COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 1. September 2008, 19.30 Uhr Vom Bauern zum Agrarunternehmer Landwirte zwischen Idylle und Realität Von Brigitte Schulz Musik: Deutsches Bauernlied Refrain Bauern wie wir packen an, bleiben niemals stehen Bauern wie wir auch mal eigene Wege gehen Bauern vereint ein starkes Band Wir sind die Kraft vom Land. 1. O-Ton Wessels Den Bauern, den man sich vorstellt, der so seinen Mist aus dem Stall schiebt und der vielleicht ein bisschen Futter zu den Tieren bringt, den wird man in der Landwirtschaft so heute nicht mehr finden. Es ist technisch ein sehr anspruchsvoller Beruf geworden. Musik: Deutsches Bauernlied 1. Strophe: Wer bewahrt heute die Natur? Wer sät Ernte in der Spur? Und wer hält Tiere mit Verstand? Das ist die Kraft vom Land! Spr. vom Dienst Vom Bauern zum Agrarunternehmer Landwirte zwischen Idylle und Realität Eine Sendung von Brigitte Schulz 2. O-Ton Stöppelmann 365 Tage, es muss immer alles laufen, wenn ich jetzt die Fütterung sehe - gut, es ist computergesteuert, man ist Tierarzt, man muss das Tier im Blick haben. Und dann kommt natürlich die Büroarbeit auch dazu. Musik: Deutsches Bauernlied 3. Strophe Wer gewinnt neue Energie? Wer gibt Nahrung, gut wie nie? Wer hat die Zukunft in der Hand? Das ist die Kraft vom Land! 3. O-Ton Gerdes Die zukunftsfähigen Betriebe müssen ihre Produktion wirklich so ausrichten, dass zu sehr günstigen Konditionen sehr hohe Stückzahlen gemacht werden können, weil die Landwirtschaft als Nahrungsmittelproduzent in Zukunft sehr gefragt werden wird aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung und aufgrund der ständigen Verknappung der landwirtschaftlichen Flächen. Regie: Musik noch einmal kurz hochziehen, darüber Text Sprecherin Die deutschen Bauern sorgen für Schlagzeilen: Das reicht vom Milchstreik über Änderungen in der Agrarpolitik bis hin zur Fernsehsendung "Bauer sucht Frau". Der Milchstreik machte deutlich: Längst haben die Landwirte ein neues Selbstbewusstsein, sie wissen, dass die Produktion von Nahrungsmitteln im eigenen Land existentiell ist - die Abhängigkeit von Energie und Treibstoff aus dem Ausland wird als warnendes Beispiel verstanden: von Politikern und Verbrauchern. Selbst eine Umfrage unter deutschen Jugendlichen ergab: Landwirt ist für sie der zweitwichtigste Beruf, gleich nach dem Arzt. Helmut Born, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes: 4. O-Ton Born Wir können das auch festmachen an den Auseinandersetzungen um die Milch. Ist ja erstaunlich, es gab eine Umfrage, dass da über 80 Prozent gesagt haben, die Bauern haben recht, die treten da für ein Anliegen ein, das können wir nachvollziehen, auch wenn es uns selbst im Geldbeutel betrifft. Wenn das, was wir im Laden mehr zahlen, wirklich beim Bauern ankommt, dann tragen wir das mit. Das wäre ohne die positive Verankerung in den Köpfen der Bevölkerung gar nicht möglich gewesen. Sprecherin Auf der anderen Seite müssen täglich mehr als 30 Bauern ihren Hof aufgeben - es sind vor allem die kleinen und mittelständischen Betriebe, die nicht mehr konkurrenzfähig sind. Schon heute gibt es in Deutschland rund 46.000 Bauernhöfe weniger als noch vor vier Jahren. Und es könnte noch schlimmer kommen: Denn Mittel aus den EU-Töpfen erhalten vor allem die Großbauern. Die Höhe der Zahlung richtet sich danach, wie viel Land die Bauern haben - unabhängig davon, was oder ob sie überhaupt etwas produzieren. Ziel der so genannten Direktzahlungen ist, dass die Landwirte flexibler sein können und Menge und Art ihrer Produkte sich an den jeweiligen Marktbedingungen orientieren. Noch ist die Agrarreform von 2003 nicht vollständig umgesetzt, doch schon hat die EU-Kommission neue Pläne: Ab 2013 könnten die hektargebundenen Direktzahlungen wegfallen. Und zwei Jahre später soll auch die Milchquote verschwinden: Sie beschränkt heute die produzierte Milchmenge und verhindert, dass noch mehr Milch auf den Markt kommt und die Preise dadurch fallen. Die EU will weg von den Agrarsubventionen, die Bauern sollen sich den Spielregeln der freien Marktwirtschaft anpassen. Eine unternehmerische Chance, sagen die einen. Das endgültige Aus für kleine und mittlere Höfe, befürchten die anderen - Dumpingpreise und massive Preisschwankungen könnten die Folgen sein: Atmo 1: Schweinestall Man kann auch ruhig mal reingehen. (Tür öffnet sich, Grunzen). Das ist der Futterautomat. Jede Sau hat ne Erkennung im Ohr, und durch eine Ringantenne in der Futterstation wird die Sau erkannt und kriegt dann individuell je nach Körperkondition das Futter zugeteilt. Atmo 1b: Schweinegrunzen Sprecherin Im Dorf Messingen im Emsland macht Ansgar Gerdes seinen morgendlichen Kontrollgang durch die Ställe. Gefüttert werden die Schweine automatisch, Menge und Zusammensetzung berechnet der Computer. 7000 Schweine züchten die Gerdes jährlich, Ehefrau und Eltern arbeiten mit. Es ist ein Familienbetrieb, vererbt über viele Generationen, und der 36 Jahre alte Ansgar Gerdes bringt die besten Voraussetzungen mit, um ihn erfolgreich in die Zukunft zu führen: 5. O-Ton Gerdes Ich habe zunächst eine normale Ausbildung als Landwirt gemacht, hatte vorher allerdings schon mein Abitur gemacht und habe an die landwirtschaftliche Ausbildung ein Fachhochschulstudium angeschlossen der Agrarwissenschaften. Das Betriebsmanagement oder die Weiterentwicklung des Betriebes ist mit Sicherheit sehr viel leichter, wenn man auch ein Studium abgeschlossen hat. Sprecherin Und Gerdes muss gut kalkulieren, denn Subventionen erhalten die Schweinebauern nicht: 6. O-Ton Gerdes In den Schweinemarkt wird Gott sei Dank nicht eingegriffen, das ist weitestgehend ein freier Markt. Gott sei Dank deswegen, weil der Markt sich selber reguliert, d.h. Angebot und Nachfrage können noch direkt wirken. Wenn eine Überproduktion da ist, geht der Preis zurück, und infolgedessen wird auch die Produktion heruntergefahren. Wenn die Schweine knapp sind, geht der Preis hoch und für den Landwirt sind Anreize da, auch mehr zu produzieren, und es hat sich über die Jahre gezeigt, dass es ein sehr gut funktionierender Markt ist, sicherlich auch mit vielen Preistälern und harten Zeiten für die Landwirte, trotzdem denke ich, sind die meisten Schweinehalter froh, dass der Staat sich da aus diesem Markt herausgehalten hat. Sprecherin Das Rauf und Runter von Produktion und Erlös auf dem Schweinemarkt ist so stark, dass es einen festen Begriff im Wirtschaftsdeutsch formte: Ein "Schweinezyklus" bezeichnet periodisch wiederkehrende Angebots- und Preisschwankungen auf den Märkten. Atmo 2: Schweinestall Das Futter für die Tiere wird von der Geburt bis zur Schlachtung sieben bis acht Mal komplett umgestellt auf einen anderen Futtertyp, dass man immer wieder genau am Bedarf der Schweine angepasst ist. Ein Schwein wird mit Sicherheit viel ausgewogener ernährt, als der Mensch sich ernährt. Sprecherin Familie Gerdes besitzt 100 Hektar Land, auf dem sie das Schweinefutter anbaut - die Fläche ist zu klein, um nennenswerte EU-Zahlungen abzuwerfen. Die Äcker bestellt Bauer Gerdes selbst, doch die Ernte übernimmt ein Lohnunternehmen. Satellitengesteuerte Traktoren arbeiten dann bis in die Nacht - ausgestattet mit modernster GPS-Technik leisten sie Millimeterarbeit. All das schlägt bei den Produktionskosten zu Buche, dazu kommen immense Kosten für das Heizen der Ställe - Gerdes' Gewinn sieht derzeit mager aus: 7. O-Ton Gerdes Speziell in den letzten zwölf Monaten bin ich überhaupt nicht zufrieden mit der Erlössituation. Das kommt in erster Linie daher, dass sämtliche Betriebsmittelpreise derart teuer geworden sind: Das Futter für die Schweine kostet mittlerweile 60 bis 70 Prozent mehr als noch vor einem Jahr, die Energiekosten sind enorm gestiegen, auch die enorm hohen Produktionskosten. Momentan ist es kaum möglich, mit der Schweinehaltung Geld zu verdienen. Sprecherin Wie die meisten Landwirte, arbeitet auch Gerdes 70 bis 80 Stunden pro Woche. Schwere körperliche Arbeit verrichtet er wenig - es gibt kaum noch Bauern, die ihre Ställe mit der Mistgabel reinigen. Die meisten haben einen so genannten Vollspaltenboden: Kot und Urin rinnen durch Ritzen nach unten und werden in eine große Sammelanlage gepumpt, später kommen sie als Gülle auf die Felder. Auch für die Besamung der Säue ist Gerdes verantwortlich: Sie erfolgt durch künstliche Befruchtung mit einer Spritze: Atmo 3 Schweinestall Ich habe noch Eber zum Stimulieren, die treibe ich hier vor und dann muss ich in dem Stall zwei Tiere belegen. (Grunzen) Das sind die Besamungskatheter, die sind steril eingepackt, damit wird das vorgenommen. Die Eber machen nur noch die Show, und den Rest mache ich. (Grunzen, darüber O-Ton: 8. O-Ton Gerdes Am Anfang des Jahres weiß ich exakt, wann Abferkelungen stattfinden und an welchen Tagen Belegungen stattfinden, der Plan fürs ganze Jahr steht schon von vornherein fest. Sprecherin Nur so kann Bauer Gerdes mit seiner Frau und den drei Kindern überhaupt einmal Urlaub machen: Meistens nur eine Woche im Jahr. Trotz der hohen Arbeitsbelastung liebt Ansgar Gerdes seinen Beruf: die Beschäftigung mit Tieren, die Arbeit in der Natur und die Abwechslung, denn er ist gleichzeitig Züchter, Handwerker, Tierarzt und Manager - und stets sein eigener Herr. Trotzdem: Auch bei den Schweinebauern muss sich einiges ändern, damit die Arbeit sich wieder lohnt. Aufgrund der niedrigen Preise ist die Schweineproduktion in diesem Jahr drastisch zurückgegangen Ansgar Gerdes hofft, dass sich in Zukunft auch die Schweinebauern gemeinsam für einen kostendeckenden Preis einsetzen. Der Kampf der Milchbauern ist ihm ein Vorbild. Atmo 4: Bauernhof Kühe und Rinder Das ist also die Rindfleischproduktion, die Steaks, wenn man so will. Ja, die sehen zufrieden aus. Die bekommen als Hauptfutter Mais. Ne Kuh muss wieder ganz anders gefüttert werden. Sprecherin 20 Kilometer von Bauer Gerdes entfernt, in Lingen-Laxten, führt Bauer Remi Stöppelmann mit seiner Familie den Hof. 50 Kühe melkt er täglich, inklusive Kälbern und Mastbullen kommt er auf 300 Tiere. Mit glänzendem Fell und wohl genährt stehen sie in den luftigen Ställen - Remi Stöppelmann ist stolz auf sein Vieh. Er ist mit Herz und Seele Landwirt: Regelmäßig bildet er sich fort und tauscht sich mit Kollegen aus, um auf dem neusten Stand zu sein. Richtig Feierabend hat er eigentlich nie: Atmo 5: (im Stall) Ich habe zum Beispiel da oben eine Kamera, und ich habe einen Monitor am Bett. Nachts, wenn ich dann weiß, die könnte kalben, dann gut, dann werde ich mal wach, drücke auf das Knöpfchen, dann kann ich die Geburt beobachten. Ich brauche nur dann einzugreifen, wenn wirklich Not auch da ist. Sprecherin Zur Arbeit gehören auch viele Stunden im Büro: Futterzusammensetzung, Dokumentationen über Herkunft, Alter, Gewicht und Impfungen eines jeden Tieres müssen festgehalten werden, dazu kommt die Buchführung. 9. O-Ton Stöppelmann Eine Milchviehhaltung ist ziemlich arbeitsintensiv, und bislang läuft das immer noch relativ auf diesen Familienbetrieben, weil viele Hände mithelfen. Sie sind in diesen Arbeitsprozess eingebunden, vom Kind bis zum Altenteiler und das kann im Grunde genommen nicht die Zukunft sein. Ob das Sonntag ist, sechs Uhr aufstehen, das gehört dazu, aber dann muss es auch irgendwo vergütet werden, das kann ich nicht für zwei Euro die Stunde machen und weil wir so viele Stunden machen, kommen wir mit diesem geringen Stundensatz immer noch zu einem, na ja, also einem Einkommen, mit dem wir nicht verhungern. Sprecherin Doch an den Nagel hängen will der 52-jährige Remi Stöppelmann seinen Beruf nicht, und so bleibt nur die Flucht nach vorn: Er wurde Mitglied beim Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, wo man ihn zum Vorsitzenden für das Emsland wählte. Im Mai organisierte er mit Kollegen den Milchlieferboykott in der Gegend. 15 000 Liter Milch schüttete er weg in den zehn Tages des Streiks: 10. O-Ton Stöppelmann Circa 6000 Euro hat es uns gekostet, bloß wir haben das so gesehen: es ist einfach eine Investition in die Zukunft, dass jetzt auch wir Mitspracherecht bekommen haben, bislang war es immer so, dass Milchpreise ausgehandelt wurden ohne unser Zutun. Wir bekamen immer nur, was übrig war. Und ich denke schon, dieser Druck hat bewirkt, dass Molkereien oder Politik verstanden haben, wir Milchbauern lassen das nicht mehr mit uns machen, wie es bislang war. Sprecherin Der Streik hat erste Früchte getragen, denn mittlerweile gab es schon zwei Milchgipfel mit Agrarminister Horst Seehofer, der Milchindustrie und dem Handel. Stöppelmann ist optimistisch, wenn auch der Streik bislang nicht zum gewünschten Ziel geführt hat. Die Bauern verlangen einen kostendeckenden Preis von mindestens 43 Cent pro Liter statt der durchschnittlich 33 Cent: 11. O-Ton Stöppelmann Und darauf sind die Molkereien nicht eingegangen, das ist natürlich das Manko von diesem Streik gewesen, das hatten wir uns erhofft. Aber daran haben wir gesehen, dass die Molkereien, ich sage es mal höflich, nicht unsere Freunde sind, also haben sie doch mehr ihr Augenmerk im Hinterkopf, und das Augenmerk ist, die wollen Menge machen. Sprecherin Mehr Milch zu produzieren kann keine Lösung sein, so Stöppelmann, selbst wenn die Exportmenge sich dadurch erhöhen würde. Denn wenn der Grundpreis für die Milch nicht stimme, sei der Gewinn gleich Null: Eine größere Milchmenge bedeute nämlich auch mehr Futter und höhere Produktionskosten. Stöppelmann ist sicher, dass seine Familie und er dann lediglich mehr arbeiten müssten, außerdem könne er sich dann nicht so intensiv um seine Tiere kümmern. Momentan bedeutet viel Milch auf dem Markt niedrige Preise und geringes Einkommen für die Bauern. Viele Landwirte befürchten, dass sich das noch verschlimmern könnte, wenn ab 2015 die Milchquote abgeschafft wird und jeder so viel produzieren darf, wie er kann und will. Die größte Vertretung der Landwirte, der Deutsche Bauernverband, begrüßt diesen Plan der EU - weshalb Remi Stöppelmann sich nicht dort, sondern beim Bundesverband Deutscher Milchviehhalter engagiert, kurz BDM genannt: 12. O-Ton Stöppelmann Der Bauernverband hat sich letztendlich doch gegen uns gerichtet, er möchte den freien Markt haben, d.h. also, Menge steht im Vordergrund. Es sind zwei Interessensverbände, die bei der Politik um was werben, und das ist natürlich immer schwierig. Denn bei der Politik ist es besser, wenn eine Stimme spricht. Bislang hat immer der Bauernverband unsere Milchinteressen vertreten, aber in den letzten Jahren hat sich unser Verband gemausert, wir haben ein Drittel der deutschen Milchviehhalter handschriftlich hinter unserem Verband stehen. Damit ist auch deutlich geworden, dass viele Milchbauern mit dem Tun des Bauernverbandes nicht zufrieden sind. Der Bauernverband hat seine Hausaufgaben gegenüber uns nicht gemacht. Sprecherin Fast 500 Landwirte haben in der letzten Zeit den Deutschen Bauernverband verlassen - davon viele Klein- und mittelständische Bauern aus Bayern. Sie fühlten sich von der Organisation nicht mehr ausreichend vertreten. Helmut Born, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, sieht das anders. 13. O-Ton Born Wir sind dafür, dass die Milchpreise steigen, das eint uns mit dem BDM, da gibt es überhaupt keinen Unterschied. Der eine unterschiedliche Punkt ist der: Sind wir auch als Bauern kleine, selbständige Unternehmer, die dann diese Ziele mit unternehmerischen Mitteln ansteuern oder sind wir Arbeitnehmer, die streiken und sagen: "Da muss ja wohl irgendwo ein Tarifpartner sein, der mir dann den erhöhten Milchpreis, den wir alle wollen, durchsetzt." Wir erwarten nicht mehr vom Vater Staat, dass er unsere Dinge regelt, das wollen wir selber machen und da sind wir freie, selbständige Bauern und das wollen wir auch bleiben und das dokumentieren wir dann auch mit der Art und Weise, wie wir unsere Interessen durchsetzen. Sprecherin Die Mehrheit der Bauern habe vor einem Jahr für die Abschaffung der Quote gestimmt, so Born. Somit hätten sich die streikenden Milchbauern einem demokratischen Mehrheitsbeschluss widersetzt. Der BDM sieht das anders: Die Basis der Milchbauern sei nie für eine Abschaffung der Milchquote gewesen, doch habe der Deutsche Bauernverband sich längst von seinen einfachen Mitgliedern entfernt. Atmo 6: Traktor Sprecherin In Damsdorf bei Potsdam weisen Schilder den Weg zum Agrarbetrieb Wessels. Er ist einer der größten Höfe in Deutschland, wie es sie vor allem in den neuen Bundesländern gibt, hervorgegangen aus den staatlichen LPGs der DDR. 1000 Hektar Land, 350 Milchkühe, eine Biogasanlage und ein Rinderexporthof gehören zum Unternehmen. Geführt wird es von Timo Wessels und seinem Vater. Sie sind vor zehn Jahren aus Norddeutschland in die Mark Brandenburg gezogen. Vor allem der 29-jährige Timo Wessels ist äußerst flexibel und entwickelt stets neue Ideen - die einzige Möglichkeit, um als Landwirt zu überleben, glaubt er: 14. O-Ton Wessels Wir haben uns schon teilweise von der reinen landwirtschaftlichen Urproduktion ein Stück weit abgekoppelt. Weil auf Gesetze, auf landwirtschaftliche Preise, teilweise nicht so viel Verlass ist und unser Staat wird auch immer rabiater in der Gesetzgebung. Wir haben einfach keine Grundlage, auf der wir arbeiten können, wir wissen nicht, für zehn Jahre bleibt es so oder für fünf Jahre bleibt es so. Grundsätzlich ist es immer negativ, wenn der Staat in irgendeiner Form eingreift, weil meistens nicht viel Gutes dabei herauskommt und deswegen versucht man schon, am freien Markt zu produzieren, weil dies auch oft deutlich interessanter ist. Sprecherin Das heißt auch, dass er Marktveränderungen stets im Auge behalten muss: Ein Anruf über Handy informiert ihn über die aktuellen Weizenpreise an der Börse. Es ist eine wichtige Information, um planen und Verträge abschließen zu können, denn der Wert des Weizens beeinflusst auch die andern Agrarpreise. Weizen unterliegt momentan starken Preisschwankungen - abhängig von den Ernten oder ihren Prognosen auf dem Weltmarkt. Atmo 7: Erntearbeiten, Mähen Sprecherin Ein wichtiges Standbein des Agrarbetriebs Wessels sind Dienstleistungen: Wiesenmähen, Getreideschroten und Futtermischungen für andere Bauern, dazu kommen Klärschlammentsorgung und Güllefahren. Ein besonderes Projekt ist die Rindervermarktung: Bevor Zuchtrinder ins Ausland verkauft werden, müssen sie vier Wochen in Quarantäne und dort tierärztlich untersucht werden. Zu diesem Zweck haben Wessels Ställe für 150 Rinder gebaut, außerdem Büros für das Hauptzollamt und die Tierärzte. So können die Tiere an einem Ort abgefertigt werden. Modernste LKWs transportieren sie anschließend ins Ausland - Wessels besitzen auch einen Fuhrpark. Für dieses Projekt erhielten sie einen Investitionszuschuss von 30 Prozent vom Land Brandenburg, es dauerte allerdings, bis sie die Banken von einem Kredit überzeugen konnten: 15. O-Ton Wessels Es ist natürlich nie einfach, die Banken haben sehr viel Bedenken. Wenn ich mit etwas Exklusivem dort ankomme und sie haben so was noch nie finanziert, das sind dann die großen Schwierigkeiten dabei, da muss man dann einfach überzeugend sein und auch ein bisschen hartnäckig und dann geht das. Das ist eben das Gute, wenn Sie etwas tun, was nicht jeder macht. Sprecherin Am Nachmittag: Besichtigung des Bauernhofs. Atmo 8: Führung Bauernhof Im Winter ist es hier genau so offen und genau so kalt. Das macht den Tieren aber nichts, das Wasser wird in die Runde gepumpt und wird auf 20 Grad gehalten. Frage von Besucher: Wo ist das Wasser? Man sieht nur das Rohr, und dort sind die Tränken. Sprecherin Heute ist es die Gemeindeverwaltung Lehnin, sie macht einen Betriebsausflug. Timo Wessels sind gute Beziehungen zu Nachbarn und umliegenden Orten wichtig, auch, weil er demnächst die Schule mit seinem Biogas heizen wird. Mittlerweile sei seine Familie fest integriert, sagt er. Nur ab und zu nennt man ihn noch "den Westbauern" oder munkelt über seine unkonventionellen Ideen und sein Privatleben: Wessels Freundin stammt aus der Gegend und erwartet ihr drittes Kind von ihm, verheiratet sind sie nicht. Dennoch genießt er hohes Ansehen - nicht zuletzt, weil er 31 feste Stellen geschaffen hat. So werden die Kühe noch von Hand gemolken, während viele Höfe dieser Größenordnung bereits Melkroboter haben. Billiger seien die High-Tech- Maschinen allerdings nicht, meint Wessels. Regelmäßig lädt er die Bewohner von Damsdorf und Umgebung zu einem Hoffest ein: 16. O-Ton Wessels Wir ärgern manchmal ja auch Leute, wenn wir ernten und fahren an ihrem Haus vorbei und dann staubt das und ist laut. Das versuchen wir dann, bedingt immer wieder mal gutzumachen. Wir treffen ja immer häufiger auf großes Unverständnis, wenn wir am Wochenende oder an einem Feiertag ernten und wenn wir mit unseren Traktoren durch die Dörfer fahren und Erntegut einbringen. Und das wird jeden Tag schlimmer, es ziehen Leute aus den Städten in dörfliche Regionen, glauben, sie hätten da immer Ruhe und könnten sich dort immer entspannen. Atmo 9: lautes Traktorengeräusch Sprecherin Trotz allem unternehmerischen Elan: Selbst der Agrarbetrieb Wessels hat sich am Milchlieferboykott beteiligt - 20.000 Euro hat er dadurch verloren. Denn obwohl 300 Kühe mehr im Stall stehen als bei Bauer Stöppelmann im Emsland, werfe die Milchproduktion keine Gewinne ab. Auch Wessels fordert kostendeckende Preise von den Molkereien und fühlt sich vom Deutschen Bauernverband bezüglich der Milchpolitik nicht ausreichend vertreten. Deshalb wurde er Mitglied beim Bund Deutscher Milchviehhalter, dem BDM: 17. O-Ton Wessels Es ist aber auch so, dass natürlich der Bauernverband ein sehr alt eingesessener Verband ist und da sind oft Strukturen, die mittlerweile nicht mehr so sehr hilfreich sind. Da sind Funktionäre, die von Molkereien großzügige Gehälter erhalten, in irgendwelchen Aufsichtspositionen sind oder interessante Nebenverdienste verfolgen. Es wurde Zeit, dass Konkurrenz dort kommt. Dieser Milchlieferstreik, der in diesem Jahr war, ohne den BDM wäre so was nie zustande gekommen. Das sind einfach modernere, das sind engagiertere Landwirte die dort vertreten sind, jüngere oft auch, das ist vielleicht so'n bisschen vergleichbar mit so 'ner Art Studentenbewegung. Sprecherin Viele Landwirte machen dem Deutschen Bauernverband ähnliche Vorwürfe. Dessen Generalsekretär Helmut Born versucht, Differenzen gar nicht erst aufkommen zu lassen: 18. O-Ton Born Ob da jemand Bauernverbandsmitglied ist oder BDM-Mitglied, ist völlig wurscht. Ich bin ja hocherfreut, dass in einigen Molkereien, wo mittlerweile viele BDM- Mitglieder sind, die Entscheidungen genauso ausfallen wie in den andern. Das ist doch völlig irrsinnig, jemandem vorzuwerfen, wo er verbandlich als Milcherzeuger eingebunden ist, wenn er Verantwortung für ein Unternehmen nimmt. Sprecherin Tatsache ist: Über 80 Prozent der Molkereien sind Genossenschaften und gehören den Milchbauern, trotzdem sehen die ihre Interessen nicht vertreten. Viele Molkereien seien mittlerweile Großunternehmen und ihre Strukturen zu unübersichtlich, sagen die Landwirte. 19. O-Ton Wessels Die Gewinnbeteiligung aus den Molkereien ist aufgrund von findigen Managern in den letzten zehn Jahren ausgeblieben. Es werden dann Tochterfirmen, GmbHs, gegründet, die dann auf einmal nur noch Gewinne erwirtschaften und die Genossenschaften erwirtschaften dann keine Gewinne mehr. Und so werden dann die Landwirte um ihren Verdienst gebracht, weil dann irgendwelche Anteile wieder diesen Managern gehören oder das ist schon ein relativ korruptes Geschäft geworden, und das ist das auch, wo die Landwirte so sauer sind. Und dann sitzen Landwirte im Aufsichtsrat, ob da jeder noch richtig weiß, was er dort beaufsichtigt, das mag ich bezweifeln. Atmo 10: Kuhstall Sprecherin Der letzte Milchgipfel Ende Juli hat Ergebnisse gebracht, die sowohl der Deutsche Bauernverband als auch der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter als Teilerfolg werten- wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Milchbauernvertretung begrüßt, dass man sich auf eine bessere Steuerung der Milchmenge einigte. Damit wäre weniger Milch auf dem Markt und die Preise blieben stabil oder könnten sogar steigen. Der Deutsche Bauernverband dagegen konnte durchsetzen, dass sich Horst Seehofer bei der EU für einen Milchfonds einsetzt. Mit rund 300 Millionen Euro will man benachteiligte Betriebe unterstützen, die unter erschwerten Bedingungen arbeiten, zum Beispiel in deutschen Mittelgebirgen. Atmo 11: Kuhstall (wie Atmo 10) Sprecherin Obwohl Großbauer Timo Wessels die Milchpolitik des Deutschen Bauernverbandes kritisiert, ist er Mitglied geblieben - er sitzt sogar im Vorstand seines Kreisverbandes. Denn die Milch macht nur einen kleinen Teil der landwirtschaftlichen Produktion aus. In allen anderen Bereichen fühlt er sich sehr unterstützt, und die traditionellen Verbindungen des Verbandes kämen ihm vor allem bei Verhandlungen mit Ämtern zugute. Der Bauernverband wehrt sich auch dagegen, dass die Direktzahlungen für Ackerland in Frage gestellt werden. 250.000 Euro sind das für den 1000 Hektar umfassenden Agrarbetrieb Wessels im Jahr: 20. O-Ton Wessels Man muss dann andere Dinge einleiten, damit man den Preis reguliert, man kann nicht sang- und klanglos die Landwirte in ein Loch fallen lassen und sagen, so jetzt gibt es wieder nur wenig Geld für das Getreide, weil eben die Kraftstoffkosten so gigantisch sind. Sprecherin Auch hier vertritt ihn der Deutsche Bauernverband: Er fordert, dass der Kraftstoff für Agrarfahrzeuge steuerfrei wird. In anderen EU-Ländern ist dies längst schon der Fall, oder der Steuersatz liegt höchstens bei 9 Cent pro Liter - in Deutschland sind es 42 Cent. Atmo 12: Dorf Sprecherin Im November findet das nächste Treffen der EU-Länder zur Agrarsituation statt. Dann wird sich zeigen, welche Forderungen Landwirtschaftsminister Horst Seehofer in Brüssel durchsetzen kann. Die meisten Bauern empfinden die momentane Situation als lähmend, da sie nicht wissen, wie die neuen Richtlinien aussehen werden. Eine weitere Idee der EU- Kommission ist, Fördergelder, die bei Pauschalzahlungen eingespart werden, für umweltschonende Projekte zu verwenden. Das Gros der Landwirte und auch der Deutsche Bauernverband winken ab: Es dauere Jahre, um sich auf einen ökologischen Betrieb umzustellen. Und schon jetzt gehöre Deutschland zu den Ländern, die die höchsten Auflagen bezüglich des Natur- und Tierschutzes haben. Unterdessen denken viele Bauern darüber nach, welche Alternativen zur Nahrungsmittelproduktion sie haben. Großbauer Wessels kann sich vorstellen, die Milchproduktion einzustellen, sollten die Preise nicht steigen. Dann würde er sich ausschließlich auf erneuerbare Energie und Dienstleistungen konzentrieren. Landwirt Remi Stöppelmann spielt sogar mit dem Gedanken, den Betrieb ganz aufzugeben, wenn die Situation sich weiter verschlechtert. Seine Söhne studieren und könnten als Arbeitnehmer mehr Geld für weniger Arbeit verdienen. Und auch Schweinebauer Ansgar Gerdes wird seinen Hof nicht um jeden Preis weiterführen: 21. O-Ton Gerdes Der Hof hier selbst- also erste Erwähnungen laut Familienforschung - waren schon im 17. Jahrhundert, also sind es doch schon einige Generationen, die hier schon auf dem Hof verbracht haben. Ich sehe das ja an meinen Kindern, das Interesse an der Landwirtschaft ist sehr ausgeprägt, und ich hätte sehr viel Freude daran, wenn die auch später noch ein starkes Interesse an der Landwirtschaft hätten. Ich werde sie aber auf keinen Fall dazu drängen, das fortzuführen, also wenn ich selber erkenne, dass Rahmenbedingungen zu schlecht sind, um den Betrieb weiterzuführen, dann würde ich mit Sicherheit die Sache sofort beenden und würde meine Kinder nicht unnötig ins Verderben laufen lassen. Sprecherin Helmut Born, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, ist dagegen optimistisch. Die Verhandlungen seien im Gange und es werde Wege geben, auch die Kleinbauern zu unterstützen. Als positives Zeichen wertet er, dass die Jugend wieder mehr Interesse an der Landwirtschaft hat: Und zwar nicht nur an Soap- Operas wie "Bauer sucht Frau" oder den Kalendern der Bayerischen Landjugend, auf denen junge Bäuerinnen und Bauern sexy gekleidet in verführerischen Positionen zu sehen sind: 22. O-Ton Born Wir haben 14 grüne Berufe: Landwirte, Tierwirte, Winzer. Darin sind jetzt wieder rund 50.000 Lehrlinge, die dort ihre Erstausbildung machen, das waren vor einigen Jahren mal 40.000.Wir haben seit fünf Jahren steigende Lehrlingszahlen in der Landwirtschaft bei jungen Leuten, und zwar die, die vom Land kommen, aber auch aus der Stadt. Was gibt es für ein besseres Signal hinsichtlich der Zukunftsfähigkeit einer Branche als diese Zahlen? Musik Bauernlied Auf, wer hier ein Bauer ist, zeig, dass du voll Power bist! Es macht mir Freude, es macht Sinn, dass ich ein Bauer bin! Bauern wie wir packen an, bleiben niemals stehen Bauern wie wir auch mal eigene Wege gehen Bauern vereint ein starkes Band Wir sind die Kraft vom Land. Spr. vom Dienst Vom Bauern zum Agrarunternehmer Landwirte zwischen Idylle und Realität Eine Sendung von Brigitte Schulz Es sprach: Katharina Koschny Ton: Bernd Friebel Regie: Roswitha Graf Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2008 1