um bis zu 50 Prozent. Und eine generelle Entwicklung zu mehr professioneller, und damit teurerer Pflege. Das Feilschen um den Elternunterhalt, um den Anteil staatlicher und innerfamiliärer Versorgung, ist für Georg Vobruba dann auch nur ein Vorbote für einen neuen Verteilungskampf zwischen öffentlicher und privater Hand, zwischen Staats- und Privathaushalt. O-Ton 23 (Vobruba) Ich denke, dass sich das Verhältnis der Bürger zum Staat ohnehin zunehmend säkularisiert, das heißt, dass man zum Staat ein abnehmend emotionales, aber zunehmend zweckrationales Verhältnis gewinnt. Ob das gut oder schlecht ist - das ist so. Sprecherin: Schon heute sind jenseits des öffentlichen Generationsvertrages private Unterstützungsleistungen zwischen den Generationen ein bedeutender, wenn auch wenig beachteter Faktor, sagt Georg Vobruba. O-Ton 24 (Vobruba) Über all die Debatten, das die Jungen für die Alten aufkommen müssen, sollte man nicht übersehen, das in unserer Gesellschaft zunehmend die Alten, sagen wir mal die jüngeren Alten die Jungen sponsern und das dies extrem wichtig ist. Und unsere Vermutung hier am Institut ist, das ein Gutteil des Lebens in unsicheren, atypischen Pipapo-Beschäftigungsverhältnissen überhaupt nur geht, weil die ältere Generation noch über Renten verfügt, die dieses wackelige Gesellschafts- und Arbeitsmarktmodell sozusagen finanziert und subventioniert. Das geht in der nächsten Generation nicht mehr. Sprecherin: Rund 30 Prozent der Jüngeren werden von ihren Eltern unterstützt. Etwa wenn die Kinder arbeitslos oder alleinerziehend sind. Wenn sie Wohneigentum erwerben oder Enkel in die Welt setzen. Von Alt zu Jung funktioniert die innerfamiliäre Unterstützung. Auf freiwilliger Basis. Von Jung zu Alt wird es aber zunehmend problematisch, beobachtet Josef Linsler: O-Ton 25 (Linsler) Wen wir ziemlich häufig haben, sind Leute zwischen 30 und 40 und die Grundfrage ist dort, wird mein Partner auch mit herangezogen für Elternunterhalt. Das ist dort immer die Grundfrage. Die zweite Frage ist, gerade in dieser Generation, also meine Eltern haben ziemlich heftig gelebt, geraucht, getrunken, extensiv gefeiert, wenig auf die Seite gelegt: Was kommt auf mich zu? Sprecherin: Josef Linsler ist Vorsitzender des Interessenverbandes Unterhalt und Familienrecht. Beim dem Interessenverband, der sich traditionell eher um das Thema Kindesunterhalt kümmert, häufen sich in den letzten Jahren die Anfragen zum Elternunterhalt. Sandwichgeneration nennen Soziologen die Bevölkerungsgruppe, die einerseits ihren Kindern die Ausbildung finanzieren und für ihr Alter vorsorgen müssen und zusätzlich für ihre Eltern zur Kasse gebeten werden O-Ton 26 (Linsler) Der Knackpunkt ist weniger, was monatlich übrig bleiben soll, darf, muss, sondern vielmehr die Frage: Was ist Schonvermögen? Wie hoch ist das Schonvermögen? Wie groß ist das Schonvermögen? Das ist der eigentliche Knackpunkt. Und da ist die jüngste Rechtsprechung schon immer restriktiver geworden. Sprecherin: Urteilt Verbandschef Linsler. Angesichts des demographische Wandels und klammer Sozialkassen wird sich die Problemlage für einen Teil der unterhaltspflichtigen Kinder erheblich verschärfen: O-Ton 27 (Linsler) Wenn wir auf die heutige Bevölkerungsstruktur schauen, dann haben viele Familien nur ein Kind und dieses eine Kind wird dann eben herangezogen. Das bedeutet dann in seiner Auswirkung schon sehr viel, ich habe dann pro Jahr vielleicht 6.000, 10.000 Euro abzugeben, also Elternunterhalt zieht auf jeden Fall ganz erhebliche Einschränkungen nach sich. Bei Gutverdienern ganz sicher. Sprecherin: Andererseits verfügen Gutverdiener meist auch über die nötigen finanziellen Mittel, um sich zu wehren. Sprich: Um fachkundige Rechtsanwälte zu bezahlen. Und vor Gericht zu ziehen. Mittlerweile floriert das juristische Geschäft rund um den Elternunterhalt, sind unzählige Ratgeber erschienen "Wenn Kinder zahlen sollen", heißt ein Titel, ein anderer "Wenn Eltern teuer werden". Und Rechtsanwälte behaupten medienwirksam: Geschätzte 90 Prozent aller Sozialamtsbescheide in Sachen Elternunterhalt seien fehlerhaft. O-Ton 28 (Linsler) Je stärker das Problem wird, umso stärker werden Gerichte angerufen, umso mehr Urteile gibt es, umso häufiger wird man dann vor den Bundesgerichtshof, im Extremfall vors Bundesverfassungsgericht ziehen. Ich denke auch, dass die Politik in zehn Jahren sich nicht mehr wird um das Problem rumdrücken können. MUSIK-TRENNER Geräusch-O-Ton 3 Schritte /Kaffeemaschine Raumatmo , Schritte Sprecherin: Heinrich Schürmann eilt in sein Büro, füllt die Kaffeemaschine. Die steht neben einer großen Stoffeule. Ein Geschenk seiner Kinder, sagt der Endfünfziger. Eine Aufmunterung für die Alltagsarbeit. Schürmann ist Vorsitzender Richter. Am Oberlandesgericht Oldenburg. O-Ton 29 (Schürmann) Die Fälle nehmen wieder zu mit Elternunterhalt, denn die Sozialämter versuchen sich soweit es geht zu refinanzieren indem sie Kinder zum Unterhalt heranziehen. Sprecherin: Schürmann greift zu einer grünen Akte. Ein Berufungsverfahren. Dafür ist sein Familiensenat hier zuständig. Wenn das Urteil aus erster Instanz von einer Seite nicht akzeptiert wird. O-Ton 30 (Schürmann) Es geht hier um ein Ehepaar, das sich selbst schon im Rentenalter befindet und der Ehemann wird im Wege des Regresses auf Unterhalt von etwa 300 Euro in Anspruch genommen, für seine Mutter, die sich in einem Pflegeheim befindet, (Blätter) Das Ehepaar hat sich entschieden im Alter noch einmal umzuziehen, hat sich ein älteres Haus gekauft, ist dabei dieses Haus sich herzurichten. Sodass es hier darum geht, ob Rücklagen entsprechend zu berücksichtigen sind oder nicht. Sprecherin: Das zuständige Amtsgericht folgte in seinem Urteil den Argumenten des Ehepaares. Und akzeptierte die Bildung der Rücklagen. Das Sozialamt legte gegen diese Entscheidung Berufung ein. Nun müssen Schürmann und seine Kollegen den Fall beraten. O-Ton 32 (Schürmann) Man versucht herauszubekommen, wie weit geht es. Die Sozialämter sind natürlich darauf angewiesen und sind auch gehalten soviel Unterhalt durchzusetzen wie möglich. Weil der Unterhalt natürlich Vorrang hat vor weiteren sozialstaatlichen Leistungen. Es gibt nur Grenzen und diese Grenzen sind von Fall zu Fall unterschiedliche zu ziehen und lassen sich eben nicht schematisieren. Sprecherin: Und so wird heute immer öfter vor Gericht um das Ersparte gefeilscht. Auf dem Rechenwege ermitteln die Sozialämter die Leistungsfähigkeit. Fordern dann zur Zahlung auf. Und berücksichtigen dabei oft nicht alle Rahmenbedingungen: O-Ton 33 (Schürmann) In einem anderen Fall, den der Senat im letzten Jahr zu entscheiden hatte, ging es um die Frage eine Tochter, die ihre Mutter regelmäßig drei bis vier Tage in der Woche pflegerisch betreut und dadurch den Wechsel in ein Pflegeheim ersparte noch ergänzend auf Elternunterhalt in Anspruch genommen werden konnte. Sprecherin: Schürmann und sein Senat entschieden: Die Frau muss nicht zahlen. Ihrer Unterhaltsverpflichtung sei sie bereits durch die regelmäßige Pflege ihrer Mutter nachgekommen. Schürmann steht auf, geht zum Regal, greift zum Familienrechtskommentar: O-Ton 34 (Schürmann) "Ist der Unterhaltspflichtige durch sein sittliches Verhalten bedürftig geworden, hat er seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen oder einen nahen Angehörigen des Unterhaltspflichtigen schuldig gemacht, so braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag in der Höhe zu leisten, der der Billigkeit entspricht." Sprecherin: Und auch die muss eigentlich von Amts wegen geprüft werden. Sachbearbeiter als Einkommens- und Vermögensbewerter, Altersvorsorge-Spezialisten und Eltern-Kind- Verhältnis-Beurteiler - eine Rolle, die sie kaum ausfüllen können. Auch darum landen viele Eltern-Unterhaltsfälle vor Gericht. Für den Vorsitzenden Richter Schürmann ein Indiz dafür, dass sozialpolitisch die Problemlagen zunehmen. O-Ton 35 (Schürmann) Es hat sich in der Tat in der Gesellschaft sehr viel verändert. Denn früher war es so wer nicht ausreichend vorgesorgt hatte im Alter, war entweder auf die Unterstützung der Kinder oder karitativer Kassen angewiesen. Sprecherin: Vor mehr als einhundert Jahren wurden im Bürgerlichen Gesetzbuch die juristischen Grundlagen für den Elternunterhalt gelegt. Dem Staat die Möglichkeit gegeben, die Familie zur Unterstützung zu verpflichten. Praktisch war das kaum nötig: die Lebenserwartung war kurz, die alten Mensch lebten meist in Mehr-Generationen- Familien, andere in Armenhäusern und kirchlichen Einrichtungen. Die Rentenversicherung spielte eine untergeordnete Rolle. Das änderte sich ab 1957: Die umlagefinanzierte Alterssicherung sollte von da an einen finanziell abgesicherten Lebensabend ermöglichen. O-Ton 36 (Schürmann) In der Zwischenzeit haben wir jedenfalls das System der bedarfsdeckenden Altersrente. Bei diesem System stellt sich allerdings nun wieder heraus, das die Leistungen aufgrund des demographischen Wechsels häufig nicht mehr ausreichen, um alle Bedürfnisse im Alter abzudecken. Sprecherin: Die wirtschaftliche Basis des öffentlichen Generationsvertrages wurde im Laufe der Jahrzehnte immer dünner. Die Appelle privat vorzusorgen immer lauter. Eine zunehmende Individualisierung der sozialen Absicherung. Bei gleichzeitiger Reduzierung der staatlichen Leistungen. Trotz steigender Beiträge. Folge: eine Rückverlagerung des Generationsvertrages in die Familie. Innerfamiliäre Solidarität statt staatlicher Leistungen? O-Ton 37 (Schürmann) Solidarität ist kein Rechtsbegriff. Solidarität ist das, was in einer gelebten Gemeinschaft funktioniert. Die Gemeinschaft wird durch diese Solidarität getragen. Solidarität kann man leben, aber nicht zwangsweise durchsetzen. Sprecherin: Schon lange klagt der Deutsche Familiengerichtstag, in dessen Vorstand Schürmann sitzt, dass es nicht sein könne, die Folgen gesellschaftlicher Veränderungen Tag für Tag im Gerichtssaal zu verhandeln O-Ton 38 (Schürmann) Es hat Diskussionen gegeben, ob dieser Elternunterhalt ganz aus dem Gesetz gestrichen wird. Oder, und dafür wird eine ganze Menge sprechen, die Regresssperre im Sozialrecht ausgeweitet wird, sodass die Inanspruchnahme sich auf die Fälle beschränkt in denen die Leistung des Unterhalts in der Tat unproblematisch möglich ist. Sprecherin: Schürmann legt die Akte zu Seite. Blickt durch die Brille. Auf die Eule neben der Kaffeemaschine. Und schüttelt den Kopf. So lange es keine Neujustierung durch die Politik gibt, wird er weiter alte Gesetze auf die neuen Verhältnisse anwenden müssen. O-Ton 39 (Schürmann) Es wäre notwendig, diese Sparten Sozialversicherung, in der Form der Krankenkassen, Rentenversicherung, Pflegeversicherung einmal sinnvoll aufeinander abzustimmen, um die Reibungsverluste zwischen den einzelnen Rechtsbereichen zu vermeiden oder zu verringern. Geräusch-O-Ton 5 Saal-Atmo Sprecherin: Peter Pietsch gestikuliert, wippt leicht in den Knien - knapp zwei Stunden lang hat er erzählt. O-Ton 40 (Pietsch) (Wirbeln am Flipchart/Reden) Ich habe ja gesagt, wir haben ein offenes Konto und das ist der Bundesgerichtshof, der Bundesgerichtshof, der hat schlau im Gesetzbuch nachgeguckt und festgestellt, dass verheiratete Menschen im Gesetzbuch eine Unterhaltspflicht haben. Sprecherin: Wie stark der Ehepartner zum Elternunterhalt herangezogen werden darf, auch darüber wird demnächst entschieden. Und das Urteil erneut eine Verfahrenswelle nach sich ziehen. Die Zahnarzthelferin aus der zweiten Reihe schüttelt den Kopf, resigniert. Sie ahnt schon, dass sie noch länger auf den Bescheid warten muss. O-Ton 43 (Zahnarzthelferin) Tja, man kriegt Angst, Angst alt zu werden und vielleicht in die gleiche Situation zu kommen. Das man Hilfe braucht und keiner ist da, das man aufs Amt angewiesen ist, das das Geld vorne und hinten nicht reicht. Am besten ist, einfach nicht alt werden. Sprecherin: Feilschen um den Elternunterhalt. Ein merkwürdiges Gefühl ist das, sagt die Zahnarzthelferin. Ihr Mann steht daneben. Und nickt stumm. Sie freuen sich beide, dass es seiner Mutter gut geht in der Wohngemeinschaft. Aber ein gutes Gefühl haben sie nicht. Musik Sprecher vom Dienst: Mercedes statt Mama, Pleite dank Papa - Das Feilschen um den Elternunterhalt. Eine Sendung vom Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster. Es sprach: Nadja Schulz-Berlinghoff Ton: Bernd Friebel Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2011 1