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Schlösser, das ist ganz was Schönes zum Anschauen. - Auf der einen Seite ist das Schloss natürlich sehr schön, auf der anderen Seite ist die Geschichte auch drüber hinweg gegangen. Deshalb habe ich so meine Schwierigkeiten. - Und dann finde ich, hat es auch so ein bisschen was von Disneyland, weil das ist so viele Jahrzehnte eigentlich weg, die Stadt ist gar nicht mehr danach, und jetzt wird da so ein Betonklotz hingesetzt mit ein bisschen Fassade davor und dann soll das als Schloss sein. Finde ich schwierig. Sprecher: Humboldt-Forum. Was in Berlin entsteht, ist kein Schloss, sondern eine Fassade, die an ein Schloss, das dort einmal gestanden hat, erinnert. Hin- ter der Fassade tut sich eine andere Welt auf: ein Museum für außereuro- päische Kunst. Mit Exponaten aus der Karibik, Indien und Afrika, die bisher in Berlin-Dahlem zu sehen sind. Humboldt-Forum, benannt nach dem weltberühmten Forschungsreisenden Alexander von Humboldt. Ein Forum zur Weltkultur als nationale Repräsentation im Zentrum der Hauptstadt, als Fortsetzung der Museumsinsel. Mit der Funktion, die der Schlossbau einst hatte, hat das nichts zu tun. Die Republik bedient sich der Architektur des zerstörten Schlosses für ihre eigenen Zwecke. Umfrage 1b: - Na ja, wenn eine Zeit nicht weiß, was ihr zeitgemäßer Ausdruck ist, dann versucht sie eben sich in der Vergangenheit zu orientieren, das ist schon sehr merkwürdig. - Also mir ist das relativ egal. Wenn das sinnvoll genutzt wird, dann finde ich das okay, so wie in Potsdam mit dem Stadtschloss. - Ich bin absolut dafür, dass sie es wieder aufbauen, das finde ich sehr schön, auch gerade mit der alten Fassade. - Uns macht das Spaß zuzugucken, wie das wieder wächst und schön wird. - Ja, es ist jetzt so entschieden worden, wird's jetzt so gemacht, gucken wir mal. ... Sprecher Der Historiker Guido Hinterkeuser hat über die Geschichte des Berliner Stadtschlosses promoviert. Er sieht den Widerspruch. Take 1: (Guido Hinterkeuser) "Das Konzept ist natürlich nicht populär, muss man dazu sagen, und man fährt eigentlich momentan in zwei getrennten Zügen. Die einen bekommen eben die Schlossfassade, und die Schlossfassade wächst ja momentan auch schon Tag für Tag. Und die Schlossfassade wird sehr, sehr gut werden, wird sehr überzeugend werden. Ich denke, das wird auch für die Wiederherstellung des Stadtraums ganz bedeutend sein." Sprecher: Das ist der städtebauliche Aspekt, der den Befürwortern des Wieder- aufbaus - allen voran dem Hamburger Unternehmer Wilhelm von Boddien - besonders wichtig ist. Er hat alle Energie in den Wiederaufbau des Berliner Schlosses gesteckt und von außen betrachtet sein Ziel erreicht - aber zu dem Preis, dass im Innern ein Weltkulturmuseum entsteht, für Schlossbegeisterte eine dicke Kröte, die geschluckt werden musste. Guido Hinterkeuser: Take 2: (Guido Hinterkeuser) "Umgekehrt ist es bei denjenigen, die das Konzept des Inneren verinnerlicht haben und eben da sich einiges von erhoffen, von dem Humboldt-Forum, die sind natürlich nicht glücklich über diese Fassade, die das ja auch alles einengt. Und momentan sind diese Ziele, Dinge, ineinander gepfercht. Es gibt natürlich auch einige Ideologen, die das zusammen sehen, das ist ja auch die offizielle Sichtweise, dass Außen und Innen zusammengehören, aber das ist natürlich de facto nicht der Fall." Sprecher: Ein Schloss als Museum? Helmut-Eberhard Paulus, Direktor der Thürin- ger Stiftung Schlösser und Gärten, sieht das kritisch. Ein Schloss sei kei- ne beliebige Immobilie, sondern jedes Schloss - auch das Berliner Stadt- schloss -habe seine individuelle Geschichte, die man nicht ignorieren solle. Take 3: (Helmut-Eberhard Paulus) "Wenn man sich dieses Schlosses in vernünftiger Repräsentationsfunktion bedienen will, muss man seinen Sinn und Zweck natürlich bis ins letzte Detail diskutieren. Sonst gewöhnt man sich hier eine Attitüde an, die an und für sich nur für eine Monarchie ausreicht. Und da liegt auch ein Stück weit das Problem: Die Demokratie hat beschlossen, dass das Volk, dass die Allgemeinheit jetzt für die Schlösser zuständig ist und sich auch in der Geschichte dieser Schlösser darstellt. Aber das erfordert auch die Bereitschaft, sich zu engagieren, dieses Repräsentationsbedürfnis zu diskutieren und auch angemessen zu vermitteln." Atmo: Baulärm Sprecher: 180 Meter lang und 120 Meter breit. Die Schlossbaustelle beherrscht schon jetzt die Berliner Mitte. Im Frühsommer ist Richtfest. Knapp 600 Millionen Euro soll der Neubau kosten. Nicht nur der Staat zahlt, auch viele Bürger sollen spenden. Doch die sind bisher knausrig. Die Summe der fest eingeplanten Spendengelder für die Barockfassade - 80 Millio- nen Euro - ist bei weitem nicht beisammen. Ein Indiz für die ungelösten Widersprüche dieses Vorhabens? Szenenwechsel: Thüringen. Die Dornburger Schlösser. Drei stehen auf einem Plateau hoch oben über der Saale. Jena ist nicht weit, und Goethe war mehrmals zu Besuch. Das Alte Schloss - ein Bau aus dem 16. Jahr- hundert - ist heute ein modern ausgestatteter Tagungsort. Atmo: Musik oben unter dem Text, dann Tagungsteilnehmer Sprecher: Im Oktober 2014 trafen sich Vertreter der Burgen und Schlösser aus ganz Deutschland. Sie wollten wissen, was die Zäsur 1918 - als die Monarchie zu Ende ging - für die Burgen und Schlösser heute bedeutet. Gastgeber ist Helmut-Eberhard Paulus, Hausherr der Thüringer Schlösser. Take 4: (Helmut-Eberhard Paulus) "Wir haben uns das Thema gestellt: Das Schloss in der Republik, um ein Stück weit aufzuräumen mit der etwas einseitigen Betrachtung der Schlösser allein unter dem Gesichtspunkt der Adelskultur. Die Schlösser sind wichtige Repräsentationsbauten, nicht nur aus historischer Sicht, sondern auch für die Demokratie und für die Republik. Und daher ist es auch wichtig, sich mal mit den republikanischen Repräsentationsmethoden und -formen auseinanderzusetzen, damit aber auch manchmal etwas Schwierigkeiten hat. Das heißt, im demokratischen Staat wird manchmal diese Diskussion nicht offen genug geführt, obwohl sie genau geführt werden sollte, um klarzustellen, welche Bedeutung haben diese Schlösser für uns." Historischer O-Ton 1: (Scheidemann: Ausrufung der Republik) "Das Alte und Morsche, die Monarchie, ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue, es lebe die Deutsche Republik!" Sprecher: 1918 - der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann verkündet die Zeiten- wende in Deutschland. Schlösser und Burgen, die zuvor Machtzentren und Heimstadt des Adels waren, werfen die Frage auf, wie eine Republik mit solchen Bauten umgeht. Fast ein Jahrhundert später ist die Monarchie eine ferne Vergangenheit, der kaum noch jemand sehnsuchtsvoll nachtrauert. Aber eine Faszination der Schlösser ist geblieben. Musik: Höfische Musik einblenden Sprecher Jetzt sonnen sich gewählte Volksvertreter in ihrem Glanz und nutzen die Feudalbauten zur Repräsentation der Demokratie: Das Berliner Schloss Bellevue ist Sitz des Bundespräsidenten, im Wiesbadener Schloss sitzt die Hessische Landesregierung, und bis zum Regierungsumzug diente Schloss Brühl der Bonner Republik für prunkvolle Staatsempfänge. Die Liste solcher Beispiele ließe sich beliebig vermehren. Auch die DDR nutzte ein Hohenzollernschloss als Regierungssitz und später als Gäste- haus für Staatsbesucher, das Schloss Schönhausen in Berlin-Pankow. Aus anderen Schlössern wurden nach 1918 Museen. Dabei unterscheidet der Kunsthistoriker Guido Hinterkeuser zwischen Schlossmuseum und Museumsschloss. Take 5: (Guido Hinterkeuser) "Wenn ich die Räume als Räume zeige, ist es ein Museumsschloss, und wenn ich in historischen Räum eine anderweitige Sammlung hineinbringe, dann spreche ich von Schlossmuseum." Sprecher: Johann Erichsen war bis 2011 Leiter der Bayrischen Schlösserverwal- tung. Die authentische Aura, sagt er, lasse sich nur in historischen Räu- men erleben. Daraus folgt eine Frage: Darf man in einem Schloss x- beliebige Exponate ausstellen? Take 6: (Johannes Erichsen) "Ein Schloss wird entworfen, dann wird das Schloss ausgestattet, und da wird normalerweise jedes Möbel für seinen Platz entworfen. Und man kann sich als Außenstehender nicht vorstellen, wie dieses die Form beeinflusst. Ja, also es ist im Grunde wie ein Schneiderkostüm, was genau auf einen bestimmten Platz hin gemacht ist. In einem Museum haben Sie das nie. In einem Museum sind immer heterogene Sachen zusammen. Also, Sie kriegen diese Vorstellung vom Zusammengehörigen und damit natürlich: Es stimmt alles. Es ist alles ganz großartig, das kriegen Sie im Schloss in der Regel, im Museum so gut wie nie." Sprecher: Schlossbesucher sind keine Museumsbesucher. Wer ein Schloss sehen will, hat oft gar kein Interesse, speziell ausgewählte Exponate zu sehen. Take 7: (Johannes Erichsen) "Das Publikum hat im Schloss das Gefühl, es ist an einem authentischen Ort. Hier ist was passiert. In einem Museum hat das Publikum immer das Gefühl, es wird ihm was erzählt, es wird ihm was beigebracht mit Texten und so weiter. Es sind manche schöne Sachen dabei, aber wer kann sich schon all diesen Kram merken?" Sprecher: Schlösser haben eine besondere Aura. Das schätzen die Besucher. Wer in Potsdam durch die Räume von Schloss Sanssouci wandelt oder durch das Neue Palais, erlebt die Aura der friderizianischen Bauten. Das Erlebnis der königlichen Gemächer zieht jedes Jahr Massen von Besuchern an, die trotzdem keine Royalisten sind. Diese Schlösser sind nur restauriert wor- den, nie zerstört. Anders als das Berliner Stadtschloss. Historischer O-Ton 2: (Scheidemann am 09. 11. 1918) "Unerhörtes ist geschehen. Der Kaiser hat abgedankt." Sprecher: Wann verlieren Schlösser ihre besondere Aura? Als Kaiser Wilhelm II. 1918 nach Holland floh, nahm er aus seinem Berliner Schloss Möbel, Hausrat und wertvolle Kunstschätze mit. Er zog ins Haus Doorn, ein kleines Schloss in der Nähe von Utrecht. Haus Doorn ist heute ein Schlossmuseum, wo Wilhelms Schätze zu besichtigen sind. Beim Rund- gang sieht man: Der entthronte Kaiser machte einfach weiter wie immer. Nur dass er im Exil den Kaiser spielte, weil er real ja kein Kaiser mehr war. An seinem Geburtstag verteilte Wilhelm Autogrammkarten ans Per- sonal. Musikakzent: ironische Pointe: Instrumental "Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wieder haben" Sprecher: Im Arbeitszimmer steht der berühmte Schemel in Sattelform. Es gibt zahlreiche Familienbilder und kostbares Porzellan. Im Keller die hoch- moderne Küche mit den neusten Gerätschaften der Zeit. All das erinnert an Schloss Linderhof, wo Bayernkönig Ludwig II. lebte. Luftschlossam- biente! Nur ohne malerische Bergkulisse. Wie in Bayern. Take 8: (Julius Desing) "Die Amerikaner sagen nicht umsonst, das ist ein ,one million dollar view', wenn man vom Schloss runter ins Tal schaut." Sprecher: Julius Desing ist Pensionär. 1958 wurde er Schlossverwalter von Neu- schwanstein. Er machte diesen Job 30 Jahre. Nach Neuschwanstein kommen jedes Jahr unzählige Besucher. 2013 wa- ren es 1,5 Millionen. Viele Touristen sind aus dem Ausland. Man hört Russisch, Spanisch und Mandarin. Als er noch Leiter der Bayrischen Schlösserverwaltung war und das Schloss regelmäßig besuchte, traf Jo- hannes Erichsen schon früh am Morgen auf Reisegruppen. Take 9: (Johannes Erichsen) "Wenn ich morgens immer nach Neuschwanstein raufgefahren bin, aus München kommend, und sehe, dass da um 9 Uhr oder halb zehn die ersten Touristen, die Japaner schon wieder runter kommen, dann frage ich mich, was haben die da oben eigentlich gemacht, außer ein Foto aufzunehmen, und sie vor den Toren dieses Gebäudes stehen. Lachen." Musik Sprecher: Ein bayrisches Versailles soll auf der Insel Herrenchiemsee entstehen. Georg Grieser, einst Bürgermeister in Schongau, kennt die unzähligen Bauvorhaben des bayrischen Königs. Musikakzent: unter Grieser leise aufblenden Take 10: (Georg Grieser) "Ludwig II. hat ja selbst einmal von sich gesagt, wenn man mir die Kro- ne nimmt, das werde ich verschmerzen, aber dass man mir das Bauen verbietet, das verschmerze ich nie. Es sind mehrere Welten, die er durch seine Bauten dargestellt hat, da ist zunächst Neuschwanstein. Neu- schwanstein, der Traum des Mittelalters: Minnesänger, Lohengrin, Tann- häuser, Parzival." Musik kurz lauter Take 11: (Georg Grieser) "Dann begann er im Jahr 1874, also schon 5 Jahre nach der Grundstein- legung von Neuschwanstein, das Projekt Schloss Linderhof bei Oberam- mergau. Dieses Schloss ist nachempfunden einem kleinen Schlösschen Trianon im Park von Versailles, und dort hat er eigentlich mehr oder we- niger das absolute Königtum, das es nicht mehr gab, aber wie er es gese- hen hat, von Ludwig XIV. nachempfunden." Sprecher: Heute bestürmen Touristen das kleine Schloss. Denkmalpfleger und Schlossverwalter wie der frühere Leiter der Bayerischen Schlösserverwaltung, Johannes Erichsen, sind besorgt. Es kommen zu viele. Take 12: (Johannes Erichsen) "Das ist ein Haus, das zur Bewohnung durch eine einzige Person gedacht ist. Da zwängen sich heute 500.000 Leute durch. Wie machen Sie das? Die gehen da gar nicht durch. Die Leute reiben uns in diesen Schlössern buchstäblich mit den Ärschen das Gold von den Möbeln. Nicht aus Bosheit, sondern weil es einfach zu viele sind. In Herrenchiemsee ist es kein Problem, das ist alles à la Versailles und viel größer, ungeheuer weitläufig. In Neuschwanstein sind wir so an der Grenze, aber da geht es gerade noch, weil da keine Fassungen drauf sind, das ist alles Natureiche. Lachen." Sprecher: Der Widerspruch zwischen Monarchie und Demokratie: Das Schloss hat der Herrscher für sich und seine kleine exklusive Gesellschaft gebaut. In der Demokratie hingegen ist das Volk der Souverän, und der wäre unge- halten, wenn er mit seinen Steuergeldern den Bau unterhalten sollte, aber keinen Zutritt hätte. Bei Ludwigs bayerischen Schlössern begann die Öffnung allerdings schon vor dem Ende der Monarchie. Take 13: (Johannes Erichsen) "Es hat die Staatsregierung ein großes Interesse daran gehabt, dem Publikum zu demonstrieren, dass Ludwig spann, gesponnen hat. Und deshalb hatte man sechs Wochen nach seinem Tode die Schlösser aufgemacht - und das Publikum kam und war begeistert. Ja, also die Reaktion des Publikums war eine völlig andere. Und da entwickelte sich noch im Todesjahr Ludwigs ein ganz lebhafter Tourismus, es gibt viele frühe Führer, es gibt Fotos und so weiter." Sprecher: Am Ende seines Lebens wurde Ludwig II. zum Eigenbrötler. Er war mit seinen Schlössern allein. Ein seltenes Extrem, erklärt der Münchner Psy- choanalytiker Wolfgang Schmidbauer: Der Märchenkönig wurde zum Regisseur in seinem eigenen Stück. Take 14: (Wolfgang Schmidbauer) "Es ist, als ob Ludwig das Fernsehzeitalter vorweggenommen hätte. Es geht ganz stark auf den optischen Effekt. Er war da ein extremer Perfektionist in einer Weise, wie ich es heute wirklich nur von Filminszenierungen kenne. Also, Schloss Neuschwanstein ist Disney- Land überlegen an Wirtschaftskraft, und es ist ja nicht ohne Grund nicht irgendeine reale Ritterburg in Disney-Land nachgebaut worden, sondern eben das historistische Schloss von Ludwig." Sprecher: Schloss ist nicht gleich Schloss. Umfrage 2: "Ein Sehnsuchtsort? Nein, ich glaube, dass das bereichern wird oder vervollständigen wird, aber Sehnsuchtsort, kann ich nicht sagen, glaube ich nicht." Sprecher Während Neuschwanstein von Anfang an das Publikum in seinen Bann zog, ist das Verhältnis der Berliner zu ihrem Stadtschloss eher kühl Umfrage 3: "Meine Emotion fürs Schloss geht jetzt nicht so weit, dass ich dafür was spenden würde. Also wer das Schloss haben will und das gut findet, soll spenden, aber dafür geht meine Spende dann nicht hin. - Ich finde es eine gute Sache, aber emotional ist es wirklich nicht. - Es gibt ja im Grunde keinen emotionalen Bezug, das Schloss war ja lange Zeit Gewerbemuseum, und es war lange Zeit gar nicht hier, und es stand etwas ganz anderes da, und insofern gibt es den Bezug nicht, der wird natürlich konstruiert durch die Befürworter des historischen Wiederaufbaus." Sprecher Guido Hinterkeuser hat schon in der Vergangenheit, nach 1918, keine besondere Liebe zum Schloss entdecken können. Take 15: (Guido Hinterkeuser) "Ich habe nie jemand getroffen, der mit großer Begeisterung in diesem Schloss gewesen war. Das Schloss war einfach so ein Museum, was halt da war. Wo man vielleicht auch mit dem Vater mal hingegangen war, als kleines Kind, oder mit den Eltern da war. Es gehörte dazu, es war ein großer Bau, der dieser ganzen Mitte eben Kontur gab, aber man hat natürlich ihn nicht so als unbedingt innere Herzensangelegenheit begriffen, also dass man jetzt damit Sehnsüchte verbunden hätte, das kann man sicherlich nicht sagen." Sprecher: Der Architekt Andreas Schlüter war natürlich berühmt. Das Schloss ge- hört zum Besten, was der europäische Barock hervorgebracht hat. Doch es weckte keine Emotionen wie der Dresdner Zwinger oder das Königs- schloss in Warschau. Beide wurden nach 1945 sofort wieder aufgebaut, obwohl sie im kommunistischen Herrschaftsbereich lagen. Ihre Aura wirkte selbst dann noch, als sie in Schutt und Asche lagen. In Berlin da- gegen wurde - ohne erkennbare Not - das nur zum Teil zerstörte Schloss 1950 abgerissen. Ein Willkürakt von Ulbrichts SED-Regime, wie es ge- meinhin heißt. Aber der Abriss hat eine kompliziertere Vorgeschichte, wie Guido Hinterkeuser weiß. Sie beginnt mit dem Exil des Kaisers, der ein leeres Schloss hinterließ. Eine gefährliche Altlast für die neu gegrün- dete Republik. Take 16: (Guido Hinterkeuser) "Es gab keine politischen Begehrlichkeiten. Im Gegenteil, die Politik hat sich selbst gegen das Schloss entschieden, dass sie dort nicht hineingeht. Und sie hat eben dadurch, dass sie sofort Nutzungen zugewiesen hat, auch kräftig daran mitgewirkt, dass das Schloss in der Bevölkerung nunmehr als belegt galt. Dass es eben nicht mehr wie 1918, in den Revolutionsjahren, als Macht- symbol galt, das es zu besetzen galt. Da waren ja eben auch die Aufständischen in das Schloss gegangen, die dann in der sogenannten Blutweihnacht blutig aus dem Schloss von der provisorischen Regierung wieder vertrieben werden mussten, damit nicht neue revolutionäre Gruppen sich des Schlosses bemächtigen. Der Staat war ja noch keineswegs gefestigt, und da haben die gesagt: Da muss jetzt eine Nutzung gefunden werden, damit das Thema vom Tisch ist." Sprecher: Das Schloss wurde museal genutzt. 1921 zog das Kunstgewerbemuseum in die herrschaftlichen Räume. Take 17: (Guido Hinterkeuser) "Bei allen Problemen, die die Weimarer Republik natürlich immer noch hatte, dieser Schritt war wirklich sehr, sehr erfolgreich. Die Museen haben dort gearbeitet, und es kehrte Ruhe ein, und das ist eigentlich bis 1939, als die Museen dann schlossen wegen Kriegsbeginn, auch so geblieben." Sprecher: Politisch war das Schloss tot. Auch Hitler zeigte kein Interesse. Sein Ziel war die Wilhelmstraße mit der Staatskanzlei. Während das Schloss an Bedeutung verlor, blieb der angrenzende Lustgarten der zentrale Ort für politische Demonstrationen. Hier versammelten sich seit jeher die Men- schen, wenn sie politisch etwas erreichen wollten. Und hier sprachen die Mächtigen zum Volk. Nach 1918 nicht mehr der Kaiser, sondern die Ver- treter der politischen Parteien. Take 18: (Guido Hinterkeuser) "Da gab es diese sehr schönen Terrassen, aus der Zeit Mitte des 19. Jahr- hunderts, da stellten sie sich hin, und wendeten sich dann eben an ihre Anhänger. Und das kann man anhand von sehr vielen Fotografien bele- gen, dass das eigentlich alle Parteien durchgehend taten, von der SPD über die KPD und auch von Hitler gibt es viele Bilder, wie der da eben dann vor dieser riesigen Schlossfassade steht und sich eben an das Volk wendet. Und das ist natürlich schön zu sehen, dass die Bevölkerung dann nach wie vor einerseits natürlich auf den Punkt des Redners blickte, aber sie hatte natürlich diese riesige Fassade da im Hintergrund, die bildete dann die Kulisse für den Redner." Sprecher: Nach 1933 kam es zu einer wichtigen Zäsur. Die Nationalsozialisten än- derten die Versammlungsregie und drehten die Versammlung um 180 Grad. Take 19: (Guido Hinterkeuser) "Man hatte fortan bei Parteiveranstaltungen das Schloss nunmehr im Rü- cken, und der Redner stand vor dem Alten Museum, vor diesem Säulen- wald, vor diesem Wald ionischer Säulen. Dieser Schinkelbau, dieser Schinkelsche Klassizismus, der ihnen natürlich auch sehr entgegen kam. Das schien also dann den Nationalsozialisten die weitaus bessere und ge- eignetere und auch modernere Kulisse im Vergleich halt dann doch zu diesem etwas altbackenen und auch grauen Kasten des Schlosses." Sprecher: Die Tradition wurde nach 1945 fortgesetzt: Der Lustgarten blieb der zentrale Aufmarschplatz und Versammlungsort der DDR und bekam durch den Schlossabriss sogar noch eine größere Bedeutung. Erst in den 70er Jahren wurde auf der Brache der Palast der Republik gebaut - ein öffentliches Haus, ein Palast für das Volk. Historischer O-Ton 3: (Eröffnung des Palastes der Republik) "Der Palast der Republik wurde dem Volke übergeben. Dieses Bauwerk zeugt beeindruckend von der Leistungskraft unserer sozialistischen deut- schen Nationalkultur, vom Sinn unserer Arbeit, die dem Wohle des Vol- kes dient. Beifall" Sprecher: Niemand hatte die Absicht, das Schloss wiederaufzubauen, als 1989 die Mauer fiel. Aber das Thema rückte dann doch auf die politische Tages- ordnung. 1994 wurde der Marx-Engel-Platz wieder in Schlossplatz um- benannt. Dann folgte der Abriss des Außenministeriums der DDR. Und dann stand da noch der Palast der Republik, bei vielen DDR-Bürgern äu- ßerst beliebt, Schloss-Enthusiasten wie dem Herrn von Boddien aller- dings ein Dorn im Auge. Atmo: Tagungsgeräusche Sprecher: Darf man ein Schloss wiederaufbauen? Als im Oktober 2014 in Dornburg die Schlossexperten tagten, war Rekonstruktion ein großes Thema. We- nige Monate zuvor war der brandenburgische Landtag in das wiederauf- gebaute ehemalige Stadtschloss in Potsdam eingezogen, ein viel disku- tiertes Beispiel. Helmut-Eberhard Paulus hat sich damit auseinanderge- setzt. Take 20: (Helmut-Eberhard Paulus) "Es ist nicht meine Aufgabe, Geschmacksurteile zu fällen, das will ich auch gar nicht, aber in Potsdam mit der Lösung des Potsdamer Schlosses hat man sich ja klar entschieden. Man hat gesagt, das ehemalige Schloss Friedrichs des Großen soll jetzt die Hülle des Parlamentes sein. Das ist eine klare Aussage hinsichtlich von Sinn und Zweck der Repräsentation. Eins steht heute schon fest: Der Wiederaufbau des Potsdamer Schlosses ist eine Denkmalsetzung für die Zukunft und damit auch durchaus vergleichbar mit dem Wiederaufbau des Warschauer Schlosses, wo man klar und deutlich zum Ausdruck bringen wollte, das polnische Kulturbewusstsein hat heute noch eine politische Aufgabe. Das ist legitim." Sprecher: Außen Schloss, innen Parlament. Die geänderte Nutzung spiegelt wider, wie sich die Zeiten geändert haben. Aber das Haus hat mit seiner neuen Funktion nichts von seiner Würde eingebüßt: Es lebt von der alten Aura. Was man von dem Braunschweiger Konsumtempel, dem eine Schloss- fassade vorgesetzt wurde, nicht behaupten kann. Atmo: Park, Vögel Sprecher Schönhausen in Berlin-Pankow. Ein altes Schloss, nie zerstört. Heute ein Museumsschloss mit einer ganz eigenen Geschichte und Präsentation. Schönhausen ist ein interessanter Fall, wie eine Demokratie mit fürstli- chem Schloss-Erbe umgehen kann. Hausherr ist Hartmut Dorgerloh, Ge- neraldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Take 21: (Hartmut Dorgerloh) "Es ist ein Schloss, das dezidiert einer Königin und dazu noch eigentlich der verkannten Elisabeth Christine, der Frau von Friedrich dem Großen, gewidmet ist. Das macht das Schloss schon einzigartig, denn wir haben ansonsten keine Königinnen-Schlösser. Damit geht das eigentlich los, und dann ist es aber natürlich auch ein Ort, an dem die ambivalente Preu- ßenrezeption in der DDR fassbar wird. Denn in dem gleichen Jahr, wo die SED das Berliner Schloss sprengt, schickt sie nun ausgerechnet ihren ersten Präsidenten in ein preußisches Sommerschloss." Sprecher: Vor ein paar Jahren wurde das Schloss restauriert. Ein Glücksfall, sagt Johannes Erichsen, dass es so spät geschah. Take 22: (Johannes Erichsen) "Man hätte vor 20 Jahren ganz rücksichtslos noch das 18. Jahrhundert wiederhergestellt." Sprecher: Aus Überdruss am Sozialismus wurde damals viel Bausubstanz vernichtet. Mit der Zeit fanden die Bauherren zu mehr Gelassenheit. Heute ist Schönhausen ein Beispiel, wie Schlösser über sich selbst Auskunft geben können. Das Schloss hat viel erlebt: 1920 wurde es verstaatlicht. Im Dritten Reich diente es als Depot für Entartete Kunst, nach dem Zweiten Weltkrieg zog die DDR-Regierung ein. Hartmut Dorgerloh will das alles zeigen. Take 23: (Hartmut Dorgerloh) "Wir haben die Geschichte versucht zu sortieren und zu ordnen. Es ist im Erdgeschoss Elisabeth Christine und auf der anderen Seite des grandiosen Festsaals dann schließlich die DDR-Zeit. Also insofern, denke ich, kann man sich auch hier in dem Haus ganz gut ein Bild davon machen, was hier an historischem Reichtum zu erleben ist." Sprecher: Schloss Schönhausen schafft mühelos den Spagat zwischen Rokoko und Kaltem Krieg. Das Kaminzimmer ist ein wilder Mix verschiedener Epochen: uralter Stuck, Türrahmen und Tapeten aus der Preußen-Zeit und edles Parkett aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. Mit der Sanierung werden ganz verschiedene Zeit-Inseln sichtbar: Wilhelm Pieck, Staatspräsident der DDR, hatte hier sein Arbeitszimmer. Es repräsentiert die Fünfzigerjahre, als in der DDR noch alles bieder und geschmackvoll war. Ein trügerisches Idyll. Dem Schreibtisch sieht man nicht an, dass Pieck hier Todesurteile unterschrieb. Später wurde Schönhausen Gästehaus der DDR: Fidel Castro, Jassir Arafat, Indira Gandhi kamen zu Besuch. Für den Schah von Persien und seine Frau wurde der Gästetrakt umgebaut. Das pinkfarbene Bad und die weißen Schleiflackmöbel sind ein ästhetischer Albtraum. Aber der Schah konnte dann doch nicht kommen, weil in Persien die Revolution ausbrach. Nach der Wende traf sich der Runde Tisch in Pankow, und die Zwei- plus-Vier-Gespräche über die Deutsche Einheit fanden in Schönhausen statt. Danach versank das Schloss in einen langen Dornröschenschlaf. Helmut-Eberhard Paulus auf der Tagung in Dornburg: Take 24: (Helmut-Eberhard Paulus) "Das Schloss Schönhausen ist ein Musterbeispiel dafür, dass man sich eben auseinandergesetzt hat, was passiert, wenn sich die Monarchie wandelt zur Republik. Wie geht man um mit den Schlössern? Was macht die Demokratie mit den Schlössern? Das Ganze ist im Grunde genommen ein Stück Akzeptanz dieses ganzen Wandels. Dass es für den Historiker dann vielleicht manchmal etwas schwierig wird, weil er sich nicht nur mit ein oder zwei Zeitschichten auseinandersetzen muss, sondern mit einem ganzen Bündel, ich glaube, das muss man aushalten können. Diese Verwerfungen, diese Veränderungen, dieser Wandel, der ja auch mit dazukommt, der ist ja auch ein ganz hoher Denkmalwert." Sprecher: Was bedeuten Schlösser heute? Die Verwalter der Burgen und Schlösser können schöne, traurige, auch skurrile Geschichten erzählen. In Dornburg haben sie sich gegenseitig versichert, dass es die Aura der Schlösser noch gibt, als Orte, an denen Geschichte anschaulich werden kann. Take 25: (Johannes Erichsen) "Der authentische Ort übt eine ganz andere Faszination auf die Leute aus als das abstrakte Referat über eine Sache. Der ist hier gewesen, der war hier, jener war da, der hat das da gemacht. Schlachtfeldtourismus." Sprecher: Schloss - und Schlachtfeldtourismus. Johannes Erichsen drückt sich drastisch aus. Take 26: (Johannes Erichsen) "Was wäre eigentlich am Chiemsee los, wenn es das Schloss nicht gäbe? Was wäre in der Gegend von Füssen los, wenn es Neuschwanstein nicht gäbe? Und so weiter. Und dann sagen die: Ja, ja klar, ganz toll. Und dann hab ich gesagt: Ja, das sind die Schlösser, die die Attraktion dieser Gegenden ausmachen. Es ist nicht die Attraktivität des Tourismus, sondern es sind die Schlösser." Sprecher: Johann Erichsen ärgert sich. Die Erfolgsgeschichte der Schlösser wird dummerweise den Tourismus-Managern gutgeschrieben. Doch die kümmern sich nur um die Infrastruktur, um Gastronomie und genügend Parkplätze. Schlossbesucher kommen, weil sie Geschichte und Geschichten suchen. Geschichten, die erzählt werden müssen, wenn sich die Bedeutung des historischen Ortes erschließen soll. Kulturgeschichtlich drückt sich in den deutschen Schlössern nicht zuletzt die regionale Vielfalt aus, so Johannes Erichsen. Take 27: (Johannes Erichsen) "Es gibt nicht nur das Schloss in Berlin, sondern es gibt in Deutschland hunderte von Schlössern. In jedem dieser Schlösser spiegelt sich ein anderes politisches, soziales, regionales System. Und von daher eignen sich diese Schlösser dazu, auf regionale Besonderheiten der Vergangenheit einzugehen und den Leuten klar zu machen: Das ist hier! Und dazu kommt dieses Gefühlt der Identität, der Identifizierung, die Leute brauchen irgendwie etwas, woran sie sich festhalten." Sprecher: Und, um zum Ausgangspunkt zurückzukehren, das Schloss in Berlin? Schlösser haben eine Aura. Das Berliner Beispiel lehrt allerdings, dass diese Aura zerstört werden kann. Genau das geschah, als der monumenta- le Bau nach 1918 politisch neutralisiert und am Ende abgerissen wurde. Ob nun die Idee, die Exponate der Weltkulturen vom Stadtrand ins Zent- rum zu holen und der Traum von der Wiedergeburt des alten Schlosses in neuer Schönheit zueinander passen? Skepsis ist angebracht. Atmo Baulärm 1