DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hšrspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 15.09.2015 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 Ð 20.00 Uhr SchnŠppchenjagd im ehemaligen Mutterland Angola nimmt Einfluss auf die Entwicklung Portugals Von Tilo Wagner URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschŸtzt und darf vom EmpfŠnger ausschlie§lich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede VervielfŠltigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die Ÿber den in ¤¤ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulŠssig. © Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Atmo Avenida, TŸrdrŸcker, Treppenhaus, Aufzug ErzŠhler Lissabons Prachtsstra§e Avenida da Liberdade Nummer 92. An einem fŸnfstšckigen Haus hŠngt ein poliertes Messingschild. Tony Miranda. Haute Couture. Termin nur nach telefonischer Vereinbarung. Ich drŸcke auf den Klingelknopf, ein automatischer TŸrdrŸcker summt. Durch ein goldschimmerndes Foyer gehe ich zum Aufzug und fahre in den zweiten Stock. Eine Frau, dunkelblond gefŠrbt, im perfekt sitzenden Hosenanzug šffnet eine schwere HolztŸr. Ana Fidalgo ist die Kreativdirektorin von Tony Miranda. Der portugiesische Modedesigner hat sich seit den 1970er-Jahren in Paris einen Namen gemacht, eine Ausnahme. Vor 20 Jahren hat er sein Haus in Lissabon eršffnet. Atmo im Laden ErzŠhler Im Laden ist es schwŸlwarm, die Klimaanlage kŠmpft lautstark um Lufthoheit. Ana Fidalgo zeigt mir in ihrem Probebuch einen besonderen Stoff: beige, feine, leichte Seide, das ideale Material fŸr den Sommer in Lissabon Ð aber nicht nur fŸr dort: O-Ton Fidalgo (port.) Sprecherin 1 Wir haben angolanische Kunden, die seit Jahren immer wieder kommen. Tony Miranda hat eine ganze Reihe von Premierministern, Ministern und anderen hohen Persšnlichkeiten aus Angola angekleidet. Nur nicht den angolanischen StaatsprŠsidenten JosŽ Eduardo dos Santos Ð ich wei§ auch nicht, warum. Schlie§lich haben wir viele afrikanische PrŠsidenten als Kunden gehabt. Atmo TelefongesprŠch im Laden ErzŠhler An den wenigen KleiderstŠndern hŠngt kunstvoll bestickte Abendgarderobe. Ein Kleid kostet 5000 Euro, der billigste Anzug 1500. Das Klientel des exklusiven ModegeschŠftes ist international. Doch eine Gruppe fŠllt besonders auf: Mittlerweile komme ein Viertel aller Kunden aus Angola, sagt Ana Fidalgo. Ansage SchnŠppchenjagd im ehemaligen Mutterland Angola nimmt Einfluss auf die Entwicklung Portugals Ein Feature von Tilo Wagner Atmo Avenida da Liberdade ErzŠhler Wieder drau§en, schlendere ich die Prachtstra§e entlang, sie ist mit wei§em Kopfstein gepflastert. Im Schatten hoher Platanen flanieren meist gutgekleidete Menschen an den GeschŠften vorbei, auf den breiten Mittelstreifen sitzen Touristen in den Stra§encafŽs. Vor ein paar Jahren noch klafften hŠssliche BaulŸcken zwischen den HŠusern, von manchen zerfallenen ehemaligen StadtpalŠsten stand nur noch die Fassade. Doch in jŸngster Zeit haben sich hier teure Boutiquen, Hotels und die internationalen LuxusmarkengeschŠfte niedergelassen. Mitten in der Finanz- und Wirtschaftskrise ist die Avenida da Liberdade zu neuem Leben erweckt worden, das Publikum hier ist international: O-Ton Passantin (port.) Sprecherin 1 In meiner Heimat gibt es das hier alles nicht. Ich bin Angolanerin und Angola ist immer noch ein unterentwickeltes Land. Deshalb komme ich nach Lissabon, um einkaufen zu gehen. Denn in Luanda gibt es kein Chanel, kein Louis Vuitton, kein Prada. Atmo Hotel Ritz ErzŠhler In Portugal erfŸllen sich nicht nur die wohlhabenden BŸrger aus dem sŸdlichen Afrika ihre privaten KonsumwŸnsche. Gro§investoren aus der frŸheren portugiesischen Kolonie gehen in der Wirtschaft des ehemaligen Mutterlandes auf Einkaufstour. Wer sind diese reichen Angolaner? Mit Filipe Fernandes habe ich mich im Hotel Ritz verabredet. Das Nobelhotel liegt an einem ParkhŸgel oberhalb der Avenida da Liberdade. Die Wahl unseres Treffpunkts ist kein Zufall. Der Wirtschaftsjournalist Fernandes hat ein Buch Ÿber die reichste Frau Afrikas geschrieben, die ihren portugiesischen Beraterstab regelmŠ§ig zu Sitzungen in dieses Ritz einlŠdt. O-Ton Fernandes (port.) Sprecher 1 In Portugal hŠlt Isabel dos Santos Anteile an mehreren Gro§unternehmen: Sie besitzt 65 Prozent des grš§ten portugiesischen Betriebs fŸr Elektromechanik Ð eine der erfolgreichsten Firmen in Portugal. Sie hŠlt Ÿber 19 Prozent an Portugals viertgrš§ter Privatbank BPI, sie kontrolliert zusammen mit dem angolanischen Staatskonzern Sonangol und einem portugiesischen Investor den Energieriesen GALP. Sie besitzt die Mehrheit an der mittelgro§en Bank BIC und schlie§lich hŠlt sie zusammen mit einem anderen portugiesischen Konzern die Mehrheit am zweitgrš§ten Telekommunikationsunternehmen NOS. ErzŠhler FŸr Filipe Fernandes war es gar nicht so einfach, die Biographie Ÿber die Tochter des angolanischen StaatsprŠsidenten JosŽ Eduardo dos Santos zu schreiben. Die MilliardŠrin hŠlt sich abseits der Glamourpresse, Diskretion ist ihr offensichtlich wichtig. Und so wie fast alle angolanischen Investoren in Portugal gibt auch sie keine Interviews. Isabel dos Santos sei schlicht und einfach eine sehr erfolgreiche GeschŠftsfrau, meint Fernandes. Es gehe ihr nicht nur um persšnlichen Profit, sie kaufe portugiesische Unternehmen auch auf, um Know-how nach Afrika zu bringen. Die PrŠsidententochter investiert nicht Ÿber eine einzelne Holding, sondern benutzt ein Netz aus vielen verschiedenen Firmen mit Sitz in den Niederlanden, in Lissabon, in der Schweiz. Und sie taucht bei ihren GeschŠften fast nie alleine auf, sondern immer in Kooperation mit einem Unternehmen, das vom angolanischen Staat kontrolliert wird. Fernandes stie§ bei seinen Recherchen auch auf allerhand Undurchsichtiges, das sich jeder AufklŠrung entzog: O-Ton Fernandes Sprecher 1 Woher hat Isabel dos Santos ihr Geld? Kommt es wirklich alles von ihrem Vater? ErzŠhler Und selbst wenn es aus der Privatschatulle des PrŠsidenten stammte, wie kŠme ein ehemaliger BefreiungskŠmpfer zu diesen Milliarden? Die Suche nach einer Antwort fŸhrt in die Vergangenheit. Denn der Aufstieg von JosŽ Eduardo dos Santos, einem GrŸndungsmitglied der kommunistischen MPLA, der Volksbewegung zur Befreiung Angolas, ist eng mit der angolanisch-portugiesischen Kolonialgeschichte verknŸpft. Atmo Radio-Bericht Kolonialkrieg ErzŠhler Im Februar 1961 brach in Angola der Befreiungskrieg aus. Portugals faschistisches Salazar-Regime schickte hunderttausende Soldaten nach Afrika. Der Krieg fand jedoch vor allem in der Provinz statt, die Hauptstadt Luanda blieb zunŠchst verschont, und so zogen junge MŠnner mit ihren Familien aus Portugal noch immer in die Kolonie. Das afrikanische Leben in Angola hat eine ganze Generation von Portugiesen geprŠgt. Seit 12 Jahren, seit ich in Portugal lebe, hšre ich zahllose Geschichten aus dieser Zeit Ð hŠufig handelt es sich um verklŠrte Erinnerungen an das portugiesische Afrika, ohne ein Bewusstsein davon, dass der Traum von einem befriedeten Kolonialreich auf ein rassistisches System gebaut war. Atmo Nelkenrevolution Lied ãGrandula vila morenaÒ ErzŠhler Im April 1974 stŸrzte eine Gruppe von MilitŠrs das rechte Regime in Lissabon. Dieser als Nelkenrevolution in die Geschichte eingegangene Umsturz machte den Weg frei fŸr die UnabhŠngigkeit aller portugiesischen Kolonien. In Angola brach ein Machtkampf zwischen drei Befreiungsorganisationen aus. Rund 300.000 Portugiesen flŸchteten innerhalb kŸrzester Zeit nach Portugal und hinterlie§en ein politisches und škonomisches Chaos. Atmo UnabhŠngigkeitserklŠrung ErzŠhler Am 11. November 1975 verkŸndete die MPLA die UnabhŠngigkeit Angolas. Die RivalitŠten der Befreiungsorganisationen mŸndeten in einen BŸrgerkrieg - ein weiterer Schauplatz des Kalten Krieges in Afrika. Die UdSSR und Kuba unterstŸtzten die MPLA, der Westen, SŸdafrika und China vor allem die UNITA. Die MPLA trug nach 27 Jahren blutiger KŠmpfe den Sieg davon. Atmo AmtsŸbernahme dos Santos ErzŠhler Im September 1979 wŠhlte das Zentralkomitee der MPLA JosŽ Eduardo dos Santos zum Vorsitzenden der allein herrschenden Partei und zum PrŠsidenten Angolas. Er verfŸgte damit Ÿber die fast absolute Kontrolle in Staat und Wirtschaft. Wichtigste Quelle der Macht war der staatliche …lkonzern Sonangol, der trotz der vermeintlich ideologischen WidersprŸche eng mit dem US-amerikanischen Energieriesen Chevron kooperierte. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion finanzierte die MPLA die letzte Phase des BŸrgerkrieges aus den Einnahmen der immer stŠrker expandierenden Rohstoffindustrie. Das Geld floss unter anderem in den Ausbau der angolanischen Armee, die sich zu einer der stŠrksten und modernsten StreitkrŠfte im sŸdlichen Afrika entwickelte. Atmo-O-Ton Marcolino Moco ErzŠhler Marcolino Moco war in den 1990er-Jahren angolanischer Premierminister. Der 62-JŠhrige lebt zurzeit in einem Lissabonner Vorort, er pendelt zwischen Portugal und Angola. Wir treffen uns auf der Terrasse eines Lissaboner CafŽs. O-Ton Moco (port.) Sprecher 2 Nach dem Ende des BŸrgerkrieges im Jahr 2002 verfŸgte PrŠsident dos Santos Ÿber absolute Macht. Er tat, was er wollte. Er kaufte sich Alliierte in der politischen und militŠrischen FŸhrung. Und er begann, Staatseigentum an seine Familie weiterzugeben. Er prŠsentiert seine Tochter Isabel als die grš§te Investorin Angolas, Afrikas und Portugals. Normalerweise wŸrde ein Staatschef diese offensichtliche BegŸnstigung doch verheimlichen wollen, aber er tut das nicht. Seine Macht ist so gro§, dass er vor nichts zurŸckschreckt. ErzŠhler Im vergangenen Jahrzehnt wuchs Angolas Wirtschaft jedes Jahr um bis zu 15 Prozent Ð so schnell wie in keinem anderen Land. Wirtschaftswunder wurde das genannt. Doch die ZuwŠchse basieren auf einem einzigen Exportartikel, auf …l. 90 Prozent der Ausfuhr macht dieser Rohstoff, das Schmiermittel der globalen Wirtschaft, aus. Doch an den strukturellen sozialen Problemen hat das kaum etwas geŠndert: Der Ÿberwiegende Teil der angolanischen Bevšlkerung lebt auch weiterhin in krasser Armut, hat kaum Zugang zu medizinischer Versorgung und Bildung. Anstatt in den Aufbau der eigenen Gesellschaft zu investieren, stillt eine kleine Clique von Oligarchen ihren Appetit in Portugal. Sprecher 3 Zitator Roman Agualusa Es sei, sagte er, eine ganz neue Bevšlkerungsschicht, die seine Dienste in Anspruch nehme. Die neue Bourgeoisie. Unternehmer, Minister, Landbesitzer, DiamantenhŠndler, GenerŠle, Leute also mit gesicherter Zukunft. Doch fehlte ihnen eine gute Vergangenheit, edle Vorfahren, Pergamente. Kurzum: ein Name, der nach Klasse klingt und Kultur. Er verkauft ihnen Vergangenheit. Nagelneu. Entwirft StammbŠume. Verschafft ihnen Fotografien von Gro§eltern und Urgro§eltern, Gentlemen aus gutem Haus, edle Damen aus vergangenen Zeiten. Atmo-O-Ton GesprŠch Agualusa ErzŠhler ãDas Lachen des GeckoÒ hei§t ein Roman von JosŽ Eduardo Agualusa. Der portugiesisch-stŠmmige Angolaner beschreibt darin einen Mann, der der angolanischen Oberklasse das gibt, was sie sich mit Geld nicht kaufen kann: Eine historische Legitimation fŸr ihren Reichtum. Agualusa empfŠngt mich in seiner Lissabonner Wohnung, mit Holzfu§boden und gro§er Bibliothek. Er hat sich intensiv mit der Sprache befasst. Das Portugiesisch, in dem er sich ausdrŸcke, sei ãeine afrikanische Sprache, die Begriffe, AusdrŸcke, die Rhythmen und die GefŸhle des angolanischen Volkes aufgenommen hatÒ. Der 55-JŠhrige, der in Angola geboren wurde und in Brasilien gelebt, dort einen Verlag gegrŸndet hat, wohnt schon seit Jahren in Lissabon. O-Ton Agualusa (port.) Sprecher 3 Lissabon ist ein wichtiger Ort fŸr die Angolaner, die im Exil leben, oder die hier einen Teil ihrer Zeit verbringen. Von hier aus beobachten wir Angola und diskutieren darŸber. ErzŠhler Agualusa spricht bedŠchtig, macht lange Pausen. Trotz dieser inneren Ruhe ist sein Engagement unŸberhšrbar: Er ist einer der schŠrfsten Kritiker der angolanischen VerhŠltnisse: O-Ton Agualusa Sprecher 3 Dieses Regime hat sich nicht aus ideologischen GrŸnden so lange an der Macht gehalten. Denn niemand wei§, was die Ideologie dieses PrŠsidenten eigentlich ist. Niemand steht dem PrŠsidenten aus Freundschaft zur Seite oder weil er eine fantastische Aura hat. Nein, dieses Regime ist nur an der Macht, weil es den Kuchen unter den engsten Vertrauten aufzuteilen wusste. Atmo Musik Disko ErzŠhler Es ist zwei Uhr nachts, ich bin im DockÕs Club in der NŠhe des Lissaboner Hafens. Auf der TanzflŠche ist es eng, das Publikum jung, bunt gemischt und wie in Discos Ÿblich: ziemlich aufgeputzt. Ich warte an der langen Bar am Lichtgewitter auf Sing Correia. Schlie§lich entdecke ich den Clubbesitzer am Rande der TanzflŠche: Er fŸhrt eine Gruppe Angolaner in den abgegrenzten VIP-Bereich. Die breiten Ledersofas sind fŸr GŠste mit dickem Geldbeutel reserviert, die Sekt und Whiskey nur in Flaschen kaufen. Sing hat mit seinen Freunden eine Beachparty gefeiert, erzŠhlt er mir spŠter, und sie jetzt in seinen Club mitgenommen Ð in T-Shirts, Shorts und Badeschlappen. Der kleine untersetzte Mann mit kahl geschorenem SchŠdel und dem freundlichen LŠcheln stammt aus einer angolanischen Familie mit Einfluss in Wirtschaft und Politik: Sein Vater ist Jurist im staatlichen …lkonzern Sonangol, sein Onkel Angolas Botschafter in Berlin. O-Ton Sing (port.) Sprecher 2 Wenn es eine Minderheit gibt, die gro§e Dinge bewegt, dann fŠllt das immer sehr viel mehr auf. Es wird darŸber berichtet, dass die Angolaner mit ihren Clubs das Nachtleben in Portugal bestimmen, so wie in meinem Fall, oder dass die Angolaner Gro§unternehmen in Portugal kontrollieren. Wenn es ein Angolaner ist, macht das gleich Schlagzeilen. Wir sind halt eine Minderheit, die sehr gro§e Sachen anpackt. Atmo Vor Disko ErzŠhler Gro§e Sachen anzupacken, bedeutet fŸr Sing Correira offenbar lukrative GeschŠfte zu machen. Ihm gehšren in Lissabon Clubs, Bars und Restaurants: Angefangen hat er vor 15 Jahren mit der Organisation von Studentenpartys. Damals war das fŸr einen schwarzen Afrikaner nicht leicht. In das ehemalige Mutterland kam nicht nur die schwarze Oberschicht aus Angola. Mitten in der schlimmsten Phase des BŸrgerkrieges flŸchteten rd. 20.000 Angolaner in den Šu§ersten SŸdwesten Europas. Und sie waren nicht die einzigen schwarzen Migranten, es kamen auch viele andere aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien. O-Ton Sing Sprecher 2: Vor 15 Jahren haben die Leute noch auf uns Afrikaner herabgesehen. Es gab hier in Portugal 10 bis 15 richtig gute Clubs, aber als Afrikaner kamst du nur rein, wenn du Fu§ballspieler oder Schauspieler warst oder dir im Nachtleben schon einen Namen gemacht hattest. Dieses Tabu ist lŠngst gebrochen. Die Portugiesen sind in die Krise geschlittert, und ohne die vielen Afrikaner, die hierherkommen und ihr Geld mitbringen, mŸssten viele Clubs zumachen. ErzŠhler: Das Bild hat sich nicht nur in den Nachtclubs gewandelt. Die zweite und dritte Generation der afrikanischen Einwanderer hat sich lŠngst besser in den portugiesischen Alltag eingefŸgt. Junge Portugiesen, egal ob schwarz oder wei§, verbindet nicht zuletzt eine Vorliebe fŸr afrikanische Musik: Musik Ralph ãA œnica mulherÒ ErzŠhler: Der angolanische SŠnger Anselmo Ralph ist der erste Afrikaner, der es mit seiner Musik in Portugal zu Platin gebracht hat. Man sieht ihn hŠufig in Castingshows und Filmkomšdien, er ist beliebt. Anselmo Ralph hat auch den Titelsong fŸr eine Telenovela geschrieben, die von einem portugiesischen Privatsender produziert und ausgestrahlt wird. Die Fernsehserie, die in Lissabon und Luanda spielt, zeigt die diversen Verwicklungen von Familien auf beiden Kontinenten. Wie in jeder Telenovela geht es um Betrug, Neid, Liebe und alte Streitigkeiten. Doch ein Thema steht immer im Vordergrund: Die Korruption in den GeschŠften zwischen Angolanern und Portugiesen. Atmo / O-Ton Demo (port.) Sprecher 3 Dieses brutale Regime in Angola muss jetzt gestoppt werden. Wir mŸssen unsere Stimme erheben und fordern: Freiheit fŸr alle politischen Gefangenen Ð sofort! Atmo Demo ErzŠhler Rund 200 Demonstranten haben sich in der Lissaboner Altstadt zu einer Kundgebung getroffen. Sie fordern ein Ende der Repression und Einparteienherrschaft in Luanda. Doch der Protest richtet sich auch gegen Portugals politische FŸhrung. Jo‹o Batalha, vom portugiesischen Ableger der Antikorruptionsagentur Transparency International, hat mit anderen zusammen zu dieser Demonstration aufgerufen. O-Ton Batalha (port.) Sprecher 1 Die portugiesische Regierung verhŠlt sich gegenŸber Teilen der korrupten angolanischen Elite wie ein treuer Diener. Das fŸhrt dazu, dass wir in beiden LŠndern ein Netzwerk von korrupten Spielern haben, das sogar hohe politische Vertreter der beiden LŠnder miteinbezieht und die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen bestimmt. Die Konsequenz: Unsere Wirtschaft in Portugal verliert WettbewerbsfŠhigkeit, und es werden in Portugal fŸr korrupte Angolaner Anreize geschaffen, hier ihr Vermšgen zu sichern. Atmo TV-Bericht Verhaftung S—crates ErzŠhler Schwere Korruptionsskandale haben in jŸngster Zeit die portugiesische Gesellschaft erschŸttert. Der ehemalige Premierminister JosŽ S—crates wurde 2014 festgenommen. Er soll Ÿber Jahre hinweg MillionenbetrŠge von befreundeten GeschŠftsmŠnnern erhalten haben Ð als Gegenleistung fŸr profitable šffentliche AuftrŠge. Und im Juli 2014 brach das Imperium der Bankiersfamilie mit dem schšnen Namen Esp’rito Santo zusammen, nachdem gefŠlschte Bilanzen und obskure Finanzierungssysteme aufgedeckt wurden. Trotz dieser und anderer KorruptionsfŠlle kann die Justiz offenbar noch unabhŠngig arbeiten und fŸrchtet sich bei der Aufarbeitung der Verbrechen nicht vor den MŠchtigen. Im Falle von angolanischen Investoren, die in den Fokus portugiesischer Ermittler gerŸckt sind, scheint das allerdings ganz anders auszusehen. In einem OECD-Antikorruptionsbericht von 2013 bemŠngeln die Verfasser, dass die Verfahren gegen angolanische FŸhrungspersšnlichkeiten in Portugal zu keinem Ergebnis kommen. O-Ton Costa (port.) Sprecher 3 Diese kleine Gruppe von sehr mŠchtigen Personen des angolanischen Regimes wollte ihr Vermšgen im Ausland anlegen und ist dabei auf Hindernisse gesto§en. Sie hatten einfach keinen guten Ruf. ErzŠhler Jorge Costa ist Mitglied der portugiesischen Partei ãLinksblockÒ und hat ein Buch Ÿber âDie angolanischen EigentŸmer PortugalsÔ geschrieben. O-Ton Costa Sprecher 3 Die angolanische Regierung fŸhrt in Angola ein brutales Regime. Ein riesiger Teil der Bevšlkerung lebt in gro§er Armut, und deshalb ist es im politischen Sinn eigentlich ein schwaches Regime, insbesondere nach der fŸr die FŸhrung traumatischen Erfahrung des arabischen FrŸhlings. Deshalb sucht das Regime einen Ort im Ausland, wo es einen Teil des Vermšgens in Sicherheit wŠhnt. In den USA und in Frankreich hatte das Regime aber schlechte Erfahrungen gemacht, denn es kam dort zu Prozessen und Konten wurden eingefroren. Also fiel der Blick auf Portugal Ð einem Partner, der keine unangenehmen Fragen stellte. Atmo Fu§ballkommentar Sporting ErzŠhler Angolanische Geldgeber investieren nicht nur in Banken, Energie- und Telekommunikationsunternehmen, sondern auch in Fu§ballclubs. Sporting Lissabon wird von çlvaro Sobrinho kontrolliert. Der ehemalige Banker besitzt rund 30 Prozent der Aktienanteile des drittgrš§ten portugiesischen Vereins, der insbesondere von der Lissabonner Prominenz aus Politik und Wirtschaft gehŠtschelt wird. Sporting hat seit Jahren mit gro§en finanziellen Problemen zu kŠmpfen. Und trotzdem wurde zum Saisonende der Meistertrainer vom Erzrivalen Benfica zu Sporting gelockt - mit einem Rekord-Jahresgehalt. Atmo TV-Bericht ErzŠhler Portugiesische Medien spekulieren unmittelbar nach dem Transfer, dass das Geld fŸr den neuen Trainer ãaus AfrikaÒ kommen wŸrde. Und der Verein lie§ diese Meldung postwendend dementieren. O-Ton Fernandes (port.) Sprecher 1 Es gibt die Vorstellung, das Geld aus Angola sei unmoralischer als anderes Kapital. Ich glaube, hier versteckt sich unbewusst noch ein rassistischer Gedanke. Wenn es andere Investoren sind, fragen wir ja auch nicht nach dem Ursprung des Geldes. Deutsche, EnglŠnder, Franzosen, die dŸrfen alles kaufen, kein Problem. Aber wenn ein Angolaner kommt, sieht das anders aus. ErzŠhler Was der Wirtschaftsjournalist Fernandes sagt, kann ich nachvollziehen: auch ich erlebe Portugal als ein Land mit zwei Gesichtern. Die kulturelle und emotionale Bindung der wei§en Portugiesen an Afrika scheint auf der einen Seite aus historischen GrŸnden naheliegend, selbstverstŠndlich, und trotzdem bleibt das VerhŠltnis zu den Zehntausenden schwarzer Portugiesen zwiespŠltig; der Zugang zu wichtigen Positionen in der Gesellschaft ist den Schwarzen bis heute weitgehend versperrt geblieben. Es gibt keine schwarzen Richter, keine schwarzen Spitzenpolitiker, keine schwarzen Gro§unternehmer, kaum schwarze Journalisten oder Schauspieler. Die reichen angolanischen Investoren, auf die die angeschlagene portugiesische Wirtschaft heute spekuliert, verwischen nun das schwarz-wei§e Bild vom Oben und Unten. Mit solchen Fragen beschŠftigt sich Ex-Premier Marcolino Moco seit lŠngerem. Er schreibt an einer Doktorarbeit, in der er das vielschichtige VerhŠltnis zwischen Portugal und Angola, zwischen Europa und Afrika eršrtert. O-Ton Moco (port.) Sprecher 2: Portugal ist schon immer eine wichtige Stimme in Angola gewesen und wird diese Verantwortung nie verlieren. Denn das Land Angola ist eine portugiesische Konstruktion. Doch das Verhalten von Portugal und ganz Europa gegenŸber Afrika ist immer von zwei Momenten bestimmt: von einem historisch begrŸndeten Komplex, und von Opportunismus. Anstatt nach Afrika zu schauen und auch auf die positiven Entwicklungen aus der Kolonialzeit aufzubauen, versucht jeder europŠische Staat nur seinen Teil der afrikanischen Glut unter den eigenen Grill zu ziehen. ErzŠhler Im Sommer 2013 wurde bekannt, dass die portugiesische Generalstaatsanwaltschaft dem Verdacht nachging, hohe Figuren des angolanischen Staates hŠtten mit ihren GeschŠften in Portugal GeldwŠsche betrieben. Luanda reagierte entgeistert und verschŠrfte erstmal den Ton gegenŸber Lissabon. Das RŸckzugsgebiet angolanischen Kapitals schien in Gefahr. Der portugiesische Au§enminister Rui Machete versuchte im angolanischen Radio die Wogen zu glŠtten. O-Ton Machete (port.) Sprecher 3 Wir haben alles getan, was in unserer Macht steht. Wir haben uns bei der Lissabonner Staatsanwaltschaft informiert, und es sieht so aus, als ob alles in Ordnung sei, nichts Gravierendes, es geht wohl nur darum, ein paar Formulare und ErklŠrungen zu unterschreiben. Und natŸrlich wollen wir uns an dieser Stelle schon einmal auf diplomatischem Weg bei der angolanischen Regierung entschuldigen fŸr ein Verfahren, das nicht in unserer Hand liegt. ErzŠhler Ein Minister plaudert Geheimnisse der portugiesischen Justiz aus, nimmt das Ergebnis der laufenden Untersuchungen vorweg und entschuldigt sich in Luanda gleichzeitig fŸr die Unannehmlichkeiten? Das Interview ist fŸr mich und fŸr viele meiner portugiesischen Freunde ein Beispiel fŸr die unterwŸrfige Haltung der portugiesischen Regierung. Auch viele portugiesische Unternehmer, die in Angola GeschŠfte machen, und mit denen ich mich in den vergangenen Jahren unterhalten habe, fassen das Regime in Luanda nur mit Samthandschuhen an. Gerade die konservativsten Portugiesen, die noch heute das autoritŠre Salazar-Regime verteidigen, sind treue UnterstŸtzer der angolanischen FŸhrung. Dabei fŸhren sie immer dieselbe BegrŸndung an: PrŠsident dos Santos habe nach einem so langen BŸrgerkrieg endlich fŸr StabilitŠt und Ordnung im Land gesorgt. Dreizehn Jahre nach dem Ende des Konflikts klingt dieses Argument in meinen Ohren wie eine leere Formel. Atmo Redaktionsraum ErzŠhler In einem riesigen verglasten GebŠude vor den Toren Lissabons sitzt Portugals grš§te Wochenzeitung ãExpressoÒ. Nicolau Santos, der stellvertretende Chefredakteur, beobachtet seit Jahren die portugiesisch-angolanischen Beziehungen. Was hŠlt er von den RŸcksichten der Lissabonner Regierung auf Luanda: O-Ton Nicolau Santos (port.) Sprecher 1 Ich bin in Angola geboren und kam mit 20 Jahren nach Portugal, deshalb wei§ ich ungefŠhr, wie die Menschen in meinem Geburtsland ticken, wie ihre MentalitŠt ist. Die Angolaner respektieren diejenigen, die ihnen ganz klar und offen sagen, was Sache ist Ð auch wenn das zu Problemen fŸhren kann. Diejenigen, die dauernd zurŸckweichen, sich ehrfurchtsvoll verbeugen und die Konflikte unter den Teppich kehren wollen, genie§en keinen Respekt in Angola. Und genau das ist passiert, als sich der portugiesische Au§enminister entschuldigt hat. ErzŠhler Wie erklŠrt sich Santos die kleinlaute Haltung der portugiesischen Regierung? O-Ton Nicolau Santos Sprecher 1 Das Sparprogramm, das die portugiesische Regierung und die Troika in Portugal umsetzen wollten, baute auf eine entscheidende Idee: Der Aufschwung wŸrde kommen, wenn das Vertrauen der internationalen Investoren zurŸckgewonnen wŸrde. Deshalb privatisierte die Regierung ehemalige Staatsbetriebe und kŸrzte Lšhne und Renten. Doch der Plan ging trotzdem nicht ganz auf. Denn aus Europa kamen nur ganz wenige Investitionen nach Portugal, das meiste Geld floss aus dem au§ereuropŠischen Ausland, also vor allem aus China und Angola. ErzŠhler Dazu kommt: Das Gewicht Angolas im portugiesischen Au§enhandel hat stark zugenommen. Hinter Spanien, Deutschland und Frankreich war die ehemalige Kolonie im Jahr 2014 bereits der viertgrš§te Absatzmarkt fŸr portugiesische Exporte. †ber 8000 portugiesische Firmen liefern Waren in ein Land, das sehr wenig selbst produziert: Dienstleistungen, Telekommunikationstechnologie, Baumaterial, Bier, Wein, Medikamente. Lied Pedro Abrunhosa (Ÿber Emigration, Abschied etc) ErzŠhler Die Auswanderung nach Angola hat wieder zugenommen Ð auch eine Folge der europŠischen Krise. Ich kenne kaum eine portugiesische Familie, in der nicht ein Cousin, ein Sohn oder ein Vater in der ehemaligen Kolonie arbeitet. †ber 200.000 Portugiesen sollen es mittlerweile sein. Und jetzt gilt wieder das klassische Arbeitsmigrantenmodell: HauptsŠchlich junge MŠnner gehen fŸr ein paar Jahre fort und schicken einen Teil ihres Gehaltes zu ihren Frauen und Familien in die portugiesischen Heimat. †ber 300 Millionen Euro flossen 2013 aus Angola nach Portugal. Portugiesische Politiker denken deshalb auch immer an die Lage ihrer Landsleute in Afrika. O-Ton Agualusa (port.) Sprecher 3 Portugal begeht wieder den gleichen Fehler. In der Zeit der Apartheid in SŸdafrika war Portugal eines der wenigen europŠischen LŠnder, das fast bis zum Schluss die autoritŠre Herrschaft der Wei§en unterstŸtzte. Die BegrŸndung dafŸr war, dass Portugal die Interessen der portugiesischen Immigranten in SŸdafrika schŸtzen mŸsse. Die Konsequenzen waren fatal. Denn die Portugiesen wurden nach dem Ende der Apartheid immer mit dem wei§en Regime in Verbindung gebracht Ð was ja auch stimmt. Die gegenwŠrtige Haltung der portugiesischen Regierung gegenŸber Angola ist ganz Šhnlich: Lissabon unterstŸtzt die Diktatur in Angola mit dem gleichen Argument wie damals das Regime in SŸdafrika. Atmo Verlag ErzŠhler: Der portugiesisch- angolanische Schriftsteller JosŽ Eduardo Agualusa hat vor ein paar Jahren den Kontakt zwischen einem unabhŠngigen portugiesischen Verlag und Angolas bekanntestem BŸrgerrechtler und Journalisten Rafael Marques hergestellt. Marques hatte Ÿber die brutale Ausbeutung angolanischer Arbeiter in den Diamantenminen im Nordosten Angolas ein Buch geschrieben. Sprecher 2 Zitator Textauszug Marques Dieser Bericht zeigt, dass in Cuango ein Zustand des Terrors herrscht. Die Gewalt in dieser Region ist Ausdruck eines politischen Willens von leitenden angolanischen Regierungsvertretern, die vom PrŠsidenten geschŸtzt werden. Sie haben mit Hilfe von Korruption und Gewalt riesige Vermšgen angehŠuft in Absprache mit Unternehmen, die an der Exploration und Vermarktung von Diamanten beteiligt sind. Die Regierung hat noch nicht einmal einen Minimalbetrag aus der Diamantenproduktion genutzt, um Jobs zu schaffen oder in Gesundheit und Bildung zu investieren oder die extreme Armut in der Bevšlkerung zu lindern. Der ãmodus operandiÒ der Regierung und der Diamantenindustrie in der Region basiert auf einer strukturellen Gewalt, also Tštungen, Folter und Leid, und die Bevšlkerung wird darŸber in Unwissenheit gehalten und in ihrer MenschenwŸrde verletzt. Atmo Verlag ErzŠhler Sein Buch ãBlutdiamantenÒ hŠtte Rafael Marques in Angola nicht publizieren kšnnen. Der Schritt nach Lissabon war also naheliegend. Viele angolanische Autoren veršffentlichen ihre Texte in Portugal, schlie§lich sprechen sie doch hier wie dort die gleiche Sprache. Doch in jŸngster Zeit sind auch die gro§en portugiesischen Verlage vorsichtiger geworden. O-Ton Bulhosa (port.) Sprecherin 1 Ein Teil der portugiesischen Verlagslandschaft verdient viel Geld mit SchulbŸchern, die in Angola verkauft werden. Die beiden grš§ten Verlagsgruppen produzieren sehr viel Material fŸr den angolanischen Markt, und wenn ich GeschŠftsfŸhrerin einer dieser Verlage wŠre, dann wŸrde ich es mir gut Ÿberlegen, ob ich ein Buch publiziere, das das angolanische Regime direkt anklagt. Atmo GesprŠch im Verlag ErzŠhler In ihrem kleinen Verlag ãTinta da ChinaÒ macht sich Barbara Bulhosa Ÿber die Gefahr von Kritik an den angolanischen VerhŠltnissen keine Gedanken. Die gro§e, schlanke Frau mit den Henna gefŠrbten, glatten Haaren sitzt mir in ihren VerlagsrŠumen in Lissabon gegenŸber. Hinter ihr farbige BuchumschlŠge: Henry Miller, Fernando Pessoa, Agualusa. Bulhosa erzŠhlt eine Geschichte, die ihr immer noch sehr ans Herz geht. Sie hatte Rafael Marques nach Lissabon eingeladen, besprach mit ihm das Buch Ÿber die Blutdiamanten, prŸfte die Beweise, die der angolanische Journalist mitgebracht hatte und veršffentlichte schlie§lich den Text. Die Reaktion der im Buch beschuldigten angolanischen GenerŠle, von denen manche ihr Geld in Portugal arbeiten lassen, lie§ nicht auf sich warten. Sie engagierten Portugals renommierteste Anwaltskanzlei und erstatteten Strafanzeige wegen Verleumdung Ð gegen Marques und seine Verlegerin. O-Ton Bulhosa Sprecherin 1 Es ist das erste Mal, dass in Portugal gegen eine portugiesische Verlegerin persšnlich ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. FŸr mich war klar: Die GenerŠle wollten damit nicht nur mich einschŸchtern, sondern alle anderen Verleger in Portugal, die sich trauen, derartig brisantes Material zu veršffentlichen. Atmo Portugiesisches Parlament ErzŠhler Das Verfahren wurde von der Lissaboner Justiz bald eingestellt. Doch die MilitŠrs, darunter auch ein enger Vertrauter von PrŠsident dos Santos, brachten Rafael Marques in Angola vor Gericht: Der Journalist wurde zu sechs Monaten Haft auf BewŠhrung und einer Geldstrafe verurteilt. Auf dem Hšhepunkt der juristischen Auseinandersetzung um das in Portugal publizierte Buch stellte die portugiesische Partei Linksblock im Parlament in Lissabon einen Antrag: Die Volksvertretung, so hie§ es darin, sollte ihre SolidaritŠt mit dem angolanischen BŸrgerrechtler erklŠren und eine Einstellung des Gerichtsverfahrens fordern. Doch der Antrag wurde mit ŸberwŠltigender Mehrheit abgelehnt. Nicht nur die konservative Regierung, sondern auch die Sozialisten, Kommunisten und die GrŸnen sprachen sich dagegen aus, das Recht auf Meinungsfreiheit in Angola šffentlich einzufordern. O-Ton Bulhosa Sprecherin 1 Das macht mir Angst. Wie kann es sein, dass das portugiesische Parlament die Menschenrechte nicht als hšchstes Gut anerkennt und sich dafŸr einsetzt? Und wie kann es sein, dass zwischen Portugal und Angola so enge emotionale, kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen bestehen, und wir Portugiesen trotzdem nicht in der Lage sind zu sagen: Hey, halt mal, das finden wir nicht gut. Atmo Zeitungsredaktion ErzŠhler Es ist nicht immer nur der Profit, der angolanische Investoren in Portugal antreibt. In den vergangenen Jahren haben Konzerne aus der ehemaligen Kolonie sich zunehmend bei portugiesischen Medien eingekauft, obwohl auch in Portugal die Zeitungsverlage in einer tiefen Krise stecken und teilweise hochverschuldet sind. O-Ton Nicolau Santos (port.) Sprecher 1 Wer in den Medienbereich in Portugal investiert, dem kann es nicht ums Geld oder um RentabilitŠt gehen. Es geht vielmehr darum, sich Einfluss zu verschaffen, Nachrichten, die das Bild von Angola negativ beeinflussen kšnnten, zu kontrollieren und die Berichterstattung Ÿber Angola in Portugal in ein positives Licht zu rŸcken. ErzŠhler Nicolau Santos hat zuletzt im ãExpressoÒ ein Portrait Ÿber Angolas StaatsprŠsidenten dos Santos veršffentlicht Ð mit dem Titel ãDer angolanische SonnenkšnigÒ. Eine so pointierte, kritische Analyse der angolanischen FŸhrung finde sich leider viel zu selten, meint Angolas Ex-Premier Marcolino Moco. O-Ton Moco (port.) Sprecher 2 Angolas Regime will Einfluss auf die šffentliche Meinung in Portugal Ÿben. Und das ist ihm auch gelungen. Die portugiesischen Journalisten mŸssen sich zweimal Ÿberlegen, was sie Ÿber Angola schreiben. Und man merkt, es gibt zwar noch eine kritische Berichterstattung, aber sie hat deutlich abgenommen. Viele Leute haben einfach Angst. Atmo Musik / Spot Aktivisten ErzŠhler Seit ein paar Wochen protestieren angolanische Aktivisten, die in Lissabon leben, gegen die autoritŠre Herrschaft von PrŠsident dos Santos. Im Juni 2015 nahm die Polizei in Luanda eine Gruppe von Studenten und KŸnstlern fest. Das angolanische Regime beschuldigte sie, einen Staatsstreich organisieren zu wollen und sperrte sie ein. Atmo Spot ãLiberdade para os presos pol’ticos j‡Ó ErzŠhler Die Festnahme der Studenten hat jedoch eine weite Protestwelle losgetreten. In Lissabon und Luanda fand zeitgleich ein Konzert statt, bei dem sich angolanische Musiker mit den festgenommenen Studenten solidarisierten. In einem Video fordern angolanische Aktivisten und KŸnstler, die Freilassung der politischen Gefangenen. Auch der Schriftsteller Agualusa macht da mit: O-Ton Agualusa (port.) Sprecher 3 Wir wollen, dass der internationale Druck auf Angola zunimmt. Der angolanischen Regierung, und insbesondere PrŠsident dos Santos und seinen Vertrauten, ist es ganz wichtig, was man im Ausland Ÿber sie sagt. In diesem Punkt unterscheiden sie sich von anderen Regimen, zum Beispiel von Mugabe in Zimbabwe, dem das mittlerweile ganz egal ist. Das angolanische Regime sucht internationale Anerkennung, und deshalb kann man auf das Regime Druck von au§en aufbauen. ErzŠhler Agualusa ist sich sicher, dass sich hinter dem harten Durchgreifen offensichtlich auch die Angst vor grš§eren Protesten in der Bevšlkerung verstecke. Vor ein paar Monaten war der Schriftsteller in seiner Heimat gewesen. Der Verfall des …lpreises, argumentiert er, habe schwerwiegende Folgen fŸr die angolanische Wirtschaft. Der Staat mŸsse mit einer HaushaltslŸcke im zweistelligen Milliardenbereich rechnen. Das habe unŸberschaubaren Folgen fŸr ein Land, in dem Ÿber die HŠlfte der Bevšlkerung unter 18 Jahre alt ist und eine hohe Jugendarbeitslosigkeit herrscht. Atmo GesprŠch Luaty ErzŠhler: Unter den 15 politischen Gefangenen ist auch ein junger Mann mit engen Verbindungen nach Portugal. Der Rapper Luaty Beir‹o. Ich habe ihn vor drei Jahren in einer Garage in Lissabon getroffen. Luaty, ein portugiesisch-stŠmmiger Angolaner mit schulterlangen Haaren und Dreitagebart, sa§ da mit seinem Kumpel Pedro vor Keyboard und PC. Die beiden arbeiteten an ihrem gemeinsamen Musikprojekt ãBatidaÒ Ð einem Gemisch aus angolanischen und europŠischen MusikeinflŸssen. Musik Lied ãBatidaÒ ErzŠhler: Luaty ist der Sohn einer einflussreichen Familie, sein Vater war ein enger Vertrauter von PrŠsident dos Santos. Im MŠrz 2011, mitten auf dem Hšhepunkt des arabischen FrŸhlings, stieg Luaty auf eine BŸhne in Luanda und forderte wŠhrend eines Konzerts den RŸcktritt von PrŠsidenten dos Santos. Gaddafi ist bald weg, rief er, und du musst auch gehen. Seither steht er in Luanda unter Generalverdacht. Als ich ihn im Juli 2012 in der Lissabonner Garage traf, war er gerade wieder aus Angola gekommen. Am Flughafen in Luanda wollte er sich mit einem Fahrrad im GepŠck auf die Reise machen. Irgendjemand hat dort Ÿber ein Kilo Kokain im Reifen seines Rads versteckt. O-Ton Luaty (port.) Sprecher 2 Das passiert leider sehr hŠufig in Angola: Das Regime schwŠrzt seine politischen Gegner an. Wir werden immer wieder mit Drogenhandel und anderen Verbrechen in Verbindung gebracht, und so will das Regime gerade die Gegner kriminalisieren, die hohe ethische Ma§stŠbe haben und diese in der Auseinandersetzung mit der Regierung einfordern. ErzŠhler Luaty hatte da noch GlŸck, dass die portugiesischen Behšrden, die am Lissaboner Flughafen das Kokain aus seinem Fahrradreifen holten, von seiner Unschuld Ÿberzeugt waren. Er kam frei. Und ging trotzdem wieder zurŸck nach Angola, um vor Ort fŸr eine gerechtere Gesellschaft zu kŠmpfen. Jetzt sitzt er in Angola in Einzelhaft, im Juli hat er einen Hungerstreik begonnen. Mir geht etwas nicht aus dem Kopf, was Luaty bei unserem GesprŠch vor drei Jahren sagte: O-Ton Luaty Sprecher: 2 Ich hoffe, dass gerade in Portugal die Journalisten sich fŸr unseren Protest interessieren. Portugiesen und Angolaner teilen eine gemeinsame Vergangenheit, es gibt viele Verbindungen, es ist viel wahrscheinlicher, dass in Portugal Ÿber uns berichtet wird als zum Beispiel bei der BBC oder bei Al-Jazeera. Wenn 200 Leute in Angola verprŸgelt werden, dann ist das gar nichts verglichen mit dem Krieg in Syrien. Es ist also schwer fŸr uns, aus unserem Anliegen eine Nachrichtenmeldung zu machen. Und deshalb mŸssen wir grš§ere Risiken eingehen. Wir wollen das nicht unbedingt, aber das allerwichtigste Mittel, das wir in der Hand haben, ist die Berichterstattung in den Medien. Musik Luaty Beirao und ãBatidaÓ Absage SchnŠppchenjagd im ehemaligen Mutterland Angola nimmt Einfluss auf die Entwicklung Portugals Ein Feature von Tilo Wagner Sie hšrten eine Produktion des Deutschlandfunks 2015. Es sprachen: Guido Lambrecht, Sigrid Burkholder, Oliver Krietsch-Matzura, Josef Tratnik und Bruno Winzen Ton und Technik: Gunther Rose und Katrin Fidorra Regie: Susanne Krings Redaktion: Karin Beindorff 20 20