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Der Vorsitzende hat die ganze Zeit vom Holozän gesprochen. Und plötzlich habe ich ihn darauf hingewiesen, dass wir nicht mehr im Holozän sind, sondern im Anthropozän. Als ich das gesagt hatte, war es still im Raum... O-Ton 2 Lucht 2 Also auf diesem Planeten passiert ja was sehr rätselhaftes. O-Ton 3 Schwägerl Ist ja ein schwieriges Wort: Anthropozän, muss man erstmal ins Gehirn kriegen, was das eigentlich bedeutet, dass eben der Mensch darin steckt und die Geologie. O-Ton 4 Lucht Nach dreieinhalb Milliarden Jahren Lebensgeschichte tritt im Moment eine Lebensform auf - der Mensch - der massiv die Welt umkrempelt. Sprecherin: Im Jahr 2000 hat Paul Crutzen das Holozän, das ist der jüngste Zeitabschnitt der Erdgeschichte, für beendet erklärt. Es sei an der Zeit einen neuen Abschnitt zu benennen, so der Chemie-Nobelpreisträger. Einen, der der Rolle des Menschen auf der Erde gerechter werde. Das Anthropozän. Was auf Griechisch so viel heißt wie: das Mensch gemacht Neue. O-Ton 5 Paul Crutzen The anthropocene really tells you, that mankind has taken over. We are no longer part of nature, but we are also part of ourselves. We are effecting the compositon of the atmosphere, for instance, just mainly by human activities. So before that it was generally - and the holocene expresses this - there was a feeling, that (...) we can never do as much, as nature does. Overvoice: Das Anthropozän sagt uns eigentlich: Die Menschheit hat das Ruder übernommen. Wir sind nicht länger nur ein Teil der Natur, sondern wir sind jetzt ein Teil von uns selbst. Wir beeinflussen beispielsweise die Atmosphäre durch unser Handeln. Davor, im Holozän, gab es ein Gefühl, wir könnten niemals mehr bewirken als die Natur. Sprecherin: Langsam sickert die volle Bedeutung des Begriffs Anthropozän in das globale Denken. Egal ob Forscher, Schriftsteller, Kulturschaffende, Politiker oder Philosophen, wer sich mit dem Begriff Anthropozän beschäftigt, erkennt die ganze Dimension des eigenen Schaffens. O-Ton 6 Konrad Ott Wir sind momentan als Menschen die entscheidende Macht auf diesem Planeten geworden, was dann natürlich eine ungeheure Verantwortung mit sich bringt. O-Ton 7 Schwägerl Wir treten jetzt in eine Rolle, die so was wie Planetengestaltung bedeutet und das ist eine neue Rolle, die hat es noch nicht gegeben. O-Ton 8 Kruse Da gibt es keinen Quadratmeter mehr auf der Welt, der nicht davon beeinflusst ist. Sprecherin: Ist das tatsächlich Grund genug ein neues Zeitalter auszurufen? Zumal das letzte nicht wirklich alt ist. Das Holozän. 1885 wurde es auf einem geologischen Kongress in London festgelegt. Holozän bedeutet das ganz Neue. Es hat vor rund 11.700 Jahren begonnen. Zu einer Zeit also, als die letzte Eiszeit gerade zu Ende war, das Mammut ausstarb, sich die Kultur der Menschen dank Ackerbau und Viehzucht entwickelte. Knapp 12.000 Jahre ist die jüngste Ergeschichte also erst alt. Und jetzt soll schon ein nächstes Kapitel der Erdgeschichte aufgeschlagen werden? Ja. Denn obwohl Geologen gewöhnlich in Zeitabständen von Millionen Jahren denken, wollen sie trotzdem dem Vorschlag des Nobelpreisträgers Paul Crutzen folgen. Die international Commission of Stratigraphy (kurz ICS genannt) fahndet deshalb seit 2009 nach mensch-gemachten Sedimenten, die eine Neubenennung in Anthropozän rechtfertigen würden. Eine weltweite Inspektion hat begonnen. Zum Beispiel: Shanghai. Regie: Musik Brain Eno Slow ice - old moon / Atmo Shanghai Sprecher: Auf einem Bild von Shanghai, aus dem All aufgenommen, würde man vieles sehen, was neu ist. Die Stadt ist in rasantem Tempo auf einige tausend Quadratkilometer angewachsen. Mit den Augen eines Geologen betrachtet, sind die Häuser, Straßen, die unterirdischen Rohre eine Gesteinsschicht. Beton ist eine Mischung aus Zement, Sand und Kies. Ziegel sind aus gebranntem Lehm. Glas ist aus umgewandeltem Quartzsand. Stoffe, die Menschen in eine neue Gesteinsart verwandelt haben. Sprecherin: Shanghai ist für die Geologen der ICS deshalb so interessant, weil die Stadt am stärksten von Überflutung bedroht ist. Die Megacity liegt an einer Küste, die sich ständig weiter absenkt. Sprecher: Und deshalb wird aus der Stadt, die wir jetzt an der Oberfläche sehen, in ferner Zukunft eine Schicht aus Ziegel, Beton und den Überresten aus Stahl, Glas und Kunststoff. Das ist dann ein Zeugnis unserer Zeit und eine gute Markierungslinie für das Anthropozän. Sprecherin: Aber auch für Nicht-Geologen ist längst offensichtlich, dass der Einfluss des Menschen planetare Dimensionen erreicht hat, sagt Professor Reinhold Leinfelder vom "Rachel Carson Center für Umwelt und Gesellschaft" in München. Nur noch 23 Prozent der eisfreien Erdoberfläche könne man noch als natürlich betrachten. O-Ton 9 Leinfelder Wir meinen immer, dass wir noch ganz, ganz viel Natur haben, die Wissenschaft spricht ja von Biomen - Wälder, tropische Wälder, Regenwald ist ein Biom oder auch die berialen Wälder oder auch Savannen etc. Wir haben diese Biome gar nicht mehr, sondern die Wissenschaft, die Anthropozän-Wissenschaft sagt, dass wir jetzt eigentlich in Anthromen leben. Also in stark menschenüberprägten Biomen, Ökosystemverbünden. Sprecherin: Durch den Bau von Staudämmen, durch Berg- und Ackerbau schichtet der Mensch dreißig Mal mehr Sediment und Erde um, als es die Natur selbst vermag. Die Hälfte des verfügbaren Süßwassers wird von Menschen gemanagt. Die Aussterberaten von Tier- und Pflanzenarten sind hundert bis tausendmal höher. Der Energieverbrauch hat sich seit dem Jahr 1900 versechzehnfacht und die Konzentration von Kohlendioxid und Methan in der Atmosphäre ist so hoch wie seit 400.000 Jahren nicht mehr. O-Ton 10 Leinfelder Es gibt Strände, wo schon vierzig Prozent der Sandkörner nur Plastikkörner darstellen. Also der Mensch hat ein ganz neues geologisches Material quasi produziert. Sprecherin: Für die Geologen der "International Commission of Stratigraphy" sind solche Werte klare Indizien dafür, dass der Mensch eindeutige geologische Spuren hinterlassen hat. Ein erster Zwischenbericht hält eine Umbenennung in Anthropozän daher für gut möglich. Aber die Suche geht noch weiter, nach feineren Spuren. Musik Brain Eno Slow ice - old moon / Atmo einsamer See - Ruderboot Sprecher: Ein einsamer See weit im Norden, vielleicht in Sibirien, oder im Norden Kanadas. Weit und breit kein Mensch zu sehen. Keine Straße. Nichts. Nur Ufer und Wasser. Wenn man hier ein Plastikrohr in den weichen Seegrund drückt und eine Bodenprobe hoch holt. Dann sieht der Schlick in dem Rohr auf den ersten Blick völlig normal aus. Wenn man das sorgfältig analysiert, die fossilen Algen, die Pollen und deren Molekularteilchen. Dann sieht man: Die Zusammensetzung von Kohlenstoff und Stickstoff hat sich verändert. Vor allem beim Stickstoff zeigen sich andere Isotope. Das beginnt 1950 und ein, zwei Jahrzehnte danach. Und das kommt vom Einsatz riesiger Mengen Dünger - Stickstoffhaltiger Dünger - überall auf der Erde, um die schnell wachsende Zahl der Menschen zu ernähren. Wir haben die Menge an Stickstoff auf der Erdoberfläche verdoppelt. Der Stickstoff wird aufgewirbelt und von Wind und Regen über die ganze Erde verteilt. Ein deutlich erkennbarer chemischer Marker weit abseits der Städte und bewohnter Gebiete. Regie: Atmo endet, Musik freistehen Sprecherin: Ähnlich wie die Geologen in den Erdschichten suchen, fahnden die Antropozän-Forscher in der Wissenschaftsgeschichte nach den Spuren des menschgemachten Zeitalters. Nach ersten Andeutungen. Der italienische Priester und Geologe Antonio Stoppani schrieb 1873 von der "anthropozoiden" Epoche. Er nannte das menschliche Wirken eine "neue tellurische Kraft, die in Macht und Universalität durchaus mit den größeren Kräften der Erde vergleichbar sei". Als weiterer Begründer des Anthropozän-Begriffs gilt der russische Geologe Wladimir Wernadski. Er entwickelte die Idee einer "Noosphäre", einem Raum, der vom Denken der Menschen gesteuert wird und in der sich das individuelle und das kollektive Bewusstsein entwickeln. Der französische Geologe und Jesuit Teilhard de Chardin hat diese Idee der Noosphäre weiterentwickelt. O-Ton 11 Schwägerln Grade Teilhard de Chardin hat ja in seinem Buch "Der Mensch im Kosmos" so Entwicklungen vorgezeichnet, dass das individuelle und kollektive Bewusstsein so zusammen wächst, er hat das Planetarisierung genannt. Vielleicht eine Frühform des Wortes Globalisierung. Wir haben ja heute Globalisierung nur ökonomisch definiert, dass man jetzt nur Staubsauger und Autos um die Welt schifft, aber in Wahrheit passiert etwas viel Größeres, nämlich, dass die menschlichen Gehirne auf eine neue Art sich zusammenschließen und daraus schon so was wie ein Weltbewusstsein entsteht. Sprecherin: Christian Schwägerl hat das Buch "Menschenzeit" geschrieben. Der Wissenschaftsjournalist hat darin dutzende Beispiele für kollektive Gestaltungskraft der letzten Jahrtausende beschrieben: In der Landwirtschaft, in der Tierzucht, im Maschinenbau, in der Kommunikation, in Gesellschaftsordnungen und der Genetik. Die Möglichkeiten, die Umwelt und die Lebensformen bewusst zu verändern, seien stetig gewachsen, meint Christian Schwägerl. Quantitativ und qualitativ. Das Antropozän bedeutet für ihn eine Weiterentwicklung der Evolution. O-Ton 12 Schwägerl 1 Wir gehen eigentlich über zu einer Art gerichteten Evolution. Aus unserem Bewusstsein heraus. Das ist ein gigantischer Prozess, auch eine wirklich grundlegende Veränderung unserer Rolle auf der Erde. Und der sind wir natürlich noch nicht so gewachsen, wie das ideal sein sollte, aber es geht eben um eine Art Reifungsprozess. Musik Sprecherin: Eine weitere Frage, im Zusammenhang mit der Debatte um das Anthropozän ist der Startpunkt. Wann genau soll das neue Zeitalter begonnen haben? Schon jetzt werden mehrere Möglichkeiten diskutiert. Reinhold Leinfelder: O-Ton 13 Leinfelder 1 Man denkt da an 1800, denn dort war der Beginn der größeren Industrialisierung, im Prinzip ist dort von James Watt die Dampfmaschine perfektioniert worden und das hat dann also wirklich eine immense Beschleunigung in der Industrialisierung ergeben, die man auch geologisch fassen kann. Sprecherin: Andere Wissenschaftler wollen das Anthropozän viel früher beginnen lassen. Mit der neolithischen Revolution etwa. Als aus Jägern und Sammlern Ackerbauern und Viehzüchter wurden. Das vollzog sich in mehreren Gegenden der Erde unabhängig voneinander, aber durchaus nicht gleichzeitig. Also kein präziser Beginn. Sehr genau datieren ließe sich jedoch ein anderes markantes Ereignis, das ein feines, aber tatsächlich völlig neues Sediment im Erdboden und im Weltbewusstsein hinterlassen hat. Regie. Eventuell Archiv-Ton Countdown/Explosion O-Ton 14 Leinfelder Was man am besten geologisch fassen könnte, wäre etwa 1950. Also in der direkten Nachkriegszeit, wo die Atombombenversuche waren, denn die hinterließen ein chemisches Signal, ein Isotopensignal von radioaktiven Elementen, was man über zehntausende Jahren und sehr viel länger wird nachweisen können und zwar weltweit. Sprecherin: Würde das Anthropozän tatsächlich in den 1950er Jahren beginnen, mit den Anfängen des Atomzeitalters, dann hätte das eine Signalwirkung. Nie zuvor hat die Menschheit eine derartige zerstörerische Kraft aufgebaut. Und nie zuvor musste sie sich selbst vor den eigenen Fähigkeiten schützen. Ein Reifeprozess, der von Paul Crutzen, begleitet und beeinflusst wurde. Auf dem Höhepunkt des Wettrüstens hat Crutzen 1982 am Max-Planck- Institut für Chemie in Mainz die klimatischen Folgen des drohenden Atomkrieges erforscht. Er hat - zusammen mit Kollegen - den Begriff des "nuclear winters" geprägt und eindrücklich beschrieben: Eine herbei gebombte Eiszeit mit Jahrhunderte lang andauernder Dämmerung. Crutzens Vorhersage wurde weltweit wahrgenommen und diskutiert. O-Ton 15 Paul Crutzen I should feel very satisfied, with what I see happening, in the scientifical. The problem ist, the applications of this to the rest of the world, non scientific world is so slow, so difficult. We have to think about people, who are skeptics, who don´t believe anything of what we have done. You can call them crazy, but in some way, politicians listens to them, and that´s happening. We are doing things, which you can predict, are harmful, but still they are done, so the mankind is a very kind species. Overvoice: Ich sollte sehr zufrieden sein, mit dem, was ich als Forscher erlebt habe. Nur die Umsetzung draußen ist so langsam, so mühsam. Wir haben es mit Skeptikern zu tun, die nicht glauben, was wir feststellen. Man kann diese Skeptiker für verrückt halten, aber viele Politiker glauben ihnen. Sie tun dann Dinge, von denen man weiß, dass sie schädlich sind, und trotzdem haben sie sie gemacht. Die Menschheit ist schon eine besondere Gattung. Sprecherin: Paul Crutzen war es auch der am Mainzer Max-Planck-Institut die Ursache des Ozonlochs enträtselte: Fluorkohlenwasserstoffe aus Spraydosen und Kühlschränken. Die Erkenntnisse führten letztlich zum Protokoll von Montreal. Das globale Abkommen verbietet die Produktion von Fluorkohlenwasserstoffen. Crutzen und seine Mitstreiter bekamen dafür den Nobelpreis für Chemie und ein Gefühl für das Ausmaß menschlicher Aktivitäten, sowohl für die unbewusst entfesselten zerstörerischen Kräfte, als auch für die bewusst herbeigeführten Lösungen. O-Ton 16 Paul Crutzen: The ozon hole is a phenomen, which is due to human activities. We can not think over a natural way, ozon can be destroyed. This was observed. And that doesn´t guarante, that always in the future, that we were as lucky to explain, what have we observed. We have..it was already mentioned, the nuclear winter . Nuclear bombs have been used at a few places, but although, they have been kept under control, under international agreements. Overvoice: Das Ozonloch ist ein Menschgemacht. Auf natürliche Art kann Ozon nicht zerstört werden. Wir haben aber keine Garantie, dass wir künftig immer das Glück haben, erklären zu können, was wir beobachten. Und wie schon erwähnt der nuclear winter: An einigen Orten wurden Atomwaffen gezündet, aber letztlich sie sind unter der Kontrolle internationaler Vereinbarungen geblieben. Sprecherin: Es sind diese Erfahrungen, die den Forscher Paul Crutzen zur Überzeugung leiteten, das Anthropozän habe begonnen. Mehr noch: Die Menschheit muss sich den daraus resultierenden Problemen bewusst stellen. Es reicht nicht mehr nur zu wissen, dass es langfristige Folgen unseres Handelns gibt, sondern es müssen auch Konsequenzen folgen. Der Begriff Anthropozän meint auch das. O-Ton 17 Crutzen Doesn´t mean, that everybody understands, what anthropocene really means, but I think, among the scientific world, its probalbly now well known and being used extensively. It must be a reason for that, the reason is that really puts mankind in the seat steering wheel, which was not anticipated in the time in the past. We are now aware, of what we are doing. So somehow we are talking us, playing like gods. This are expressions of this kind being used in the debate on this, so for some people and a quite a few people - I would guess - the term anthropocene means, means quite a lot. Overvoice: Das heißt nicht, dass jeder versteht, was Anthropozän wirklich bedeutet. Aber ich denke Wissenschaftler kennen den Begriff und benutzen ihn häufig. Dafür muss es ja einen Grund geben, und zwar: Man hat uns Menschen ans Steuer gesetzt, was man früher so nicht gedacht hat. Wir sind uns jetzt bewusst, was wir da machen. Manche sagen auch: Wir spielen Gott. So etwas taucht immer mal in den Debatten auf. Also für diese Leute, bedeutet der Begriff Anthropozän ziemlich viel. Regie: Musik Brain Eno Slow ice - old moon / Atmo Meeresrauschen/Unterwasser Sprecher: Der Golf von Mexiko: Hunderte von Bohrtürmen ragen aus dem Meer und erschaffen ganz nebenbei eine geologische Neuheit. Vom Meeresboden geht es noch vier oder fünf Kilometer in die Tiefe. Hier haben die Menschen mehrere Tausend Löcher gebohrt, auf der Suche nach Öl und Gas. Es gibt Probebohrungen, Förderlöcher, zwischen Ölführenden Schichten gibt es horizontale Bohrungen. Wir durchlöchern die Erdschichten und füllen die Hohlräume mit anderen Materialien auf: mit Bohrschlamm, Stahl, Beton. Und wir verändern die umliegenden Gesteine, wir nehmen die Kohlenwasserstoffe heraus, das Öl und das Gas und ändern so die chemische Zusammensetzung. Und das ist ein sehr haltbarer Beweis. Die Spuren, die wir da unten zurücklassen, werden Millionen Jahre erhalten bleiben, vermutlich hunderte von Millionen Jahren. Regie: Musik endet Sprecherin: Wir bohren stählerne Rüssel tief in die Erde und saugen Energie heraus. Wir bauen Megastädte, Schnellzüge, Computer, Datennetze. Aber was machen wir da eigentlich? Das fragt sich auch Wolfgang Lucht. Der Professor für Erdsystemanalyse am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung vergleicht unser Zeitalter mit ähnlichen Phasen der Evolutionsgeschichte - wenn plötzlich neue Energiequellen zur Verfügung stehen, sich innovative Informationskanäle öffnen. O-Ton 18 Wolfgang Lucht Meistens gingen die Innovationen damit einher, dass das Leben auf einem höheren energetischen Niveau danach operierte. Zum Beispiel durch die Erfindung der Photosynthese hatte man nachher plötzlich Zugang zu viel mehr Energie als vorher, als das Leben sich mit anderen chemischen Mechanismen speiste. Photosynthese war viel effektiver. Meistens impliziert das einen stärkeren Stoffdurchsatz und dieser stärkere Stoffdurchsatz führt zu Problemen, weil der Stoffnachschub aus der Umwelt möglicherweise limitierend ist und das führt dann nachher auf Dauer zu höheren Recyclingraten. Aber zwischendurch kommt es zu großen Instabilitäten. Sprecherin: Ist unser Klimawandel so eine Instabilität? Und sind die heutigen Menschen tatsächlich dabei, eine höhere Evolutionsstufe zu erklimmen, oder sind wir eine biologische Fehlkonstruktion, die ihre eigene Lebensgrundlage zerstört? O-Ton 19 Wolfgang Lucht 2 Ich bin nicht mehr überzeugt, dass der Mensch nur eine verrückt gewordene Tierart ist, sondern ich bin überzeugt, dass hier tatsächlich eine biologische Innovation gelungen ist, deren Auswirkungen im Gesamtsystem noch nicht unter Kontrolle sind. Regie: Musikimpuls Sprecherin Aber wer außer den Menschen selbst können die Auswirkungen im Gesamtsystem unter Kontrolle bringen? Auf eine ausgleichende Natur können wir schließlich nicht mehr vertrauen. Im Anthropozän hat der Mensch die 100-prozentige Verantwortung für den Planeten. O-Ton 20 Christian Schwägerln Und das was grade passiert auf der Erde ist die Summe, Multiplikation von sieben Milliarden Träumen, Wünschen, Bedürfnissen, von sieben Milliarden fachen Schwächen, auch von eben Gier und Ungeduld und mangelnder Kooperation - alles was in uns Menschen drin steckt - ist jetzt in so einer Art Echokammer von sieben Milliarden Menschen, die gemeinsam eben diese ihre Ansichten dem Planeten im Endeffekt aufdrücken. Sprecherin: Aber kann der Mensch tatsächlich an Stelle der Evolution treten? O-Ton 21 Lucht Ich bin überzeugt, dass im Kern dieser Debatte die Frage steht, welches Selbstverständnis wir von uns selber haben. O-Ton 22 Konrad Ott Wenn ich im Anthropozän niedrig vom Menschen denke, wenn ich ihn für einen gierigen Egoisten halte oder nur für ein schlaues Tier, dann muss mir vor dem Anthropozän bange werden. O-Ton 23 Schwägerl Und ich glaube, die Ethik der Zukunft, die beruht darauf, dass man doch sein eigenes Verhalten mal sieben Milliarden nimmt und sagt: Was passiert eigentlich so im Sinen eines von einem grünen Immanuel Kant , wenn ich meinen eigenen Lebensstil mal sieben Milliarden nehme. O-Ton 24 Konrad Ott Wir sind gewissermaßen verpflichtet, sehr hoch von der Intelligenz, von der Moralität und vom Geist des Menschen zu denken. Sprecherin: Buchautor Christian Schwägerl und Philosophieprofessor Konrad Ott von der Universität Greifswald skizzieren den anthropozänen Menschen als rationales Wesen mit Verantwortung für das Gesamtsystem Erde. Der Erdsystemanalytiker Wolfgang Lucht geht noch weiter. Er vertraut auf die verändernde Kraft des anthropozänen Denkens. Ähnlich der Kopernikanischen Revolution, bei der ein einzig die neue Betrachtung der Gestirne das irdische Bewusstsein verändert hat. O-Ton 25 Wolfgang Lucht Denn ob die Erde um die Sonne kreist oder die Sonne um die Erde hat keinerlei Auswirkungen auf den Alltag von irgendjemand, keiner hat deswegen mehr Brot auf dem Tisch, oder seine Sorgen weniger. Und trotzdem nennt man es die kopernikanische Revolution und setzt sie an den Beginn der Moderne, weil tiefgreifend solches Wissen das Verhältnis des Menschen zu sich selbst, zu seiner Umwelt und sein Denken über die Stellung der Umwelt im Kosmos verändert. Und daraus können Epochen entstehen. Regie: Musik: Alpensinfonie O-Ton 26 Christian Schwägerl Schon Alexander von Humboldt hat vom Weltorganismus gesprochen und vielleicht ist das eine Entwicklung, die im Anthropozän dann kommt. O-Ton 27 Konrad Ott Und ich glaube natürlich können sich Menschen kurzfristig unvernünftig verhalten, aber der Hegel hat auch immer gesagt, die Vernunft ist wirklich. Sprecherin: Hegel und Humboldt. Kopernikus und Kant. Und Paul Crutzen, der zwar Holländer ist und in Schweden promoviert hat, aber seit mehr als dreißig Jahren in Mainz forscht. Mit dem Geist deutscher Forscher und Philosophen im Gepäck erklimmen wir die Leiter der Evolution. Und nehmen die Menschheit mit. Ist das Anthropozän ein Exportartikel "Made in Germany?" O-Ton 28 Rüdiger Kruse Man kann sagen: Made by europe, wenn sie sich auch die Geschichte auch der Kolonien ansehen und die Eroberung anderer Kontinente, dann ist das eine sehr stark europäisch getriebene Veranstaltung und das mit einem sehr klaren Gestaltungswillen. Sprecherin: Rüdiger Kruse ist Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Haushaltsausschuss, als solcher hat er einen Zuschuss für eine Ausstellungsreihe zum Thema Anthropozän. an das Berliner Haus der Kulturen vermittelt. Kuratorin der Ausstellung ist Katrin Klingan. O-Ton 29 Klingan Für mich selbst ist es eigentlich die strukturelle Brisanz, die dieses Anthropozän freilegt, also die Momente dieser Bewusstwerdung, dass wir eigentlich nicht mehr unterscheiden können, was ist Natur, was ist Kultur, was ist Wissenschaft, was ist Gesellschaft, also dieser gesamt gemeinsame planetare Raum, der hier sozusagen definiert worden ist. Sprecherin: Auch das Deutsche Museum in München plant eine große Ausstellung zum Anthropozän. Ein Rundgang durch den Weltgeist. Für Christian Schwägerl sind die neuen Strömungen aber schon in der ganzen Welt zu erleben. O-Ton 30 Schwägerl Das ist das Schöne, glaub ich, dass es ja weltweit doch inzwischen einen Reichtum an Menschen, an Initiativen gibt, die nach Lösungen suchen, die Neues ausprobieren, neue Lebensweisen ausprobieren. Die eben auch vorleben, dass man auf bestimmte Dinge eher doch verzichten sollte und an anderen wieder neuen Spaß findet. Und die einen bewussteren Lebensstil vorleben und da kann man gar keine Rezepte geben, wie man das macht, sondern das ist für jeden selbst eine schöne Aufgabe, sich da Inspirationsquellen zu suchen oder vielleicht auch Menschen, die einen inspirieren. O-Ton 31 WolfgangLucht Meiner Ansicht nach ist es einer der schlimmsten mentalen Krankheiten, die wir haben, dass die Menschen immer denken, es geht nicht anders. O-Ton 32 Reinhold Leinfelder 2 Es ist eine Herkulesaufgabe, könnte man sagen. Es könnte aber durchaus auch Spaß machen. Es könnte auch eine sehr positive Bewegung werden. Das hoffen wir. Der Coolness-Faktor, doch überall auch in einem bestimmten Umfang sich einbringen zu können, den sollte man nicht unterschätzen. Sprecherin: Der Antropozän-Begriff führt dem Menschen also seine eigene Stärke vor Augen, auch seine Wandelbarkeit. Das Erschrecken vor der Verantwortung weicht beinahe einer Vorfreude. Christian Schwägerl gibt deshalb eine positive Perspektive. O-Ton 33 Christian Schwägerl Also, ich stell mir vor, dass das Anthropozän ein großer Lernprozess wird, in dem wir feststellen, dass unser Platz hier auf der Erde ist. Langfristig, dass wir Menschen zur Natur gehören, indem wir lernen, die Stoffströme der Natur erst mal zu verstehen und dann auch zu gestalten und in der wir jetzt nicht als Diktator der Erde unterwegs sind, sondern als Lebewesen, das sich als Teil der globalen Gemeinschaft verhält. Sprecherin: Ein Zukunftsbild der Hoffnung, gezeichnet von Christian Schwägerl. Nobelpreisträger Paul Crutzen vertraut weniger der Wandelbarkeit des Menschen, als vielmehr den Ergebnissen weiterer Forschung. Für ihn der einzige Weg in eine gestaltbare Zukunft. O-Ton 36 Paul Crutzen The only thing to do is in this stage, is research in the earth. The research tells us, that we haven´t understood everything and we don´t know at the moment, what we are going to propose for the future. We simply are affected by facts, which we don´t understand yet. The interpretation of the data is not straight forward and yet the old capabilities of predicting the future. Overvoice: Alles, was wir derzeit tun können ist, die Erde zu untersuchen. Die Forschung sagt uns, dass wir längst nicht alles verstanden haben. Momentan wissen wir auch gar nicht, was wir eigentlich vorhaben. Wir werden von Umständen beeinflusst, die wir nicht ganz verstanden haben. Die Bewertung der Daten ist nicht ausgereift und genauso wenig unsere alten Fähigkeiten, die Zukunft vorherzusagen. Sprecherin: Im Jahr 2016 will die international "Commission of Stratigraphy" ihren Abschlußbericht vorlegen, - ob wir tatsächlich schon in der geologischen Epoche des Anthropozäns leben oder doch noch im Holozän. Ganz unabhängig davon hat aber Paul Crutzen mit dem Begriff einen Denkanstoss gegeben, der jetzt schon in Kreisen der Wissenschaft verankert ist und in die Gesellschaft ausstrahlt. Nach seinen Forschungen zum "nuclear winter" und zum Ozonloch ist das Anthropozän eine weitere großartige Manifestation von Vernunft und Verantwortung und ein Gegenwartsbeispiel für das Wirken eines klaren und freundlichen Forschergeistes. Ende 11