COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Literatur, 15.12.2009, 19.30 Uhr Ich bin schon immer unzeitgemäß gewesen Literatur Feature zum 85. von Friederike Mayröcker von Andrea Marggraf Sound Sprecherin 1: Schritt vor Schritt und Fuß vor Fuß gesetzt und dann immer weniger immer seltener ausgegangen und immer langsamer gegangen als ob ein Hemmschuh, 1 Wehr, 1 Stauwall eingebaut wäre in Dir, da unten, und immer weniger Antrieb auszugehen weil auch immer schlechter gesehen. O-Ton Anrufbeantworter Friederike Mayröcker: Hier ist Friederike Mayröcker. Sprecherin 1: Brille aufgesetzt Brille abgesetzt: beides gleich störend/ verwirrend, alles ein wenig verschoben verschwommen, nicht wahr, nicht in der richtigen Perspektive, jedes Ding in der Strasse für 1 anderes Ding gehalten ... seltsam und mißgesehen. (brütt oder Die seufzenden Gärten) Sound O-Ton Friederike Mayröcker: Ich erinnere mich an Momente. Sehr intensiv. An Momente. Nicht an das ganze Leben. Sound Sprecherin 2: Wenn sie einen Raum betritt, werden die Stimmen leiser. Es ist nicht nur die Achtung gegenüber ihren Worten, die der Dichterin Friederike Mayröcker entgegen gebracht wird, es ist auch ihre bescheidene zurückhaltende Art, die eine besondere Atmosphäre der Stille erzeugt. Ihr viel beschriebenes schwarzes, tief in die Augen hängendes Haar, scheint der Dichterin Schutz zu bieten vor zu viel Einsicht. Doch wer mit ihr spricht, fühlt sich gemeint. So entfacht sie Miniaturbegegnungen, in denen sie sich ihrem Gegenüber voll und ganz widmet. In ihrem Blick liegt kein Zweifel, eher die Hoffnung, dass es dem anderen gut gehe. leise Mundharmonika Sprecherin 1: Beinahe Weihnachtsstern. Hausgeburt im großelterlichen Schlafzimmer am 20. Dezember 1924. O-Ton Friederike Mayröcker: Der Vater hat gesagt: "Ist das ein hässliches Kind und das ist ja ganz gelb im Gesicht." Hat mir immer meine Mutter erzählt. Nein, das Engel Gottes hat die Hebamme gesagt. Die Hebamme hat, nach den Erzählungen meiner Mutter, hat mich hoch gehoben, hat mich meiner Mutter in die Arme gelegt und hat gesagt, Engel Gottes Kind. Sprecherin 2: Mutter und Vater lieben ihr einziges Kind. Friederike Mayröcker genießt die noch unbeschwerte Zeit der Kindheit und beginnt, alles, was um sie herum geschieht, genau zu betrachten. Sprecherin 1: Ich saß dann da und starrte auf dieses Bild. Die Erinnerung. Leise Mundharmonika O-Ton Friederike Mayröcker In den Sommermonaten mit sechs, sieben, acht Jahren war die Wahrnehmung schon sehr groß. Da war ich in Deinzendorf im Sommer immer. Das ist so ein ganz kleines Dorf im Weinviertel und da haben meine Eltern einen Vierkanter gehabt, mit riesigem Garten und einem kleinen Gemüsegarten. Und da bin ich halt gesessen vis a vis von dem Garten. Da war ein alter Brunnen, so ein Ziehbrunnen und da habe ich Mundharmonika gespielt. Ich hab natürlich nicht spielen können, aber ich habe mir eingebildet, ich spiel. Sound O-Ton Friederike Mayröcker: Ich spür mich heute noch sitzen an diesem Ziehbrunnen. Und da ist eigentlich der Beginn der großen Wahrnehmungen. Sound O-Ton Friederike Mayröcker: jemand, 1 Traum, hügelt wie Schnee oder Schwan, die beweglichen Primeln über dem Wasser Mystifikation eines Lebens 80 liebliche Sommer ach weiszt du noch die Erdbeeren in den Beeten (mit Steinen bekränzt) im groszen Garten die Hauswurz die weiszen Lilien der Hibiskus in den Wolken in Den duftenden Lauben die MADONNA gesehen wo die verborgenen Veilchen sprossen (aber es fallen auseinander meine Gebeine...) ? Sprecherin 1: Mein Vater, Lehrer und leidenschaftlicher Motorist. Intelligent, unternehmend, gesellig, ideenreich. Die Motorräder und die Automobile kamen und gingen. Meine Mutter, Modistin, inspiriert, melancholisch, aufopfernd, liebevoll, den Künsten ergeben. Sprecherin 2: Die Mutter spielt im Leben von Friederike Mayröcker eine ganz wesentliche Rolle. Stets wird sie in ihrer Nähe bleiben. Nicht nur, dass sich Mutter und Tochter täglich sehen, sie werden auch immer, nicht weit voneinander, in derselben Straße wohnen. O-Ton Friederike Mayröcker: Sie hat dann eben auch in der Anzengrubergasse (gewohnt) und ich bin dann jeden Tag oft zweimal zu ihr gegangen. Also auf jeden Fall zum Mittag immer, weil die Heimhilfe hat dann etwas gekocht und dann habe ich mit ihr zusammen Mittag gegessen. Und dann habe ich sie meistens noch am Nachmittag, am späten Nachmittag noch einmal besucht. Ja, das war schön. Das Verhältnis zu ihr war schön. Sprecherin 2: Das Kind Friederike wächst geborgen auf dem Land auf, doch in die Geborgenheit bricht der Krieg ein. Im Rückblick meint sie, dass sie diese Zeit wie hinter einem Schleier wahrgenommen habe. O-Ton Friederike Mayröcker: Dass ich gesagt habe, ich habe das wie hinter einem Vorhang oder Schleier (wahrgenommen), das war mehr bezogen auf die Zeit, wo wir ausgebombt waren und ein Kollege, mein Vater war Lehrer, ein Kollege von ihm hat uns aufgenommen dann in seine Wohnung. Er hat eine größere Wohnung gehabt. Da habe ich mich ganz zurückgezogen. Der hatte eine riesige Bibliothek mit Katalogen von modernen Malern gehabt. Ich kann mich erinnern, ich habe damals zum ersten Mal den Klimmt angeschaut und war so beeindruckt, jetzt weniger, damals war ich sehr beeindruckt von Klimmt. Jetzt weniger, aber damals war ich sehr beeindruckt vom Klimmt. Und ich habe da den ganzen Tag gehockt und habe mich nur beschäftigt mit diesen Kunstbüchern. Sonst gar nichts. Unten waren die Gulaschkanonen und waren die Russen unten und so. Irgendwie habe ich es verdrängt auch, weil es so furchtbar war. Sprecherin 2: Auf Wunsch des Vaters wird Friederike Mayröcker nach dem Krieg Lehrerin und unterrichtet vierundzwanzig Jahre lang Englisch. Ihre Schüler kommen vorwiegend aus einfachen sozialen Verhältnissen. O-Ton Friederike Mayröcker: Also da habe ich schon sehr viel Gefühl gehabt für die sozialen Umstände. Das ist ein ganz armer Bezirk. Es ist ein Arbeiterbezirk wo ich war ? Favoriten. Und die sind dann auch oft zu mir gekommen in der Pause und haben mir erzählt von zu Hause. Das habe ich noch am ehesten akzeptiert, aber das Unterrichten, das Pädagogische, das liegt mir, das ist mir immer so fern gelegen. Aber mein Vater war Lehrer und der hat gedacht, das wäre was für mich. So war es halt. Es war nicht für mich. Aber von irgendetwas musste man ja leben. Also ich meine, es war nach 45. Sprecherin 2: 1969 wird sie sich von dem ungeliebten Beruf durch eine Frühpensionierung befreien. Zu dem Zeitpunkt ist Friederike Mayröcker bereits als Autorin bekannt. Erste Texte hatte sie 1945 in der Zeitschrift "Plan" veröffentlicht und seit 1956 reißt die Flut der Veröffentlichungen nicht mehr ab. Jedes Jahr erscheinen neben Gedicht- und Prosabänden, auch Hörspiele, Kinderbücher und Bühnentexte. Unzählige Preise krönen ihren Weg. Zuletzt erhielt sie den Hermann Lenz Preis für ihren jüngst erschienenen Band scardanelli. Nicht Hölderlins zweite Lebenshälfte, in der er einige seiner Gedichte mit diesem Namen unterschrieb, ist der Anlass für die Entstehung dieses Buches, sondern sein Gedicht Wenn aus dem Himmel. O-Ton Elke Erb: Scardanelli ist eher Ypsilon. Eine Form von Jenseits. Sprecherin 2: Elke Erb. Seit vielen Jahren gibt es einen regelmäßigen Austausch zwischen den Dichterinnen. Anfang der Neunziger Jahre wird Elke Erb vom Reclam Verlag gebeten, einen Sammelband mit Gedichten und Prosa von Friederike Mayröcker heraus zu geben. O-Ton Elke Erb: Ich war in Wien, als ich diese Herausgabe machte, um die Texte mit Anmerkungen versehen zu können. Und da habe ich da gefragt und da gefragt. Und bei ihren eigenartigen Wortbildungen da hat sie immer gesagt: das war ein Verbaltraum. Verbaltraum. Sprecherin 2: Nicht nur Träume, auch Briefe von Freunden, Anrufe, die Stimme von Maria Callas, Musik von Bach und John Dowland, Blicke aus dem Fenster, auf die Natur, auf Bilder von Malern wie Dalí - alles kann für Friederike Mayröcker Anlass sein für neue Wortbilder und Wortreisen: Bilder greifen dabei ineinander, die einem bekannt vorkommen und die trotzdem neu sind, da sie durch überraschende Wendungen den Dingen einen anderen Lauf geben. O-Ton Elke Erb: Ich glaube, dass bei ihr und um sie herum eine wimmelnde Versammlung von Anlässen ist. Eine sehr sehr rege Luft. Ich möchte gar nicht in ihrer Lage sein, immer wählen zu müssen, wen ich jetzt erhöre von diesen lauter Anlässen und wen nicht. Sie entscheidet das aber. Es ist etwas Totales an ihr. Sprecherin 2: Mit gnadenloser Offenheit realisiert sich Friederike Mayröcker im Schreiben. Mit ihren Sprachbildern macht sie tiefste Bewusstseinsstrukturen sichtbar. Sound O-Ton Friederike Mayröcker: ich öffne weinend die Tür und es fällt mir vor die Füsze; fällt mir ein DIE DEMUTH und an der Türschwelle das nackte Gewässer Höld. Hungerblümchen mein Herz gebückt: pochend mit den lauen Regengüssen wie einst in D., bleich bin ich geworden und immer noch voll Sehnsucht, während der bleiche Himmel am Fenster, demütig Unterwürfig sogar kein Quentchen Stolz in mir, Sound O-Ton Friederike Mayröcker: Nein, nein die Tränen sind allgegenwärtig bei mir. Und das hat eigentlich nichts zu tun mit, im Grunde hat es nichts zu tun mit Hölderlin ich öffne weinend die Tür und es fällt mir vor die Füße, die Demut. Also das hängt eigentlich mehr mit dem Begriff der Demut (zusammen). Ich bin ein Mensch, der sehr viel hält von der Demut und zwar im Zusammenhang mit dem Schreiben. Und ich bin immer erschüttert über Autorenkollegen, die mit einer Arroganz und mit einem, weiß nicht, einem Stolz oder so von ihrem Schreiben sprechen und wie gut sie sind und wie wunderbar sie schreiben und so. Also da geht es mir kalt über den Rücken. Das kann man nicht machen. Das ist ein Geschenk und d a kann man nicht so drüber sprechen. Da kann man sich nur verneigen und sagen, also ich bin in Demut vor dieser Sache, vor den eigenen Arbeiten. Sprecherin 1: Ein Alpengenuss ist dieses Schreiben, und damit basta!, sage ich, aber das Fragen geht weiter, nein, Ideen habe ich keine beim Schreiben, sage ich, du musst etwas wagen wenn du arbeitest, sage ich, du musst etwas einsetzen, nämlich dein Leben, deine Gesundheit, du musst tollkühn vergehen, ich glaube tollwütig, sage ich, auf niemand Rücksicht nehmen, am allerwenigsten auf dich selbst, alle Regeln des guten Geschmacks außer acht lassen, ja: verächtlich machen, alle Begrenzungen überschreiten. O-Ton Friederike Mayröcker: Ich glaub, da muss ich vorsichtig sein, weil, ich habe oft das Gefühl beim Schreiben, da gibt es so Minipausen im Hirn und da denkt man, diese Formulierung, wer, wem würde die zusagen. Niemand wird sagen, das ist eigentlich schön oder das interessiert mich. Also, das sind so (Momente), wo man sich sagt, wer wird das lesen. Niemand wird das lesen. Dass man sich plötzlich dann sagt, das kann ja nicht sein, dass das jemanden interessiert. Das ist aber mitten im Arbeiten. Mitten im intensiven arbeiten kommen diese Minipausen. Sound O-Ton Friederike Mayröcker: Es gibt diesen schönen Begriff im Englischen: poets poems oder poet's poetry. Und ich glaube, am ehesten ist es noch für andere Dichter ein Trost und etwas Wunderbares, wenn man die Gedichte eines anderen, wenn einem die zusagen, wenn einem die nahe gehen. Und vielleicht schreibt man eh nur für den anderen Dichter, für einen anderen Dichter, das weiß man nicht. Und vielleicht für ein paar sensible Menschen. Sprecherin 2: Doch die Säle bei ihren Lesungen sind bis zum letzten Platz gefüllt. So wie auch 2008 in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin. An diesem Abend liest Friederike Mayröcker aus ihrem Buch Paloma. Elke Erb ist bis heute tief beeindruckt von der Atmosphäre dieses Abends. O-Ton Elke Erb: Als ich das jetzt rekapitulierte, wie das war, als sie im Dezember auftrat. Da war es so, als ob die Worte hinter eine Grenze gehen, hinter der niemand mehr ist. Weggehen, als ob sie gesendet werden und gleichzeitig von dort zurückkommen. Unglaublich. O-Ton Crauss: Deine Gedichte sind mir ein großer Roman ? Gefühlserregungskunst. ... Sprecherin 2: Crauss, ein junger Dichter und Performer, der bewusst auf seinen Vornamen verzichtet. Er schrieb Gedichte nach Mayröckers Roman brütt oder Die seufzenden Gärten, den sie, als er 1998 erscheint, für ihren besten hält. Damals glaubt sie, dass sie so nie wieder schreiben könne. In den folgenden Jahren wird sie jedoch das Gegenteil beweisen. Und so sprechen ihre Texte vielfach junge Menschen an. O-Ton Crauss: Also Friederike Mayröcker spricht in "brütt" von der Gemütserregungskunst, nämlich dem Walzer, den sie gerade schreibt. Das kommt von Walze, walzen, auf die Walz gehen, Walzer tanzen. Sich wälzen im dürftigen Bettgestell usw. Also die Gemütserregungskunst, wie Novalis schreibt, sage ich. Dieses Gemütserregungscouvert, das ich in Händen halte. In welchem dein jüngster Brief steckt. Sound O-Ton Crauss: Ihr ganzes Schreiben ist ihr Ich. Das ist ne große Öffnung. Ein sich Öffnen gegenüber dem Leser, aber auch natürlich sich selbst gegenüber. Ich bin nicht so mutig wie Friederike Mayröcker und schrecke vor dem einen oder anderen Schritt vielleicht dann doch noch zurück. Reiße mich nicht ganz auf oder baue mich nicht ganz auseinander und lege mich auf den Präsentiertisch. Sprecherin 1: Die Schrift müsse ganz von allein abfallen, fallen, ohne Anstrengung und Zwänge, nicht wahr, wie die Früchte vom Baum, und die ganze Wiese dann übersät mit Pflaumen ? (sie sind abgefallen! Ruft das Kind, ja, sie liegen im Gras, wir brauchen sie nur noch einzusammeln). Sprecherin 2: Die Welt sei für sie ein tägliches Wunder, sagt die Dichterin und nimmt alles mit derselben Faszination wahr wie schon in jungen Jahren. Sprachbilder explodieren. Bewusstseinsschübe, die das Außen mit den inneren Bildern verbinden. Dabei ist das eine vom anderen nicht zu lösen. Ihre Bücher sind eine fortlaufende Anverwandlung von Wirklichkeit mit Hilfe der Sprache. So scheint das nächste Buch nahtlos an das vorherige anzuschließen. Dabei verweigert sie sich konsequent dem Erzählen von Geschichten. O-Ton Friederike Mayröcker: Na ja ich bin ziemlich orientiert an der französischen Literatur, ohne französisch lesen zu können. Da sind ganz selten nur Geschichten. Ponge zum Beispiel ist eines meiner Lieblingsautoren und da geht es um ganz kleine Dinge, um feine kleine Dinge, nicht um Geschichten. Geschichten sind unwichtig. Es ist ja jetzt wieder die Rückkehr zu den Geschichten, also das gefällt mir gar nicht bei den jüngeren Autoren. Auch beim Bachmann Preis geht es immer um eine Geschichte. Irgendwann muss sich das mal öffnen. Sound O-Ton Friederike Mayröcker: Ich habe natürlich Geschichten lesen müssen, vor allem englische und so. Das hat mir nie gepasst, aber natürlich sollte man es gelesen haben. Man kann sich ja nicht ganz blank an den Tisch setzen und sagen, so jetzt schreib ich. Ohne Hintergrund, dass man eben schon viel gelesen hat, und es ist ein zweischneidiges Schwert. Der Ernst Jandl hat einmal einen schönen Spruch gesagt: Wann soll man denn lesen, wenn man doch schreiben will. O-Ton Aufnahme Jandl: Urteil: Die Gedichte dieses Mannes sind unbrauchbar! Zunächst rieb ich eines in meine Glatze. Vergeblich, es förderte nicht meinen Haarwuchs. Daraufhin betupfte ich mit einem meine Pickel. Diese erreichten binnen zwei Tagen die Größe mittlerer Kartoffeln. Die Ärzte staunten. Daraufhin schlug ich zwei in die Pfanne. Etwas misstrauisch, aß ich nicht selber. Daran starb mein Hund. Sprecherin 2: 1954 lernt sie Ernst Jandl kennen, den Mann, den sie bis an sein Lebensende begleiten wird. O-Ton: Ausschnitt aus dem Hörspiel "Aus der Fremde"(Peter Fitz) Er sei es noch mals, ob sie abends bei ihm essen wolle? Keinerlei Mühe. Ohnedies müsse er zur Post. Vielleicht auch Mittag? Nein, er verstehe, dass sie nicht unterbrechen könne. Gutes Vorankommen er ihr wünsche. O-Ton Friederike Mayröcker: Wir haben ja immer getrennte Wohnungen gehabt und ich bin am Abend mit dem Nachtmahl zu ihm gegangen, weil er in der Nähe gewohnt hat und er hat mir dann die Gedichte gezeigt, die er während des Tages geschrieben hat, oder ein Gedicht. Ich hab aber nie die Prosa hergezeigt. Erst wie sie fertig war. Ich konnte das nicht. Ich konnte nichts herzeigen. Also Gedichte schon. Gedichte habe ich ihm gezeigt. Aber ich habe ja auch sehr viele Prosabücher geschrieben und die konnte ich nicht herzeigen. O-Ton: Ausschnitt aus dem Hörspiel "Aus der Fremde": (Peter Fitz) Ob er ihr sein Geschriebenes zeigen wolle. Unfertiges Produkt selbst zu lesen fürchte er. Ihr Lesen nicht. O-Ton Friederike Mayröcker: Er hat mich immer aufgefordert, ich muss jetzt sagen, wie das ist das Gedicht ist, und muss Kritik, ich muss kritisieren und ich konnte nie kritisieren, weil mir eben alles gefallen hat. Er war sehr hart in der Kritik, aber er hat dann in den letzten Jahren, also vielleicht ab brütt, das wollte er immer lesen, aber er hat gesagt, ich kann es nicht Herzl, sonst kann ich nicht weiter schreiben. Und dann zum Schluss habe ich es ihm natürlich gezeigt und da hat er das gesagt, er kommt nicht nach, er kommt nicht nach. Es ist zu viel. Er kann so ein dickes Buch wie brütt eben nicht lesen. Er hat es angefangen. Er hat angefangen damit, es zu lesen, das weiß ich, weil ich weiß, es hat auf seinem Nachttisch gelegen. Sprecherin 1: Eine Seelenverknüpfung O-Ton Friederike Mayröcker: Ja, schon die Zeit mit dem Ernst Jandl, dass wir uns so gut verstanden haben und dass wir von Anfang eigentlich so etwas wie ein Licht so für uns gesehen haben, die Literatur, einfach die Poesie. Die Literatur, das war für uns von Anfang an das große Ziel. Literatur. Sprecherin 2: In den frühen Jahren mit Ernst Jandl sind Friederike Mayröckers Gedichte stark von dadaistischen Strömungen beeinflusst. Surrealistische Bilder wie bei Dalí prägen bis heute ihre Sprachbilder. Beide, Jandl und Mayröcker, schließen sich noch in den fünfziger Jahren der unter H.C. Artmann entstandenen Wiener Gruppe an. O-Ton Friederike Mayröcker: Ja vor allem, wurden wir ja nicht wahrgenommen. Also Ernst Jandl, Okupenko und ich, wir wurden einfach nicht wahrgenommen, in den fünfziger Jahren, nach dem Krieg. Die Wiener Gruppe wurde auch nicht wahrgenommen. Es war wirklich so eine Phalanx gegen uns. Wir waren wirklich die schwarzen Schafe, bis ungefähr, also bei mir hat es gedauert, bis ungefähr in den 60er-Jahren, dass man mich tot geschwiegen hat. Dann wurde es aber besser. Und dann sind auch immer mehr Bücher von mir erschienen und dann musste man mich ja auch mal wahrnehmen. Ernst Jandl wurde früher wahrgenommen, weil er manche Gedichte, sehr publikumswirksame Gedichte geschrieben hat und auch sehr gut sprechen konnte und lesen konnte. Und manche seiner Gedichte waren sehr humorvoll, sehr gescheit, sehr humorvoll und das war für das Publikum noch am ehesten akzeptabel. Meine Sachen waren nicht akzeptabel lange Zeit. Das war aber auch eine Zeit, wo ich sehr stark experimentiert habe, wo ich sehr Purismus betrieben hab. Es hat dann gedauert bis Anfang der 70er-Jahre und dann war es mir selber nicht mehr angenehm, das zu verfolgen und dann habe ich umgeschwenkt, also richtig 180 Grad umgeschwenkt und hab dann angefangen das Buch Je umwölkter gipfel zu schreiben. Da wollt ich dann mal etwas anderes ausprobieren und ich glaub, das ist mir dann auch gelungen. Sound O-Ton Friederike Mayröcker: Erschrecke zuweilen dasz der zu dem ich Spreche nicht da ist, gelbe und rote längliche Blättchen vom Robinienbaum wehen zur Erde, dann Durch die Quergasse ins BÜRGERCAFÈ, lesend mit Blüten und Wolken, o Jesu dein Blut wer kann mich erretten Sound O-Ton Ernst Jandl: Liegen bei dir Ich liege bei dir. Deine Arme halten mich. Deine Arme halten mehr als ich bin. Deine Arme halten was ich bin, wenn ich bei dir liege und deine Arme mich halten. O-Ton Friederike Mayröcker: Vor allem muss man Hochachtung, Verehrung für den anderen haben. Man muss versuchen, zu verstehen. Ich hab ja oft versagt, also ich hab ja immer das Schreiben im Schädel gehabt. Hab oft versagt damit, dass ich ihn richtig verstanden hab. Er hat mich wahrscheinlich eher verstanden als ich ihn, aber geliebt hab ich ihn immer. Sprecherin 2: Mit dem Tod von Ernst Jandl am 9. Juni 2000 verändert sich ihr Schreiben noch einmal. Schonungslos offenbart sie Irrtümer, Ängste und Hoffnungen. Damit trifft Friederike Mayröcker den Nerv vieler Menschen, die sich aus den Texten einen Zipfel Wirklichkeit herausziehen können für ihr eigenes Leben, für ihren nächsten Schritt. Sprecherin 1: Aber ich bin im Grunde immer unzeitgemäß gewesen, schon seit den Anfängen nicht wahr, immer schon bin ich unzeitgemäß gewesen, immer schon habe ich mich unzeitgemäß verhalten, und immer schon haben sie alle an mir herumgemäkelt, und mit mir herumgeschafft und geschrien, und mich hierhin und dahin gestoßen, und mich ausgelacht und verhöhnt, und mich Lügen gestraft, und absichtlich übersehen und übergangen, also habe ich nie Zeitgemäßes an mir gehabt, das hat sie alle aufgebracht, das hat sie böse gemacht, wild, intrigant! Sprecherin 2: Bei Friederike Mayröcker gibt es keinen Gegensatz zwischen ihren Texten und ihrem Leben ? ihrem Schreibleben. So zeigt sich das Unzeitgemäße auch in ihrer nicht nachlassenden Liebe zum Leben, das sie wie ihr Schreiben als ein großes Geschenk ansieht. O-Ton Friederike Mayröcker: Ich kann ja nichts dafür, dass ich schreib, dass ich schreiben kann. Man kann auch nie wissen, wann es aufhört. Es kann am nächsten Tag schon aufhören. mit scardanelli im Grunde deines Mundes, damals wann weisz die Schwalbe dasz es Frühling wird nachts nadelst du als Regen an mein Fenster ich liege wach ich denke an die Nachmittage umschlungenen Mitternächte, vor vielen Jahren diese Rosenkugeln die Schaafe auf der dunklen Himmels Weide Sound 14