COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Nachspiel vom 13.06.2011 "Reine Kopfsache" - Die Macht der Psychologie im Hochleistungssport Autorinnen: Ute Burtke und Margarete Wohlan 01. Atmo: Auszug aus der ARD-Reportage über "Gold für Britta Steffen in Peking 2008" 01. O-Ton Britta Steffen (0:13) Gerade bei Olympischen Spielen, wenn du da einläufst ins Finale, und nicht genau weißt, was du willst, und dann auch erschlagen bist von der Atmosphäre, die gigantisch ist, dann hast du nicht unbedingt die besten Chancen, hundertprozentig deine Leistung abzurufen. 02. Atmo: Auszug aus der ARD-Reportage über "Gold für Britta Steffen in Peking 2008" 02. Sprecherin Nicht jeder schafft es bis aufs Siegertreppchen. Wenn das einer weiß, dann ist das Britta Steffen, das "Sensibelchen". Es gibt viele Gründe, warum ein Sportler, der im Training Spitze ist, versagt, wenn es drauf ankommt: zu hoher Erwartungsdruck, der ihn lähmt. Angst vor der Konkurrenz. Mitbewerber, die "Psychokrieg" betreiben. Da zählt vor allem eins: 02. O-Ton Jan Mayer (0:19) Es geht um Leistungsoptimierung, also der Psychologe versucht die, die eh schon am anderen Spektrum sind, die Außergewöhnlichen, die Höchstleister noch stärker zu machen, dass sie eine zentrale Kompetenz erwerben, nämlich, zum definierten Zeitpunkt, also zum Wettkampfhöhepunkt ihre Leistung abrufen zu können. 03. Sprecherin Sagt Sportpsychologe Jan Mayer. Er hat mit Skispringern, Handballern, Fußballern und Eishockeyspielern gearbeitet. Sein Kollege Martin Schweer, der in Vechta eine sportpsychologische Beratungspraxis leitet, ergänzt: 03. O-Ton Martin Schweer (0:23) Wir gehen davon aus, dass natürlich letztendlich diese mentalen Probleme, die sich in einer entsprechenden Leistungssituation darstellen, ja eine Ursache haben. Und logischerweise ist es immer sinnvoll, an den Ursachen zu arbeiten und nicht nur an den Symptomen. 04. Sprecherin Längst hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass die Psyche neben Technik, Taktik, Kondition und Ernährung im Leistungssport eine große Rolle spielt. Psychologen oder Mentaltrainer gibt es mittlerweile in jeder Sportart. Viele von ihnen waren selbst einmal aktive Sportler und hatten keine psychologische Unterstützung erfahren. So wie Sabine Karkó. Die ehemalige Turniertänzerin arbeitet jetzt als Mentaltrainerin. 04. O-Ton Sabine Karkó Das, was einfach unschlagbar ist, ist wirklich auch dieses eigene Erleben, dieses eigene: Ich hab das auch erlebt, ich versteh dich und das ist das, was mir die Kunden auch immer rückmelden. Ich inszeniere da keine Situation, sondern ich weiß da genau, wovon sie sprechen, und ich hab es alles auch selbst erlebt. 01 Musik 03. Atmo: Musik Wiener Walzer, Schritte von Turniertanzpaaren auf dem Parkett 05. Sprecherin Sabine Karkó bei ihrer Arbeit. Fünf Turniertanzpaare des Sportvereins "VfL Tegel 1891" in Berlin tanzen den Wiener Walzer. Doch sie üben keine Schrittfolgen, sondern trainieren Präsentation. Diese hängt ab von Wohlgefühl, Persönlichkeit und positiver Einstellung, sagt die Mentaltrainerin. Es geht um den aufrechten Gang, den höheren Fokus, um Freude im Gesicht. 04. Atmo Musik wieder hoch, Musik hört auf, "Geht in euren Präsentationsraum von der Fläche". Ich möchte einmal rundum hören, wie ihr das erlebt habt.. ob es euch geholfen hat, was auch immer. 06. Sprecherin Die Tanzpaare hören ihr zu, denn sie merken, dass sie weiß, wovon sie spricht. Beim Turniertanz werden eben nicht nur der saubere Schritt, sondern auch Haltung und Ausstrahlung gewertet. Im normalen Training ist das eher kein Thema. 05. O-Ton Sabine Karkó Wir lächeln uns alle an und wir grinsen uns an und was aber wirklich gedacht wird, das ist zu wenig klar. Klar hat's vielleicht auch damit zu tun, dass gerade der Tanzsport immer verlangt, dass man zu jeder Zeit und in jeder Phase des Schmerzes auch immer noch gut aussieht, wo ein Tennisspieler seinen Schläger zerkloppen kann, und keiner fragt, wie verhält der sich denn da jetzt, ja, also dass man seine Emotionen immer irgendwie doch kontrollieren soll, und nirgendwo an anderer Stelle aber ein Platz dafür geschaffen wird, dass dann eben auch diese Emotionen, Enttäuschung und Verzweiflung und vielleicht auch Ärger, was da nicht alles reinspielt, dass der auch mal raus kann, aber eben auch konstruktiv, ja, so damit umgegangen wird und den Raum gibt's oft nicht. 07. Sprecherin Sabine Karkó hat in ihrer aktiven Zeit als Turniertänzerin eine solche mentale Unterstützung nicht erlebt. Die Latein- und Standardtänzerin im Equality-Tanzsport - dem Turniertanzsport für gleichgeschlechtliche Paare - hat sich sozusagen selbst gecoacht und dabei Erstaunliches erfahren. 06. O-Ton Sabine Karkó Wir hatten nen Europameistertitel zu verteidigen und in dem Jahr hab ich dann zu meiner Tanzpartnerin gesagt: Wir gehen dahin und unsere Energie gehört uns. Ich war bis dahin immer ganz sozial, hab mich immer um alle gekümmert, hatte immer schon geguckt, ob jemand noch irgendwas braucht und hab dann festgestellt, dass ist Energie, die mir im entscheidenden Moment fehlt. Und in dem Jahr und in diesem Turnier ganz speziell, im Vorfeld, hab ich da ganz klar festgelegt, wir bleiben nur beieinander und unsere Energie gehört uns. Also es war unglaublich, wie wir die dann in uns hatten und das war so nen Schlüsselerlebnis für mich 2005. Und von da hab ich gedacht, da machst du weiter. 05 Atmo: Wiener Walzer 08. Sprecherin Bei ihrem letzten Einsatz als aktive Athletin - bei den Eurogames 2008 in Barcelona - gewann sie mit ihrer Tanzpartnerin aus London die Silbermedaille in der höchsten Klasse der Kategorie "Frauen Standard". Nebenbei hat sie sich immer mehr mit dem Mentaltraining beschäftigt, eine dreimonatige Ausbildung an der Sport-NLP-Academy in Rosenheim absolviert und sich vor zwei Jahren als Mentaltrainerin für Tänzer und Tanzpaare selbstständig gemacht. 07. O-Ton Sabine Karkó Meine drei Grundsäulen für Wohlgefühl sind Selbstwahrnehmung, Wertschätzung und Selbstverantwortung, und grade die Selbstverantwortung, die ist es, die mich auch trägt in meiner Rolle hier, in meiner Arbeit, dass ich sage, auch der Kunde hat eine Selbstverantwortung, und das sage ich ihm von Anfang an, und dazu gehört, dass er mir natürlich klar mitteilt, was er möchte. Ich will mit Leuten arbeiten, die sagen, ich will für mich was verändern, und ich nehm dich als Unterstützung dazu, und ich möchte von dir Ehrlichkeit ... grade auch ne ehrliche Kommunikation, fand ich nen ganz großen Mangel, gerade im Tanzsport. Dieses wirkliche wohlwollende Ehrlichkeit. 03 Musik 09. Sprecherin Mentaltraining, Mental Coaching, Sportpsychologie - die Begriffsvielfalt ist verwirrend, denn der Beruf des Mentaltrainers oder Mental Coaches ist nicht geschützt: jeder, der will, darf sich so nennen. Martin Schweer, Professor für Pädagogische Psychologie an der Hochschule Vechta, leitet eine sportpsychologische Beratungspraxis. Er hört immer wieder die Vorbehalte, die gegen Psychologen besonders in maskulinen Sportarten laut werden - als solche gelten Fußball, Boxen und die Formel 1. Dieses teilweise schlechte Image führt er auf fragwürdiger "Fachleute" zurück. 08. O-Ton Martin Schweer Es gibt eben sehr, sehr viel Unseriöses, es gibt ja auch viele Personen, die in gar keiner Weise irgendeine Ausbildung haben, sondern die einfach meinen, sie sind dazu berufen, weil sie aus irgendwelchen Gründen sich da Kompetenz zuschreiben. Und das ist mir zu wenig. Und grade die Tatsache, dass jemand damit argumentiert, ich war selber mal im Sport, ich kenne das alles, ist ein Konzept und eine Argumentationsstrategie, die Sie in keinem anderen Bereich akzeptieren würden. 10. Sprecherin Sein Kollege Jan Mayer sieht das gelassener. Er hat eine Professur an der privaten Hochschule für Gesundheit und Sport in Berlin und ist Dozent an der Universität Heidelberg. Bisher betreute er Eishockeyspieler und Skifahrer, Handballer und Basketballer und auch den Nachwuchs des Fußball-Bundesligaclubs 1899 Hoffenheim. 09. O-Ton Jan Mayer Da gibt's auch die Motivationstrainer, die Mentaltrainer, die man jetzt auch nicht verteufeln darf, sondern die haben halt ne ganz andere Kompetenz. Ich würde jetzt einfach sagen, das ist ein anderer Beruf, und insofern würd ich jetzt auch nicht Scharlatan sagen, sondern es gibt diejenigen, die seriös ausgebildet sich Sportpsychologe nennen, dann gibt es die ganze Sparte der Mentaltrainer, Motivationstrainer, und die haben, wenn sie gut sind, ihre Berechtigung, und haben auch etwas, was sie durchaus beitragen können, man darf das nur nicht verwechseln. 11. Sprecherin Letztlich müssen die Hochleistungssportler selbst beurteilen, ob und was ihnen Mentaltrainer oder Sportpsychologen bringen. 06 Atmo Schwimmen Die Schwimmerin Britta Steffen arbeitet seit fünf Jahren mit einer Sportpsychologin zusammen. Bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen blieb sie ohne Medaille und weit hinter den Erwartungen der Öffentlichkeit zurück. Sie holte sich Rat bei einer Psychologin - und arbeitet seitdem mit ihr zusammen. Mit Erfolg. Gold in Peking 2008 und bei den Schwimm-Weltmeisterschaften in Rom 2009 sprechen für sich. Für sie war es jedoch nie wichtig, ob Friederike Janofske tatsächlich eine Sportpsychologin ist. Sie war eine Empfehlung ihrer Schwimmkollegin Franziska van Almsick. 10. O-Ton Britta Steffen Ich muss ganz ehrlich sagen, ich hab keine Mentaltrainer kennengelernt, ich kenn eigentlich nur Psychologen. Warum ich das Wort Mentaltrainer benutze, ist eigentlich nur, weil das mehr anerkannt wird. Weil das positiver besetzt ist. Psychologin klingt immer nach, ich hab ne Macke, und Mentaltraining klingt danach, ich nutze so ein bisschen Methoden, um mich zu fokussieren und zu visualisieren, und diese Fachbegriffe sind wesentlich mehr anerkannt, als wenn man sagt, ich geh zur Psychologin. Und ich hab immer ,zur Psychologin' gesagt, weil sie einfach ne Psychologin ist, bis mir dann empfohlen wurde, wenn du vom Mentaltraining sprichst, dann denken die Leute nicht so, oh Gott, die hat ein Ding an der Waffel. 12. Sprecherin "Ein Ding an der Waffel" - in der öffentlichen Wahrnehmung hat psychologische und auch mentale Unterstützung von Athleten manchmal immer noch einen schalen Beigeschmack. Wenn auch nicht mehr so stark, erklärt Sportpsychologe Martin Schweer. 11. O-Ton Martin Schweer Insgesamt hat sich das sehr zum Positiven entwickelt. Ich weiß, dass vor 15 Jahren Sie teilweise nicht erwähnen durften, dass sie mit jemandem arbeiten, es durfte gar nicht bekannt werden, teilweise war das den Trainern sogar nicht bekannt, das ist heute vielfach anders. 04 Musik: "Dieser Weg" (Lied WM 2006), Xavier Naidoo 13. Sprecherin Den Durchbruch für Sportpsychologen im Hochleistungssport hat die Entscheidung von Jürgen Klinsmann bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 gebracht. Er berief damals Hans-Dieter Hermann in sein Team. Heute leitet Hermann mit Jan Mayer zusammen in Schwetzingen das Institut für Sportpsychologie und mentales Coaching. 12. O-Ton Jan Mayer Die öffentliche Wahrnehmung hat durch Klinsmann 2006, indem er Hans-Dieter Herrmann ins Team gerufen hat - das Thema: Was soll denn da ein Psychologe? Und ja die Idee auch erstmal verstanden, dass Psychologie nicht gleich Psychotherapie nicht gleich Psychiatrie ist, sondern es geht um Optimierung, es geht um Leistungsoptimierung, also der Therapeut versucht die Kranken in die Normalität zu bringen und der Psychologe versucht die Höchstleister noch stärker zu machen, dass sie eine zentrale Kompetenz erwerben, nämlich zum definierten Zeitpunkt, also zum Wettkampfhöhepunkt, ihre Leistung abrufen zu können. 07 Atmo Schwimmen 14. Sprecherin Britta Steffen war eine der jungen Hoffnungen beim Schwimmen. Bei Jugendmeisterschaften 1998 und 1999 belegte sie auf deutscher und europäischer Ebene diverse Medaillenplätze. Doch dann kam sie in ein Formtief. Sie wechselte den Verein, ging zur SG Neukölln nach Berlin - aber auch das half nicht wirklich. 13. O-Ton Britta Steffen Die Trainer, die man so hat, auch mein Trainer Norbert Warnatzsch, die sind natürlich immer darauf bedacht, pädagogisch wertvoll mit einem umzugehen, aber die sind eben keine Psychologen. Und wenn du so Sportler hast wie ich, die - ich würde mich als komplex beschreiben - sind dann, ist nicht immer einfach, mit denen umzugehen. Und letztlich war es dann so, dass ich schon in Potsdam, also ich war von der 7. bis zur 12. Klasse in Potsdam auf der Sportschule, schon angefangen habe, mit einem Mentaltrainer zusammen zu arbeiten Da war ich zwei, drei Mal da, da ging's um Bilderangucken, und irgendwelche Werte messen, und mich entspannen können und so, und das hat mir überhaupt nicht gefallen, und da bin ich auch dann nicht mehr hingegangen. 15. Sprecherin Ihre Leistungen stagnierten weiter. Bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen konnte sie ihre Ziele nicht erreichen, blieb ohne Medaille. Als Franziska van Almsick dann noch ihre Karriere beendete, war für Britta Steffen die Entscheidung klar. 14. O-Ton Britta Steffen Dann kam es zu dem Punkt, 2004, als Franziska aufhörte, und ich kurzzeitig später auch, weil ich keine Motivation mehr hatte - sie war schon so ein Brennpunkt, und plötzlich war sie nicht mehr da, und die Spiele liefen nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich war 20, hab meine Schule abgeschlossen, dachte, jetzt fängst du an zu studieren, und das war's dann erstmal. Also ich hab ein halbes Jahr gar kein Sport betrieben, so von Ende 2004 bis Mitte 2005, wo ich halt wusste, diese Zeit brauche ich auch einfach, um mich selbst zu finden. Meine Eltern waren damals der Überzeugung, dass ich auf jeden Fall weitermachen sollte, weil es hieß immer, nach Franziska bin ich eines der größten Talente, die wir in Deutschland haben, aber eben nur Trainingsweltmeister - und wenn's drauf ankommt, kann sie es sowieso nicht. Also das war die gängige Meinung, und irgendwann glaubst du selber dran, wenn du eben nicht die Hilfe hast von einer Mentaltrainerin. 16. Sprecherin Wie überzeugt man sich selbst, dass man es schafft, wenn es drauf ankommt? Britta Steffen wollte beweisen, dass die gängige Meinung über sie nicht stimmt. Dass sie gewinnen will und kann. Mit diesem Vorsatz ging sie zur Sportpsychologin Friederike Janofske. 15. O-Ton Britta Steffen Ich bin das erste Mal bei Frau Janofske gelandet und hab geweint und hab mich dafür weder geschämt noch irgendwie rechtfertigen müssen - wenn man jemand zum ersten Mal trifft, dann gleich so eine intime Situation, das ist dann schon so ein Schlüsselerlebnis, aber ich hab mich sofort geborgen gefühlt, und wohl gefühlt und wusste halt, die Frau hat richtig was drauf - und die Chemie meinerseits hat auf jeden Fall gestimmt. Und ich wusste grundsätzlich nicht, ob das jetzt gut ist für das Schwimmen oder ob es einfach gut ist fürs Leben. Und langfristig hab ich dann gemerkt, dass beides zusammenhängt. 06 Musik 17. Sprecherin Die heute 27jährige Britta Steffen nutzte die Zusammenarbeit mit der Psychologin, um ihr Leben neu zu ordnen. Sie wollte die richtige Balance finden zwischen dem Wunsch nach Anerkennung und dem Mut zu sich selbst zu stehen, auch dann, wenn sie nicht auf dem obersten Treppchen steht. Nicht alle in ihrem sportlichen Umfeld finden es gut, dass sie eine Psychologin aufsucht. Manche belächeln sie, andere finden, wenn sie so etwas braucht, dann sei sie nicht stark genug. Britta Steffen stört das nicht. 16. O-Ton Britta Steffen Ich glaube, dass du die Einstellung dazu mitbringen musst. Wenn du das jemanden aufzwingst, bewirkt es genau das Gegenteil. Man muss es halt nur wollen und erkennen. Und dadurch, dass ich halt gerade relativ labil bin, was meine Psyche angeht, und man mich schnell aus dem Gleichgewicht bringen kann, früher krasser als heute, heute bin ich schon bisschen ruhiger und reifer, und nehm das alles nicht mehr so ernst, aber wenn man das für sich sieht und weiß, man kann daran arbeiten, dann wäre man dumm, wenn man es nicht nutzt. 08 Atmo Schwimmen 18. Sprecherin Um Leistungen zum Wettkampfhöhepunkt abrufen zu können, müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein. Zum Beispiel: Was schießt eigentlich dem Sportler beim Training oder kurz vor dem Anpfiff durch den Kopf? Ist es destruktiv, versuchen Sportpsychologen, das gemeinsam mit dem Sportler durch positive Gedanken zu ersetzen. Für Britta Steffen war die Schwimmeuropameisterschaft 2006 in Budapest ein Schlüsselerlebnis. 17. O-Ton Britta Steffen Da kam zum Beispiel kurz vor Budapest, als ich das erste Mal richtig schnell geschwommen bin, raus, dass ich eigentlich gar nicht gewinnen will, weil die anderen dann in dem Rennen ja dann verlieren würden, und es kann halt nur einer gewinnen, und so'n Quatsch, wenn du das denkst, dann brauchst du kein Leistungssport machen. Das war mir überhaupt nicht bewusst. Aber unterbewusst steckte das halt drin, weil ich es gewöhnt war, damit umgehen zu können, jetzt nicht unbedingt immer die Gewinnerin zu sein. Und hab mich auf andere Sachen fokussiert - also ich denke, das Geheimnis für mich - und da ist ja jeder anders - liegt darin, mich freizumachen von dem Erfolgswillen und zu sagen, ich schwimme jetzt für mich und ich will ein gutes Rennen schwimmen und ich will das Beste aus mir heraus holen, es soll ein faires Rennen werden und es soll die Beste gewinnen. Und wenn ich mit dieser Einstellung an den Start gehe, dann kann ich nichts falsch machen, und bin halt frei. Und wenn ich frei bin von irgendwelchen Denkzwängen und -mustern, dann kann ich meine hundertprozentige Leistung abrufen, und wenn das natürlich dann für das Gewinnen reicht, dann ist es umso schöner. 19. Sprecherin Sportpsychologe Jan Mayer spricht von der klassischen Situation: Ob das Glas halb leer oder halb voll ist - das ist die Entscheidung des Sportlers. Zu sagen, ich lasse mich in dieser bestimmten schwierigen Situation nicht gehen, nicht hängen, ist seine Eigenleistung. Die Psychologen versuchen, ihm schon früh bewusst zu machen: was geht gerade in deinem Kopf vor, hilft dir das oder hilft dir das nicht? 18. O-Ton Jan Mayer (0:31) Schönes Beispiel ist vielleicht dieses Radrennen Paris - Rubaix, wo dann die Radfahrer sagen, wow, das ist wirklich, wirklich hart, 80 Prozent auf Kopfsteinpflaster, also wirklich zäh, ein übles Rennen, es gibt aber wenige, vielleicht 10, 15 Prozent, die sagen, genau mein Rennen, weil ich bin härter als die anderen und auf Asphalt fahren kann jeder, und da kann ich mich auszeichnen. Solche Bilder benutzen wir auch, wenn wir den Sportlern, wenn's mal schwierig wird, sagen wir auch: heute Paris - Rubaix, denk dran, kämpfen, Herausforderung annehmen. 20. Sprecherin Die Arbeit des Sportpsychologen hat viele Facetten. Ein Beispiel ist das "ambivalente Selbstgespräch": 21. Sprecherin 2 Ein Sportplatz, die Aufgabe des Athleten: fünf Runden laufen. Die ersten zwei Runden gehen leicht, die dritte schon schwerer. Als er das vierte Mal am Start- Ziel vorbeikommt, meldet sich eine innere Stimme: Vier Runden sind auch nicht schlecht. Die andere, die Gegenstimme protestiert sofort: Du wolltest doch fünf Runden schaffen! Spätestens jetzt ist ein "ambivalentes Selbstgespräch" im vollen Gang, der Ausgang offen. Gewinnt die eine, hört der Athlet nach der vierten Runde auf. Gewinnt die andere, bleibt er stark und erreicht das selbstgesteckte Ziel. 22. Sprecherin Dieses Beispiel erwähnt Jan Mayer gern, er kennt es aus der Praxis. Die Aufgabe des Sportpsychologen dabei: die Stimme zu stärken, die für Durchhalten und Weitermachen plädiert - und den Sportler an die Leistungsgrenze bringt. Eine andere Methode, die er als ein Kernstück für seine Arbeit bezeichnet, ist das Visualisieren. 19. O-Ton Jan Mayer Nennt man auch mentales Training, das heißt, Bewegungen, Handlungen in der Vorstellung durchgehen, das heißt, die Skispringer, die haben ihren festen Bewegungsablauf und wenn ich einen Bewegungsablauf automatisieren möchte, dann muss ich ihn hunderttausend Mal durchführen und das ist eben schwierig in bestimmten Situationen, auf ner bestimmten Schanze bekomme ich das so häufig gar nicht hin, und da kann ich eben durch - wir nennen es auch - Kopf-Kino-Training relativ schnell Effekte erreichen. Warum? Weil wir durch die moderne Bildgebung wissen, dass wenn wir uns eine Bewegung intensiv vorstellen, das ist für unser Hirn fast das Gleiche, als wenn wir sie tatsächlich tun. 23. Sprecherin Die Methoden für das Training sind nicht dieselben wie für den Wettkampf. Da braucht jeder Athlet etwas anderes, individuelles. Für Britta Steffen ist das Gefühl von Sicherheit vor dem Start wichtig. Das geben ihr Rituale. 20. O-Ton Britta Steffen Beispielsweise eins meiner Rituale ist halt, dass ich vor meinem Start direkt meinen Ring drehe. Meine Brüder haben jeweils auch einen und da sind die Namen der anderen beiden Geschwister halt eingraviert, und wenn ich den Ring halt drehe, dann hab ich so das Gefühl, die wären jetzt bei mir. Und ich krieg dann auch halt vor meinem Start SMS von wegen, der Ring ist dran, und brauchst dir keine Gedanken machen, es ist alles gut und wir sind für dich da. Für mich war es auch immer wichtig, zu wissen, auch wenn die Leistung nicht stimmt, dann haben mich meine Mitmenschen bzw. meine Familie lieb und respektieren mich und sind trotzdem stolz auf mich, weil es halt einfach auch dazu gehört, nicht immer gewinnen zu müssen oder zu können. 24. Sprecherin Auch für die ehemalige Turniertänzerin und jetzige Mentaltrainerin Sabine Karkó sind Vorbereiten und Planen der Tanzturniere das A und O ihrer Arbeit. Da sie vor allem mit Paaren arbeitet, geht es da immer wieder um Kommunikation. 21. O-Ton Sabine Karkó Es kann ganz simpel sowas sein wie, LACHT, ich hatte ein Paar, die sind immer mit nem Auto zum Turnier gefahren und er war ein ganz zauberhafter Ehemann und er hat immer gedacht, er legt dann schon mal Tanzmusik ein, wenn wir zum Turnier fahren - und im Coaching kam raus, dass sie das seit Jahren gehasst hat. Und heute hört dieses Paar Hörspiele auf dem Weg zum Turnier, darauf konnten sie sich einigen, weil diese Frau das einfach brauchte, bis kurz bevor sie in den Turnierraum kam, dass sie einfach nicht an den Wettkampf erinnert wurde. Und da waren Hörspiele die beste Ablenkung - also die Konzentration einfach umlenken, und ist ein tolles Ergebnis. 08 Musik 25. Sprecherin Als der Torwart Robert Enke sich im November 2009 das Leben nahm, schien es, als würde das ganze Land trauern. Die Gedenkfeier im Fußballstadion in Hannover wurde von fünf Fernsehprogrammen live übertragen. DFB-Präsident Theo Zwanziger nahm Enkes Tod zum Anlass, die Maßstäbe im Profi-Leistungssport infrage zu stellen. Gefragt seien "nun Werte wie Maß, Balance, Fairplay und Respekt". Tabus müssten gebrochen werden: das Schweigen über Schwächen, über Homosexualität, über Ängste. Bei der öffentlichen Bewertung des tragischen Vorfalls sind jedoch zwei Bereiche miteinander vermischt worden, die unvereinbar sind, sagt Jan Mayer. Sportpsychologische und psychotherapeutische Betreuung seien zwei komplett unterschiedliche Berufsprofile. 22. O-Ton Jan Mayer Ein Sportpsychologe ist in der Regel nicht therapeutisch zusatzqualifiziert. Das heißt, er hat in der Regel ein Psychologiestudium und / oder ein sportwissenschaftliches Studium, also ganz gerne sogar beides. Und hat sich dann sportpsychologisch spezialisiert. Und dementsprechend ist der Sportpsychologe derjenige, der durch sein Studium der Psychologie wohl Kenntnisse hat, dass er sagen kann, verdammt, da könnte was sein, aber dann ist es seine Pflicht, wenn er so etwas sieht, dass er dann seine Kompetenzgrenze auch sieht und dann einen klinischen Kollegen hinzuzieht. Die Erwartung, dass ich einen Sportpsychologen im Team habe und dass dann keine psychologischen Störungen auftreten, die ist vermessen. 26. Sprecherin Auch für seinen Kollege Martin Schweer ist diese Abgrenzung wichtig. Seit 1998 ist er Professor für pädagogische Psychologie an der Hochschule in Vechta und leitet dort auch eine sportpsychologische Beratungspraxis. Er arbeitet zusammen mit Hochleistungssportlern, Breitensportlern, mit "normalen" Jugendlichen, Vereinen und Verbänden. 23. O-Ton Martin Schweer Wenn jemand eine Depression hat, dann ist das auf keinen Fall etwas, was Gegenstand der sportpsychologischen Beratung sein sollte. Sondern eine Depression ist natürlich 100prozentig therapiebedürftig, und da ist einfach die Abgrenzung zwischen dem klinischen Bereich auf der einen Seite und dem, was sie in der sportpsychologischen Beratung machen. Das ist ganz, ganz wichtig auseinanderzuhalten und da ist auch wichtig, dass der Sportpsychologe wiederum seine Grenzen kennt. 09 Musik 27. Sprecherin Was bleibt? Die Psychologie ist heute fester Bestandteil des Hochleistungssports. Vielleicht, so Jan Mayer, wird sie bald sogar das Einzige sein, was über Sieg und Niederlage entscheidet - im sauberen, dopingfreien Sport, versteht sich. 24. O-Ton Jan Mayer Körperlich tut sich nicht mehr viel, die Trainingslehre ist, will nicht sagen, ausgereizt, aber da ist man, weltweit sozusagen, informiert. Dann gibt es natürlich dein Talent, das du mitbringst, Materialschlachten spielen sich ab, aber auch so, dass du sagst, okay. Kriterium ist schon wenn du willst, sagst du entweder das Mentale, die Tagesform oder wie auch immer, und das gezielt ansteuern zu können, dass man sagt, ich kann alles aus meinem Körper, aus meinem Talent, aus meinem Material jetzt abrufen, das ist einfach ne gewisse Fertigkeit, die da vielleicht den Unterschied dann macht, ganz oben. 28. Sprecherin In dem Moment, auf den es ankommt, Talent und Leistung abrufen zu können - dafür wird die Psychologie im Leistungssport gebraucht. Um aber als Athlet keine Vorbehalte zu haben, ein solches Angebot anzunehmen, müsste Sportpsychologie schon ganz früh etwas Selbstverständliches sein - am besten bereits für den Nachwuchs, meint Martin Schweer. 25. O-Ton Martin Schweer Man versucht im Sport natürlich auch in dieser Altersklasse schon sämtliche Facetten auszuloten, wie jemand seine sportliche Leistung optimieren kann. Warum muss man immer die Psychologie so hinstellen, als wenn das irgendwas wäre, was man nur ganz vorsichtig und ganz dosiert und schon gar nicht in einem gewissen Alter machen sollte? Sie können auch mit 12-Jährigen sehr gut psychologisch arbeiten. 29. Sprecherin Schwimmerin und Olympiasiegerin Britta Steffen möchte Psychologen und Trainer nicht gegen einander ausspielen. Für sie waren und sind beide in den vergangenen fünf Jahren entscheidend gewesen: ihr Trainer Norbert Warnatzsch und ihre Sportpsychologin Friederike Janofske. 26. O-Ton Britta Steffen Ohne Frau Janofske wäre ich glaube ich nie Olympiasiegerin geworden, genauso wenig wie ich ohne Norbert Olympiasiegerin hätte knicken können, weil er derjenige war, der mich körperlich wirklich bis zum Startblock begleitet hat. Und: schwimmen musst du letztendlich alleine, aber da muss eben beides passen, Geist, Seele, Körper. verwendete Musik: Interpret apollo four forty, Titel: ain't talkin' 'bout dub (Matrix Remix), LC 0199, written by Van Halen/Van Halen/Athony/Roth. Dauer total ca. 2:00 Xavier Naidoo, Titel "Dieser Weg" von der Doppel-CD "Die ultimative Chartshow" LC04324, Dauer: 15 Sekunden 1