DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 28.05.2013 Redaktion: Ulrike Bajohr 19.15 - 20.00 Uhr Haiti Chérie - Das Geschäft mit der Hilfe Von Jenny Marrenbach Co-Produktion DLF/RBB/WDR URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Einspieler ATMO Lia und Kassandra SALUT...salut... MHH, CA SENT BIEN, QU-EST CE QUE C'EST? Cabri! Cabri! Oui, j'ai pas trouvé de poisson... C EST LE TEMPETE... Einspieler ATMO Lia und Kassandra ATMO Wir gehen langsam rüber... Kassandra singt: Je me souviens encore, de ma première femme/FEMME... non, je me souviens encore de la petit maison... CA C'ÉTAIT CHEZ VOUS... Oui, c'était chez moi. On avait cette pièce la, la chambre la... ATMO (Wir gehen langsam rüber...) Kassandra singt: Je me souviens encore, de ma première femme/FEMME...non, je me souviens encore de la petit maison... Sprecherin 1 (auf frz.)HIER HABT IHR GEWOHNT? Sprecherin 2 Ja, hier haben wir gewohnt. In dem Zimmer da drüben... Einspieler ATMO Atemgeräusche Sprecherin 1 Weiße Hände krallen sich in schwarze Haare. /Am Anfang hat er dafür gezahlt. Sprecher 1 Bleib bei mir. Einspieler Kassandra Pour moi, c'est pas... être avec un blanc c'est pas compliqué, c'est pas difficile non plus... Sprecherin 2 Für mich ist das nicht schwierig mit einem Weißen zusammen zu sein. Einspieler Kassandra ...parce-que je m'adapte vite quelque soit la personne, quelque soit la façon...(...) Sprecherin 2 Ich kann mich gut anpassen, egal woran. Sprecherin 1 An die großen Zimmer, die Dusche mit warmem Wasser, an Strom, den Gasherd. Sprecher 1 An den Fernseher. An Komfort. Sprecherin 1 An die Aussicht auf ein besseres Leben. An ein Haus, wie es früher die Kolonialherren bewohnten, und heute ihre Kindeskinder, die als Helfer gekommen sind. Einspieler Kassandra Leur façon de vivre et notre façon, que j'avais élévé, c'est pas la meme du tout. (...) Leur nourriture et la mienne, c'est pas la meme. (...) Mais j'aime quand meme. Sprecherin 2 Ich hab gemerkt, dass ihre Art zu leben und meine nicht dieselbe ist ... .das Essen...Aber ich mag es trotzdem. Sprecherin 1 Das Haus hat einen Hof. In der Mitte steht die einsame Skulptur eines unbekannten Haitianers und bleicht in der Sonne. Einspieler ATMO Straße Sprecherin 1 Ein schweres Rolltor schirmt den Einsamen von der Straße und einem Zeltlager ab, in dem vom Erdbeben Traumatisierte unter Plastikplanen schlafen./ Ansage: Haiti Chérie - Das Geschäft mit der Hilfe. Ein Feature von Jenny Marrenbach. Einspieler ATMO Auto Sprecherin 1 Ein Auto rumpelt über die löchrige Schotterstraße /mitten in der Hauptstadt / die das leergeräumte Haus von dem überfüllten Camp trennt. Einspieler Lyonel Trouillot Dans des autres pays ces gens des ONG ils auraient pris plein de baffes. Pour dire qu'il y a meme pas de terrorisme dans ce pays. Moi je dis que les Haitiens, si on veut chercher la civilisation, il faut venir la chercher ici. Parce-que vous voyez la pauvreté et à l'autre coté de la rue vous voyez la richesse absolue. Et les pauvres n'agressent pas les riches. Les Haitiens sont peut-etre trop civilisé. Sprecher 2 In jedem anderen Land hätten die Hilfsorganisationen längst eins in die Fresse bekommen. Wenn du auf der Suche nach echter Zivilisiertheit bist, dann musst du sie hier suchen. Du kannst hier auf der einen Seite der Straße die absolute Armut und auf der anderen die Welt der Reichen sehen. Und trotzdem gibt es keinen Terrorismus in unserem Land Sprecherin 1 Der Mann in dem Auto heißt Lyonel Trouillot. Er ist unterwegs zu einer Schule, um über Literatur zu reden. Einspieler Lyonel Trouillot Einspieler ATMO Straße/Verkehr Sprecherin 1 Zwei, drei Kilometer im Auto können Stunden kosten. / Keiner hält sich hier an Regeln. / Trouillot bleibt gelassen. / Ein Taptap-Fahrer mit einer Ladeflächen voll schwitzender Haitianer drängelt sich zwischen weiße Jeeps, den Autos der Hilfsorganisationen /Hunderte weiße Jeeps, alle sehen gleich aus. Die Nachrichten. Auch drei Jahre nach dem Erdbeben in Haiti geht der Wiederaufbau nur langsam voran. Wie die "New York Times" berichtet, wurden in dem Karibikstaat bislang über 7,5 Milliarden Dollar an Spendengeldern umgesetzt. Noch immer leben rund 350 000 Menschen in Notunterkünften. Das Blatt macht dafür gravierende Probleme bei der Koordination von Hilfeleistungen verantwortlich. In Haiti sind rund 400 Hilfsorganisationen angemeldet, mehrere Tausend betätigen sich inoffiziell. Einspieler Lyonel Trouillot APRÈS, JE ME SUIS DEMANDÉE DANS LEUR VISION D UNE HAITI DEVELOPÉE, CA SEMBLE À QUOI? Mais non, ils n'ont pas de vision d'Haiti déveloper. Mais ils ont besoin des pauvres. Ils ont besoin des pauvres. Ils ont besoin des pauvres pour se valeuriser eux, pour gagner l'argent qu'ils gagnent. Si Haiti se porte bien, voyez combien de personel des ONG seraient malheureux, ils devraient retourner dans leur petit ville en France, faire face à la réalité, chercher du travail qu'ils trouveront peut-etre pas avec la crise. Penser leur existence dans leur propre société, régler leur démélés avec leur famille, avec tout ca. Ici, c'est des vacances. C'est des vacances bien payées. (...) C'est des touristes Sprecherin 1 (über frz.)WAS HABEN DIE HILFSORGANISATIONEN EIGENTLICH FÜR EINE VISION VON HAITI? Sprecher 2 Aber das ist es ja, es gibt keine Vision. Sie brauchen die Armen, um sich selber besser zu fühlen und um ihr Geld zu verdienen. Das hier sind Ferien. Gut bezahlte humanitäre Ferien. Und sie sind die Touristen. Das ist ein Geschäft. Sprecherin 1 Langsam rollt das Auto am Ortsschild von Pétion Ville vorbei. In diesem Teil der Hauptstadt haben die Touristen, wie Trouillot sie nennt, ihre Wohnungen und Büros. Es gibt Hotels, Restaurants, Galerien - und dort oben auf dem Dach, / mit Blick über ganz Port-au-Prince/, eine Bar. Sprecher 1 Die Barak. Sprecherin 1 Ein Bier für drei Dollar./Dafür arbeitet ein Haitianer einen Tag. An den Wänden flimmert ein Tennisturnier über die Bildschirme. Einspieler Kassandra J'étais avec mes amis, mois aussi. Il était avec des amis. Et puis du coup, j'ai dansé avec mes amis, danser et puis après je me suis assise un peu. Sprecherin 2 Ich war mit meinen Freundinnen da. Und er mit seinen Freunden. Ich habe getanzt und mich dann zum Ausruhen hingesetzt. Sprecherin 1 Die Kunstlederstühle sind weiß. /Genau wie die engen T-Shirts der Kellnerinnen./ Einspieler Kassandra Puis il s'est approcher vers moi en disant que je suis très joli, très mignon... Sprecherin 2 Da ist er zu mir gekommen.... Sprecher 1 Du siehst sehr hübsch aus! Sprecherin 1 Ihre Haut ist ebenholzfarben und glatt, sie hat ein schönes Lächeln. 28 ist sie. /Kassandra. Die die Männer einwickelt. / Einspieler Kassandra ...qu'il veut prendre une bière avec moi. Sprecherin 2 ...hat gefragt, ob ich ein Bier mit ihm trinken möchte. Einspieler ATMO Barak Sprecherin 1 Am Nebentisch sitzt einer von den UN-Friedenssoldaten. Er bestellt noch ein Bier und starrt in sein Glas. /Und ab und zu auf Kassandras Hintern./ Ob er reden will? / Einfach mal über alles reden/ Aber ein Mann von der MINUSTAH darf nicht einfach mit einer Journalistin reden. Der UN-Sicherheitsrat hat das Mandat der internationalen Stabilisierungsmission "MINUSTAH" in Haiti verlängert. Derzeit sind rund 9000 Blauhelmsoldaten und haitianische Zivilpolizisten im Einsatz. Die Entscheidung wurde von Protesten aus der Bevölkerung begleitet. Einspieler ATMO Autofahrt Einspieler Louis Wilner Tout ces maisons qui ont été detruit, ont été detruit par les canons de MINUSTAH. Tout ces maisons...avec les canons de MINUSTAH. Sprecher 3 Alle diese Häuser hier sind von den Waffen der MINUSTAH zerstört worden. Sprecherin 1 Die Stadt der Sonne!/ Der gefährlichste Ort der Welt. Louis Wilner ist hier aufgewachsen und hat für die Stadt der Sonne eine eigene Hilfsorganisation gegründet. /Weil sich das hier sonst keiner traut./ Einspieler Louis Wilner Comme tu as vu dans ce maison la, beaucoup des trous, c'était les cartouches du guerre de MINUSTAH et des bandes ici... Sprecher 3 Wie du siehst, ist dieses Haus völlig durchlöchert. Sprecherin 1 Manche Löcher sind so groß, dass man seinen Arm durchstecken könnte. Einspieler Louis Wilner Parce-que le MINUSTAH utilisé de la grenade et des canons aussi. Sprecher 3 Denn die MINUSTAH haben nicht nur geschossen, die hatten auch Granaten. Sprecherin 1 Die Blauhelme!/ Einspieler Louis Wilner Cité Soleil c'est la commune le plus populer de tout les zones en Haiti, environ 350 milles habitant dans la commune de Cité Soleil. Sprecher 3 Cité Soleil ist die dichtest besiedelte Gegend Haitis, hier leben an die 350 000 Menschen. Sprecherin 1: Einer der größten Slums der westlichen Hemisphäre. Einspieler Louis Wilner Réelement Cité Soleil c'est un zone qui est dangereux. Parce-que les grandes du pays... Sprecher 3 Es ist gefährlich hier. Denn alle Machthaber... Sprecherin 1 Diktator Duvalier, Präsident Aristide,/die Amerikaner. Einspieler Louis Wilner ...ont donné des arms a feu au malheureux pour qu'ils travaillent pour eux. Sprecher 3 ...haben alle Waffen... Sprecherin 1 Alle? Sprecher 3 ...an die Armen verteilt, um damit ihre Macht zu sichern. Sprecherin 1 Alle! Einspieler ATMO Louis Wilner redet Sprecherin 1 Wilner erzählt, dass irgendwann mehr Waffen als Einwohner in der Stadt der Sonne waren und wie das war, 2004, als die Menschen aufgehört hatten, die Machthaber zu verteidigen und sich ihre eigenen Gesetze machten. Musik Sprecherin 1 Dann kam die MINUSTAH. Seitdem ist es ruhiger in Cité Soleil. Und die Häuser haben Löcher / und die Straßen seltsame Namen. Einspieler Louis Wilner Ici meme, c'est le carrefour de Dread Wilmer. Dread Wilmer, c'était le général en chef de cette zone qu'on vas passer ici, qui était un grand jouant. Lorsqu'on tire des cartouches powpow, les cartuches lui frappent, mails ils n'ont pas percé (lacht). Sprecher 3 Diese Kreuzung ist nach dem Grausamen Wilmer benannt. Er war der Bandenchef hier in der Gegend ...(lacht) Sprecherin 1 Vor einem der Häuser lehnt eine junge Frau ihren Kopf an das Treppengeländer. Sie hat sich den Pony zu einem Zopf gedreht und zwischen ihre Augen gelegt. / Wie ein Einhorn, das seine Kraft verloren hat./ Einspieler Choleraopfer Miville Mirlande Sprecherin 3 Am Anfang hatte ich Durchfall und Erbrechen. Als es irgendwann unerträglich wurde, bin ich zum Arzt gegangen. Aber die Cholera ist wiedergekommen. Ich war damals hochschwanger. Ich bin dann in ein privates Krankenhaus gegangen, wo die Behandlung sehr viel Geld gekostet hat. Heute habe ich nicht mehr dieselbe Energie, die ich vor der Krankheit hatte. Einspieler ATMO Radiosounds Die Choleraepidemie in Haiti breitet sich weiter aus. Die Zahl der Toten ist auf 7000 gestiegen, über eine halbe Million Menschen sind infiziert. Die Europäische Union stockt ihre Sofort-Hilfe auf 22 Millionen Euro auf. Eine Untersuchungskommission der UN hat als Ursache unzureichend entsorgte Fäkalien im Camp der nepalesischen MINUSTAH-Einheit ausgemacht. Die UN weisen jegliche Schadenersatz-Forderungen von Cholera-Opfern zurück. Einspieler ATMO Auto Einspieler Lyonel Trouillot Ce personnage qui est le président de la république a dit récemment il ne veut pas que la MINUSTAH s'en aille, parce-que si la MINUSTAH est la il sait qu'il ne sera pas sancontionné par un coup d'État. Sprecher 2 Dieser Typ, der sich jetzt unser Präsident nennt Sprecherin 1 Michel Martelly. Vor seiner Wahl: Sweet Mickey, Popstar. Sprecher 2 dieser Typ ...hat neulich gesagt, dass er auf keinen Fall den Abzug der MINUSTAH will. So kann er sich nämlich sicher sein, nicht aus dem Amt geputscht zu werden. Les ministres des affaires étrangères viennent de faire une déclaration constraire d'ailleurs à ce que disent les scientifiques eux meme dans laquelle ils innocentent complètement la MINUSTAH sur l'arrivé du Cholera en Haiti. Und dazu hat sein Außenministerium gerade verlauten lassen, dass die MINUSTAH völlig unschuldig ist am Ausbruch der Cholera in Haiti. Sprecherin 1 Lyonel Trouillot gehört zu den bekanntesten Kämpfern gegen die Ungerechtigkeiten in Haiti. Einspieler Lyonel Trouillot Qu'est-ce que je peux dire? Moi, je suis un citoyen Haitien qui ecrit. Sprecher 2 Was soll ich sagen? Ich bin ein Haitianer der schreibt. Einspieler Lyonel Trouillot Je fais un peu l'activisme culturelle. Avec des amis on a crée une fondation, une maison d'édition, beaucoup d'activité. Parce-que un des problèmes majeurs d'Haiti c'est le problème de la transmission - de savoir et savoir faire. Y a une appropriation par une petite groupe de richesse du pays, qui compris la richesse culturelle. Donc on essaie avec des amis de contribuer à diminuer un peu cette trop grand inégalité qui a dans tout les domaines dans ce pays. Je vais aller donner un cours de littérature. En classe seconde. Sprecher 2 Ich bin ein Kulturaktivist. Ich habe mit ein paar Freunden eine Stiftung und einen Verlag gegründet. Denn eines der größten Probleme in Haiti ist mangelnde Bildung. Nur eine kleine Gruppe Reicher hat Zugang zu unseren kulturellen Gütern. Wir versuchen, ein wenig gegen diese Ungleichheit anzukämpfen. Sprecherin 1 Und deshalb steht Lyonel Trouillot jetzt auch schon seit einer Stunde im Stau, / es ist so heiß!/ um zu dieser Schule zu kommen und etwas über Literatur zu erzählen. /Und die Klimaanlage ist kaputt, natürlich./ ATMO Sprecherin 1 Am Straßenrand stehen zwei Männer neben einem Haufen Säcke. / Zwiebeln / Der eine beugt die Knie, legt sein Kinn auf die schwarz glänzende Brust und stemmt sich einen Sack auf die Schultern. / 30 Kilo? Mehr? / Der andere bückt sich und lädt ihm einen zweiten Sack auf. Und einen dritten. / Wie weit kann ein Mensch so viele Säcke tragen?// Einspieler ATMO GESANG FRAUEN Sprecherin 1 250 km sind es von hier zu den Zwiebelfeldern in Jean Rabel. Einspieler Lusmane Julien, Vorarbeiterin Bas-fond Fond Lectune Sprecherin 3 Wir haben schon früher Zwiebeln gepflanzt, aber bei dem Zustand der Erde hatten wir keine guten Ernten. Sprecherin 1 Eine Gruppe Frauen mit bunten Kopftüchern befestigt mit Steinen einen kargen Hang für den Zwiebelanbau. Von hier kann man kilometerweit über blaues Meer blicken, aber die Erde unter den Händen der Frauen ist trocken und hart. /Wie ein altes Stück Brot./ Einspieler Lusmane Julien, Vorarbeiterin Bas-fond Fond Lectune Sprecherin 3 Wegen der Erosion wird die fruchtbare Erde hier sofort weggespült. Mit den Trockenmauern können wir das verhindern. Sprecherin 1 Die Idee mit den Trockenmauern und den Zwiebeln in Jean Rabel stammt von Rainer Schmid / Er ist mächtig stolz darauf /. Einspieler Rainer Ich bin schon seit zwölf Jahren in Haiti und nur in Jean Rabel und nirgendwo anders. (...) Es sind natürlich auch Jahre der Einsamkeit. Sprecherin 1 Als Rainer Schmid in Jean Rabel ankam, wohnten hier 5000 Menschen. Heute sind es doppelt so viele, und das hängt vor allem mit den Trockenmauern und den Zwiebeln zusammen. Weil der Staat nur bis kurz über die Grenzen von Port-au-Prince hinaus reicht und Jean Rabel im Norden liegt, hat Rainer Schmid hier die Dinge in die Hand genommen. Einspieler Rainer Wer bin ich eigentlich? Ich bin doch der einzige Europäer in einer Gruppe von 60 Mitarbeitern, die alles Haitianer sind. Sprecherin 1 In den letzten Jahren konnten immer mehr Kinder in die Schulen gehen, ein offenes Kanalsystem ist entstanden und abends leuchten vereinzelt solarbetriebene Laternen. Für Jean Rabel ist Rainer Schmid so etwas wie ein kleiner weißer Präsident, / aber das sagt er nicht / das sagt sein Fahrer Franz... Einspieler FRANZ Je pense à Jean-Rabel, Ms. Schmid c'est le meilleur. (...) Mais Ms. Schmid n'est pas le président du pays. Ms. Schmidt viens de Souabe. Lia Fotos FRANZ ALORS C'EST ONG QUI SONT L'ÉTAT? Oui, c'est ONG qui sont l'état en Haiti. (...) Mais qui est l'état Haitien? L'état est plus mal. L'état shhhht. Le MINUSTAH shhhht. (...) Sprecher 4 In Jean Rabel ist Ms. Schmid der Beste! Aber leider ist Ms. Schmid nicht der Präsident von Haiti. Ms. Schmid kommt aus Schwaben. Sprecherin 1 Einmal im Monat fahren Rainer und Franz nach Port-au-Prince. Franz geht dann nach Hause /seine Frau mit dem kranken Bein und die Kinder besuchen/. Rainer geht in das beste Hotel der Stadt. Einspieler Rainer Die Villa Créole ist das einzige Hotel in ganz Haiti, wo ich kenne, wo es Badewannen gibt. Einspieler ATMO Brasilero Band Sprecherin 1 Nach einem ausgiebigen Bad kommt der Hunger. Im Restaurant Brasilero gibt es Froschschenkel. / Koloniales Sonderangebot./ Dazu spielt eine Band in weißen Hemden. Einspieler ATMO Brasilero Bar Sprecherin 1 An der Bar sitzt ein junger Mann. Auf den Rum- und Whiskyflaschen hinter dem Tresen kleben kleine Zettel mit Vornamen und den dazugehörigen Hilfsorganisationen./ Der junge Mann /alle hier können seinen Namen lesen, aber im Radio will er nicht genannt werden / ruft dem Barkeeper seine NGO zu, kriegt seine Flasche und schenkt sich ein. Er ist jetzt seit anderthalb Jahren hier, kontrolliert die Finanzen seiner Organisation und ein paar einheimische Mitarbeiter. Einspieler Andy Ich glaube, bei den Haitianern muss man ein bisschen zeigen, dass man lange hier bleibt, und ich glaub, bei mir ist`s so, ich hab halt am Anfang versucht Kontakte zu knüpfen und hab's nicht geschafft in meinen ein, zwei Monaten und hab dann aufgegeben. (Nachrichten) Eine Mitarbeiterin des Deutschen Roten Kreuzes beklagte gegenüber unserem Sender, Haiti sei zu einem must-have im Lebenslauf karriereorientierter Entwicklungshelfer geworden. Gut ausgebildete junge Männer und Frauen kämen auf der Suche nach Arbeit für ein paar Monate, um ihr Französisch aufzupolieren und in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen. Die meisten seien völlig unzureichend auf die komplexen Probleme der haitianischen Gesellschaft vorbereitet. Einspieler Andy Und dann hat man irgendwie Kontakte mit Expats hergestellt und dann ist es irgendwie einfach, weil mit denen hat man auch das gleiche Schicksal ...Man hat Geschichten, die man sich erzählen kann, viel mehr Gemeinsamkeiten halt als mit Haitianern. Sprecherin 1 Die Geschichten der Expats handeln oft von der Zukunft. /Was man sich später mal kaufen will. Hier kann man ja kaum Geld ausgeben, bei den paar Geschäften. Die Gehälter haben die Preise für Wohnen und Essen in unwirkliche Höhen getrieben; 1000 Dollar im Monat für ein Zimmer, 10 für eine Salatgurke - und trotzdem.../ Die meisten sparen für die Zeit nach ihrem Einsatz. So kehren die Spendengelder wieder an ihren Ursprung zurück. Einspieler Andy Ich glaube das, was man sich am wenigsten vorstellen kann, ist eben das Leben in gated communities, also dieses Leben hinter großen Mauern. Ich steige in ein Auto am Morgen, fahr zur Arbeit, da warte ich am Tor, hupe, bis ich reingelassen werde und mein Büro ist auch wieder hinter hohen Mauern. Also man verbringt eigentlich sein ganzes Leben hier hinter Mauern... Sprecherin 1 ...mit Glasscherben und Stacheldraht drauf. Einspieler Andy Das ist sicher eine ziemlich große kulturelle Sache, dass die Leute halt, aus meiner Sicht, einfach nicht nett sind. Sprecherin 1 Der junge Mann windet sich, als er das sagt. Einspieler Andy Ich muss das erklären: Also die sind nicht per se nicht nett, aber (...) man kriegt sehr wenig ein Lächeln von Leuten. Oder ein Dankeschön, also ein Merci. Einspieler Andy Wo ich einfach gedacht hab: Ja, was ist denn mit den Leuten hier los? Sprecherin 1 Ja, was ist denn hier los? Einspieler Andy Man trifft halt immer wieder dieselben Leute und man feiert halt die Partys. Weil man halt nicht viel hat, hier gibt's am Wochenende die Partys, wo man hingeht, das ist ungefähr immer von 8-2. Sprecherin 1 Auch Kassandra hat diese Expat-Partys öfter besucht. Einspieler Atmo Kassandra, französisch Sprecherin 1 Die Villa ist weiß, luftig und mit einer eleganten Mischung aus Mosaiken, Säulen und haitianischem Kunsthandwerk geschmückt. Hier wohnen zwei Männer und eine Frau, alle Ende 20. / Dazu: Köchin, Putzfrau, Wächter /. Die Tanzfläche im Garten liegt direkt neben dem geschwungenen Pool. Einspieler Andy Man versucht sich nicht zu viele Gedanken darüber zu machen, dass es eigentlich ziemlich grotesk ist, dass wir in ner riesigen Villa jetzt ne Party feiern, währenddessen immer noch 350 000 Leute in dieser Stadt in Zelten wohnen. Einspieler ATMO Expatparty Sprecherin 1 Drinnen schneidet ein Partygast eine Limette für seinen Rum Sour und tunkt die Finger in braunen Rohrzucker. Einspieler José It was just a desire to help in one way or another. We would do distributions of NFI - non food items. Plastic sheets, soap, cooking stuff. And it was very visible there. (...) And then for the rest of the day maybe, when you were driving away from the distribution you can see people walking around the streets with these boxes with the Save the Children logo going into the camps and so on. And that was very rewarding. Sprecher 4 Ich wollte einfach nur helfen. Am Anfang haben wir Sachen verteilt - Plastikplanen, Seife, Kochtöpfe. Wenn man abends nach Hause gefahren ist, konnte man die Leute beladen mit unseren Kisten in die Camps gehen sehen. Das hat sich sehr gut angefühlt. (Nachrichten) In Haiti hat das "Aktionsbündnis Deutschland hilft", ein Zusammenschluss von 17 NGOs, mit der Verteilung von Lebensmitteln begonnen. Sicherheitskräfte überwachten die Aktion in Port-au-Prince, bei der es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen unter den Wartenden kam. Einspieler José Emergency response has a very exciting aspect to it. (...) Whereas in development it's just all a bit slower. It's become a little more difficult to see where one's efforts are going. What one's work is actually leading to in my opinion. And I suppose it's pas of...what makes development development. But it does become frustrating sometimes. Sprecher 4 Nothilfe ist aufregend, während es in der Entwicklungshilfe alles langsamer läuft. Man sieht nicht mehr so schnell Resultate und fragt sich, was seine Arbeit eigentlich bringt. Das gehört wohl dazu, aber es kann ganz schön frustrierend sein. Einspieler ATMO Expatparty Sprecherin 1 Um seinen Frust abzureagieren geht der junge Mann jetzt auf die Tanzfläche. Dann ist es 2 Uhr, Security Curfew. Sperrstunde für Entwicklungshelfer. /Das Leben ist kein Spaß hier/ Einspieler ATMO Regen Sprecherin 1 Die nächsten vier Tage regnet es. / Die Straßen verwandeln sich in Seen, Seen voller Matsch und Scheiße. Einspieler ATMO Auto fährt ab/ Regen Einspieler ATMO Regen hört auf Einspieler ATMO Vogelgezwitscher/Musik Film Ghosts of Cité Soleil/Gähnen Sprecherin 1 In seinem ausgebauten Container an der Straße zum Flughafen wacht Sam auf und prüft, ob der Matsch vor seinem Fenster endlich versickert ist. Einspieler ATMO Vogelgezwitscher/Musik Film Ghosts of Cité Soleil/Gähnen Sprecherin 1 Um sich die Zeit zu vertreiben, hat er immer und immer wieder diesen Film über die Gangster aus der Stadt der Sonne geguckt. Er kennt ein paar Graffititypen von da, sie haben das Logo seiner Hilfsorganisation auf das Eingangstor des Geländes gesprayt. / Weil sie manchmal bei ihm rumhängen denkt er, sie respektieren ihn mit seinen blonden Dreadlocks. Einspieler Sam We find rather than just throwing money at the problem we find, typically we get our work done with otherwise overlooked resources. (...) Some of the larger entities and models they come in and just throw money at the problem, whereas we work more with the communities and local ressources to get done what it is we need to get done. Sprecher 4 Wir denken, es ist besser, mit den vorhandenen Ressourcen zu arbeiten, als einfach Geld auf die Probleme zu schmeißen. Das ist es nämlich, was die großen Hilfsorganisationen machen. Wir gucken uns lieber an, was schon da ist und machen dann das, was gemacht werden muss. Einspieler ATMO Vogelgezwitscher/Musik/ Einspieler ATMO Gerede Steven Renner Sprecherin 1 Zusammen mit seinem Kollege Steven - und ein paar Praktikantinnen aus Amerika, die stehen auf so was - hat Sam eine kleine heile Welt mitten im Chaos von Port-au-Prince geschaffen. Vor einem futuristischen Gebäude bleibt Steven stehen. Einspieler Steven Renner It's built as much as possible out of recycled material and uses very alternative architectural design. The main portion is round and with a dome on the top. And the entire dome is designed for rain catchment, which all goes into a systern and that cystern power a bucket-shower. The water that comes out of the whower goes into a reusement tank under the ground, when that fills up enough, that water then goes into another tank which then can be used to power the toilet. Sprecher 4 Das ist fast komplett aus recyceltem Material gebaut und hat eine ausgefallene Architektur. Das Haupthaus ist rund, mit einer Kuppel oben drauf. Die fängt den Regen auf, der geht dann direkt in eine Zisterne für die Dusche. Und mit dem Abwasser spülen wir dann die Toilette. Einspieler Steven Renner Most of our Western visitors think that it's absolutely fantastic, but Haitians are apparently used to square buildings. Sprecher 4 Die meisten Leute aus dem Westen finden es absolut fantastisch. Die Haitianer sind anscheinend eher daran gewöhnt, in eckigen Häusern zu wohnen. Sprecherin 1 Richtige Häuser aus Stein finden sie schön. Häuser aus Müll gibt es ja schon. Einspieler ATMO Auto Einspieler cité soleil, Wilner spricht auf Créole Einspieler cité soleil Wilner La on trouve le decharge national. L'endroit ou tout les communes XXX jette le fatra. Sprecher 3 Hier wird der Müll aus ganz Port-au-Prince abgeladen. Sprecherin 1 Über die Hügelkette aus Müll am Rande der Stadt der Sonne kraxeln vier nackte Kinder mit prall aufgeblähten Bäuchen. Nachrichten: Ein Sprecher des katholischen Hilfswerks Adveniat hat sich besorgt über die Situation der Kinder in Haiti geäußert. Auf der Karibikinsel leisteten bis zu einer halben Million Kinder in fremden Familien Zwangsarbeit. Das verheerende Erdbeben im Januar 2010 hat Tausende Waisen zurückgelassen. 40 Prozent der Kinder hätten keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen oder sauberem Trinkwasser. Einspieler ATMO cité soleil Autofahrt...wir halten an... Wilner spricht auf Créole..."président". ILS ALLONS VENIR AVEC NOUS? Oui, sans lui on ne peut pas montrer la bas. POURQUOI? C'est lui le responsable, qu'un étrangère arrive sur le site pour faire des photos sans autorisation. Sprecherin1 (auf frz.)KOMMT ER MIT UNS? Sprecher 3 Ja, ohne ihn können wir nicht aussteigen. Sprecherin1 (auf frz.)WARUM? Sprecher 3 Weil hier keiner ohne seine Genehmigung Fotos machen darf. Er ist der Verantwortliche. Einspieler cité soleil ATMO AUTO Ok, arreter ici. La... ATMO aussteigen Einspieler cité soleil ATMO Begrüßung BONJOUR, C EST JENNY Sprecherin 1 Louis Wilner und der Mann, den er "Präsident" nennt, gehen voraus. Sprecher 2 In diesen Hütten wohnen etwa 300 bis 400 Familien. Comme vous voyez ici c'est la maison ou les gens habitent... ...BONJOUR... ...vous voyez réellement... (...) c'est Sandy qui a laissé ce bout ici... JA, C EST SANDY. Oui, ca c'est frappé très fort, comme tu vois l'eau est monté jusqu'au trace... ...C EST PRESQUE UN MÈTRE... ...presque un mètre... ILS ONT FAIT COMMENT DEDANS ? Ah, durant 4 jours les gens se dispersent, se laisse leur maison pour rester chez des voisins. Sprecherin 1 ...ATMO... (auf frz.) DAS IST ALLES MATSCH UND DRECK... Sprecher 3 ...hier sieht man wie die Menschen wirklich leben... ...BONJOUR... Sprecher 6 ...dieser ganze Dreck hier ist von Hurrikan Sandy... Einspieler... JA, C'EST SANDY... Einspieler cité soleil ATMO / Müllwagen Einspieler ATMO Wasser Sprecherin 1 Ein graues Rohr, eine Hand breit, ragt aus dem festgestampften Müllboden. Die Kinder mit den leeren Augen haben auf ihrer Wanderung eine alte Plastikflasche gefunden und ein Loch hineingeschnitten. An einen Stock gebunden lassen sie die Flasche in das Rohr und schöpfen Wasser. Sprecher 3 Das hier ist das Wasserloch, mitten auf dem Müllberg. Hier holen die Leute ihr Wasser zum Trinken, Waschen und Kochen her. Einspieler cité soleil wilner louis Presque tout les gens ici ont un maladie qui s'appele infection. Ca veut dire infection vaginal. Meme les femmes d'ici, les filles, les petites enfants ont cette maladie. Et meme les garçons ont cette infection aussi. C'est par rapport avec l'eau qui sers. Il y a le XXX qu'on appelé le cholera. Le cholera qui a ravager beaucoup ici, beaucoup des gens qui attrape le cholera. EST_CE QU'IL Y A DES TOILETTES QUELQUE PART? Pas de toilettes. C'est le problème. Aller à libre. ALLER A N'OMPORTE OU? N'importe ou. C'est le problème. (...) Et c'attaque l'eau. Sprecher 3 Alle Menschen sind von dem Wasser hier krank. Die Frauen und die kleinen Mädchen haben alle Vaginalinfektionen. Und auch die Männer haben Entzündungen. Und es gibt die Cholera, daran sind besonders viele erkrankt. Sprecherin 1 (auf frz.)GIBT ES HIER DENN IRGENDWO TOILETTEN? Sprecher 3 Nein, das ist das Problem. Die Leute machen einfach irgendwo hin. Sprecherin 1 (auf frz.) IRGENDWO HIN? Sprecher 3 Und das kommt dann ins Wasser. Einspieler Cité Soleil 7 Wilner Louis ET IL AVAIT DÉJÀ DES PARTENNAIRES QUI SONT VENU, DES ONG? Qui venez...visiter seulement. Visiter seulement. Ils sont en courant, parce-que moi j'ai fait un petit video sur plusieurs quartiers. Moi J'ai fait la montage video et je viens ici prenne des prises de video et publier sur youtube et XXX et donner au partennaires comme OIM, comme meme l'état Haitien, mais ils ont rien faire. Ils disent qu'ils n'ont pas d'argent pour ce gens des activities et tout ca tout ca tout ca. Je ne sais pas est-ce qu'ils n'ont pas de volonté ou est-ce qu'ils n'ont pas des moyens. Mais seulement, ils n'ont rien fait. Sprecherin 1 (auf frz.)GIBT ES HILFSORGANISATION DIE SCHON HIER WAREN? Sprecher 3 Es waren welche da. Sie wissen über die Situation Bescheid, ich habe ein kleines Video gedreht und es an alle verschickt, auch den Staat. Aber es ist nichts passiert. Sie sagen, sie haben kein Geld für so was. Aber ich frage mich, ob sie kein Geld haben oder keinen Willen. Sprecherin 1 Und dann dreht Louis Wilner seinen Kopf und zwei dunkle Augen durchbohren dich. / Er hat auf diesen Moment gewartet, den ganzen Weg lang. / Er hat dir das Elend gezeigt und vom Versagen der anderen erzählt. Und jetzt wollen seine Augen wissen, was DU dagegen tun wirst. Einspieler cité soleil 7 ATMO MÜLLWAGEN ICH STAMMEL: MAIS, JE PEUX PAS FAIRE... ...aucune promesse... ...JE TRAVAIL POUR LA RADIO... ATMO DURCHEINANDERGEREDE ...MAIS, JE PEUX PAS FAIRE... Sprecher 3 ...keine Versprechen, ich weiß... Sprecherin 1 (auf frz.)...ICH ARBEITE FÜR DAS RADIO... ATMO Durcheinandergerede Sprecherin 1 /n diesem Moment wünschst du dir ein Mikro, groß genug, um dich dahinter zu verkriechen./ Einspieler cité soleil Touissant: Laisse moi dire une chose... GESPRÄCH AUF CRÈOLE, endet mit: C'est vous cap qua fait, c'est pas elle. Raison: Il y a beaucoup des blancs qui sont venu ici...chaque jour..et lorsqu'il viennent ici, prennent de vidéo, prennent des photos, faire des interviews, et âpres? Rien. Maintenant les gens qui travaillent sur la décharge ont ennervé avec ceci. Maintenant ils ne voulais pas. Ils ne voulais pas ce gens d'activité la. Ils peuvent parler avec des Haitiens, pas de problème. Mais avec des étrangères, non. Trop des interviews. OK, C'EST BIEN, OK. Ich will mal was sagen... ATMO CRÉOLE: Sprecher 4 Es gibt viele Weiße die, hier herkommen...jeden Tag...sie kommen, machen ein paar Fotos, stellen ein paar Fragen, drehen ein kleines Video...und dann? Nichts! Die Leute, die im Müll leben, haben keine Lust mehr, mit euch zu reden. Es gab schon zu viele Interviews. Einspieler (Fetzen von Nachrichten...) Einspieler ATMO Soundgemisch/ AUTO Sprecherin 1 Du sitzt auf einem Brett, das auf die Ladefläche eines alten Pick-ups geschraubt ist und fährst zurück in deine Unterkunft. /Es stinkt./ Neben und vor dir sitzen noch 14 andere Menschen. / Es ist heiß. / Eure Rücken drücken gegen den buntbemalten Eisenkäfig, der vor der Sonne schützt. Verschwitzte Arme glitschen bei jedem Schlagloch aneinander. Einspieler ATMO Sprecherin 1 Schweißtropfen rinnen an deinem Körper entlang. Die Hitze, der Lärm, der Dunst der Straße lullen dich ein. Du wunderst dich, wie unbeteiligt die 14 Gesichter sind, die hier auf zwei Quadratmetern zusammengepfercht sind. // Die gucken alle so, als ob nichts wär! / Dann wirst auch du zu schwach, um deinem Gesicht noch eine Gefühlsregungen abzuringen. Erschöpft lehnst du deinen Kopf an das Gitter und schaust nach draußen. Einspieler ATMO Sprecherin 1 / Ja.... /Es ist.../ Es ist zu laut.../ Ein Mensch kackt auf die Straße. Die Kacke trocknet in der Hitze, zerfällt in kleine Staubkörnchen und wird vom Wind durch die Straßen getrieben. Sie vermischt sich mit den Abgasen von gestrecktem Diesel und Rauch aus brennenden Abfallhaufen. Sie schwimmt in den Schweißtropfen auf deiner Stirn und zeichnet schwarze Ränder unter die Fingernägel. Einspieler ATMO Generator Sprecherin 1 Und dann kommst du in deine Unterkunft und die Stromversorgung ist schon wieder zusammengebrochen. / Und jemand hat diesen verdammten Generator angestellt. Einspieler ATMO Generator Sprecherin 1 Du schließt alle Fenster, ziehst die Gardinen zu. Stellst dich unter die Dusche / unter sauberes Wasser / stopfst dir Ohropax in die Ohren. Du wickelst einen Schal um dein Gesicht und setzt die großen Kopfhörer auf. Dann verkriechst du dich unter deinem Bettlaken, unter dem Moskitonetz. Einspieler ATMO Kassandra + Bea Einspieler ATMO Klopfen Sprecherin 1 Kassandra ist da, sie will ihre beste Freundin Bea vorstellen. /Du hattest versprochen zu kochen./ Einspieler ATMO Kassandra + Bea Einspieler Bea En Haiti il y a toujours des ONG. Depuis 2004. Je connais des ONG qui n'arrete pas à rentrer en Haiti. Mais pour moi, la solution d'Haiti c'est l'occupation. Voilà. C'est tout. COMMENT CA? Avoir une gouvernement étrangère. Soit américaine...de n'importe quelle pays. Éuropéen, américaine...parce-que je peut dire: Non, Haitiens, on ne peut pas nous diriger. Voilà. On ne peut pas nous organiser. Sprecherin 3 In Haiti gab es schon immer Hilfsorganisationen, ich kann mich an gar keine andere Zeit erinnern. Aber ich sehe eine Lösung eher in einer Besatzung. COMMENT CA? Sprecherin 3 Die Besatzung durch ein anderes Land, Amerika oder Europa...das ist egal. Ich kann nur sagen: Wir können uns nicht selbst organisieren. Einspieler Kassandra/Bea Je veux un occupation...moi pas des États-Units...ou les européens et les américaines peuvent mettre ensemble pour occuper Haiti, parce-que les deux veuillent le meilleur pour Haiti...moi, si j'aimerias avoir une occupation c'est française. Moi les deux. Ce trois pays: France, Suisse, Allemagne. (...) MAIS VOUS PENSEZ PAS SI PAR EXAMPLE L'Allemagne, LA France ET LA SUISSE VIENNENT EN HAITI POUR OCCUPER LES PAYS, QU'IL VIENNENT AVEC DES IDEES COMPLETEMENT DIFFERENT ? On n'as pas le problème, c'est ca qu'on veut. On n'as pas le choix. (...) Apart l'esclavage...mais maintenant on est toujours...j'ai pensée l'abolition de l'esclavage est fini, il y a des année, mais maintenant on est toujours...d'esclavage. On n'a pas des chaines tout ca, mais on est toujours... ET VOUS PENSEZ QUE UN OCCUPATION VAS VOUS LIBERER DES CHAINES ...ah oui, on peut. (...) Si on avait accepter l'occupation française aujourd'hui, on serai comme Guadeloupe, Martinique, La Guiènne...tu t'imagine 206 ans, la première république noir indépendante, 206 ans. On est le pays le plus pauvre. Pas de changement, rien du tout. Mais si n'avait pas pris notre liberté, on serais comme la Guadeloupe, Martinique, St.Martin maintenant. On aurait pu être un république française aussi. Comme eux. Sprecherin 2 und 3 Wenn wir damals französische Kolonie geblieben wären, ginge es uns heute wie den Leuten in Guadeloupe oder Martinique. Überleg mal, 206 Jahre... wir sind die erste unabhängige schwarze Nation...und wir sind eins der ärmsten Länder der Welt. Nichts hat sich für uns verändert. Wenn wir unsere Freiheit nicht erkämpft hätten, wären wir heute auch ein Teil von Frankreich und könnten so sein wie ihr. Einspieler ATMO Dinge rauschen am Auto vorbei, dringen durch die halbgeöffnete Scheibe ein Einspieler Lyonel Trouillot Le point de vue majoritaire Haitien n'est pas cela (OCCUPATION), mais bien sur dans la marge, des jeunes gens, des jeunes filles qui ont le rêve, c'est de partir par connection via ONG. En fait c'est une forme de prostitution... En fait c'est une forme de prostitution. (...) Sprecher 2 Die meisten Haitianer sehen das nicht so, aber es gibt immer ein paar junge Frauen, die von nichts anderem träumen, als über einen der Helfer hier rauszukommen. Einspieler ATMO Atemgeräusche Kassandra/SPRECHER Sprecherin 1 Kassandra / die die Männer einwickelt / träumt auch davon. Deshalb verkauft sie ihren Körper./ An einen von euch, wie sie es sagt. Einspieler ATMO Atemgeräusche Kassandra/SPRECHER 1 SPRECHER 1 Aber ohne Kondom! Natürlich weiß ich, dass sie schwanger werden kann. Aber das wird sie schon nicht. Nachrichten: Die UNO hat mehr als einhundert sri-lankische Blauhelmsoldaten aus Haiti abgezogen. Sie sollen gegen Bezahlung sexuelle Kontakte auch mit Minderjährigen gehabt haben. Einspieler ATMO s.o. Einspieler Lyonel Trouillot On voit tout de suite l'échange inégal. Tu me donnes la baise(sexe) et je te donne le statut. Sprecher 2 Es ist ein entwürdigendes Tauschgeschäft: Sex gegen Status. Einspieler Lyonel Trouillot Vous verrez rarement qqn qui travaille dans une ONG qui sort avec une Haitien du meme statut sociale, que cette personne la. Sprecher 2 Man sieht so gut wie nie einen Helfer, der mit einer Haitianerin vom selben sozialen Statut ausgeht. Einspieler ATMO s.o. Einspieler ATMO Atmen/ Ausgehmusik oder Musik aus dem Brasilero Sprecherin 1 Als Kassandra aufgehört hatte, Geld zu nehmen, ging sie mit in die Restaurants, wo es Froschschenkel gibt und wo Zettel mit Namen an den Rumflaschen stehen. Sie lernte Billard spielen. / Billard! Und dann kam der Alltag. /Alltag in Haiti. Einspieler Kassandra Oui, il avait des soucis, il avait quelques petits soucis. (...) Sprecherin 2 Ja, es gab da ein paar kleine Probleme. Es lief nicht so richtig... SPRECHER 1 Ich hab ihr einen Computer gekauft, aber sie spielt immer nur Solitär. Wenn sie nicht bei mir ist, schläft sie mit anderen Männern. Glaube ich. Einspieler ATMO Atemgeräusche - Atem anhalten Einspieler Kassandra J'attendais mes reglès, mais au fin du mois c'est passé rien du tout. Sprecherin 2 Ich hab auf meine Regel gewartet, aber am Ende des Monats ist nichts passiert. SPRECHER 1 Scheiße. Einspieler Kassandra Je lui dit: Moi, je vais le garder. Du coup il m'as dit de penser. Il m'as demander: Vraiment, est-ce que c'est ca que je voulais? J'ai dit: Mais je voulais pas ca, mais si ca arrive...je le veux. Du coup il est parti, il m'as dit: Bon, pensez-y, pensez-y. Après un mois, deux mois, il avait pas de choix. Sprecherin 2 Ich habe ihm gesagt: Ich werde das Baby behalten. Er hat gesagt: Ist es wirklich das, was du willst? Da habe ich gesagt: Es war nicht geplant, aber wenn es jetzt so ist, dann will ich es auch. SPRECHER 1 Scheiße. Einspieler ATMO s.o. Einspieler ATMO Auto Einspieler Lyonel Trouillot Ecoutez, le but, je sais pas. Le but je sais pas. Moi je suis une vieux Marxiste, je vais pas juger les gens sur les idéaux qu'ils proposent ou qu'ils proclament. Je les juge sur leur pratique. La pratique des ONG c'est d'abord la reproduction sociale de certain nombres des personnes venu de l'Occident. C'est d'abord ca. VOUS PARLEZ D'UN ECONOMIE ONG? Y a une économe ONG. Evidement. Sprecher 2 Das Ziel des Ganzen? Ich weiß es nicht. Ich bin ein alter Marxist und ich beurteile die Menschen nicht nach ihrem Gerede, sondern nach ihren Taten. Die Leute von den Hilfsorganisationen kümmern sich zu allererst um sich selbst. Ein Geschäft mit der Hilfe. Das ist doch offensichtlich. Einspieler ATMO Autofahrt Einspieler Lyonel Trouillot C'est un pays aujourd'hui ou les jeunes paumés du monde occidental viennent chercher leur bonheur sur tout les formes. (...) Et puis finalement, comme ce sont des gens qui n'ose pas faire la politique dans leur pays pour changer la réalité de leur pays, ils viennent chercher un semblant de conscience sociale ici en faisant semblant d'aider des Haitiens. Ecoutez, la je vais donner cours dans une école secondaire ou il y a des problèmes pour trouver des enseignants. Pourquoi ? Parce-que quand l'état Haitien fonde gratuitement les écoles normales supérieures, un ´état pauvre l'état Haitien, des jeunes gens qui devraient enseigner au secondaire, les salaires que leurs offrent les ONG est 5 ou 6 fois supérieur qu'ils peuvent gagner dans leur enseignement. Donc on pert nos enseignants. Après on aura des ONG qui viennent nous aider à rendre les enseignants à être plus performant. C'est ca la réalité. Sprecher 2 Die Menschen aus dem Westen versuchen bei uns ihr Glück zu finden. Aber das sind Leute, die sich nicht trauen, die Realität in ihrem eigenen Land zu verändern. Also kommen sie hier her und beruhigen ihr soziales Gewissen indem sie so tun, als ob sie Haiti helfen würden. Wir fahren hier gerade zu einem Literaturkurs an eine Schule, an der es nicht genug Anmeldungen gibt. Warum? Weil die Gehälter, die junge Haitianer bei Hilfsorganisationen verdienen, 5- bis 6 Mal höher sind als die, die sie beim Staat mit ihrem Abschluss verdienen können. Also meldet sich keiner mehr zur weiterführenden Schule an. Und dann kommen die Hilfsorganisationen mit ihren Kursen zur Weiterbildung. So sieht die Wirklichkeit aus. Nachrichten Das Kinderhilfswerk Unicef startete in Haiti eine Bildungskampagne für über 700 000 Kinder. Rund 500 000 Schüler sollten in Zelten unterrichtet werden, mehr als 220 000 Kleinkinder provisorische Spiel- und Lernmöglichkeiten erhalten, teilte Unicef in Köln mit. Einspieler ATMO Lyonel Trouillot Nous y sommes AUTO HÄLT AN, WIR STEIGEN AUS Einspieler ATMO Eingangsbereich Schule Trouillot MAIS C'EST UNE ÉCOLE QUI EST FAIT SANS L AIDE DES ONG? Sprecherin 1 (auf frz.) IST DIESE SCHULE HIER OHNE HILFSGELDER GEBAUT WORDEN? Sprecher 2 Ja, komplett...Ah, da ist der Schulleiter...hör mal, diese Journalistin hat die Dreistigkeit zu fragen, ob deine Schule mit Hilfsgeldern gebaut wurde...(lacht) ATMO allgemeines Lachen und Winseln meinerseits Einspieler ATMO Unterricht Sprecherin 1 Die Kinder mögen Lyonel Trouillot. Auch wenn sein Telefon ständig klingelt und er eine Mentholzigarette nach der anderen raucht / vielleicht gerade deswegen/. Die meisten hier haben schwarze Haut. Nur bei ein paar wenigen schauen hellere, karamellfarbene Arme und Beine aus den blassblauen Uniformen hervor. Einspieler Kassandra J'aime beaucoup des mestices. Pour moi, j'ai toujours dit à mes amis que je veux améliorer ma race. Oui, j'ai toujours dit ca. Sprecherin 2 Ich finde Mestizen besonders schön. Ich habe immer zu meinen Freundinnen gesagt: Ich möchte meine Rasse verbessern. Sprecher 1 Aber MEIN Kind soll nicht in Haiti geboren werden! Einspieler Kassandra Et puis du coup j'étais allé à l'ambassade pour demander un visa. Il y a sa mère qui m'as envoyé un attestation d'acceuil, mais on m'as pas donné le visa. Sprecherin 2 Ich bin zur Botschaft gegangen, um ein Visum zu beantragen. Seine Mutter hatte mir eine Einladung geschickt, aber sie haben mir das Visum trotzdem nicht gegeben. Einspieler Kassandra Du coup il m'as dit: "Bon, c'est pas grave, il vas rester pour mon accouchement. Il vas tout XXX au XXX se marier. (lacht) J'étais très content. J'étais heureuse. J'ai pleurait le jour. (lacht). Sprecherin 2 Also hat er zu mir gesagt: Wir werden alles versuchen und sonst heiraten wir eben (lacht). Ich war sehr glücklich. An diesem Tag hab ich vor Glück geweint (lacht). Sprecherin 1 Aber das Visum ist nicht gekommen. Einspieler ATMO Babygeschrei Sprecherin 1 Und dann kam das Baby. Ein Junge, er heißt Leo. Einspieler Kassandra Il est un bon Papa. J'ai pensé pas ca pour moi. Er ist ein guter Papa, das hätte ich nicht gedacht. Sprecherin 1 Aber als nach ein paar Wochen noch immer kein Visum da war, hat er seinen Sohn genommen und sich mit ihm in ein Flugzeug gesetzt. Das war vor acht Monaten. Der kleine Leo wächst im Dorf seiner Großeltern in Frankreich auf. Kassandra wohnt bei ihrer Tante in Port-au-Prince und wartet immer noch darauf, dass die Botschaft anruft. Und dann sagt sie noch was... Einspieler Kassandra Des que l'ambassade m'appelera très bientôt, ca se peut que je deplace avec elle. Sprecherin 2 Ich hoffe, dass ich meine Tochter mitnehmen kann, wenn die Botschaft endlich anruft. Sprecherin 1 Kassandra hat eine neunjährige Tochter. Bei ihrer Geburt war sie selbst noch ein Kind. Einspieler Kassandra Ca se peut aussi que je ne peut pas. ET TU FAIS QUOI SI TU PEUX PAS? Si je ne peux pas, peut-etre je vais la laisser confait une personne. T'AS UNE PERSONNE ICI QUI PEUT GUARDER TA FILLE? Oui, une ami, une famille. Sprecherin 2 Es kann aber auch sein, dass sie nicht mit kann. Sprecherin 1 (auf frz.)UND WAS MACHST DU DANN? Sprecherin 2 Dann lasse ich sie hier, bei jemandem der aufpasst. Sprecherin 1 (auf frz.) HAST DU JEMANDEN DER SICH UM DEINE TOCHTER KÜMMERN KANN? Sprecherin 2 Ja, eine Freundin oder jemand aus der Familie. Einspieler Kassandra ET T'IMAGINE L'EUROPE COMMENT? J'imagine comme moi...ce sont des pays avec beaucoup de sécurité, que je peux vivre en paix, voilà. (...) Les gens se respectent. DE FOIS De fois, pas tout le temps. Mais pas comme ici. Pas comme ici. On appelle ca comment? Le droit, le droit...il y a un facon comme (...). Quand un person fait quelquechose et puis tu est contre la person... LE DROIT DE L'HOMME? Le droit de l'homme, voilà. . Sprecherin 1 (auf frz.)UND WAS VERSPRICHST DU DIR VON EUROPA? Sprecherin 2 Ich stelle mir vor, dass ich da sicher bin. Dass ich in Frieden leben kann und dass sich die Menschen respektieren. Ihr habt dieses Ding...wie heißt das noch mal...Das Recht, das Recht...wenn einer was gemacht hat und dann... Sprecherin 1 (auf frz.)Meinst du die MENSCHENRECHTE? Sprecherin 2 Ja, Menschenrechte! Absage: Haiti Chérie - Das Geschäft mit der Hilfe. Sie hörten ein Feature von Jenny Marrenbach Sprecherin 1: Ende März 2013 bekam Kassandra doch noch ein Visum für Frankreich. Ihre neunjährige Tochter musste sie in Haiti zurücklassen. Es sprachen: Andreas Mannkopff, Chris Pichler, Guntbert Warns, Ilka Teichmüller, Bernhard Schütz, Ingo Hülsmann und die Autorin Ton und Technik: Bernd Bechtold und Susanne Bronder Regie: Giuseppe Maio Dramaturgie: Jens Jarisch Redaktion: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks mit dem Rundfunk Berlin Brandenburg und dem Westdeutschen Rundfunk 2013. 1