COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Atmo 185./ 2.16 Brauchst du ne Banane? (packt eine aus) Autorin Deep Metal Piercing - ein Tattoo und Piercing Studio in Dortmund. Andrea Venhaus, Inhaberin des Ladens reicht ihrem Kunden ein bananenförmiges Kissen. Als Kopfstütze. Alex, 29. streckt sich auf der Behandlungsliege aus, hält der Piercerin seine rechte Hand zur Desinfektion hin. Atmo 3.42 desinfiziert Hände / 8.25 packt das ganze Besteck aus Autorin Fertig. Andrea Venhaus packt das OP-Besteck aus. Schere, Skalpell, Pinzetten, Tupfer, Nähbesteck, Gleitgel. 1 O-Ton 37.20. Nichts andres, als das, was man in einer anderen OP auch benutzen würde. Ich geh jetzt nicht hin und fang an zu experimentieren. Das ist nix anderes als im Krankenhaus. Autorin Die Piercerin legt Wert auf die hygienischen Bedingungen in ihrem Studio. Alles auf ihrem OP-Tischchen ist sterilisiert. Bevor sie sich an die Arbeit macht, wechselt sie ein zweites Mal die Handschuhe. Atmo 11.26 wieder Handschuhe ausziehen - dann neue anziehen Autorin Venhaus beugt sich über Alex' Hand, inspiziert den mittleren Finger. Ein subdermales Implantat ist gewünscht - ein Implantat mit Botschaft. Ein Ausrufezeichen aus Silikon fürs untere Fingerglied. 2 O-Ton 1.46 Das ist der, den man am häufigsten ausstreckt. Autorin Andrea Venhaus macht einen kleinen Schnitt mit dem Skalpell kurz über dem Knöchel, tupft Blut weg, und schiebt vorsichtig den schmalen Griff einer Pinzette in die Öffnung. "Die Tasche für das Implantat" erklärt sie. Behutsam löst sie die oberen Hautschichten, bis knapp unter das erste Gelenk. Alex atmet bewusst ein und aus. 3 O-Ton 29.56 Es gibt wahrscheinlich 100.000 schönere Sachen. Ist aber erträglich. Atmo 15.20 murmelt/ schneidet Autorin Venhaus ist keine Ärztin, sie darf nicht unter Anästhesie arbeiten, erklärt sie. Aber es geht auch so. 4 O-Ton 34.34 Es gibt auch wunderbare Betäubungssalben, Sprays - ganz ohne? Nö Autorin Das Implantat ist nun dran. Mit Hilfe von Gleitgel schiebt Venhaus das kleine Ausrufezeichen in die Haut-Tasche, drückt die überschüssige Luft raus. Atmo 23.15 Jetzt kannst du mal ne Bewegungsprobe machen. Autorin Alex kann seinen Finger noch gut bewegen. Es spannt ein wenig, sagt er - aber das ist am Anfang immer so. Es wird besser, wenn die Schwellung abheilt. Andrea Venhaus näht den Schnitt wieder zu. Drei Stiche - mehr braucht es nicht. Atmo 28.07 Ich glaube weitere wären übertrieben. Knoten fertig, aus die Maus! 30 Fertig schick! 5 O-Ton-Collage (ineinander(nacheinander/übereinander mischen mit Eeffekten ) 0.52. also ich habe meine Ohren ausgedehnt das sind jetzt 80 Millimeter (Rep) Vielleicht die Unterlippe unterspritzen. Das möchte ich machen 0.52. meine Lippe ausgedehnt 036 ich haben 25 Piercings 1.15 Ohrläppchen habe ich gedehnt 0.52. ein Innerseptum in der Nasenscheidewand 036 ich habe ein Cutting (aus Rep) Es gibt unterschiedlich Fettqualitäten, ganze weiche fette Pos, das macht Spaß das abzusaugen, weil das geht gut 0.52. großflächig tätowiert 036 Nabelpiercing 036 Zunge gespalten (Rep)Der Meißel löst das Nasenbein von dem Oberkieferknochen, so dass jetzt die Nase schmaler geworden ist. 0.52. dann habe ich Genitalimplantate legen lassen kleine Kugeln 21 stück an der zahl 1.15 Implantate und Hörner Atmo Trenner (wie ein Schlusspunkt der Collage) Musikteppich (etwas das zu einem historischen Rückblick passt) Autorin Bodymodifications - gezielte Veränderungen des Körpers - sind kein neues Phänomen. Eingriffe, die die Haut oder Silhouette des Menschen dauerhaft modifizieren, gehen meist auf traditionelle Rituale zurück, die schon weit vor Christi Geburt von unterschiedlichsten Völkern auf der Welt praktiziert wurden. 7000 Jahre alt waren die Mumien, die im Norden Chiles gefunden wurden und Tätowierungen an Händen und Füßen aufwiesen. Zu Zeiten des prähistorischen Ötzis - immerhin auch schon über 5000 Jahren her - war es offenbar ebenfalls üblich sich Farbe mit Nadeln unter die Haut zu bringen. Und auch australische Ureinwohner, Frauen aus dem alten Ägypten und Menschen im Pazifikraum und Afrika schmückten ihre Körper schon vor tausenden von Jahren mit Farben oder bohrten sich Ringe und Pflöcke in Nasen, Ohren und Lippen. Aber warum? Das Bedürfnis des Menschen, seinen Körper zu verändern, ist so alt wie die Menschheit selbst, sagt die Therapeutin Ada Borkenhagen, Psychoanalytikerin mit Forschungsschwerpunkt: Körpermodifikationen. 6 O-Ton 1.10 Der Mensch ist ein Mängelwesen - das wissen wir seit Gehlen. Er kommt mangelhaft auf die Welt und ist unfertig. Und aus diesem Empfinden kommt das Bedürfnis sich zu verbessern. Autorin Der Mensch ist in der Lage, Werkzeuge herzustellen und Techniken zu erfinden, die seine menschlichen Fähigkeiten verbessern. Daraus entstehe der Wunsch, auch sich selbst permanent zu optimieren, erklärt Ada Borkenhagen. Das werde noch verstärkt durch das Streben des Menschen nach einer Differenzierung von seinen nächsten Artgenossen. 7 O-Ton 4.21 Ich denke auch beim Menschen haben wir früh so etwas wie Schmuck oder Ornamente oder Modephänomene. Eines hat auch Darwin beschrieben - die Haarlosigkeit des weiblichen Körpers. Was wir schön finden - das Gegenteil davon finden wir bei Affen: eine sehr flache Stirn finden wir bei den Affen. Wir haben eher das Ideal einer hohen Stirn. Musikteppich (World/Tribal/atmospärisch/fremde Kultur) Autorin Die Betonung des Unterschieds. Innerhalb der menschlichen Gesellschaft galten Körperveränderungen seit jeher als Mittel der Distinktion. Bei den Maori zum Beispiel, den indigenen Völkern Neuseelands, zeichneten die narbigen Verzierungen des Gesichts den hohen Rang der Träger aus. Das Stechen eines Nasen- oder Ohrenpiercings bedeutete bei unterschiedlichsten Stammesgesellschaften auf der Welt den Aufstieg zum Krieger oder Jäger. Die Lippenteller der Mursi, einem Volk im Südwesten Äthiopiens, besiegelten das Ende der weiblichen Pubertät. Im alten China galten Frauen mit kleinen Füßen als besonders erotisch, so dass schon jungen Mädchen die Füße gebrochen und abgebunden wurden um ihren Brautwert zu steigern. Ob gestochen, gemalt, verstümmelt oder geweitet - die meisten ursprünglichen Formen der Bodymodifications. 8 O-Ton 9.14 waren Kennzeichen für Stammenszugehörigkeit. Autorin sagt Erich Kasten, Psychologe und Autor des Buches "Body Modification - Psychologische und medizinische Aspekte von Piercing, Tattoo, Selbstverletzung und anderen Körperveränderungen" 9 O-Ton Dann als soziales Kennzeichen für den Rang in der Hierarchie. Man musste sich diese Form der Modifikation erkämpfen. Je mehr Leistungen je mehr Modifikationen. Autorin Vor allem bei Volksgruppen aus wärmeren Regionen der Welt waren traditionelle Rituale der Körpermodifikationen bis in das 20. Jahrhundert stark verbreitet. 10 O-Ton 11. In Gesellschaften, wo Leute unbekleidet rumlaufen, damit man sie unterscheiden konnte. Im kühlen Nordeuropa hat man sich mit Kleidung behangen, man konnte dann an Kettchen oder Tierfellen die Leute unterscheiden. Bei Leuten in wärmeren Gebieten: die versuchten Individualität auszudrücken indem sie dann die Haut direkt verschönen. Autorin Dass im christlich geprägten Europa Körperveränderungen lange Zeit wenig en vogue waren, lag allerdings nicht nur an den kühleren Temperaturen. Es gab auch religiöse Vorbehalte gegen den vermeintlich heidnischen Brauch Eingriffe am Körper vorzunehmen. Im alten Testament steht: Und einen Einschnitt wegen eines Toten sollt ihr an eurem Fleisch nicht machen; und geätzte Schrift sollt ihr an euch nicht machen. Das neue Testament verbietet zwar Körperveränderungen nicht grundsätzlich, fordert den Menschen aber doch auf den Leib als Tempel des Heiligen Geistes zu respektieren. Auch eine Erklärung warum die Europäer zumindest im großen Stil - erst im 20. Jahrhundert auf den Geschmack der Bodymodifications kamen. 11 O-Ton (Kasten) 12.37 Historisch gesehen, haben das Seeleute rübergetragen. Die sind auf den Pazifikinseln gelandet haben sich dann tätowieren lassen. Deswegen hängt heute ja den Tattoos immer noch der Geruch des Abenteuers an. Die schlugen ja auch gerne mal über die Strenge die Seeleute und landeten dann im Gefängnis. Insofern setzte der Trend sich dann fort. Knastbrüder waren tätowiert, dann war das für Rocker interessant in den 50ern. Außenseiter eben, die spiegeln die Abenteuerlust außerhalb der Gesellschaft. Autorin Es folgten die Punks mit den von Sicherheitsnadeln zerstochenen Wangen, bis dann in den 90er Jahren Piercings und Tattoos immer mehr zum Mainstream-Modephänomen wurden. Eine Entwicklung, die parallel verlief zur plastischen Chirurgie - der anderen Seite der Bodymodifications. Seit dem ersten Weltkrieg entwickelten sich hier immer bessere und feinere Operationsmethoden, so dass Operationen aus ästhetischen Gründen mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. 12 O-Ton (Voice Over Frau) (http://www.youtube.com/watch?v=no_66MGu0Oo) 22. min. Orlan: Ich denke in unserer Zeit - mit den Möglichkeiten die uns die Technologien der plastischen Chirurgie bieten - ist es möglich die Distanz zwischen dem was man ist und dem was man hat, zu reduzieren. Ich werde das Maximum rausholen, was man mit Implantaten machen kann und so besonders große verwenden. Autorin So die französische Body-Art Künstlerin Orlan im Jahr 1991, zu einer ihrer zahlreichen Operationen, denen sie sich unterzog, um Schönheitsidealen der Kunstgeschichte zu entsprechen. Autorin Drastische Eingriffe aus rein ästhetischen Gründen sind allerdings nach wie vor die Ausnahme. Sie dienen eher der Wiederherstellung von Form und Funktion nach Unfällen oder Tumoroperationen und werden dementsprechend auch als Rekonstruktive Chirurgie bezeichnet. In der klassischen Schönheitschirurgie, für die es keine medizinischen Indikationen gibt, sind Fettabsaugen, Nasen- und Lidkorrekturen die häufigsten chirurgischen Eingriffe. Allerdings stagnieren die Zahlen hier seit ein paar Jahren. Im Gegensatz zu Faltenbehandlungen mithilfe von Botox oder Hyaluronspritzen, die immer häufiger durchgeführt werden. Atmo 46.32 Bei Ihnen würde ich die Zornesfalte entfernen. Dann den Augenöffner, die Lidregion kann man ganz vorsichtig einspritzen - nur den Augenheber - das öffnet die Augen. Wenn Sie mal in den Spiegel schauen - sie haben eine prominentere Kieferregion hier würde ich nur ein klein bisschen einspritzen und nur demnächst mal die Wangen... Autorin Dagmar Scharschmidt hat einen sehr genauen Blick. Keine Alterserscheinung entgeht der Berliner Ärztin für Lasermedizin und ästhetische Dermatologie. Die ersten Anzeichen horizontaler und vertikaler Falten auf der Stirn, hängende Augenlider, Krähenfüße, immer tiefer werdende Nasolabialfalten. Da kann man etwas machen, sagt Scharschmidt und zeigt ein paar Vorher-Nachher Bilder: 13 O-Ton 49.21 Das ist unmittelbar nach einer Behandlung. Aber sie sehen wie abgesunken das ist. Das ist auch typisch das mittlere Fett sinkt am besten ab. Und da ist das aufgefüllte... Autorin Die Frau, schätzungsweise Mitte fünfzig, hat auf dem Nachher-Bild eine deutlich geglättete Stirn und auch die Region um die Augen wirkt weniger eingefallen. Ein nächster Fall. Eine junge Frau mit dunklen, dicken Rändern unter den Augen 14 O-Ton 50.38 Da ist die Tränenrinne und da ist Fett vorgefallen. Irgendwann muss man das operieren. Das Müde hat so gestört. Autorin Mithilfe von Hyaloronsäure hat Dagmar Scharschmidt ihrer Patientin das Müde unter den Augen weggespritzt. Man kann mit den neuen Methoden das Altern hinauszögern, sagt die Ärztin. Wenn man zeitig anfinge, ließen sich so auch Schönheitsoperationen um Jahre nach hinten verschieben. Wirklich verändert wolle ihre Hauptklientel zwischen Mitte 30 und 50 nicht aussehen, meint die Dermatologin. Nur eben frischer, entspannter. Allemal die jüngeren Patientinnen wünschten sich hin und wieder etwas Neues für ihr Gesicht: 15 O-Ton 12.03 Mitte zwanzig, da wird häufig eine Lippenbehandlung gewünscht, das scheint sehr in zu sein. Autorin Auf der einen Seite also der Trend zu geringfügig invasiven Eingriffen, die möglichst unauffällig den Alterungsprozess verlangsamen. Auf der anderen Seite eine Entwicklung zu immer extremeren Formen der Bodymodification. Atmo Studio /Blättern 16 O- Töne: 35.24 Das ist ein Implantat am Arm und in der Wade 37.20. Das ist jetzt ein größeres Gemetzel gewesen - das ist also jetzt ein Implantat auf dem Brustbein 41.40 Hier sieht man mal Zungenspalten - Normalfall ist, dass man es näht. Das heilt besser ab und wächst auch nicht so schnell zusammen Autorin Die Piercerin Andrea Venhaus, blättert durch den Ansichtskatalog ihrer Arbeiten 17 O- Töne: 43.36 Das ist eine seltene Sache, wobei ich das Gefühl hab, es könnte wieder mehr werden - das ist das Spalten der Vorhaut 46.14 das ist jetzt eine gespaltene Eichel 54.04 hier Brandings mit glühendem Blech Autorin Andrea Venhaus meint, Bodymodification heute habe - neben dem fortbestehendem Wunsch sich von der Masse abzusetzen - auch etwas mit der Sehnsucht nach körperlichen Erfahrungen zu tun: 18 O-Ton 24,11 Ich denke, es hat damit zu tun, dass wir in einer Zeit leben, wo echte Körpererfahrungen nicht möglich sind - das erklärt auch den Run auf Fitnessstudios oder Marathon. Ich denke, dass die Erfahrung, die man dabei sucht, die Grenzerfahrung, ist im Endeffekt ob ich mir ein Branding mach oder den Mount Everest besteige nicht ganz unähnlich. Autorin Viele ihrer Kunden beschreiben ihre Bodymodifications auch als Teil eines Vervollständigungsprozesses. Philip Alexander Bartz zum Beispiel, ein 25-jähriger Krankenpfleger mit bis zu den Ohren ausgedehnten Ohrläppchen, Schmuckstein in der Unterlippe, Öffnung der Nasenscheidewand, transdermalem Implant auf der Stirn, gespaltener Zunge, Bauchnabelpiercing, 21 Genitalimplantaten, Ring in der Eichel und einem körperfüllenden schwarzen Tattoo. 19 O-Ton 20.04 Ich war immer schon ein Außenseiter mit nicht allzu vielen Freunden. Das hat mich geprägt. Manche Leute, die Außenseiter sind, die sich nicht so gut integrieren, manche bleiben einfach so. Manche gehen aber noch einen Schritt weiter im positiven Sinne. Ich hab mitgeholfen mir ein neues Schönheitsideal zu schaffen und das macht mich stolz. 24.07 Der Gewinn ist das Neue, was man dann an seinem Körper hat. Man nimmt das auf sich um seinem Schönheitsideal näher zu kommen. Ich fühle mich wohl mit meinen großen Ohren und immer wenn ich was Neues dazu machen lass, weiß ich, jetzt hast du es geschafft es sieht super aus das verschafft mir ein Stück Freiheit Atmo Trenner (s. o. derselber wie bei Schlusspunkt der Collage) Autorin Namru, 27 Jahre alt, grüne Haare, hat 25 Piercings, darunter ein Nabel und ein Nasenpiercing, ein Cutting - also eine durch Schnitte erzeugte Narbenverzierung - diverse Tattoos und eine gespaltene Zunge. 20 O-Ton 2.40 ich bin kein uniformer Mensch. Die Welt wäre schöner, wenn die Leute etwas individueller wären. Ich verändere das, was man verändern kann das finde ich gut. Das Zunge- Spalten hat für mich einen sexuellen Reiz - auch für meinen Partner - aber sonst ist das eher optisch motiviert. Im Großen und Ganzen ist es vielleicht auch eine Erweiterung: Ich sag mal das hat schon ein bisschen was on einem Upgrade mit einer Zunge und Piercing war nett mit gespaltenen Zunge hat man mehr Möglichkeiten. Atmo Trenner (s. o. derselber wie bei Schlusspunkt der Collage) Autorin Rolf Buchholz fing erst mit 40 Jahren an progressiv seinen Körper zu verändern. Heute ist der der 54jährige Informatiker, der bei der Telekom arbeitet, so stark gestaltet, dass die Umwelt meist irritiert reagiert. 21 O-Ton 11.20 Alle Leute gucken halt, es gibt auch immer Leute, die in Foto haben wollen. Autorin Von seinen insgesamt 453 Piercings trägt Rolf Buchholz 170 im Gesicht. Sie umrahmen Lippen und Augenbrauen, zieren Ohren und Nasen. Er hat zwei Hörner in die Stirn implantiert, eine gespaltene Zunge, gedehnte Ohrläppchen, diverse feste und weiche Implantate in Oberarmen, Beinen und Genitalien und ist am ganzen Körper tätowiert. 22 O-Ton 2. Das erste Tattoo das war 1999 auf der Convention - das war ein Tribal am Bein und ein Brustwarzenpiercing. Warum angefangen? Darauf habe ich nie ne Antwort gefunden. Hab angefangen und hatte Spaß dran. Autorin Sein Körpergefühl hat sich verändert, sagt Buchholz. Er spüre sich mehr. Und er findet sich schön, eben weil er nicht den gängigen Schönheitsidealen entspricht: 23 O-Ton 27 Bei Schönheitsidealen ist es auch so: die Sachen werden vorgegeben: wenn man sich bei Schauen die Models anschaut ist auch die Frage: sind die wirklich schön? Eigentlich sind die alle zu abgemagert. Da ist auch die Frage, ist das alles normal, was die da machen. Die Ideale werden auch vorgegeben. Ein Gesicht ohne Falten gilt als schön. Aber ist das wirklich schön? Autorin Das ist die Frage. Zu mindest auf der theoretischen Ebene macht es nicht unbedingt Sinn zwischen schönheitsmedizinischen Anwendungen und Bodymodifications aus dem Piercing- Studio zu unterscheiden. Schönheit ist relativ. Und ob man sich ein Implantat in die Brust oder in den Arm einbringen , sich Hyaluronsäure ins Gesicht oder Tätowierfarbe in die Schulter spritzen lässt, die Eingriffe bleiben gleich künstlich. Am Ende bedient auch beides den gleichen Wunsch nach Differenzierung meint Ada Borkenhagen: 24 O-Ton 1402 Ich denke das kommt daher, dass wir modernen Menschen in den westlichen Gesellschaften aufgefordert sind, eine eigene Biografie zu entwickeln. Zu definieren wer wir sind und das auch zu zeigen. Und der Körper ist zum einen der Punkt, wo man das gut machen kann und der einem zur Verfügung steht und der auch leicht manipulierbar ist und über den wir Identität zeigen können. Anders als früher, wo der Körper von Kleidung bedeckt war und wo man die Wertigkeit des Aussehens nicht so in den Vordergrund gestellt hat. Autorin Heute hingegen gestalten wir selbst die intimsten Stellen unsers Körpers. Intimpiercings erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. In Waxingstudios werden am laufenden Band Genitalien von Schamhaaren befreit und auch Schamlippenverkleinerungen sind ein wachsendes Segment auf dem Markt der ästhetischen Chirurgie. Bleibt die Frage, was die meist permanenten Veränderungen unserer Körper mit uns macht? Versklaven wir das Ich, wenn wir unsere Körper standardisieren? Laut einer Studie der Universität Leipzig aus dem Jahr 2009 ist für die tätowierten und gepiercten Befragten d er Wunsch nach starken Stimuli eine wichtige Motivation den Körper zu verändern. Menschen, die sich auf der anderen Seite mit Botox etwa die Zornesfalte glätten lassen, berichten darüber, auch weniger Zorn zu empfinden. Wechselwirkungen von Körper und Gefühl die Erich Kasten einleuchtend findet: 25 O-Ton 35.06 Schon winzige Veränderungen können Bewusstsein verändern: Frauen schminken sich und können ihr Selbstbewusstsein verändern. Ein neuer Haarschnitt - das ändert ja schon ihr Auftreten. 6.53 Unser Selbstbewusstsein hängt vom Ego ab: wenn Sie gut aussehen werden sie auch gelobt dann bildet sich eine Instanz heraus die sich selber lobt und das bezieht sich auch auf den eigenen Körper wenn wir denn verschönert haben dann lässt der Körper Hormone raus und wir sind glücklich wenn wir unserer Zielen näher gekommen sind. Autorin Für Kasten, der sich speziell mit den Extremformen der Bodymodifications beschäftigt, gehen die emotionalen Effekte hier allerdings weit über das normal-positive Feedback eines Lobs hinaus. Dafür sind Extremmodifikationen, die bei Bewusstsein erlebt werden, zu schmerzhaft. Der Kick ist ein anderer. Besonders anschaulich zeigen das sogenannte Suspensions, Rituale bei denen sich Menschen an temporären Piercings - in der Regel Fleischerhaken - aufhängen lassen um dann in der Luft schweben. Wie Philip Alexander Bartz zum Beispiel Musikteppich: 26 O-Ton 2.41 Da wurden dann Haken gesetzt die Haken wurden dann mit der Nadel in den Körper eingeführt, an Schlaufen befestigt, wo man sein Gewicht reinhängen muss. Der Körper schüttet so viele Hormone aus, dass man einfach nur Spaß dabei hat: man fliegt in der Luft die Leute klatschen dieses Gefühl lässt sich nicht beschreiben das ist einfach nur pure Freiheit. 3.50 Danach muss man das erstmal verarbeiten. Das war einfach meine Grenze aber das ist ein Anreiz das immer weiter zu machen: man ist frei von allen Gütern man verdrängt den Schmerz und fliegt. Musik weg 27 O-Ton 29.14 Wenn die Menschen da schweben und durch das Schmerz-Schwebegefühl Tranceerfahrungen machen - alle berichten davon, dass das Bewusstseinerweiterungen sind. Wir haben eine Studie gemacht über Piercings an der Uni und wir haben festgestellt, dass Leute durch das Anlegen des Piercings an Selbstbewusstsein gewonnen haben. Sie sind durch das Überstehen des Schmerzes gereift. Autorin Bodymodifications als moderne Mutprobe also. Solange sie nicht allein glücklich machen und Menschen nicht ihre Gesundheit gefährden oder sich unreflektiert ihre Zukunft verbauen, weil sie sich mit ihrem Aussehen zu weit ins Abseits bewegen, sieht Erich Kasten darin kein Problem. Es hat etwas Spielerisches findet auch Ada Borkenhagen: 28 O-Ton Ich würde das zu den anthropologisch konstanten Zügen des Menschen sehen, dass der Mensch ein Ausdruckswesen ist. Er nutzt die kulturellen Möglichkeiten, die angeboten und präferiert werden. Die Möglichkeiten haben sich vergrößert und die benutzen die Menschen auch. Dieser Wunsch Rollen zu spielen und sie jetzt auch ganz leibhaftig zu verkörpern das ist für mich so etwas was den Menschen zukommt. 9.31 Ich glaube nicht, dass das prinzipiell die Kernidentität beschädigen muss Autorin Das Problem sieht Ada Borkenhagen in der Ökonomie, die harmlosen Rollenspielen schnell Grenzen setzt. 29 O-Ton Die spielerischen Möglichkeiten entfalten sich aber immer in einem kulturellen Rahmen und das ist die Warengesellschaft. Und das ist das Problem. Sie haben dann schnell neue Körpernormen und die sind mit neuen Leiden verbunden für die, die den Normen nicht entsprechen. Autorin Im Unterschied zu den Bodymodications alter Volksstämme sind Bodymodifications heute zu einem Modephänomen geworden. Wie es jedes Jahr neue Kleiderkollektionen gibt, bilden sich heute auch in immer kürzeren Abständen neue Körpermoden heraus. Und entweder man ist Teil der Avantgarde, geht mit dem Trend oder ist ganz schlicht "von Gestern". Schlauchbootlippen, Riesenbusen, Tattoo über dem Steißbein, Piercing in der Augenbraue - alles längst schon wieder out. Der Körper wird zum Produkt. 30 O-Ton 5.38 Bodymodifications sind nichts anderes als eine bestimmte Ware in einer auf Aufmerksamkeit ausgerichteten Ökonomie. Ich kann mir damit ein bestimmtes Aussehen kaufen. Autorin Im Vergleich zu Bodymodifications aus dem Piercingstudio, wo man eine gespaltene Zunge für 300 Euro oder ein Branding schon für 120 Euro bekommt, kann eine regelmäßige Behandlung mit Botox und Hyaluronsäure schnell 2500 Euro im Jahr kosten. Es wird in Zukunft also die Frage sein, welchen Körper man sich leistet und welche symbolische Funktion man damit bedient. Das wird die Gesellschaft zunehmend spalten meint Ada Borkenhagen. 31 O-Ton 4.37 Noch mal in einer viel radikaleren Weise als früher. Vielleicht kommen wir zu einer Entwicklung, wo einige altern und andere scheinbar nicht. Das gab es früher vielleicht mal als Ausnahmeerscheinung, wo es eine Gabe war. Aber da wo es nicht erreichbar ist, kann man damit gut leben. Wenn man das kaufen kann, dann wird man das auch kaufen. Autorin Der Markt für Körpermoden wächst und damit auch der Druck zur Selbstvermarktung. Galt der Körper einst als Naturgegeben, als Leib, der mehr oder weniger hingenommen wurde, ist er heute ein Kunstprodukt. Sein Wert steigt mit der Nachfrage. Am begehrtesten ist - wie in jeder Ökonomie - das herausragende Unikat, oder eben die perfekte Anpassung an den jeweils aktuellen Trend. 1