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Über Denk- und Gedenkstätten in deutschen Landen Von Michael Frantzen Atmo: Klaviermusik, Applaus u. Beginn der Rede Bundestagspräsident Lammert Regie: Wegblenden Sprecherin Großer Bahnhof im Paul-Löbe-Haus des Berliner Parlamentsviertels. Bundestagspräsident Norbert Lammert hat es sich nicht nehmen lassen, an diesem sonnigen Januarmorgen die Ausstellung über das Ghetto Theresienstadt persönlich zu eröffnen. Bundestagsabgeordnete sind gekommen, der tschechische Botschafter - und acht Frauen, die das Ghetto überlebten - damals, vor mehr als sechzig Jahren. Sprecher Die Ausstellungseröffnung ist Teil des Begleitprogramms des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Überall im Land Gedenkveranstaltungen. Vor dreißig Jahren wäre das noch unvorstellbar gewesen. Doch die Zeiten haben sich geändert: Erinnerung hat Konjunktur in Deutschland, historische Museen vermelden Besucherrekorde - genau wie die KZ- Gedenkstätten. Sprecher Beispiel Mittelbau-Dora. Letztes Jahr haben zwanzig Prozent mehr Interessierte die thüringische KZ-Gedenkstätte besucht als im Vorjahr. Alles in Ordnung also? Sprecherin Nicht ganz. Die Besucherzahlen mögen zwar seit drei Jahren kontinuierlich steigen, der Etat der gemeinsamen Stiftung der KZ-Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora aber hat nicht Schritt gehalten mit diesem Wachstum. Sechs Millionen Euro stehen der Stiftung im Jahr zur Verfügung und bis Ende letzten Jahres sah es so aus, als würde sich 2008 erneut eine Lücke von einer halben Million Euro im Etat auftun; bis Anfang dieses Jahres doch noch 400.000 Euro vom zuständigen Bundeskulturstaatsministerium überwiesen wurden. O-Ton: Das, was wir jetzt zusätzlich für dieses Jahr bekommen haben, ist ein Teil dessen, was wir zum Stopfen unserer Löcher brauchten. So muss man das sehen. Das ist im Grunde von Jahr zu Jahr enger geworden, weil der Haushalt im Wesentlichen seit den 90er Jahren gedeckelt geblieben ist. Und gleichzeitig aber Ausgaben gestiegen sind. Sprecherin So wie Jens-Christian Wagner von der Gedenkstätte Mittelbau-Dora geht es den meisten Leitern der KZ-Gedenkstätten in Deutschland: Sie müssen den Mangel verwalten - und wichtige Projekte auf Eis legen. So lässt die Erschließung des Außengeländes der Gedenkstätte Mittelbau-Dora immer noch auf sich warten, genau wie in Buchenwald die Überarbeitung der Dauerausstellung zur Geschichte des KZs. Sprecher Auch die Gedenkstätte Dachau steht schon seit vielen Jahren finanziell mit dem Rücken zur Wand. Lange Zeit blieb das der Öffentlichkeit verborgen - bis Pieter Dietz de Loos, Präsident des Internationalen Dachau-Komitees, im Mai letzten Jahres ein Tabu brach - und Eintrittsgeld für den Besuch der KZ-Gedenkstätte forderte. Sprecherin Mit seiner Forderung durchgesetzt hat sich de Loos nicht. Doch der "Hilferuf", wie es die Süddeutsche Zeitung formulierte, schlug Wellen im deutschen Feuilleton. So schlimm ist es um die KZ-Gedenkstätten bestellt?! Sprecher "Ist es." Volkhard Knigge, der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten, nickt. O-Ton Das größte Problem meiner Meinung nach ist, jetzt Gedenkstätten nicht zu Fassadengedenkstätten verkommen zu lassen. Also, zu Gedenkstätten, die nach außen durchaus prächtig aussehen, aber es gibt keine Arbeitsinfrastruktur. Es gibt zu wenige hauptberufliche Pädagogen. Es gibt zu wenig Archiv, zu wenig Bibliothek. Museen sind ja im Grunde wie Eisberge. Das Wichtigste liegt unter Wasser. Fassadengedenkstätten sehen hübsch aus, aber sie können beim besten Willen nicht nachhaltig arbeiten. Sprecherin Die KZ-Gedenkstätten werden von Bund und Ländern finanziert, zuständig beim Bund ist der Beauftragte für Kultur und Medien. Bernd Neumann also. Der erfahrene CDU- Landespolitiker aus Bremen, der sich vor seinem Amtsantritt im November 2005 in Sachen Kulturpolitik allenfalls als Filmexperte einen Namen gemacht hatte, lässt sich die Förderung der Gedenkstätten dieses Jahr zwanzig Millionen Euro kosten - bei einem Gesamtetat von 1.1 Milliarden Euro. Der Bundesetat für Orte der Erinnerung an NS- Diktatur und Holocaust wurde verdoppelt. Das kommt hauptsächlich den westdeutschen KZ-Gedenkstätten Dachau, Bergen-Belsen, Neuengamme und Flossenbürg zugute: Sie werden jetzt vom Bund gefördert - und damit den KZ-Gedenkstätten in den neuen Bundesländern gleich gestellt, die schon seit der Wiedervereinigung Geld vom Bund erhalten. Sprecher Bei den KZ-Gedenkstätten ist das mit Wohlwollen registriert worden. "Zumindest ein positiver Aspekt der Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption aus dem Kulturstaatsministerium" - meint Volkhard Knigge. Die Konzeption, laut Neumann eine "durchdachte und solide Diskussionsgrundlage", wurde im Juli vergangenen Jahres erstmals der Öffentlichkeit präsentiert und im November im Bundestags-Kulturausschuss angehört. Sprecherin Der Bundeskulturstaatsminister hat sich Zeit gelassen mit der Überarbeitung des Gedenkstättenkonzepts von 1999 - viel Zeit. Mehr als anderthalb Jahre. Die Gedenkpolitik: Sie spielte kaum eine Rolle, sieht man einmal davon ab, dass sein damaliger Stellvertreter Helmut Schäfer Mitte 2006 für einen Eklat sorgte, als er bei einer Gedenkveranstaltung des Konzentrationslagers Buchenwald lang und breit über die Vertreibung der Deutschen redete, ohne auch nur eine Silbe über die anwesenden KZ- Opfer zu verlieren. Sprecherin "Alles nur ein Missverständnis" - entschuldigte sich Neumann. Missverständlich finden viele Historiker auch die Stoßrichtung der neuen Gedenkstättenkonzeption. Zitator "Ziel der Bundesregierung ist es, die erinnerungspolitische Aufarbeitung des SED- Unrechts zu verstärken." Sprecherin Acht Seiten umfasst der Abschnitt zum "Geschichtsverbund SED-Unrecht", der zur "NS- Terrorherrschaft" schmale zwei. DDR-Bürgerrechtler Günter Nooke hat damit keine Probleme, im Gegenteil: Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung rührt schon seit Jahren die Werbetrommel für eine Akzentverschiebung beim nationalen Gedenken. Mehr Erinnerung an den roten Terror, weniger an den braunen - auf diese Formel lässt sich Nookes Bundestagsantrag zur Erinnerungspolitik vom November 2003 bringen, der breite Unterstützung in der Union fand: Zu den Mitunterzeichern gehörten Angela Merkel, Norbert Lammert und: Bernd Neumann. Sprecher Damals scheiterte Nooke noch an der rot-grünen Mehrheit. O-Ton Wenn sie es vergleichen mit Gedenkstätten, die sich mit der nationalsozialistischen Verbrechensgeschichte befassen, dann muss man schon sagen, dass es noch erheblichen Nachholbedarf gibt. Und insofern teile ich die Auffassung des Staatsministers Neumann, dass hier, was SED-Diktatur, DDR-Geschichte angeht, im verstärkten Maße dieses auch nachgeholt werden sollte. Sprecher Sollte es?! Darüber gehen die Meinungen auseinander. So konstatiert die Publizistin Franziska Augstein in der Süddeutschen Zeitung: Sprecherin "In der Tat ist sehr viel Geld in die Beschäftigung mit der DDR-Geschichte gesteckt worden. Museen und Gedenkstätten wurden eingerichtet, Forschung und Lehre großzügig bezuschusst." Sprecher Wenn schon Nachholbedarf, dann nicht im finanziellen, sondern im inhaltlichen - konstatiert Stefan Wolle vom Forschungsverbund "SED-Staat" an der Freien Universität Berlin. O-Ton Diese musealen Darstellungen, die es zum Teil ja auch schon gibt, auf privater Ebene, die schwanken dann immer so ein bisschen zwischen DDR-Verherrlichung und einer absoluten Dämonisierung der DDR. Ebenso wenig wie man das Leben in der DDR auf die Unterdrückung und die Repression reduzieren kann, mindestens genauso falsch wäre es auch, das Leben in der DDR zu verniedlichen und durch die rosarote Brille der Ostalgie zu sehen, wo man die DDR reduziert aufs Sandmännchen, Pitti Platsch und Schnatterinchen. Sprecherin Meint der SED-Fachmann, der "ganz gut leben kann" mit dem Neumannschen Konzept. Viele NS-Experten aber haben Bauchschmerzen. Ziehen die NS-Gedenkstätten auf lange Sicht den Kürzeren? Ist das zusätzliche Geld dieses Jahr nur ein Placebo, eine Art Nebelkerze, um davon abzulenken, dass eine Akzentverschiebung ins Haus steht - zu Gunsten der Gedenkstätten, die an das SED-Regime erinnern? Sprecher Akzentverschiebung?! "Ach wo!" Schallt es einem aus dem Hause Neumann entgegen. Offiziell äußern will sich der Minister zwar nicht, weil: Noch werde ja im Kulturausschuss des Bundestages über das Konzept beraten, ergo wolle er sich nicht öffentlich in die Diskussion einmischen. Aber: An den Vorwürfen sei nichts dran, wird versichert, man müsse sich nur einmal die Präambel des Konzepts anschauen, um den Vorwurf "ad absurdum" zu führen. Zitator "Die Erinnerung an die NS-Herrschaft wird durch das Wissen um die Singularität des Holocaust bestimmt." Sprecherin Hehre Worte. Für Salomon Korn aber, den stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, nur eine "fromme Präambel", die vom eigentlichen Inhalt ablenken will; "ein Lippenbekenntnis" - sekundiert Martin Sabrow, Direktor des Potsdamer Zentrums für zeithistorische Forschung. O-Ton: Ich habe auch nach der Lektüre des Neumann-Papiers gelegentlich den Eindruck gehabt, dass hier eine gewisse Ritualisierung der Auseinandersetzung mit der NS-Herrschaft und NS-Gesellschaft stattfindet. Alleine der Begriff der NS-Terrorherrschaft macht das deutlich. Die nationalsozialistische Herrschaft war in kleineren Teilen und besonders zu Beginn und besonders zum Ende des Krieges von sehr starkem Terror geprägt. Sie war aber in so sehr starkem Maße auch einen Konsens-Diktatur gewesen, in der die Vernichtungsdynamik der Führung ja durch die Zustimmung der Gesellschaft vorangetrieben wurde. Wer diesen Zusammenhang nicht sieht, ist auch hier wieder auf der Seite der Verharmloser von Diktaturen. Sprecherin Bernd Neumann: Ein Verharmloser von Diktaturen?! Des Nationalsozialismus und des Holocaust? Günter Nooke schlägt die Hände über den Kopf. Da ist sein Parteifreund aber gründlich missverstanden worden. O-Ton: Die Einzigartigkeit und Singularität des Holocaust will niemand und hat niemand irgendwo in Frage gestellt. Sprecherin Betont der ehemalige Bürgerrechtler, nur um fast im gleichen Atemzug hinzuzufügen: O-Ton Es gibt ja heute übrigens Leute, die dann auch vielleicht politisch Unverdächtige sind, wie Sloterdijk, der in seinem Buch "Zeit und Zorn" ja geschrieben hat, dass die Opfer des "Klassismus" weit höher sind als die des "Rassismus". Und dass das die breite Öffentlichkeit bisher noch gar nicht realisiert hat. Das meint natürlich Russland, China, Kambodscha. Es ist nicht so, dass die Zahlen, die Toten, die im Namen des Kommunismus oder einer Klassen-Ideologie, umgebracht wurden, nur so verschwindend gering sind. O-Ton Aber es entsteht schon der Eindruck, dass es halt einen starken Bezug gibt auf die Frage totalitärer Systeme, also auf dieses Totalitarismus-Theorem. Und davon ausgehend eigentlich mehr die Ähnlichkeiten dieser Systeme fokussiert; also Nationalsozialismus und DDR-Diktatur. Und weniger die Unterschiede. Sprecherin Erik Meyer, Politikwissenschaftler am Sonderforschungsbereich Erinnerungskulturen der Justus-Liebig-Universität Gießen, ist nicht der einzige, der Nooke und Neumann einen Hang zur "Totalitarismustheorie" attestiert. Wenn man so will, betreiben die beiden geschichtswissenschaftliches Recycling. Die "vergleichende Diktaturforschung" ist ein alter Hut aus dem Westdeutschland der 50er Jahre, als brauner und roter Terror unter der Rubrik "Totalitarismus" subsumiert wurden. Große Akzeptanz fand die Theorie nie, spätestens in den 80er Jahren landete sie auf dem Abstellgleis der Geschichtswissenschaft. Sprecher Mit der Wiedervereinigung aber feierte die "Totalitarismustheorie" eine Renaissance, fordern "neue und alte Anhänger der Gleichsetzung von Rot und Braun ostentativ eine neue Akzeptanz", wie der Historiker Thomas Hofmann in der Wochenzeitung "Freitag" feststellte. Stefan Wolle vom "Forschungsverbund SED-Staat" ist einer von ihnen. O-Ton: Die Ebene des Vergleiches liegt in den staatlichen Strukturen, im Einparteiensystem; in der Art und Weise der Gleichschaltung der Presse; in dem Wahrheitsanspruch eben einer Partei, ob es jetzt die SED war oder die NSDAP; in der Aufhebung staatsbürgerlicher Freiheiten und bürgerlichen Grundrechten. Das sind durchaus die Parallelen, die dazu geführt haben, dass man mit Fug und Recht versucht hat, diese beiden Gesellschaften als totalitär zusammen zu fassen und zu rubrizieren. Sprecherin Vergleiche ja, aber keine Gleichsetzung von Nationalsozialismus und SED- Unrechtsregime - auf diese offizielle Sprachregelung haben sich Bernd Neumann und seine Unterstützer geeinigt. Zitator "Dem Völkermord an den europäischen Juden als Menschheitsverbrechen bisher nicht gekannten Ausmaßes kommt in der deutschen Erinnerungskultur unvergleichliche Bedeutung zu." Sprecherin Heißt es im Vorwort des Gedenkstättenkonzepts. Einerseits. Sprecher Andererseits schlägt das Konzept im nächsten Satz den Bogen zur SED-Diktatur. Zitator "Parallel dazu ist es die Aufgabe von Staat und Gesellschaft, an das Unrecht der SED- Diktatur zu erinnern." Sprecherin Singularität und Parallelität fast im selben Atemzug: Passt das zusammen? "Tut es nicht" - meint Volkhard Knigge. O-Ton: Dann fragt man sich natürlich: Was ist damit gemeint? Und wenn man so etwas kritisiert, da sagt man damit ja nicht: Die Auseinandersetzung mit der DDR soll nicht stattfinden. Sondern man sagt: Sie soll auf angemessen fachwissenschaftlichen und ethischen Niveau stattfinden. Es soll akzeptiert werden, was ist der Ort der einen Diktatur in der deutschen Geschichte, der Nationalsozialismus kommt nun aus der deutschen Geschichte; er ist die autochtone Diktatur, er ist nicht von außen aufgezwungen worden. Er ist breitestens unterstützt worden. Er hat Leichenberge hinterlassen. Die DDR hat Aktenberge hinterlassen; hat Repressionserfahrung hinterlassen, war aber keine Vernichtungsdiktatur. Sprecherin Damit auch ja das rechte Bild der DDR entsteht, will Bernd Neumann das Thema Alltag berücksichtigen, Zitator "...um einer Verklärung und Verharmlosung der SED-Diktatur und jeder "Ostalgie" entschieden entgegenzuwirken. Darstellungswürdig sind nicht nur die vermeintlichen "Bindungskräfte" der DDR, sondern das "Angst-Anpassungssyndrom des Alltags." Sprecherin Neumanns Diktum ist ziemlich genau das Gegenteil dessen, was eine in der Endphase von Rot-Grün eingesetzte Experten-Kommission unter Leitung von Martin Sabrow vor gut zwei Jahren an Vorschlägen zur Professionalisierung der "DDR-Aufarbeitung" auf den Tisch legte. Zitator "Die spannungsreiche Wechselbeziehung von Herrschaft und Gesellschaft, zwischen Akzeptanz und Auflehnung, missmutiger Loyalität und Nischenglück wird durch den Tunnelblick auf die Staatssicherheit nicht deutlich." Sprecherin Keine inhaltliche Beschränkung auf den Repressionsapparat der DDR, stattdessen Einbeziehung des Alltags - Sabrows Vorschlag stieß beim Kulturstaatsminister auf keine allzu große Gegenliebe. Ähnlich auch das Credo seiner Mitstreiter bei der Bundestagsanhörung im November. Da sah Horst Müller, Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, ein "weichgespültes DDR-Bild" am Horizont heraufziehen; beschwor Hubertus Knabe, der Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, die Gefahr eines "Erinnerungskombinats für staatlich geförderte Ostalgie." Sprecher Martin Sabrow ist damit nicht einverstanden. Der Leiter des zeithistorischen Zentrums hält wenig von einer: O-Ton: ...volkspädagogisch inspirierten und von besten Motiven getragenen Überlegung, DAS Bild der SED-Diktatur DEN Menschen zu implementieren. Wir dürfen schließlich nicht vergessen, dass für eine bedeutende Minderheit der heutigen Bundesbürger die DDR zugleich das gelebte Leben ist. Und wir müssten anerkennen, dass es eben die Frage nach dem richtigen Leben in den falschen Verhältnissen gibt. Und das sie in mancher Hinsicht von einer tragischen Ausweglosigkeit auch sein kann. Aber wir können diese Ausweglosigkeit nicht dadurch aufheben, dass wir ein staatlich verordnetes Gedenken totalisieren. Sprecher Erik Meyer, der Erinnerungsexperte von der Universität Gießen, hat in der letzten Zeit häufiger beobachtet, wie sich der Staat bei der Erinnerungsarbeit einmischt. O-Ton: Ich halte das für unvermeidlich. Denn insofern er als Geldgeber fungiert, ist es natürlich notwendig, dass er auch Förderkriterien etc. aufstellt. Und in dem Maße, in dem staatliche Mittel, Zuwendungen, vergeben werden, ist es auch unvermeidlich, dass der Staat sich da in dem Sinne positioniert. Die Frage ist nur, in wieweit er tatsächlich die Autonomie hinsichtlich der Formulierung von Geschichtsbildern, von Einsichten, die daraus folgern, beeinflusst. 1. Atmo: Klaviermusik Regie: Wegblenden Sprecherin Gut eine halbe Stunde dauert die Ausstellungseröffnung im Paul-Löbe-Haus schon, gleich sind noch einige Zeitzeuginnen aus dem Kreis der Mädchen vom "Zimmer 28" des Theresienstädter Ghettos an der Reihe - mit ihren Reden. Sie kommen aus Israel, den USA, Österreich und Tschechien; betagte Damen, die damals - als Kinder - durch die Hilfe erwachsener Häftlinge "in Zeiten extremster Inhumanität vor der Entwertung des Guten gerettet wurden", wie es im Begleitheft der Ausstellung heißt. Sprecher Auch Günter Morsch, der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, hat schon häufiger Besuch gehabt von Holocaust-Überlebenden. Viele kehren an Gedenktagen wie dem 27. Januar zurück an den Ort des Schreckens - nach Sachsenhausen, Ravensbrück oder Brandenburg. Sprecherin Ähnlich wie in Buchenwald ist das allgemeine Interesse an den Brandenburger KZ- Gedenkstätten in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, zuletzt auf mehr als 350.000 Besucher im Jahr; ähnlich auch die finanzielle Situation. Ähnlich dürftig. Der Stiftungshaushalt ist schon seit Jahren eingefroren, deshalb musste Morsch letztes Jahr den Stellenpool um fünf Prozent kürzen - das dritte Mal in 15 Jahren. O-Ton: Wir haben etwa jeden zweiten Besucherwunsch, der uns erreicht hat,...den mussten wir leider abschlägig bescheiden. Und das tut weh. Das liegt in der Hauptsache daran, dass die Mitarbeiterzahlen im pädagogischen Bereich einfach zu gering sind. Wir haben hier in Sachsenhausen fünf ständige Mitarbeiter in der pädagogischen Abteilung. Das ist eindeutig zu wenig. Sprecherin Aussicht auf Linderung durch das neue Gedenkstättenkonzept verspricht sich Morsch nicht - weder finanziell noch inhaltlich. Der Entwurf, meint der Historiker, atme doch sehr den Geist der alten Bundesrepublik. O-Ton: In der Bundesrepublik Deutschland waren die Gedenkstätten immer schon marginalisiert. Eigentlich hat es ja lange Zeit gar keine zentrale Gedenkstättenförderung gegeben. Das war Sache der Länder, der Kreise, der Vereine, privater Vereine. Und so sind gerade in Westdeutschland die Gedenkstätten sehr stark marginalisiert gewesen. Also, wenn sie an Dachau oder Bergen-Belsen denken - das hat der historischen Bedeutung nicht im Mindesten entsprochen, was dort gemacht worden ist. Das hat sich durch die deutsche Einheit geändert - das will man auch deutlich sagen, nicht?! Da sind Sachsenhausen und Buchenwald vorangegangen. Und da sind andere jetzt nachgefolgt wie Bergen-Belsen, Flossenbürg und Dachau. Und diese Tradition aus Westdeutschland - die hält uns strukturell gefangen. Sprecherin "Ich war's nicht, der Führer war's." Getreu diesem Credo unternahmen viele Westdeutsche nach Ende des Zweiten Weltkriegs ihre ersten Gehversuche in der Demokratie; versuchten sie davon abzulenken, dass sie keine fünf Jahre zuvor noch Adolf Hitler zugejubelt hatten; stilisierten sie sich zu Opfern: des Führers; der Nationalsozialisten; der "Umstände." Sprecher Vergangene Zeiten - und doch will Jens-Christian Wagner in der letzten Zeit eine Neuauflage dieses "Opfersyndroms" entdeckt haben. O-Ton: Das hat allgemein mit einer Veränderung des erinnerungskulturellen Diskurses in der Bundesrepublik Deutschland zu tun, meines Erachtens. Wir sehen zunehmend in der öffentlichen Diskussion Deutsche wieder mehr als Opfer. Da passt es nicht wirklich hinein, wenn an NS-Verbrechen in dem Rahmen erinnert wird, wie wir es in den Gedenkstätten für nötig erachten. Zum Beispiel geht es da um die Diskussion, was das Zentrum gegen Vertreibung anbelangt. Denken sie an die Diskussion um den Luftkrieg, die vor zwei Jahren begonnen hat. Das zieht sich sozusagen als roter Faden durch die geschichtskulturelle Debatte der letzten zwei, drei Jahre. Das merkt man sehr stark. Im gewissen Sinne kann man hier einen Rückfall in die 50er Jahre Westdeutschlands konstatieren. 2. Atmo: Klaviermusik Regie: Wegblenden Sprecherin Jens-Christian Wagner findet es gut, dass es Veranstaltungen wie die Ausstellungseröffnung in den Abgeordnetenräumen des Deutschen Bundestages gibt - auch wenn ihn manchmal das Gefühl beschleicht, hier werde aus Pflichterfüllung Erinnerungspolitik betrieben. Alles nur Symbolik. Genau wie beim Gedenkstättenkonzept: Zwei dünne Seiten voller Gemeinplätze zur NS- Geschichte, garniert mit einer Prise Lob für die geleistete Arbeit der KZ-Gedenkstätten. O-Ton: Wenn man dieses Papier so liest, dann denkt man: Aha, im NS-Bereich, also im Bereich der KZ-Gedenkstätten, ist alles prima; sind wir bestens aufgestellt. Das ist ja nicht der Fall. Über unsere finanziell-strukturelle Defizite habe ich bereits besprochen - hier vor Ort in den Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Und das betrifft die West- Gedenkstätten fast noch mehr. Denken Sie an die Gedenkstätte Dachau mit Hunderttausenden von Besuchern im Jahr, die eine pädagogische Mitarbeiterin hat. Das kann einfach nicht funktionieren. Sprecher Doch vielleicht ändert sich daran ja jetzt etwas, da Dachau auch vom Bund institutionell gefördert wird. Dass die westdeutschen KZ-Gedenkstätten nun genau wie die ostdeutschen vom Bund gefördert würden - das sei schon ein Fortschritt, meint Günter Morsch; weise in die Zukunft. Sprecherin Wie es mit den KZ-Gedenkstätten aber perspektivisch weiter gehen soll - inhaltlich und strukturell - dazu vermisst Morsch Antworten von der Politik. Im Konzept des Kulturstaatsministers jedenfalls hat er sie nicht gefunden. "Typisch Politiker" - meint Morsch lakonisch. Für die meisten seien KZ-Gedenkstätten immer noch vor allem eines: Friedhöfe. O-Ton: Wo man mal hingeht und trauert. Und möglicherweise auch die Politik mal nen Kranz abwirft. Aber so ist das ja schon lange nicht mehr. Das sind nicht nur Friedhöfe, das sind offene Lernorte, zeithistorische Museen. Auch - Entschuldigung für das Wort - spannende Orte. Die Geschichte erzählen; wo man Geschichte entdecken kann; wo's zahlreiche professionelle Ausstellungen gibt. Und dieses Bild der Modernisierung und Professionalisierung - dieses Bild hat sich noch nicht so in der Öffentlichkeit und so wie ich den Eindruck habe, auch in der breiten Politik-Öffentlichkeit noch nicht so durchgesetzt. Sprecher: Volkhard Knigge, der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten: O-Ton: In der Politik ist mein Eindruck, denkt man doch in vielem noch: Erinnerungskultur - das ist eben doch nicht viel mehr als Totengedenken. Und eben Pietät vor Opfern. Und historisch entkernte Pietät, Pietät ohne Warum-Fragen und nach Verantwortung und Mitverantwortung- die bildet nicht, die erzieht nicht, die schafft kein demokratisches Bewusstsein. Sprecherin Historisch entkernte Pietät statt kritisches Geschichtsbewusstsein: Ist das der Trend der Zeit? Läuft eine staatlich-paternalistisch dominierte Erinnerungskultur Gefahr, zu einer leeren Hülle zu werden? Zu diesem Schluss kann man kommen, wenn man Bernd Neumanns Gedenkstättenkonzept liest. Neumann möchte das Gedenken in Denkmale und Gedenkstätten verpacken. Am besten luftdicht, hübsch normiert, Geschichte im Tetrapack. O-Ton: Was man absehen kann, ist, dass die erinnerungskulturellen Einrichtungen, dass die Frage von Denkmalen und anderen Formen der Repräsentation der Erinnerung - dass das quantitativ noch zunehmen wird. Wir haben jetzt mehrere Projekte, die in dieser Hinsicht vorgeschlagen wurden. Ein Freiheits- und Einheitsdenkmal; das Zentrum gegen Vertreibungen; das Ehrenmal der Bundeswehr. Also, ich glaube, rein quantitativ wird dieser Bereich zunehmen. Sprecherin Erwartet Erik Meyer von der Universität Gießen. In spätestens zwanzig Jahren werden die Zeitzeugen des Holocaust verstorben sein. Wie die Schoa einem Publikum vermittelt werden soll, das nicht mehr aus erster Hand - von den Überlebenden - erfahren kann, was der Holocaust eigentlich bedeutete: Kein Wort darüber in Neumanns Konzept. Genauso wenig wie über die Frage, ob angesichts des biologischen Ablebens der Zeitzeugen Prioritäten zugunsten der KZ-Gedenkstätten gesetzt werden sollten, wie es unlängst Salomon Korn forderte. Auch dazu nichts. Sprecher Bei den KZ-Gedenkstätten ist der anstehende Generationswechsel dagegen schon seit längerem Thema. Denn: Nicht nur die Opfer werden bald sterben, sondern auch die Täter. O-Ton: Das alte Betroffenheits-Konzept funktioniert nicht mehr. Leute meiner Generation - die sind natürlich groß geworden im Konflikt mit ihren Eltern über die NS-Zeit. Wenn wir an diese Orte gehen, dann haben wir tatsächlich einen persönlichen Bezug zu diesen Orten - aufgrund dieser Konflikte mit der Eltern-Generation. Die nachfolgenden Generationen haben diesen Konflikt nicht mehr. Das ist keine Frage der persönlichen Betroffenheit mehr. Deshalb können wir pädagogische Konzepte nicht mehr auf konservative Betroffenheitskonzepte abstellen, sondern müssen tatsächlich moderne, pädagogische Konzepte, die vor allen etwas mit Selbstlernen, Autodidaktik, zu tun haben, anwenden. Sprecher An Bernd Neumann scheint das spurlos vorüber gegangen zu sein. Aber es ist ja auch nicht gerade sein Steckenpferd. Mit der finanziellen Förderung der vier westdeutschen KZ-Gedenkstätten scheint der Bund seine Pflicht getan zu haben. Thema abgehakt. Jetzt müssen neue Prioritäten her; hat aufgrund des "Nachholbedarfs" die Aufarbeitung des SED-Unrechts Vorrang; soll Deutschland wieder ein unverkrampfteres Verhältnis zu seiner Geschichte entwickeln. Meint Neumanns Parteifreund Günter Nooke. O-Ton Ich hab ein Interesse daran, deutsche Geschichte weder auf die zwölf Jahre Nationalsozialismus noch auf die deutsche Teilung oder gar die DDR zu fokussieren. Ich glaube, zum nationalen Gedächtnis gehört eben sehr, sehr viel mehr. Nur mit Negativ- Geschichte kann man den Zusammenhalt einer Nation oder der Menschen in einem Staat nicht organisieren. Sprecherin Eigentlich sollte der Bundestag jetzt schon, im Februar, über Neumanns Konzept abstimmen. Doch es gibt noch "Klärungsbedarf", heißt es aus dem Kulturausschuss. Nun ist von April die Rede. Sprecher Zwar ist mit Neumanns rechter Hand, Ministerialdirektor Schäfer, Anfang des Jahres derjenige aufs Altenteil geschickt worden, der dem Konzept seinen Stempel aufgedrückt hatte: Doch dass die "durchdachte und solide Diskussionsgrundlage" noch einmal von Grund auf überarbeitet wird, erwarten die wenigsten. Allenfalls ein paar kosmetische Korrekturen, die eine oder andere Formulierung hier und da, mehr nicht. Sprecherin Und so wird die "Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption" wohl das bleiben, was sie ist: Der Versuch eines Paradigmenwechsels. Fragt sich nur, ob das dem Thema angemessen ist? Volkhard Knigge hat da so seine Zweifel. O-Ton: Es geht hier nicht um Gedenkstättenkonkurrenz oder Opferkonkurrenz. Sondern es geht um solides, geschichtswissenschaftlich und ethisch verantwortbares historisches Geschichtsbewusstsein der Bundesrepublik. Zitator : Geschichte im Tetrapack? Über Denk- und Gedenkstätten in deutschen Landen Eine Sendung von Michael Frantzen Es sprachen: Nadja Schulz-Berlinghoff, Viktor Neumann und Norbert Schwarz Technik: Ralf Perz Regie: Beate Ziegs Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2008 1 1