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Einen Himmel zum Beispiel. Wenig verwunderlich, denn : Keine deutsche Stadt hat sich auf der Kinoleinwand derart verewigt wie Berlin. Hier laufen Geschichten rum. und ebenso viele filmische Ansichten, Interpretationen und Phantasien. Mit den Menschen laufen die Bilder. Und da sind wir wieder bei Tucholsky : "Diese Stadt zieht mit gefurchter Stirne ... ihren Karren ... " Früher, heute, morgen - Berlin im Kinofilm. Patrick Wellinski macht sich nun seine Bilder. -folgt Script Beitrag- Script Beitrag Musik: Schlossorgel O-Ton (Petzold) "Berlin ist nicht 20.15 Uhr. Das ist einfach so." O-Ton (Krawczyk) "Also man zeigt eigentlich ein Berlin, das ein Ableger ist von Sodom und Gomorrha." O-Ton (Gympel) "Meiner Meinung nach wird das Film-Bild der Stadt immer reduzierter. Ich nenn das immer die vier Filmgesichter von Berlin." Autor: Berlin und das Kino - das ist keine Liebesgeschichte. Denn anders als Paris oder New York hat sich in den letzten 117 Jahren, in denen das Kino existiert, kein filmischer Städtemythos Berlins herausgebildet. In einer Stadt, die wie keine andere die geopolitischen Spannungen und Explosionen des 20. Jahrhunderts zu spüren bekommen hat, ist es wenig verwunderlich, dass sich das Kino ihr immer wieder neu annähern musste. Es hatte keine Zeit, Wurzeln zu schlagen. Deshalb sind die meisten Berlin-Fiktionen Stoßgebete. Und es ist kein Zufall, dass oft das Wort "Himmel" im Titel auftaucht. Der Himmel ist wichtig in einer Stadt, die sich aufrappelte, in Trümmern versank, geteilt lebte und sich vereinigte: Collage: "Das Blaue vom Himmel" von Viktor Janson, 1932" " ... und über uns der Himmel" von Josef von Baky, 1947" "Der geteilte Himmel" von Konrad Wolf, 1963" "Stern ohne Himmel" von Ottokar Runze, 1981" "Der Himmel über Berlin" von Wim Wenders, 1986" ".. und der Himmel steht still" von John Schlesinger, 1993" "Im Himmel unter der Erde" von Britta Wauer, 2011" Autor: Aber wonach sehnen sich die Figuren in diesen Geschichten? Was beschwören diese häufig grau gefärbten Vorstellungen einer Stadt, in der sich selbst die Engel melancholisch geben? Ausschnitt: Der Himmel über Berlin - Sonnenaufgang: 07:22 Uhr, Sonnenuntergang 16:28 Uhr; Mondaufgang: 19:04 Uhr, Monduntergang, Wasserstand von Havel und Spree. Vor 20 Jahren stürzte ein sowjetischer Düsenjäger nahe der Spandauer Heerstraße in den Stößensee. Vor 50 Jahren war ... - Die Olympiade. Autor: Berlin-Filme sind immer auf der Suche, so wie Berlin, nach sich selbst, nach einer anderen Zeit. Und die lässt sich sehr genau verorten: Ausschnitt: Emil und die Detektive "Zum ersten Mal in Berlin? Du wirst ja Augen machen. Da gibt es Häuser, die sind 100 Stockwerke hoch. Jawohl! 100 Stockwerke. Zu Fuß dauert's drei Monate ehe man hinauf kommt. Fährt man eben mit einem Aufzug. In jedem Aufzug ist eine Küche, damit man unterwegs nicht verhungert. Und wenn du in Berlin in ein anderes Stadtviertel will, dann brauchst du nur in ein Postamt zu gehen. Dann steckt man dich in ein Rohr und schießt dich, wo du gerade zu tun hast." Autor: Emil und die Detektive von 1931. Regie: Gerhard Lamprecht. Drehbuch: Billy Wilder. Billie damals noch mit "ie". Und Berlin ist der eigentliche Hauptdarsteller des Films. Das ist kein Zufall wie Katarina Krawczyk sagt. Sie bietet Interessierten wöchentlich Stadtführungen durch die Filmstadt Berlin an: 4.O-Ton: Krawczyk "Weil der Film sagt, kommt in diese Stadt, wir sind eine fantastische Stadt, wir sind total modern, hier gibt es alles, Straßenbahnen und Taxen und Telefone und Litfasssäulen und alles ist wunderbar und hoch modern. Und wenn ihr mal beklaut werdet, ist auch nicht so schlimm, wir kriegen die." Autor: Das ist das Urbild. Berlin als aufstrebende Großstadt, dann Weltstadt, schließlich Weltmetropole. Als Ort, an dem es in den 20er Jahren des vorherigen Jahrhunderts weit über 300 Kinos gab, wo glanzvolle Premieren gefeiert wurden, wo Technik und Moderne blühten. Hier spielten die neuen Dramen und Komödien wie "Emil und die Detektive" oder Phil Jutzis "Berlin - Alexanderplatz". Ausschnitt: Berlin Alexanderplatz Wo gehst du hin? Arbeiten. Da kannst du lange suchen. Ich wüsste ja was für dich. Bei deinen Muskeln. Ich mach's nicht mit den Muskeln. Ich mach's mit der: Schnauze! Treten Sie nur näher meine Herrschaften. Warum trägt der feine Mann im Westen Schleifen und der Prolet trägt keine? Autor: Das Labyrinth der Straßen und der Lebensläufe, der Lärm des Verkehrs und die Dämmerung der verräucherten Kneipen - wo, wenn nicht hier, sollte man nach der perfekten Szenerie für die ersten schwarz-weißen Filme suchen? Der Stummfilme, die so suggestiv schwiegen? Und vielleicht wäre das auch schon die Erfolgsgeschichte des Berlin-Films gewesen. Doch 1933 kamen die Nationalsozialisten an die Macht. Das Kino beugte sich der Propaganda, bebilderte, auch noch im Krieg, Hetz- und Durchhaltegeschichten. Ausschnitt: Unter den Brücken: "Du mein Jung, du weißt Bescheid, nichts ist für die Ewigkeit" Autor: Einem gelang die Flucht: Helmuth Käutner drehte "Unter den Brücken". 1944, während die Alliiertenbomber über der Reichshauptstadt ihre Angriffe flogen. Doch davon ist in dieser "deutschen Romanze" - wie sich der Film selber nennt - nichts zu sehen. Zwei Schleppkahnfahrer verlieben sich in dieselbe Frau. Berlin nähern sie sich über die Havel. Die drei emigrieren quasi auf das Boot, denn "Unter den Brücken" versteht sich als Opposition zur Kriegswirklichkeit, wie auch der deutsche Regisseur Christian Petzold meint: 5.O-Ton: Petzold "Das ist ein Film der einfach zeigt, wir ziehen uns zurück auf den Kahn, wir machen nicht mehr mit, wir spielen nicht mehr mit und trotzdem hat man sind das Gefühl, dass das Leute sind in eine Hippie- Kommune ziehen, weil sie die Welt nicht mehr aushalten." Ausschnitt: Unter den Brücken - Das ist ja ne tolle Gans. - Der gefällt's eben bei uns. - Der Efeu und die Herzen gefallen mir auch gut. Der Kahn gefällt mir auch gut. Die ist wie ein Mensch. - Die tut nur so. Die tut nur so, weil sie nicht in die Bratpfanne will. - Henrik hat ganz recht. Tierintelligenz. - Ach, Willi geh' doch mal ans Steuer, ja? Und Verachen kommt mal schön mit Pappi mit. Da! Berlin! 6.O-Ton: Petzold " ... man hat das Gefühl, dass sie eigentlich all das auf ein Schiff packen, so ein bisschen wie Robinson Crusoe, was noch lebenswert ist: ne Art von Kunstbetrachtung, was wir haben, eine Art von Umgang mit Tieren und Essen, mit Berührungen, mit Physis, all das, was zwischen '33 und '45 zerstört worden ist. Das wird noch irgendwie auf dieses Schiff gepackt und außer Landes geschafft." Autor: Einer zertrümmerten Stadt in einer zerrissenen Welt musste sich das Kino neu nähern. Und so wurde bereits kurz nach der Kapitulation in Berlin wieder gedreht. Wolfgang Staudtes "Die Mörder sind unter uns", 1946. Oder Billy Wilders "Eine auswärtige Affäre" von 1948. Titel-Musik: Deutschland im Jahre Null 7.O-Ton: Petzold "Hier war ja alles im Eimer. Hier ist ja alles verseucht, Faschisten saßen an jeder Ecke noch. Da kommt jemand hier her, der selbst aus einem Land kommt, das vom Faschismus beherrscht und okkupiert war. Und der sieht was." Autor: Einer, der auch einen filmischen Neuanfang wagte, war der italienische Regisseur Roberto Rossellini. Er richtete die Kamera auf die Berliner Trümmer und erzählte in "Deutschland im Jahre Null" die Geschichte des Berliner Jungen Edmund Köhler, der im Nachkriegs-Berlin die Freiheit sucht und an ihr zerbricht: 5. Ausschnitt: Deutschland im Jahre Null "Hier geht es nicht um eine Anklage gegen das Deutsche Volk. und Auch nicht um seine Verteidigung. Sondern um eine sachliche Bestandsaufnahme von Tatsachen. Sollte jedoch jemand glauben, nachdem er die Geschichte von Edmund Köhler miterlebt hat, es müsse etwas geschehen, man müsste den deutschen Kindern beibringen das leben wieder lieben zu lernen. Dann hätte sich die Mühe desjenigen, der diesen Film gemacht hat, mehr als gelohnt." 8.O-Ton: Petzold "Also die Trümmer liegen herum, der Wind zieht da hindurch, die Fascho-Uniformen spielen keine Rollen mehr. Eigentlich ist man jetzt frei, man hat ne Möglichkeit. Man merkt das auch bei Rossellini, diese Bilder sind luftig und leicht. Weil: In Ruinen herrscht auch Freiheit. Bei ihm ist es natürlich so, dass die Freiheit nicht reicht, weil die alten Nazi-Lehrer, dass die alle noch weiterarbeiten mit ihren Mythologien und deshalb diesen Jungen in den Tod treiben. Und das ist ja auch ein Bild, dass für die nächsten 15 Jahre für Deutschland bezeichnend war. Also ne Jugend oder einen jungen Film hat's da nicht gegeben. Aber das ist, finde ich, der beste Berlin-Film." Autor: Das Kino zehrt von den Verhältnissen, die es umgibt. Und wenn eine Stadt wie Berlin in der Krise steckt, gebiert sie neue Fiktionen. Für den Berlin-Film der 1950er Jahre bedeutet das eine kurze Phase der nüchternen Betrachtung. Der Neorealismus, Rossellini machte es vor, schaute um die Straßenecke, fand seine Geschichten im Alltag der besetzten Stadt. Wie in "Die Halbstarken" mit Horst Buchholz oder in "Berlin Ecke Schönhauser" als Ost-Pendant zu "Die Halbstarken". Oder wie in Will Trempers "Endstation Liebe": 9.O-Ton Gympel: Und in "Endstation Liebe" passiert relativ wenig. Von außen betrachtet. Es fängt Samstagnachmittags an - Samstag war ja damals noch ein halber Arbeitstag, 1957 - unter jungen Arbeitern in einer Glühlampenfabrik in Westberlin, die eine Wette eingehen, dass die hübsche Neue aus dem Büro von dem Macker in der Klicke übers Wochenende rumgekriegt wird. Autor: Erzählt Jan Gympel, Autor und Filmjournalist. Einmal im Monat zeigt er im Brotfabrik-Kino in Weißensee vergessene Berlin-Film-Raritäten. Anhand seiner Auswahl wird deutlich, dass mit dem Mauerbau 1961 nicht nur die Stadt geteilt, sondern auch die Berlinfiktionen zerlegt wurden. Von nun an liefen sie parallel zueinander und berührten sich - und blieben sich doch fremd. In der DDR war Ost- Berlin immer noch die Hauptstadt und damit auch stets Sehnsuchtsziel. Besonders gut zeigt sich das in dem 1966 produzierten DEFA-Musical "Hochzeitsnacht im Regen": 6.Ausschnitt: Hochzeitsnacht im Regen - Casanova wird jeden Tag eine Sekunde schneller. - Sie sind bestimmt der Cheftrainer? - Sekundensache. - Ich möchte Jockey werden. - Sie sind sehr lustig. - Meinen sie das positiv oder negativ? - Ein Mädchen als Jockey, wie stellen Sie sich das denn biologisch vor? Geben Sie mir die Sekundenliste von heute. Guten Morgen. Jeden morgen eine Sekunde schneller. 10. O-Ton Gympel Also eine junge Frau möchte Jockey werden, wir befinden uns im Jahr 1966, und das gibt es eigentlich nicht. Frauen sind nicht Jockey! Und sie geht natürlich nicht nur nach Berlin, weil da eine große Rennbahn ist, in Hoppegarten, sondern auch weil in Berlin, so wird suggeriert, sind Dinge möglich, die woanders nicht möglich sind. Selbst im engen Rahmen der DDR. Autor: Hilfloser reagierte das West-Kino, das nicht wusste, wie es mit dem Westteil Berlins als Insel umgehen sollte. Und so flohen viele West-Filme in die Vergangenheit. Träumten sich zurück in jene Zeit, als Berlin noch Metropole war - wild, beliebt und beleuchtet. So wie Wolfgang Staudte in seinem Kostümfilm "Ganovenehre". Ein Krimireißer, der in einem offenkundig künstlichen Pappmaché-Berlin spielt. Ganz so, als würden die Macher selbst nicht an die Möglichkeit glauben, jenes Berlin der Goldenen 20er Jahre, wieder heraufbeschwören zu können. 7. Ausschnitt: Ganovenehre - Verzeihen Sie? Darf ick mal richtig vermuten. Artisten-George? - Genau! - Seiden-Emil. Angenehm. - Ganz meinerseits. Ick freu mir. - Oh, ja, ick freu mir auch. Also, anno für sich stehen wir der Angelegenheit wohlwollend gegenüber. Es dreht sich jetzt nur noch um die Organisation. - Organisation? - Organisation, ja. 11.O-Ton: Gympel: Der Blick der 60er Jahre auf das tolle Treiben des Berlins der 20er Jahre, der auch nicht uninteressant ist, weil natürlich das Berlin der 60er Jahre zwar sich unbedingt als Weltstadt fühlen wollte, sich immer wieder so darstellen wollte, aber doch eher provinziell und eher piefig war. Autor: Deshalb versuchten andere Filmemacher den tristen Schwebezustand Berlins festzuhalten. Wie etwa Will Tremper, der mit "Playgirl" Traum und Wirklichkeit zusammenbringt und das Berlin der 60er Jahre zeigt, wie es wohl schöner selten zu sehen war. 9. Ausschnitt "Playgirl" What is this? What are you doing? Schämen Sie sich eigentlich net? Ausgerechnet an der Mauer solche nackten Weiber zu fotografieren? What du you want? Gebt doch nicht so an mit eurer Mauer. 12.O-Ton: Petzold "Und man hatte das Gefühl, als ob der Will Tremper die Nouvelle Vage noch mal in Berlin, für sich, aus Berlin heraus neu erfindet. Und das ist etwas, was ich immer an den Berlin-Filmen mag, dass man immer das Gefühl hat, wenn man hier einen Film dreht, als ob man das alles noch mal neu erfinden muss, obwohl es schon große Teile gibt, aber man muss die für diese Stadt noch mal neu finden und mit dieser Stadt erfinden. Man kann nicht über die Stadt hinweg einfach irgendein Drehbuch hier drauflegen. Das geht nicht." Autor: Heute erinnert sich keiner mehr an "Playgirl", diesen Film, der mehr Berlin-Film ist, als viele andere. Ausschnitt: Berlin Chamisso-Platz Autor: Bis weit in die 80er Jahre hinein arrangierte sich das Kino mit den gespaltenen Verhältnissen der Stadt. Wim Wenders ließ Engel durch die Straßen laufen. Uli Edel trieb Christiane F. auf den Strich. Im Osten liebten sich Paul und Paula. Die Sängerin Solo Sunny versuchte trotz aller privaten Rückschläge, ihre Träume mit der Lebenswirklichkeit in der DDR in Einklang zu bringen. Und Hanns Zischler sang in "Berlin Chamisso-Platz" von Rudolph Thome traurig und traumverloren Selbstkomponiertes. Dann fiel die Mauer. Und die selbstgestrickte Ordnung der Berlin-Fiktionen flog abermals über den Haufen. 13.O-Ton: Petzold Ich kann mich noch erinnern, als die Mauer gefallen ist, und wie plötzlich und dann auch noch Berlin als Hauptstadt im Parlament beschlossen worden ist, mit Nationalhymne und allem Brimborium. Dann wurde gesagt: Jetzt brauchen wir auch ein Bild-Bild, ne Berlin-Kultur, nen Berlin-Roman, Berlin- Film. Wir brauchen also: eine Hauptstadt. So etwas, was Paris für die Franzosen ist. Autor: Nachdem er 25 Jahre in Berlin gewohnt hatte, drehte Christian Petzold 2005 mit "Gespenster" seinen bisher einzigen Berlin-Film. "Gespenster" spielt komplett im neuen, gläsernen Zentrum der Stadt, am Potsdamer-Platz. In "Gespenster" geht es um ein Mädchen, das im Waisenhaus groß geworden ist und eine Mutter, die ein entführtes Kind sucht. Für einen Augenblick scheinen die beiden Geschichten zu passen. Ausschnitt: Gespenster Du hast eine Narbe am linken Knöchel. Hast du so eine Narbe? Hmm. Da. Du hast einen Leberfleck, zwischen deinen Schulterblättern. Einen ganz kleinen in der Form eines Herzens. Weiß ich nicht. Autor: "Gespenster" ist ein Film über die Suche nach einer Herkunft - und damit natürlich auch eine Reflexion über die Identitätskrise Berlins. 14.O-Ton: Petzold Ich hatte auch diese Filme der Nachwendezeit im Kopf. Berlin ist ja wie ein Werbefilm da. Wenn da jemand durch die Stadt läuft, dann läuft er von der Oberbaumbrücke direkt in die Friedrichsstraße, und das stimmt ja hinten und vorne nicht. Und da ist natürlich nicht die Liebe zur Stadt, sondern die Suche und Sehnsucht nach einem Bild, was sich verkaufen lässt, was Berlin sexy macht oder so; und nicht etwas, was der Stadt vertraut , die Stadt respektiert, oder unter der Stadt leidet. Autor: In vielen Filmen steigt Berlin zur Kulisse empor. Das gilt für Tom Tykwers "Lola rennt" genauso wie für Wolfgang Beckers "Goodbye Lenin". Es sind Werke, die sagen: Wir sind Berlin. Doch dieser Ansatz ist nicht ohne Gefahr: Wenn sich das Eventkino zunehmend an den Wahrzeichen Berlins abarbeitet, wird das Filmbild der Stadt auch darauf reduziert. Wenige Berlin-Ecken auf drei tourismusaffine Bilder mit hohem Wiedererkennungswert gepresst - so entstehen keine Träume, sondern Klischees. 15.O-Ton - Gympel Daran schließt sich an, dass weite Teile von Berlin im Film - und Film jetzt weitgefasst, also auch Fernsehrfilm und Fernsehserien - inzwischen überhaupt nicht mehr auftauchen. Wannsee zum Beispiel. Nicht mal das Strandbad. Grunewald! Sowohl der Wald als auch die Villenkolonie. Das sind Sachen, die tauchen nicht mehr auf. Kleingärten, so was, wo man sagen könnte, die typischen Berliner Laubenpieper. Überhaupt hab ich so den Eindruck, wenn man nicht Politiker oder da aus dieser Sphäre ist oder eben da in der Hochdecken-Wohnung mit den abgezogenen Dielen mit den schönen Altbauvierteln wohnt oder in der Plattenbauhölle oder im Ghetto, dann ist man nicht interessant offenkundig für die Filmproduzenten. Autor: Es gibt aktuell aber auch eine andere Art Berlin-Film. Stoffe, die an die Stadt gebunden sind. Geschichten, die fast organisch aus dem Gewusel der Stadt entstehen: Wie das tragische Leben eines Zuhälters in Dominik Grafs "Hotte im Paradies"; das rauschhafte Scheitern eines Techno-DJs in Hannes Stöhrs "Berlin Calling"; oder das traurige Leben der jungen, schwangeren Lucy in Henner Winklers gleichnamigen Film - diese Figuren sind so selbstverständlich in der Stadt verankert, dass sie ohne Weiteres um die Ecke biegen und sich begegnen könnten. Sie sind im engsten Sinne des Begriffs: Berlin-Filme. 16.O-Ton Petzold: "Ich geb' mal ein Beispiel: der Marc Rothemund, der hat einen Film gemacht "Groupies bleiben nicht zum Frühstück". Ich hab das Gefühl zum Beispiel mit dem Film, dass die Verliebtheit eines Sängers in ein Mädchen, das wohlbehütet aus Amerika, Austauschjahr, wiederkommt, dadurch nur zustande kommt, nicht durch Dialog, Blicke und was weiß ich - dass sie süß miteinander umgehen und so - sondern, dass er, um zu ihr zu kommen durch Berlin laufen muss. Und dieses respektieren der eigenen Stadt, was ja auch was mit Liebe zu tun hat, das findet sich in den Filmen in letzter Zeit, die aus Berlin kommen eher, wie bei "Lucy" oder "Hotte im Paradies" oder eben auch bei "Groupies bleiben nicht zum Frühstück". Und das ist finde ich notwendig, wenn man mit Städten arbeitet." -ENDE BEITRAG - MOD Nahaufnahmen einer Stadt. Berlin im Kinolfilm - die Geschichten dieser Stadt. Patrick Wellinski saß stundenlang im Kino und sprach dann darüber mit diesem und jenem. Morgen dann im Länderreport : Ein folgenreicher Deal. Ex-Ministerpräsident Mappus, EnBW und der Stand der Dinge in Baden-Württemberg. Am Mikrofon verabschiedet sich von Ihnen Claus-Stephan Rehfeld. -ENDE Sendung-