COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Zeitreisen 22. Mai 2013 19:30 Uhr Schön, vernetzt, international Das Erfolgsgeheimnis der Biennale von Venedig Von Carmela Thiele Sprecherin 1: Autorin / Erzählerin Sprecherin 2: Zitat / Peggy Guggenheim Sprecher 1: Zitate Musik: 1_Trovesi/Coscia: Radici, Her Cab 2_Trovesi/Coscia: In cerca di cibo, Lucignolo 3_Schönberg, Three Piano Pieces op.11, 3. bewegt (Piano: Maurizio Pollini) 4_Olivier Messianen, Quatuor pour la fin du temps, Vocalisé pour l'Ange qui anounce la fin du temps 5_Salif Keita: Moufou, Yamore O-Töne: Susanne Gaensheimer (Direktorin des MMK, Frankfurt/Main u. Kuratorin des deutschen Pavillons) Dr. Jan May (Kunsthistoriker, Berlin, Autor des Buches: La Biennale di Venezia, Kontinuität und Wandel in der venezianischen Ausstellungspolitik 1895-1948, Akademie Verlag 2009) O-Töne aus dem Archiv: Klaus Bussmann (Kurator), Liam Gillick (Künstler), Remigius Netzer (Kunstkritiker), Andrej Guba (Hauptkon- servator des Puschkin-Museums), Harald Szeemann (Ausstellungs- macher) Atmo_1: Italienische Wochenschau 1932, Stimmengewirr (ab 2:20) Atmo_2: Italienische Wochenschau 1934, Besuch des Duce Kürzungsvorschläge: unterstreichen Musik_1 / Her Cab (Trovesi/Coscia: Radici) ab 1:05 ca. 10 Sek., dann unterlegen, eventuell Teile vom Anfang zwischen die ersten 5 Takes legen Sprecherin 1 Die Biennale von Venedig, alle zwei Jahre das größte Spektakel zeitgenössischer Kunst weltweit. Obwohl es inzwischen mehr als 150 Biennalen gibt, bleibt sie die absolute Favoritin. Kontrovers diskutier- tes Alleinstellungsmerkmal: die nationalen Pavillons. Sprecher 1 (René Block) Es gibt nur eine interessante Biennale. Und die findet alle zwei Jahre in den Giardini in den nationalen Pavillons statt, sowie in einigen von den Ländern angemieteten Orten in der Stadt. Sprecherin 1 René Block, Kurator vieler großer Biennalen. - In Venedig sind es dieses Jahr 88 Nationen, ein neuer Rekord. Im Vorfeld musste sich die Kuratorin des deutschen Pavillons, Susanne Gaensheimer, recht- fertigen, warum sie mit Frankreich den Pavillon tauscht und keine deutschen Künstler zeigt. O-Ton_1 (Susanne Gaensheimer) Es ist gar nicht so grundsätzlich neu, das hat es in der Geschichte der Biennale schon immer gegeben, dass bestimmte Länder in ihre Pavillons Künstler anderer Länder eingerichtet haben. Wenn Sie sich einmal an den Pavillon von Klaus Bussmann in den frühen Neunzi- gern erinnern, da hatte er einmal Nam June Paik und Hans Haacke eingeladen. Nam June Paik ist Koreaner und Hans Haacke ist zwar ein Deutscher, der aber eigentlich seine ganze Karriere in Amerika hatte, also eigentlich ein amerikanischer Künstler. Das erscheint jetzt so ... extrem, aber ist es gar nicht so sehr. Sprecherin 1 Susanne Gaensheimer, eigentlich Direktorin des Museums für Mo- derne Kunst in Frankfurt am Main, ist zum zweiten Mal Kuratorin des deutschen Pavillons. O-Ton_2 (Susanne Gaensheimer) Für mich ganz persönlich kam außerdem dazu, das in der Zusam- menarbeit mit Christoph Schlingensief und dem Projekt, das er eigentlich geplant hatte für den deutschen Pavillon vor seinem Tod, das wir dann ja nicht mehr realisiert haben, dass da die Hinterfra- gung der nationalen Repräsentation eine zentrale Rolle gespielt hat. Wir sind da eigentlich schon ... einen großen Schritt gegangen. Er hätte da ja sein Afrika-Projekt ganz stark thematisiert. Er hätte seine ganze Arbeit, die Filme, die Theaterstücke, die Opernproduktionen, in denen er sich schon immer damit beschäftigt hat, was heißt eigentlich Deutschsein, das wäre alles eingeflossen, es wäre der Weltausstellungscharakter der Biennale an sich thematisiert worden, er hätte eine Art Menschenzoo kreiert, alles Dinge, mit denen er ... die Frage nach der Bedeutung nach der Frage der Berechtigung einer nationalen Repräsentation gestellt hätte. Sprecherin 1 Die Frage der nationalen Repräsentation, die wurde eben immer wieder durch die nationalen Pavillons ausgelöst. Vor allem durch den deutschen. O-Ton_3 (Geräusche aus dem deut. Pavillon ....) Das große hohe Mittelschiff mit der Apsis, dort wo in den vergangenen Jahren Bilder und Skulp- turen über den aktuellen Stand der Kunst in Deutschland informier- ten, wo unter anderen, Baselitz, Kiefer, Polke, Graubner, Beuys nach einander ausstellten, ist in diesem Jahr leer. Der Boden aufgebro- chen. Besucher, die hier Kunst erwartet haben, laufen ratlos ein paar Schritte über die zertrümmerten Fliesen. Sprecherin 1 Im Pavillon außerdem zu sehen: eine vergrößerte Fotografie von Hit- lers Biennale-Besuch 1934. - Klaus Bussmann, 1993 Kurator des deutschen Pavillons, zu dem Beitrag von Hans Haacke: O-Ton_4 (Klaus Bussmann) Wenn man Haacke einlädt, weiß man erstes, dass er sich direkt auf die Situation bezieht, den Ort mit dem er arbeitet, das heißt, nie et- was macht, was man irgendwie übertragen könnte, also von daher war klar, dass er sich auf den Deutschen Pavillon beziehen würde, seine Vorgeschichte. Und dieses Foto bezieht sich auf die Situation Hitler bei seinem Staatsbesuch mit Mussolini hier in den Giardini. Was auch klar war, ist, dass Haacke sich zur aktuellen Situation äu- ßern würde. Und da ist für ihn, meiner Meinung nach, die Metapher, den Boden aufzubrechen, über den übrigens noch Hitler gelaufen ist, ne sehr plausible, natürlich es ist ne sehr, extreme Vereinfachung. Aber es ist mir beinahe viel lieber, als das viele aufzeigen und nach- weisen, wie es ja im vergleichbaren Thema Boltanski macht. Sprecherin 1 Immer wieder wurde die Geschichte des deutschen Pavillons zum Thema der dort gezeigten Kunst. So auch 2009. Damals beschäftigte sich der britische Künstler Liam Gillick mit dem geschichtsträchtigen Gebäude. O-Ton_5 (Liam Gillick) Everbody thinks ... Alle denken, da ist nur dieses Faschismus- Problem. Aber hinzu kommt, im Faschismus wurden manchmal Formen eingesetzt, die eine kirchenähnliche oder symbolische At- mosphäre entstehen lassen, in der es Kunstwerke nicht leicht haben. Für mich war also auch die Frage, warum wurde der Pavillon nie durch einen neuen ersetzt? ... why was there never a new building made? Sprecherin 1 Liam Gillick hatte herausgefunden, dass es bereits 1957 einen neuen Entwurf für den deutschen Pavillon gegeben hatte, und zwar von dem Architekten und Documenta-Gründer Arnold Bode. Die Pläne wurden aber nicht realisiert. Als Teil seines Venedig-Beitrags ließ Gil- lick ein Modell des modernistischen Bode-Entwurfs in einer begrenz- ten Auflage herstellen. O-Ton_6 (Liam Gillick ) But also the building ... Vielleicht hat das Gebäude ja eine Bedeu- tung als andauerndes Problem. Wenn es in den Sechzigern durch einen hübschen Glaspavillon ersetzt worden wäre, dann wäre die Geschichte des deutschen Pavillons auch eine andere gewesen. Weil wahrscheinlich jeder der großen Künstler, die dort gearbeitet haben, von Gerhard Richter bis Isa Genzken, anders gearbeitet hät- te. Sie hätten nicht so sehr ringen müssen. Im Vergleich erscheinen Arbeiten in Museen und Galerien leicht. Und vielleicht ist das eine gute Sache, dass das Gebäude einen immer mit einem Problem zu- rücklässt. Und man muss sich eben damit befassen. ...you have to just deal with that, you know? Musik_2 (Trovesi/Coscia In cerca di cibo/Lucignolo) 0:00, ab 0:10 runterblenden Sprecherin 1 Die Pavillons sind Teil der Geschichte der Biennale. Und die ist so gut wie unbekannt. Wie kam es überhaupt zur Gründung der Bienna- le von Venedig und warum konnte sie sich mehr als hundert Jahre lang halten, während ähnliche Ausstellungen nicht über zwei Ausga- ben hinaus kamen? Jan May hat die Hochs und Tiefs der legendären Kunstschau er- forscht. Der Berliner Kunsthistoriker verbrachte viel Zeit in deutschen und italienischen Archiven, um den politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen der Biennale auf den Grund zu gehen. O-Ton_7 (May_1) Das sind dann eben auch die Akteure, die die Biennale gegründet haben, also der Bürgermeister Riccardo Selvatico, das war ein Ko- mödienschreiber in der Tradition von Goldoni, zum Beispiel. Das wa- ren absolute Lokalpatrioten, die es nicht ertragen konnten, dass ihre Stadt so am Boden lag. Sprecherin 1 Die Biennale, das war auch immer die Herzensangelegenheit ihrer Präsidenten und Generalsekretäre, die ihrer Stadt Venedig zu neuem Glanz verhelfen wollten. Dementsprechend originell waren ihre Stra- tegien. O-Ton_8 (May) Das Ganze fing an, mit den ... Briefen, die habe ich im Stadtarchiv auch alle gesichtet, also der Bürgermeister von Venedig, Riccardo Selvatico, hat an die Elite, die hundert wichtigsten Künstler Europas, Briefe geschrieben, wir wollen eine internationale Ausstellung ma- chen, habt ihr Interesse im Ehrenkommitee Mitglied zu sein? Und da- raufhin gab es sehr viele Antworten, Ich glaube, es waren 34, ... , die geantwortet haben ... Und das war dann der Startschuss, wir haben hier die Namen der Top-Künstler, die stehen für unsere Ausstellung, und dann fangen wir mal an. ... Sprecherin 1 Und mit diesen Namen hat man auf dem Plakat von 1897 geworben: darunter Max Liebermann, James McNeill Whistler, Gustave Moreau, Ilja Repin, Anders Zorn und Arnold Böcklin. Die Veranstalter waren begabte PR-Strategen, und das war auch notwendig, denn Venedig konnte wirtschaftlich nicht mit den europäischen Metropolen mithal- ten. Die internationale Kunstausstellung sollte die Reputation der al- ten Kulturstadt wieder herstellen und Gäste aus der ganzen Welt an- locken O-Ton_9 (May) Und vielleicht ein Punkt ist auch sehr wichtig, also der Standort der Biennale, also die Giardini. Es gab noch einige andere Brachflächen in Venedig zu der Zeit, aber was man da schon erkannt hat, die lie- gen eben auf dem halben Weg zum Lido. Und der Lido wurde auch ab 1900 ausgebaut, also die großen Hotels wurden um 1900 gebaut. Und das ist auch heute nicht mehr so ganz in der Wahrnehmung, das ist so etwas Glanz der Vergangenheit, aber Lido di Venezia war einer der mondänsten Badeorte. Sprecherin 1 An der ersten Biennale nahmen Künstler aus 15 Ländern teil, aus Deutschland, England, Italien, Österreich-Ungarn, Belgien, Däne- mark, Spanien, Frankreich, Holland, Italien, Norwegen, Russland, Schweden, die Schweiz und Amerika. Und jedes Mal wurden es mehr. Bald wurde der Platz im Ausstellungspalast knapp. Und der Generalsekretär der Biennale, Antonio Fradeletto, bot den Ländern an, eigene Pavillons zu bauen. Sein direktes Vorbild: die Weltaus- stellung 1906 in Mailand. Schon im folgenden Jahr, 1907, wurde der belgische Pavillon errichtet. O-Ton_10 (May) ... und dann konnte er Ungarn gewinnen. Was auch ungewöhnlich ist, denn Ungarn existierte damals gar nicht, war Teil von kuk, also Österreich-Ungarn, aber es wurde eine riesige Summe von Seiten des Staates gegeben, um diesen noch heute existierenden Pavillon zu errichten, der aufwendigst ausgestattet war mit Majolika und Mo- saiken. Und das wurde von allen Nationen auch sehr bewundert, es war der imposanteste nationale Pavillon. Sprecherin 1 Aber nicht immer finanzierten die Regierungen die Pavillons. So war es 1909 ein Komitee von Künstlern und Mäzenen aus London, die auf ihre Kosten ein Caffè-Ristorante auf dem Hügel der Giardini für England umbauten. Und der deutsche Pavillon war von der Münche- ner Secession errichtet worden, denn in den ersten Jahren wurden auch nur Maler der Secession ausgestellt. Es folgten bis 1914 der französische, der schwedische und der russische Pavillon. Die Bien- nale war zu einer Institution geworden, die Nationen wetteiferten um den besten Auftritt. Der erste, gravierende Einschnitt in der Geschichte der Biennale: der Erste Weltkrieg. Nach dem Kriegseintritt Italiens 1915 wurde Venedig aus der Luft bombardiert, nur noch ein Drittel der Bevölkerung harrte in der Stadt aus, die Giardini wurden vom Militär genutzt. Musik_3 / Three Piano Pieces op.11, 3. bewegt (Maurizio Pollini: Schönberg) ab 0:00-0:16 O-Ton_11, (May) Und dann kam zu dem historischen Zentrum, dem Lido, noch ein drit- ter Teil hinzu, dieses boomende, wachsende Industriegebiet, das sehr viel Arbeitsplätze geschaffen hat, und sehr viel Geld gebracht hat. Und davon profitierte eben auch die Biennale, und da sind wir wieder bei Fradeletto, weil der wurde Minister der vom Feind befrei- ten Gebiete, d.h. so etwas wie ein Wiederaufbau-Minister, und der hat dann auch seinem Lieblingskind Biennale dann wieder Gelder genehmigt, dass 1920 wieder eine Kunstausstellung stattfinden konnte. Sprecherin 1 Ohne die Unterstützung von Seiten der Politik wäre die Geschichte der Biennale nach den verheerenden Zerstörungen des Ersten Welt- kriegs zu Ende gewesen.1920 wurde der Kunstkritiker Vittorio Pica Geschäftsführer der Biennale. Seine Ära war geprägt von Auseinan- dersetzungen über die vorherrschende Kunstrichtung in Italien. Das neue Italien, Mussolinis Italien, wollte seinen Einfluss auch auf kultu- rellem Gebiet geltend machen. Pica legte deshalb 1927 sein Amt nieder. O-Ton_12 (May) Also in der Anfangszeit hat es nur Vorteile gebracht, weil man ja die- se Nähe zum Staat gesucht hatte, weil man das Geld vom Staat woll- te. Das war eigentlich der Hauptgrund. ... Und es gab lange Zeit einen intensiven Lobbyismus. Das kann man auch gut sehen, an den Briefen, an den Kontakten. Und es war eben so, dass die Verant- wortlichen, der Nachfolger von Vittorio Pica, das war Antonio Maraini, das war ein Bildhauer aus Florenz, der sehr aktiv war bei den Künst- lersyndikaten, das war der Chef der faschistischen, italienischen Künstlerschaft, und der hat eben persönlich bei Mussolini, ja, inter- veniert. Sprecherin 1 Mit Erfolg. Aus dem städtischen Projekt Biennale wurde eine auto- nome Körperschaft unter staatlicher Aufsicht. Mit der neuen Organi- sationsform ging der Ausbau der Stadt einher.1933 entstand die vierspurige Autobahnbrücke, die Ponte Littorio, die den historischen Stadtkern mit dem Festland verband. Sogar an ein Parkhaus an der Piazzale Roma wurde gedacht. Und der Militärflugplatz auf dem Lido wurde als Verkehrsflughafen ausgebaut. O-Ton_13 (May_7) Der zentrale Pavillon, Ausstellungsgebäude, wurde renoviert, es wurden neue Bauten errichtet, und man konnte weitere Nationen gewinnen, nationale Pavillons zu errichten. Sprecherin 1 1930 wurde der amerikanische Pavillon von einer privaten Galerie aus New York errichtet, den Grand Central Art Galleries. Neue Events wurden kreiert, die der Biennale einen multidisziplinären Cha- rakter geben sollten: Erstmals fand in jenem Jahr ein Festival für moderne Musik statt. Zwei Jahre später folgte das bis heute existie- rende Film-Festival. Die Eröffnung, schon damals ein Ereignis: Atmo_1 (bei 02:20, Wochenschau, Stimmengewirr) unterlegen O-Ton_14 (May_7) Man hat so weitergemacht wie zuvor und hat voll auf die Internatio- nalität gesetzt und war damit eben sehr erfolgreich. Und dass man eben immer diese Ambivalenz im italienischen Faschismus hat, eben diese Internationalität und Offenheit, und es gab keine Zensur, was die Länder in Ihren Pavillons zeigen. Sprecher 1 Nur eine von Fremden und Einheimischen während der Sommersai- son so sehr begünstigte Stadt wie Venedig mit seinem Lido kann sich heute noch den Luxus einer solchen 2-jährigen Ausstellungspe- riode leisten. Sprecherin 1 Hans Posse in der Zeitschrift "Kunst und Künstler". Er spielte auf die Weltwirtschaftskrise an, von der Venedig unberührt schien. - Der Di- rektor der Dresdener Gemäldegalerie war 1930 Kommissar des deutschen Pavillons und konnte damals noch Künstler der "Brücke", des "Blauen Reiters" und des Bauhauses zeigen. O-Ton_15 (May) Dann hatte es 1934 den Neubau des österreichischen Pavillons ge- geben, was natürlich Hitler und Goebbels auch ein Dorn im Auge war, was aber ganz massiv gefördert wurde von Mussolini. Atmo _2, Der Duce besucht die Biennale, 1934, italienische Wo- chenschau, unterlegen O-Ton_16 (May_7, 4:25-4:49) Die erste Begegnung von Hitler und Mussolini hat ja in Venedig stattgefunden. Und wird oft deklariert als Beginn der Freundschaft. Aber das war ja überhaupt nicht so. Da ging es wirklich noch um die Konkurrenz, und der schon seit 12 Jahren regierende Mussolini dem erst seit einem Jahr regierenden Hitler zeigen wollte, wer der Be- gründer des Faschismus ist. Sprecherin 1 Hitler hatte sich bei seinem Besuch des Deutschen Pavillons 1934 blamiert. Ausgestellt waren unter anderem Werke von Ernst Barlach und Georg Schrimpf, also von Künstlern, die nicht seiner neuen Kunstpolitik entsprachen. Zudem war die Baufälligkeit des 25 Jahre alten Pavillons nicht zu übersehen. Atmo _2, italienische Wochenschau, ohne die Ansage, nur Musik unterlegen Sprecherin 1 Vier Jahre später, 1938, präsentierte sich das Deutsche Reich in Ve- nedig ganz im Sinne der neo-klassizistischen Macht-Ästhetik der Na- tionalsozialisten. Ernst Haiger hatte den deutschen Pavillon nach dem Vorbild des Hauses der Kunst in München umgebaut. Und auch die Bildauswahl entsprach nun ganz der gleichgeschalteten deut- schen Kunst: Darstellungen der arbeitenden ländlichen Bevölkerung, siegreiche Sportler, Büsten von Hitler und Mussolini. Sprecher 1 Das Deutsche Haus ist vor allem inhaltlich, thematisch sehr gesam- melt, gesinnungsmäßig sehr geschlossen und überzeugend deutsch. Sprecherin 1 Stellte der Kunsthistoriker Wilhelm Rüdiger 1938 in der Zeitschrift "Die Kunst" fest. - Während Venedig noch weitgehend als politisch neutraler Ort begriffen wurde, besetzten die Deutschen Polen, Dä- nemark, Norwegen, die Niederlande und Frankreich. Sprecher 1 Der Duce hat mir gesagt, dass die alte venezianische Tradition der Biennale nicht unterbrochen werden darf. Sprecherin 1 Graf Giuseppe Volpi di Misurata, Präsident der Biennale, in einem Brief an den Ministerialbeamten Luigi Russo in Rom. - Volpi war einer der reichsten Männer Italiens. Er hatte nicht nur politische Inte- ressen, sondern auch wirtschaftliche. Ihm gehörten die größten Ho- tels in Venedig. Und so fand sowohl 1940 als auch 1942 die Biennale von Venedig statt. Danach hatte der Zweite Weltkrieg Italien endgültig erreicht. Die deutsche Wehrmacht hatte Teile des Landes besetzt, Mussolini die faschistische Filmproduktion in die Giardini verlegt. Rom war von den Alliierten besetzt. In der Lagunenstadt waren Teile der Ministe- rien untergebracht und die deutschen Besatzer hatten dafür gesorgt, dass noch 200 jüdische Einwohner deportiert wurden. Wieder fielen Bomben auf Venedig. Musik_4 , Vocalisé pour l'Ange qui anounce la fin du temps (Olivier Messianen/Quatuor pour la fin du temps) 0:00 - 0:14 Sprecherin 1 Die Biennale überlebte dank der Strukturen, die in den vorhergehen- den Jahrzehnten gelegt worden waren. Im Fokus stand nun bald die Frage nach der zeitgenössischen Kunst. Gewährsfrau für dieses Thema: Peggy Guggenheim, die auf der ersten Nachkriegsbiennale 1948 ihre Sammlung präsentierte. An ihren Erinnerungen wird deut- lich, dass die moderne Kunst noch kein globales Phänomen war: Sprecherin 2 1948 befanden sich die während des Krieges jahrelang unbenutzten Pavillons in sehr schlechtem Zustand und mussten praktisch im letz- ten Moment renoviert werden. Scarpa, der modernste venezianische Architekt, gestaltete meinen Pavillon. Da Pallucchini, der Biennale- Leiter nichts von zeitgenössischer Kunst hielt und für die italienische Renaissance schwärmte, fiel es ihm vermutlich schwer, seines Am- tes zu walten. ... Schließlich wurde ich... von Pallucchinis attrakti- vem Assistenten Umbro Apollonio überall herumgeführt. ... So wie Pallucchini wußte er absolut nichts über moderne Kunst. In Italien hatte man noch nie von den Surrealisten Brancusi, Arp, Giacometti, Pevsner und Malewitsch gehört. Sprecherin 1 Seit 1956 berichtete der Künstler und Kunstkritiker Remigius Netzer für den Bayerischen Rundfunk über die Biennale von Venedig. Da- mals nahm - erstmals nach 22 Jahren - Russland, nun Sowjetunion, wieder an der internationalen Kunstaustellung teil. Zur Debatte stand in Zeiten des Kalten Krieges nicht nur das richtige politische System, sondern auch der führende Stil der zeitgenössischen Kunst. O-Ton_7 ...Der sogenannte soziale Realismus in der Kunst ist letzten Endes geknipste Belanglosigkeit. Nun, die Aufgeschlossenheit für zeitge- mäßes künstlerisches Schaffen wird auch gewiss in Russland größer werden. Vorläufig begnügt man sich dort mit naturalistischen Wie- dergaben von Versammlungen, Arbeitsvorgängen oder der patheti- schen Apotheose des Werkmannes oder des Landarbeiters, der sich auf der Feldrast die Milch von der jungen, tüchtigen Bäuerin eingie- ßen lässt, derweil der Traktor noch brummt und dampft, weil gleich wieder, froh und heiter, für das Volk, für alle, weitergeschafft wird. Sprecherin 1 Dagegen lehnt einer der russischen Kommissare, der Hauptkonser- vator des Moskauer Puschkin-Museums, Andrej Guba, die abstrakte Kunst ab: O-Ton_18 Und ich meine, dass die abstrakte Kunst, ist sozusagen eine schwe- re Krankheit, die auch so große Persönlichkeiten unserer Zeit, wie zum Beispiel Picasso,... ergriffen hat. Sprecherin 1 Seit 1950 beteiligte sich auch die neu gegründete Bundesrepublik Deutschland wieder an der internationalen Kunstausstellung in Ve- nedig. Einen neuen Stil des Kuratierens führte der Kölner Kunsthisto- riker Eduard Trier 1964 ein. Er stellte erstmals zwei Künstlern allein den gesamten Raum des deutschen Pavillons zur Verfügung: Joseph Faßbender und Norbert Kricke. 1964 - eine Biennale des Umbruchs. Bislang hatten durchgehend die Franzosen die wichtigsten Preise erhalten, nun setzte sich die Pop-Art aus den USA durch. Noch einmal Remigius Netzer: O-Ton_19 Ihr Vertreter Robert Rauschenberg aus Port Arthur in Texas hat diesmal den Großen Preis für Malerei der Biennale erhalten. Und weil seine Meisterwerke nicht in genügender Menge im amerikani- schen Pavillon untergebracht werden konnten, zeigt man in einer zu- sätzlichen Schau in der ehemaligen amerikanischen Botschaft am Canal Grande, gleich neben dem flachen Palazzo der Peggy Gug- genheim, noch weitere. Zum Beispiel sein Bett, das im Katalog schlicht als Konstruktion bezeichnet ist, das aber tatsächlich aus einem auf eine Wand genagelten Kopfkissen und einer darunter hängenden karierten Decke besteht, die beide spontan mit dicker Öl- farbe bestrichen sind. Sprecherin 1 Dass Rauschenberg den Preis bekam, das hatte auch mit seinem Galeristen Leo Castelli zu tun. Der Kunstmarkt gewann immer mehr Einfluss auf die Biennale: Ein Angriffspunkt für die Studentenproteste 1968. Karl Günter Simon in einer Stern-Reportage: Sprecher 1 Achtmal waren zwei Hundertschaften der "celere", der italienischen Elitepolizei, gegen knapp 50 Studenten gestürmt, die mit Fahnen und Transparenten gegen die "Show des internationalen Kapitalismus" demonstrierten. ... 40 Leute wurden verhaftet, darunter der schwe- dische Kunstkritiker Thorsten Bergmark, der holländische Bildhauer Mark Brusse und die Times-Korrespondentin Teresa Trevisian. Vor allem die Sorge um die Touristen hatte ja Italiens Polizisten nach Venedig getrieben. Die Lagunenstadt, an deren Wurzeln das Wasser und die Existenzangst nagen, bangte um ihren Sommer. Sprecherin 1 Nach der Krisen-Biennale wurden zeitweilig die Preise abgeschafft, die Entscheidungsprozesse transparenter gestaltet. Seit den 1970er- Jahren fand eine kuratierte Themenausstellung statt. Seit 1980 wur- de mit "Aperto" ein Forum für aktuelle junge Kunst geschaffen. Obwohl auch die Abschaffung der nationalen Pavillons gefordert worden war, behielt man sie dennoch. Und siehe da: Sie trugen wei- ter zum Erfolg der Biennale bei. Der Aperto-Kurator Harald Szee- mann 2001 über den deutschen Pavillon von Gregor Schneider. O-Ton_20 Es geht ihm ja nicht um eine Reproduktion seines Hauses, sondern um ein Zugänglichmachen, und es geht auch um den Initiationsweg, wie Le Corbusier sagen würde ... Jetzt haben an den deutschen Pa- villon so oft gesehen mit großen Gesten, und aufgerissen, der Grü- ßende von Baselitz, und die Straßenbahnhaltestelle, und das Troja- nische Pferd von Jochen Gerz, den Laib hat man gesehen, den Rückriem. Und jetzt ist da plötzlich in dieser Speer-Architektur eine niederrheinische, bürgerliche Haustür mit drei kleinen Briefkästchen und drei Klingeln, wo denn auch Schneider draufsteht ... Sprecherin 1 Für den Einbau seines surrealistisch anmutenden "haus ur" in den deutschen Pavillon erhielt Schneider den Goldenden Löwen. Wieder bildete die monumentale NS-Architektur des Pavillons die Folie für den künstlerischen Beitrag. An der Geschichte des Pavillons, und damit an der Historie der Bien- nale, kommen die Deutschen nicht vorbei. Es sei denn, sie tauschen ihn, wie Susanne Gaensheimer es 2013 gemacht hat, und zeigen Künstler ohne deutschen Pass. Abschaffen will sie die Pavillons aber auch nicht. O-Ton_21 (Gaensheimer) Ich finde nicht, dass man sagen muss, die Länderpavillons machen keinen Sinn mehr. Es ist schon interessant zu beobachten, wie re- präsentieren sich die einzelnen Länder. In welcher Form? Und wenn Deutschland sich entschlossen hat internationale Künstler zu zeigen, dann sieht die Welt, ok, in Deutschland leben nicht nur deutsche Künstler. Sprecherin 1 Begonnen hat die Kunstschau 1895 mit Künstlern aus 15 Ländern, heute sind es 88 Nationen, die sich in Venedig präsentieren. Unge- brochen ist die Attraktivität der Biennale unter dem Vorzeichen der Globalität. Musik_5 Yamore (Salif Keita: Moufou) ab 0:00, ab 0:18 runterblen- den; Autorin drüber O-Ton_22 (Gaensheimer) Die Welt hat sich in diesen hundert Jahren, die es die Biennale gibt, verändert, mehr als hundert Jahren. Was früher eine Nation war, und welche Rolle sie im Gesamtgefüge der Welt gespielt hat, ist was völ- lig anders als heute. Das kann man auch dran sehen, dass heute mehr als achtzig Länder in Venedig vertreten sind, die suchen sich ihre Pavillons irgendwo im Stadtraum, ja. Das Verhältnis von Deutschland zu Europa ist völlig anders geworden. Wir sind nicht mehr die führende Kunstnation. Indien, Lateinamerika, China haben alle in sich geschlossene Kunstmärkte, Kunstszenen. Da spielen wir gar keine Rolle mehr, ja? Das alles fließt natürlich jetzt ein in die Biennale. Das ist der interessante Punkt, dass wir daran eben sehen können, wie sich die Welt verändert hat. Musik_5 Yamore (Salif Keita: Moufou) bei 1:16 hochblenden und kurz stehen lassen 1