COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. O-Ton 1: Lueg / Wehner (0'25") Herr Wehner, es gibt Hinweise nicht nur, sondern auch schon arithmetische Tatbestände, etwa über Einbrüche, müssen Sie das zurückführen auf interne Querelen in der sozialdemokratischen Partei Deutschlands? / Ich, Herr Lüg, weiß nichts! Und Sie wissen nichts! / Ich kenne die Hochrechnungen / Ich kenne auch die Hochrechnungen, werden sie nicht ungeduldig, wir beide kennen nichts. Regie: O-Ton 2 = Musikakzent O-Ton 3: Noelle-Neumann (0'12") In allen Gesellschaften handeln die Menschen unter dem Konsens stiftenden, Integration bewirkenden Druck der öffentlichen Meinung, dem Meinungsklima. Regie: O-Ton 2 s.o. O-Ton 4: Schoenenborn (0'04") Wir schaffen durch die Veröffentlichung Waffengleichheit für die Wählerinnen und Wähler. Sprin: Politische Meinungsforschung soll die Einstellungen und Wünsche der Bürger ermitteln; sie ist zugleich eine Art Kontrollelement in der Demokratie. O-Ton 5: Umfragebüro (0'13" inkl. Auf- u. Abblende) Einige Meinungen zur Bundesregierung, und zwar: "Ich vertraue darauf, dass die Bundesregierung uns gut durch die Krise führt" - würden Sie dieser Meinung eher zustimmen oder nicht zustimmen? Regie: Atmo von Ende OT 5 schon unter folgender Sprin Sprin: Da die politische Willensbildung im wesentlichen über Wahlen geschieht, ist die empirische Wahlforschung der wichtigste Zweig der politischen Meinungsforschung. Ihre Vorgeschichte beginnt in den USA, vor fast 200 Jahren. Eine Zeitung fragte damals ihre Leser: "Wer wird der nächste Präsident?" - und lag mit dem Ergebnis komplett daneben. O-Ton 6: Steinbrück (0'02") Na ja, die Umfragen sind nicht die Wahlergebnisse. Sprin: Der zugehörige Forschungszweig hat seine Wurzeln in Europa. Paul Felix Lazarsfeld, ein Wiener Soziologe, hat 1930 eine Befragung durchgeführt unter dem Titel: "Die Arbeitslosen von Mariental". Professor Bernhard Wessels vom Wissenschaftszentrum Berlin: O-Ton 7: Wessels (0'24") Lazarsfeld musste dann emigrieren in die USA und hat dort die erste richtige Wahlstudie gemacht. Eine Regionalstudie mit Befragung von - ich glaube - 600 Leuten, um dann irgendwas darüber auszusagen, wie die Leute zu ihren Wahlentscheidungen kommen. Aus der europäischen Tradition mitgebracht hatte er die Idee, es hat irgendwas damit zu tun, wie die Menschen sozial eingebettet sind. Sprin: Wirklich berühmt wurde dann George Gallup, eigentlich Journalist und Werbefachmann, der das Instrument der repräsentativen Stichprobe in die Meinungsforschung einführte, sagt Andrea Römmele, Professorin für Kommunikationswissenschaften an der Hertie School of Governance. O-Ton 8: Römmele (0'27") Gallup war die Zentralfigur, die 1936 letztendlich den Durchbruch der Meinungsforschung erbracht hat, George Gallup sagte ja auf einer Grundlage von mehreren 1000 Befragten die Präsidentschaftswahl voraus und schlug damit die Prognose der Zeitschrift Literary Digest, die mehr als zwei Millionen Befragte hatte und die Wahl deutlich anders und auch falsch vorhersagte. Sprin: George Gallup gründete eines der bis heute weltweit führenden kommerziellen Markt- und Meinungsforschungsunternehmen. In Nazi-Deutschland gab es - wie in allen Diktaturen - kein Interesse an der Meinung des Volkes. Nach 1945 entwickelte sich bei uns die Demoskopie - aus dem Griechischen für "Volksschau". Sie wurde initiiert von den Alliierten, vor allem den Amerikanern. O-Ton 9: Wessels (0'48") Meinungsforschung, auch wie sie in Deutschland etabliert worden ist nach dem Kriege, ist ganz klar aufgelegt als Programm der Demokratieförderung. Die Grundidee war: Wir müssen wissen, was mit den Deutschen und ihren Mentalitäten los ist, wir müssen irgendwie dafür sorgen, dass sie ihre Nazi-Vergangenheit aus den Köpfen loswerden, das ist aufgegriffen worden: Wahlforschung als Teil der Demokratieforschung zu verstehen, wie Menschen mit Politik eigentlich umgehen, und ob dieser Prozess der Entscheidung irgendwas damit zu tun hat, wie politischer Wettbewerb funktioniert, welche Angebote die Parteien machen, um quasi auch den demokratischen Charakter dieser Entscheidung dokumentieren zu können, nachweisen zu können, ob das überhaupt einen Realitätskern hat. Sprin: Heute wird die politische Meinungsforschung im wesentlichen getragen von fünf privaten Instituten. Die ersten waren "TNS-Emnid" und das Institut für Demoskopie Allensbach, lange Zeit das bekannteste, gegründet 1947 von Elisabeth Noelle-Neumann. O-Ton 10: Noelle-Neumann (0'16") Wir sollten Meinungsforschung machen unter der deutschen Jugend, denn die französische Militärregierung wollte gerne wissen, wie denn die deutsche Jugend denkt - nach dieser Katastrophe, was sie sich vornimmt, was sie für Ziele hat - und damit war das Allensbach- Institut gegründet. Sprin: Elisabeth Noelle-Neumann war jahrelang führend in der hiesigen Demoskopie. In den 1970er Jahren stellte sie die Theorie von der "Schweigespirale" auf. Sie selbst stand der CDU nahe, ihr Ehemann Erich-Peter Neumann, Mitbegründer des Instituts, war CDU-Politiker. Nachdem die Konservativen Wahlen verloren hatten, stellte Allensbach fest, dass Journalisten zu einem hohen Prozentsatz der regierenden SPD oder FDP zuneigten und damit - so Noelle- Neumann - ein entsprechend sozialliberales Meinungsklima verbreiteten, das viele potentielle CDU-Wähler verstummen lasse. Menschen hätten Angst, sozial isoliert zu sein; dadurch könne sogar eine Minderheits- zur Mehrheitsmeinung werden - eine immer umstrittene These. 1974 gründeten wissenschaftliche Mitarbeiter der Mannheimer Uni die "Forschungsgruppe Wahlen", die vorrangig für das ZDF arbeitet, 1984 folgte "Forsa", schließlich 1990 "Infratest Dimap". Regie: Atmo von OT 11 schon unter Ende Sprin oben O-Ton 11: Umfragebüro (0'09" inkl. Atmo vorne u. hinten) Sie kennen uns vielleicht schon aus der Wahlforschung für die ARD, es geht heute Abend darum, dass wir eine Umfrage zu aktuellen Themen durchführen. Sprin: Der Durchbruch der Demoskopie begann Anfang der 1950er Jahre. Die privaten Institute machen seither neben der Sonntagsfrage Umfragen zum gesellschaftlichen Meinungsklima insgesamt. Außerdem erstellen sie die Prognosen für den Wahlabend, ermittelt durch "exit polls", also Nachwahlbefragungen: Den ganzen Wahltag über, am Ausgang ausgesuchter Wahllokale werden möglichst viele Wähler um eine Art "zweiter Stimmabgabe" gebeten. Hierbei ist die Zahl der Befragten sehr viel höher: Infratest dimap zum Beispiel befragt um die 100.000 Personen. Und das Institut leitet seine Daten auch an die nicht-kommerzielle Wahlforschung weiter: O-Ton 12: Wessels (0'30") Da ist die deutsche Wahlforschung relativ spät eingestiegen, zur Bundestagswahl 1961, die klassische Studie der deutschen Wahlforschung, wo zum ersten Mal richtig umfassend so- wohl repräsentativ als auch Regionalstudien gemacht worden sind; von da an hat die aka- demische Wahlforschung in Deutschland eigentlich eine sehr positive Entwicklung genom- men; aber viel diskontinuierlicher als man das in anderen Wahlforschungsprogrammen hat. Sprin: Politikwissenschaftler verschiedener Universitäten haben sich darum in der Deutschen Gesellschaft für Wahlforschung zusammen- geschlossen, seit 2009 erarbeiten sie die "Deutsche Nationale Wahlstudie", um die Hintergründe von politischen Entscheidungen systematisch zu erfassen. Regie: O-Ton 2 (s.o.) O-Ton 13: Elefantenrunde 2005 (0'24") (Schröder) In Ihren Sendungen ist gesagt worden, Frau Merkel ist bei 49, bei 45, bei 43 - jetzt ist sie bei knapp 35 oder etwas mehr (Mod.:) Und die Messungen waren zur Zeit immer korrekt (Schröder:) Ja aber, ich weiß nicht, ob sie korrekt waren, nur ich finde, dass Sie einfach mal einsehen müssen (Mod.:) Herr Bundeskanzler, in unseren Sendungen ist das nachvollzogen worden, was in den Meinungsumfragen aller Institute geschrieben worden ist. Sprin. Das ist immer wieder eine zentrale Frage bei der Meinungsforschung: Wie zuverlässig sind die Zahlen, wie gut ist die Vorhersagequalität? So wurde die Bundestagswahl 2005 als "Desaster der Demoskopie" bezeichnet. Die Ergebnisse der Umfragen lagen deutlich daneben. Jörg Schönenborn, Chefredakteur des WDR und Fernseh- Wahlmoderator der ARD: O-Ton 14: Schönenborn (0'11") Ich halte es für ein Missverständnis, dass Umfragen als Prognosen missverstanden werden. Ich sage immer dazu: das ist nur eine Momentaufnahme, aber das ist so, (lacht) das kriegt man nicht aus der Welt. Sprin: Ohnehin: "Stimmungen sind keine Stimmen", heißt es zu Recht, bei Umfrageergebnissen kann die rein statistische Fehlerquote um die zwei Prozent plus oder minus betragen. Das betonte schon 1976 das "Orakel vom Bodensee", Elisabeth Noelle-Neumann. O-Ton 15: Noelle-Neumann (0'09") Wenn jemand sich von unseren Umfragen verspricht, er könnte wie ein Hellseher jetzt schon im voraus sagen, der oder der Helmut wird Kanzler, das wäre ein richtiger Irrtum. Sprin: Auch 18-Uhr-Prognosen sind noch Wahrscheinlichkeitsrechnungen. Bei einem Kopf-an-Kopf-Rennen wie bei der Bundestagswahl 2002 entscheiden letztlich ein paar tausend Stimmen. O-Ton 16: Wahl 2002 (0'19") (Stoiber:) Wir haben die Wahl gewonnen. (Beifall) Und jetzt - der Abend ist noch lang, und ich werde noch kein Glas Champagner öffnen. / (Moderator:) Die Forschungsgruppe Wahlen des ZDF hat eben ermittelt, dass die SPD fünf Überhangmandate bekommt und insofern die rot-grüne Koalition am Leben ist. Sprin: Weitere Fehlerquellen: Die Bereitschaft, sich an Umfragen zu beteiligen, nimmt immer weiter ab. Ferner antworten manche Menschen in Umfragen nicht wahrheitsgemäß, sondern "politisch korrekt" beziehungsweise "sozial erwünscht", beispielsweise bei der Frage nach Präferenz für extreme Parteien. Auch auf die "politischen Milieus" können sich die Parteien weniger als früher verlassen - katholische ältere Frau in Bayern wählt CSU, Arbeiter die SPD. Die Institute machten vor allem diese abnehmende Parteibindung sowie die Zunahme von Wechselwählern für Unwägbarkeiten verantwortlich. Richard Hilmer, Leiter von Infratest Dimap: O-Ton 17: Hilmer (0'31") Bisweilen ist eben das Votum schwankend und nicht so stabil, wir müssen also Meinungsforscher immer wieder uns sehr genau ansehen, spielen dabei auch taktisch- strategische Überlegungen eine Rolle, und die Bürger sind nicht mehr so festgelegt wie eben noch vor 30, 40 Jahren, und diese Offenheit abzubilden ist ziemlich kompliziert, das muss man auch immer wieder dazu sagen, dann ist man auch nicht enttäuscht, wenn das Ergebnis von Vorwahlerhebungen nicht unbedingt eins zu eins übereinstimmt mit dem Wahlergebnis. Sprin: Für Jörg Schoenenborn geht es bei den Umfragen ohnehin nicht vorrangig um Wahlvorhersagen. O-Ton 18: Schoenenborn (0'13") Die politische Meinungsforschung leistet etwas ganz anderes: Sie gibt uns sehr präzise Aufschlüsse darüber, wie Menschen über Themen, über Vorschläge im Wahlkampf denken, welche Reputation, welche Unterstützung Kandidatinnen haben, und da kommt's ja nicht auf ein oder zwei Prozentpunkte an. Sprin: Aber bei angeblich falschen Zahlen kommt gerne der Verdacht der Manipulation durch die Demoskopie auf. Der frühere SPD- Geschäftsführer Peter Glotz sagte einmal: O-Ton 19: Glotz (0'13") Jeder, der die Branche kennt, weiß, dass es Institute gibt, bei denen können Sie fast nicht nur Umfragen, sondern fast schon Ergebnisse bestellen, und dann gibt's ganz wenige, die einfach ihre Ergebnisse unverändert der Öffentlichkeit präsentieren, also da wird ungeheuer viel damit herummanipuliert. Sprin: Einige Kritiker meinen gar, die Demoskopie gefährde die Demokratie. SPD-Urgestein Erhard Eppler fand: "Statt über Politik zu reden, starren die Parteien auf Umfragewerte" - und das unterstütze Politikverdrossenheit. Der Philosoph Peter Sloterdijk sprach von einer "unlegitimierten Meinungsdiktatur" und forderte, politische Umfragen gesetzlich zu beschränken. Demoskopie als Herrschaftselement? Das findet Richard Hilmar nicht. O-Ton 20: Hilmer (0'25") Man sieht ja immer wieder, wichtige politische Entscheidungen werden auch dann getroffen, wenn eine Mehrheit dagegen ist sogar, Demokratie lebt von dem jeweiligen Votum der Bürger, und in sofern ist es natürlich auch sinnvoll, wenn Politiker das Votum der Bürger auch zwischen den Wahlen zur Kenntnis nehmen, das hat für die Bürger den großen Vorteil, dass sie eben nicht nur bei Wahlen gehört werden, sondern auch in Zwischenwahlzeiten. Sprin: Ähnlich sieht es Wahl-Moderator Jörg Schönenborn: O-Ton 21: Schoenenborn (0'17") Mit der Demoskopie ist es ein bisschen mit wie - na ja, wie mit dem Atom, sie ist in der Welt, und es ist müßig, sich darüber zu unterhalten, ob sie gut oder schlecht ist. Die Parteien nutzen das Instrument in jedem Fall, und deswegen glaube ich, dass die Medien sie auch nutzen müssen, für Transparenz sorgen müssen. Sprin: Zweifellos sind die Umfragen ein Faktor der Meinungsbildung geworden. [ Die Bürger nehmen sie jedenfalls zur Kenntnis, hat der Wahlforscher Bernhard Wessels ermittelt. O-Ton 22: Wessels (0'18") Wir wissen, dass so am Ende eines Wahlkampfes fast drei Viertel der Bürger solche Umfrageergebnisse zur Kenntnis genommen haben, das ist eine ganze Menge. Wenn man jetzt fragt, gibt's da eigentlich einen Einfluss, dann ist der relativ begrenzt. ] Sprin: Andrea Römmele forscht über das Thema bei der in Berlin ansässigen Hertie School of Governance. Sie hält den Einfluss der Demoskopie für überschätzt. O-Ton 23: Römmele (0'21") Weder bei der Wahlbeteiligung, also die Mobilisierungsthese lässt sich nicht bestätigen, auch die sogenannte Resignationsthese, die da besagt, wenn der Wahlausgang schon feststeht, lohnt es sich ja nicht mehr seine Stimme abzugeben, auch das können wir in der Forschung nicht festmachen, aber ich will das Thema jetzt auch nicht so ganz zur Seite schieben. Sprin: Denn ganz sicher ist das wissenschaftlich noch nicht geklärt. Das gilt auch für die Frage, wie viele Tage vor der Wahl Umfragen noch bekannt gemacht werden sollten. Bisher verzichteten ARD und ZDF freiwillig auf die Veröffentlichung in der letzten Woche vor einer Wahl. Das ist 2013 erstmals anders: Das Zweite gibt am Donnerstag vor der Wahl die letzten Ergebnisse bekannt. Womöglich kann das zum Beispiel bei Parteien, die laut Umfragen knapp unter fünf Prozent liegen, die Entscheidung der Bürger beeinflussen, etwa im Sinne sogenannter Leihstimmen. Richard Hilmer von Infratest Dimap, die für das Erste arbeiten: O-Ton 24: Hilmer (0'14") Wir müssen Schwankungsbreiten berücksichtigen, wenn wir eine Partei bei vier Prozentpunkten haben, werden mit Sicherheit von unserer Seite keine Kommentare dergestalt veröffentlicht werden, die eine oder andere Partei sei gesichert oder könne den Einzug nicht mehr schaffen. Sprin: Dennoch spekulieren einige Medien darüber. Allensbach-Gründerin Noelle-Neumann war ohnehin überzeugt, das Fernsehen habe einen zu großen Einfluss auf die Meinung der Bürger. O-Ton 25: Noelle-Neumann (0'04") Das ist eine andere Demokratie. Das ist eine Demokratie, die ist beeinflussbarer. Sprin: Eine Studie der Vereinigung akademischer Wahlforscher zur Bundestagswahl 2009 ergab: Wechselwähler entscheiden sich nicht spontan, intuitiv erst in der Wahlkabine, sondern sie werden durch Medien besonders stark beeinflusst. O-Ton 26: TV-Ausschnitt (0'04") Kommen wir heute zum Deutschlandtrend. / Guten Abend und herzlich willkommen zum Politbarometer. Sprin: Die Medien sind heute Hauptauftraggeber der politischen Meinungsforschung. Für Jörg Schoenenborn erfüllen sie so eine wichtige Funktion in der politischen Willensbildung. O-Ton 27: Schoenenborn (0'13") Parteien, Staatskanzleien, das Bundespresseamt, die machen's garantiert. Die wissen, wie die politische Stimmung ist, aber die veröffentlichen es in der Regel nicht. Das heißt, wir schaffen durch die Veröffentlichung Waffengleichheit für die Wählerinnen und Wähler. Regie: O-Ton 2 (s.o.) O-Ton 28: Umfragebüro (0'17" inkl. abgeblendete Atmo) Wenn Sie einmal an die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl denken, da nenne ich Ihnen jetzt einige mögliche Zusammensetzungen der Bundesregierung, also verschiedenen Koalitionen. Bitte sagen Sie mir jeweils, ob Sie diese Zusammensetzung für Deutschland sehr gut finden würden, weniger gut oder schlecht. Regie: folgende Sprin schon auf Atmo von Ende OT 28 Sprin: Die Umfragen können nur Rohdaten liefern, die dann gewichtet werden müssen. O-Ton 29: Hilmer (0'12") Einmal haben wir zu viele junge, dann eher zu viele ältere Bürger, die uns antworten, das muss ausgeglichen werden das nennt man die Personengewichtung, die ist ja völlig unstrittig und die wird auch offen gelegt. Sprin: Über weitere "Abwägungsprozesse" sind die Institute nicht so auskunftsfreudig. Liegen Interpretation und Manipulation nahe beieinander? Der Vorwurf der Parteilichkeit kam und kommt immer wieder auf. Doch Bernhard Wessels meint: O-Ton 30: Wessels (0'23") Die Institute sind massiv darauf angewiesen, verlässliche Daten zu liefern. Wenn die an ihren Stichproben herum manipulieren würden, um quasi eine Partei in einem besseren Licht erscheinen zu lassen als eine andere, dann würden die - weil das ja kommerziell Institute sind - im Wettbewerb dann verlieren. Das können die sich nicht leisten. Dennoch gibt es natürlich die Situation, dass man mit den Zahlen unterschiedlich umgehen kann. Sprin: Das wurde zuletzt dem SPD-affinen Forsa-Institut vorgeworfen und eigentlich immer den CDU-nahen Allensbachern. Ein Bericht von 1998: O-Ton 31: Bericht ARD (0'15") Muffensausen bei der Union: Zitat aus einer vertraulichen Sitzung der CDU-Wahlkampf- leitung: "Dringend abgeraten hat Renate Köcher von Allensbach von einem Anti-Schröder- Wahlkampf; das wäre so, als wenn man gegenüber einer Frau schlecht ihren Liebhaber reden würde". Sprin: Fast immer aber sagen Politiker, die bei der Sonntagsfrage schlechter dastehen, die Vorhersagekraft von Umfragen sei gering. O-Ton 32: Steinbrück (0'11") Umfragen sind nicht die Wahlergebnisse. Wir wissen, dass sehr viele Bürgerinnen und Bürger sich erst in den letzten zwei, drei Wochen entscheiden, ob sie wählen gehen und wen sie wählen. Es wird darauf ankommen für die SPD zu mobilisieren. Sprin: Dabei nutzen Parteien die Demoskopie seit jeher selbst. [O-Ton 33: Römmele (0'19") Historisch gesehen ist es so, dass in Wahlkämpfen in den 60er, 70er, 80er Jahren in Deutschland die so genannten Politikberater letztendlich Alleskönner waren. Wichtig war einfach ein gewachsenes Vertrauensverhältnis zum Kandidaten und zur Partei und sehr häufig waren das ausgebildete Meinungsforscher.] Sprin: Richard Hilmer unterscheidet zwischen drei Arten von politischer Meinungsforschung. Erstens Wahlumfragen, zweitens Analysen der allgemeinen Reaktionen auf Parteiprogramme und Wahlaussagen - beide werden veröffentlicht ... O-Ton 34: Hilmer (0'17") Drittens die so genannte strategische Forschung, da sind alle möglichen politischen Akteure auch beteiligt, unter anderem natürlich Regierungen, Parteien, die versuchen natürlich die politischen Entwicklungen und auch in ihrem Sinne in irgendeiner Form zu beeinflussen. Sprin: Wobei Hilmar darauf Wert legt, dass Infratest Dimap solche Aufträge nicht übernimmt, um seine Unabhängigkeit zu bewahren. Die strategischen Forschungsergebnisse werden von den Parteien geheim gehalten. Darin geht es um bestimmte Zielgruppen: was bewegt Jugendliche, wie wichtig ist das Thema soziale Gerechtigkeit, wie kommt irgendein Kandidat bei Frauen an. Allerdings spielen auch die öffentlich gemachten Umfragen für Parteien insofern eine Rolle, als sie ihren Wahlkampf darauf ausrichten. O-Ton 35: Umfragebüro (0'15" inkl. abgeblendete Atmo) Wenn Sie einmal so an die letzten Tage zurückdenken, welches Thema aus Politik Wirtschaft und Gesellschaft hat Sie denn persönlich am meisten beschäftigt? Und welches Thema ist denn da für Ihre Wahlentscheidung besonders wichtig? Regie: folgende Sprin schon auf Atmo von Ende OT 35 Sprin. Im Wahlkampf werden politische Themen polemisch zugespitzt, sie sind oft auch von aktuellen Ereignissen und Skandalen bestimmt. Hinzu kommt die Akzeptanz für einzelne Kandidaten. Die Kommunikations- und Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele: O-Ton 36: Römmele (0'22") Es gibt interessanterweise - und das gilt nicht nur für Deutschland sondern für nahezu alle parlamentarischen Demokratien - kein fest in den Parteistatuten festgeschriebenen Auswahlverfahren, wie man eigentlich Kanzlerkandidat wird. Und hier spielen Umfragen natürlich eine große Rolle. Sicherlich ist die Beliebtheit eines potentiellen Kandidaten ein Auswahlkriterium. Wie vermittelbar ist er auch außerhalb der Partei? Sprin: Eine Entwicklung, die als "Amerikanisierung der Wahlkämpfe" diskutiert wird, nämlich die zunehmende Personalisierung: O-Ton 37: ZDF 2013 (0'17") Beginnen wir unsere Top-Ten wie immer am Tabellenende. Dort hält Philipp Rösler mit verschlechterten minus 1,2 die rote Laterne fest umschlungen. ... und auf Platz eins weiterhin die Bundeskanzlerin, allerdings mit deutlichem Verlust: 1,9. Sprin: Eigentlich wird nach "Zufriedenheit mit..." im Sinne von Kompetenz gefragt. Die meisten Bürger interpretieren das aber als "Beliebtheit" der Politikerin oder des Politikers. Wahlforscher wie Bernhard Wessels wissen, dass die Akteure gerade auf diesen Punkt reagieren. O-Ton 38: Wessels (0'17") Politikerinnen und Politiker, die nehmen ihre Spiegelung in den Medien im Prinzip als die Realität, wie die Gesellschaft über sie denkt. Wenn jetzt in den Medien steht: die Sympathiepunkte sind schon wieder drei runtergegangen für eine bestimmte Person, dann wird die ganz aufgescheucht und meint, da muss sie jetzt mal was tun. Sprin: In dem Zusammenhang hat auch das "negative campaigning" eine besondere Bedeutung, also der Versuch, mit Schmutzkampagnen den Wähler abzuwerben. Bei den Wahlkämpfen in den USA ist das längst gang und gäbe. In Deutschland sind die Berater da sehr skeptisch, weil sich das Heruntermachen des Gegenkandidaten negativ auf den Urheber auswirken kann. Manche Medien müssen oder wollen darauf jedoch keine Rücksicht nehmen, etwa, wenn über einen Kanzlerkandidaten kurz vor der Wahl abstruseste Stasi-Vorwürfe verbreitet werden. Umfragen können aber auch die Inhalte der Politik beeinflussen. O-Ton 39: Wessels (0'23") Wenn es bestimmte politische Sachfragen gibt, und im Deutschlandtrend oder Politbarometer kommt irgendwie raus, die Mehrheit der Bürger will kein Lauschprogramm oder irgendwas, dann ist der Druck, was zu machen, größer. Und da sind natürlich auch solche Einflüsse von Demoskopie auf die Reaktionsweisen von Politiker möglicherweise hier und da zu schnell. Sprin: Insgesamt ist die Rolle insbesondere des Fernsehens immer größer geworden. TV-Duelle zum Beispiel. Helmut Kohl noch 1994: O-Ton 40: Kohl (0'05") Diese Gegenüberstellung Herausforderer und Amtsinhaber - das hat's nie gegeben. Sprin: Inzwischen gehört es zu jedem Bundestagswahlkampf. O-Ton 41: TV-Duell 2005 (0'16" inkl. Abblende) (Schröder:) Das verunsichert doch Menschen. (Merkel:) Ich finde, man darf so nicht sprechen, Herr Bundeskanzler (Schröder:) Nee? (Merkel:) Ja, ich muss (Abblende) das ganz ehrlich sagen, denn die kapitalgedeckte zweite Säule ... Regie: folgende Sprin schon auf Abblende von OT 41 Sprin: Das war vor der Wahl 2005. Spätestens seither gehören diese Fernsehshows zu den unabdingbaren Instrumenten. Die Wissenschaftlerin Andrea Römmele: O-Ton 42: Römmele (0'29") Das Zentrale in so einem TV-Duelle ist letztendlich das, was Experten nach dem Duell über das Duell sagen. Wer hat die Nase vorne? Und da spielen meiner Ansicht nach die Demoskopen nicht so eine große Rolle. Am Tag darauf gibt's die großen Meinungsseiten in den Zeitungen, die das Ganze interpretieren, und danach steht der Sieger beziehungsweise der Verlierer des Duells fest, und daran orientieren sich dann auch die Bürgerinnen und Bürger. [Sprin: Trotzdem sind spätestens seit 2009 insbesondere die politisch weniger Interessierten als Zielgruppe weggebrochen. Wohl deswegen soll der Entertainment-Faktor gestärkt werden - mit Stefan Raab als Kandidaten-Befrager. Die Gefahr einer dauerhaften Entpolitisierung steht im Raum.] Noch neuer als Fernsehduelle ist der mögliche Einfluss der Social Media auf politische Meinungsbildung und auch auf Meinungsforschung. Bei einer Fachkonferenz meinte Robert Heinrich, Wahlstratege der Grünen: O-Ton 43: Heinrich (0'11") Ich glaube, 2013 wird der erste Wahlkampf sein, wo Internet einen Unterschied machen kann auf der methodischen Ebene. Wir werden heute mit dem Internet Wahlkämpfe nicht gewinnen, aber wir können sie ohne Internet verlieren. Sprin: Barack Obama war Vorbild bei der Nutzung des Internets für die politische Kommunikation. In Deutschland wird zwar auch viel getwittert, aber oft noch in hilfloser bis peinlicher Weise. Wichtig sind bei uns soziale Netzwerke aber bereits für das, was man "Call for action" in den USA nennt, also Mobilisierung der eigenen Anhänger. O-Ton 44: Römmele (0'11") Das Potential, das sie noch nicht entfaltet haben, sind soziale Medien als Agenda-Setter, also dass bestimmte Themen über die sozialen Medien in die Öffentlichkeit eingespeist werden. Sprin: Professor Andrea Römmele hat selbst länger in den USA gearbeitet. Vollkommen neu ist das, was Facebook oder Twitter beitragen können, allerdings auch nicht. O-Ton 45: Roemmele (0'51") Was der Reiz und das Potential der sozialen Medien ist, ist, dass Bürger die Möglichkeit haben, nicht nur Information sondern auch Meinungen zu kriegen. Und zwar von Leuten aus ihren jeweiligen sozialen Netzen heraus. Das knüpft letztendlich an an Forschungsarbeiten aus den 40er und 50er Jahren; Lazarsfeld mit seinem Meinungsführer-Konzept, der gesagt hat, die Massenmedien sind diejenigen, die Themen setzen in der Öffentlichen Meinung, aber wie wir Bürger uns zu diese Themen stellen, welche Meinung wir dazu haben, das passiert schwerpunktmäßig im Austausch in unseren jeweiligen sozialen Netzen; am Stammtisch, in der Familie, am Arbeitsplatz, was jetzt hinzukommt sind Diskussionen in Facebook, Twitter, wie sie alle heißen. Sprin: Zunehmende Bedeutung hat das Internet auch als Quelle der Demoskopen. Auch sie schauen sich beispielsweise das "Twitterbarometer" von Sascha Lobo an oder das Portal politikprognosen.de. Allerdings sind diese Seiten noch wenig nutzbar, weil sie zu wenig repräsentativ sind. O-Ton 46: Silver (0'07") Here is the founder of the New York Times political blog Fivethirtyeight.com, his new book is called "The signal and the noise - why many predictions fail - but some don't". Sprin: Auch in Deutschland gilt: Manche Vorhersagen stimmen, andere nicht. Gibt es mittlerweile bessere Instrumente der politischen Meinungsforschung? Nate Silver, ein junger amerikanischer Statistiker, lieferte schon zu der US-Wahl 2008 genauere Ergebnisse als herkömmliche Wahlforscher. 2012 trat er in der "DailyShow" mit Jon Stewart auf. O-Ton 47: Silver (0'15") Obviously, the election was last night, do you want to offer an apologee? (Lachen) / We missed in North Dakota, sorry / Yes, you did! ...you better get out of this business, buddy (Lachen) Sprin: Ironisch fordert der Fernseh-Moderator Silver auf, sich zu entschuldigen. Der hatte tatsächlich den Wahlausgang in allen 50 Bundesstaaten richtig vorausgesagt, aber in North Dakota lag er "falsch": Er hatte Romney mit 50,6 Prozent prognostiziert und Obama mit 48,9 - im Endergebnis hatte Barack Obama "nur" 48,4 Prozent! Dagegen hat sich ein großes Demoskopieinstitut allein in sechs der neun "Swing States" geirrt. O-Ton 48: Silver (0'08") Don't you want to stand up an go: I am Nate Silver, (Applaus), lord and god of the Algorithm! (Lachen ausgeblendet) Sprin: Nate Silver gehört zu denjenigen, die mit der sogenannten Big-Data- Analyse arbeiten: mathematisch-statistische Methoden, um Muster, Regelmäßigkeiten, Auffälligkeiten in großen Datensammlungen zu ermitteln. Er bezieht weitere Informationen ein, zum Beispiel Spenden für die Kandidaten. Hat die klassische Meinungsforschung nun bald ausgedient? Andrea Römmele: O-Ton 49: Römmele (0'36") Nate Silver und seine Arbeit ist nicht zu vergleichen mit Meinungsforschung. Meinungsforschung ist eine Bestandsaufnahme an einem bestimmten Zeitpunkt, und arbeitet mit Individualdaten. Nate Silver hat in seinen Prognosemodellen ganz unterschiedliche, sehr vielfältige Daten mit einfließen lassen und hat modelliert. Diese Big-Data-Analysen sind eine große Bereicherung, finde ich, ich glaube nicht, dass sie die Meinungsforschung gefährdet, ganz andersherum: die Meinungsforschung liefert die Daten, mit denen Personen wie Nate Silber zum Beispiel arbeiten. Sprin: Die Analyse inzwischen riesiger Datenmengen bekommt eine immer größere Bedeutung - nicht nur bei der Wahlforschung, sondern generell, um damit Massen- oder Gruppenverhalten zu prognostizieren. Beispielsweise will der Soziologe Dirk Helbing von der ETH Zürich mit dem Projekt "FuturICT" Umwelt- und Finanzkrisen vorhersagen, ebenso gesellschaftliche Prozesse wie soziale Umbrüche oder Migrationsströme. O-Ton 50: Römmele (0'11") Aber wichtig ist glaube ich, dass man sich klar macht, dass hier noch mal ganz andere Datenquellen mit einfließen, die in den USA übrigens zur Verfügung stehen, bei uns aber Gott sei Dank nicht. Sprin: Insgesamt ist die Aussagekraft klassischer Wahlumfragen kleiner geworden. Stimmungen der Bürger wandeln sich schneller als früher, angetrieben zum Beispiel von sozialen Medien, wo Meinungen sehr schnell verbreitet und verworfen werden. Aus der Öffentlichkeit wurden in erheblichem Umfang Teilöffentlichkeiten. Schon der Soziologe Niklas Luhmann hat "öffentliche Meinung" schlicht als Themen definiert, mit denen sich Menschen befassen. Einerseits scheint es so, als ob diesem Forschungszweig sein Analyseobjekt abhanden zu kommen droht. Andererseits befeuert die Veröffentlichung von Umfragen immer wieder gesellschaftliche Diskurse. So bleibt die politische Meinungsforschung selbst Teil des Meinungsbildungsprozesses. Andrea und Justin Westhoff, DLR-Zeitreisen 4.9.13, "Sonntagsfrage" Seite: 1 ____________________________________________________________________________________________________