Deutschlandradio Kultur Länderreport COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. "Einmal richtig Auftanken" Auf Stippvisite bei Deutschlands ältester Tankstelle in Essen Autor Michael Frantzen Red. Claus-Stephan Rehfeld Länge 19'02" Sdg. 12.11.12 - 13.07 Uhr Regie Jadwiga Korte Moderation Ganz Deutschland stöhnt über Rekord-Benzinpreise. Ganz Deutschland? In Essen- Holsterhausen stöhnen sie, wenn überhaupt, aus anderen Gründen; genauer gesagt: Bei Deutschlands ältester Tankstelle. Seit 1924 wird im Herzen der Ruhrgebiets-Metropole auf eigene Rechnung getankt, geschraubt, getratscht. "Tankstelle mit Herz" - lautet das Motto. Oder alternativ: "Bei uns können sie auftanken" - nicht nur ihr Auto." Der Chef vom Ganzen ist Seelsorger und Orakel in einer Person. Neumodischen Schnickschnack wie eine digitale Preis-Anzeige gibt es ebenso wenig wie "Cappuccino to go". Dafür Vollservice und zufriedene Kunden. Die allerdings sind mit der Tankstelle in die Jahre gekommen. Alles weitere von Michael Frantzen. Der ist vorbeigefahren - und sagen wir mal so: Mehr oder weniger mit offenen Armen empfangen worden. - folgt Script Beitrag - - Script Beitrag- A 01 (Auto fährt näher, Autotür geht auf) E 01 (Autor) "Guten Tag! (Milz) Guten Tach! Sie sind... (Autor) Ich bin der Mann vom Deutschlandradio. Genau. (Milz) Aber ich muss auch arbeiten. (Frau kommt herein) Hallo! (Autor) Ja, ja. Das weiß ich. (Milz) Hallo! (Frau) Nen halben Liter Öl." AUT Ganz schön viel zu tun hier. E 02 (Plich) "Älteste Tankstelle Deutschland's war es, glaub ich, nä?!" AUT Genau. In zwei Jahren feiert die selbst ernannte "Tankstelle mit Herz" in Essen- Holsterhausen ihr neunzigstes Jubiläum. Tiefstes Ruhrgebiet. E 03 (Milz) "Ja. Is nich zu ändern." AUT Das ist der Chef vom Ganzen: Manfred Casper-Milz. Der Mann mit dem Dreitage- Bart liebt klare Ansagen - auch bei den Benzinpreisen. E 04 (Milz) "Wir hatten immer glatte Preise. Wir haben's einfach nich nötig, die Leute, die zu uns kommen, auch noch zu täuschen: Mit Komma 9. Das brauchen wir nich." AUT Der Kunde ist König - bei "Manni", wie ihn alle hier nennen. E 05 (Milz) "Wir sehen: Hey! Sie haben da einen Nagel im Reifen. Oder: Der Reifen is vorne links abgefahren. (Ahmed) Oder Bremslicht is kaputt. (Milz) Oder Bremslicht is kaputt. Datt wechseln wir in aller Regel beim Tanken aus. Wir gucken: Öl, Wasser, Luft nach. Machen die Scheiben sauber. Haben auch noch für alle anderen Sachen Ohr offen." E 06 (Auto kommt angefahren) (Motor geht aus) (Milz) "Guten Tach. (Wolfgang kommt näher) (Milz) Wolfgang! Grüß dich! (Wolfgang) Hömmal! Habt ihr nen Messer oder so watt? (Milz) Nen Messer? (Ahmed) Willste einen umbringen? (Milz) Watt willste denn machen? (Wolfgang macht Autotür auf) (Wolfgang) Datt hier vorne muss abgeschnitten werden. (Milz) Komm! Datt unterstützen wa. (Autor) Das ist ein Problem! (Wolfgang) Das Problem wird jetzt sofort gelöst. (lacht) (Klacken) (Ahmed) Ah! Warte! (doppeltes Klacken) (Milz) Hömmal! Erst mal die Karre von den Zapfsäulen hier wech! (Ahmed) Allet rein ins Auto und dann is gut. (Wolfgang) Na, vielleicht will ich auch tanken?! (Lachen) (Wolfgang) Na, ich schmeiß datt mal hier vorn hin." (schlägt Autotür zu) AUT Wolfgang ist Stammkunde. E 07 (Wolfgang) "So isses." AUT Einen Nachnamen hat Wolfgang auch, aber: E 08 (Wolfgang) "Den möchte ich ihnen nich nennen." AUT Wolfgang ist eher ein Diskreter. E 09 (Wolfgang) "Ich hab nen Limousinen-Fahrservice. Datt mach ich über dreißig Jahre. Ich hab nen ganz guten Kundenstamm. Sind nen paar größere Konzerne. Namen möchte ich da auch nich nennen. Datt sind alles persönliche Kontakte. Normalerweise mach ich Flughafen-Transfers. Nach Düsseldorf. Ich bin eigentlich ganz zufrieden." AUT Mit der Welt an und für sich. Und seinem Fuhrpark im Speziellen: Dem VW-Passat und seinem Schmuckstück: E 10 (Wolfgang) "Das is nen Phaeton. Ja, ja. Ich hatte vorher die Mercedes-S-Klasse. Aber ich kann ihnen sagen, dass der Phaeton in meinen Augen besser is. AUT Wenn Wolfgang, der mindestens genauso distinguiert aussieht wie sein Phaeton, einmal in Fahrt gekommen ist, ist er nur noch schwer zu stoppen. E 11 (Wolfgang) "Ich bin mal 270 gefahren. Von Berlin Richtung Magdeburg. Dreispurig. Da kann man schon mal Gas geben." AUT Im Osten. Im Westen dagegen, zu Hause auf der "Ruhrschnellstraße", die berühmt berüchtigt ist für ihre Staus und Dauer-Baustellen, fährt Wolfgang brav seine 100, 120. Zu viele Radarfallen. E 12 (Wolfgang) "Heute mach ich frei. Weil: Heute hab ich Spätschicht. Ich muss leider zum Spiel Dortmund gegen Real Madrid. (Autor) Ja. Das ist aber echt schade! (lacht) (W) Nein, nich als Zuschauer. (lacht) Als Fahrer. (lacht) Ja, ja. (Ahmed) Als Spieler. (W) Warte mal! Öl müssen wa noch nachgucken. (A) Ja." AUT In Spanien kennt sich Wolfgang aus. E 13 (Wolfgang) "Batzelona! Sie werden's nich glauben: Da hab ich fünf 30-Liter- Fäßchen Bier hingebracht. Weil: Da hatte jemand ne Messe...Ich muss aber eben auch noch Luft, nä? (Ahmed) Ja, dann machen wa datt da vorne. Halt ich da den Schlauch rein." A 02 (Auto fährt weg) Regie: Frei stehen lassen und dann noch kurz unter nächsten O-Ton stehen lassen E 14 (Autor) "So! Da bin ich wieder. Jetzt ist kein Kunde mehr da. (Milz) Wollen se mir auffen Zeiger gehen, bo?! (Autor lacht) (Ahmed) Sind Sie Radio Essen? (Autor) Nä. Ich komm aus Berlin eigentlich. (Ahmed) Radio Berlin?!" AUT Lassen wir das. Gibt ja auch Wichtigeres: Das "Business" zum Beispiel, wie es neudeutsch heißt. Kein gutes Stichwort - und das nicht nur, weil es der Spross der Essener Tankstellen-Dynastie nicht so mit Anglizismen hat. E 15 (Milz) "Wir haben zu wenig Sachen, wo wir Geld mit verdienen können. Früher kamen die Leute zum Ölwechsel. Heute sind die meisten Fahrzeuge geleast oder Werkstatt-gebunden. Und die einzigen, die lachen können, sind die Werkstätten. Weil: Wir sehen die Kunden gar nicht mehr." AUT Manni geht in sein "Kabuff", vorbei an den schwarzen Zapfsäulen mit dem roten Herzen und den vier Schoko-Osterhasen im Regal hinter der Kasse. E 16 (Milz) "Ich wollt, ich hätt ne Sekretärin. Datt können wa uns nich erlauben. Ich sach mal so: Jeder Betrieb is Gewinn-orientiert. Wenn dieser Betrieb auch so wär, wären wir schon gar nich mehr da. Natürlich dürfen wa nich verhungern. Müssen wa ja auch nich. Aber viel besser (lacht) is ett nich. E 17 (Ahmed) "Chef! Ich brauch Hilfe hier. (Milz) Ja. (Ahmed) Muss ich ne Quittung für nen Herrn schreiben. (Milz) Für Super? (Ahmed) Is datt bis da ok? (Milz) Ja. Is alles Super. Liter-Zahl! (Ahmed) Liter-Zahl: 42,68 Einfach hinschreiben, nä?! ... Regie: Nach "hinschreiben, nä?!" weitere Unterhaltung unter Autor blenden AUT Ahmed ist einer von zwei Angestellten hier. Der gebürtige Marokkaner ist gelernter Schlosser, 13 Jahre hat er in Essen-Steele geschuftet. E 18 (Ahmed) "Irgendwann wurde datt Konkurs. Pleite gegangen. Dann war ich bei Opel nen paar Jahre; zwei Jahre. Und da war ich bei nen paar Leihfirmen. Und jetzt bin ich hier gelandet. Durch Tanken. Bin ich einmal hier vorbei gekommen und hab mal auf doof gefragt. Da hab ich nen paar Stunden mitgemacht. Dann ging datt so halt." E 19 (Milz) "Oh! Da kommt schon widda nen Kunde." AUT Eine Kundin - um genau zu sein. E 20 (Kerzmann) "Christin Kerzmann. Aus Oberhausen. Man spricht sich hier mit Namen an. Nä, Herr Milz?! Man kennt sich. (Milz) Ja. Man kennt sich. (Lachen) (Kerzmann) Das is schön hier." AUT Weniger schön ist, wie sich ihr Geschäft, ein Dental-Labor, in letzter Zeit entwickelt hat. E 21 (Kerzmann) "So la la. (lacht) Das Ausland macht uns nen bisschen Probleme." AUT Polen und Ungarn im Speziellen, wo sich Brücken und dritte Zähne billiger herstellen lassen als in Deutschland. E 22 (Kerzmann) "Über Service machen wir das wett. Kundenbetreuung steht bei uns ganz oben. Tschüss, Herr Milz. (Milz) Ich bin ja so froh, dass sie den Menschen nen bisschen abgelenkt haben. (Lachen) (Becker) Komm! Hier! Mach hinne! (Milz) Siehse! Die Kunden - die quälen mich hier. (Autotür geht auf) (Becker) Die Kunden nehmen Rücksicht auf den Chef. Weil der jetzt auch immer älter wird. Und auch immer vergesslicher. Man muss ja aufpassen...wie lange kennen wa uns jetzt? 55 Jahre?! (M) Jetzt so ungefähr. (lacht) (B) Weiss ich gar nich. Seit wann wohnen wa hier? Seit...warte mal...56. 58. Ja. Seit 58, 59, schätze ich mal. Is mein Vatta hierher gefahren - zum Tanken. Da war der Tanklehrling hier. (M) Ich hab hier nich gelernt. Ich habe in Steele gelernt. Ich bin gerade frisch gekommen. (B) Da warste gerade frisch gekommen. (M) Nur: Ich war der Einzige, der fachlich hier was zu bieten hatte. (lacht) (B) Der Einzige, der fachlich was zu bieten hatte. Und Caspar hier: Der hat nur gequatscht, nä?! AUT Friedrich Caspar - der Adoptiv-Vater und Vorgänger vom Chef. E 23 (Milz) Genau! (Becker) Und immer fast rechtsradikalen Quatsch. (M) Nur gelabert. Und hat vor den Mercedes-Fahrern gebuckelt. (B) Ja! Weil wir ja nur mit dem VW kamen...(Milz lacht)...musstest du uns bearbeiten. (M) Genau. (lacht) (B) Ja, ja, so war datt." AUT Anno dazumal - als Ingo Becker noch ein Jungspund war. E 24 (Becker) "Der alte Caspar war'n Netter. Aber in manchen Bereichen, ja?! ...fand ich ihn nen bisschen tumb. Aber sonst?! (Motor springt an) Natürlich hab ich mit ihm immer sehr schönen Streit gehabt. Weil ich überzeugter Sozialdemokrat bin, war und wohl auch sein werde. Und da konnte man mit ihm sehr gut diskutieren. Wie viele andere hier auch." (Autotür schlägt zu, Auto fährt weg) AUT Den alten Caspar hat er hier auch noch erlebt: E 25 (Plich) "Plich. P. L. I. C. H. Witold." AUT Der Mann mit dem grauen Rauschebart hat in der Nähe seine Physiotherapeutische Praxis. E 26 (Plich) "Er war nen Original. Und als deutsch-deutsche Vereinigung kam, dann hat er seine Kunden hier eingeladen...haben die hier nachts Feuerwerk drauf gemacht." (lacht) AUT Deutschland einig Vaterland: Beim alten Caspar war das keine hohle Parole. War halt ein "Schwatter", wie sie im Ruhrgebiet sagen: Ein Konservativer; dessen politischen Ansichten sich allerdings bisweilen ins Bräunliche färbten. E 27 (Milz) "Ich mein, datt sind die Leute - die sind im Krieg gross geworden. Die sind alle beeinflusst aus ihrer Zeit heraus. Ansonsten war der fröhlich, gut gelaunt, eher lustig." AUT Die beiden haben sich von Anfang an gut verstanden - Manni und der Alte. E 28 (Milz) "Der war Junggeselle. Und der hat gesagt: Hömmal! Ich brauch nen Sohn! Der sich um mich kümmert. So bin ich sein Sohn geworden, letzten Endes, nä?!" AUT Traditionen waren dem alten Caspar wichtig. E 29 (Milz) "Sein Vater hat ja den Betrieb gegründet. 1800 hasse nich gesehen. Da haben die Pferdewagen und Kutschen lackiert. Dann, um die Jahrhundertwende, 1920 rum, ging das los mit den Autos. Da gibt's da ein Bild - da steht nen Bus auffen Hof, da laufen die Hühner hier noch rum. Das ist hier, wo wir jetzt sind. Da fing das an mit dem Benzin. Da stehen da noch Fässer. Da gab's kein Tank im Boden. Dann wurden Tanks eingelegt. Da gibt's die Genehmigung. Und seitdem steht fest: Ja, wir sind die älteste Tankstelle. Nicht die erste, aber die älteste, die noch arbeitet." E 30 (Telephon klingelt) (Milz) "Milz! Tankstelle und Getränkemarkt. (Motorgeräusch) (Milz) Hallo. (Motor) (Milz) 4 Mal Gerolsteiner Medium im Glas. Kein Schweppes? ... Regie: Nach "Schweppes" unter nächsten O-Ton blenden E 31 (Milz) "Als ich den Betrieb so auffen Papier übernommen hab, von meinem damaligen Chef, da war mir schon lange klar: Wir können mit nen paar Autowäschen und nen bisschen Benzin nich überleben auf Dauer. Heute muss man einfach sagen: Ohne den Getränkemarkt wären wir gar nich mehr da. Traurig, aber wahr: Wir müssen heute - fachlich aufs Auto ausgerichtet - Getränkekisten durche Gegend schleppen, um zu überleben." E 32 (Telephon klingelt) (Milz) "Milz. Tankstelle und Getränkemarkt. Frau Wußdorf?! ...Haben sie denn gemerkt, dass ich sie anrufen wollte? ...Wo sind sie denn jetzt inna Bahn?...Kommen se doch lieber hier hin...Ja! OK! Bis gleich! Tschö!" E 33 (Autor) "Guten Tag. (Wußdorf) Guten Tag. (Milz) Wollen se schon wieder lästig werden? (Autor) Das ist quasi berufsbedingt." E 34 (Wußdorf) "Herr Milz?! Jetzt: Wie lange? 10 Jahr? 15? Ich hab schon 25 Jahre..." (Milz) 25 Jahre. (W) 25 Jahre. (M) Wir sind zusammen alt geworden. (beide lachen) (W) Obwohl man datt uns nich ansieht." AUT Echt nicht. Ist bei Angelika Wußdorfs Auto genauso. E 35 (Wußdorf) "Der wunderschöne, alte, schwarze Golf. (lacht) Der is von 94. Wir haben gerade ausgemacht: Wir kriegen den noch 100 Mal übern TÜV. Und da verlass ich mich drauf." (lacht) AUT Die gebürtige Essenerin hat gerade Mittagspause. In einer halben Stunde muss sie wieder bei der Arbeit sein, im Museum. E 36 (Wußdorf) "Das Interesse grundsätzlich an Museum und an originalen, alten Dingen is noch da. Ich arbeite ja im Ruhr-Museum, das erzählt die Geschichte des Ruhrgebiets vom Karbon bis zum aktuellen Strukturwandel. Da haben wir einfach 300 Millionen Jahre alte Fossilien. Das sind irgendwie auch Dimensionen und Zahlen, wo dann jüngere Kinder, die 5 bis 12jährigen: Das fasziniert die. Bo! Nen Fossil! Und hier: Ah! Nen Saurier-Zahn. Und nen Mammut-Zahn. Schwieriger ist dann die ältere Stufe zu erreichen, weil: Ich sach immer: Die müssen cool sein." AUT Ist ja auch so eine Sache - das mit dem Coolsein. Das Ruhrgebiet beispielsweise: Irgendwie nicht cool. Diesen Eindruck kann man zumindest gewinnen, wenn man als Außenstehender Berichte über das alte industrielle Herz Deutschlands liest: Da ist meistens von Rekordarbeitslosigkeit die Rede; von hoch verschuldeten Kommunen, die Reihenweise ihre Musikschulen und Schwimmbäder schließen müssen; von heruntergekommenen Arbeitervierteln, denen erst die Arbeit abhanden kam und dann die Arbeiter. Positives kommt selten vor. Ärgert sich Angelika Wußdorf. E 37 (Wußdorf) "Kennen se doch die Witze von Frank Gosen, wo der auch sacht: Ja! Wir essen auch mit Messer und Gabel. (lacht) Wissen wir ja schon. Aber is imma noch so ne Überraschung. Es hat sich aber, glaub ich, in den letzten zehn Jahren insofern verändert, dass Menschen aus dem Ruhrgebiet, wenn die im Urlaub sind, nich mehr so verschämt sagen: Ich komm so aus der Gegend bei Düsseldorf. Sondern da sagt man jetzt ganz klarer: Ich bin aus Bottrop, aus Gelsenkirchen, aus Essen. Aus dem Ruhrgebiet." AUT Tut sich nämlich was - im Pott. Auch in Holsterhausen, umme Ecke von Deutschlands ältester Tankstelle. Vis-a-vis bietet ein Second-hand-Laden mit Mut zu kräftigen Farben und gewöhnungsbedürftigen Design Kleidung an, während weiter oben vor kurzem mit den "Kaffee Rebellen" ein Café mit hochwertigen Bohnen und Edel-Schokoladen aufgemacht hat, das auch gut nach Berlin-Mitte oder Schwabing passen würde. E 38 (Milz) "Die Leute, die hier unten zum Beispiel wohnen: Ich bin mal nachts gekommen. Dann waren die aufem Balkon und haben geguckt: Wer is hier? Und haben gesagt: Bo! Gut, datt du datt bis. Sonst hätten wir die Polizei gerufen! Also die passen auf." AUT Auf Mannis Nachbarn ist Verlass. Auf das Ordnungsamt auch. Das ist schon mehrfach vorstellig geworden - wegen Stromleitungen, die auf Putz liegen, und anderer klitzekleiner, technischer Mängel. E 39 (Milz) "Da ging es einfach darum, dass der Boden, die Oberfläche, wie nach den gesetzlichen Bestimmungen hätte sein müssen. Da hab ich dann versucht, datt ganze ein bisschen zu mindern. Weil: Wenn so ne Firma 100.000 Euro aufbringen muss: Da hab ich also die Gefahr gesehen, dass wir untergehen. Aufgrund ner Maßnahme, nur weil mal Benzin überschwappt zum Beispiel. Die Kunden, die sich selber bedienen, da schwappt genug Benzin rüber, ja?! Hier wird ja der Kunde bedient. (Ahmed) Vorsicht! Vorsicht! (Milz) Bei uns schwappt praktisch nix rüber. Aber alles is... (Ahmed) Da is ne Dame draußen. Können Sie?! Da! (Milz) Ahmed! Du musst datt Auto erst Mal woanders hinfahren. (Ahmed) Ja, ja. Nur vorfahren. Ich fahr datt Auto anne Seite. Wenn einer Tanken kommt. (Milz) Hallo. (Dame) Mein Gott! Datt dauert eine Minute! Warum machen se denn datt? (Milz) Wir fahren den eben nur nen Stück vor. Wissen se warum? Der Nächste, der kommt, der is sich unsicher... (Dame) In der Zeit, wo sie mir das erzählt haben, hätte der datt schon gemacht. (Milz) Ja, aber mir is trotzdem lieber, der Wagen is vor. (Dame) Also!" AUT Ordnung muss sein. Muss sie sich fügen - die ältere Dame mit dem dicken Auto und der schlechten Laune. E 40 (Milz) "Ich behaupte: Wir erkennen unsere Schweine am Gang." AUT Philosophiert der Mann von der Tanke - nur um hinzufügen, die meisten seiner Stammkunden, gerade die alten, seien nicht ansatzweise so miesepetrig wie das alte Schlachtschiff. E 41 (Milz) "Die Kunden sind mit dem Betrieb älter geworden. Das heißt also, die alten Stammkunden sterben. Oder fahren ganz wenig. Und die neuen Kunden: Es is ja auch ne neue Generation von Menschen: Die sind völlig anders ausgelegt." AUT Gibt aber Ausnahmen. Von der Milzschen Regel. E 42 (Milz) "Christian! Grüß dich! (Jäckel) Salve! (Lachen) (J) Ich grüße dich, Pflaumen-August." AUT Christian, Nachname: Jäckel, ist zwar auch schon jenseits der 40: Damit zählt der wuchtige Mann mit den Riesen-Pranken aber zum jüngeren Kaliber unter der Kundschaft. E 43 (Jäckel) "Seit wann bin ich Kunde? Jetzt muss ich überlegen? Seit neun Jahren. Ich bin hier früher mal gegenüber eingezogen, da hat sich das natürlich angeboten. Als ich dann noch gehört habe: Älteste Tankstelle Deutschlands - da dachte ich: Ja. Mal hingehen. Und dann sah ich hier: So Service, wie er früher mal war. So was muss unterstützt werden. Deswegen bin ich auch immer hier. Mit meinem ganzen Fuhrpark. Ich versuch auch immer wieder Leute zu überzeugen, dass se hier hinkommen. Aber: Is nen bisschen schwierig, nä?! (Milz) Ja! Geht ja alles übern Preis. (J) Geht ja alles übern Preis. Und das is natürlich blöd heute. Ich find den Spruch: Geiz is geil - der is Gott sei Dank schon nen paar Jahre her. Aber datt steckt einfach in den Köpfen der Leute. Ich find das ganz schrecklich." AUT Schrecklich finden manche Zeitgenossen auch Christians ganzen Stolz. E 44 (Jäckel) "Das is nen Chevrolet. Den kennt man immer so aus den amerikanischen Filmen: Wenn der CIA vorgefahren kommt, die fahren immer genau dieses Auto. Der möchte so ganz gerne seine 20, 22 Liter haben. Mit meinem Spritverbrauch bin ich eine der tragenden Säulen des Unternehmens hier. (lacht) AUT Gut für Manni. Nicht ganz so gut für die Umwelt. E 45 (Jäckel) "Tja. Watt soll ich sagen? Ne gute Ausrede dafür gibt's nich. Ich sach imma: Wenn mir jemand vorwirft, ich würd die Umwelt verseuchen und dabei ne Zigarette in der Hand hält, dann sag ich demjenigen immer: Erzähl mir nix von dem Planeten, du kannst doch noch nich mal auf deinen eigenen Körper achten." A 04 (Motor springt an, Auto fährt weg) Regie: Frei stehen lassen und dann unter Autor blenden AUT PS-stark ist auch das Zweit-Auto von Manni. E 46 (Milz) "Ich fahr nen Wohnmobil. Ich kann datt so machen: Die Sonne scheint: Ich fahr einfach weg. Und sach meinen Mitarbeitern: Jungs! Ich muss zum Lehrgang. Zack! Weg bin. (Autor) Lehrgang des Lebens?! (Milz) Genau! Und manchmal reichen zwei Tage, drei Tage, um einfach mal wieder gedanklich von vorne zu beginnen. Weil ich sach mal: Das Schlimmste für alle Menschen is: Die Sorgen um irgendetwas. Wer Sorgen hat, kann nich arbeiten." AUT Und das kann der Mann, der auf die Mitte 60 zugeht, nicht gebrauchen. Kürzertreten: Das kommt nicht in Frage. Da beißt selbst seine Tochter auf Granit. E 47 (Milz) "Die wird gezwungen hier zu tanken, nä?! (lacht) So seh ich die denn schon einmal die Woche. Ich hab ihr gesacht: Lern watt Gescheites! Bilde dich! So is sie Beamtin." A 05 Kasse klingelt Regie: Frei stehen lassen und dann unter Autor AUT Kurz nach sechs: Fast Feierabend. Die Sonne hat sich längst hinter der Skyline Essens verabschiedet, in einer halben Stunde wird Manni, dieses Fossil, das Tor zur Einfahrt schließen. Morgen, pünktlich um acht, wird er wieder auf der Matte stehen. Noch. Denn: Die Tage von Deutschlands ältester Tanke sind gezählt. E 48 (Milz) "Wenn ich den Hof hier verlasse, isses vorbei. Steht fest. Weil: Heute is es so: Jeder, der nen Geschäftsbericht lesen kann, der wird sich ausrechnen: Hey, wie lange kann ich denn damit leben? Gar nich lange!" E 49 (Wußdorf) "Ja. Und nun?! (Milz) Und nu? (Wußdorf) Stunden der Tränen!" AUT Heißt nämlich Abschied nehmen. E 50 (Mann) "OK. Manni! Ich sach Tschüss!" AUT Wir auch. E 51 (Milz) "Watt soll ich sagen: So leb ich, so bin ich." -Ende Beitrag-