COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 14. Mai 2012, 19.30 Uhr Vertrauen Sie mir, ich weiß wovon ich spreche! Wie viele Experten vertragen die Medien - wie viele Experten verträgt die Wissenschaft? Von Julius Stucke INTRO 01 (Hallervorden "Der Experte") (Frau) Unser Experte ist eingetroffen. (Mann) Sö, sö, sö und saus, saus, saus. O-Ton 01 (Volker Perthes): "Gelegentlich ist gerade in Krisensituationen der Druck so groß, einen Experten vors Mikrofon oder die Kamera zu bekommen, dass die Medien es selbst an Sorgfalt mangeln lassen." 02 (Hallervorden "Der Experte") (Mann, insistierend, laut) Und wenn irgendjemand Ihre Fähigkeiten bezweifeln sollte - den machen sie fertig! O-Ton 02 (Hans Peter Peters) "Die Medien brauchen die Experten, glaube ich ganz stark, weil viele der Themen, die uns heute bewegen in der Gesellschaft - also alles, was mit Umwelt, alles, was mit Risiko zu tun hat, mit Energieversorgung ja ganz klar Themen sind, bei denen man mit common sense nicht mehr weit kommt." (Hallervorden "Der Experte") (Mann, laut) Wir brauchen einen Profi und keinen Dilettanten. Einen Spezialisten, einen Experten! O-Ton 03 (Peter-André Alt) "Unsere Gesellschaft hat zwar Stück für Stück den Gottesglauben abgelegt und ist säkular geworden, verweltlicht - aber sie hat immer noch einen großen Glauben an die Vorhersehbarkeit von Ereignissen. Und diesen Glauben hat sie den Experten übertragen. (Hallervorden "Der Experte") (Mann 1) Ab heute wird gemacht, was er sagt! (Mann 2) An den Tag werden wir noch lange zurück denken! Sprecherin vom Dienst: Vertrauen Sie mir - ich weiß, wovon ich spreche! Wie viele Experten vertragen die Medien - wie viele Experten verträgt die Wissenschaft? Von Julius Stucke TEIL 1 - Die Medien und das Experten-Universum Sprecherin: Jeden Tag begegnen Ihnen als Radiohörer, Fernsehzuschauer, Zeitungsleser: Experten. Autor: Jeden Tag sind wir Journalisten auf der Suche nach: Experten. Sprecherin: Jeden Tag dreht sich das Expertenkarussell. Kriselnde Königshäuser, kränkelnde Kicker oder crashende Kurse. Societyexperten, Fußballspezialisten oder Börsenkenner. Stimmen von außen oder redaktionsinterne Experten. Solche mit Sachverstand und selbsternannte Universalexperten. Unabhängige und andere, die versuchen, eine bestimmte Position mehr oder weniger unauffällig nach vorne zu bringen. Solche, die zu sehen und zu hören sind - andere, die im Hintergrund bleiben. Collage 01 Darüber sprechen wir mit unserem Weltraumexperten // Ganz China in Aufruhr - UFO-Forscher diskutieren eine brisante These// Am Telefon ist jetzt unser Weltraumexperte Autor: Experten in den Medien, das ist ein eigenes kleines Universum, das zunehmend kritisiert wird: zu viele Experten, aber zu wenig Expertise. Prominenz statt Sachverstand. Die gleichen Gesichter wandern von Talkshow zu Talkshow. In einer verdichteten Arbeitswelt vergessen wir Journalisten zu recherchieren - wir fragen einfach einen Experten, der wird schon recht haben. Wir erklären nicht mehr, der Experte erklärt. Und wenn wir eine These haben, dann suchen wir uns den, der unsere Meinung bestätigt. Ist es nicht so? O-Ton 04 (Michael Lüders) "Ich hab die Erfahrung gemacht, dass zum Beispiel gelegentlich Interviewer Fragen stellen, die das Ziel haben, aus mir herauszuhören, dass doch der Islam, irgendwie per se im Koran angelegt, eine fanatische Religion sei um nur ein Beispiel zu nennen." Sprecherin: In Krisensituationen rufen Journalisten besonders schnell nach dem Experten, der einordnet, einschätzt, erklärt. Die Attentate in Norwegen sind ein prominentes Beispiel aus dem vergangenen Jahr. Collage 02 (diverse Nachrichtensendungen vom 22.07.2011): Ein Grundverdacht gegen Al-Qaida // wegen der Beteiligung Norwegens an den Einsätzen in Afghanistan // wir wissen, dass ein führender Hassprediger in Norwegen residiert // Sprecherin: Waren hier Terrorexperten oder Errorexperten auf dem Sender, lautete eine bissige Frage, nachdem auf vielen Kanälen Experten blitzschnell die Möglichkeit eines islamistischen Terroranschlags thematisierten - und damit weit daneben lagen. Autor: Und wenn die Faktenlage dünn ist, wenn handelnde Personen schweigen oder nicht befragt werden können, dann bietet der Expertenjahrmarkt eine Allzweckwaffe, die immer funktioniert: Collage 03 Selbst wenn wir nichts sagen spricht unser Körper Bände, es ist eine faszinierende Wissenschaft, der wir gleich mit einem Experten auf den Grund gehen // Buchautor und Experte für Körpersprache und Kommunikation // Körpersprachlich empfindet er die Aussagen der Staatsanwältin als Angriff - und das sieht man ganz klar darin, dass er die Bombe macht, das heißt die Finger wegspreizt, statt sie zu falten. Autor: Auch dieses Feature kommt nicht ohne Experten aus. Bisweilen eine eigenartige Situation - die Suche nach dem Experten-Experten. Ein Medienwissenschaftler, der an dieser Stelle auftauchen sollte, wollte das lieber nicht. Er halte nichts vom Begriff ,Experte', so die Begründung. Er sei Journalist und Wissenschaftler, und wolle nicht als Experte kategorisiert werden - auch nicht als einer für die "Experten-Unsitte". TEIL 2 - Ein Experte, was ist das eigentlich? Musikausschnitt 01 (Dieter Hildebrandt): Ich habe studiert, ich habe Moral, auch mein IQ ist mehr als normal Ich bin sehr belesen, bin technisch versiert, politisch gebildet, an Kunst interessiert In Ökonomie hab ich sehr viel gemacht, der Ökologie aber immer gedacht Ich bin auch dynamisch, ich zeige auch Härte Doch bin ich gescheitert, ich bin kein Experte O-Ton 05 (Hans Peter Peters): "Ich bin ein Experte, wenn Sie mich über Dinge befragen, über die ich Spezialwissen habe. Das heißt es gibt Sonderwissensbestände, die dazu führen und es gibt praktische Probleme, zu denen die Inhaber dieser Sonderwissensbestände dann auch etwas sagen können." Sprecherin: Professor Hans Peter Peters, Sozialwissenschaftler. Er arbeitet am Forschungszentrum Jülich und an der Freien Universität Berlin.Einer seiner Schwerpunkte: Wissenschaft und die Medien. O-Ton 06 (Hans Peter Peters): "Also in dem Sinne bin ich jetzt ein Experte für das Verhältnis von Experten und Medien." Sprecherin: Der Wissenschaftler als Experte - auf seinem Fachgebiet. O-Ton 07 (Hans Peter Peters): "Aber das ist nicht auf wissenschaftliches Wissen beschränkt, die Psychologen, die Experten beforschen, die legen den Begriff Kompetenz und Spezialkompetenz dann auch sehr weit aus, und sie würden zum Beispiel auch einen besonders guten Schachspieler als Experten für Schach bezeichnen." Sprecherin: Der Experte - das ist eine Rolle auf der Medienbühne. Angenommen, Wissenschaftler arbeiten an einem neuartigen Impfstoff, erforschen ein Bienenvolk oder den Nichtwähler. Wenn die Medien darüber berichten, werden sie den Wissenschaftler befragen: Was ist das für ein Forschungsprojekt, welchem Zweck dient es, welche Ergebnisse gibt es bereits? In diesen Fällen nimmt der Wissenschaftler die Rolle des Forschers ein. O-Ton 08 (Hans Peter Peters): "Und das ist eigentlich sozusagen die natürliche Rolle des Wissenschaftlers und auch vielleicht die, die er oder sie am liebsten einnimmt." Autor: Häufig allerdings interessieren Journalisten sich gar nicht so sehr für diese Rolle - Wissenschaftsjournalisten oder Fachredaktionen mal ausgenommen. Oft sind sie gerade im tagesaktuellen Betrieb auf der Suche nach jemandem, der sich auskennt und hilft. O-Ton 09 (Hans Peter Peters): "...um etwas zu erklären, was Relevanz für den Alltag oder die Politik oder die Gesellschaft im Allgemeinen hat. Also, sie werden danach gefragt, warum die Konjunktur jetzt so und nicht anders verläuft, sie werden danach gefragt, ob ein bestimmter Stoff im Essen gefährlich ist oder nicht - und so weiter. Und immer dann, wenn sie zu solchen im Grunde außerwissenschaftlichen Fragen Stellung beziehen, kann man sagen, sie werden in der Rolle von Experten befragt." Stimme 1 (weibl.): Bunte.de befragt den "Royalty Experten" Guido Knopp. Herr Knopp, wer ist nervöser - William oder Kate?" Stimme 2 (männl.): Ich kann mir vorstellen, dass Kate noch ein bisschen aufgeregter ist. Die ganze Welt guckt auf sie: Ihre Hochzeit wird mit der ihrer verstorbenen Schwiegermutter Diana verglichen werden - das ist wie eine dunkle Wolke am Horizont. Stimme 1: Haben Sie William und Kate je persönlich getroffen? Stimme 2: Nein. Sprecherin: Viele Berufsbezeichnungen sind geschützt: So darf sich nicht jeder als Sachverständiger bezeichnen. Den Titel ,Experte' allerdings darf jeder führen, der sich dazu berufen fühlt - das ist bei seinem Gegenpart dem Journalisten interessanterweise genauso. O-Ton 10 (Holger Wormer): "Genau an dem Gebiet liegt das Problem! Wenn mir zum Beispiel Franz Beckenbauer dann Tipps gibt, ob ich mich gegen die Schweinegrippe impfen lassen soll oder nicht, dann wird das problematisch..." Sprecherin: Holger Wormer, Journalist und Professor für Wissenschaftsjournalismus am Institut für Journalistik der TU Dortmund. O-Ton 11 (Holger Wormer): "Wenn Oliver Kahn als Fußballexperte auftritt und nur über Fußball redet, dann ist es in Ordnung. Wenn Sarah Wiener über das Kochen redet, dann ist das in Ordnung - weil: Da ist sie Expertin. Die kann besser kochen, als wir alle zusammen. Problematisch wird es, wenn Sarah Wiener als Ernährungsexpertin auftritt." Autor: Das mit dem Fachgebiet ist allerdings so eine Sache. Volker Perthes zum Beispiel, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, befasst sich mit Außen- und Sicherheitspolitik, forscht über politischen Wandel im mittleren und nahen Osten. Er tritt regelmäßig in den Medien auf, und es gibt Gebiete, auf denen man ihn mit gutem Gewissen als Experten bezeichnen kann - nur.... O-Ton 12 (Volker Perthes): "Ich mag das gar nicht, wenn man mich als Experten ankündigt - weil Medien gelegentlich dazu neigen, einen heute als Experte für dies und morgen als Experte für jenes darzustellen. Und ich würde zugeben, dass ein Frisör ein Experte fürs Haareschneiden ist, aber ein Wissenschaftler ist nicht unbedingt ein Experte für die eine Sachfrage oder das eine Land, das die Medien gerade behandeln wollen." Autor: Ähnlich geht es Michael Lüders. Er hat Islamwissenschaften studiert, Politologie und Publizistik, hat Dokumentarfilme gedreht und als Nahost-Korrespondent gearbeitet. Heute berät er Politiker, die Wirtschaft, schreibt Bücher und ist: Experte! Für was genau? Collage 04: Und bei mir im Studio ist der Islam-Experte Michael Lüders // begrüßen wir den Islamismus- und Terrorexperten Michael Lüders // von dem Iran und Mittelost Experten // der Nahost-Experte und Publizist Michael Lüders. O-Ton 13 (Michael Lüders) "Auch wenn es sich etwas erstaunlich anhört: Ich selbst sehe mich eigentlich nicht als Experten, sondern ich sehe mich als jemanden, der versucht Aufklärung zu betreiben und Hintergründe zu beleuchten. Aber ich sehe mich nicht notwendigerweise als Experten - auch wenn ich natürlich eine gewisse Kenntnis habe über die Verhältnisse in der arabisch-islamischen Welt, die ich seit 30 Jahren verfolge und beobachte. Aber die Bezeichnung eines Experten im Kontext der Medien ist in der Tat häufig ein bisschen beliebig. Am erstaunlichsten finde ich immer die Bezeichnung Islam und Terrorexperte in einem Atemzug als sei das nun beides gewissermaßen dasselbe in Grün, die beiden Seiten derselben Medaille." Autor: Er sieht sich selbst nicht als Experten - aber er bietet sich den Medien als Experte an. War das irgendwann eine bewusste Entscheidung? Ab heute arbeite ich als Experte. Nein, sagt Lüders, er sei in die Rolle hineingewachsen. O-Ton 14 (Michael Lüders) "Das fing an mit dem 11. September 2001, als ich einen Auftritt hatte, damals noch bei Alfred Biolek in einer Talkshow. Und was ich dort sagte, über Osama bin Laden, über die möglichen, damals noch nicht bekannten Attentäter, hat doch viele interessiert. Und daraus erwuchsen dann gewissermaßen andere Aktivitäten und im Laufe der Zeit hat sich das dann verfestigt und auch verselbständigt." Autor: Lüders sitzt in einem Café im Baulärm der Berliner Mitte. Zwischen einer Reise nach Straßburg - der Fernsehsender Arte hat geladen - und dem nächsten Interview, gleich im Anschluss: Fliegender Wechsel! O-Ton 15 (Michael Lüders) "Ich habe nen hohen Anspruch an mich und ich versuche die Arbeit so gut wie möglich zu machen. Ob das jetzt gut oder schlecht ist vom Ergebnis her, das muss der Zuhörer oder Zuschauer dann beurteilen" (Professor Hastig) (Kermit) Und heute wird Professor Hastig zu uns (...) sprechen. Professor! Herr Professor bitte hierher! (Hastig) Was? Sprecherin: Experten sollten sich nicht nur auskennen - sie müssen auch den Gesetzen der Medien folgen. Fortsetzung (Professor Hastig) (K) Das Publikum wartet auf Ihren Vortrag. Herr Professor! (H) Oh! So, so, ja. Mein Thema heute äh, äh... Sprecherin: Besonders im Fernsehen und im Radio heißt das: präsentieren können. Nicht jeder Experte ist telegen, nicht alle können allgemein verständlich und klar formulieren. Fortsetzung (Professor Hastig) (H) ja, richtig, ja, ja. (...) (K) Äh Professor! Aufwachen, Professor! (...) (H) Ja, damit ist mein heutiger Vortrag beendet! Sprecherin: Der Professor für Wissenschaftsjournalismus Holger Wormer meint: Wissenschaftler seien als Experten heutzutage zwar präsenter - seien aus der Langweilerecke herausgekommen - aber es gäbe nach wie vor wenige wirklich medienwirksame: O-Ton 16 (Holger Wormer): "Also dass ich die ne Stunde in die Talkshow setzen kann, ohne dass da der Drang zum Umschalten zu groß wird, da haben wir halt bis heute nicht allzu viele Leute, die das wirklich können und umgekehrt die dies können dann, sind dann auf der fachlichen oder der Seriositätsseite nicht immer die allerbesten." Autor: Und so kommt es, dass medial erprobte Experten immer wieder auftauchen, von Sender zu Sender wandern, bis sie manchmal als Dauergäste in Talkshows enden. Einige Experten werden von den Medien als ,Stars' geadelt. Sprecherin vom Dienst: Starökonom Hans-Werner Sinn: Der Griechenland-Plan ist illusionär! Sprecherin: Starphilosoph Richard David Precht: Sex ist ein Abfallprodukt der Elternliebe! Sprecherin vom Dienst: Star-Physiker Harald Lesch glaubt nicht ans Beamen! Trenner Ein Frage noch, mit der Bitte um eine kurze Antwort: Sprecherin: Journalisten mögen es kurz und knackig: Ein knappes, präzises Statement, 30 Sekunden für die Einschätzung eines hochkomplizierten und komplexen Themas. Bleibt dabei gezwungenermaßen Inhalt auf der Strecke? Volker Perthes: O-Ton 17 (Volker Perthes): "Die Frage "Ist das Regime gut oder ist das Regime nicht gut?", die kann man tatsächlich auch einfach und ohne Relativsätze beantworten. Die Frage "Was wird morgen stattfinden", die kann ich nicht beantworten. Ich kann Szenarien darstellen, das kann ich auch mit einfachen Sätzen machen, aber die Kristallkugel haben wir auch nicht und Kollegen, die behaupten, dass sie sie haben, sollte man auch nicht belohnen. Wir haben natürlich die Kollegen aus den Wirtschaftsforschungsinstituten, die in der Lage sind, jeweils am Anfang des Jahres Ihnen präzise zu sagen, wo am Ende des Jahres der DAX steht, oder wie hoch die Wachstumsrate auf die Ziffer nach dem Komma im Jahre 2013 sein wird. ... Da besteht dann ein großes Interesse, am Ende des Jahres zu vergessen, was man am Anfang des Jahres sehr genau prophezeit hat." Sprecherin: Wissenschaft ist selten definitiv, selten endgültig. Und selbst wenn ein Experte entsprechend vorsichtig formuliert - ist noch nicht gesagt, dass dies in den Medien auch so rüberkommt, meint der Professor für Wissenschaftsjournalismus Holger Wormer: O-Ton 18 (Holger Wormer): "...dann kommen Sie als Hörfunkjournalist und sagen ,na, fünf Sekunden muss ich noch rausschneiden' - dann schneiden sie garantiert den Satz raus, wo gesagt wird ,na ja, das ist noch ne sehr vorläufige Studie und so weiter. Autor: Wir haben es gerne eindeutig - Volker Perthes meint darüber hinaus, wir hätten es gerne alarmistisch: O-Ton 19 (Volker Perthes): "Experten, die sagen, dass ohnehin in dieser Region oder diesem oder jenem Politikfeld alles den Bach runter geht und ganz katastrophal wird - die haben großen Wert für die Medien, so scheint es jedenfalls. Derjenige, der sagt, es ist zwar alles recht kompliziert, aber man kann möglicherweise Wege finden, kommen allenfalls in den Qualitätsmedien zu Wort. Wer alarmistisch ist, kriegt die besseren Sendeplätze." Autor: Holger Wormer bringt noch ein anderes Mediengesetz ins Spiel: O-Ton 20 (Holger Wormer): "Es ist sehr wohl so, dass Medien häufig in ner Dramaturgie denken, das heißt, im Zweifelsfalle brauche ich den einen, der sagt: "Oh, das ist aber alles ganz schlimm", und ich brauche den anderen, der aber sagt: "Es ist alles ganz toll'. Sprecherin: Ein Experte, der seine Rolle auf der Medienbühne spielt, dürfe jedoch nicht vergessen, so der Soziologe Hans Peter Peters, für wen er gerade eine Einschätzung abgibt, nicht für sein Institut oder den jeweiligen Sender, sondern für die Zuschauer, Leser, Hörer. O-Ton 21 (Hans Peter Peters): "Letztendlich braucht man auch so etwas wie Loyalität zum Klienten! Also wenn ich zum Arzt gehe, erwarte ich, dass er meine Interessen vertritt, wenn ich zum Rechtsanwalt gehe, natürlich auch. Und im Grunde, wenn ich einen öffentlichen Experten präsentiere, dann erwarte ich, dass dieser Experte und diese Expertin auch die Interessen der Öffentlichkeit, der breiten Bevölkerung im Blick hat und nicht Spezialinteressen, denn dann wäre er Interessenvertreter." Autor: Was nicht zwingend heißt, dass jeder Experte völlig unabhängig sein muss, sein kann. Aufgabe der Medien ist es allerdings, dies gegebenenfalls klar zu machen, zu hinterfragen und mögliche Einflüsse zu prüfen: Bezahlt jemand die Forschung? Wer hat den Lehrstuhl gestiftet? Welche politischen Linien stehen hinter einem Institut? Für wen arbeitet ein vermeintlich unabhängiger Experte? So wurden einige Experten für Rentenfragen und Altersversorgung in der Vergangenheit in den Medien befragt - und selten wurde dazu gesagt, dass einige von ihnen auch für Versicherungskonzerne arbeiteten, die an privater Altersvorsorge verdienen. Sprecherin: Besonders kritisch, der Bereich Medizin. Dort gebe es, so die These von Holger Wormer, Professor für Wissenschaftsjournalismus, kaum noch unabhängige Experten. O-Ton 22 (Holger Wormer): "Das liegt zum einen daran, dass man mit der Medizin sehr viel Geld verdienen kann. mehr als das vielleicht bei einem Teilchenphysiker in der Grundlagenforschung ist. Der macht interessante Sachen, aber die lassen sich in der Regel nicht so recht vermarkten. Und das ist in der Medizin anders. Da steckt sehr sehr viel Geld drin, und da stecken sehr viel mehr Interessen drin." Sprecherin: Ein Bereich, in dem es nicht geht es nicht um ferne Galaxien, sondern um Menschen geht... O-Ton 23 (Holger Wormer): "...und deswegen halte ich diesen Bereich, auch im Bereich der Recherche und der Auswahl von Experten, für nen besonders sensiblen. Weil man eben die Verantwortung hat für kranke Menschen und weil man, wenn man da Fehler macht, in der Tat natürlich auch Hoffnungen weckt oder umgekehrt Leute in ne falsche Richtung treibt." Zitat "Wenn Sie auf der Suche nach einem kompetenten Ansprechpartner für ein Recherchethema sind finden sie ihn mit unserer Expertensuche" Autor: So bewirbt die Internetseite "radioexperten" ihren Dienst. Journalisten erhalten hier kostenlos Expertenstatements: Vorgeschnittenes Hörfunkmaterial - O-Töne in Studioqualität. Und das, so die Eigenwerbung, sogar ohne dass Marketing im Vordergrund steht. Das allerdings darf getrost bezweifelt werden. Denn derselbe Dienst wirbt bei Unternehmen mit folgender Aussage: Sprecher vom Dienst: Zitat "Das Image des Unternehmens wird weiter gesteigert. (...) Die Möglichkeit (...) in ganz Deutschland als Radioexperte zu fungieren, ist einmalig. Autor: Und so findet sich zu Beispiel ein Experte des Finanzdienstleisters AWD zur Frage, ob Riestern lohnt, und eine Wohnexpertin von IKEA weiß, worauf man bei der Einrichtung von Kinderzimmern achten sollte. TEIL 3 - Die Wissenschaft als Expertenpool Musikausschnitt 02 (Dieter Hildebrandt - gesprochen): Ich habe einmal in einer Kabarettveranstaltung einen Satz gehört von Thomas Mann: "Die Emanzipation der Laien, das ist die Demokratie." Da bin ich zutiefst erschrocken. Ich fragte einen anderen, wie denn das nun gemeint sei? Auch er erschrak und schickte mich sofort zu einem Emanzipationsexperten. Der meinte aber, ich müsse zuerst zu einem Thomas-Mann-Experten. Ich zu ihm hin, es war der falsche, ich brauchte einen für die Frühphase, er war einer für die mittlere Phase. Er schickte mich zu einem Laienexperten, der wollte keine Aussage machen ohne einen Demokratieexperten, aber sie trösteten mich alle und sagten, sie hätten im nächsten Jahr ein Expertenkongress, da würden sie eine Expertenkommission zur Auslegung dieses Satzes ..., sie haben nur Schwierigkeiten mit dem Expertenkongress, sie haben noch keinen Kongressexperten. Autor: Wenn die BILD-Zeitung, wie etwa bei der Schweinegrippe geschehen, Prominente nach ihrem Impf-Verhalten befragt, und dann zum Beispiel Franz Beckenbauer sagt "Für mich ist eine Impfung kein Thema" oder Vicky Leandros meint "Ja, Schutz ist wichtiger als die Gefahr von Nebenwirkungen", dann wird niemand mit gesundem Menschenverstand diese Aussagen als ernsthafte Expertise verstehen - hoffentlich nicht. Und wissenschaftliche Glaubwürdigkeit setzen die Promis auch nicht aufs Spiel. Ein in jeder Hinsicht sensibleres Thema ist der Auftritt von Wissenschaftlern in Medien, denn von ihnen erwartet man wirklichen Sachverstand, und sie haben einen Vertrauensvorschuss zu verlieren. Sprecherin: Nicht nur die Medien drehen das Expertenkarussell - oder Unternehmen, Lobby- und Interessengruppen. Auch Universitäten und Forschungseinrichtungen mischen aktiv mit und bieten ihre Expertise und ihre Experten an, zum Teil über eigens dafür eingerichtete Expertendienste. Zum Beispiel die Freie Universität Berlin: Sie bewirbt Wissenschaftler zu aktuellen Themen - Politikwissenschaftler zu den Wahlen in Frankreich etwa oder Erziehungswissenschaftler zur Debatte ums Betreuungsgeld. Etwa 10 bis 15 Medienanfragen laufen hier mittlerweile täglich ein, so der Präsident der FU, Peter-André Alt: O-Ton 24 (Peter-André Alt) "Die Zahlen sind gestiegen in den letzten Jahren. Und das liegt denke ich auch daran, dass Wissenschaftler in den Medien stärker präsent sind. Das war früher vor 30 Jahren nicht so stark der Fall." Autor: Von A wie Afrika bis Ö wie Ökologie: Wenn Journalisten einen Experten suchen, in der Datenbank finden sie ihn. Wer als Wissenschaftler neu an die Uni kommt gibt seine Fachgebiete bei der Pressestelle an. Die Wissenschaftler tun das gerne, betont der Präsident. Die Liste müsse immer wieder ausgebaut und überprüft werden - auch Peter-André Alt selbst taucht auf: O-Ton 25 (Peter-André Alt) "Ich bin Literaturwissenschaftler, ne Zeit lang wurde ich ständig zu Gegenwartsliteratur gefragt. Und dann habe ich irgendwann mal nachgehakt: Steht das eigentlich bei mir? Und es stand da. Mein Spezialgebiet ist Literatur des 17. - 19. Jahrhunderts. Das war verrutscht, dann korrigiert man das." Autor: Es steht immer noch da! Sprecherin: Weshalb engagiert sich die Freie Universität, Experten an die Medien zu vermitteln? O-Ton 26 (Peter-André Alt) "Wir sind eine öffentlich finanzierte Einrichtung (...) und wir haben die Verpflichtung, das, was hier an Wissen erzeugt wird, im Bereich der Forschung, der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen und zugänglich zu machen. Das bedeutet im Klartext, dass immer dann, wenn Themen, die hier in der Forschung eine Rolle spielen, in der Öffentlichkeit von besonderem Interesse sind, wir zur Verfügung stehen und zumindest anbieten, dass wir diese Themen behandeln und Fragen entsprechend beantworten. Das ist eine soziale Verpflichtung, die Universitäten haben." Autor: Eine weitere Begründung des Universitätspräsidenten: Themen sollen kompetent behandelt werden. Besser, ein Wissenschaftler kommt zu Wort, als ein selbsternannter oder von den Medien berufener Experte ohne Sachverstand. O-Ton 27 (Peter-André Alt): "Nicht zuletzt ist es sicher auch für eine Einrichtung wie unsere interessant, wenn unsere Experten genannt werden. Es ist natürlich ganz klar, dass wir damit auch Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Das ist aber nicht das vorrangige Ziel, sondern eher ein Nebeneffekt." O-Ton 28 (Hans Peter Peters): "Grundsätzlich suchen viele Wissenschaftler - und natürlich die Wissenschaftsorganisationen fördern das - Kontakte zu Medien, weil Präsenz in den Medien in unserer Mediengesellschaft als ein Relevanzmerkmal gilt. Also was in den Medien ist, ist gesellschaftlich relevant. Das ist die Unterstellung, die damit verbunden ist." Autor: Wissenschaftliche Einrichtungen kämpfen um knappe öffentliche Gelder. In einem Wettbewerb um Aufmerksamkeit spielen sie aktiv im Expertenzirkus mit. Setzen sie damit ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel? Der Soziologe und Kommunikationswissenschaftler Hans Peter Peters: O-Ton 29 (Hans Peter Peters): "Es gibt sicherlich Fälle, ich selber habe es auch erlebt, wo man zu Themen befragt wird, zu denen man nicht wirklich geforscht hat. Und ich glaube, dass die Personen, die angesprochen werden, unterschiedlich reagieren. Einige werden sagen: "Tut mir leid", aber es gibt eben auch Kollegen, die im Grunde genommen zu allem eine Meinung äußern, und das ist in der Tat problematisch." Autor: In den Expertendiensten der Universitäten sieht Peters zunächst einmal eine sinnvolle Professionalisierung der Wissenschaftskommunikation - allerdings: O-Ton 30 (Hans Peter Peters): "Es gibt einige Probleme, die damit verbunden sind. Das eine ist, wenn Personen in den Medien als Experten präsentiert werden, die tatsächlich nur oberflächlich Expertise haben, dann führt es natürlich zu Glaubwürdigkeitsproblemen. Und wenn jetzt Wissenschaftler anfangen, nur noch Meinungen zu äußern, die jeder andere auch äußern könnte im Grunde genommen, dann wird es ein Glaubwürdigkeitsproblem für die Wissenschaft." TEIL 4 - Ohne den Anderen geht es nicht. Musikausschnitt 03 (Dieter Hildebrandt): Sie wissen Prognosen, sie haben die Zahlen Sie haben den Sachzwang, den Mut zum Realen Sie haben Gesinnung ... schon lang überwunden Sie haben aus Krisen den Ausweg gefunden Führte der Ausweg in ärgere Krisen Dann hatten sie dafür sofort Expertisen Ins vierte Jahrtausend planten sie Daten Den Irrtum erklär'n sie nun in Referaten O-Ton 31 (Holger Wormer): "Wenn ich den falschen Experten habe, dann ist natürlich die Qualität der Information geringer. Oder wenn ich einen Experten einfach unkritisch was erzählen lasse ohne zu hinterfragen: "Gibt's da Abhängigkeiten? Gibt's Interessenkonflikte? Verdient der Mensch damit Geld?", steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ich eine Desinformation der Bevölkerung betreibe." Autor: Kollegin A sucht einen Experten zu einem Thema, Kollege B empfiehlt ihr einen. Der wäre vielleicht die Nummer eins auf dem Gebiet - hat aber keine Zeit. Ein alternativer Wissenschaftler wird von der angefragten Universität empfohlen. Schnell stellt sich aber heraus, dass man diesen lieber nicht live auf den Sender lassen sollte, weil er keinen geraden Satz sprechen kann. Es folgt eine Suche im Internet, die eine oder andere Universität oder Forschungseinrichtung wird gescannt, und schließlich landet man kurz vor der Sendung bei einem Experten, der irgendwie passt. O-Ton 32 (Holger Wormer): "Ich hab da ja ein großes Herz, als jemand, der lange auch aktuell Journalismus gemacht hat, für die tatsächliche Arbeitssituation im Journalismus. Es bringt auch nichts, wenn jetzt der Wissenschaftler sagt: ,Aber du hättest ja zwei Wochen warten müssen, bis der Mensch von seine Ausgrabung in Namibia wiedergekommen ist und dann kannst du nur den fragen, weil das ist der Gott in dem Bereich, das ist die Koryphäe. Das ist natürlich Quatsch! Das heißt ich muss nen Kompromiss finden zwischen den Ansprüchen, die ich in den Medien habe, gerade in den tagesaktuellen Medien, und dem, was auf der Expertenseite qualitativ erwünscht ist. Weil sonst kriegt man nen anderen Effekt und den beobachtet man in der Tat bei vielen Medien, dass man es dann ganz lässt: Also eh ich den falschen Experten nehme, nehme ich lieber gar keinen und frage Vicky Leandros und Franz Beckenbauer, ob ich mich impfen lassen soll oder nicht." Autor: Experten können die Recherche ergänzen, sollten sie aber nicht ersetzen. Und nicht jeder Gesprächspartner sollte mit dem Untertitel ,Experte' geadelt werden. Auch aus Rücksicht vor den "echten" Experten. Denn ein Glaubwürdigkeitsverlust der Experten allgemein ist für niemanden wünschenswert. O-Ton 33 (Hans Peter Peters): "Ich würde sagen, wir müssen uns auf Experten verlassen, wir tun das auch tagtäglich in vielen Fällen. Und man kann die Leistung von Experten immer nur temporär, an bestimmten Punkten in Frage stellen, denn sonst könnten wir ja in unserer Gesellschaft, die ja auf Experten basiert, gar nicht mehr leben. Also der Normalfall ist eigentlich Vertrauen in Experten." Musikausschnitt 04 (Dieter Hildebrandt): Lieber Gott, mach mich bitte zum Experten Dann werde ich von deinem Geist bestrahlt Belehr mich Proleten, o lasset uns beten Schenk mir ein Expertentum, denn dann bin ich endlich ... Gott. Autor: "Für die Zukunft sagen Spezialisten eine weitere Zunahme ihresgleichen voraus", schreibt die Stupidedia, ein nicht ganz ernst gemeintes Onlinelexikon. Aber im Ernst: Wir werden auch im Rest des Jahres noch viel von unseren Experten hören. Was aus der gestrigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen folgt, werden uns Politikwissenschaftler in den kommenden Tagen erklären. Olli Kahn wird uns im Sommer bei der Fußballeuropameisterschaft zur Seite stehen. Der Zukunftsforscher Matthias Horx hat bereits verkündet, wir kommen von einem amerikanischen in ein asiatisches Zeitalter. Und am 21. Dezember ist dies eh alles egal, denn dann, so wissen Maya-Kalender-Experten, war's das, mit dieser Expertenwelt. SPRECHERIN v. Dienst Vertrauen Sie mir, ich weiß wovon ich spreche! Wie viele Experten vertragen die Medien - wie viele Experten verträgt die Wissenschaft? Ein Feature von Julius Stucke Es sprachen: Nadja Schulz-Berlinghoff Ullrike Pollei und der Autor Ton: Alexander Brenneke Regie: Klaus Michael Klingsporn Redaktion: Martin Hartwig Produktion: Deutschlandradio Kultur 2012 Anregungen, Lob und Kritik senden sie bitte an: zeitfragen@dradio.de 1