COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandrundfahrt "Effi Briests vergessenes Erbe" Ein Streifzug durch Zerben in Sachsen-Anhalt Von Susanne Arlt Sendung: 25. September 2010, 15.05h Ton: Christiane Neumann Regie: Roswitha Graf Redaktion: Margarete Wohlan Produktion: Deutschlandradio Kultur 2010 Jingle und Kennmusik O-Ton 1 Holger Ahrensdorf Zerben ist für uns ein Schauplatz der Weltliteratur. Wenn man sich vorstellt, dass Effi Briest hier auch früher in die Landschaft geschaut hat, dann kommt ein richtig authentisches Gefühl wieder zustande. Musik hoch O-Ton 2 Marianne Schünecke: Die wahre Geschichte von Baronin Elisabeth von Plotho ist viel interessanter als der Roman. Ich finde, man hat der Baronin Unrecht getan. Was hat die Frau nun jetzt wirklich eigentlich verbrochen, dass man sie so geächtet hat. Musik hoch O-Ton 3 Gottfried Fritze: Es gab nach der Wende viele Leute, wo das Schloss saniert werden sollte, die sich massiv dagegen gewehrt haben und die wollten das verhindern. Angeblich Geldverschwendung oder wat sie alles für Gründe gehabt. Musik hoch O-Ton 4 Margret Baumert: Elisabeth von Plotho war für mich eine sehr starke hervorragende Frau gewesen, sehr guten Charakter, sie hat sich für viele eingesetzt, ja und hat nicht an sich gedacht. Und darum Hut ab vor dieser Frau. Und ich ehre sie eigentlich heute noch. Musik hoch O-Ton 5 Andrea Plönnecke: Für so einen kleinen Ort von nicht einmal 300 Einwohnern ist das schon kurios so ne große Weltliteratur zu haben. Es wissen bloß die Wenigsten. Musik hoch SpvD: Effi Briests vergessenes Erbe Ein Streifzug durch Zerben in Sachsen-Anhalt Eine Deutschlandrundfahrt mit Susanne Arlt Atmo Auto über Kopfsteinpflaster Autorin: Der Weg nach Zerben führt über eine holprige Landstraße. Sackgasse warnt noch ein Hinweisschild. Fremde verirren sich eher selten in diese Gegend. Rechts und links stehen wie zum Spalier am Straßenrand mächtige Buchen und Kiefern. Mindestens 100 Jahre sind sie alt, türmen sich auf über der Landstraße, tauchen sie in ein düsteres Licht. Der dunkle Wald lichtet sich. Der Besucher passiert das Ortsschild. Zerben - ein winziger Punkt auf der Landkarte. Das 280-Seelen-Dorf im Jerichower Land liegt fünfzig Kilometer nordöstlich von Magdeburg. Weiter westlich fließt die Elbe, davor liegen die Elbauen. Am späten Nachmittag ist kein Mensch hier weit und breit auf der Karl-Marx-Straße zu sehen. Hinter dem neuen Gerätehaus der freiwillige Feuerwehr taucht plötzlich ein weißes Schild auf: Schloss steht schnörkellos darauf. Ein schmaler Kiesweg zweigt rechts ab, führt durch einen winzigen Park, endet vor zwei frisch verputzten Häusern. Wie hingewürfelt sehen sie aus, leuchten wie zwei ockergelbe Solitäre in der sattgrünen Elblandschaft. Atmo aussteigen, Tür fällt zu, Schritte auf Kies Atmo Vögel zwitschern Autorin: Das linke Gebäude ist rechtwinklig, etwas größer und mit verschnörkelter Fassade, das rechte sieht aus wie ein Quader. Dazwischen wachsen Buchsbäumchen und sattgrünes Gras. Ein bisschen irritierend diese Baukunst. Eine Gedenktafel erzählt davon, wer hier einst lebte: Elisabeth Edle und Freiin von Plotho - die wahre Effi Briest. Im Jahr 1853 wird sie auf dem elterlichen Gut in Zerben geboren. 20 Jahre später geht sie eine Vernunftehe ein mit Armand von Ardenne. Zehn Jahre darauf beginnt sie eine Liaison mit dem Künstler Emil Hartwich. Als ihr Mann davon erfährt, tötet er ihn im Duell und lässt sich von seiner Frau scheiden. Ein Schusswechsel, ein Gesellschaftskrach, das Klatschereignis des Jahres. Theodor Fontane lässt sich von der Geschichte inspirieren und schreibt den Roman Effi Briest. Manches darin erinnert an das Schloss in Zerben. Musik 1: Titel: Salut d' amour Komponist: Edward Elgar Interpret: Gil Shaham & Orpheus Chamber Orchestra Verlag: Deutsche Grammophon, LC 00173 darüber Zitator aus "Effi Briest": In Front des von der Familie von Briest bewohnten Herrenhauses zu Hohen-Cremmen fiel heller Sonnenschein auf die mittagsstille Dorfstraße, während nach der Park- und Gartenseite hin ein rechtwinklig angebauter Seitenflügel einen breiten Schatten auf ein großes in seiner Mitte mit einer Sonnenuhr und an seinem Rande mit Canna indica und Rhabarberstauden besetztes Rondell warf. An dessen offener Seite man eines Teiches mit Wassersteg und angeketteltem Boot und dicht daneben einer Schaukel gewahr wurde, deren horizontal gelegtes Brett zu Häupten und Füßen an je zwei Stricken hing - die Pfosten der Balkenlage schon etwas schief stehend. Zwischen Teich und Rondell aber und die Schaukel halb versteckend, standen ein paar mächtige alte Platanen. Atmo Gewitter Atmo Laufen im Regen Autorin: In Zerben fängt es an zu regnen. Von den Elbwiesen steigen langsam Nebelschwaden empor, ziehen Richtung Dorf und hüllen es langsam in ein mattes Grau. Marianne Schünecke und Andrea Plönnecke haben sich trotzdem auf die Straße getraut. Sie klappen ihre Regenschirme auf, laufen durch den kleinen Park, bleiben schließlich vor einer Schaukel stehen. Die Pfosten der Balkenlage stehen gerade und die Schaukel baumelt unter einer mächtigen Eiche. Andrea Plönnecke setzt sich auf das Holzbrett, hält sich mit beiden Händen an beiden Seilen fest, holt Schwung, wippt nach vorn und zurück. Atmo Schaukel quietscht O-Ton Andrea Plönnecke: Wirklich schön ja doch, hätte man schon mal öfter machen sollen. Atmo Schaukel quietscht O-Ton Andrea Plönnecke: Also vom Schloss hat man einen ganz tollen Blick Richtung Elbe, man sieht die Elbe zwar nicht direkt, aber die Felder und der See, der davor ist, sieht schon schön aus. Im Sommer, wenn denn - voriges Jahr war auch ein Rapsfeld davor, das sah ganz toll aus. Autorin: Andrea Plönnecke und Marianne Schünecke sind Mitglieder im Heimatverein Effi Briest. Vor zehn Jahren haben Zerbener Bürger den Club gegründet, um an das Erbe der wahren Effi Briest zu erinnern. O-Ton Andrea Plönnecke und Marianne Schünecke Seit wann haben wir die jetzt, die Schaukel? Zwei, drei Jahre? ... . Länger, ich denke mal vier Jahre steht die schon. Die Effi, die schaukelte gerne als sie noch Kind war. Und als sie noch ein junges Mädchen war, hat sie immer hier geschaukelt. Und da nun keine hier war, haben wir eine hingestellt. Autorin: Effi - damit ist eigentlich Elisabeth Edle und Freiin von Plotho gemeint. Zu ihren Lebzeiten stand hier auch eine Schaukel. Das habe sie in den Memoiren der Baronin nachgelesen, betont die 65-jährige. Ihre Handschriften, sagt sie stolz, lägen bei ihr zuhause in Kopie. Marianne Schünecke ist eine gebürtige Zerbenerin. Als sie vier Jahre alt war, hat sie für eine kurze Zeit in dem Schloss gelebt. Nach dem zweiten Weltkrieg war Wohnraum knapp, darum zogen dort Einheimische und Flüchtlinge ein. Die von Plothos hatten ihr Gut schon Anfang des 20. Jahrhunderts verkauft - vermutlich aus wirtschaftlicher Not. Als Marianne Schünecke in den 80er-Jahren mehr über die Geschichte des Schlosses erfuhr und ihr ein Historiker aus dem benachbarten Güsen von dem plothoschen Adelsgeschlecht erzählte, ließen das Schloss und seine Vergangenheit sie nicht mehr los. O-Ton Marianne Schünecke: Das Schloss hat mich schon immer fasziniert. Als Kind schon und dann hat er mir auch erzählt, dass Effi wahrscheinlich hier geboren ist. Das war ja immer eine Frage Parey oder Zerben. Aber wir haben dann feststellen können, dass sie tatsächlich in Zerben geboren ist durch Nachforschungen in der Kirche. In Kirchenbücher usw. ist es ja bewiesen, dass sie wirklich in Zerben geboren ist. Und von da an ging es dann los. Autorin: Damals habe sie nicht viel ausrichten können, sagt Schünecke, obwohl sie in den 80er-Jahren Bürgermeisterin von Zerben war. In der DDR war das Andenken an die preußischen Junker verpönt und nach dem Fall der Mauer war die ehemalige SED-Genossin ihren Job erst einmal los. Ein paar Jahre später konnte sie sich innerhalb einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme dann endlich ihrem Projekt widmen. O-Ton Marianne Schünecke: Als ich die echte Geschichte kennengelernt habe, muss ich dazu sagen, hatte ich eigentlich auch ein bisschen Zwiespalt zwischen Effi Briest und Elisabeth. Denn die Elisabeth ist ja eine Persönlichkeit gewesen, die so stark war und so viel geleistet hat und die Effi, die ist dann langsam hingesiecht. Die wahre Geschichte von Baronin Elisabeth von Plotho ist viel interessanter als der Roman. Autorin: Und an diese wahre Geschichte wollte Marianne Schünecke erinnern. Gemeinsam mit Andrea Plönnecke übertrug sie die handgeschriebenen Chroniken über die Familie von Plotho, die der Historiker aus Güsen zusammengetragen hatte, in den Computer. 75 neue Exemplare entstanden. Auch die Familie von Plotho erhielt einige Ausgaben. O-Ton Marianne Schünecke: Die Bände, die wir haben, die gehen nur bis 1945. Wir sind hier in Zerben zu einigen älteren Menschen gegangen und haben Befragungen durchgeführt und die haben uns wirklich so viele schöne Hinweise gegeben, was damals alles gewesen ist auch nach 45. Aber wir sind leider noch nicht dazu gekommen, dazu hat die Zeit nicht ausgereicht, das alles niederzuschreiben. Wir haben nun gesammelte Bände, solche großen Akten, zwei Ordner voll mit gesammelten Schriften, müsste nun bloß mal richtig niedergeschrieben werden. Autorin: Als Marianne Schünecke dann Mitte der 90er wieder zur Bürgermeisterin gewählt wurde, wollte sie das Schloss retten. Zumindest das, was von ihm noch übrig geblieben war. Die Gemeinde war zwar Rechtsträgerin, nicht aber Besitzerin. Nach der Wiedervereinigung wurde das Schloss automatisch der Treuhand übertragen. O-Ton Marianne Schünecke: Wir haben es ja dann geschafft, mit viel Hin und Her, Für- und Gegensprecher, haben ja nun nicht alle Hurra geschrien hier in Zerben, waren begeistert, dass wir das Schloss wieder aufbauen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie oft ich nach Magdeburg telefoniert habe, um da überhaupt Eigentümer zu werden als Gemeinde. Ich habe mich nicht abwimmeln lassen, ich habe einfach wieder neu angerufen und habe versucht den Leuten zu erklären, was wir für ein Kleinod haben in Zerben. Autorin: Ein Kleinod, das nicht jedem Bürger in Zerben ans Herz gewachsen war. Der spätere Ortsbürgermeister beispielsweise hielt lange nichts von der Idee, das Schloss unter Denkmalschutz zu stellen und sanieren zu lassen. Und noch weniger davon, ein Museum darin einzurichten. Empörte Bürger pflichteten ihm bei. Warum auch, dann kommen nur die Plothos wieder und wozu braucht man in Zerben diese preußische Junkersfamilie? Die Wogen haben sich inzwischen geglättet. Wer heute durch das Dorf streift, trifft keinen Zerbener mehr, der zumindest offen gegen das Schloss wettert. Musik 2: Titel: Symphony Nr. 6 in F-Dur, Op. 68, Pastorale - Donner, Sturm: Allegro Komponist: Ludwig van Beethoven Interpret: Kammerorchester Basel, Ltg. Giovanni Antonini Verlag: Sony Classical, LC 06868 Atmo Vögel zwitschern Autorin: Hinter dem einst stattlichen Schloss in Zerben erstreckt sich ein weitläufiger Park. So wie die beiden Seitenflügel soll auch er wieder hergerichtet werden. 43 verschiedene Bäume und Büsche wachsen auf diesem Boden: Lederhülsenbäume, Holzapfelbäume, männliche Eiben. Schloss und Park sind heute kaum wieder zuerkennen. Die Region hat sich dafür nur wenig verändert. Entlang des Flusses breiten sich seit Jahrhunderten die Elbauen aus, spenden Weißstorch, Kiebitz und Fischadler den nötigen Lebensraum. Das Jerichower Land ist eben, der Besucher kann seinen Blick kilometerweit schweifen lassen. Das einzige was in dieser idyllischen Landschaft stört, sind im September die Mücken. Atmo Mücken Autorin: Gabriele Panzlaff scheucht ein besonders dickes Exemplar mit ihrem Handrücken energisch zur Seite. Die Bauamtsleiterin der Gemeinde Elbe-Parey ist vor dreizehn Jahren zum ersten Mal nach Zerben gekommen. Damals stand sie vor einer Ruine, erinnert sie sich. Die Fassade war bis auf den Putz abgeplatzt. Die darunterliegenden Backsteine erinnerten an rohes Fleisch, waren der Witterung schutzlos ausgeliefert. Fenster waren zersplittert, Läden hingen schief in ihren Angeln. Das Dach drohte einzustürzen. O-Ton Gabriele Panzlaff: Und das hat dann erst einmal einen Moment gedauert, bis wir alle soweit waren und den Mut hatten, ja wenn wir Geld beschaffen, das könnte was werden. Autorin: Die Gemeinde Elbe-Parey, zu der Zerben inzwischen gehört, hatte rechtzeitig erkannt, was für ein Juwel sich hinter dieser ruinösen Fassade verbirgt. Aus baudenkmalpflegerischer Sicht war aus den beiden verbliebenen Seitenflügeln allerdings nicht mehr viel zu holen. Der besonders prunkvolle Mittelteil des imposanten Herrenhauses war kurz nach Kriegsende dem Beschluss 209 zum Opfer gefallen. Die russische Militäradministration hatte verfügt, Schlösser und Herrenhäuser zu schleifen. Die Steine würden für den Wiederaufbau gebraucht, argumentierte man damals. In Zerben blieben nur der linke Seitenflügel und der rechte Anbau des Schlosses stehen. O-Ton Gabriele Panzlaff: Unsere Chefin sagt ja immer geht nicht, gibt´s nicht und wenn Geld da ist, kann man das sicherlich machen. Und dann haben wir erst einmal versucht anzufangen, was ist denn überhaupt an Geld nötig, was muss man tun. Man muss ja erst überhaupt mal ne Sicherung des Gebäudes vornehmen. Es war ja wirklich in Größenordnungen verfallen und dieses überhaupt mal in Zahlen zu fassen war ja schon schwierig. Autorin: Wo ein Wille, da ein Weg sagte sich die Bürgermeisterin der Gemeinde Elbe-Parey und trieb das Projekt voran. Verbündete fand sie damals nicht nur in Marianne Schünecke. Durch einen Zufall erfuhr ein Mitarbeiter aus dem Kultusministerium von dem Schloss und seiner Vergangenheit. O-Ton Holger Ahrensdorf: Also wir sind ja durch einen Zeitungsartikel 1997 das erste Mal im Kultusministerium auf das Gebäude aufmerksam geworden. Und da haben wir eben auch durch diesen Artikel erfahren, dass die Heimat der richtigen Effi Briest in Sachsen-Anhalt ist in dem kleinen Ort Zerben. Autorin: Holger Ahrensdorf, Referent für Denkmalpflege, ließ sich durch den ruinösen Anblick nicht abschrecken. Das Schloss war einst ein Rittergut. Die Eltern von Elisabeth von Plotho ließen es im 19. Jahrhundert umbauen und erweitern. Der Stilmix aus Neorenaissance und Historismus sei damals typisch gewesen für diese Zeit, erklärt der Denkmalpfleger. O-Ton Holger Ahrensdorf: Also Neorenaissance ist, dass man im 19. Jahrhundert alte Baustile wieder entdeckt hat, also auch die Renaissance oder die Gotik. Und es sieht eben halt von weiter entfernt betrachtet aus wie ein Renaissancegebäude, ist eben aber nicht aus dem 15. oder 16. Jahrhundert, sondern eben aus dem 19. Jahrhundert. Und dann diese historistischen Details mit den spitzen Türmen, die sind ja mittlerweile nicht mehr da. Also man hat damals gerne verschiedene Stile miteinander vermischt. Autorin: Holger Ahrensdorf unterstützte die Gemeinde dabei, Schloss und Park unter Denkmalschutz stellen zu lassen. Von der Idee, ein Museum in dem geschichtsträchtigen Haus unterzubringen, war er sogleich begeistert. O-Ton Holger Ahrensdorf: Ein Baudenkmal kann also auch dadurch zum Baudenkmal werden, wenn es auf eine bekannte Persönlichkeit zurückgeht. Als Schauplatz der Weltgeschichte kommt ja das Schloss in einem Roman vor, der sich in der ganzen Welt verbreitet hat. Ich habe mal gehört, ich weiß nicht ob es stimmt, dass Fontanes Effi Briest das meistgelesene deutschsprachige Werk der Welt sein soll. Autorin: Finanzielle Mittel flossen. Bislang wurden knapp 800.000 Euro verbaut, die Gemeinde beteiligte sich mit über 300.000 Euro. Kein Pappenstil für so eine Kleinstadt, sagt Gabriele Panzlaff, doch die Arbeit habe sich gelohnt. Vor drei Monaten wurden die beiden sanierten Schlossgebäude offiziell eröffnet. Musik 3 Titel: Valse in D-Dur, Op. 70, Nr. 3 Komponist: Frédéric Chopin Interpret: Idil Biret Verlag: Marco Polo, LC 09158 Atmo Tür aufschließen, durch den Gang gehen, Treppe hochsteigen, im grünen Zimmer ankommen, Diele knarrt Autorin: Die Heimatstube, die eines Tages ein Museum sein soll, ist auf den beiden Etagen im größeren Westflügel untergebracht. Es riecht nach frischer Farbe und jungem Holz. Durch einen grau angestrichenen Gang steigt der Besucher über eine Treppe hinauf ins Obergeschoss. Linker Hand liegt ein Zimmer mit olivgrünem Anstrich. Der behagliche Raum hat eine wunderschön verzierte Kassettendecke aus Holz und einen atemberaubenden Blick auf die Elblandschaft. O-Ton Holger Ahrensdorf: Wunderschön, wenn man sich vorstellt, dass Effi Briest hier auch früher in die Landschaft geschaut hat, dann kommt ein richtig authentisches Gefühl wieder zustande. Autorin: Viele Balken, sagt die Bauamtsleiterin und legt ihren Kopf in den Nacken, mussten in der Kassettendecke ausgewechselt werden. O-Ton Gabriele Panzlaff: Es war Schimmel drin, Holzwurm war drinne, Holzbefall, wesentliche Tragbalken mussten ausgewechselt werden, im unteren Saal war ein großes Loch in der Decke, es waren schon umfangreiche Arbeiten nötig Autorin: Das olivgrüne Zimmer ist Elisabeth von Plotho gewidmet. Auf einem runden Holztisch liegt ein imposantes Photoalbum ihrer Familie. Eine unser zahlreichen Leihgaben, sagt Gabriele Panzlaff, schlägt das Album auf und beginnt darin zu blättern. Atmo Blättern Autorin: Ein vergilbtes Foto zeigt die noch junge Elisabeth auf einem holzverzierten Stuhl. In ihren Händen hält sie ein Buch, ein bisschen wehmütig schaut sie in die Kamera. Die dunklen Haare trägt sie hochgesteckt. Noch hat ihr Gesicht etwas Pausbäckiges. Ein anderes Schwarzweißfoto zeigt das Brautpaar an seinem Hochzeitstag. Ihr Mann, Armand Léon von Ardenne, steht aufrecht in seiner Offiziersuniform vor einem Tisch, sie lehnt in einem Polsterstuhl. Die Lippen leicht geschürzt, sie lächelt nicht. Ein Drittes porträtiert die alte Dame im Profil. Der weiße Stehkragen, das hochgesteckte silbrige Haar, die gerade Nase und das kantige Kinn zeigen eine starke Persönlichkeit. Neben dem Photoalbum liegt eine Chronik der Familiengeschichte. Auf einer Tafel ist die Lebensgeschichte der Elisabeth nachzulesen. O-Ton Gabriele Panzlaff: Viele Dinge, die hier drin sind oder die wir jetzt hier finden, wussten wir auch damals nicht und die Unterlagen kommen ja auch erst nach und nach zu uns und jedes Stück ergänzt sich jetzt mehr. ... blättern ... und da sammeln wir natürlich immer wieder noch gerne, also wenn wir jemanden treffen, der uns da weiterhelfen kann, um unsere Lücken, die wir da haben zur Geschichte noch zu füllen, da sind wir immer froh. Autorin: Im nächsten Raum steht auf einem kleinen Podest ein Foto von Emil Hartwich. Es zeigt einen Mann Mitte 30 mit einer hohen Stirn, strengem Mittelscheitel und langem Schnauzbart. O-Ton Gabriele Panzlaff: Der Sünder, (lacht). Autorin: Der Jurist und Sportpädagoge war außerdem Künstler, er malte und musizierte. In ihn verliebte sich Elisabeth. Als ihr Mann, ein preußischer Offizier, die Liaison aufdeckte, forderte er seinen Nebenbuhler zum Duell heraus. O-Ton Gabriele Panzlaff: Hartwig, als das Duell war, durfte er ja zuerst schießen. Und er hat in die Luft geschossen und der Ehemann hat getroffen. Autorin: All das kann man in der Heimatstube Effi Briest in Zerben nachlesen. Auch was aus der wahren Effi geworden ist. Im Gegensatz zur Romanfigur wurde Elisabeth 99 Jahre alt. O-Ton Gabriele Panzlaff: Elisabeth von Plotho hat ja aus ihrem Leid eigentlich Kraft geschöpft. Das habe ich so deutlich bei Effi Briest nicht raus gelesen. Also ich denke aber doch Elisabeth von Plotho ist da doch noch eine andere Frau. Musik 4 Titel: Streich-Quartett B-Dur op. 67 - Andante Komponist: Johannes Brahms Interpret: Verdi Quartett Verlag: Hänssler Classic, LC 06047 Atmo Raben krächzen Autorin: Wer durch Zerben streift und sich auf Spurensuche nach der wahren Effi Briest begibt, der wird auch abseits des Schlosses fündig. Vor fast 1.000 Jahren ließen sich die Vorfahren derer von Plotho in dieser Gegend nieder. Atmo Raben noch kurz hochkommen lassen Autorin: Auf dem Friedhof des Dorfes ruhen die Eltern von Elisabeth Edle und Freiin von Plotho. Zwischen den beiden hüfthohen Grabsteinen steht ein weißes steinernes Kreuz. Die Inschrift darauf ist ein bisschen verblasst: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, als ob er gleich stürbe. Zu Zeiten der DDR erinnerte nur noch ein Fundamentstein an diese Begräbnisstätte. Unkraut wucherte darüber. Der Pfarrer ließ die Grabsteine in den 80er-Jahren wieder aufstellen. Imposant ist auch die alte Dorfkirche. Eine Kopie der Kreuzabnahme von Rubens ziert die Altarwand. Rechts und links davon hängen Standbilder von Petrus und Paulus. Engelsfiguren krönen den Altar. Die Kanzel ist üppig mit Ornamenten geschmückt. Und es gibt eine Herrschaftsloge. Nicht gerade üblich für ein Dorfkirche. Musik 5 Soundtrack Effi Briest - Allein Komponist: Johan Söderquist Interpret: Slovak National Symphony Ltg. Viktor Simcisko Verlag: Constantin Music, LC 14119 Autorin: Die Plothos sind eine märkische Uradelsfamilie. Der Name stammt von dem wendischen Begriff plot, was übersetzt Grenze, Zaun, Wall bedeutet. Beim zweiten Wendenkreuzzug wechselten sie die Seiten und kämpften für den Kaiser Otto den Zweiten. Wolfgang von Plotho: Es gab im Grunde nur zwei Möglichkeiten. Entweder unterwarf man sich dem neuen Herrn oder man fiel im Kampf. Und Plotho hat sich für die andere Option entschieden und so wurden die Plothos Ministerialen der Erzbischöfe von Magdeburg, spätere Domherren, und waren für die Wahrung und Mehrung des Domschatzes zuständig, wobei Schatz sich nicht nur auf Gold und Edelsteine beschränkte, sondern auf Länderein. Autorin: Wolfgang Freiherr von Plotho kann auf eine lange Familientradition zurückschauen. Für einen kurzen Zeitraum waren seine Ahnen sogar Landesherren. Sie gründeten in der Prignitz die Städte Wusterhausen und Kyritz. Der distinguierte Mann mit dem ergrauten Haar und den feinen Gesichtszügen lebt heute in Berlin, aufgewachsen ist er in München. Schon in seiner Kindheit erfährt er von seinem stolzen Adelsgeschlecht. Über ihr literarisches Erbe aber hüllt sich die Familie lieber in Schweigen. Musik 5 wieder hoch Autorin: Nach seinem Abitur besucht Wolfgang von Plotho die Heeresoffizierschule. Er ist Mitte 20, als ihn während einer Prüfung ein Lehrer neugierig auf Theodor Fontane und Effi Briest anspricht. Wolfgang von Plotho schüttelt verunsichert den Kopf. Was hat seine Urgroßtante mit Fontanes Effi Briest zu tun? O-Ton Wolfgang von Plotho: Das Peinliche an dem Akt war, dass er sehr wohl wusste, wer hinter Effi stand und ich konnte das nicht beantworten. Und das war dann der Auslöser dafür, dass ich mich mit ihr beschäftigt habe. Habe meinen Vater dann auch angesprochen und er konnte mir wohl von ihrer Existenz etwas sagen, aber darüber wurde mehr oder weniger geschwiegen. Also es war doch so ein ehrenrühriger Akt, dass beide Familien, so wie er mir sagte, dieses Thema ausgeklammert haben. Autorin: Sein Großvater mütterlicherseits hat ihm dann eine Ausgabe der Effi Briest in die Hand gedrückt. Gefallen, sagt er rückblickend, habe es ihm damals nicht, aber es hat ihn neugierig gemacht. O-Ton Wolfgang von Plotho: Also es war eigentlich ein Tabuthema. Und ich habe dann auch sehr schnell und früh begriffen, dass es meinem Vater nicht anders erging und deswegen konnte er mir auch nicht viel sagen. Interessant ist ja, dass Elisabeth erst 1952, also ein Jahr nach meiner Geburt, in Lindau verstorben ist. Und da gab es auch niemanden in der Familie, der da bei der Beerdigung war. Also auf jeden Fall nicht von den Plothos. Autorin: Der fast 1000-jährige Name derer von Plotho sollte mit diesem Skandal nicht in Verbindung gebracht werden. Elisabeth von Ardenne behielt vermutlich aus diesem Grund auch nach der Scheidung den Namen ihres Ex-Mannes. Musik 6 Soundtrack Effi Briest - Der Ritt Komponist, Interpret und Verlag s. Musik 5 Autorin: Elisabeth Edle und Freiin von Plotho ist das jüngste von fünf Kindern, als sie 1853 auf dem elterlichen Gut Zerben zur Welt kommt. Sie ist ein Heißsporn, wild und ungezwungen wächst sie auf, tollt besonders gern mit den Jungs aus dem Dorf herum und hütet mit ihnen die Kühe. Die Bewohner von Zerben rufen sie liebevoll Elseken. Armand Léon von Ardenne ist zu dieser Zeit im Zietenschen Husarenregiment im nahen Rathenow stationiert. Der fünf Jahre ältere Fähnrich besucht häufig die Familie von Plotho und gibt dort Konzerte. Sein Werben wird lange nicht erhört, Elisabeth willigt erst drei Jahre später in die Ehe ein. O-Ton Wolfgang von Plotho: Ich glaube sagen zu können, dass es zwischen den beiden nie richtig gefunkt hat. Es fehlte die Liebe, die enge Zuneigung und das führte ja auch nach dem ersten Kennenlernen dazu, dass Elseken von dem Fähnrich oder damaligen Leutnant wenig wissen wollte. Und erst durch das Zutun der Mutter, die damals schon alleinstehend war, und von daher war sie natürlich bemüht, die Tochter ordentlich zu platzieren. Autorin: Über den Tag ihrer Vermählung schrieb Elisabeth in ihren Memoiren nur einen einzigen Satz: Die Hochzeit fand in meinem geliebten Zerben statt. Noch am selben Abend zog das junge Ehepaar nach Berlin in eine Wohnung am Lützowufer. Wolfgang von Plotho, dessen Urgroßvater Elisabeths Bruder war, lebt heute in Berlin. Nach dem Mauerfall begab sich seine Familie endlich auf Spurensuche. Das Schloss hatte die Familie bereits Anfang des 20. Jahrhunderts an ihren Verwalter verkauft. Nicht nur durch Elbüberschwemmungen, erzählt Wolfgang von Plotho, sei seine Familie damals in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. O-Ton Wolfgang von Plotho: Das war natürlich immer ein Problem dieser Familie, dass sie sich mehr um Militär und Obrigkeit kümmerten, denn um ihren Grund und Boden. Also es waren immer Fremde, die wirtschafteten und Zweifel kommen insoweit auf, dass gerade der Pächter in der Lage dann war, das Gut zu kaufen. Autorin: Seine Familie war darum umso erfreuter, dass es nach der Wiedervereinigung Menschen in Zerben gab, die an derer von Plotho und vor allem an Effis Erbe erinnern wollten. Ein Erbe, das die eigene Familie fast einhundert Jahre geflissentlich verschwiegen hatte. Als Wolfgang von Plotho zum ersten Mal nach Zerben kam, sei das Schloss in einem erschreckenden Zustand gewesen. Im Ostflügel lebten noch Mieter. Er konnte sich damals nicht vorstellen, dass daraus eines Tages ein Juwel entstehen würde. Aus dem Nachlass seines Onkels und seines Vaters hat er 40 Exponate ausgesucht und sie dem Museum als Leihgabe zur Verfügung gestellt: Landkartenstiche, Porträts in Öl, Literatur und Familienalben. 40 Aktenordner über die Familie von Plotho liegen inzwischen im Landesarchiv in Wernigerode. Mehrere Male im Jahr fährt Wolfgang von Plotho nach Zerben. Er will sehen, wie die Gestaltung des Museums voranschreitet. Über das Engagement der Gemeinde ist er froh. Und doch wünscht er sich, noch mehr Persönliches über seine Familie zu erfahren. O-Ton Wolfgang von Plotho: Ich habe noch keine persönliche Stimme gehört, die in irgendeiner Form und sei es nur aus Erzählungen der Eltern, der Großeltern, wiederum Bezug auf unsere Familie nimmt. Das wäre mir wichtig. Waren die sehr streng oder sind da Dinge vorgefallen, die möglicherweise die eine oder andere Aktion, wie sie dann im oder nach dem Krieg passierte, rechtfertigen. Für unsere Familie war es so, dass mit Ende des Zweiten Weltkrieges man bemüht war, möglichst rasch das Land zu verlassen. Musik 7 Soundtrack Effi Briest - In den Dünen Komponist, Interpret und Verlag s. Musik 5 Autorin: Zerben, die dunklen Kiefernwälder, die weiten Elbwiesen, heimisch fühlt sich Wolfgang von Plotho hier trotz seiner Familiengeschichte noch immer nicht. O-Ton Wolfgang von Plotho: Aber ich spüre eine Vertrautheit mit jedem Mal wo ich neu hinkomme ein bisschen mehr. Aber es ist mir schon noch fremd. Autorin: Die Familie trifft sich seit ein paar Jahren regelmäßig in Zerben. Im Juni feierten die Mitglieder zum ersten Mal in ihrem alten Schloss. Sein inzwischen verstorbener Vater hat eine Familienchronik verfasst. Unter dem Titel Ritter, Domherren und Obristen widmet er darin auch zwei Seiten seiner Urgroßtante. Vor zwanzig Jahren, glaubt Wolfgang von Plotho, wäre das wohl noch undenkbar gewesen. O-Ton Wolfgang von Plotho: Also sie verkörpert ein starkes Frauenbild. Und so gesehen kann die Familie, also ab meiner Generation, stolz auf sie sein. Musik 8 Bunte Blätter op. 99, Nr. 13 - Scherzo Komponist: Robert Schumann Interpret: Martin Stadtfeld Verlag: Sony Classical, LC 06868 O-Ton Zitatorin Elisabeth von Ardenne: Das war doch ein kompletter Blödsinn, dass mit dem Duellieren und Totschießen. Mein Mann hatte auch eine Geliebte gehabt, das war für einen Offizier damals Ehrensache. Nun frage ich Sie, wo ist da der Unterschied? Als ob vom bisschen Fremdgehen gleich die Welt unterginge. Autorin: Elisabeth von Ardenne war schon im hoch betagten Alter, als sie diesen Satz zu ihrer Pflegerin Hedwig Kuse sagte. 99 Jahre alt ist sie geworden, 1952 in Lindau am Bodensee verstorben. Ihr Ex-Mann war da schon längst tot. Musik 9 Soundtrack Effi Briest - Das Duell Komponist, Interpret und Verlag s. Musik 5 Autorin: Auch wenn man sich in Zerben in Sachsen-Anhalt darüber entzweit hat, wer denn nun zuerst an das vergessene Erbe der Effi Briest erinnert hat. Literaturwissenschaftler und Historiker haben immer schon gewusst, dass die Frau, die Theodor Fontane in seinem Roman Effi Briest unsterblich machte, in Zerben als Elisabeth von Plotho geboren wurde. Nur die Zerbener hatten es verdrängt. In die maroden Seitenflügel des Schlosses gingen sie nur, wenn sie zum Friseur mussten oder bei der Volkssolidarität etwas zu erledigen hatten. Frank Riedel leitet das Brandenburg- Preußen-Museum in Wustrau. Im vergangenen Jahr hat er eine Sonderausstellung über Preußens Frauen konzipiert. Elisabeth von Ardenne war eine davon. Ein Foto, das sie in einem Lazarett inmitten von Kriegsversehrten zeigt, hat ihn tief beeindruckt. O-Ton Frank Riedel: Schon der Blick auf dieses Foto führt den Blick auf diese Frau, diese Elisabeth von Ardenne, die eine wahnsinnige Ausstrahlung auch auf diesem Bild verkörpert. Eine Erhabenheit, die auch schon ihr Enkel Manfred von Ardenne beschrieben hat. Eine Frau, die man eigentlich nie vergessen kann. Musik 10 Soundtrack Effi Briest - Alleine Komponist, Interpret und Verlag s. Musik 5 Autorin: Über die Ehe mit Armand von Ardenne ist wenig überliefert. Warum sich Elisabeth in den Amtsrichter Emil Hartwich verliebt hat, darüber lässt sich nur mutmaßen. Womöglich war sie ihres Ehemannes überdrüssig, weil er sich mehr für seine Offizierskarriere interessierte denn für seine Ehefrau. Vielleicht hat sie ihn auch nie geliebt. Wahrscheinlich waren es Hartwichs sensible und musische Seiten, die sie in den Bann zogen. Zu seinen Freunden zählten Künstler und Offiziere. Er war Jurist, Hobbymaler und Sportpädagoge - aber auch ein Nationalkonservativer, der wie Turnvater Jahn Sport als das Allheilmittel gegen die gesellschaftliche Auflösung sah. Als 80-jährige begann sie für die Enkel ihre Erinnerungen aufzuschreiben. In ihren Memoiren taucht der Name Emil Hartwich kein einziges Mal auf. Auch nicht das Duell, bei dem ihr Ehemann ihren Geliebten erschoss. Emil Hartwich schrieb Elisabeth von Ardenne zwischen den Jahren 1882 bis 1886 zahlreiche Briefe. Knapp 30 davon sind noch erhalten. Sie lagern in zwei Kartons im Archiv der Ardennes in Dresden. Die Journalistin Hannelore Becker- Willhardt recherchierte Anfang der 90er-Jahre über Elisabeth und erhielt Einblick in das Archiv. Ein Umstand, der vielen Literaturwissenschaftlern und Journalisten später verwehrt blieb. Eines Tages, erzählt Alexander von Ardenne und Urenkel von Elisabeth am Telefon, werde seine Familie diese Briefe aber herausgeben. Seine Urgroßmutter hatte sie seinem Vater Manfred überlassen. Als Elisabeth in späteren Jahren wieder zu den Familienfeiern der Ardennes geladen wurde, war er der einzige, der sich nach ihrem Schicksal erkundigte. Der inzwischen verstorbene Manfred von Ardenne war von seiner Großmutter, die die Kinder heimlich Tante Effi nannten, sehr beeindruckt. O-Ton von Ardenne: Eine Frau, die man niemals vergisst. Von außerordentlich, ungewöhnlichen, vornehmen Charakter möchte ich sagen. Und ich kann mir gut vorstellen, wie Schwierigkeiten, Tragödien aus ihrer Beziehung zu Hartwich entstanden waren. Und ich sagte aber zu ihr Mal, also ich verstehe dich vollkommen, ich hätte genauso gehandelt an deiner Stelle. Die Antwort war, dass sie zwei Tage später mir die mit einem sehr bemerkenswerten Brief, die Briefe übersandte. O-Zitatorin Elisabeth von Ardenne: Die wertvollen, persönlichen Briefe stahl mir dein Großvater heimlich mit einem Nachschlüssel aus der wohl gesicherten Kassette. Sie führten dann zu seinem traurigen Ende. Schluss eines Lebens eines Mannes, der geistig, leiblich und seelisch außergewöhnlich begabt sicher noch großes für unser Volk getan hätte. Autorin: Die verbliebenen 30 Briefe sind keine Dokumente einer leidenschaftlichen Liebe. Emil Hartwich schrieb Alltägliches, gab Ratschläge zur Kindererziehung. Kein vertrautes Du. Er berichtet ihr von seinen seelischen Stimmungen, die oft schlecht waren. Er bittet sie dann um eine Haarlocke. Briefe, die Literaturgeschichte machten. Die Ehebruchs- und Duellgeschichte von Theodor Fontanes Effi Briest weist bemerkenswerte Parallelen mit der Wirklichkeit auf. So wie Effi muss auch Elisabeth auf ihre Kinder verzichten. Und so wie Effi findet sie - wenn auch nur für eine kurze Zeit - Unterschlupf in ihrem geliebten Zerben. Die Familie von Plotho ließ sie nicht fallen. Wohnen durfte sie aber nicht im Schloss, sondern im Kavalierhaus. Ihr Bruder soll die Familie damals um sich versammelt und gesagt haben: Eure Tante Else hat ein schweres Leben hinter sich, bitte seid recht lieb zu ihr. Danach aber verläuft das Leben der beiden Frauen gänzlich anders. Im Gegensatz zu Fontanes Effi resigniert Elisabeth von Ardenne nicht, betont der Historiker Frank Riedel: O-Ton Frank Riedel: Sie sie ist daran nicht zerbrochen, nicht an gebrochenem Herzen gestorben, nein. Sie hat eine interessante berufliche Entwicklung genommen, hat sich ausbilden lassen in der Krankenpflege, hat als Frau in hohem Alter Bergsteigen angefangen zu betreiben, dann noch Skifahren gelernt. Da war sie weit über 60, mit 80 Fahrrad fahren. Hat also ein aktives Leben geführt allerdings natürlich immer geschnitten von ihrer sozialen Herkunft. Autorin: Sie wurde Krankenpflegerin, arbeitete im Lazarett, kümmerte sich später um psychisch Kranke. Eine beeindruckende Frau, sagt Frank Riedel, der sich darüber freut, dass in Zerben Teile des Schlosses erhalten blieben und man dort dieser starken Frau gedenkt. O-Ton Frank Riedel: Das ist ein Traum für diesen Ort, das schreit geradezu danach, sie dort zu thematisieren. Dort wo sie ihre Jugend verbracht hat, dort wo sie den Armand von Ardenne auch kennengelernt hat, was ja auch die ganze Tragik auch ihres Lebens reinbringt. Zumal sie als geborene Freiin von Plotho ein Geschlecht repräsentiert, was für die Geschichte Brandenburgs und Sachsen-Anhalts eine große Bedeutung hat. Autorin: Der Historiker hofft deshalb, das man in dem neuen Museum in Zerben nicht ausschließlich an das vergessene Erbe der wahren Effi erinnert, sondern auch an die fast 1000-jährige Geschichte der Familie von Plotho. Auf dem Wappen der Gemeinde Elbe-Parey sieht man ein goldenes Schild, das von blauen Wellen, dem Elbestrom, flankiert wird. In der Mitte befindet sich eine blaue Lilie. Das alte Adelsgeschlecht von Plotho führt seit Jahrhunderten auf ihrem Wappenschild eine rote Lilie auf weißem Feld. Musik 11 Titel: Carmen-Fantasie, op. 25 Komponist: Pablo de Sarasate Interpret: Itzhak Perlman Verlag: EMI, LC 00233 Atmo Mücken ... ich habe schon ne Kiste Bier besorgt, ist das nischt, wir müssen ja von innen glühen ... jetzt kommt Margot, Hallo guten Abend, n´Abend ... Atmo Grillen zirpen Autorin: Vor dem alten Bungalow in Zerben, der am Rande des Schlossparks liegt, schwirren auch an diesem Abend die Mücken. Jeden ersten Dienstag im Monat treffen sich hier die zwölf Mitglieder des Heimatvereins. An der ergrauten Häuserwand prangt ein hölzernes, ovales Schild: Der Name Effie Briest und ihr Porträt wurden in die weiche, helle Oberfläche eingebrannt. Zwölf Zerbener, allen voran Marianne Schünecke, haben den Heimatverein vor zehn Jahren gegründet. Wir haben sogar eine echte von Plotho darunter als passives Mitglied, betont die Vereinsvorsitzende und schaut stolz in die Runde. Heidrun Kohrt ist erst seit ein paar Jahren dabei. O-Ton Heidrun Kohrt: Ich bin in diesen Verein reingegangen, um die Geschichte weiterzutragen und auf sie aufmerksam zu machen. Auf Effi Briest und die Geschichte von Plothos. Man darf aber auch nicht vergessen, wie das Dorf entstanden ist. Wie hat sich das Dorf entwickelt, wo kamen wir irgendwann mal her? Autorin: Vielleicht, sagt Heidrun Kohrt, kann eines Tages das Dorf auch ein bisschen von dem Schloss und dem Museum profitieren. Die Gemeinde hat schließlich auch viel Geld hineingesteckt. Den Roman Effi Briest habe sie aber erst vor kurzem gelesen, gibt Heidrun Kohrt zu. Ihren Mitstreitern im Heimatverein erging es da ähnlich. In der DDR war das Buch nur auf der Oberschule Pflichtlektüre. Überhaupt, sagt Heidrun Kohrt, habe man sich zu Zeiten des Sozialismus weder mit dem Schloss noch mit seiner Geschichte und seinen alten Bewohnern beschäftigt. Erzogen im Hass auf die Junker hatten die Zerbener nicht viel übrig für das alte Gut. In den beiden Seitenflügeln des Schlosses waren mal eine Gaststätte, das SED-Gemeindebüro, die Volkssolidarität, ein Friseur und eine Kindertagesstätte untergebracht. Lutz Plönnecke ist der einzige in der Runde, der schon zu Schulzeiten den Roman gelesen habe, sagt er. O-Ton Lutz Plönnecke: Viele, die auch in Zerben gewohnt haben, haben det nicht gewusst, dass Effi Briest sich dahinter verbirgt. Und vorm Krieg war das Haus schon verkauft gewesen und viele Sachen sind da dann verloren gegangen, weil die sind ja ausgebrannt damals durch einen Wohnungsbrand und deswegen sind viele Dokumente und Bilder alle verschwunden. Atmo So da können wir ja erst mal offiziell alle recht herzlich begrüßen. Ich übergebe heute das Wort an Frau Fritze, Frau Fritze hat dazu heute eingeladen. Autorin: Christiane Fritze will darüber abstimmen lassen, wohin die Gemeinschaft bei ihrem nächsten Ausflug fahren möchte. Effi Briest spielt dabei immer eine Hauptrolle. Die Mitglieder haben das Theaterstück dazu in Magdeburg besucht und den Film über Effi Briest mit Julia Jentsch in der Hauptrolle im Burger Kino angeschaut. Auf einem Regal stehen ein Porträt von der jungen Elisabeth von Ardenne, links daneben ihr Ehemann. Sie hat ihre Haare hoch gesteckt und schaut mit ernster Mine, er starrt geradeaus, die zünftige Offizierskleidung passt wie angegossen. An der holzvertäfelten Wand hängen noch mehr Fotos. Bilder erzählen vom Wandel in Zerben. Andrea Plönnecke zeigt stolz auf eine braune Schrankwand. O-Ton Andrea Plönnecke: Wir haben noch ein kleines Highlight. Wir haben eine bei uns im Heimatverein, die hat gesagt, wisst ihr was, meine Eltern, die hatten noch Geschirr aus dem Schloss. Wir wissen zwar nicht ob es aus Effi Briest ihren Zeiten ist oder ob das von den Nachfolgern ist, aber wir besitzen ein paar Geschirrstücke, die aus dem Schloss sind und die sollen dann eigentlich auch mal irgendwann wieder hinkommen. Autorin: Vereinsvorsitzende Marianne Schünecke steht auf, öffnet die schweren Schranktüren. Atmo Na wir trauen uns nicht, dass immer so anzufassen. ... Ist ein Essgeschirr und was es für´n Geschirr ist kann man auch noch nicht feststellen, aber ... Geschirr klappert ... Tür zu. Autorin: Früher durften die Vereinsmitglieder Besucher durch den Park führen und ihnen von der Geschichte des Zerbener Schlosses erzählen. Heute ist die Gemeinde Elbe-Parey dafür zuständig. Manch einer im Verein bedauert, dass er nicht mehr mitreden darf, wie das Museum im Schloss gestaltet werden soll. Dabei kann Margret Baumert spannende Geschichten über die Familie von Ardenne erzählen. O-Ton Margret Baumert: 1973 ist der Manfred von Ardenne nach Zerben gekommen. Mit seinem riesengroßen Tatra ist er vorgefahren und er wollte unbedingt ein Stück aus dem Schloss als Erinnerung. Und er stieg dann aus ganz fein und penibel und ganz höflich gefragt, wo ist denn hier das Schloss? Und da haben wir gemeint, ja was möchten sie denn, na ja hat er gesagt, ich möchte gerne eine Erinnerung haben. Da haben wir natürlich gelacht. Wir kannten das als Bruch ... also das war ne Ruine sage ich mal, die Fenster waren undicht gewesen und die Fensterläden hingen kreuz und quer. Also es war nicht das schönste Gebäude aus Zerben. Autorin: Margret Baumert lebte mit ihrer Familie acht Jahre lang in dem Schloss. Sehr komfortabel sei das damals nicht gewesen, erinnert sie sich. Ihre Mutter fand zwischen alten Holzstapeln eine Bibel. Sie hat Elisabeths Mutter gehört, glaubt Margret Baumert. Denn die erste Seite hat sie mit ihrem Namen signiert: Edle und Freiherrin Franziska Maria von Plotho. Diese Fundsache, sagt Margret Baumert, würde sie gerne eines Tages dem Museum überlassen. O-Ton Margret Baumert: Elisabeth von Plotho war für mich eine sehr starke Frau gewesen, sehr guten Charakter, sie hat sich für viele eingesetzt, ja und hat nicht an sich gedacht. Und darum Hut ab vor dieser Frau. Und ich ehre sie eigentlich heute noch. Autorin: Die Vereinsmitglieder, die mit am Tisch sitzen, nicken zustimmend. Besonders heftig nickt die Vereinsvorsitzende. Viele Leute im Dorf sagen, Marianne Schünecke habe die verfallenen Schlossflügel damals vor ihrem Abriss bewahrt. Für sie ist der Traum von den guten alten Effi-Zeiten in Zerben aber noch lange nicht ausgeträumt. O-Ton Marianne Schünecke: Also mein Bestreben war eigentlich von Anfang an, dass der Mittelteil wieder steht. Dass das Schloss wieder so wird, wie es einmal war. Aber ich weiß es nicht, leider, wenn ich das Geld hätte, würde ich es kaufen. Uns fehlen eben wirklich die Mittel. Es wäre schön, wenn wir jetzt wirklich jemanden hätten, der so ein paar Milliönchen rüberrückt (lacht). Musik hoch SpvD: Effi Briests vergessenes Erbe Ein Streifzug durch Zerben in Sachsen-Anhalt Sie hörten eine Deutschlandrundfahrt mit Susanne Arlt Musik hoch 1