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Ton 2 (Uwe Görke-Gott) Also ich denke daran, wie wir damals den Kampf hatten. In der Gesellschaft. Dass wir Heimkinder eigentlich die unterste Schicht waren. Dass wir keine Eltern hatten. Ich verbinde hiermit ein ganz schlimmes Erlebnis. Zum Beispiel auch, dass man versucht hatte, Kinder zu vermitteln. Da standen zehn Kinder in einer Reihe und ich bin der einzige, der stehen geblieben ist und nicht vermittelt wurde. Und das war damals schon sehr prägend für mich, dass ich eigentlich vielleicht deswegen der impulsive Mensch geworden bin, der ich heute bin. Autor: Uwe Görke-Gott will mir seine Geschichte erzählen. An den Orten, mit denen er besondere Erlebnisse verbindet. Er wird berichten, mit welchen Schwierigkeiten er und viele andere Homosexuelle des Jahrgangs 64 zu kämpfen hatten. Ein Leben zwischen Abschied und Neuanfang. Es ist auch die Geschichte, wie Uwe den Kampf gegen HIV aufnahm. (Kurzer Musikakzent) (Schritte) Ton 3 (Uwe Görke Gott) Da ganz oben, das ist mein Kinderzimmer gewesen. Ich war ja erst mit mehreren Leuten auf einem Zimmer und nachher haben sie das auch bisschen umgebaut und dann haben einige auch den Luxus gehabt und ein Einzelzimmer gekriegt. (Tim Wiese) Geben Sie uns doch mal ein Gefühl, wie war das in den 60er und 70er Jahren im Kinderheim zu sein? (Uwe Görke-Gott) Du hast noch mit dem Stock einen auf die Hintern bekommen. Dann hast du auch, wenn du die Tür geknallt hast, zwei Tage Stubenarrest gekriegt und dann hast du zwei Tage im Zimmer gehockt. Du durftest nur zum Essen raus und anschließend warst du wieder in deinem Zimmer. Aber man darf nicht nur Negatives sehen vom Kinderheim. (Tim Wiese) Wir können ja mal rumgehen. Was waren die positiven Erfahrungen, die sie gemacht haben? (Uwe Görke- Gott) Ich fand den Zusammenhalt der Jugendlichen toll. Wir haben auch viel unternommen und es waren auch junge Erzieher da, die einem wirklich Halt gegeben haben, wenn man die Mutterwärme vermisst hat oder seinen Vater. (Tim Wiese) Hier ist eine große Glastür, vor der wir jetzt stehen. War das auch der Eingang oder sah das damals anders aus? (Uwe Görke- Gott) Ne, das war wirklich der Haupteingang damals. Meine kleine Schwester wurde zum Beispiel vor dieser Tür ausgesetzt. Das heißt, meine Mutter hat sie damals in so ein kleines Körbchen getan und sie einfach im Winter um 24 Uhr davor gesetzt. Und wenn nicht zufällig noch ein Kontrollgang gewesen wäre, wäre meine Schwester erfroren. Autor: Warum seine Eltern ihn und seine fünf Geschwister nicht wollten, hat Uwe Görke - Gott nie erfahren. Bis zu seinem 18. Lebensjahr ist dieses Heim sein Zuhause. Seine Homosexualität spielt bis dahin keine Rolle. Erst während seiner Ausbildung verliebt er sich zum ersten mal in einen Mann. (Kurzer Musikakzent) (Auto Innen, Fahrgeräusch) Ton 4 (Uwe Görke- Gott) So hier kommen wir jetzt in ein Dörfchen, das heißt Schwitten. Und hier habe ich damals meine erste Wohnung gehabt und wurde verbannt, weil Homosexualität noch mit Prostitution gleichgestellt wurde. Und dann musste ich nach Arnsberg vor Gericht und dann haben wir fast ein Jahr dafür gekämpft, dass meine Homosexualität nichts mit Prostitution zu tun hat. (Tim Wiese) Sind Sie da richtig angezeigt worden oder wie war das? (Uwe Görke- Gott) Mein ehemaliger Vermieter hat mich verklagt. Ausgerechnet bin ich als Schwuler da eingezogen. Habe das natürlich nicht öffentlich gesagt. Warum auch? Dann hat er mich angeklagt und hat eben gesagt, ich hätte zu viele Männerbesuche und würde in meiner Privatwohnung Prostitution machen. Deswegen musste ich vor Gericht. Habe aber nicht verloren. Habe gewonnen, denn ich wurde als Mensch vor Gericht anerkannt. (Fahrgeräusch) (Uwe Görke-Gott) So jetzt biegen wir in die nächste Straße ... Ich muss ... Weil ich auch lange nicht mehr hier war .. Autor (mit Atmo drunter): Suchend und etwas nervös schaut Uwe hinter dem Lenkrad seines Autos umher, als wir durch den Zweieinhalbtausend-Seelen-Ort fahren . (Uwe Görke-Gott) Da ist das Häuschen. Kommen wir jetzt direkt drauf zu, dann müssen wir einfach links gucken. Und dann sieht man dann .. hier.. Und das schlimmste an diesem Häuschen ist auch, dass jeder Schritt, alles, von diesem Vermieter beobachtet wird. Mit Kamera, mit Leuchten. Das heißt, auch wenn ich abends aus der Szene zurückkam, wenn ich schön gefeiert habe in Dortmund in der schwulen Szene. (Tim Wiese) Und wenn Sie jetzt heute dieses kleine Häuschen mit weißem Gartenzaun und Blumenkübeln davor sehen, was für Gedanken haben Sie dann? (Uwe Görke-Gott) Ich weiß nicht, diese Schikanen damals. Wenn man da keine Nerven gehabt hat, musste man einfach gehen und deswegen bin ich natürlich auch ausgezogen und bin froh, dass ich hier weg war aus dem Dorf. (Tim Wiese) Das heißt, hier in den 70ern auf dem Dorf herrschte noch ein Klima, wo man sich dann als Schwuler immer wieder angefeindet sah? (Uwe Görke-Gott) Auf jeden Fall, das war wirklich noch total verpönt und zählte wirklich noch als Seuche, sage ich jetzt mal. Hier hast du der Gesellschaft im Endeffekt damals in den 70ern einen vorgegaukelt. (Tim Wiese) Man hat gar nicht drüber gesprochen oder man hat sich eine Freundin ausgedacht? (Uwe Görke- Gott) Man hat sich eine Freundin ausgedacht oder man hat eine Freundin präsentiert. Das musste man einfach auch machen und hat natürlich versucht, alles zu unterdrücken, dass es nicht rauskommt, dass man so ist. Autor: Trotzdem sucht Uwe nicht Zuflucht in einer großen Stadt. Er zieht nur 20 km weiter nach Schwerte. Ein Städtchen mit rund 45 000 Einwohnern. Ton 5 (Uwe Görke- Gott) Wir stehen jetzt hier vor meinem Privathaushalt, wo ich als Mieter lebe mit meinem Mann. Als ich hier vor 25 Jahren hingezogen bin, war das noch ein anderer Tobak. Als ich mich geoutet habe, sind hier aus der Nachbarschaft oder wo auch immer her, sind hier Leute hingekommen und haben uns zum Beispiel unsere ganze Schelle schwarz angemalt und die Hauswand: „Du Aidsfotze - Wir kriegen dich“, „Verschwinde! Schwuchteln haben hier nichts zu suchen“. Das war schon heftig. Und auch heftig, wenn wir jetzt hier zum Beispiel rumgehen, kommen wir zu meiner Garage hin. Und da war dann eine brennende Puppe, die dann sagte: „So wirst du enden“ (Tim Wiese) Und trotzdem wollten Sie aber hier bleiben in Schwerte. Sie wollten auf dem Land bleiben. Warum? (Uwe Görke- Gott) Vor diesen Idioten zurückzustecken, wäre einfach nicht meine Art gewesen. Und der Boomerang ist ja so, dass sich ja eigentlich alles zum Positiven entwickelt hat. Jeder weiß es von uns. Da lebt ein schwules Pärchen und sie stehen jetzt alle hinter uns ... Da vorne ist übrigens mein Nachbar Dietmar. (Dietmar aus Entfernung) Morgen Uwe! (Tim Wiese) Dann frage ich Sie jetzt gleich auch mal. Wie war das als sie mitgekriegt haben, dass die Nachbarn schwul sind? (Dietmar) Wir haben da eigentlich kein Problem damit gehabt. Wir haben auch in meiner Firma jemanden gehabt, der schwul war und von daher hatten wir überhaupt keine Berührungsängste. (Tim Wiese) Gab es denn im Umfeld Leute, wo sie mitgekriegt haben, dass da auch mal negativ geredet worden ist? (Dietmar) Ja, der eine oder andere Nachbar hat schon gesagt, wir sollten auf unseren Sohn aufpassen, der war damals 14. Nun ist der sehr weltoffen und dementsprechend ist er natürlich auch erzogen. Der ist auch gerne da hoch gegangen und wir haben auch nie Angst gehabt. (Kurzer Musikakzent) Autor: In der Wohnung von Uwe Görke-Gott befinden sich neben vielen gemeinsamen Fotos mit Mann Benjamin auch Erinnerungen aus der Zeit seines Coming Outs. Ton 6 (Uwe Görke-Gott) Ja, ich möchte Ihnen noch etwas ganz Tolles zeigen, was mich auch etwas stolz macht. Denn ich habe meine erste Coming Out-Platte gefunden, die im „Krystal“ in Dortmund immer lief. Dazu muss man sagen, dass das „Krystal“ die Schwulendiskothek Nummer 1 war, weil auch alle Umkreise von den Dörfern nach Dortmund gekommen sind. (Tim Wiese) Allein die Platte sieht schon mal bemerkenswert aus. Die ist blau und fast durchsichtig. (Uwe Görker-Gott) Die sollten wir ruhig mal abspielen. (Tim Wiese) Wie heißt das Stück? (Uwe Görke-Gott) Yazz - „The only way is up“ (Geräusch Auflegen) (Uwe Görke- Gott) Dann muss ich noch „Start“ drücken, ist ja noch ein alter Plattenspieler ... Und dann .. das Knistern. (Ton 7 Musik von Plattenspieler : „The only way is up“) Ton 8 (Tim Wiese) Und wenn die Musik jetzt so läuft, ich sehe, dass Sie sich auch gleich bewegen. War das damals dann wie so eine Befreiung, als man dann auf einmal in diese andere Welt eintauchen konnte? (Uwe Görke-Gott) Es war eine Befreiung. Du konntest dich in dem „Krystal“ wirklich fallen lassen. Und diese Musik verbindet einfach Geborgenheit, Sicherheit und du konntest der sein, der du wirklich bist. (Tim Wiese) So etwas wie Normalität erleben. (Uwe Görke- Gott) Ja, Freiheit! Du hat plötzlich gemerkt, du bist nicht alleine. Da tanzen 500 Leute mit einer guten Laune und Befreiung, die du selber spürst auch, was ich so in einer Hetero-Diskothek noch nie empfunden hatte. (Musik hoch) (Blende Straßenatmo) Ton 9 (Uwe Görke - Gott) Ja, jetzt stehen wir tatsächlich davor. Wir stehen vor dem alten „Krystal“ Ich sehe gerade, es ist trotzdem noch ein Nightclub geblieben. Aber jetzt für Heteros, wo man noch, wenn man durchguckt sieht, dass man die Treppe runter gehen muss. (Tim Wiese) Wir sind in Dortmund in der Kleppingstraße. Das ist eine Einkaufsstraße. Bisschen weiter runter geht es dann zur Fußgängerzone hier in Dortmund. Sie haben gerade schon beschrieben. Es ging eine Treppe runter und wie ging es dann weiter? (Uwe Görke - Gott) Dann kam die Garderobe. Man sah dann die Theken, die rundherum waren und man musste so ein Stückchen durchgehen, dann war da schon die Tanzfläche. Es war immer rappelvoll. Man war zuhause! (Tim Wiese) Erinnern Sie sich noch daran, wie das war, als Sie das erste Mal durch diese Tür gegangen sind? (Uwe Görke-Gott) Nervös. Ich habe gedacht, als ich runtergegangen bin, dass mich alle anglotzen. Aber dadurch, dass die Stimmung und diese Musik so toll war, war man sofort mitgerissen und alle Ängste und Nervosität war sofort verflogen. Die Leute kamen auf dich zu, die dich nicht kannten. Die haben dich umarmt, die haben dich gegrüßt. Du wurdest vorgestellt, als ob du schon jahrelang zu dieser Familie gehörtest, obwohl du sie gar nicht kanntest. Es war etwas Tolles. Autor: Doch auf diese vorher nie gefühlte Leichtigkeit fiel ein dunkler Schatten. Denn in den 80er Jahren zog wieder Angst in die schwule Community ein. Ton 10 (Jingle Tagesschau. Ausschnitt Beitrag vom 1.12.1988) Mit einem mehr als zwei Kilometer langen Transparent erinnerten Kölner Aids-Initiativen heute an die Aids-Toten. Den Aids-Tag hat die Weltgesundheitsorganisation ausgerufen. Sie schätzt, dass die Zahl der Infizierten zum Ende des Jahres weltweit bei etwa fünf Millionen liegen kann. Autor: Das war am1. Dezember 1988. Auch Uwe gehört zu den Aktivisten, die sich für Aufklärung engagieren. Er begreift die Bedrohung als weitere Herausforderung in seinem Leben und als Kampf für die Gemeinschaft, in der er sich geschützt und akzeptiert fühlt. In Kleinanzeigen wirbt Uwe für Kondome und nutzt den ersten Online-Dienst „BTX“, Ton 11 (Uwe Görke- Gott) Da gab es dann ein Forum, das nannte sich Atlantis. Und da waren dann ganz viele Schwule auch drin, die dann privat ihre Message auch ausgetauscht haben. Und ich habe dann so Safer-Messages reingetan. So „Passt auf“ und „Wenn ihr Sex habt, denkt an das Kondom“, „Denkt immer daran. HIV und Aids ist nicht weit, auch wenn wir glauben, es wäre weit weg.“ Und so fing meine Aufklärungsarbeit an. Von Privat. (Musikakzent) (Atmo Seeufer) Autor: Wir sind an den Seiler See in Iserlohn gefahren. Eigentlich ein Idyll. Trotz Autobahn 46, die auf einer Betonbrücke durch das Gewässer führt. Hier schwimmen Schwäne und Wildenten, Schilfgrass wiegt sich im Wind. Für Uwe Görke-Gott ein Schicksalsort. Ton 12 (Uwe Görke-Gott) Es ist eigentlich der Anlaufpunkt auch gewesen, um meinem Leben ein Ende zu setzen. Weil ich damals 1991 das Ergebnis bekommen habe, dass ich HIV-positiv bin und ich wollte keinen zur Last fallen. Und wollte dann eben mit einem Bot, das ich mir dahinten geholt habe, da hin rudern und wollte dann eben da reinspringen. (Tim Wiese) Nun haben Sie sich vorher schon im Kampf gegen HIV engagiert. Haben gesammelt, haben Leute informiert, wie konnte Ihnen passieren, dass Sie sich selber infiziert haben? (Uwe Görke-Gott) Ich war zehn Monate in einer Beziehung und wir haben das Kondom in der Beziehung weggelassen. Mein Partner ist mir untreu gewesen. Dadurch habe ich mich dann eben infiziert. Und ich denke, jeder der darüber nachdenkt, der in einer Beziehung ist, lässt ja eigentlich das Kondom in einer Beziehung auch weg. Weil das ein hohes Maß an Vertrauen ist, was man hat gegenüber seinem Partner oder Partnerin. Und das habe ich getan und da habe ich damals den Tod auf Raten als Antwort bekommen. Das würde man heute natürlich nicht mehr so sagen, weil man heute zum Glück mit HIV 40 Jahre leben kann. Aber in den 90ern hieß es eben, Sie haben noch eine Lebenserwartung von höchstens, allerhöchstes zehn Jahren oder fünf. (Tim Wiese) Wie haben Sie festgestellt, dass etwas mit Ihnen nicht stimmt? (Uwe Görke-Gott) Ich habe gemerkt, dass ich ziemlich viele grippale Infekte bekommen. Ich habe Herpes bekommen, Gürtelrose, also mein ganzes Immunsystem hat gesponnen, was ich sonst nie hatte. Und dadurch, dass wir uns natürlich uns schon eingesetzt haben für andere HIV- und Aidserkrankte kam natürlich der Verdacht hoch, da stimmt irgendetwas nicht, ich mache auf jeden Fall einen HIV-Test. (Tim Wiese) Und dann kam das Ergebnis. HIV-Positiv. Die Aussicht fünf, zehn Jahre vielleicht noch und Sie sind hier zum See gefahren. (Uwe Görke-Gott) Als ich mein Ergebnis beim Urologen bekommen habe und der mich der Praxis verwiesen hat, weil er sagte, die Seuche hat hier in der Praxis nicht zu suchen. Ich wüsste ja selber, dass ich zu einer Randgruppe gehöre, hat er mich ja rausgeschmissen aus der Praxis. Und dann habe ich da wirklich vor der Praxis gestanden und habe drüber nachgedacht. Dann hat dieser Arzt auch dazu beigetragen, dass mein Selbstmordgedanke kam. (Tim Wiese) Wie haben Sie es dann aus diesem Loch raus geschafft? Oder wie ist dann hier am See die Entscheidung entstanden, ich rudere wieder zurück, ich kämpfe? (Uwe Görke-Gott) Ich bin ja Heimkind schon, da musste ich schon viel kämpfen. Ich habe selber gemerkt, dass bist du nicht, dass du jetzt dein Leben beendest. Jetzt hast du so viel erreicht in deinem Leben. Ich habe dann eben die Kurve gekriegt und habe dann einen Bluter kennengelernt, der nachher dann leider auch den Kampf verloren hat gegen Aids. Und der hat mir den Namen Dr. Knechten gegeben. Und ich bin dann mit meiner Behandlung und meinen psychischen Problemen bis nach Aachen einmal in der Woche 160 Kilometer gefahren. Ein Arzt, der Jahre voraus war, wie man damit umgehen kann. Wie man mit Menschen umgehen kann. Und der hat mir wirklich die Kraft gegeben, dass ich heute mit Ihnen hier stehen kann. (Musikakzent ) Ton 13 (Straße, Klingeln an Tür, Tür öffnen) (Uwe Görke - Gott) Hallo Manuel! (Umarmung, Schulterklopfen) (Manuel Izdebski) Hallo Uwe, schön, dass du hier bist, kommt rein ... (Schritte im Flur) Autor: Zu Gast in der Aidshilfe Unna. Mit Geschäftsführer Manuel Izdebski verbindet Uwe eine lange Freundschaft. Gemeinsam haben die beiden über viele Jahre in Schulen Aufklärungsunterricht abgehalten. Bei unserem Besuch erinnert sich das Mitglied im Bundesvorstand der Deutschen Aidshilfe, wie er selber als junger Mann von der Krankheit erfahren hat. Ton 14 (Manuel Izdebski) Hier die Aidshilfe im Kreis Unna ist 1986 gegründet worden. Da war mir eigentlich schon klar, wie ich ticke. Und ich habe in den Zeitungen über die Gründung gelesen und ich konnte lesen, dass sich hier schwule Männer treffen und ich habe immer gedacht, da müsstest du eigentlich hingehen, denn genau so bist du eigentlich auch. Und dann habe ich montags den Spiegel aufgeschlagen und konnte lesen, wie fürchterlich diese Krankheit ist. Und dass es uns alle erwischen wird. Dass 90 Prozent der Schwulen sterben werden und dass das für die irgendwie die gerechte Strafe Gottes ist und da dachte ich, so willst du nicht sein und an Aids sterben willst du schon mal gar nicht und dann bin ich nicht da hin gegangen. (Tim Wiese) Nun wird ja aber auch berichtet, dass diese schrecklichen Meldungen, den Zusammenhalt in der schwulen Community damals gestärkt haben. (Manuel Izdebski) Im Angesicht der Bedrohung ist man zusammengerückt. Da war die Solidarität sehr groß. Und die Gründung der Aidshilfen überall in Deutschland ist ja ein Paradebeispiel für Selbsthilfe, die damals organisiert wurde. (Tim Wiese) Und dieser HIV -Schock inwieweit hat das die schwule Szene verändert? (Manuel Izdebski) Zu Anfang der 80er Jahre hatte man ja schon eine Menge erreicht, was so einen Wechsel im Klima, Freiheiten und so angeht. 69 ist der Paragraph 175 gefallen, zumindest in der Form gefallen, dass es unter Erwachsenen Männern nicht mehr strafbar war, schwul zu sein. Mit Beginn der 70er Jahre entstanden ja dann auch überall Gruppierungen, die politisch gearbeitet haben. Das war so nach dem Film von dem Praunheim „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“. Das war ja die Initialzündung für die deutsche Schwulenbewegung und plötzlich wehte dieser Hauch von Freiheit überall in Deutschland. Im April 72 die erste schwule Demonstration in Deutschland. Das war in Münster, im katholischen Münster in der Salzstraße. Und von da ging es eigentlich immer bergauf und dann kam tatsächlich der Aids-Schock dazwischen. Gott sei Dank haben sich kluge Politiker damals entschieden, jetzt nicht die Bundesseuchen-Polizei rauszukehren, sondern haben ein ganz neues Präventionskonzept entwickelt: Die Lernstrategie der Aufklärung und Information. Aber wir können uns ja auch gut daran erinnern, dass es damals auch Stimmen in der Politik gab, dass die schwulen Szene jetzt zerschlagen werden müsste und man müsste Positive am besten irgendwie wegsperren, damit sie nicht zur Gefahr für die anderen werden. Und ich glaube, dass vieles damals auf die Kippe stand. In welche Richtung geht es denn nun, gehen wir wieder restriktiver mit den Schwulen um? Und es war damals Gott sei Dank die damalige Gesundheitsministerin Rita Süßmuth, die sich für diese Lernstrategie von der Aufklärung und Prävention entschieden hat. Alle anderen Länder, die sich damals für einen restriktiven Umgang entschieden haben, die haben heute schlechtere Zahlen als wir. Ton 15 (Tim Wiese) Das ist die politische Dimension und was hat sich gesellschaftlich getan? (Manuel Izdebski) Ich glaube wichtig, was so die Gesellschaft angeht, war der Tod berühmter Menschen. Rock Hudson, Freddy Mercury. Das hat glaube ich schon für ein Umdenken auch gesorgt. Klar, man hatte vielleicht etwas gegen Schwule. Das fand man irgendwie pervers, das war die Schmuddelecke, aber dass die alle so elendiglich krepieren, das wollte man dann doch nicht. Und insofern hat dann diese Aids-Krise dann tatsächlich auch den Kampf um Freiheit, um Rechte beflügelt. So paradox, sich das anhören mag. (Tim Wiese) Und wenn wir auf die Situation HIV-Infizierter schauen, wie hat die sich verändert? (Manuel Izdebski) Also wenn man das grob sagen mag, würde man heute vom alten Aids und vom neuen Aids sprechen. Der Wechsel fand eben 1996/97 statt mit Einführung der antiretroviralen Therapie. Das war sozusagen die Kertwende, der Meilenstein in der Aids-Historie. Seitdem ist klar, dass man diese Krankheit zu einer behandelbaren, chronischen Erkrankung machen konnte. Uwe ist ja das beste Beispiel dafür, man kann damit alt werden. Wer hätte gedacht, dass es mal so kommt? (Musikakzent) Ton 16 (Uwe Görke-Gott, Geräusch Pillendose) So das ist meine Pillendose. Und von damals 56 Tabletten bin ich runter auf jetzt drei Tabletten täglich, die ich nur noch morgens bevor ich frühstücke einnehme. Das ist der Grund, warum ich heute noch so gut lebe. (Tim Wiese) Wenn Sie sagen, Sie mussten mal 56 Tabletten nehmen. Wie war das früher, wie ging das los mit der Therapie? (Uwe Grörke-Gott) Wenn man heute drei hat, hat man vier Stück nehmen müssen pro Medikament. Dann kamen die Schmerzmittel ja noch dazu, dann kamen die Durchfallmittel dazu. Dann kamen, was damals in den 90ern ganz groß war, das schwappte aus Amerika rüber, dass der HI-Virus die Vitamine und die Spurenelemente alle aufgefressen hat im Körper. Also haben wir noch einmal hoch dosiert die ganzen Vitamine C, D und B 12, B 6 als Medikamente bekommen. Und damals war ganz akribisch sieben, 13 Uhr, 15 Uhr, 21 Uhr. Genau zu den gleichen Zeiten eben diese hohe Dosis an Medikamenten. Das schlimme waren auch diese gravierenden Nebenwirkungen. Extreme Durchfälle, Panikattacken. Es haben sich komische Pusteln am Körper gebildet. Es sind Fußnägel eingewachsen. Eigentlich waren wir ja die Vortester für die nächste Generation und haben dann alles beim Arzt bekannt gegeben, was mit dem Körper passiert. Man hatte kaum Kraft, den Tag zu erleben und hat mehr auf der Couch gelegen, als dass man an der frischen Luft war. (Tim Wiese) Und dann kam ja noch dazu, dass Sie in Ihrem Umfeld erlebt haben, wie Menschen an dieser Krankheit elendiglich, muss man ja sagen, gestorben sind. (Uwe Görke-Gott) Also ich nenne es nicht verstorben, ich sage immer, wenn ich meinen Schulunterricht habe, die Menschen sind früher verreckt. Viele sind einsam verreckt. Du bist ja nicht davor gefeit gewesen, dass du dir nicht noch andere Infektionen einfangen konntest oder andere bakterielle Krankheiten. Oder wenn du Krebs dazu gekriegt hast oder Kaposi Sarkom, Hautkrebs. Und wenn du diese Menschen gesehen hast, wie die einfach trotzdem die Hoffnung nicht aufgegeben haben, wie die wirklich gekämpft haben. Ich kenne Menschen, die dann plötzlich blind geworden sind. Die wirklich trotzdem noch das Positive in ihrem Leben gesehen haben, aber trotzdem nachher qualvoll verreckt sind. Das prägt und das muss für mich immer in großer Erinnerung bleiben. So gut wir 2014 mit einem super Fortschritt leben, muss trotzdem das nie vergessen werden, was diese Menschen an Qualen durchgestanden haben und was diese Menschen auch für uns, die überlebt haben, getan haben. (Musikakzent) (Stadtatmo) Autor: Uwe-Görke Gott lebt nicht in der Vergangenheit, er bewahrt aber die Erinnerung. Das wird mir auch deutlich bei bei einem Spaziergang durch die Kölner Innenstadt. Für viele das schwule Zentrum Deutschlands in den 80er und 90er Jahren. Ton 17 (Uwe- Görke Gott) Oh lassen Sie mal hier gucken, das Vanity... (Stadtatmo) Autor: Wir stehen vor dem unscheinbaren Eingang eines Nachtclubs am Hohenzollenring. Heute feiern hier unterschiedliche Partygänger. Früher war hier die größte schwule Disko Europas. Ton 18 (Uwe Görke-Gott) Das ist das alte Lulu. Wenn wir jetzt durch die Scheibe gucken, die Treppe runter, kam man direkt an meine Theke Eins, wo ich gearbeitet habe. Da gehen die Bilder gleich wieder durch den Kopf. (Tim Wiese) Und sie haben ja die Szene aus der Sicht des Barmannes beobachtet. Anfang der 90er. Wie war das? Was sind hier für Leute hergekommen, wer hat sich hier alles getroffen? (Uwe Görke- Gott) Es war eine heftige bunte Welt. Der Schrille, dann die super Bodys, der dicke Bär. Diese ganze schwule Vielfalt. Und das eben war das Besondere. Und dann immer noch ein super DJ, der wirklich super geile House- und Technomusik aufgelegt hat. Hier lief Musik, die Jahre im voraus schon „in“ war. (Tim Wiese) Wie war das, als Sie dann Ihren Abschied genommen haben? (Uwe Görke-Gott) Da ist mir meine HIV-Infektion wieder zum Verhängnis geworden, weil mein Immunsystem nicht mehr die Kraft hatte und dann musste ich mich leider zurückziehen. Und das tat schon weh. (Atmo Stadt, Auto hupt) (Uwe Görke-Gott) Oh da kommt der Andreas ... Ton 19 (Ankommen, Begrüßung, Schulterklopfen) (Andreas Stiene) Da stehen wir ja hier an einer berühmten Stelle, da kann man sagen, früher war da die Drehtür drin. Jedes Wochenende ist man hier rein marschiert. In das Lulu. (Uwe Görke-Gott) Ich kann auch nur schwärmen, einfach nur toll! Autor: Wir haben uns mit Andreas Stiene verabredet. Auch er ist Jahrgang 64. In den 80er Jahren hat er in Essen eine Ausbildung zum Polizisten absolviert. Seine Homosexualität hat er damals verheimlicht. Ton 20 (Andreas Stiene) Ich habe das total unter dem Deckel gehalten. Ich habe zwei Leben gelebt. Ich habe einmal mein privates Leben mit meinem damaligen Freund gelebt und das andere Leben war eben Polizei und auch Fußball. Ich habe in der Landesliga gespielt in Essen viele Jahre und Bezirksliga auch. Und das war für mich undenkbar, dass ich das da bekannt gebe. Ich habe mich permanent kontrolliert. Auf dem Fußballplatz war ich auch ein besonders harter Spieler eigentlich. Ich habe später noch mal mit einigen von meiner Mannschaft und auch von generischen Mannschaften gesprochen. Die haben schon gesagt, Sie hätten nicht gewusst, wie sie damals reagiert hätten. Und ich glaube, dass einige da doch sehr ablehnend reagiert hätten. Aber das ist Spekulation. (Musik ) Ton 21 (Uwe Görke- Gott) Also hier muss auch irgendwo das „Elenors“ gewesen sein. Das erste schwule Café. (Andreas Stiene) Ja das ist jetzt direkt hier, da ist jetzt so eine Art Galerie drin. Ja, da war das „Elenors“ drin und es war immer bumms voll der Laden und war eigentlich so das erste richtig tolle Cafè hier in Köln im schwulen Bereich. (Tim Wiese) Was ist denn eigentlich so das besondere der schwulen Community in Köln gewesen. (Uwe Görke -Gott) Das alles so auf einem Haufen war. Ob es das Café war, die Diskothek war, das war eigentlich alles geballt. Da kann man schon fast sagen wie in so einem Bermuda-Dreieck. Und das war natürlich für mich vom Land einfach. Du musstest nichts suchen. Das war alles an einem Punkt. (Tim Wiese) Und es war eben sichtbar hier in Köln. Also das schwule Leben hat die Stadt mitgeprägt? (Andreas Stiene) Also früher war es im Ruhrgebiet ganz üblich, dass man irgendwo vor einer verschlossenen Tür stand, dass man klingeln musste, dann wurde die Klappe aufgemacht, dann wurde geguckt. Und dann wurde man erst reingelassen. Und das war hier eben ganz anders. Man konnte in so ein „Elenors“ einfach reingehen. Also da war nichts mehr mit diesem Versteckspiel und Abschotten wie es eigentlich in anderen Städten zu der Zeit noch gang und gäbe war. (Tim Wiese) Wenn wir jetzt hier so durch Köln gehen und hören, was damals die Community ausgemacht hat. War das vielleicht auch dadurch bedingt, dass es damals das Internet noch nicht gab. Also dass man eben Anlaufstellen brauchte, wo man dann seine Sexualität leben konnte? (Uwe Görke- Gott) Damals waren die Menschen draußen und heute sitzen sie vor dem PC. Diese Geschlossenheit der Szene war ja da und das war toll. Mehr als heute. Heute geht alles durch das Internet natürlich auch kaputt. (Andreas Stiene) Damals sind auch mehr Sachen entstanden völlig neu. Wenn ich alleine bedenke, ich bin nach Köln mit 26/27 gekommen und ich war der festen Überzeugung bis zum dem Zeitpunkt, ich bin der einzige schwule Fußballer auf der Welt. Es gibt keinen anderen. Da war ich mir absolut sicher. Und dann komme ich hier hin und paar Monate später lese ich in der Zeitung ,Schwule Fußballer gesucht‘. Ich denke, was ist denn jetzt los? Ja, daraus ist das „Cream Cologne“ die erfolgreichste schwule Fußballmannschaft der Welt geworden. Und es waren alles tolle Fußballer. Wir wollten auch nur Fußball spielen. Uns ging es nicht ums Duschen und den ganzen Mist, der immer so klischeemäßg verbreitet wird, sondern wir waren einfach eine ganz tolle sportliche Erfolgsgemeinschaft. Zufällig alle schwul und nachher sind auch Heteros dazu gekommen. Wir waren da immer offen. Und das waren so Sachen, die sind damals entstanden und eben auch viele andere Geschichten, die heute noch Bestand haben. (Musikakzent) Ton 22 (Atmo Tisch decken) Autor: Zurück in Schwerte. Zuhause bei Uwe und seinem Mann Benjamin. Seit zwölfJahren sind die beiden zusammen. 2010 haben sie ihre Partnerschaft eintragen lassen. Sie leben den Alltag eines normalen Paares. Nicht nur beim Abendbrot. Für Uwe Görke-Gott war es ein langer Weg. Homophobie und Intoleranz sind in der Gesellschaft leider immer noch ein Thema. Aber Uwe ist auch froh über das, was er mittlerweile erreicht hat. (Uwe Görke- Gott) Man ist angekommen, man ist akzeptiert. Man hat Probleme in der Siedlung mit einigen eben gehabt. Aber es wurden die Vorurteile abgebaut. Man hat über Ängste geredet, was sehr, sehr wichtig ist. Deswegen ziehen wir hier auch nicht weg. Alle wissen, Benny und ich leben zusammen. Wir reden übrigens nicht von Lebenspartnerschaft. Für unsere Liebe ist die Krönung die Ehe, die wir geschlossen haben. (Musik) 14 1