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Etwa diese: Wenn der Mensch ein "vernünftiges Tier" ist, ein "animal rationale", wie der antike Philosoph Aristoteles definierte und die Wissenschaft seither fest glaubt, wie erklärt sich dann die große Rolle, die Gefühle offensichtlich im menschlichen Leben und Handeln spielen? Auch Aristoteles selbst bemerkte das schon. In seiner Rhetorik schreibt er: Zitat Aristoteles "Emotionen sind dasjenige, durch das sich Menschen in ihren Urteilen unterscheiden. Sie sind mit Schmerz und Lust verbunden; so zum Beispiel Zorn, Mitleid, Furcht und was es sonst noch Derartiges gibt, sowie die Gegenteile von diesen." Autorin Dass Gefühle einen großen Einfluss auf uns haben, sahen auch die antiken Stoiker; sie beschrieben die verschiedenen Emotionen - oder wie man früher sagte "Passionen" oder "Affekte" - ausführlich in ihren Ethiken und verschrieben strikte Gefühls-Abstinenz. Stoisch soll man eben sein. Zitat Stoiker "Eine Passion ist eine unvernünftige und naturwidrige Bewegung der Seele" Autorin meinten sie, und: Zitat Stoiker "Der Weise hat keine Passionen." Autorin In den Jahrtausenden seither setzten sich Philosophen und Humanwissenschaftler immer wieder mit Gefühlen auseinander. Es gab Zeiten wie das 17. Jahrhundert, in denen die Emotionen oder "les passions de l'âme" geradezu im Zentrum der gelehrten Debatten standen. Namhafte Philosophen wie Descartes, Spinoza, und Leibniz untersuchten sie. Trenner Musik Autorin Was genau sind Gefühle, wie funktionieren sie, und warum sind sie so wichtig für Menschen und ihre Kultur? Auf diese Fragen bekommt man heute ganz unterschiedliche Antworten, je nachdem ob man Psychologen, Philosophen, Geistes- oder Naturwissenschaftler fragt. Philosophinnen und Philosophen klären die Begriffe, wie es ihre Aufgabe ist. Sie unterscheiden zwischen Stimmungen und gerichteten oder "intentionalen" Gefühlen oder Emotionen. Hilge Landweer ist Professorin für Philosophie an der Freien Universität Berlin und beschäftigt sich seit Jahren mit den Emotionen: O-Ton 1 Landweer Normalerweise unterscheidet man in der Philosophie intentionale Gefühle von Stimmungen; bei den intentionalen Gefühlen handelt es sich um etwas, was auf einen Gegenstand bezogen ist also wir ärgern uns nicht überhaupt, sondern wir ärgern uns immer über etwas; wir schämen uns nicht überhaupt, sondern wir schämen uns für etwas, und meistens auch noch vor jemandem; oder wenn wir uns freuen, dann freuen wir uns über etwas oder womöglich auch noch an etwas oder an jemandem - soll auch vorkommen - aber jedenfalls gibt es immer bei diesen gerichteten Gefühlen diesen Bezug auf einen Sachverhalt oder Gegenstand in der Welt, während das bei den Stimmungen nicht so ganz eindeutig ist, die haben keinen spezifischen Gegenstandsbezug. Man fühlt sich in gewisser Weise, das prägt das gesamte Erleben, aber es ist eben nicht so, dass es bestimmte, eindeutig identifizierbare Anlässe für Stimmungen gibt. Autorin Neben der Philosophie, die seit jeher das Geschäft des Definierens betreibt, ist es heute vor allem die Psychologie, die Theorien über die Emotionen aufstellt und unterschiedliche Modelle hat, um Gefühle zu erklären. Arthur Jacobs ist Psycholinguist und ebenfalls Professor an der Freien Universität: O-Ton 2 Jacobs Die großen aktuellen Emotionstheorien kann man glaube ich dahingehend kategorisieren, dass die eine Gruppe eher biologisch, evolutionsbiologisch inspiriert ist; man geht etwa davon aus, mit Darwin, dass der Mensch über eine Palette von einigen wenigen Basis-Emotionen verfügt, etwa Wut, Freude, Trauer, Überraschung, Ekel und dass sich aus diesen Basis-Emotionen, die universell sein sollen, alle anderen, komplexeren Emotionen in irgend einer Weise zusammensetzen. Aber das ist nur eine Schiene. Eine andere große Gruppe von Emotionstheorien leugnet die Existenz von Basisemotionen und behauptet dagegen, dass sich sozusagen alle Emotionen auf ganz wenige, auf zwei Dimensionen, nämlich auf der Dimension der Valenz, ob etwas positiv oder negativ ist, und der Dimension der Erregung, ob etwas erregend oder eher beruhigend ist, zusammensetzt. Autorin Noch eine andere Sicht auf Emotionen nehmen die sogenannten Bewertungs-, auf Englisch: "Appraisal-", -Theorien ein. Diese meinen, dass ohne Erkenntnis oder Kognition gar kein Gefühl entstehen kann. Arthur Jacobs: O-Ton 3 Jacobs Ganz vereinfacht ausgedrückt geht man bei den Appraisal-Theorien davon aus, dass bestimmte Umweltreize nicht direkt, etwa über rein physiologische Erregungen, zu Emotionen und dann zu emotionsgesteuertem Verhalten führen, sondern dass diese Situationen zunächst einmal kognitiv bewertet, eingeschätzt werden und dass dieser kognitive Prozess, sozusagen, ursächlich beteiligt ist am Entstehen der Emotion. O-Ton 4 Jacobs Ein Beispiel wäre etwa eine Situation: stellen Sie sich vor, Sie bekommen einen Stoß in den Rücken. Und nach einer einfachen evolutionsbiologischen Theorie könnte dieser Stoß sofort die Emotion des Verärgertseins, vielleicht sogar der Wut hervorrufen. Sie drehen sich um, möglicherweise schwellen Ihre Halsadern an, andere physiologische Reaktionen sind wahrnehmbar, aber sie drehen sich um und merken, jemand der in einem Rollstuhl sitzt ist in Sie hineingefahren, weil er selbst wiederum angestoßen wurde. Sie bewerten also diese Situation auf einmal kognitiv und diese Bewertung führt dann zu einer ganz anderen Emotion als etwa Wut. Vielleicht etwa zu der Einschätzung, dass Sie ganz freundlich werden gegenüber der Person, die nicht-verschuldet Ihnen diesen Stoß zugefügt hat. Autorin Aber haben wir nicht immer gelernt, dass Gefühl und Verstand, Affekt und Vernunft, Emotion und Kognition Gegensätze sind? Zitat Nun sei mal nicht so emotional... Sei doch mal vernünftig! Autorin Es scheint, dass unser Alltagsverständnis hier nicht ganz richtig ist. Schon längst geht die Wissenschaft nicht mehr von einer klaren Trennung zwischen Fühlen und Denken aus. Noch einmal Arthur Jacobs: O-Ton 5 Jacobs Es gab eine Tradition, Emotion getrennt von Kognition zu untersuchen, auch getrennt zu lehren; aber spätestens seit Damasios Buch "Descartes' Irrtum" kann man so etwas wie eine affektive Wende feststellen und die moderne kognitive Psychologie, die ich vertrete, denkt jetzt immer mehr in Interaktionen zwischen kognitiven und affektiven oder emotionalen Prozessen. Das macht die ganze Sache nicht einfacher, denn jetzt muss man auch die Dynamik untersuchen und diese scharfen ehemaligen Gegensätze - Emotion hier, dort Kognition - lösen sich in vielen Fällen auf. Autorin Der eben erwähnte Neurowissenschaftler Antonio Damasio, der in Kalifornien forscht und lehrt, hat mit seinen erfolgreichen Büchern viel zum gegenwärtigen Boom in der Emotionsforschung beigetragen. Aber er ist bei weitem nicht der einzige, der keine scharfe Trennung von Denken und Fühlen mehr annimmt. Auch die Philosophie vermutet seit längerem einen Zusammenhang. Hilge Landweer erläutert: O-Ton 6 Landweer Es gibt in der neueren Diskussion eine ganz starke Bestrebung, die Gefühle selbst für rational zu erklären oder aber ihnen eine große Nähe zur Rationalität zuzuschreiben, und sicherlich gibt es da Beziehungen zwischen Gefühlen und Rationalität, man kann zum Beispiel sagen, dass wir uns ohne Gefühle die Welt gar nicht erschließen könnten, also die Art und Weise, wie wir uns in einer Situation befinden, wie wir diese Situation erleben, eben auch emotional erleben, strukturiert für uns die Situation und macht es uns möglich, überhaupt erst einzelne Sachverhalte als für uns relevant, für uns wichtig, zu erkennen. Und insofern spielen die Gefühle und Stimmungen eine wichtige Rolle aufgrund ihres welterschließenden Charakters. Autorin Emotionen sind also wichtig. Und immer mehr Forscher widmen sich derzeit explizit dem Thema. Allein in Berlin gibt es seit letztem Jahr zwei große neue Forschungsprojekte: Die Freie Universität hat einen sogenannten "Exzellenz- Cluster", an dem eine Vielzahl von Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Fächern das Thema "Languages of emotion" bearbeitet. Und am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung gibt es einen neuen Forschungsbereich "Geschichte der Gefühle". Seine Direktorin ist die Historikerin Ute Frevert. Allerdings haben Historiker und Kulturwissenschaftler meist ganz andere Fragen als Psychologen und Philosophen. Sie fragen weniger danach, was Emotionen selbst sind, als danach, welche Bedeutung sie in Kultur und Gesellschaft haben. Professor Frevert: O-Ton 8 Frevert Wir arbeiten ja hier am Institut für Bildungsforschung, und in dem Zusammenhang fiel die erste Vorentscheidung, etwas über Emotionen zu forschen, weil Emotionen aus unserer Sicht ein ganz wichtiger Teil menschlicher Bildung und Entwicklung sind. Menschen ohne Emotionen können nicht sozial kommunizieren, sind in dem Sinne interaktions-unfähig und von daher übernehmen Emotionen eine wichtige Rolle im Menschwerdungsprozess als sozialem Wesen. Psychologen, die hier auch arbeiten am Institut, würden argumentieren, dass Emotionen etwas Universelles haben, überall verständlich sind; in allen sozialen Kontexten sich auf eine ähnliche Weise bilden und ausdrücken; wir als Historiker vermuten, dass dem nicht so ist, dass es diese universelle Lesbarkeit und auch diesen universellen Ausdruck von Emotionen nicht so gibt, sondern dass Emotionen ganz stark sozusagen durch Kultur geformt sind. Autorin Die Forschergruppe am Max-Planck-Institut untersucht Emotionen in einer Reihe von historischen Projekten. Es geht um Vaterliebe, Soldatenängste, um religiöse Emotionen im 19. Jahrhundert. Aber auch um homosexuelle Gefühle in den 1960er Jahren oder um filmische Darstellungen von Emotionen im späten 20. Jahrhundert. Ein besonderer Schwerpunkt ist Indien gewidmet - von der Emotionsdarstellung in der klassischen Kunst bis hin zum Bollywood-Film. O-Ton 9 Frevert Wenn wir davon ausgehen, dass Emotionen, das Reden über Emotionen, der Ausdruck von Emotionen und möglicherweise auch das Empfinden von Emotionen sehr kulturabhängig sind, dann lohnt es sich, und ist auch ganz wesentlich für den Erkenntnisgewinn und auch den Erkenntnisfortschritt, von zwei sehr unterschiedlich geprägten Kulturen auszugehen. Und dafür steht auf der einen Seite "der Westen", der natürlich auch wiederum intern nochmals untergliedert ist und differenziert werden kann - Amerika hat andere Traditionen als manche europäische Länder - aber dann sozusagen als nicht-westliches Modell Indien, mit einer ganz eigenen, reichen Tradition des Nachdenkens über Emotionen und des Ausdrückens von Emotionen; zugleich aber auch einer Begegnung wiederum, wenn man es jetzt mal ganz neutral sagen will, mit westlichen Konzepten, über diese starke koloniale Vergangenheit. So dass wir da ein Forschungsfeld haben, das uns sowohl das Andere als auch das Verwandte, aber anders angeeignete auf eine ganz faszinierende Weise spiegelt. Trenner Musik Autorin An dem riesigen "Exzellenz-Cluster" der Freien Universität sind eine Fülle von Fächern beteiligt: Von der Literatur-, Kunst-, Tanz- und Filmwissenschaft über die Soziologie, Ethnologie und Linguistik bis hin zur Anthropologie, Biologie und Hirnforschung, zur neurokognitiven Psychologie und zur Psychiatrie. Viele der Projekte arbeiten interdisziplinär zwischen Geistes- und Naturwissenschaften. Ein besonderer Akzent liegt auf dem Zusammenhang von Emotionen und Sprache. Der Literaturwissenschaftler Winfried Menninghaus ist eine der treibenden Kräfte hinter dem Cluster; er beschreibt die zugrundeliegende Idee folgendermaßen: O-Ton 10 Menninghaus Die Entstehung kann ich mit Rücksicht auf die Rhetorik eigentlich beschreiben. Die Rhetorik ist die Wissenschaft von der Verbindung von Sprachformen, Sprechakten und emotionalen, kognitiven Prozessen. Und seit der antiken Rhetorik wird gern gesagt, dass bestimmte Formen der Verbalisierung mit bestimmten Formen der emotionalen Wirkung einhergehen. Dieses Phänomen ist aber in den positiven, experimentellen Wissenschaften sehr wenig untersucht, nicht zuletzt deshalb, weil der Emotionsbegriff der modernen Wissenschaft eigentlich die Sprache nicht wirklich berücksichtigt. Umgekehrt ist es so, dass in der modernen Linguistik der kognitive Aspekt weitaus im Vordergrund steht. So dass auch von der Sprachseite her diese Brücke zwischen Sprache und Emotionen nicht sehr im Vordergrund steht. Und das ist also der Gedanke des Clusters, der wird von verschiedenen Disziplinen getragen - ich kann es am besten für die Frage der Rhetorik, Ästhetik, Poetik beschreiben, aber von der Seite der Psychologie, der Neurowissenschaften, der Sprachwissenschaften, der Musikwissenschaften gibt es eigene Zugangswege, die wir nun versuchen untereinander abzustimmen oder ihre Reibungen untereinander auszutragen. Autorin Der Exzellenz-Cluster ist auch finanziell exzellent ausgerüstet. Von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bekommt er über fünf Jahre in etwa 30 Millionen Euro, also rund 6 Millionen Euro pro Jahr. Von dem Geld werden nicht nur Forschungsstellen finanziert, sondern auch eine beachtliche naturwissenschaftliche Infrastruktur. An der Freien Universität ist eigens ein Labor gebaut worden; kostspielige Apparate konnten angeschafft werden. Ein mehr als anderthalb Millionen Euro teurer Magnetresonanztomograph etwa, sowie diverse kleinere Geräte, die auch nicht billig sind: Ein Nah-Infrarot-Spektrograph, ein 64-Kanal-EEG und so weiter... Die Freie Universität verfügt jetzt über eines der modernsten psychologischen Laboratorien Deutschlands. Dazu der Psycholinguist Arthur Jacobs: O-Ton 11 Jacobs Wir können Gott sei Dank in diesem Cluster auf Ressourcen zurückgreifen, die es erlauben, von den subjektiven Einschätzungsmethoden, also Selbstberichten, über behaviorale Methoden, Reaktionszeitmessung, Blickbewegungsmessung, bis hin zu den modernsten neurokognitiven Methoden, also Hirnaktivitätsmessung alles einzusetzen, und wir glauben natürlich, dass Emotionen auf den unterschiedlichsten Ebenen wirken, vom Hautleitwiderstand über die Pupillengröße bis hin zu subjektiv auch verbalisierbaren bewussten Empfindungen. Und das kann man nur multimethodisch angehen. Autorin Mit Hilfe der Messungen am Gehirn, die mit dem Magnetresonanztomographen oder der Elektroenzephalographie, kurz EEG, vorgenommen werden, lässt sich viel über den physiologischen Ablauf von Emotionen herausfinden. Allerdings nicht für alle Sorten von Emotionen gleich viel. Was die Geräte der Hirnforschung vor allem untersuchen können, sind schnelle, akute Emotionen, wie etwa die Furcht und ihren dazugehörigen Fluchtreflex. Professor Menninghaus erläutert: O-Ton 12 Menninghaus Emotionen, die eben diesen episodischen Charakter haben, was auch gerne evolutionspsychologisch begründet wird - wenn wir nicht ganz schnell auf eine Gefahr reagieren würden, wären wir sozusagen schon tot, die Evolution begünstigt sozusagen diejenigen, die schnell reagieren. Autorin Weniger aussagekräftig sind empirische Methoden für Stimmungen oder länger anhaltende Emotionen, wie zum Beispiel Bewunderung oder Liebe. Die aber sind für Sozial- und Geisteswissenschaftler sehr wichtig. Nochmals Winfried Menninghaus: O-Ton 13 Menninghaus Das Modell ist auch sehr elaboriert, man weiß unheimlich viel über diese Emotionsepisoden von Null bis 1000 Millisekunden - aber wirklich phänomenal viel. Nicht, man kann vorhersagen, wann was passiert. Und das ist sehr beeindruckend. Es ist eben für sprachliche Phänomene, für Phänomene auch der visuellen Künste, Musik, nicht so ohne weiteres zu gebrauchen. Sonst wär das so etwas beinahe wie ein Anfall. Die Kunstrezeption besteht nicht daraus, dass Sie vielleicht alle 30 Minuten so etwas wie einen epileptischen Emotionsanfall haben, ja. Sondern das ist ein anderer Prozess. Und es ist leider so, dass mit den vorhandenen Mitteln es sehr schwer ist, den zu erfassen... Autorin Aber nicht nur die Geisteswissenschaftler, auch die empirischen Forscher selbst beschäftigen sich mit den Grenzen ihrer eigenen Methoden. Arthur Jacobs relativiert: O-Ton 15 Jacobs Ich glaube schon, dass nicht alles in der heutigen Zeit mit den heutigen Methoden empirisch messbar ist. Andererseits, als ich promoviert habe, konnte niemand auch nur ahnen, dass es irgendwann überhaupt nur möglich sein würde, in der Psychologie dem Gehirn beim Denken und Fühlen zuzuschauen, in der Art und Weise, wie wir das heute mit dem Kernspintomographen können. Also da tut sich auch sehr viel. Autorin Und was genau kann man herausfinden, wenn man Leute in die Röhre eines Kernspintomographen steckt? O-Ton 16 Jacobs Man kann etwa damit zeigen, dass es zwischen der vermeintlichen Basisemotion Angst und einer Region im Gehirn, die wir die Mandelkerne oder Amygdalae nennen, eine systematische Korrelation gibt. Dahingehend dass quasi immer, wenn Versuchspersonen subjektiv über Angstzustände berichten, wir auch in diesen Amygdalae eine damit einhergehende Aktivierung beobachten. Das soll nicht heißen, dass die Amygdala, nun ausschließlich für die Emotion Angst zuständig wäre - das ist natürlich viel komplizierter - aber es scheint alles darauf hinzudeuten, dass man wenn man keine Amygdala mehr hätt', also etwa in Läsionsversuchen mit Tieren oder nach Hirnschlägen auch bei Menschen, dass es dann so aussieht, als gäbe es die Emotion Angst nicht mehr. Aber trotzdem zeigen diese Untersuchungen, dass bestimmte Hirnregionen oder neuronale Netzwerke mit bestimmten affektiven Zuständen systematisch korrelieren. Und das ist die methodische Grundlage auf der wir auch diese Forschung betreiben. Autorin Und was folgt daraus, dass man weiß, wo im Gehirn eine Emotion stattfindet? O-Ton 17 Jacobs Die Frage ist so alt wie die Hirnforschung. Nur zu wissen, wo etwas im Gehirn stattfindet, ist noch keine große Erkenntnis. Aber nicht zu wissen wo etwas stattfindet, ist sicher noch viel weniger eine Erkenntnis. Diese Ortsinformation allein reicht nicht, sie ist aber sinnvoll. Weil wir aber auch die zeitliche Information wollen, kombinieren wir etwa den Kernspintomographen, der eine hohe räumliche Auflösung besitzt, mit EEG, welches eine sehr hohe zeitliche Auflösung besitzt, so dass wir glauben, dass wir auch hinter die Dynamik dieser den Emotionen zugrundeliegenden neuronalen Prozessen kommen können. Also wir fragen nicht nur, wo passiert etwas, sondern wir fragen auch wann passiert etwas und wo im Gehirn unter welchen Bedingungen. So dass eine Ursache-Wirkungs- oder Bedingungs-Analyse durch die Kombination dieser verschiedenen Methoden wahrscheinlicher erscheint als wenn man nur einfach fragen würde, wo passiert was oder wann passiert es. Autorin Für manche Kulturwissenschaftler ist das nicht genug. Die Historikerin Ute Frevert etwa steht den empirischen Forschungen sehr skeptisch gegenüber: O-Ton 18 Frevert Auf der anderen Seite finde ich es unglaublich langweilig, wenn das was die Neuros machen, nur darin besteht, das was wir eigentlich ohnehin schon wissen, über Beobachtung, über sozialwissenschaftliche Beobachtung, über kulturwissenschaftliche Beobachtung, noch mal sozusagen zu sagen, ach ja, das stimmt auch, da passiert auch was im Gehirn. Also da entwickelt sich was, das können wir dann durch diese FMRI-Methoden auch nachvollziehen und insofern stimmt das, was ihr da beobachtet. Ja mein Gott, das sagt mir jetzt als Sozial- oder Kulturwissenschaftlerin noch herzlich wenig. Interessant wird's, wenn es um Interventionen geht, das ist dann nicht mehr unser Bereich, aber wie das was passiert und die Adaptionsmöglichkeiten des Gehirns an neue Herausforderungen der Umwelt, zum Beispiel, wie sich solche Dinge immer über Kulturwissenschaften und Sozialwissenschaften vermittelt eigentlich aufeinander beziehen lassen, das finde ich das Spannende, und das wäre meine Hoffnung, dass das auch bei neurokognitiv organisierten oder ausgerichteten Psychologen zu neuen Ideen und neuen Fragestellungen führen könnte. Autorin So sehr sich viele Forscher um Interdisziplinarität bemühen - die wissenschaftlichen Selbstverständnisse prallen doch auch immer wieder aufeinander. Der Streit der Wissenschaftskulturen wird auch in der Emotionsforschung ausgetragen: Geisteswissenschaftler befürchten, dass die Hirnforschung die ganze Welt mit neuronalen Prozessen erklären will. Während empirische Forscher oft umgekehrt wenig Sinn für Dinge haben, die nicht messbar sind. Gerade an Gefühlen aber ist etwas, das sich einer naturwissenschaftlichen Quantifizierung immer wieder entzieht. Die Philosophin Hilge Landweer: O-Ton 14 Landweer Ein wichtiger Gesichtspunkt, der mir insbesondere für die Zusammenarbeit mit Naturwissenschaften und der Hirnforschung wichtig zu sein scheint, ist die Unterscheidung der Ersten-Person-Perspektive von der Dritten-Person-Perspektive auf Gefühle. Damit meine ich, dass wir ein Gefühl einmal aus unserer eigenen Perspektive beschreiben können, nämlich wie wir es erleben, subjektiv, und andererseits können wir aber auch allgemein über die Struktur von diesem Gefühl sprechen. Also wenn ich sage, ich habe mich heute morgen über dieses oder jenes Vorkommnis geärgert, so kann ich beschreiben, wie sich dieser Ärger genau angefühlt hat, aber ich kann auch die Struktur des Ereignisses beschreiben - und das kann jeder andere genauso gut tun wie ich - wenn er nur genügend darüber weiß. Und diese Dritte-Person-Perspektive ist eine, die für die Naturwissenschaften kennzeichnend ist; die können an den Gefühlen viele Dinge messen - was im Körper passiert, insbesondere im Gehirn, während ich ein Gefühl erlebe, aber das sagt noch nichts darüber aus, wie genau dieses Gefühl erlebt wird. Diese Erste-Person- Perspektive kann auf diese Art keinesfalls eingefangen werden, es gibt da keine Deckungsgleichheit. Autorin Unabhängig davon: es werden in Berlin eine große Menge interessanter, auch handfester und politisch relevanter Fragen rund um das Thema Emotion untersucht. Von der Leseforschung bis zur europäischen Ethnologie. Winfried Menninghaus: O-Ton 19 Menninghaus Ein Projekt untersucht die kulturell geprägten Emotionsdispositionen bei deutschen und türkischen Jugendlichen, und zwar in Berlin, sozusagen vor Ort. Das ist eine Ethnologin, die hat eigentlich vor allen Dingen im Pazifik immer gerne gearbeitet. Und wir haben türkischsprachige Psychologen auch dabei und versuchen das jetzt auch in die arabische Szene auch auszudehnen. Sehr gerne wird ja das Problem an den Schulen so beschrieben: es gibt Sprachprobleme, Number One; es gibt dann diesen Begriff "Bildungsferne" und so weiter, und so weiter. Und wir sagen, man darf nicht unterschätzen, wie stark die kulturelle Prägung von Schamgefühl, Ehrgefühl, Schuldgefühl, sozusagen sozialen Gefühlsskripten, die Problematik der Interaktion bestimmt. Und wenn man das mal gut auf den Begriff gebracht hat, folgen natürlich auch gegebenenfalls bestimmte Empfehlungen, wie man damit umgeht. Autorin Auch bei den Historikern findet man viele Fragestellungen, die nahe an unserem Alltag dran sind. Etwa die faszinierende Frage, warum unsere Gesellschaft so hartnäckig glaubt, dass Frauen emotionaler und Männer rationaler seien. Wer die Sache historisch betrachtet, sieht schnell, dass das nicht immer so war. Und auch nicht immer so sein muss. Ute Frevert: O-Ton 20 Frevert Wenn wir uns hier mit Moderne beschäftigen, also die Zeitspanne zwischen dem 18. und dem 21. Jahrhundert behandeln, dann ist das eine Zeit, in der Geschlechterkonzeptionen sich sehr stark verändert haben. Also einmal erstmal im 19. Jahrhundert sehr massiv in einer Art und Weise, die lange fortgewirkt hat, festgeschrieben worden sind, also die Frau hat die Emotion, der Mann hat die Vernunft, etwas was heute oft noch nachwirkt, was aber zunehmend auch porös wird. Mit einer Aufwertung der Emotion z.B. im Management-Bereich, auf einmal müssen auch Männer Emotionen haben, sonst sind sie keine guten Personalleiter, z.B., das merkt man auch, die ganzen Management-Konzeptionen reichern sich mit Emotionen an, und dadurch werden auch Männer, gewissermaßen, bekommen sie Zutritt zu einem Bereich, der ihnen hundert Jahre lang eher verschlossen worden ist. Trenner Musik Autorin Die Wissenschaft von den Emotionen, das zeigt der Blick auf Berlin, ist heute so lebendig und vielfältig wie nie zuvor. Wer den Forschern bei der Arbeit zuschaut, wird allerdings feststellen, dass die Wissenschaft mit den Gefühlen selbst, so wie wir sie im Alltag erleben, insgesamt wenig zu tun hat. Keine leisen Stimmungen, hehren Gefühle oder dramatischen Emotionen im Labor. Wissenschaftler vermessen unser Innenleben. Sie versuchen es in möglichst exakten Begriffen zu beschreiben, oder sie erklären es historisch, kulturwissenschaftlich, philosophisch. Dafür, dass es sich beim Gegenstand ihrer Untersuchungen um Liebe, Furcht, Zorn handelt, um Dinge, die uns aufwühlen, zum Träumen bringen, unser Leben ganz und gar umwandeln können, wirkt das alles erstaunlich nüchtern. Es scheint, als ginge es der Wissenschaft oft gar nicht um unsere Gefühle, sondern vielmehr um ihr eigenes Selbstverständnis. Die Philosophin Hilge Landweer sagt das so: O-Ton 21 Landweer Wenn man davon ausgeht, dass die Wissenschaft insgesamt der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Gefühle vollständig ignoriert hat; wenn man nun dagegen den Begriff des Gefühls als relevant erachtet, und zwar nicht nur den Begriff, sondern auch die Gefühlsphänomene als relevante Gegenstände betrachtet, dann kann sich unter Umständen das gesamte Feld der Wissenschaft neu sortieren, weil man dann nämlich feststellt, dass Dinge, die man bis dahin überhaupt nicht für emotional gehalten hat, in irgend einer Weise doch damit verbunden sind, und das hat damit zu tun, dass der Begriff der Emotion doch zumeist auch bezogen ist auf den Begriff der Rationalität und wenn man anfängt, darüber nachzudenken, was die Rationalität im Verhältnis zu den Emotionen dann ist, und wenn man sagt, dass es doch einen gewissen Übergang gibt von emotionaler Welterschließung zu rationaler, dann gerät auch der Rationalitätsbegriff ins Wanken und muss neu bestimmt werden und so kann dann unter Umständen durch die Thematisierung von Gefühlen und Emotionen in der Wissenschaft ein neues Licht auf altbekannte Zusammenhänge geworfen werden, die dann plötzlich ganz anders erscheinen als bisher. Und insofern kann man sich von der Emotionsforschung in gewisser Weise sogar eine Revolutionierung der Forschung insgesamt versprechen. 9