Deutschlandrundfahrt Vom Pulverfass zum Baumhaushotel Unterwegs im niedersächsischen Dörverden Von Nina West Sendung: 27. September 2015, 11.05 Uhr Ton: Inge Görgner Regie: Roswitha Graf Redaktion: Margarete Wohlan Produktion: Deutschlandradio Kultur 2015 Atmo 1 Dorf Autorin 1 Dörverden. Seit 23 Jahren war ich nicht mehr hier. Am Rande des Dorfes steht das Tagungshaus Drübberholz. Anderthalb Jahre habe ich dort gelebt und gearbeitet, selbstbestimmt und gleichberechtigt, misstrauisch beäugt von den Einheimischen. Wie ist es dort heute? O-Ton 1 Astrid Also es ist halt einfach Dorf, 'ne? Und im Dorf halten sich bestimmte Sachen ewig. (Lachen) Die kriegt man, glaub ich, auch nich‘ mehr raus. (Lachen) Bernward Klar. klar durch.. durch die Sache mit den Nazis sind wir… ist ja auch viel passiert an Politisierung in Dörverden. Trotz allem gibt es einen Teil, den man einfach nicht erreicht. Astrid Mh. Also, es gibt immer noch Gerüchte von wegen ‚Drogenhöhle, Sex-Kommune... Oh Gott, da kann man nicht hingehen‘, das ist nach wie vor so, obwohl ich inzwischen länger hier lebe, als ich je in Berlin gelebt habe. Aber es ist trotzdem immer noch so dieses: ‚Man weiß ja nicht… man weiß ja nich’, was hinter dem Wall ist, da kann man ja gar nicht gucken! ‘ Hör ich heute noch! Kennmelodie Sprecher Vom Pulverfass zum Baumhaushotel Unterwegs im niedersächsischen Dörverden Eine Deutschlandrundfahrt von Nina West Kennmelodie 1. Wiedersehen und Gartenführung Atmo 2 Losfahren und B215 Autorin 2 Dörverden liegt in Niedersachsen, zwischen Hannover und Bremen im Aller-Weser-Dreieck. Waldgebiete, dann wieder großflächige Getreideanbauflächen, Dörfer mit Fachwerkhäusern und prächtigen Gärten, Spargelfelder. Die Bundesstraße 215 ist eine wichtige Verkehrsader. Atmo 3 B215 nochmal hochkommen lassen Autorin 3 Die Gemeinde besteht aus zehn Dörfern mit insgesamt neuntausend Einwohnern: Stedorf, Westen, Hülsen... Drübber mit seiner Handvoll Höfen gehört zu Barme. Hier war bis 2003 auch die Bundeswehr. Drübberholz – das Tagungshaus – war damals umzingelt von Kaserne, Truppenübungsplatz und Standortverwaltung. Das weiße Fachwerk leuchtet am Ende der hier schnurgeraden Straße. Direkt vor dem Haus macht die B215 eine Kurve. Ein Lärmschutzwall verdeckt die Sicht auf den Parkplatz. Atmo 4 Blinken, Abbiegen, auf den Parkplatz fahren, aussteigen... Autorin 4 „Zirkusschule Jokes“ lese ich auf einem Wagen mit Bremer Kennzeichen. Daneben steht das hauseigene E-Auto. Ich stelle meinen Wagen dazu. Atmo 5 Auto parkt, Aussteigen, vor dem Haus Autorin 5 Wie laut die Straße zu hören ist! Daran hatte ich gar keine Erinnerung! Als Teenager hatte ich immer zu viel anderes um die Ohren. Nach einem Auslandsjahr war mir das Elternhaus zu klein geworden, ganz flügge war ich aber noch nicht. Mit dem Versprechen, nebenbei mein Abitur zu machen, durfte ich in die 100 km entfernte WG ziehen; die neue Freiheit schien unfassbar. Atmo 6 Reingehen, Hundebellen, Autorin 6 Im Haus werde ich als erstes von Benni begrüßt, einer pechschwarzen Mischung aus Labrador und Jack Russell Terrier. O-Ton 2 Astrid, Bernward und Nina Hallo! Hallo! ... Benni Ist gut! ... Ist das euer Hund? Ihr hattet doch Katzen! Haben wir auch noch... Gut schaut ihr aus! Du auch! Gar nicht verändert – Na ja, ein bisschen breiter, ein bisschen weißer... Dreiundzwanzig Jahre... Autorin 7 Astrid Andrzejewski ist Anfang fünfzig und diplomierte Pädagogin. Bernward Nüttgens, Anfang sechzig, ist studierter Betriebswirt. Sie führen mich als erstes in den Garten. Seit das Haus 1983 Tagungshaus wurde, ist beständig renoviert und umgebaut worden. Atmo 7 Tür, Schritte Astrid So. Ich glaube, das einzige, was Du noch kennst, ist diese Terrasse, ne? Nina Ja… Bernward Ja. Schritte, B215 im Hintergrund Autorin 8 Wir betreten die große Rasenfläche, die sich bis zu einem Waldstück erstreckt, das ebenfalls zum Grundstück gehört. Ein Sandkasten, eine Lagerfeuerstelle und viel Platz zum Spielen und Jonglieren. O-Ton 3 Astrid Ja, und hier draußen sind 2012 sogenannte Erlebnisfelder entstanden, das sind halt alles Sachen, die mit den Sinnen zu tun haben, aber nicht mit dem Sehen, sondern mit dem Hören, Tasten, Riechen. Hier sind Riechbeete. Im Moment treibt alles erstmal ’n bisschen, aber manches blüht schon, es riechen entweder die Blüten, oder bei manchen Sachen auch die Blätter, wir haben extra Hochbeete gemacht, damit man sich nicht so sehr bücken muss, um zu riechen. Bernward Das kannst du deinen Hörern ja mal näherbringen, das Riechen. (Lachen) Astrid (Lachen) Atmo 8 Schritte O-Ton 4 Astrid Das ist die Fühlwand, da gibt’s hier halt immer so Klappen, wo dann drunter steht, was es ist, oh die geht leider schon sehr kaputt, fass mal an! Und dann musst du mal raten. (Lachen) Nina Welche Haare? (mh) Also, (äh) ganz weich, Katze? (Lachen) Astrid Nee, das ist immer so das, was kaum jemand errät… Nina Lamm! Astrid …weil alle denken… Nina Ziegenhaar! Astrid …weil alle denken, Ziege ist viel... Bernward ...härter! Astrid ...härter, fester, sturer; ist es aber gar nicht, Ziegenhaar ist ganz weich! … Autorin 9 Bernwards Talent, Fördermittel aufzuspüren, hat auch dieses Projekt ermöglicht, wie so viele andere im Laufe der Jahre. Dazu kam die Hilfe eines internationalen Workcamps. Drei Wochen lang haben Freiwillige aus aller Welt für Kost und Logis daran mitgebaut. Astrid ist voll in ihrem Element, während sie mich von Station zu Station führt. Atmo 9 Schritte im Wald Autorin 10 Im Wald gibt es noch das Baumstämmexylophon, Astrids eigene Idee. O-Ton 5 Astrid Willst du selber machen? (Lachen) (Klopfen) Astrid Also, das sind alles Baumstämme von verschiedenen Bäumen, die alle gleich lang sind und ungefähr gleich dick, so dass man vergleichen kann, welcher Baum wie klingt, welches Holz wie klingt. Hier unten sind dann die... die Auflösungen drunter, dass man gucken kann, was was ist. (Stille) Was haben wir denn noch, Pflaume, glaube ich, genau. Autorin 11 Über eine Stunde waren wir draußen, haben alles angeschaut und ausprobiert und dabei erzählt. Jetzt gehen wir ins Haus. Musik 1 Titel: Solsbury Hill Interpret+Komponist: Peter Gabriel Label: Mute Records, LC-Nr. 05834 2. Die Geschichte... Atmo 10 Küche Autorin 12 Wenn Gruppen Verpflegung wollten, haben wir früher immer selber gekocht. Mitunter für über sechzig Leute. Heutzutage hilft eine festangestellte Köchin. Wir nehmen unser Mittagessen mit nach oben. Die Privaträume sind im zweiten Stock, im ausgebauten Dachstuhl. Hier wohnen auch die Hunde Benni und Chica und die Katze Kater. Vor dem Zimmer, in dem ich früher gewohnt habe, ist eine gemütliche kleine Küche entstanden, die gab es zu meiner Zeit noch nicht. Beim Kaffee erzählen Astrid und Bernward von der Geschichte des Hauses. O-Ton 6 Astrid Die ganze Vorgeschichte beginnt irgendwie so 1805, 1806. Und zwar war’s da „Poststation zum Pferdewechsel“ in der Garage gab es auch noch 'n alten Futtertrog für die Pferde (Lachen) als, ja, wir das hier kennengelernt haben. Autorin 13 Seine große Blütezeit erlebte das Haus zu Beginn des letzten Jahrhunderts als Ausflugs- und Kurhotel „Waldschlösschen“. Dort, wo jetzt auf der B215 die LKW vorbeidonnern, standen Tische und Stühle; zwischen den Bäumen war der Tanzboden. Bis in die Dreißiger Jahre hinein wurde hier gefeiert. Dann war der Spaß erst mal vorbei. O-Ton 7 Bernward Das war ja Standortverwaltung im Zweiten Weltkrieg und nach’m Zweiten Weltkrieg war die Wehrmacht, äh, die… die Alliierten hier drin und 1950 hat es der ursprüngliche Besitzer zurückbekommen und hat bis Mitte der Sechziger Jahre hier noch Restaurant/Hotel betrieben. Und Mitte der Sechziger Jahre ist die A 27 gebaut worden. Damit war das nicht mehr die Hauptverkehrsverbindung zwischen Bremen und Hannover. Und so war hier dann auch nicht mehr so viel Verkehr, dass die davon leben konnten. Und dann hat’s 'ne wechselvolle Geschichte, da... Fernfahrerkneipe, alles Mögliche war… war hier drin, bis ’79 wohl 'n Puff drin war und danach hat’s Kuzuma gehabt mit seinen indonesischen... also Indonesische Spezialitäten, war wohl auch eher 'n Witz, aber... (ähm) ja. Autorin 14 1983 gründete die erste Betreibergeneration, ein Team von vier Leuten, einen Verein und eröffnete das „Bildungs- Kultur- und Kommunikationszentrum“. 1985 stieß Bernward dazu, und 1987 Astrid. Immer wieder zogen Bewohner aus und ein – nur Astrid und Bernward blieben. 1992 wurde ihr Sohn geboren. Unser erstes WG-Baby. Drei Jahre später kam die Tochter. Im Haus wohnte damals noch ein Paar, das fast zeitgleich ebenfalls Kinder bekam. Sie zogen später als Familie in einen Nachbarort. Von der WG blieb bald nur noch eine Kleinfamilie. Aus dem selbstverwalteten alternativen Tagungshaus wurde aus fördertechnischen Gründen 2003 eine Firma. Astrid engagierte sich in der Kita, später in der Schule. Bernward ist seit vielen Jahren in der Kommunalpolitik aktiv. Sind sie als Zugezogene mittlerweile angekommen? O-Ton 8 Astrid Zum großen Teil sicherlich schon, aber zum andern Teil nich’. Also es ist halt einfach Dorf, 'ne? Und im Dorf halten sich bestimmt Sachen ewig. (Lachen) Die kriegt man, glaub ich, auch nich‘ mehr raus. (Lachen) Bernward Klar, durch… durch die Sache mit den Nazis sind wir… ist ja auch viel passiert an Politisierung in Dörverden. Und sind wir auch noch weiter mit vielen Leuten bekannt geworden. Trotz allem gibt es einen Teil, den man einfach nicht erreicht. Astrid Also, es gibt immer noch Gerüchte von wegen ‚Drogenhöhle, Sex-Kommune, Oh Gott, da kann man nicht hingehen‘, das ist nach wie vor so, obwohl ich inzwischen länger hier lebe, als ich je in Berlin gelebt habe und viele erst danach geboren sind, 'ne? Aber es ist trotzdem immer noch so dieses: ‚Äh, man weiß ja… Man weiß ja nicht, was hinter dem Wall ist, da kann man ja gar nicht gucken! ‘ Hör ich heute noch! Musik 2 Titel: Rauch-Haus-Song Interpret: Ton Steine Scherben Label: David Volksmund Produktion, LC-Nr. 03773 3. ...und das Dorf Atmo 11 langsam einblenden, Fischtreppe, Vögel Autorin 15 Ich fahre erst mal ins Dorf, treffe mich dort mit Heike Meier. Früher war ich nie im Dorf. Für mich gab es nur die Schule im 15 km entfernten Verden, das Haus und dazwischen die B215. Heike Meier hat eine Pension nahe dem Weserbogen. An dieser Krümmung des Flusses, zeigt sie mir das Wasserkraftwerk. Seit 1913 ist es in Betrieb. O-Ton 9 Heike Also, fast alle meine Radfahrgäste werden dieses hier sehen, entweder durch mich oder durch den Tipp, hier langzufahren, 'ne? (Möwen) Weil ich’s einfach zu schön finde, is so! Atmo 12 Schritte auf der Brücke/Stufen und Wasser, Vögel, Wind – geht über in – Gespräch im Garten – Plattdütsch O-Ton 10 Heike Plattdeutsch kann man einfach schnacken, da mutt man nich irgendwelche Fragen stellen, man schnackt einfach für sich hin! Ne? Christian Ja! Und dann givs so’n schönen Satz, 'ne? Denn man sagen kann, 'ne? Die schönen Wörter sind nich wohr und de wohrn Wörter sind nich schön! Auf Deutsch gesagt: Die wahren Wörter sind nicht schön, 'ne? Das ist denn auch so. Aber die schönen Wörter sind nicht wahr. Autorin 16 Heike und ihr Mann Christian, beide agile Mittfünfziger, sind geborene Dörverdener, genauer Stedorfer. O-Ton 11 Heike Also, wir haben ein ganz großes Wir-Gefühl für DIESES Dorf! Aber unser Dorf heißt Stedorf. Unser Dorf ist nicht Dörverden, 'ne? Christian Hat nur die gleiche Postleitzahl wie Dörverden, aber wir schreiben Stedorf. Heike Ja, das ist so. Christian Das is... geht vielen so, auch eingemeindet: Das sind Dörverdener, Hülsener und so weiter, und wir sind Stedorfer und da… das wollen wir auch bleiben. Da pflegen wir die Tradition auch. (Schmunzeln) Atmo 13 Christian Da gibt’s so... Auf Plattdeutsch kann man eigentlich auch keinem... da kann man kenen irgendwo anne Site drücken. Weil de alle... Man kann ruhig schimpfen und dat hört sik anders an. Heike Ja, dat hört sik better an, als wenn man dat up Hochdeutsch secht. Christian Ja! Also wenn man nu Platt schimpt, dann is dat anners und dann geit dat 'n bitten better. … Autorin 17 Christian ist Mitbesitzer eines Autohauses im Ort. Heike kümmert sich um das große Wohnhaus samt Grundstück und Hühnerschar, hat einen Gemüsegarten und Beerensträucher. O-Ton 12 Heike Wir haben so 'ne kleine Mini-Plantage, sehen zu, dass wir das nicht spritzen müssen, das ist ganz wichtig - dann könnt‘ ich’s auch kaufen, 'ne? Das ist also das A und O dabei. Autorin 18 Erst seit ein paar Jahren hat Heike die Pension. Sie läuft gut. Monteure kommen, und auch Fahrrad-Touristen. Außerdem zieht das Wolfcenter zahlreiche Besucher an. 2011 wurde es im ehemaligen Soldatenheim eröffnet. Die Betreiber wollen informieren über den Wolf, der in Deutschland wieder heimisch geworden ist. Übernachten kann man auch, ganz nah an den Wolfsgehegen. Das Angebot, im Baumhaushotel zu wohnen, ist dabei aber keine Konkurrenz, für 390 € pro Nacht bedient es eine eher betuchte Klientel. Heikes Sohn lebt mit Frau und Kind im Haus nebenan, ihre Tochter mit ihrer Familie bei Heikes Mutter im Haus, keine hundert Meter entfernt. Gegenüber liegt das ehemalige Schulhaus, in dem sich Heike und Christian kennengelernt haben. Direkt davor war ganz früher der Versammlungsort. O-Ton 13 Heike Ja, hier wurde das... ja, wie nannte man das...? Christian Dorfgericht! Heike Dorfgericht getagt, also tagte hier. Christian Ja, da wurde... wurden Sachen aus... ausdiskutiert und getan und gemacht, die hier im Dorf weltbewegend waren, mit irgendwelchen... von 'ner... Bau einer Brücke oder Asphaltieren, oder Pflastern einer Straße oder so, das war früher so der Thing-Platz, wo man zusammenkam und... ja. Und in unserer Kindheit, da gab es noch wirklich Leute, die mit der Klingel rumgegangen sind am Samstag und haben Neuigkeiten… Heike Ach ja, genau, das stimmt! Ist aber schon echt weit... Christian Neuigkeiten, was Gesetz war im Ort, (äh) eben halt rausgebrüllt sozusagen. Vorher geklingelt und ging halt von Straße zu Straße und hat dort die Neuigkeiten eben ausgebracht. Autorin 19 Unter dem Gartentisch liegen die vier Jagdterrier Howie, Hero, Gina und Quille. Christian hat mit dreißig den Jagdschein gemacht. Und weil zu einem Jäger auch ein Hund gehört, hat er sich einen zugelegt, einen Rassehund mit Papieren. Mittlerweile züchten sie selber – mit großem Erfolg. O-Ton 14 Heike Es ist jetzt soweit gewesen, dass Christian hier die beiden Jungs, Howie und Hero, beide zur Lackner geführt hat, das ist die Hundeprüfung, das ist die Meisterprüfung, die… dieser Hunderasse, 'ne? Und ist vor zwei Jahren Lackner-Sieger geworden. Das war… also – das war der Hammer! Ja, das war schon toll! Autorin 20 Die Jagd bedeutet beiden viel. O-Ton 15 Christian Als Ausgleich, 'ne? Jäger und Heger, ganz wichtig! Wobei wir immer wirklich auf 'ne ausgewogene Natur Wert legen. Was also mancher gar nicht verstehen kann. Jeder meint, von der Ja… 'n Jäger geht auf Jacht und schießt irgendwo was und. und fertig aus. Ich freue mich, wenn ich fünf Hasen sehe und im Frühjahr dafür sorge, durch Ansaaten, dass die also irgendwann, dass da zehn Hasen sind, oder so. Bevor ich irgendwas schieße, da geh ich wirklich zehn Mal auf Jagd. Autorin 21 So wie ihre Haltung zur Jagd ist auch ihre Sicht auf Natur und Naturschutz. Mit großen Bedenken sehen sie deshalb die Belastung für die Umwelt durch den Verlust der Vielfalt und die einseitige Bewirtschaftung der Äcker und Wälder. Einen Teil der Ländereien, die sie besitzen, verpachten sie daher nicht mehr für landwirtschaftlichen Anbau, sondern haben diese Fläche aufgeforstet und ihrem Privatwald zugeschlagen. Damit leisten sie ihren Beitrag zum CO2-Ausgleich und handeln nachhaltig. Ihrer Meinung nach solle sich unsere Gesellschaft den Naturschutz etwas kosten lassen. Auch wenn damit am Ende keine schwarze Null zu erzielen ist. Musik 3 Titel: Word up Interpret: Cameo Komponisten: Larry Blackmon, Thomas Michael Jenkins Label: Brunswick, LC-Nr. 00136 Autorin 22 Bisher habe ich Heike und Christian noch nicht erzählt, dass ich persönlich mit Drübberholz zu tun habe. Für ihre Großeltern war das ein astreines Tanzlokal. Über die Folge von Nachmietern sind sie gut informiert. Im Dorf hat man sowas im Blick. Da ich nicht genau weiß, welches Süppchen in der Gerüchteküche noch brodelt, welcher Dunst noch im Raum hängt, frage ich erstmal ganz allgemein, was sie so davon halten. O-Ton 16 Christian Tagungszentrum Drübber ist eigentlich nur... ja, (Hund bellt) – in Anführungsstrichen – nicht erwähnenswert, viel schlimmer war der Heisenhof, wo wir uns im Grunde genommen gewehrt haben, die B215 gesperrt haben, wo wir selber mit hingegangen sind, um – sag ich mal – diese Rechtsradikalen Sachen aus Dörverden zu verbannen, 'ne? Nina Da konnt’ ich Euch jetzt gar nicht schocken damit, dass ich mal im Tagungshaus Drübberholz gewohnt habe!? (Lachen) Christian Nee! (Lachen) Heike Nee! Wahrhaftig nicht! (Lachen) Nina Ich dachte, wenn ich mich da jetzt oute, dann... Christian Nee, das ist ja absolut... Heike Nee, warum auch, das ist doch eigentlich sehr schön auch für die Kinder, da sind... hier... was weiß ich: Zirkus, können die da... Zirkusveranstaltungen mit... mitmachen. Christian Spielenachmittage und so weiter und so fort. Heike Genau! (Ups) Christian Da gibt’s... ja, ist doch gut! Autorin 23 Drogenhöhle, Sex-Kommune in Drübberholz...? Solche Spekulationen treiben die beiden Dörverdener jedenfalls nicht um. Abgesehen von der jüngeren Geschichte und dem Intermezzo mit den Neonazis, gibt es hier ganz andere Altlasten …. O-Ton 17 Christian Dörverden hat ja auch 'ne schwarze Vergangenheit. Nina Ja? Christian Früher wurde ja in Barme... gab es ja 'ne Munitionsfabrik im Dritten Reich. Und das ist ’n... Das ist so ’n Punkt, wo also wirklich effektiv, sag ich mal, dem Krieg zugearbeitet wurde mit Zwangsarbeitern und allem drum und dran. Autorin 24 Die Firma Wolff & Co., die schon während des Ersten Weltkriegs Sprengstoff produziert hatte, gründete 1938 die Eibia GmbH, mit einem Standort in Dörverden. O-Ton 18 Christian In Dörverden gibt’s ja 'ne ganze Siedlung, im Grunde genommen, ehemals Baracken, wo auch Zwangsarbeiter oder eben halt Mitarbeiter der Munitionsfabrik gearbeitet haben, 'ne? Also, das ist schon eigentlich 'ne recht ausgeklügelte Begebenheit gewesen, um hier, sag ich mal, für den Krieg zu produzieren, 'ne? Das ist natürlich vor unserer Zeit gewesen, aber das ist so 'ne wirklich so 'ne Sache, die also... wo wir vielleicht auch noch heute noch mal Altlasten finden würden, im Boden, was seinerzeit dort irgendwo verklüftet wurde. Autorin 25 Wirkt die Geschichte noch nach? O-Ton 19 Christian Früher wurde das, ich sag mal, bis nach dem Krieg wurde das ausgeblendet, 'ne? Viele wussten’s, keiner hat’ s gesagt, das geht ja mit andern, äh, Einrichtungen im Dritten Reich genauso. Und unsere Generation hat das eigentlich aufgearbeitet und für uns ist das Geschichte, wo wir nicht dran beteiligt waren. Das ist natürlich auch so. Aber wir wollen’s auch nicht vergessen, dass es eben halt so war, 'ne? Dass hier auch Leute ihr Leben gelassen haben, oder... Das ist ja die Vorgeschichte zur Bundeswehr. Autorin 26 Christian erwähnt, dass auch Amerikaner hier stationiert waren. Als er mir von einem Spiegel-Artikel erzählt, der eindeutig belegt habe, dass in Dörverden-Barme zu der Zeit Atomwaffen lagerten, kommt mir die Beklemmung wieder in den Sinn, die das Leben im „Kalten Krieg“ zuweilen so bleischwer gemacht hat. Den Einheimischen war klar, das Sperrgebiet war tabu. Die Sprengköpfe wurden mit Schießbefehl bewacht. Musik 4 Titel: Army Dreamers Interpret+Komponist: Kate Bush Label: EMI, LC-Nr. 00542 4. Das Forum Zukunft und die Neonazis Atmo 15 E-Auto Autorin 27 Wir sind unterwegs im E-Auto. Bernward Nüttgens vom Tagungshaus Drübberholz ist schon seit vielen Jahren kommunalpolitisch aktiv. Er ist Abgeordneter der Linken. Heute trifft sich der Gemeinderat. Atmo 16 Blinker O-Ton 21 Bernward Ah, da siehst du jetzt gleich noch was Interess(antes), das Kulturgut Ehmken Hoff. Nina Ja, erzähl mal! Bernward Da findet die Sitzung statt. Das ist ein (äh) ja… historisches Gebäude, hier an diesem Platz wieder errichtet worden, mit einer sehr großzügigen Spende der Firma H. F. Wiebe, die das Industriegelände, da die Bahn baut. Es ist noch kein Sau da. Es ist wenigstens noch nicht mal offen bisher. Nina Und was hat es damit auf sich, mit dem Kulturgut? Bernward Na ja, das ist Hobby von… von dem Chef (äh) dieser Firma, Herrn Wiebe, – Ach, Richard ist schon da – (Auto stoppt) und der hat vier Millionen gegeben, damit das hier möglich wird, 'ne Stiftung gegründet mit seinem Namen, ich hab mich da immer sehr zurückgehalten. Also die wollten auch, dass wir da mitmachen und mit in den Vorstand gehen, also nicht ich persönlich, aber die Leute vom „Forum Zukunft“, aber wir haben uns da… wir waren da einer Meinung, dass wir uns da eher zurückhalten. (Aussteigen) Autorin 28 Das „Forum Zukunft“? Was ist das? O-Ton 22 Bernward „Forum Zukunft“, das ist der Verein für nachhaltige Entwicklung in Dörverden. Dörverden ist übrigens die erste ländliche Gemeinde, die eine lokale Agenda verabschiedet hat! Autorin 29 Die Begeisterung darüber ist dem 62jährigen heute noch anzuhören, doch ist auch ein Hauch Resignation dabei. Denn was die UNO beim Weltgipfel in Rio 1992 beschlossen hat – dass jede Gemeinde ihre eigene ‚kommunale Agenda‘ aufstellen soll – war hier tatsächlich die Grundlage für effektive Nachhaltigkeit auf kleinster Ebene. Zwar nur auf dem Papier, aber immerhin! O-Ton 23 Bernward Es wurde damals 'ne Entwicklungsstudie hier erstellt: 2020. Und die Leute, die das angeleiert haben, die waren eben sehr nachhaltig begeistert und das war sehr spannend. Und dadurch haben wir das dann auch geschafft, dass der Gemeinderat das damals verabschiedet hat, sich zwar nicht dran hält, (Schmunzeln) aber... verabschiedet hat! Autorin 30 Bernward ist Vorstandsmitglied des „Forum Zukunft“. Erster Vorsitzender des Vereins ist der Förster Michael Müller, den ich jetzt besuche. Atmo 17 Schritte durch das hohe Gras O-Ton 24 Michael Müller Im Frühjahr, wir haben seit einigen Jahren den Uhu wieder hier, das ist natürlich schön, wenn der dann abends ins Horn stößt. (Lachen) Autorin 31 Im Ortsteil Diensthop liegt stilecht hinter einem Jägerzaun das Forsthaus. In einem nahegelegenen Waldstück spazieren wir zu einem Hochsitz. Ich möchte mehr erfahren über die Arbeit des „Forum Zukunft“, doch Michael Müller hat noch ganz andere Geschichten zu erzählen. Atmo 18 Schritte, Vögel, Insekten (Ankunft Leiter) O-Ton 25 Michael Müller (Leiter hoch.) Jetzt ist leider nichts da, aber hätte ja sein können. Ist einfach 'n lauschiger Platz, 'ne? So mit diesen Erlen und Eichen ringsrum und ja, auf solchen Flächen zieht dann natürlich auch durchaus tagsüber das Wild und... ja. Wir warten immer bis gut in den Juli rein, dass so ziemlich alles abgeblüht ist und die Bodenbrüter auch alle mit ihrem Brutgeschäft durch sind, und dann wird diese Fläche einmal komplett abgemäht und das Material bleibt auf der Fläche liegen, und dann kann man schon sehen, das fängt jetzt an, nachdem wir Regen bekommen haben, wieder durchzuwachsen, und fast am gleichen Tag haben die Störche irgendwie raus, und dann sind die sofort da und staken da hinterher irgendwie Mäuse und... und Frösche fangen... das ist dann schön. Atmo 19 Stille, Vögel, Schritte Leiter hinab Autorin 32 So idyllisch der Wald auch wirkt, so birgt er doch Überreste der Pulverfabrik Eibia; und zwar nicht nur Bunkerruinen und einen geschichtlichen Lehrpfad. Müller hat mit den Altlasten der Gemeinde ganz direkt zu schaffen. O-Ton 26 Michael Müller Gerade im letzten Winter haben wir dann nochmal eine Sprenggranate gefunden, die nicht gezündet hat – und da hab ich den Kampfmittelräumdienst dagehabt, der dann so ganz locker, lässig mit dieser Granate umging, so nach dem Motto: Ja, dieses Geschoss ist nicht abgeschossen worden, das konnte man an den Führungsringen sehen. Ich hatte da Respekt vor, ich hab das Geschoss nicht angefasst und hab die Information eben schnell zum Kampfmittelbeseitigungsdienst gegeben, und die haben das dann auch mitgenommen und ja, ich denke, fachgerecht entsorgt. Autorin 33 Auch die Bundeswehr hatte regelmäßig Spuren hinterlassen. Nach den Herbstmanövern zückte der Schadensoffizier regelmäßig das Scheckbuch, um von Panzern niedergewalzte Zäune zu ersetzen. Ich habe noch gut in Erinnerung, wie die alten Fachwerkwände des Tagungshauses wackelten, wenn all die schweren Geschütze vorbeidonnerten. Den Wald gegenüber mieden wir damals komplett: Bei manchem Manöver wurde scharf geschossen, und da man nie so genau wusste, wann die waren, verzichtete man als Zivilist lieber ganz auf den Waldspaziergang. Als der Standort 2003 geschlossen wurde, waren aber noch ganz andere Verluste zu verkraften. O-Ton 27 Michael Müller Ja, als die Truppe abgerückt war, war natürlich die Sorge groß, viele Menschen sind weggezogen, Kaufkraftverlust, Steuerverlust, im Prinzip die gesamte Infrastruktur für deutlich mehr Menschen ausgelegt und dann ist das nachher nicht mehr. Und das war 'n schwieriger Prozess, aber wie das dann so ist, wenn es kleinen Gemeinden... ja, wenn es denen dann so ergeht und denen bestimmte Dinge... ja, verordnet werden, dann gibt’s natürlich auch so kleine Hilfsprogramme. Autorin 34 Aus Hannover gab es Unterstützung. Moderatoren begleiteten den Prozess. Viele Bürgerinnen und Bürger engagierten sich ehrenamtlich, bildeten Arbeitskreise zu Themen wie Infrastruktur oder Tourismus, kooperierten mit der Politik und der Verwaltung. Bald galt es, sich zu vernetzen und die Arbeit zu koordinieren. O-Ton 28 Michael Müller Dann haben wir uns zu einem Verein zusammengeschlossen und der hat dann 'n paar – kann man so sagen – blühende Jahre gehabt, nicht finanziell, aber wir haben finanziell schon einiges einwerben können für die Gemeinde, für unsere Gemeinschaft hier in Dörverden, und sind so dann auf diese Art und Weise… ja, als… als Verein bis heute eigentlich tätig. Autorin 35 Eine Studie, die 1996 dazu erstellt worden ist, fasst die ersten Ergebnisse der Arbeitskreise zusammen. Sie macht deutlich, wie sehr der Prozess die Menschen der Umgebung ins Gespräch gebracht hat. Und Drübberholz hatte daran einen nicht unerheblichen Anteil. So heißt es im Fazit der Studie: Zitat Beispielsweise wurde das Tagungshaus Drübberholz bisher in der Gemeinde nicht beachtet. Das alternative Tagungshaus zeigte wenig Interesse an den Bedürfnissen der Bevölkerung. Gegenseitige Vorurteile bestimmten das Bild. Inzwischen hat die Bevölkerung die wichtige Rolle erfahren, die solch eine Einrichtung in der Gemeinde einnehmen kann. Die Schwelle, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzusprechen oder sich im Tagungshaus zu treffen, ist geschwunden. Autorin 36 Auch in anderer Hinsicht sollte das Forum aktiv werden – bei den Neonazis! Die den ehemaligen Bundeswehrstandort sehr attraktiv fanden. O-Ton 29 Michael Müller Ja, auf jeden Fall ist dann der Herr Rieger dort eingezogen mit seinen braunen Jungs und Mädels und ja, das war manchmal schon 'n bisschen witzig – das ist… äh oder ja, was heißt witzig, ich sach’s oder nenn’ es einfach jetzt witzig – wenn die da in ihren Kleidchen und ihren Hosen so wie in den 30er, 40er Jahren den Hof gefegt haben und das alles hübsch gemacht haben, Fähnchen rausgehangen haben, das war schon 'n bisschen erschütternd anzusehen und dann gab’s natürlich Bewegung im Dorf, das wollte man dann nicht. Autorin 37 Jürgen Rieger, 2009 verstorben, war NPD-Vizevorsitzender und vertrat als Anwalt Neonazis. Im Tagungshaus Drübberholz wohnten Astrid und Bernward nur einen Steinwurf entfernt – sie erinnern sich nur zu gut an diese Nachbarn. Ein Dreivierteljahr, erzählt Astrid, war die Situation... O-Ton 30 Astrid ...sehr angespannt und sehr schwierig, vom Gefühl her, 'ne? Wenn... (ähm) Die Nähe, ’ne? Wenn die dann... wenn... ach ja, von hier aus meinetwegen irgendwelche Gäste mal rübergegangen sind, um da gucken zu wollen, und dann gleich postwendend irgendwie jemand zurückgekommen ist, Kennzeichen aufgeschrieben hat... Ganz am Anfang war’n se mal hier drin, haben fotografiert und einer stand mit Schlagstock vor der Tür und das waren alles so Dinge, die sehr unheimlich sind, wenn man weiß, das eigene Kind fährt da lang zur Schule, 'ne? O-Ton 31 Bernward Also, Jürgen Rieger hat das ja mit der Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation bei einer Versteigerung in Berlin gekauft, und hier... (äh) Niemand wusste hier, was dahintersteckt, wer das gekauft hat, und es gab Gerüchte im Dorf, wie es so immer Gerüchte gibt, die gingen von Kloster bis Puff. Und (ähm) im August wurde dann klar, dass da Nazis eingezogen sind. ...durch Zufall mehr oder weniger. Wir wussten mittlerweile, dass Jürgen Rieger dahinter steckt und wenn man Jürgen Rieger in… bei Google eingibt, ’s gibt 80 000 Seiten dazu – gab’s jedenfalls damals. Autorin 38 Das Forum Zukunft wird aktiv – und schafft Öffentlichkeit, erinnert sich der Vorsitzende Michael Müller: O-Ton 32 Michael Müller Und das war dann auch so’n bisschen was, wo wir letztendlich die Strukturen, die dann ja geschaffen wurden über das Forum, über diese Arbeitskreise, auch genutzt haben, um dann im Verbund gemeinsam – Parteien, Vereine, Verbände, Privatpersonen – alle als Aktivisten zu gewinnen und jeder wiederum in seinem Kreis Menschen anzusprechen und dafür zu werben, eine entsprechende Veranstaltung oder mehrere Veranstaltungen durchzuziehen. O-Ton 33 Bernward Und da hatten wir Pastor Bartmuß aus Lüneburg und andere Leute – auch jemanden vom Verfassungsschutz –auf’m Podium, haben wir im Soldatenheim gemacht, die Veranstaltung, und haben gehofft, das wenigstens auch Dörverdener kommen. Und ich bin so… – es sollte um halb acht anfangen – ich bin um sieben zum Bahnhof gefahren, den Pastor Bartmuß abholen, da war noch niemand da. Und wie wir zwanzig Minuten später zurückkamen, war alles zugeparkt. Es waren dreihundertfünfzig Leute auf der Veranstaltung in einem Saal, in den zweihundert gehen und die war schon… die hat schon gezündet, die Veranstaltung. Musik 5 Titel: Word up Interpret: Cameo Komponisten: Larry Blackmon, Thomas Michael Jenkins Label: Brunswick, LC-Nr. 00136 Autorin 39 Für Astrid Andrzejewski und Bernward Nüttgens vom Tagungshaus Drübberholz ergab sich aus dieser Nachbarschaft manch seltsame Begebenheit. So war im Gegensatz zu seinen Herrchen der Hund der Nachbarn sehr zutraulich, zu zutraulich, erinnern sie sich, während ihr eigener Hund unter’m Tisch Ball spielt. O-Ton 34 Astrid Spätestens zu dem Zeitpunkt, als permanent deren Hund hier war, na ja, hatte man da natürlich mehr Kontakt als man wollte. Bernward Na ja, waren auch immer so die Frage: „Na ja, hast de nich’ Angst? Ich sach: „Du, ich geh da auch auf’n Hof, die tun mir nix!“ Astrid Ja, zu der Zeit, am Anfang, wusste man das aber noch nicht. Bernward Wusste man nicht, ja, aber da... wir haben den Hund x-mal wieder zurückgebracht. Astrid Als, als der Hund... Das hatte schon mit dem Hund, glaub ich auch, wirklich zu tun, ’ne? Autorin 40 Das wiederum führt in der Folge zu skurrilen Situationen. O-Ton 35 Bernward Unschöne Sachen wie, man geht durch die Fußgängerzone (Schmunzeln) und wird von den Nazis, von dem Nazi-Stand: Ah, die Nachbarn kommen ja auch! (Lachen) Autorin 41 Ein paar Jahre dauert der Spuk an. Dann ist es vorbei. Doch bis heute gibt es Befürchtungen, die rechte Szene könnte erneut auftauchen. Die Gebäude stehen nun seit längerem wieder leer, und verfallen langsam. Was aus ihnen wird, weiß niemand. Musik 6 Titel: Finger weg von meiner Paranoia Interpret+Komponist: Element of Crime Label: Universal, LC-Nr. 01846 5. Spiel-Räume und Party Atmo 21 Spiele-Runde 1 (Tichu) Autorin 42 Zum Tagungshaus Drübberholz gehört nicht nur das weitläufige Außengelände samt Erlebnispfad, Fußballplatz und Sauna! Auch innen ist viel Platz mit verschiedenen Gruppenräumen und zwei großen Sälen. Und es beherbergt das „Spielezentrum Niedersachsen“. Die Spielesammlung hatte schon zu meiner Zeit einen beachtlichen Umfang. Und bereits damals haben wir die Vorausscheidung zur Brettspielemannschaftsmeisterschaft, die jährlich in Essen stattfindet, bei uns ausgetragen. Astrid und Bernward zeigen mir die heutige Sammlung, die umfangreichste öffentlich zugängliche in Niedersachsen. O-Ton 36 Astrid Ja, also wir haben jetzt zwei Spielezimmer, weil das passte natürlich nicht mehr alles in eins. Haben knapp 7000 verschiedene Brett- und Kartenspiele, aber dazu kann dir Bernward nachher noch mehr sagen. (Lachen) Bernward Schmunzeln Nina Knapp 7000, das ist die aktuelle Zahl? Astrid Ja! Bernward Ja! Astrid Ja, ganz aktuell ausgerechnet. Nina Ich hab gehört, dass das gut archiviert ist. Astrid Ja. Alle Spiele sind katalogisiert, sind in den Computer eingegeben, die Spielanleitungen kopiert und die Originale abgelegt und… ja. Bernward Wir haben zwei Jahre lang ’ne Stelle nur dafür gehabt, die eigentlich nur die Spiele bearbeitet hat. Frag mich nach ’nem Spiel und ich sag dir, wo es steht! Autorin 43 In Berlin hatte mir die Spieleerfinderin Andrea Meyer schon erzählt, welche Bedeutung die Sammlung für ihre Arbeit hat – und warum sie den Ort so schätzt. O-Ton 37 Andrea Meyer Dass es eben einerseits Spiele in das Zentrum stellt von Spieleseminaren, für die, die sowieso schon gerne spielen, es gibt auch nach wie vor den wöchentlichen Spieleabend dort. Und dass es aber umgekehrt – dadurch dass sie ja auch zunehmend Klassenfahrtenziel sind – mit halt Naturpädagogik und was weiß ich nicht alles – dass es einfach Kindern heute, die vielleicht nicht mehr so viel Umgang mit Brett- und Kartenspielen haben, näher bringt, dass das 'n Thema sein kann, dass das Spaß machen kann, auch jenseits von Monopoly und Mensch-ärger-dich-nicht und… Also diese… diese Präsenz der Spiele, die ist einfach durch die Masse beeindruckend, egal ob man Spiele toll findet oder nicht. Autorin 44 Die 44jährige Andrea war früher bei unzähligen Brettspieleveranstaltungen im Haus, hat Prototypen ihrer Erfindungen dort ausprobiert und bei ihrer Arbeit immer wieder Unterstützung erfahren durch andere Kollegen, Mitspieler, und vor allem durch Astrid und Bernward. O-Ton 38 Andrea Es gab wenig, was nicht möglich war. Enabler würde man auf Neudeutsch sagen, ne? Also tatsächlich da, wo Kreativität da ist, Leuten unter die Arme greifen; auch mit Geld, wenn's notwendig ist, aber eben eher Infrastruktur bieten, Möglichkeiten schaffen. Und das Ganze mit größtenteils wirklich 'ner großen, großen Gelassenheit. Insgesamt sind einfach Dinge möglich dort und man kann sich ausprobieren und das ist ne ganz, ganz große Ressource, also wer immer das nutzen kann und nutzen will, sollte das dringend tun. O-Ton 39 Nina Es ist tatsächlich meine allererste Erfahrung gewesen mit Drübberholz. Ich war auf diesem SAM-Seminar und es gab da diesen... das was jetzt die neue Halle ist, dieser neue große Saal, das war damals eine unendlich große Rumpelkammer, das war eigentlich komplett vollgestellt und man konnte da überhaupt nicht durchkommen. Und wir haben Bernward angesprochen, wir hatten irgendwie 'ne tolle Idee, was wir machen wollen, und dann haben wir gesagt Bernward lass uns doch mal hier nach Dörverden fahren und lass uns da 'n Einkaufswagen vom Parkplatz leihen, bringen wir Montag wieder zurück. Bernward guckte, stutzte, sagte: Einkaufswagen? Und (dann) stapfte er nach hinten in diesen großen Raum und holte einen Einkaufswagen aus diesem Gerümpel und es war... von dem Moment an hab ich gedacht: Da ist alles drin! Da ist alles drin! Autorin 46 Seit nunmehr siebenundzwanzig Jahren findet alljährlich zwischen den Jahren das große Silvesterseminar SAM statt, mit über sechzig Teilnehmern. SAM steht für Spielen, Akrobatik und Musik. Der Berliner Stefan Ast ist Mitte vierzig und häufig zu Gast in Drübberholz. Er war vor fünfundzwanzig Jahren zum ersten Mal bei einem SAM dabei – eine sehr intensive Erfahrung. O-Ton 40 Stefan Ast Anstrengend, aber schön, hieß es, glaube ich, immer. (Lachen) Also, man ist quasi 'ne knappe Woche von früh bis spät vollkommen beansprucht, aber eigentlich von lauter schönen Sachen, man kocht zusammen, nach dem Abendessen setzt man sich zusammen und spielt, am nächsten Tag – je nachdem, wann man wach wird – gibt's dann Workshops, wo man z.B. also Sachen macht, die man noch nie gemacht hat, wie im Chor singen oder Marionettenpuppen bauen oder Tango tanzen (Lachen) und die irre Sache passiert eigentlich so um Silvester herum, da werden dann zufällig Gruppen ausgelost – das ist eigentlich so auch glaub ich ein Prinzip, was da häufiger gemacht wird, dass man sich sozusagen immer wieder neu zusammenfindet und zusammenrauft – und die Gruppen sind dann aufgerufen, den Silvesterabend zu gestalten. Da wird dann gekocht zusammen und ein Auftritt gemacht zu einem vorgegebenen Thema und das wird dann aufgeführt Silvester. Atmo 24 Jokes, Probe, Musik, Kinderstimmen, Klatschen, Stimme der Trainerin, Lachen Autorin 47 Die Halle, jene ehemalige Rumpelkammer, ist heute nicht wiederzuerkennen: Ein spiegelblanker Parkettboden, schwere Samtvorhänge als Schallschutz und am Kopf des 200 qm großen Saales – wie ein Bild an der Wand – eine goldgerahmte Theaterbühne. Atmo 24 wieder hoch Autorin 48 Davor probt die Gruppe aus Bremen, die zurzeit im Haus ihr Seminar abhält. Trainer der Zirkusschule Jokes üben mit fünfundzwanzig Kindern für ein Bühnenprogramm, das sie in der folgenden Woche in ihrer Schule aufführen wollen. Atmo 24 (steht hier frei) Trainerin Handstand Lothar! Aaron! Ben! Applaus Atmo 25 Feedback der Kinder, darüber: Autorin 49 Dietmar Hatesuer ist Mitbegründer und Geschäftsführer von Jokes. Wieso fahren sie für ihren Workshop bis nach Dörverden? O-Ton 41 Dietmar Hatesuer Es gibt ja so 'ne Zirkusszene, da kennt man sich unter’nander und es gibt das Gauklertreffen hier, einige Trainer von unserer Zirkusschule, die sind regelmäßig hier beim Gauklertreffen dabei und von daher kennt man sich einfach unter’nander und von daher war das ganz schnell klar, irgendwie das ist DER Ort hier, wo wir unsern Zirkus machen wollen. Autorin 50 Seit über zehn Jahren kommt er regelmäßig mit Gruppen nach Drübberholz. Die Ausstattung bietet optimale Bedingungen. Es gibt einen großen Fundus, Kostüme und Geräte, die Astrid und Bernward über die Jahre gesammelt haben. O-Ton 42 Dietmar Hatesuer Es gibt auf jeden Fall Seillaufanlage, es gibt Trapez hier, es gibt Einräder, es gibt Jongliersachen und die können wir mit nutzen und das ist total klasse für uns! Autorin 51 Für den „Hausherren“ Bernward ist das, was die Zirkusschule Jokes nach Drübberholz lockt, genau das, was er sich mit dem Projekt damals erträumt hat: Frei-Räume zu schaffen. Ich habe dort Ende der Achtziger Jahre in der Tat aufgeatmet: Die Teenagerin, die ich war, wollte auf keinen Fall angepasst sein. Und „anders zu sein“ war hier – im Gegensatz zum Rest der Republik – völlig ok, hier waren alle „ein bisschen anders“. O-Ton 43 Bernward Die andere Seite dieses Projektes ist ja auch, dass man eben nicht auf Demos geht, sondern hier eher einen Lebensraum entwickelt und das weitergibt durch dieses Leben. Dass du – wie dir, aber auch den… den Gruppen, die hierherkommen – zeigst, dass es Freiräume geben kann, in denen man nicht in Konkurrenz leben muss und ähnliche Dinge. O-Ton 44 Dietmar Hatesuer Was ich persönlich auch immer klasse finde, dass man hier viele Freiheiten hat, also dieses auch selber Kochen, sich selber das hier gestalten zu können, ganz viel Möglichkeiten zu haben, was diese ganzen Spiele hier angeht, was diesen Riesen-Saal angeht und die Halle angeht, da kann man total viel drin machen und das ist irgendwie immer großartig. Autorin 52 Und für die Kinder der Zirkusschule bedeutet das,... O-Ton 45 Dietmar Hatesuer ...dass diese Kinder sich ausprobieren können und... und ihre Fähigkeiten in ganz vielen verschiedenen Bereichen entdecken können. Also, es gibt welche, die eher ruhig und konzentriert sind, die meinetwegen auf der Laufkugel laufen, so, und ganz konzentriert für sich da sind und es gibt welche, die lieber in der Luft sind und Diabolos durch die Gegend werfen – pa pa pap – und immer aktiv sind und immer in Bewegung sind, die merken: Boah und das kann ich! Musik 7 Titel: Always look on the Bright Side of Life Interpreten: Monty Python Komponist: Eric Idle Label: Virgin, LC-Nr. 03098 Atmo 26 Bernward (begrüßt Party-Gäste) Wir freuen uns sehr, dass Ihr alle da seid... Autorin 53 Last but not least wird in Drübberholz gern gefeiert! Astrid und Bernward haben zur Party geladen. Das Buffet steht bereit, in der Halle probt die Band, die Gäste haben sich im Garten versammelt. Viele von ihnen kommen regelmäßig zu Seminaren und bezeichnen sich selbst als „Drübber-Familiy“. Sie kennen schon den Labadu, Bernwards Lieblingstanz; es ist ein Ritual, diesen spielerischen Kreistanz mit jeder Gruppe einmal zu tanzen. Atmo 27 Bernward Eine Sache noch: Macht doch mal 'n großen Kreis! ... Einige kennen es schon einige kennen es noch nicht... Jetzt will ich machen, was ich am liebsten mache: Singen und Tanzen! „Tanzen wir den Labadu...“ Autorin 54 Ich hatte ihn fast vergessen, obwohl ich schon unzählige Labadu-Runden mitgetanzt habe. Wie früher ist Drübberholz immer noch ein etwas exotischer Ort. Gleichzeitig ist Vieles von dem Geist, der hier weht, längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Weder „Jonglierseminare“ noch „Nachhaltigkeit“ sind heutzutage „alternativ“ oder „exotisch“. Ich bin gespannt, wie die Geschichte weitergeht. Astrid und Bernward jedenfalls träumen schon von der nächsten Baustelle und die geht dann in Richtung „Generationsübergreifendes Wohnen“. Kennmelodie Sprecher v. Dienst: Vom Pulverfass zum Baumhaushotel Unterwegs im niedersächsischen Dörverden Sie hörten eine Deutschlandrundfahrt von Nina West. Ton: Inge Görgner Regie: Roswitha Graf Redaktion: Margarete Wohlan Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2015. Manuskript und das Audio zur Sendung finden Sie im Internet unter deutschlandradiokultur.de 1