COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Länderreport 22. 02. 2010 Schicksalsfrage Schulreform Autorin: Verena Herb Red.: Claudia Perez O-Ton Michael Otto Es ist natürlich schade, dass wir keine Einigung erreichen konnten: ich glaube, es wurde von beiden Seiten viel dran gesetzt, zu einer Einigung zu kommen. Aber es gibt manchmal Situationen, wo man dann zum Schluss halt keinen Konsens findet. Das finde ich bedauerlich... Michael Otto, von den Verhandlungsparteien als Moderator eingesetzt, tritt als erster vor die Mikrofone. Musik - Es ist vorbei, bei bei... Vorbei sind die wochenlangen Verhandlungen, die zu einem Kompromiss führen sollten zwischen den Vertretern der schwarz-grünen Koalition und der Initiative "Wir wollen lernen". Das Thema: Die Schulreform, das wichtigste Reformvorhaben des schwarz-grünen Senats in der Hansestadt. Mittlerweile deutet alles darauf hin, dass die Entscheidung zur Schulreform von den Bürgern getroffen wird. Im Sommer. Per Volksentscheid. (Paukenwirbel) Rückblick: Sprecher: "Unser Ziel ist es, in Hamburgs Schulen mehr Leistung und mehr soziale Gerechtigkeit zu erreichen. Deshalb verbessern wir die Unterrichtsqualität und setzen auf ein längeres gemeinsames Lernen." Wirbt die Schulbehörde auf ihrer Internetseite für die Reformpläne. Sprecher: "Alle Schülerinnen und Schüler mit ihren individuellen Talenten sollen jeden Tag dazu lernen und sich verbessern können. Wir möchten Schulen, in denen die Kinder mit Freude lernen." Große Worte, große Ziele. Doch was steckt tatsächlich dahinter? Atmo Schulhof Eine Grundschule im Herzen Hamburgs. Hier gehen Schüler von der Klasse 1 bis zur Klasse 4 zur Schule. Noch. Denn eigentlich sollen nach den Sommerferien auch die Klassen fünf und sechs weiter miteinander lernen und die Kinder nicht, wie bislang, nach dem vierten Schuljahr getrennt werden. Primarschule heißt das Stichwort. O_Ton Kinder 0´07 Junge:Ich finde das nicht so gut, weil dann ist man immer länger in der Schule und sieht man nie ne andere Schule richtig. Mädchen: Ich find´s eigentlich toll, weil - man kennt die Lehrer schon... Kleinere Klassen, Lehrer als Reformpädagogen, jahrgangsübergreifender Unterricht, Sitzenbleiben abschaffen, individualisiertes Lernen einführen, Noten bis Klasse 6 durch sogenannte Kompetenzberichte ersetzen, zwei Einschulungstermine pro Schuljahr und: das Elternwahlrecht wird abgeschafft. Künftig sollen die die Schulkonferenzen entscheiden, auf welche weiterführende Schule das Kind nach Klasse 6 gehen wird. Nicht mehr die Eltern. So der ursprüngliche Plan. Doch die Schulreform soll noch weiter gehen: Das dreigliedrige Schulsystem wird komplett abgeschafft. Stattdessen soll es ein neues, ein Zweisäulen-Modell geben. Das bedeutet: Nach der Primarschule, also nach der Klasse 6, wechseln die Kinder auf ein Gymnasium oder eine Stadtteilschule. In ihr werden alle bisherigen Schulformen vereinigt. Christa Goetsch, die Schulsenatorin der Grünen, versucht es mit einer Erklärung: O-Ton Goetsch Die Schule umfasst die Jahrgänge 7 - 13, also jede Stadtteilschule führt zum Abitur. Das ist ganz wichtig. In der Primarschule unterrichten ja Lehrer der Grundschule, der weiterführenden Gesamtschule und Gymnasien. In der Stadtteilschule kommen noch die beruflichen Kollegen dazu... Ganz schön viel "Reform"-Stoff, der da zu bewältigen ist: Für die einzelnen Schulen, für die Lehrer, für die Schüler. Und letztlich auch für die Schulbehörde: Ein riesiger Umbau des Schulsystems - nicht nur inhaltlich- strukturell, sondern auch was die baulichen Gegebenheiten angeht. Beispielsweise hat nicht jede Grundschule genügend Räume, um zwei weitere Jahrgänge unterzubringen. Bei manchen Schulen werden Räume angebaut oder angemietet. Teilweise werden weiterführende Schulen mit Primarschulen zusammengelegt, Gymnasien als auch die neuen Stadtteilschulen. Ein irrsinniges Geflecht - kein Wunder, dass da niemand mehr so richtig durchblickt. Vor allem nicht die Eltern, sagt Tjalf Nienaber. Er ist Vater eines 8jährigen Sohnes. Der geht in die 2. Klasse einer Grundschule. Auf welches fertige Schulsystem er treffen wird - so genau weiß das noch niemand. O-Ton Tjalf Nienaber Ich habe vor allem die Befürchtung, dass er in ein noch nicht durchdachtes Schulsystem fällt. Und das ausbaden muss, was jetzt mehr oder weniger nicht richtig ausgegoren wurde, was nicht zu Ende diskutiert wurde. Wo vor allem auch die Lehrer - wenn Sie jetzt heute mal in die Schulen gehen, die Lehrer fragen "Wissen Sie eigentlich, wo Sie morgen unterrichten?" - Dann bekommen sie große Fragezeichen. Und damit kommt mein Sohn nach Hause, bekommt das natürlich indirekt mit und diese Stimmungsschwankungen sind natürlich für die Entwicklung vor allem meiner und aller Kinder überhaupt nicht förderlich. Doch nicht alle Eltern sehen die Reform so kritisch. Mittlerweile werden auch die Stimmen der Befürworter unter den Hamburger Bürgern lauter. So hat sich Ende Januar der Verein "Chancen für alle - Hamburger Allianz für Bildung" gegründet. Eine Art Dachverband von Bürgerinitiativen, die sich FÜR die Reform einsetzen. Stephanie von Berg ist eine Mutter, die die Einführung der Primarschule unterstützt. Ihr Sohn geht in die dritte Klasse der Grundschule Rellinger Straße: O_Ton Wir sind so zuversichtlich, weil wir wissen, dass diese 6jährige Primarschule so stark macht. Also gerade in diesem Gesamtkonzept, nicht nur strukturell - länger gemeinsam lernen - sondern in diesem Gesamtkonzept mit individualisiertem Unterricht. Und das sehen wir hier, an dieser Schule, dass das so gut funktioniert. Atmo Schule, Klassenraum Der Unterricht in der Grundschule Rellinger Strasse hat schon angefangen: Es ist Montag morgen, die Tür zum Klassenzimmer ist offen - die Geckos sitzen zusammen in ihrer Morgenrunde, erzählen vom Wochenende. Die Geckos sind eine Lerngruppe - so heißen die Klassen in der Relli, sagt Maite. Was das besondere bei den Geckos ist? Die 8jährige wirft sich die geflochtenen Zöpfe über die Schulter und erklärt: O-Ton Maite Wir haben ja das Lernen mit verschiedenen Klassen. Wir haben ja Drittklässler, Zweitklässler und Erstklässler in einer Klasse. Und dann kann man eben auch Sachen machen, die schon Drittklässler machen. Klassenübergreifendes Lernen, seit Jahren schon wird dies in der Rellinger Straße praktiziert. Bereits 2009 hat sie mit der Umstellung zur Primarschule begonnen. Sie ist eine der 22 Starterschulen, die bereits 2010 das Primarschulmodell übernehmen. Genau bedeutet das: Ein Großteil der Schüler, die 2009 in die vierte Klasse gekommen sind, werden bis zur 6. Klasse zusammenbleiben. Len geht in die 3. Klasse. Er freut sich auf 2 Jahre länger mit seinen Klassenkameraden: O-Ton Len Ich find´s eigentlich ganz gut. Weil dann kannst Du länger auch mit Deinen Freunden und auch mit anderen länger arbeiten. Und das bringt auch mehr Spaß dann. Dann kommste auf einmal aufs Gymnasium, und Deine anderen Freunde kommen dann auf eine andere Schule und das ist bestimmt dann auch ein bisschen schade... Seine Freundin Maite findet das auch: O-ton 0´15 Ich find das sehr gut, weil ich hab ja hier auch meine Freunde. Und dann ist das auch sehr praktisch weil wir wohnen auch sehr viele aus dieser Klasse hier nebeneinander und dann können wir auch weiterhin zusammen zur Schule gehen. Und das ist eigentlich auch ganz praktisch. Die Kinder gehen gern hier zur Schule, mögen es, selbstverantwortlich aber mit Anleitung ihr eigenes Pensum zu erarbeiten. Gibt es denn auch Dinge, die ihnen so gar nicht gefallen an ihrer Schule? O-Ton 0´9 Es gibt schon Sachen, die uns nicht gefallen. Aber was es überhaupt nicht gefällt, das gibt's eigentlich gar nicht... Mir gefallen überhaupt nicht so gern die Klos. Ja, die sind wirklich stinkig. Stimmt, die stinken total. Darum werden sich die Politiker im Rathaus jetzt wohl erst einmal nicht kümmern können. Doch die Form des Lernens, wie sie in der Rellinger Straße praktiziert wird, wünschen sich zumindest die Spitzen der schwarz-grünen Koalition für alle Grundschulen in Hamburg. Auch Frank Schira, der Fraktionsvorsitzende der CDU in der Hamburger Bürgerschaft. O-Ton Das heißt ja das Längere Lernen, was ja einige Menschen auch noch nicht so akzeptieren wollen muss man permanent erklären. Und vor allen Dingen muss es unterfüttert werden mit vielen Lehrern, mit guter Ausstattung, mit guter Bildung für die Schüler. Denn für eine Großstadt wie Hamburg mit einem großen Migrationsanteil muss man einfach sehen, dass wir doch die besten Möglichkeiten ausschöpfen sollten, um in die Bildung zu investieren. So der Christdemokrat im Mai vergangenen Jahres im Interview mit dem Deutschlandradio Kultur. Schon damals war der Unmut der Basis bereits zu spüren: O_Ton Es gibt Widerstand, natürlich. Es gibt auch Befürchtungen. Aber die müssen, na ich sag mal, im permanenten Gespräch eben halt auch versucht werden, auszuräumen. Atmo Demonstration auf Rathausmarkt, Redner auf Bühne... "An dieser Demo kann in dieser Stadt keiner mehr vorbei regieren. Die ganze Stadt ist hier..." Die ganze Stadt vielleicht nicht, aber immerhin rund 5000 Eltern, Lehrer und Schüler, die gegen die Schulreform der schwarz-grünen Koalition demonstrieren. O-Ton Wir haben zum Teil hervorragende Schulen, wir wollen Reformen auf jeden Fall - aber nicht so. So die Meinung der meisten Demonstranten, die am 18. April 2009 auf die Straße gehen. Plakate, Transparente und Trillerpfeifen zeigen eindeutig: Sie sagen Nein zur Schulreform. O-Ton Scheuerl 0´12 Wir halten es für unrealistisch, dass die Primarschule in den Klassen 4 bis 6 auch nur ansatzweise das leisten können, was bisher in den weiterführenden Schulen und in den Klassen 5 und 6 geleistet werden kann. Sagt Walter Scheuerl, Mitinitiator und Hauptaktivist der Volksinitiative "Wir wollen lernen". Die Stimmen der Gegner, sie sind laut in der Hansestadt. Die Initiative um Scheuerl hat ein Volksbegehren angestrengt: Nein zur Primarschule, nein zur Abschaffung des Elternwahlrechts - dafür kämpfen sie. Mit Erfolg. November 2009: Das Ergebnis des Begehrens ist eindeutig: 184 500 Unterschriften, fast dreimal so viel wie benötigt, können die Gegner sammeln. O-Ton Ole von Beust 0´18 Die Anzahl der Unterschriften gegen die Schulreform ist ohne Zweifel ein Paukenschlag. Ich habe auch selber mit einer so großen Zahl von Gegnern der Reform, die unterschreiben, nicht gerechnet. Und das Ergebnis trifft auch mich persönlich. Mir ist es nicht gelungen, die Unterzeichner zumindest zu überzeugen, dass diese Reform so richtig ist. (Paukenwirbel) ...sagt Ole von Beust und spätestens hier muss auch die grüne Bildungssenatorin Christa Goetsch erkennen: So kann es nicht weitergehen. Am Tag nach dem Ergebnis tritt sie ans Rednerpult in der Hamburger Bürgerschaft und erklärt zähneknirschend: O-Ton Die Befürworter des alten Schulsystems, und die Befürworter des neuen Schulsystems sind aufgerufen, sicherlich auch in Konkurrenz, für die besseren schulpolitischen Ideen einzutreten. Wir sind also alle aufgerufen, meine Damen und Herren, diesen Volksentscheid als eine Chance zu bergreifen. Und es geht dann halt eben nicht mehr darum wogegen man ist, sondern wofür man ist. Und, meine Damen und Herren - es gehört zu einer Demokratie dazu, dass es keine Reform gibt, die auf 100 Prozent Zustimmung trifft. Schon damals rechnete die Schulsenatorin wohl damit, dass sich die Fronten zwischen den beiden Lagern verhärten werden. Lange Zeit waren die Proteste, gerade von den Anhängern der GAL, als das Aufbegehren betuchter Eltern aus den Elbvororten abgetan worden. Doch die hohe Zahl der gesammelten Stimmen zeigt jetzt: der Unmut über die Reform ist zwischenzeitlich in der Breite der Bevölkerung verankert. Das muss letztlich auch Christa Goetsch einsehen. Mitte Januar 2010: Vertreter der schwarz-grünen Koalition sind bereit, mit Vertretern der Initiative "Wir wollen lernen" über mögliche Kompromisse zu sprechen um einen Volksentscheid im Sommer doch noch abzuwenden. Michael Otto wird als Vermittler eingesetzt, lotet die Positionen der beiden Seiten aus und kommt anfangs zu dem Ergebnis: Ein Kompromiss ist möglich. So trifft man sich sechs Mal zu stundenlangen Gesprächen. Danach steht fest: Ein Kompromiss - unmöglich! Der Grund: Nach wie vor hält die CDU-GAL-Koalition daran fest, die Primarschule flächendeckend und verbindlich einzuführen. Und das ist der Knackpunkt. Auch wenn sie der Initiative während der Verhandlungen unerwartet weit entgegen kommt. Beispielsweise soll das Elternwahlrecht bestehen bleiben. Zuletzt ist man sogar bereit, nach dem System einer gelb- roten Karte eine sogenannte Notbremse zu akzeptieren. Jens Kerstan, der Fraktionsvorsitzende der Grünen Alternativen Liste in der Hamburger Bürgerschaft: O_ton Ich möchte noch einmal betonen, welchen großen Schritt wir von der Regierungsseite heute noch einmal gegangen sind: Also eine Notbremse zu akzeptieren; zu akzeptieren, dass eine Expertenkommission die verbindliche und flächendeckende Einführung der Primarschule unter bestimmten Bedingungen absagen kann, zeigt glaube ich, dass wir alles getan haben, und angeboten haben für diejenigen, die wirklich einen Schulfrieden in dieser Stadt wollen. Es war also von einer Entschleunigung der Reform die Rede und davon, verbindliche Qualitätskontrollen durch ein externes Evaluationsgremium durchzuführen - so wie übrigens auch von "Wir wollen lernen" gewünscht. Christa Goetsch: O_Ton Sie können sich lebhaft vorstellen, dass für mich als Fachsenatorin das alles andere als einfach war. Weil ich ja auch fachlich vertreten muss, wie man auch eine schrittweise Einführung durchführt. Trotz allen Entgegenkommens: die Gegner beharren darauf, Schulen sollen wählen können, ob sie sechs oder nur vier Jahre gemeinsames Lernen anbieten. Stichwort Freiwilligkeit. Für die Koalition ist das inakzeptabel. Die Gespräche werden ausgesetzt. Die Reaktion bei Gegnern wie Befürwortern der Reform nach diesem Ergebnis: Enttäuscht bis kampfesmutig. Frank Solms Nebelung hat mit am Verhandlungstisch gesessen - ist Teil der Initiative "Wir wollen lernen": O_ton Ja, wir sind sehr enttäuscht. Wir haben ja verhandelt, weil wir immer noch an eine Lösung geglaubt haben. Heute mussten wir erkennen, dass es dazu zumindest bei dieser Ausgangslage seitens des Senats nicht kommen wird. Und der erste Bürgermeister der Hansestadt, Ole von Beust: O-Ton Ich bedauere das, weil ich Schulfrieden möchte. Es wäre meiner Meinung nach der klügere Weg geworden, aber lassen Sie mich das auch sagen: Ich scheue auch die Volksabstimmung nicht. Beide Seiten stellen sich jetzt auf einen Volksentscheid ein. Hamburg steht in den nächsten Monaten ein öffentlicher Wahlkampf zur Schulreform ins Haus: O_Ton Ich sage Ihnen persönlich, ich werde alles in meiner Kraft stehende tun, damit eine Volksabstimmung zu einem Ergebnis kommt, dass in Hamburg mit sehr guten Bedingungen die Primarschule eingeführt werden kann. Die Koalition gibt sich optimistisch - weiß sie doch die Oppositionsparteien auf ihrer Seite. Auch die SPD und die Linke in Hamburg sind bereit, sich auf einen parteiübergreifenden Parlamentskonsens zu einigen: Am Mittwoch schon soll ein Änderungsgesetz zum Schulgesetz in die Bürgerschaft eingebracht werden. Frank Schira und Jens Kerstan, die Fraktionsvorsitzenden der Koalitionsparteien haben erste Vorschläge bereits veröffentlicht. Es wird nachgebessert - man komme den Eltern entgegen, so der Grüne Jens Kerstan: O-ton Die Eltern haben die letzte Entscheidung, ob das Kind aufs Gymnasium darf oder nicht. Das Elternwahlrecht wird also nicht abgeschafft. Soviel steht schon einmal fest. Allerdings wird auch gefordert, dass die Lehrer in der Klasse fünf und sechs ausführliche Gespräche mit den Eltern über den richtigen Bildungsweg ihrer Kinder führen. Dann entscheide zwar die Zeugniskonferenz, aber die Eltern können sich darüber hinwegsetzen. Tun sie das, besucht ihr Kind das Gymnasium ein Jahr auf Probe. Ist es zu schlecht, muss es die Schule wieder verlassen. CDU-Schulexperte Wolfgang Beuß ist sicher, dass die Eltern durch ihre frühe Einbindung eher dem Lehrervotum folgen werden. O-Ton Das wird bei den Eltern eben auch ne ganz andere Entscheidungsmöglichkeit herbeiführen zu sagen: Ich will gar nicht, dass mein Kind mit Gewalt aufs Gymnasium geht, und nach der 12 Klasse Abitur macht. Sondern eben an der Stadtteilschule auch die allgemeine Hochschulreife zu erwerben. Und das sogar mit einem längeren Vorlauf. Für diese und andere Vorschläge, die im Änderungsgesetz zum Schulgesetz aufgeführt sind, soll auch die Opposition gewonnen werden. Vergangene Woche bereits haben sich Vertreter der schwarz-grünen Koalition mit der SPD getroffen, um eine gemeinsame Haltung zur Schulreform zu erarbeiten. Parteipolitische Interessen müssen bei diesem Thema hintangestellt werden- im Sinne eines Schulfriedens, so Olaf Scholz, der Landeschef der Hamburger Sozialdemokraten: O_ton Olaf Scholz Ich bin sicher, dass es notwendig ist, dass wir in der Frage der Schulpolitik Ergebnisse erzielen, die von den Bürgern und Bürgerinnen der Stadt geteilt werden. Und das ist unser Auftrag. Was die Stadtteilschule angeht, ist Olaf Scholz auf einer Linie mit CDU-Mann Beuß: O-Ton Eine Sache, die bislang nicht im Fokus stand ist, dass die Stadtteilschulen auch wirklich gute Schulen sein müssen. Man muss eigentlich an jeder Schule Abitur machen können. Und es gibt noch viele andere Sachen, die uns sehr bewegen. Morgen wird es ein weiteres Treffen von CDU, GAL und SPD geben. Dann sollen auch die Linken ins Boot geholt werden. Und Dora Heyenn, die Fraktionsvorsitzende der Linken im Hamburger Parlament erklärt: O_ton Wenn ich Frau Goetsch und Herrn Bürgermeister verstanden habe, ist genau das, was die auch wollen Bildungsgerechtigkeit. Und da werden wir unseren Beitrag leisten. Und wir werden alles tun, damit der Volksentscheid scheitert. Es ist bemerkenswert und eher unüblich, dass sich alle Bürgerschaftsparteien - Koalition wie Opposition - generell hinter die Primarschulreform von Christa Goetsch stellen. Auch wenn es in einigen Teilbereichen noch Differenzen zwischen den Parteien gibt. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es gerade bei der konservativen Parteibasis kräftig brodelt - und die Besorgnis in der Parteiführung groß ist: Nicht jeder CDU-Anhänger ist erfreut über die Reformpläne. Ingeborg Knipper, CDU-Bildungsexpertin und lange Jahre Leiterin des Amts für Bildung in der Schulbehörde: O-Ton Ich bin auch grundsätzlich der Meinung, dass es ein gymnasiales Angebot nach Klasse 4 geben soll. Wir brauchen daneben diese Stadtteilschule. Weil auch andere Kinder später zum Abitur gebracht werden müssen. Noch sei nicht bewiesen - weder in Hamburg noch in anderen Bundesländern - das längeres gemeinsames Lernen ein besseres System darstelle, schreibt die ehemalige Lehrerin in ihrem Positionspapier, landläufig als "Knipper- Papier" bezeichnet. O-ton Das was Herr von Beust sich vorgestellt hat, dass das ganze zum Schulfrieden führen wird, das ist nun mit Sicherheit wiederlegt. Sollte ein Volksentscheid im Sommer gegen die Reform ausfallen, wäre ein Schulfrieden auf lange Zeit nicht absehbar. Und auch die Zukunft der schwarz- grünen Koalition könnte sich an dieser Frage entscheiden. Noch sagen die Spitzenpolitiker wie Frau Goetsch zwar O-ton Wir haben keinen Koalitionsstreit und Bürgermeister von Beust ergänzt O-Ton Wenn man eine Volksabstimmung immer zu der Frage nimmt, bleibt der Bürgermeister im Amt, die Senatorin, pervertieren sie den Grund einer Volksabstimmung. Da geht´s um eine Sachfrage. Doch an eben jener Sachfrage hängt eine ganze Menge. Die CDU-Führung hat sich in eine Lage gebracht, in dem sie in dem "Wahlkampf" vor dem bevorstehenden Volksentscheid eine von Teilen der eigenen Wählerschaft abgelehnte Politik rechtfertigen muss. Was das bedeutet, zeigt sich bereits in den letzten Umfragen vom Dezember letzten Jahres unter Hamburgs Wählern: Verlierer ist die CDU, die nur noch 36 Prozent der Stimmen erreicht. Bei der Bürgerschaftswahl 2008 waren es noch knapp 43 Prozent. Der Regierungspartner GAL legt um 3,4 Prozent zu - auf 13 Prozent. Das zeigt: Sollte der Volksentscheid zur Schulreform erfolgreich sein - den Grünen schadet das am Allerwenigsten. Die CDU wird daran zu knabbern haben. Manuskript Länderreport Schulreform in Hamburg, für 22.02.2010. VERENA HERB 1