COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Nachspiel 15.7.2012 Kein Rennen wie dieses, kein Mann wie jeder Die Darßer Holzbootregatta und ihr Moderator Hans-Jürgen Treuherz Von Alexa Hennings Vorschlag Anmod.: Oft stehen in dieser Sendung die Sportler im Mittelpunkt. Weniger hört man von denen, die im Hintergrund des Geschehens wirken. Regattasprecher beispielsweise. Es geht doch auch ohne ihn, die Boote kommen so oder so ins Ziel. Wozu gibt es sie überhaupt? Hans-Jürgen Treuherz gehörte in der DDRer zu den bekanntesten Sprechern bei Berliner Ruderregatten. Heute muss man, wenn man ihn erleben will auf die Halbinsel Fischland-Darß. Dort hat der heute 67jährige seine Liebe zu den Holzbooten aller Größen und Klassen entdeckt und Frieden mit seiner ungewöhnlichen Biografie geschlossen. "Kein Rennen wie dieses, kein Mann wie jeder" - ein Nachspiel von Alexa Hennings . 1. Atmo Ansage, Treuherz bei Regatta 2.10 Ja, meine Damen und Herren, liebe Urlauber und liebe Gäste hier in Wustrow. Nun ist es wieder so weit. Wir haben die 28. Wustrower Zeesbootregatta, verbunden mit einem Hafenfest hier in Wustrow und ich darf Sie dazu im Namen der Kurverwaltung und des Regattaveranstalters herzlich begrüßen. Und damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben und wem Sie die Versprecher verdanken, mein Name ist Hans- Jürgen Treuherz und ich werde versuchen, Sie ab und an mal ein bißchen auf das Geschehen hinzuweisen ... Darauf Autorin Ein mittelgroßer, kräftiger Herr in Jeans, einem weißen T-Shirt und einer weißen Schirmmütze auf dem lichten Haar - jawohl Schirmmütze, kein Basecap - steht mit dem Mikrofon am Wustrower Hafenbecken. Auf Shirt und Mütze prangt das Logo der 775-Jahrfeier des Ostseebades. "Ab und an ein bißchen auf das Geschehen hinweisen" - Hans-Jürgen Treuherz beginnt mit einer kleinen Tiefstapelei. Denn wer hier in vier, fünf Stunden vom Platz geht, hat so ziemlich alles erfahren, was er je über Holzboote im Allgemeinen und Zeesboote im Besonderen wissen wollte - vermutlich noch etwas mehr. Segeln ist nicht sehr publikumswirksam, eine Sportart, die Zuschauer und Sportler weit voneinander trennt. Der Wettbewerb ist, wenn man Glück hat, nur mit dem Fernglas zu verfolgen. Umso mehr ist es die Aufgabe des Moderators, die Leute an Land bei Laune zu halten. 2. Atmo Treuherz 1.06 Ja, in diesem Sinne viel Spaß und viele schöne Eindrücke. Bis dahin! - Musik fängt an ... laufen Autorin Der Moderator schaltet sein Mikro ab und schlendert am Kai entlang. Noch sind es drei Stunden bis zum Start, nach und nach trudeln die schweren Holzboote mit den markanten braunen Segeln ein. Zeesboote werden sie genannt, weil es früher Fischerboote waren und die Zeesen, das waren die Fischernetze. Das alles wird Hans-Jürgen Treuherz dem Publikum - zumeist segeltechnisch unaufgeklärten Landratten - noch ausführlich erklären. Er weiß zu noch so kleinen Details - wie einem Katzenkopf auf einem Segel, an dem er gerade vorbeigeht - Geschichten. Alle wird er nicht unterbringen können, aber im Vorbeigehen kann er sie wenigstens dem Kurdirektor an seiner Seite -ebenfalls im Wustrow-Shirt - schnell erzählen. 3.Atmo Treuherz 1.00 Zu diesem Katzenkopf gibt es auch ´ne Geschichte. Und zwar der Katzenkopf, das ist der Segelmacher Geerd, der hat auch damals die Segel gemacht für die GST- Kutter. Autorin GST- das war die "Gesellschaft für Sport und Technik" in der DDR, wo man das Schießen lernen konnte, aber auch das Segeln. Atmo weiter Und denn ist er den Westen abgehauen, und dann wurden über Nacht die ganzen Katzenköpfe bei den Segeln von der GST abgetrennt! Seitdem er wieder da ist und hat seine Firma wieder, dann gibt's dann die Segel wieder von Geerd. - Hallo! Mal wenigstens Juten Tach sagen!..Hallo ... Darauf Autorin So wird das den ganzen Tag gehen - Grüßen, Händeschütteln, Schulterklopfen. Der Berliner ist bekannt in Wustrow und Umgebung. Drei Holzbootregatten moderiert er in jedem Jahr an verschiedenen Orten auf dem Fischland - wie sich der südliche Teil der Halbinsel nennt - und auf dem Darß im Norden. 4. Atmo Treuherz, Ramin 0.37 Morgen Eckehard! Moin ... Darauf Autorin Jetzt sind der Moderator und der Kurdirektor bei Eckehard Ramin angelangt. Der 75jährige ist der Nestor des Zeesbootsegelns. Als junger Bootsbauer in den 50er- Jahren reparierte er Zeesboote für die Fischer. Die davon zu überzeugen, dass man mit den schweren und - wie der alte Ramin sagt - gutmütigen Booten doch mal um die Wette segeln sollte, war ein hartes Stück Arbeit. Am Abend vor der Regatta war Hans-Jürgen Treuherz auf Ramins Zeesboot "Nordstern" geklettert, um die alten Geschichten zu hören. Input für den Regattasprecher zum Weitererzählen am Tag der Wettfahrt. 5. O-Ton Ramin 0.40 Und dann hab ich mit dem Motorrad rund um den Bodden immer versucht, die Fischer aufeinander loszuhetzen. Denn ich hatte selbst damals einen Jollenkreuzer, und der war schnell, ich bin Deutsche Meisterschaften in der DDR gesegelt. Denn hest du du gor keine Chance - so ging das dann. Und dann habe ich gesagt: Wisst ihr was? Denn segelt doch mal gegeneinander! Ich segle auch nebenher! Das hat fünf Jahre gedauert, bis ich denn mal acht Boote auf'm Haufen hatte, die dann wirklich segeln wollten. Und an dem Wochenende sind gleich zwei Masten gefallen. Weil das dann doch über ihre Qualitäten ging damals. Das war 65. Autorin Seitdem gibt es die Zeesbootregatten auf den Boddengewässern von Fischland und Darß - die älteste in Bodstedt seit 1965, die zweitälteste in Wustrow seit 1984. Längst segeln nicht mehr nur die sturen Fischer, wenn sie auch nach und nach Gefallen fanden an der Wettfahrt. Und eine Art "Versicherung" hatten. Zumindest am Anfang. 6. O-Ton Ramin 0.10 Ich habe ihnen versprochen, dass wir - dass ich - für alle Schäden aufkomme, die passieren. Wir hatten 64 geheiratet, da ging uns das finanziell ja auch nicht sooo gut. - Bootsgeräusch ... Darauf Autorin Mit 100 Mark wie damals - soviel musste Eckehard Ramin locker machen, um sein Versprechen einzulösen - kann man heute keinen Mast mehr reparieren. Zeesbootsegeln ist, wie Segeln überhaupt, ein recht teures Hobby. Da hilft eigentlich nur: Viel selber machen. 7. O-Ton Ramin 0.20 Es ist schade, es sind zu wenig Leute, die hier im Land bleiben und die Geld für ein Boot haben. Das sind nur wenige die das halten können. Bei uns läuft das so in der Familie mit seit über 40 Jahren. Ich hab' im Sozialismus oft oder sehr häufig zwei, drei Schichten gemacht, um ein Boot zu haben. Musste man machen, ging nicht anders. Autorin Ob es auch heute noch eine verschworene Gemeinschaft sei, die der Zeesbootsegler, will Hans-Jürgen Treuherz vom dienstältesten Segler und Regattagründer wissen. 8. O-Ton Ramin, Treuherz 0.39 Ja, aber das lässt aber inzwischen etwas nach. Das fällt ein bisschen auseinander, weil die Alten, die mit bei der Gründung waren, jetzt mehr oder weniger schon weg sind. Wir hatten da richtig gute Fischer, die früher wettgesegelt sind. Und die sind lange tot, das ist eigentlich schade. Der Grundgeist ist noch erhalten, aber es kommen immer mehr Leute dazu, die nicht so recht - na ja. / Treuherz: Leider nimmt auch bei den Zeesbootseglern so wie bei den Holzbootfreunden, wo ich ja auch ein bisschen mit drin bin, die Individualität zu, um es vorsichtig zu sagen. Um nicht Egoismus zu sagen. Sicherlich, Eckekard, siehst du das ähnlich. /Ja, genau. 9. Atmo Hafen, Musik 0.40 Darauf Autorin Der Hafen füllt sich mit Zuschauern. Staunend stehen sie vor den großen, behäbig wirkenden Booten und beobachten die Skipper, die letzte Hand anlegen und hier und da schon mal eines der insgesamt fünf braunen Segel hissen. Einige Boote sind mehr als 100 Jahre alt. Die meisten tragen Frauennamen. Jürgen Treuherz steht zwischen der "Tina" und der "Hanne" schaltet wieder sein Mikrofon ein. 10. Atmo Treuherz Das ist so: Diese Zeesboote, das ist Kulturgut. Und wir können den Zeesbooteignern nur dankbar sein, dass sie so viel Liebe reinstecken, für uns alle dieses Kulturgut zu erhalten. Und das sage ich nicht nur so dahin, das ist kein Schmus! Das ist ehrlich gemeint. Man kann es nicht genug achten. Und wenn rund um die Boddengewässer Zeesbootfahrten angeboten werden und der Preis bei 12 Euro liegt für anderthalb Stunden, dann muss ich Ihnen sagen, das ist auch gut angelegtes Geld, sollten Sie sich mal dazu entschließen. Und da kommt gerade noch ein Zeesboot von draußen rein, noch ein weiteres. Vielleicht kommen wir an die 30 Zeesboote heran ... Atmo Musik siehe Take 9 Darauf Autorin Dem Berliner war es geradezu in die Wiege gelegt, Regatten zu moderieren und Landratten vom Wassersport zu begeistern. Segeln lag in der Familie, sein Urgroßvater war vor 100 Jahren der Präsident des Yachtclubs am Berliner Müggelsee. Doch dem Urenkel lag das Rudern mehr. 11. O-Ton Treuherz 0.45 Ich habe angefangen 1958 zu rudern. Mit mehreren Freunden bei der ehemaligen BSG Post Berlin in Berlin-Wendenschloß. Und aus dieser Ruderei ist mal ein Vereinswechsel entstanden zum Verein Berliner Transportbetriebe, BTB Zentrum. Heute heißt der Verein Ruderverein Ägir, das ist immer noch mein Verein. Da bin ich seit nunmehr 1962 Mitglied. Und da gab es mal in den 70er - eigentlich schon in den 60er-Jahren die Frage: Wer ist bereit ehrenamtlich mitzuhelfen bei den Regatten in Grünau? Bei den internationalen Ruderregatten in Grünau. Autorin Erst war er Helfer im Regattastab. Dann hieß es: Wir brauchen aber auch Kampfrichter und Sprecher. 12. O-Ton Treuherz 0.34 Und da habe ich gesagt: Na ja, dann versuche ich mich mal als Sprecher. Da wurde ich zu zwei Sprecherlehrgängen zum Berliner Rundfunk geschickt vom damaligen Ruderverband der DDR. Und die Besonderheit, die für uns von Interesse ist, ist die, dass wir uns immer vorgestellt haben, dass man uns nicht sieht. Weil: Die Zuschauer sollen ja interessiert werden an dem Geschehen auf dem Wasser. Und ich muss auch sagen, dass ich das besser finde, denn die Sportler haben es verdient, rausgestellt zu werden mit ihren Leistungen. Autorin Eine laute Kritik an Kollegen wird man von Hans-Jürgen Treuherz nicht hören - aber hier schwingt es schon mit, das leise Unbehagen an manch einem Nachfolger im Metier der Sprecher, die sich an aufgekratzten Frühstücksradio-Moderatoren orientieren und ihre eigene Show machen statt einer seriösen, sachlichen Moderation. Dabei ist das Old School und schon fast wieder cool in Zeiten aufgedrehter Dampfplauderer. Hans-Jürgen Treuherz kramt ein altes Gedicht hervor, das 1964 entstand - zu Zeiten, als längs der Ruderregatta-Strecke noch nicht per Funk, sondern mit Feldtelefonen mit Handkurbel kommuniziert wurde - Technik aus dem Weltkrieg, die in der DDR noch lange zum Einsatz kam. 13. O-Ton Treuherz, liest Gedicht 1.06 Die Mannschaften sind schon zu allem bereit. Er kann sie nicht sehen, dazu ist's zu weit. Aus diesem Grund sitzt ein Gewährsmann am Start, der soll ihm berichten vom Anfang der Fahrt und müsste bereits zu berichten beginnen. Es kommt aber nichts, die Sekunden verrinnen. Er greift nach der Kurbel und dreht rigoros und zischt in die Muschel: He, Start, was ist los? Er kann aber fluchen, so viel er will, es knistert ein wenig, doch sonst bleibt es still. Er öffnet zunächst den beengenden Kragen und schimpft auf des Telefons lahme Erfindung. Dann endlich gelingt die ersehnte Verbindung. Die Zuschauer hören indessen noch nichts. Er müht sich - wenngleich er auch spricht wie besessen - vergebens, er hat ja den Schalter vergessen -lacht - Heute sagt man Räuspertaste! Autorin So angestaubt die Verse eines gewissen Hans Strunden auch sind -Hans-Jürgen Treuherz hat diese Geschichten erlebt, mehr als nur einmal. In einem anderen Jahrhundert. 14. O-Ton Treuherz 0.35 Ja, das spricht mir aus dem Herzen -lacht. Weil's einem so gehen kann. Da fällt mir dann immer diese Rüdersdorfer Regatta ein, wo ich alleine war und wo ich in acht Stunden 107 Rennen moderiert habe. Die Fernsprecher waren so: Man hatte die Feldtelefone mit dem Kurbelkasten, dann wurden die 60 Volt erzeugt und dann hat's bei der Gegenstelle geklingelt. Das Kurbeln war nämlich nur, um das Läutewerk anzuregen. Und dann konnte man darüber sprechen. Das war aber ´ne sehr unsichere Technik und das hat dann zusätzlich die Sache erschwert. Autorin Erschwert hat noch so manch anderes die Arbeit eines Regattasprechers in der DDR: Der 67jährige erinnert sich an eine internationale Ruderregatta, in der er und sein Co-Moderator Jürgen Stapf bei den Siegerehrungen die internationalen Sportfunktionäre mit Herr und Frau titulierten. 15. O-Ton Treuherz 1.00 Nach ungefähr zwei Stunden der Veranstaltung kam der Regattaleiter ins Sprecherzimmer und sagte: Wir hatten einen Anruf von der Pressestelle des Ministerrats: " in der DDR sind alle Sportfreunde", und wir sollten doch das Herr und Frau weglassen. Das haben wir dann gemacht. Im nächsten Jahr haben wir es dann so gemacht mit "Sportfreund". Und dann kam wieder jemand und hat gesagt: Wir sind eine internationale Veranstaltung, da gehört es sich, Herr und Frau zu sagen! Das sind so die Kleinigkeiten. Aber heute können einem solche Sachen passieren, dass man eben nicht vergessen darf, dass der Optiker sowieso aus der Region soundsoviel gespendet hat. Oder eine große Schokoladenfirma für die Bootsbesatzungen jeweils eine Tafel Schokolade gespendet hat. Das darf man dann natürlich als Sprecher auch nicht vergessen. Autorin Unabhängig zu bleiben, war für Hans-Jürgen Treuherz immer wichtig. Verbiegen bis zum Zerbrechen wollte und will er sich nicht. Deshalb kam es für ihn, der die größten Regatten in der DDR moderiert hat und sehr populär war, nie in Frage, seinen Beruf als Ingenieur bei den Berliner Wasserbetrieben aufzugeben. Da wollte er sich ein Stück seiner Freiheit bewahren. Und so ist es bis heute, nur dass jetzt nicht mehr der Ministerrat anruft, sondern der Optiker. 16. O-Ton Treuherz 0.20 Es ist so, dass es ohne den nicht geht, und da sollte man auch höflich sein. Aber man muss versuchen, die Sache so zu bringen - und diese Freiheit ist es, von der ich rede - dass man sich nicht verbiegt und andere Leute nicht damit nervt. 17. Atmo Regatta, Tuten 0.26 Darauf Autorin Bei der 28. Wustrower Zeesbootregatta wird zur Steuermannsbesprechung geblasen. 29 Bootsführer scharen sich auf dem Gelände des Segelvereins "Godewind" am Hafen um eine Tafel, auf der der Segelkurs angezeigt ist. Hans- Jürgen Treuherz sieht zu, dass er eine Starterliste bekommt. Man hat vergessen, eine für den Moderator zu kopieren, schnell erklärt sich eine Seglerin bereit, in Schönschrift die ganze Liste mit den Namen der Boote und der Kapitäne abzuschreiben. 18. Atmo Steuermannsbesprechung 2.02 Treuherz: Da bin ich ja richtig verwöhnt! So, Regattainformation hab' ich. Da haben wir den Kurs. /Organisator: Alle Aktiven mal bitte auf die Sonnenseite des Lebens! Bevor wir die Regatta beginnen, übergebe ich mal das Wort an unseren Vorsitzenden, der eine leider unfreundliche Nachricht für alle hat. - Chef: Viele werden es vielleicht schon wissen, mancher nicht, am 24. ist unser Sportfreund und Zeesbootsegler Frank Müller von uns gegangen. Nach langer Krankheit. Aber das ist das Leben. Ich bitte euch um eine Gedenkminute für Frank Müller ... Darauf Autorin Die Segler nehmen ihre Mützen ab. Kneten sie in den Händen. Die meisten hier sind älter als 50, viele schon über 70. Was wird mal aus unserem Sport, mögen sie denken. Atmo hoch ... Ich danke euch. Olli, ich übergeb das Wort an dich. / Wunder bar, noch mals herzlich willkommen an alle ... Darauf Autorin Das Leben geht weiter. Und die Regatta auch. Der Kurs wird erklärt, der zu erwartende Wind diskutiert. Alle werden gebeten, nach der Regatta im alle Schiffe im Hafenbecken zu vertäuen und nicht auf dem etwas entfernter gelegenen Vereinsgelände. Am Abend soll der ganze Hafen mit den Zeesbooten darin in ein Lichterspiel getaucht werden. Hans-Jürgen Treuherz sitzt freudestrahlend inmitten der Segler. Er genießt die intime Atmosphäre des Wettbewerbs. Die Schleswigsche Ruder- Landesmeisterschaft in Bad Segeberg mit bis zu 1500 Teilnehmern ist die größte Regatta, die er noch moderiert. Dort erfolgen die Starts im Takt weniger Minuten, da redet er den ganzen Tag. Immer in kleinen Schlückchen Wasser trinken, ist sein Geheimrezept für die Stimme. Im Notfall nimmt er Panthenoltabletten, auf die schwört er. Die, so sagt er, halfen schon zu DDR-Zeiten. Neben Bad Segeberg stehen noch drei Holzbootregatten auf Fischland-Darß, darunter diese Zeesbootregatta, in seinem Kalender. Das reicht, findet er. 19. O-Ton Treuherz 0.14 Weil ich mir sage: Ich habe große Regatten moderiert und die kleinen Regatten sind schön familiär. Und wenn man älter wird, dann sollte man es verstehen, sich gut zurückzuziehen und auch zurückzunehmen. Autorin Sich zurücknehmen, das hat der pensionierte Ingenieur gelernt in seinem Leben. Zurücknehmen ja, verstecken nein, war immer seine Devise. 20. O-Ton Treuherz 0.41 Zu DDR-Zeiten war ich ja auch Sektionsleiter über sechs Jahre im Ruderverein. Bei dem Verein, wo ich heute noch Mitglied bin. Und dann habe ich für mich festgestellt, dass ich auch, sagen wir mal, homosexuelle Neigungen habe. Aber ich konnte sie noch nicht so recht einordnen. Ich hab mich dann auch scheiden lassen. Und ich hatte keine Nachteile in meinem Verein und von den Ruderfreunden, aber wollte es gar nicht drauf ankommen lassen und habe mir dann im Verein zwei, drei langjährige Sportfreunde gesucht, habe denen reinen Wein eingeschenkt und so habe ich meine Funktion aufgegeben im Ruderverein als Sektionsleiter. Autorin Da war er Anfang 40 und keiner drängte ihn zu diesem Schritt. Er machte ihn trotzdem, denn seinem Verein zu schaden war das Letzte, was er wollte. 21. O-Ton Treuherz 0.59 Meine Befürchtungen waren die: Wir waren ein Verein mit 200 Mitgliedern, die Hälfte waren Kinder und Jugendliche, die im Verein trainiert haben. Ich wollte mich möglichen Verdächtigungen von Eltern oder dummem Gerede nicht aussetzen. Weil das Wissen noch niedriger war als heute, und mit Homosexualität hat man, egal ob lesbisch oder schwul, immer Umgang mit kleinen Kindern in Verbindung gebracht. Und dem wollte ich mich partout nicht aussetzen. Erst mal gab es dazu keine Veranlassung, es ist nicht meine Neigung. Ich hatte ja selber Kinder und hab noch Kinder und Enkelkinder. Das war mein eigener Entschluss, da wurde ich nicht von außen gedrängt. Sondern ich habe gesagt: Ehe solche Gerüchte entstehen, die wirst du nicht mehr los, da kann man nicht gegenhalten. Da ziehst du dich vorher zurück. Du kannst immer noch in der zweiten Reihe in dem Ruderverein genügend tun und für den Sport. Autorin Vorsicht ist eine Eigenschaft, die sich wohl viele Homosexuelle zum Lebensprinzip machen. Entscheidungen werden im vorauseilenden Gehorsam getroffen, nur, um der gesellschaftlichen Norm doch noch irgendwie zu entsprechen. In der DDR der achtziger Jahre war man wenigstens mit dem Wohnort Berlin im leichten Vorteil. 22.O-Ton Treuherz 0.27 Hätte man vertuschen können. Aber ich bin eigentlich da geradlinig gewesen. Und das hat sich ausgezahlt. Ich habe alle Freunde behalten. Ich wurde auch als Sprecher nie geschnitten. Ob es heute alle so wahrnehmen - ist auch nicht schlimm. Es ist, wie es ist. Wir müssen uns kein Schild umhängen, Gott sei Dank ist die Zeit so. Wer mich ehrlich fragt, der kriegt seine ehrliche Antwort. Wer mich aus dem Hinterhalt fragt, der kriegt die passende. Autorin Trotz Christopher-Street-Days, schwuler Bürgermeister und Außenminister - im Bereich Sport, so empfindet es Hans-Jürgen Treuherz , gibt es beim Thema Homosexualität noch immer ein Tabu. 23. O-Ton Treuherz 0.54 Es wird im Sport nicht drüber geredet, auch jetzt nicht. Ich denke, das kann zwei Seiten haben: Wenn nicht darüber geredet wird, könnte man sich darauf zurückziehen und sagen, die Akzeptanz ist so groß, nicht nur die Toleranz. Aber es kann auch so sein, wenn nicht darüber geredet wird, wird etwas totgeschwiegen. Also, dazwischen liegt immer noch die Wahrheit. So weit ist die Bandbreite immer noch vorhanden. Aber ich habe den Mut, mich dazu zu bekennen. Aber nicht per Aushängeschild, sondern ich denke, mit meiner Persönlichkeit schaffe ich mehr, als mich auf Gerede einzulassen. Autorin Gerede gab es anfangs auch, als Hans-Jürgen Treuherz zu seinem Freund in den kleinen Ostseeort Wustrow zog. Anonyme Anrufe bei der Pastorin, was denn da los sei. Auch hier ging der Berliner, der seit mehr als 25 Jahren offen schwul lebt, den geradlinigen Weg, bekannte zu seinem Partner und das Thema war aus der Welt. Und schließlich erwarb er sich durch seine ehrenamtliche Arbeit als Moderator der Holzbootregatten Ansehen. Vorher waren diese Wettfahrten in Wustrow stumm und wenig publikumswirksam dahingegangenen. Kurdirektor Dirk Pasche ist begeistert über den Neu-Bürger. 24. O-Ton Pasche 0.52 Wir sind ganz froh. Er ist auch immer bei der Sache. Und was ihn auszeichnet, dass er sich im Vorfeld sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt. Und die Ruhe, die er ausstrahlt. Ohne dass er dabei sich selber in den Vordergrund stellen möchte. Aber er ist eben da und dann läuft das. Da kann man sich drauf verlassen. Es ist ja nachher die Stimme, die entscheidend ist. Es ist ja eine markante Stimme, die man immer erkennt. 25. Atmo Regatta, Treuherz 1.30 Ja, wenn man hier vorne steht, dann sieht man natürlich auch die schönen, aufgetakelten Boot schon mit ihren Klüversegeln ... Darauf Autorin Der Moderator ist jetzt bis zum Ende des Hafens gegangen, weiter reicht sein Funkmikro nicht. Es folgt für die Zuschauer eine kleine Lehrstunde über die verschiedenen Segel, die so ein Zeesboot hat, insgesamt fünf an der Zahl. Atmo hoch ... Die Fläche ist sehr groß. Es sind so zwischen 90 und 100 Quadratmeter Segelfläche, die dann entstanden sind. Und wer sich das nicht vorstellen kann, dann sage ich immer: Stellen Sie sich vor, welche Wohnfläche bewohnen Sie? Und wenn man sich das vorstellt, als Verhältnis, dann hat man so ein Empfinden für die Segelfläche. Und wenn ich jetzt hier mal rüber gucke ... Darauf Autorin Im Laufe des Tages wird Hans-Jürgen Treuherz immer mal wieder angesprochen: Schön, dass Sie wieder hier sind, sagen die Leute, fragen nach der CD vom Festumzug, die er besprochen hat und die schon vergriffen ist, erkundigen sich nach seinem Freund. Tragen Grüße auf. Normalität, findet Dirk Pasche, der Kurdirektor. 26. O-Ton Pasche 0.35 Es sprach sich - es war nachher bekannt. Und war damit auch schon akzeptiert. Ich glaube nicht, dass es hier überhaupt so ein Thema ist bei uns, gar nicht. Er ist ja nicht der Einzige - lacht ... Autorin Die Akzeptanz in seinem Dorf weiß Hans-Jürgen Treuherz zu schätzen. Er sagt dazu gerne: Diese Klippe ist nun auch umschifft. Er weiß, dass es nicht selbstverständlich ist. Dass es für einen Schwulen sogar gefährlich sein kann - etwa in Gegenden, wo die Rechtsextremen stark sind. Unwissenheit schafft Vorurteile, sagt er. Auch so ein Lieblingssatz von ihm. Damit es weniger Vorurteile gibt und mehr Wissen, engagiert sich Treuherz im Rostocker Verein "Rat und Tat" und beim Landesverband der Schwulen und Lesben in Mecklenburg-Vorpommern. Besonders liegt ihm das Thema Homosexualität und Alter am Herzen. In seinem Bundesland gibt es beispielsweise Heime, die sich weigern, ältere Schwule und Lesben aufzunehmen. 27. O-Ton Treuherz 0.43 Und da wollen wir Gesprächspartner sein. Wir haben in Rostock bei Rat und Tat jetzt einen Kreis gegründet, der nennt sich Jahresringe. Wo wir Ansprechpartner sein wollen für Pflegeheime, Pflegeeinrichtungen, aber auch für Betroffene und Angehörige. Wenn jemand Hilfe benötigt - weil ja auch Menschen wie wir alleine bleiben. Und da gibt es mehr oder weniger große Abstürze und Lücken im Alleinsein. Und da wollen wir Hilfe geben. Und letztendlich uns auch selber damit stärken. Weil, wenn man solche Tätigkeit macht, da bin ich ganz ehrlich, da tut man auch was für sich selbst, weil es oben im Oberstübchen noch ein bisschen beweglich bleibt. Autorin Hans-Jürgen Treuherz möchte sich nie wieder verstecken müssen. Seine Generation ist die erste, von denen es viele schafften, offen schwul oder lesbisch zu leben. Doch wenn sie jetzt älter werden und pflegebedürftig und in ein Heim kommen, treffen sie oft auf Ablehnung beim Personal und bei Mitbewohnern. Die Folge: Nachdem sie so viele Jahre offen gelebt haben, verstecken sie sich wieder. Einsamkeit und Depressionen sind die Folge. Beim nächsten Christopher-Street-Day in Rostock wird man Hans-Jürgen Treuherz an einem Stand seines Vereins sehen. Er wird versuchen, mit den Passanten über dieses Thema ins Gespräch zu kommen. 28. O-Ton Treuherz 0.57 Man muss also die Pflegekräfte, die Pflegedienststellen befähigen und vor allen Dingen sie ermuntern, sich in diese Gedankenwelt dieser Menschen zu begeben, damit sie sie besser verstehen und nicht ablehnen. Denn diese ganze Lebenssituation zu erfassen, wie jede andere Lebenssituation auch, geht nur über den Kopf. Das geht nicht über andere Dinge. Und wenn einem das gelingt, dann wird einem auch manches gelingen, wieder in Ordnung zu bringen. Das ist also die andere Facette meines Lebens. Und ich muss auch sagen, ich habe jetzt, mehr als früher, zu meiner geschiedenen Frau einen guten Kontakt. Wir kommen eigentlich sehr gut klar. Sie hat es sehr schwer gehabt. Aber sie hat begriffen und wir wissen, was jeder von dem anderen zu halten hat. Menschlich gibt es da gar keinen Unterschied. Und so was habe ich auch im Sport und in meiner Moderatorentätigkeit erfahren. Da gibt es keine Berührungsängste - und das ist eigentlich das Wesentliche. Es hat also ein positives Nachspiel! Atmo Tuten siehe vorn 29. Atmo Hafen, Musik 1.00 Darauf Autorin Die Zeesboote verlassen jetzt nacheinander den Wustrower Hafen und steuern die Startlinie weiter draußen auf dem Bodden an. Alle fünf Segel hochgezogen, fahren sie an den Zuschauern und ihren Fotoapparaten und Videokameras vorbei. Das lässt der Regattasprecher natürlich nicht umkommentiert, zu nahezu jedem Boot informiert er das Publikum. 30. O-Ton Treuherz 0.44 Da geht jetzt auch die 64 raus und das ist der Schmuggler mit Otto Kafka in der mittleren Klasse. Und der Schmuggler mit Otto Kafka ist auch ein Boot, was hier oft gefahren wird und auch ganz gut abgeschnitten hat. Der Schmuggler hat zum Beispiel in seiner Klasse am 16. Juni die Zingster Wettfahrt schon für sich entschieden ... Atmo Hafen, siehe vorn Darauf Autorin Nach dem Auslaufen der Boote hat Hans-Jürgen Treuherz erst einmal frei. Ein Teil des Publikums ist mit einem Schiff zur Regattastrecke hinausgefahren, um dort alles aus der Nähe zu sehen. Die anderen unterhalten sich im Hafen bei einem Kulturprogramm. Der Moderator nimmt seine Mütze ab und wischt sich die Stirn ab - fast 30 Grad in der Sonne. 31. O-Ton Treuherz 0.46 Heute ist es bei der Segelregatta nicht so ein anstrengender Tag. Bei einer Ruderregatta kann es so werden. Aber zum Schluss macht es immer wieder Spaß. Aber wenn der Tag rum ist, bin ich auch zufrieden. Und heute, muss ich sagen, die Temperaturen sind ja heute so, wie sie sind. Wenn die Segelboote hier einlaufen, wird es etwa 16 Uhr sein. Dann werden sie noch begrüßt zur Ankunft, aber dann bin ich so weit, wie es mir einmal ergangen ist: Da hatte ich die Absage gemacht bei einer Ruderregatta. Und hatte mich höflich und artig verabschiedet. Und hatte gehofft, dass der Tontechniker diesen bewussten Schalter umgelegt hatte. Das war aber nicht der Fall. Und da ist mit rausgegangen, dass ich so scherzhaft hinterher geschoben habe - zum Glück scherzhaft: Nun macht aber endlich, dass ihr nach Hause kommt! Atmo Meer 1.00 ___________________________________________________ Darauf Abmod.: -(Vorschlag) "Kein Mann wie jeder, kein Rennen wie dieses" - Sie hörten ein Nachspiel von Alexa Hennings. Und wer sich für die nächsten Holzbootregatta-Termine interessiert: Schon am 28. Juli findet in Wustrow die "Kleine Fischländer Wettfahrt" statt. Natürlich wieder mit: Hans-Jürgen Treuherz. Wie immer können Sie das Manuskript der Sendung im Internet nachlesen: Unter www.dradio.de Nächste Woche heißt es im Nachspiel: "Politische Medaillen" - wie Nationen die Olympischen Spiele zur Imageverbesserung nutzen. 1